Besser Forschen - Heinz Hillen - E-Book

Besser Forschen E-Book

Heinz Hillen

0,0

Beschreibung

Die Menschheit steht vor großen Herausforderungen. Ein Weg aus der Misere sind wissenschaftliche Durchbrüche, die aber zunächst Forschung voraussetzen die, zumindest hierzulande, jedoch durchaus verbesserungswürdig ist. Heinz Hillen, erfolgreicher Wirkstoffforscher, zeigt anhand von ausgewählten Beispielen, wie Forschung dazu beitragen kann, die Probleme der Welt zu lösen, und weist auf die massiven Mängel hin, die es in allen Bereichen der Forschung derzeit gibt, sei es bei der teilweise diffusen Zielsetzung, den mitunter wenig transparenten Abläufen in der öffentlichen Forschung oder den hinderlichen Machtkonzentrationen an den entscheidenden Schnittstellen. Es werden konkrete Vorschläge gemacht, wie wir uns durch eine veränderte Forschungskultur und organisatorische Maßnahmen effizienter aufstellen können, um in Deutschland wieder vermehrt bahnbrechende Innovationen realisieren zu können.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 172

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Heinz Hillen

Besser forschen

Copyright: © 2021 Heinz Hillen

Lektorat: Erik Kinting – www.buchlektorat.net

Umschlag & Satz: Erik Kinting

Vector illustration »Creating Idea« von akindo (istockphoto)

Verlag und Druck:

tredition GmbH

Halenreie 40-44

22359 Hamburg

978-3-347-29573-5 (Paperback)

978-3-347-29574-2 (Hardcover)

978-3-347-29575-9 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Über den Autor

Heinz Hillen, Jahrgang 1955, hat in Köln Chemie studiert und bereits während seines Zivildienstes in einem endokrinologischen Forschungslabor den typischen Forschungsbetrieb in der Medizin kennengelernt.

Nach dem Studium mit Schwerpunkt Organische Chemie promovierte er von 1980–1983 am Institut für Physiologische Chemie beim Mediziner und Chemiker Prof. Wilhelm Stoffel an der Universitätsklinik Köln. Diese Zeit wird durch die fast optimalen Bedingungen hinsichtlich der Relevanz der Themen, der finanziellen und modernen apparativen Ausstattungen sowie einem ehrgeizigen interdisziplinären Team zu einer perfekten Vorbereitung für seine spätere Tätigkeit in der forschenden Pharmaindustrie. Wilhelm Stoffel lebt die wichtigen Eigenschaften eines erfolgreichen Forschers täglich seinen Mitarbeitern vor: Fokussierung auf wichtige Themen, Begeisterung, Intensität, Kampfgeist und Stehauf-Mentalität.

Heinz Hillen tritt 1984 in die biotechnologische Pharma-Forschung der BASF ein und wird 1986 Projektleiter für Tumor Nekrose Faktor (TNF). Im Zuge dieses Projektes werden Arbeiten zur Generierung von TNF-Antikörpern gestartet.

Der zunächst als TNF-Messsonde entstandene monoklonale Antikörper MAK195, der von Achim Möller hergestellt wurde, wird erst als Segard und später als humanisierter Antikörper, Humira, zu dem bisher weltweit erfolgreichsten Arzneimittel der Medizingeschichte.

Heinz Hillen findet 1988 parallel zum MAK 195 den löslichen TNF-Rezeptor 2 im Urin von Fieberpatienten. Aus diesem Protein macht die Firma Immunex den Wirkstoff Enbrel, der nach Humira in den späten 2010er-Jahren zur Nummer 2 in der Umsatzliste der Therapeutika aufsteigt. Beide Arzneimittel sind heute medizinischer Standard bei einer Vielzahl von entzündlichen Autoimmunerkrankungen wie z. B. Rheuma, Psoriasis und Morbus Crohn.

2001 wechselte Heinz Hillen zur Firma Abbott, wo er die Leitung der Medizinischen Chemie im Arbeitsgebiet der Neurologie in Ludwigshafen übernahm. Während der nächsten 18 Jahre, ab 2013 dann unter der ausgegliederten Firma Abbvie, arbeitete er an mehr als 30 verschiedenen Forschungsprojekten, von denen einige bis in klinische Prüfungen fortgeführt wurden. Über 15 Jahre widmete er sich mit einer kleinen Forschergruppe der Ausarbeitung hochspezifischer Beta-Amyloid-Oligomer-gerichteter Immuntherapien zur Behandlung der Alzheimerschen Erkrankung.

Fachpublikationen des Autors (ohne Patente): https://loop.frontiersin.org/people/765525/overview

Über dieses Buch

Die Menschheit steht bedingt durch den beschleunigten Klimawandel und das Bevölkerungswachstum in den nächsten Jahrzehnten vor der Notwendigkeit, nicht nur ihr Verhalten grundlegend zu ändern, sondern auch in allen Lebensbereichen neue bahnbrechende Technologien aus der Forschung zu realisieren. Während in Teilen der Bevölkerung u. a. durch Bewegungen wie Fridays for Future das Bewusstsein für ein umweltfreundlicheres Verhalten bereits stetig wächst, erscheinen die Forschungsanstrengungen nicht nur in Deutschland noch wenig strukturiert und fokussiert.

Dieses Buch soll Mut machen, indem es anhand von ausgewählten Beispielen aus der medizinischen Forschung, die der Autor selbst mitgestaltet hat, aufzeigt, wie relevante Ergebnisse aus der Forschung dazu beitragen können, die Probleme der Welt zu lösen. Es soll uns aber auch wachrütteln und sensibilisieren für die massiven Mängel, die es noch in allen Bereichen der Forschung gibt.

Die Analyse führt uns von den diffusen oder redundanten Zielsetzungen über wenig transparente Abläufe und Kontrollen in der öffentlichen Forschung zu den hinderlichen Machtkonzentrationen der wenigen Superexperten, die die Arbeitsgebiete in allen Aspekten steuern und dominieren.

Die Erfolgskriterien der Forschung werden auf den Ebenen des Forschers, der Teams und der kommerziellen und öffentlichen Organisationen gründlich diskutiert. Dabei zeigen sich erhebliche Optimierungspotenziale in allen Bereichen.

Das Buch macht im zweiten Teil zahlreiche konkrete Vorschläge, wie wir uns in den verschiedenen Bereichen durch eine veränderte Forschungskultur und organisatorische Maßnahmen effizienter aufstellen können, um in Deutschland wieder vermehrt bahnbrechende Innovationen in vernachlässigten Technologien realisieren zu können.

Inhalt

Vorwort

Forschung in der Wahrnehmung unserer Gesellschaft

Die großen Forschungsziele

Forschung ist kompliziert, schwierig und voller Höhen und Tiefen

Das ABC der Forschung

Die Macht der Meinungsmacher

Forschungskultur

Was macht einen guten Forscher aus?

Grundtypen von Forschern

Der Initiator

Der Vollender

Der Perfektionist

Was macht ein produktives Forschungsteam aus?

Industrielle Forschung

Das Verhältnis Forschung und Management

Der beste Lohn für die jahrelange Arbeit

Forschen im Wettbewerb

Warum es sich lohnt, die Forschung auf den Prüfstand zu stellen

Transformative Innovationen erlauben Quantensprünge in der Entwicklung unsere Gesellschaft

Deutschland – ein Exportland für Innovation

Deutschland in der Innovationskrise

Der schleichende Rückzug aus den großen Hightech-Arbeitsgebieten Pharma und Informationstechnologien

Die goldenen Zeiten der großen Innovationen in Deutschland am Beispiel BASF

Nicht nur BASF: Deutsche Unternehmen verlieren Terrain im Hightech-Arbeitsgebiet Pharma

Informationstechnologien und mehr

Quer durch die Hightech-Forschung – Wo klemmt es?

Fehlende, unpräzise und falsche Forschungsziele

Die Analogforschung

Die Schlagwort- oder Modeforschung

Unrealistische Ziele

Diffuse Ziele

Fehlende relevante Kontrollen

Forscher und ihre Schwächen

Mangelnde Effizienz in Forschungsteams

Verbesserungspotenziale in der akademischen und nicht kommerziellen Forschung

Hemmnisse industrieller Forschung in Großunternehmen

Forschungsförderung nach Proporz und Gießkannenprinzip

Das Publikationssystem: Karriere vor Wissenschaft?

Der Heilige Gral: Die Zeitschriftenbewertung

Fehler und Betrug in der Forschung

Die Rolle der Top-Experten

Probleme an der Schnittstelle Forschung/Entwicklung

Mangelnde Umsetzung von F&E-Ergebnissen

Wie können wir Forschung effizienter machen?

Forschungsergebnisse sind nicht planbar, man kann nur die Wahrscheinlichkeit für ihren Eintritt erhöhen

Ein neues Bild des Forschers in der Gesellschaft

Bringt die Wissenschaft spielerisch und spaßig in den Alltag von Schülern und Erwachsenen

Gesellschaftlicher und politischer Konsens über Forschungsziele und Ethik

Forschungsplanung auf europäischer Ebene

Ergebnisse und Berichtswesen

Kontrollen und Konsequenzen

Wie kommen wir zu einer Forschung ohne Betrug, Schummeln und Tricks?

Ein neuer Kodex in der Forschung

Die Reform des Publikationssytems

Weniger publizieren

Gute negative Resultate publizieren

Nicht reproduzierbare Publikationen indizieren

Der schwierige Übergang zur neuen Forschungskultur

Die Zerschlagung des Personenkults – Neue Spielregeln

Freiheit des Einzelnen in der Forschung: Die Zehn-Prozent-Regel

Die richtige Forschungskultur

Erfolgreiche Forschung braucht vertrauensvolle Führung, kein Mikromanagement

Synergismen, auch mit der Natur

Interdisziplinarität und Diversität

Techniken zur Kreativitätsförderung

Kreativitätsblockaden

Der kreative Forscher

Kreativität und Funktionalität im Team gemeinsam optimieren

Die Schlüsselposition des Forschungsteamleiters

Die beste Organisationsform in der Forschung

Optimale Ressourcen, Infrastruktur, kritische Massen und Lernzyklen

Das Modell Start-up-Firmen in Deutschland verstärken

Erfahrungspotenzial der Ruheständler nutzen

Notwendige Reformen in der Forschungsförderung

Der Masterplan: Ein jährlich aktualisierter verbindlicher öffentlicher Katalog der Forschungsziele und Aktivitäten für Deutschland

Die Großforschungseinrichtungen in führender Rolle

Nicht jedem Modethema nachlaufen, Redundanzen eliminieren

Die Universitätsforschung stärker koordinieren und bündeln

Transparenz durch Reformierung der Bewertungs- und Kontrollsysteme

Interdisziplinäre Kooperationsprojekte priorisieren

Große öffentliche Projekte im Cloudformat

Sichtbare Expertengremien

Etablierung einer Start-up-Szene

Forschungsergebnisse besser verwerten

Gute Projekte nicht den Strategiewechseln opfern

Kreative Verwertungsmodelle gefragt

Fazit

Quellenangaben

Vorwort

Dieses Buch richtet sich an alle, die forschungsinteressiert sind, entweder weil sie selbst gerne forschen, Forscher werden wollen oder Verantwortung für eine Forschungseinheit tragen bzw. einen forschungspolitischen Auftrag zu erfüllen haben.

Ich habe es nach langem Zögern geschrieben, weil ich nach einem über 40-jährigen begeisterten Forscherleben zu der Überzeugung gekommen bin, dass wir auch ohne wesentliche zusätzliche Forschungsgelder unsere Ergebnisse in Deutschland um ein Vielfaches verbessern können. Das mag erstaunen.

Die Doppeldeutigkeit des Titels gibt auch gleich die beiden wichtigsten Kernbotschaften des Buches wieder: Ohne Forschung, und zwar auf hohem Niveau, werden wir die Welt nicht schnell genug transformieren können, um ein würdiges Leben mit nachhaltigen Perspektiven nicht nur für uns Menschen zu ermöglichen. Die ehrgeizigen und notwendigen sorgfältig ausgewählten Ziele zur Erreichung eines klimaneutralen Zusammenlebens auf dieser Erde mit einer zeitweiligen Erdbevölkerung von bis zu 10 Milliarden Menschen müssen zügig umgesetzt werden. Dazu bedarf es weiterer bahnbrechender Erfindungen und technologischer Durchbrüche.

Die Grundthese dieses Buches lautet, dass die Forschungseffizienz in Deutschland weit unter ihren Möglichkeiten bleibt. Zunehmend fokussieren sich Unternehmen auf inkrementale Verbesserungen bestehender Produkte und Verfahren, statt weiter auf dem Gebiet disruptiver Technologien zu forschen. Aber wer glaubt, Innovation schon durch eine neu gestylte Shampooflasche oder ein schickes Autorücklicht geleistet zu haben, der hat die Herausforderungen der Zukunft nicht verstanden. Es soll aufgezeigt werden, wie wir von den Optimierungen der Nebensächlichkeiten wieder zu den bahnbrechenden Forschungszielen zurückkehren und wie wir das Potenzial der Forschung in diesem Lande weitaus besser zu relevanten Innovationen nutzen können.

Die Gründe für die Defizite bei der Erzielung und wirtschaftlichen Umsetzung von Forschungsergebnissen sind auf allen Ebenen zu suchen: mangelnde Zielsetzungen, Kompetenz und Motivation der Forscher, unzureichende und falsche Strategien in der Forschung und schließlich die fehlerhafte Einbindung von Forschung in suboptimale Organisationen von Unternehmen.

Da ich eigene Erfahrungen fast nur aus der molekularen medizinischen Forschung gewinnen konnte, ist es wenig verwunderlich, dass viele Beispiele aus dem Bereich der Arzneimittelforschung stammen.

Diskussionen mit Forschern aus anderen Bereichen haben mir gezeigt, dass die meisten Erfahrungen auf andere Gebiete der Biowissenschaften oder auch technische Forschungsbereiche übertragbar sind. Dieses Buch analysiert intensiv das Thema Forschung, macht konkrete Verbesserungsvorschläge und endet mit dem unmittelbar nachfolgenden Entscheidungsprozess, in kostspielige Entwicklungen zu investieren.

Ich bitte um Verständnis dafür, dass viele Beispiele nur angedeutet werden können, da sie aus Unternehmen stammen und die Vorgänge dort auch noch nach vielen Jahren der Vertraulichkeit unterliegen. Mir ist bewusst, dass darunter die Überzeugungskraft einiger Argumente leidet, aber das lässt sich leider nicht ändern. Fast alle Beispiele wurden darüber hinaus abstrahiert, um die nötigen Persönlichkeitsrechte Betroffener zu wahren. Letztlich geht es ja darum, dass wir aus den Fehlern dieser Beispiele lernen und das Potenzial einer effizienten Forschung zum Wohle zukünftiger Generationen deutlich besser nutzen.

Hören wir auf damit, unattraktive Technologien weiter zu fördern und bis zum Erbrechen zu optimieren. Wir können uns beim besten Willen nichts darauf einbilden, zu einem wichtigen Schweineproduzenten Chinas geworden zu sein, während die Böden in Deutschland an der Gülle ersticken. Es gibt deutlich Sinnvolleres zu tun. Mit meinen Erfahrungen und Geschichten möchte ich deutlich machen, dass wir in Deutschland mehr können als ausgelaufene und schädliche Technologien stur weiter zu Tode zu optimieren.

Ein weiteres Anliegen, das ich mit dem Buch verbinde, ist etwas von dem Glück zu vermitteln, das die Forschung mir über Jahre gegeben hat. Es gab kaum einen Tag der Langweile und schon gar nicht der Unterforderung. Ich habe es stets als Privileg empfunden, in der Forschung arbeiten zu dürfen, denn durch keine andere Tätigkeit kann man so viel gestalterischen Einfluss auf unsere Zukunft nehmen.

Möge der ein oder andere Leser sich anstecken lassen von der Begeisterung, die ich in meinem Berufsleben durch die Forschung erlebt durfte.

Forschung in der Wahrnehmung unserer Gesellschaft

Der begrenzte Stellenwert der Forschung in unserer Gesellschaft wird mir hin und wieder verdeutlicht, wenn ich in einem typischen Gespräch im Freundeskreis über den Bekanntheitsgrad von Forschern und ihren Entdeckungsgeschichten frage, die in den letzten 30 Jahren zu revolutionären Veränderungen in unserm Alltag beigetragen haben. Wer hat das Internet erfunden oder die LED oder die Digitalkamera? Fast ohne Ausnahme herrscht bei dem Thema großes Schweigen, obwohl wir doch alle täglich von diesen und vielen anderen Innovationen profitieren. Während die neuesten Hits der aktuellen Popstars, Filme und Schauspieler ein beliebtes Gesprächsthema sind, kann man mit dem Thema Forschung schnell die Stimmung zerstören. Bei vielen Menschen ist freundliches Desinteresse die häufigste Reaktion.

Die Gründe dafür sind zunächst mal Berührungsängste. Ein Grundinteresse sollte bei allgemein interessierten Menschen ja eigentlich vorhanden sein, aber es kommt gleich die Angst, als unwissend oder gar ungebildet zu gelten. Die eigentliche Neugier wird daher häufig zurückgestellt und man möchte das nicht vertraute Thema schnell vom Tisch haben.

Ich habe diese Situation auch in meiner Familie immer wieder erlebt und muss bekennen, dass ich es selten geschafft habe, meine persönliche Begeisterung zu Forschungsgeschichten auf meine Mitmenschen zu übertragen. Also haben wir gleich einen weiteren Grund für gesellschaftliches Desinteresse an Forschung: Sie wird oft nicht gut, verständlich und spannend erklärt.

Und ja: Forschung, Wissenschaft und Technik sind manchmal kompliziert und das Thema braucht etwas mehr Zeit. Forschungsthemen sind nicht gerade beliebt, denn es kann anstrengend sein, sich einen Sachverhalt zugänglich zu machen.

Das Problem ist von vielen Forschern und Populärwissenschaftlern erkannt und angegangen worden. Sie bereiten die Themen didaktisch auf, vereinfachen, wo erlaubt und vertretbar, und bebildern mit guten Videos. Nichtsdestotrotz haben auch sehr gute wissenschaftliche Fernsehsendungen, wie z. B. Leschs Kosmos im ZDF, nur ein relativ kleines Spezialpublikum zu späten Sendezeiten.

Ein Erfolgsbeispiel ist sicher die Sendung mit der Maus, die uns Forschern ein Vorbild sein sollte. Die neugierigen Fragerinnen – und Kinder sind hier einfach besser als Erwachsene – kommen mit einfachen schonungslosen Fragen, die es sehr verständlich zu beantworten gilt, was in den meisten Fällen gelingt.

Die Verbreiterung des Themas Forschung und Technik in unserer Gesellschaft und der Abbau von Berührungsängsten sowie gezielten Desinformation durch Verschwörungstheoretiker ist von immenser Bedeutung, wenn wir die Akzeptanz der großen Veränderungen erreichen wollen, die zum Überleben der Menschheit zwingend erfolgen müssen. Das ist ein großer Bildungsauftrag für uns alle. Aber wir können das mit Spaß und Unterhaltung erreichen, wie die Kindersendung der ARD uns zeigt. Und das sage ich nicht nur zu meinen Wissenschaftlerkollegen, sondern auch zu mir selbst: Jeder noch so kleine Verdacht auf ein arrogantes Verhalten durch Wissenschaftler und Techniker bei der Kommunikation in die allgemeine Bevölkerung ist kontraproduktiv. Auch die Haltung vieler Wissenschaftler, sich einfach der Diskussion außerhalb der Fachwelt zu versagen, ist inakzeptabel.

Es gibt also eine Bringschuld der Wissenschaftler, damit sich unsere Mitmenschen für diese Themen interessieren und das umsetzen, was uns in die richtige Richtung weiterbringt.

An der nun fast 40 Jahre bestehenden Diskussion zur Gentechnik in Deutschland lässt sich beispielhaft lernen, welche Auswirkungen eine nicht sachgerechte Diskussion haben kann. Da ich ein Zeitzeuge mitten im Geschehen war, möchte ich die fatalen Auswirkungen bezüglich der Pharmaforschung hier noch mal kurz zusammenfassen:

Als zu Beginn der 80er-Jahre die Gentechnik in Form der Molekularbiologie ihre Anfänge nahm, wurde diese zunächst nicht ausführlich bezüglich Chancen und Risiken diskutiert, so wie es jede neue Technologie eigentlich verdient. Von Gegnern generell per se als schlechte Technologie angeprangert, dauern die Auswirkung dieser Diskussion in einer im Grunde absurden Form bis heute an. Wir finden auf vielen Lebensmittelpackungen auch heute noch die Aufschrift gentechnikfrei oder ohne Gentechnik. Mit dieser pauschalen Kategorisierung werden wir den sehr unterschiedlichen Möglichkeiten einer inzwischen zentralen Technologie, die bereits erheblich dazu beigetragen hat, neue hochwirksame Arzneimittel zu entwickeln, nicht gerecht. Auch in der Landwirtschaft werden wir gentechnische Arbeitstechniken benötigen, um robustere Nutzpflanzen für extremere Klimazonen und Böden bereitzustellen. Das darf natürlich nicht heißen, dass wir blind gegenüber ethisch nicht vertretbaren Anwendungen der Gentechnik werden und diese nicht auch verbieten sollten.

Während intensiv und konsequent die Gentechnik verteufelt wurde, regte sich nahezu kein Widerstand gegen die konventionellen Methoden der guten alten Tierzucht. Gentechnikfrei wurden unsere Kühe, Schweine und Puten über Jahrzehnte zu unansehnlichen Hochleistungstieren gemacht, nur damit wir sie heute häufig unter tierquälerischen Haltungsbedingungen noch billiger verzehren können. Wir wären also gut beraten, Technologien nach ihren Anwendungsbeispielen und nicht nach ihrer Neuheit zu beurteilen.

Gehen wir noch mal in die Historie der Gentechnik in Deutschland in das Jahr 1988 zurück. Einige deutsche Unternehmen, z. B. Höchst, Bayer, Grünenthal, BASF, hatten sich damals mit ersten gentechnisch-/biotechnologischen Verfahren zur Herstellung neuartiger biologischer Pharmaproteine wie humanes Insulin, Faktor VIII, Prourokinase oder Tumor Nekrose Faktor beschäftigt. In dieser Zeit gab es neben einer gentechnikfeindlichen Stimmung leider auch keine adäquate nachvollziehbare rechtliche Rahmensituation für gentechnische Verfahren. Für die Produktion des Tumor Nekrose Faktors (TNF) bei der BASF brauchten wir eine Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz, das eigentlich für Großanlagen wie Atomkraftwerke konzipiert war. Der Aufwand war riesig und unverhältnismäßig. In Abwesenheit eines risikobezogenen Gentechnikgesetzes also, das erst 1990 verabschiedet wurde, gaben alle genannten Firmen diese Verfahren auf und die drei IG-Farben-Nachfolger entschieden sich deshalb strategisch fast zeitgleich dafür, moderne biotechnologische Forschung zunächst mal in die USA zu verlagern, wo die Gentechnik für Pharmaanwendungen breit akzeptiert war.

Die Konsequenzen dieser Entscheidungen waren gewaltig für die deutsche biotechnologische Forschung und wirken bis heute nach. In den USA bauten fast alle großen Konzerne innerhalb weniger Jahre nicht nur Pilotanlagen, sondern schufen fast irreversible Verhältnisse auch durch den Bau moderner biotechnologischer Pharmaforschung. Man kann durchaus davon ausgehen, dass dadurch auch die Entscheidungen zur Zerschlagung von Höchst Pharma und der Verkauf von BASF Pharma im Jahre 2000 erleichtert wurden. Der Ausstieg dieser beiden Konzerne bzw. die deutliche Verkleinerung der Pharmaforschung bei Bayer in Wuppertal bedingte in der Folge natürlich auch fehlende Auftrags- und Folgeforschung bei kleineren Biotechunternehmen. Die deutsche Biotech-Szene im Bereich Pharma könnte heute deutlich größer sein. Vor allem fehlen Deutschland interessante Arbeitsplätze, die im Bereich biotechnologischer Forschung angesiedelt wären.

Eine grundsätzliche Verbannung von Technologien in einer dynamischen Gesellschaft, die auch in Zukunft hohe Standards an die Lebensqualität, Nachhaltigkeit und Umwelt stellen wird, ist also nicht zielführend und sachgerecht. Im Gegenteil, nur wenn wir weitere Beschleuniger in Form von technischen Optionen identifizieren, werden wir unsere großen gesellschaftlichen Ziele erreichen. So wird die Verzögerung der Klimaveränderung durch CO2-Reduktion neben unseren Verhaltensänderungen auch technische Unterstützung z. B. durch Umbau unserer Landwirtschaft und Verkehrssysteme benötigen.

Grund genug, die noch nicht realisierten Potenziale unserer Forschung genauer zu analysieren.

Die großen Forschungsziele

Eine demokratische Gesellschaft hat das Recht und die Pflicht zu benennen, in welchen Bereichen sie welche Fortschritte erwartet. Die gewählten Parteien sollten dies in größerer Klarheit als bisher in ihrem Parteiprogramm benennen und daraus ihr beabsichtigtes Forschungsprogramm ableiten. Dieser allererste Schritt hin zu einer demokratischen Zielvereinbarung für das Engagement in der Forschung als Teil der Regierungsbildung ist fundamental und damit die Basis für einen breiten notwendigen Konsens in der Forschungspolitik.

Aus der Proportionierung der großen Ziele erwächst eine nachgeschaltete Strategie der Forschungsförderung, indem diese über die einzelnen Themen heruntergebrochen wird. So kommt man schließlich zu einem ausreichend detaillierten Forschungsplan, der am Ende alle Wunschthemen wohlproportioniert enthalten sollte. Danach scheint es nun trivial zu sein, über die Sinnhaftigkeit eines dieser Forschungsziele zu sprechen. In der Praxis werden allerdings Forschungsziele häufig nicht klar definiert. Dies gilt sowohl für ganze Forschungseinheiten als auch für Teams und den einzelnen Forscher. Recht einfach und klar sind die Ziele zu benennen, sofern es sich um die Identifizierung oder Verbesserung neuer Technologien handelt. Solche Ziele sind meist plausibel, gut begründbar und bezüglich Wert und Realisierungschancen gut einschätzbar. Ein klassisches Beispiel aus den Biowissenschaften sind die Entwicklungen von Methoden zur DNA-Sequenzierung. Über mehr als 20 Jahre wurden diese Techniken mit großem Erfolg verbessert und führten in erstaunlich kurzer Zeit u. a. zur Sequenzierung des menschlichen Genoms. Ehrgeizige aber erreichbare übergeordnete Ziele halfen bei einer effizienten Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Forschergruppen, die auch in nachvollziehbare Einzelziele der Beteiligten aufgeteilt werden konnte. Eine solche transparente Situation motiviert die Gruppe und den einzelnen Forscher. Letztlich wurden dadurch sogar einige Ziele schneller als geplant erreicht. Andererseits werden regelmäßig große Summen Forschungsgelder sinnlos für schlecht definierte Forschungsfelder ausgegeben. Das funktioniert leider besonders gut mit den gerade gängigen Modethemen in der Forschung. Man will nicht außen vor sein, wenn vermeintliche neue revolutionäre Durchbrüche in der Forschung anstehen. So werden derzeit z. B. unter den Schlagwörtern Big Data und Künstliche Intelligenz sehr schnell neue überdimensionierte Forschungseinheiten in allen großen Firmen und Forschungsinstitutionen etabliert, ohne dass diese Forschergruppen klare Ziele vorgegeben bekommen. Der Schaden ist dann besonders groß, wenn die Ressourcen von Erfolg versprechenden anderen Forschungsprojekten abgezogen werden.

Dieses Phänomen ist jedoch nicht nur auf große Aktiengesellschaften beschränkt, wo der Vorstand den Aktionären natürlich mitteilen will, dass man bei den großen Schlagwortthemen mit dabei ist und das Potenzial der neuen Technologien voll erkannt hat. Auch bei fast allen großen staatlichen und europäischen Institutionen lassen sich mit Forschungsanträgen, die auf die gerade modernen Themen abgestimmt sind, beträchtliche Fördermittel locker machen. Das soll jedoch nicht heißen, dass jedes Unternehmen und jede Forschungsinstitution nicht jederzeit hellwach sein muss, um sicherzustellen, dass neue Technologien gesichtet und bedarfsgerecht implementiert werden. Entscheidend ist, dass ein eigenes individuelles Konzept vorangeht und dann geprüft wird, wie neue technologische Möglichkeiten die Realisierungschancen der eigenen Forschungsziele erhöhen können. Hektisches unreflektiertes Aufspringen auf Modetrends ist kontraproduktiv und kann gewachsene, wettbewerbsfähige und proprietäre Forschungsfelder gefährden.