Beute - Ayaan Hirsi Ali - E-Book

Beute E-Book

Ayaan Hirsi Ali

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

»›Beute‹ warnt uns davor, unsere größte Errungenschaft aufs Spiel zu setzen: die Herrschaft des Rechts.« Henry A. Kissinger

Nicht alle muslimischen Männer verachten Frauen, manche allerdings schon. Ayaan Hirsi Ali benennt in ihrem Buch eine unbequeme Wahrheit, der wir ins Auge blicken müssen: Viele muslimische Männer haben ein radikal anderes Frauenbild, als es bei uns üblich ist. Mit der verstärkten Zuwanderung aus muslimischen Ländern nimmt die Gewalt gegen Frauen nachweislich zu, und Frauen werden dadurch in ihrer Bewegungsfreiheit immer stärker eingeschränkt. Nicht nur muslimische Frauen, sondern alle Frauen in westlichen Demokratien. Falsche Toleranz, so Hirsi Ali, hilft hier nicht weiter. Denn wir laufen Gefahr, unsere hart erkämpften Freiheitsrechte zu verlieren. Nur indem wir die Probleme klar benennen und die Bedrohung emanzipatorischer Errungenschaften durch Einwanderer aus muslimisch-arabischen Kulturkreisen anerkennen, nehmen wir Populisten den Wind aus den Segeln. Und nur dann kann Integration erfolgreich sein.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Zum Buch:

Wir dürfen uns unsere Freiheit nicht nehmen lassen!

Nicht alle muslimischen Männer verachten Frauen, manche allerdings schon. Ayaan Hirsi Ali benennt in ihrem neuen Buch eine unbequeme Wahrheit, der wir ins Auge blicken müssen: Viele muslimische Männer haben ein radikal anderes Frauenbild, als es bei uns üblich ist. Mit der verstärkten Zuwanderung aus muslimischen Ländern nimmt die Gewalt gegen Frauen nachweislich zu, und Frauen werden dadurch in ihrer Bewegungsfreiheit immer stärker eingeschränkt. Nicht nur muslimische Frauen, sondern alle Frauen in westlichen Demokratien. Falsche Toleranz, so Hirsi Ali, hilft hier nicht weiter. Denn wir laufen Gefahr, unsere hart erkämpften Freiheitsrechte zu verlieren. Nur indem wir die Probleme klar benennen und die Bedrohung emanzipatorischer Errungenschaften durch Einwanderer aus muslimisch-arabischen Kulturkreisen anerkennen, nehmen wir Populisten den Wind aus den Segeln. Und nur dann kann Integration erfolgreich sein.

Zur Autorin:

Ayaan Hirsi Ali ist eine in Somalia geborene Aktivistin für Frauenrechte, eine Befürworterin der Meinungsfreiheit und die Bestsellerautorin von Mein Leben, meine Freiheit; Ich klage an: Für die Freiheit der muslimischen Frauen; Ich bin eine Nomadin und Reformiert euch! Warum der Islam sich ändern muss. Sie wuchs in Afrika und im Nahen Osten auf, bevor sie in den Niederlanden Asyl beantragte, wo sie schließlich ins Parlament gewählt wurde. Heute lebt sie mit ihrem Ehemann und zwei Söhnen in den Vereinigten Staaten.

»Diese Stimme im öffentlichen Diskurs über die Ursachen islamistischen Terrors hat gefehlt.«

Denis Scheck über Reformiert euch!

Besuchen Sie uns auf www.cbertelsmann.de und Facebook

AYAAN HIRSI ALI

Beute

Warum muslimische Einwanderungwestliche Frauenrechte bedroht

Aus dem Englischen vonKarsten Petersen und Werner Roller

C. Bertelsmann

Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel Prey. Immigration, Islam, and the Erosion ofWomen’sRights bei HarperCollins Publishers, New York. Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © der Originalausgabe 2021 Ayaan Hirsi Ali Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2021 C. Bertelsmann in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Covergestaltung: Favoritbuero, München Coverabbildung: © Westend61/Getty Images; © Mahdi Ibrahim/EyeEm/Getty Images Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN: 978-3-641-27015-5V001www.cbertelsmann.de

Für Niall

Dies ist eine Triggerwarnung, die für das gesamte Buch gilt. Wenn Sie es lesen, sollten Sie getriggert sein.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Teil I Die unsicheren Straßen

Kapitel 1: Die Uhr geht rückwärts

Kapitel 2: Die fünfte Welle

Kapitel 3: Sexuelle Gewalt in Zahlen

Kapitel 4: Taharrush dschama’i (das Vergewaltigungs-Spiel) kommt nach Europa

Kapitel 5: Wie Frauenrechte ausgehöhlt werden

Kapitel 6: Sind die Gesetze unzureichend?

Teil II Die europäische Politik gibt die Verantwortung für die Sicherheit von Frauen auf

Kapitel 7: Handlungen haben Folgen

Kapitel 8: Die zerbrochenen Fenster der liberalen Justiz

Kapitel 9: Das Lehrbuch des Nichtwahrhabenwollens

Kapitel 10: Die feministische Zwickmühle

Teil III Kampf der Kulturen, zweite Runde

Kapitel 11: Das Anstandsgebot

Kapitel 12: Kulturschock

Kapitel 13: Warum Integration nicht stattgefunden hat

Kapitel 14: Die Integrationsindustrie und ihr Versagen

Kapitel 15: Grooming Gangs

Teil IV Lösungen – vorgeschobene und echte

Kapitel 16: »Für dich, der du mit einem Kind verheiratet bist«

Kapitel 17: Das Problem Populismus

Kapitel 18: Eine neue Integrationsstrategie

 

Schlusswort: Auf dem Weg nach Gilead

Dank

Anmerkungen

Namens- und Sachregister

Einleitung

In diesem Buch geht es um Massenmigration, sexuelle Gewalt und die Rechte von Frauen in Europa. Es geht um ein kolossales Versagen der europäischen Politik. Und es geht um Lösungen für das Problem, scheinbare und reale.

In Europa hat sich die Debatte über Einwanderung, Integration und Islam in den letzten Jahren intensiviert – eine Antwort gewissermaßen auf Terroranschläge, große und kleine; auf die Prediger des radikalen Islam in manchen Moscheen und islamischen Zentren; auf das Wiedererstarken rechtsextremer und populistischer Parteien und die Ankunft einer großen Zahl von Zuwanderern aus dem Nahen und Mittleren Osten, Afrika und Südasien vor allem (aber nicht nur) in den Jahren 2015 und 2016. Immer noch versuchen viele Migranten, über das Mittelmeer oder auf anderen Wegen nach Europa zu gelangen, auch wenn der Zustrom in den beiden letzten Jahren nachgelassen hat. Eine Folge von alledem ist ein Wandel in der gesellschaftlichen Stellung von Frauen in Europa. Jener Wandel aber ist Thema dieses Buches.

Die zunehmende Zahl von Männern, die aus Ländern mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit stammen, hat ein Problem sichtbar gemacht: ihre Einstellung gegenüber Frauen. Nicht alle muslimischen Männer verachten Frauen und bringen dies auch zum Ausdruck, manche allerdings schon. In Ländern wie Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Schweden und anderen mit einer erheblichen Zahl von muslimischen Einwanderern haben wir erlebt, wie manche dieser Männer – und manchmal auch ihre Kinder – Freiheiten für Frauen ablehnen. Einige Jahrzehnte lang hat sich die Diskussion darauf konzentriert, wie diese Männer ihre eigenen Verwandten behandelten: Frauen, Schwestern, Cousinen, Nichten und andere. Über Formen von Gewalt, die im Namen der Ehre ausgeübt werden – auch Morde, Misshandlungen und Freiheitsberaubungen –, wissen wir inzwischen Bescheid oder sollten es zumindest. In Europa wie auch im Rest der Welt hat es eines enormen Aktivismus und einiger spektakulärer Beispiele bedurft, um diese Probleme ans Licht zu bringen und die zahllosen Fälle zu enthüllen, in denen Scharia-Gerichte Kinderhochzeiten, Zwangsehen, Polygamie, die Misshandlung von Ehefrauen und ungerechte Scheidungsurteile abgesegnet haben. Überlebende wurden der Lüge bezichtigt; Menschen, die den Opfern beistanden, beschuldigte man verschiedener Formen der religiösen Intoleranz. Selbst die Feststellung, dass muslimischen Frauen im Namen der Kultur und Religion ihre Rechte vorenthalten wurden, und das oft von der eigenen Familie, erwies sich als schwierig. Die Opfer wurden häufig einfach ignoriert.

Männer, die Frauen verachten, beschränken diese Verachtung jedoch nicht auf Frauen, mit denen sie Herkunft und kulturelle Prägung teilen. Manche muslimischen Männer empfinden diese Verachtung für alle Frauen – einschließlich der europäischen Frauen, die wie selbstverständlich davon ausgegangen waren, ein Niveau der Emanzipation erreicht zu haben, das sie von muslimischen Frauen unterschied. Und dieses Problem betrifft nicht nur die Neuankömmlinge, die sich in Europa um Asyl bemühen; unter den Männern, von denen in diesem Buch die Rede ist, befinden sich auch einige, die in Europa geboren und aufgewachsen sind, Söhne, ja sogar Enkel von Einwanderern.

Dies führt zu einer grundsätzlichen Frage: Warum konzentriert sich dieses Buch nur auf muslimische Männer und nicht auf alle Männer, wenn doch sexuelle Gewalt und die für Frauen empfundene Verachtung Universalphänomene sind? Schließlich begingen sowjetische Soldaten, als die Rote Armee gegen Ende des Zweiten Weltkriegs 1944 und 1945 auf deutsches Staatsgebiet vordrang, sehr viel mehr Verbrechen, als in diesem Buch beschrieben werden, und vergewaltigten in einer halborganisierten Vergeltungskampagne zahllose deutsche Frauen. Im jugoslawischen Bürgerkrieg in den 1990er-Jahren erlitten muslimische Frauen in Bosnien sexuelle Gewalt durch serbische Milizionäre, die als Vergewaltiger auftraten. Männer, die in jüngster Zeit aus Kuba, Argentinien, Serbien und dem Südsudan – um nur vier Länder mit einem sehr kleinen muslimischen Bevölkerungsanteil zu nennen – nach Europa, Nordamerika und Australien gekommen sind, machten sich auf vielerlei Art sexuellen Fehlverhaltens schuldig. Die weltweit führenden Menschenhändlerringe, die von sexueller Ausbeutung leben, werden heute von nichtmuslimischen kriminellen Banden geführt, die in verschiedenen Teilen Asiens, Russlands und Mittel- und Südamerikas aktiv sind. Außerdem sieht es ganz danach aus, dass die Konsumenten der schmutzigsten Produkte der Sex-»Industrie« – ganz besonders der Kinderpornografie – vor allem aus westlichen Ländern kommen. Wären mehrere Millionen mehrheitlich junger Männer aus jedem beliebigen Teil der Welt nach Europa gekommen, hätte das so gut wie sicher zu einer Zunahme von gegen Frauen gerichteten Sexualverbrechen geführt.

In diesem Buch konzentriere ich mich dennoch auf die Einstellung und das Verhalten muslimischer Männer, und zwar aus drei Gründen:

Es geht um das Ausmaß der Migration aus Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit nach Europa, darum, dass diese vermutlich anhält und die muslimische Bevölkerung in Europa weiter wächst.

Es geht um ihre politische Bedeutung. Erwiesenes sexuelles Fehlverhalten vonseiten einiger muslimischer Einwanderer ist in der Hand von Populisten und anderen rechtsextremen Gruppen und Parteien schlicht und einfach ein äußerst wirkungsvolles Instrument zur Dämonisierung aller muslimischen Einwanderer. Wenn wir dieses Problem aus der Tabuzone herausführen, werden diese Aspekte die Diskussion nicht mehr monopolisieren können.

Eine offene und freimütige Diskussion fordert auch die Islamisten heraus, die zwar das Problem einräumen, aber eine Abhilfe vorschlagen, die für alle Frauen einen Rückschlag bedeuten würde.

Ich bin mir der mit diesem Unterfangen verbundenen Schwierigkeiten sehr wohl bewusst. Im Zeitalter der Identitätspolitik, in dem von uns erwartet wird, uns in einer halbwegs historischen Matrix von Opferrollen zu bewegen, ist eine Auseinandersetzung mit der Gewalt, die muslimische Männer gegen europäische Frauen ausüben, unmodern. Sie wird zusätzlich erschwert, wenn das Thema zu den bevorzugten Arbeitsgebieten von russischen Agenten der Desinformation und von »Alt-Right«-Trollen gehört. Die Regierung des russischen Präsidenten Wladimir Putin betreibt eine Kampagne zur Destabilisierung der liberalen Demokratie in Europa und in den Vereinigten Staaten. Die Russen verbreiten direkt oder indirekt, über glaubwürdige wie auch über bösartige Websites im Westen, Falschmeldungen – beispielsweise die Behauptung, die Täter bei einem Fall von Gruppenvergewaltigung in Spanien seien Araber gewesen, während sie in Wirklichkeit Kubaner, Argentinier und Spanier waren. Rechtsextreme Gruppen sind, auch ohne russische Hilfe, bei der Übertreibung oder vollständigen Erfindung von Anti-Einwanderer-Geschichten äußerst effektiv. Wer seriös über negative Aspekte der Einwanderung schreiben will, kann so gut wie sicher sein, sich damit den Vorwurf einzuhandeln, die »Alt-Right«-Bewegung und ihre Komplizen zu legitimieren. Doch ich bin der Überzeugung, dass ein Buch wie dieses hier sehr viel wirksamere Argumente gegen solche Leute liefern kann als eine Strategie des Abstreitens und Verleugnens, die offensichtlich von vielen liberalen und progressiven Kräften bevorzugt wird. Nur indem klargestellt wird, was in Europa in den letzten Jahren falsch gemacht wurde, lässt sich ein wahrhaft glaubwürdiges Plädoyer für die effektive Integration von Einwanderern entwickeln. Denn das – und nicht der Ausschluss und die Repatriierung, die von den Populisten der Rechten bevorzugt werden – ist der einzig gangbare, fortschrittliche Weg.

Wenn das Problem wirklich so ernst ist, wie ich behaupte, mögen Sie an dieser Stelle vielleicht fragen, warum hat es dann so lange gedauert, bis es öffentlich zur Sprache gebracht wird? Ein Teil der Antwort besteht darin, dass in den westlichen Ländern alles, was mit Einwanderung und Islam zu tun hat, nur unter großen Schwierigkeiten besprochen wird – wenn überhaupt. Ein anderer Teil der Antwort ist, dass dieses Thema ebenso sehr mit Schichtzugehörigkeit verbunden ist wie mit Religion oder ethnischer Herkunft. Der größte Teil der Verbrechen an und des Fehlverhaltens gegenüber Frauen geschieht in ärmeren Gegenden. Die Frauen, die es sich leisten konnten, in ein sicheres Viertel zu ziehen, haben dies, gemeinsam mit ihren Familien, auch getan. Diejenigen Frauen, die in den ärmeren Wohnquartieren zurückbleiben, sind nicht so gut dran. Und aus irgendwelchen Gründen weckt ihre Notlage – im Zeitalter von #MeToo – sehr viel weniger Mitgefühl als das Schicksal von Hollywoodschauspielerinnen, die sexuellen Belästigungen durch ihre lüsternen Produzenten ausgesetzt sind.

In meinem eigenen Leben habe ich – wenn auch in milder Form – sexuelle Diskriminierung, Belästigung und Gewalt erlebt, die in Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit wie Somalia und Saudi-Arabien üblich ist, ebenso wie in einigen muslimischen Gemeinschaften in westlichen Ländern. Und ich musste auch bei mehr als einer Gelegenheit die unerwünschte Aufmerksamkeit von in sexuellen Dingen übermäßig forsch auftretenden westlichen Männern abwehren. Ich kann Ihnen sagen, welches Problem das schlimmere ist. Tatsächlich – dass ich Ihnen genau das sage, ist ein großer Teil des Zieles, den dieses Buch verfolgt.

TEIL I

Unsichere Straßen

KAPITEL 1

Die Uhr geht rückwärts

Wir im Westen sind es gewohnt, überall um uns herum Frauen zu sehen. Wir sehen sie als Kolleginnen im Büro, sie sitzen neben uns im Bus, sie sind Gäste in Restaurants, joggen auf den Bürgersteigen und arbeiten in Geschäften. Wir sehen auch mehr Frauen als je zuvor in Führungspositionen als Regierungschefinnen, Ministerinnen, Kanzlerinnen, Direktorinnen und Chefinnen. Frauen, die in den 1990er-Jahren und danach in westlichen Ländern geboren wurden, betrachten dies als gegebene Tatsache. Sie denken nicht darüber nach, dass der Gang zur Schule oder der Aufenthalt in einem Café ein Triumph des Liberalismus ist. In manchen Teilen großer und mittelgroßer westlicher Städte allerdings macht man in diesen Tagen vielleicht eine seltsame Beobachtung: Es sind einfach keine Frauen unterwegs – oder nur sehr wenige.

Bei einem Gang durch bestimmte Viertel von Brüssel, London, Paris oder Stockholm fällt einem plötzlich auf, dass da nur Männer sind. Die Verkäufer, Kellner und Gäste in Cafés sind allesamt Männer. In nahe gelegenen Parks sieht man nur Männer und Jungen, die Fußball spielen. In den Höfen und Klubräumen von Wohnblocks trifft man redende, lachende, rauchende Männer. Auf einem Kontinent, den Jahr für Jahr Millionen von Touristen besuchen, um den weiblichen Körper als Kunstobjekt oder als Träger der neuesten Mode zu erleben, mutet das ein bisschen merkwürdig an. Was ist mit den Frauen passiert? Warum sitzen sie nicht mehr in den Cafés und plaudern nicht mehr draußen auf der Straße?

Die Antwort lautet: Manche Frauen haben sich aus diesen Vierteln zurückgezogen, andere wurden vertrieben, und wieder andere sind zu Hause und unsichtbar. Wenn mehr und mehr Frauen diesen öffentlich zugänglichen Orten in solchen Vierteln fernbleiben, sind die wenigen, die noch verbleiben, exponiert und ziehen die Aufmerksamkeit von Männern auf sich, die dort wohnen. Es besteht keine offizielle Segregation, aber ein Gefühl des Unbehagens und der Schutzlosigkeit reicht aus, um jede Frau, die alleine unterwegs ist, frösteln zu lassen und ihr den Gedanken nahezulegen: »Hier werde ich nicht mehr entlanggehen.«

Frauen werden in solchen Gegenden aus dem öffentlichen Raum hinausbelästigt. Manche Männer rufen ihnen zu: »He, Schätzchen, gib mir deine Telefonnummer« oder »hübscher Arsch« oder »Was machst du hier?«. Unabhängig vom Alter und vom Aussehen, in ihrer Eigenschaft als Frauen und vor allem, wenn sie allein sind, erleben sie die gleiche Behandlung. Ein hartnäckiger Bedränger geht einer Frau unter Umständen hinterher, berührt sie und stellt sich ihr in den Weg. Macht eine Frau einen schutzlosen Eindruck, gehen manche Männer weiter: Sie wählen sie als Zielobjekt, umzingeln sie und schüchtern sie ein, begrapschen sie, zerren an ihrer Kleidung, und manchmal tun sie Schlimmeres.

Solche Vorfälle kommen immer häufiger vor. Frauen und Mädchen aus ganz Europa berichten von Belästigungen beim Einkaufen, in Schulen und an Universitäten, in Schwimmbädern, in Nachtklubtoiletten, in Parks, bei Festivals, auf Parkplätzen. Sie sagen, dass Wohnstraßen und öffentliche Plätze nicht mehr sicher seien. Und ihre Angreifer belästigen sie völlig schamlos in aller Öffentlichkeit.

Belastbare Daten zu diesem Phänomen zu finden, ist bekanntermaßen schwierig. Meine Forschungsassistentinnen und ich haben zwei Jahre mit der Durchsicht der verfügbaren Quellen verbracht – Kriminalstatistiken, Gerichts-, Polizei- und Regierungsberichte, akademische Quellen –, und keine davon liefert ein umfassendes Bild. Wir wissen, dass nur ein kleiner Teil der von sexueller Gewalt betroffenen Frauen solche Taten auch anzeigt, und noch weniger Frauen melden sexuelle Belästigungen, die von den meisten Betroffenen achselzuckend als Teil ihres Alltagslebens hingenommen werden. Es ist frustrierend, dass relevante Alltagserfahrungen ganz normaler Frauen nur selten öffentlich wahrgenommen werden, über gelegentliche isolierte Posts in den sozialen Medien hinaus.

Bei Gesprächen mit europäischen Frauen bin ich jedoch zu der Einsicht gelangt, dass das Problem viel tiefer und weiter reicht als die Geschichten, die es bis in die Nachrichten schaffen. Die Aussagen dieser Frauen haben mich davon überzeugt, dass wir in manchen Stadtteilen Europas eine stillschweigende, aber bedeutsame Erosion von Frauenrechten erleben. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, wird er immer mehr Orte in Europa erfassen. Gegenwärtig zeichnen sich bei den betroffenen Stadtvierteln zwei Gemeinsamkeiten ab: ein niedriges Durchschnittseinkommen und eine große Zahl von Einwanderern aus Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit.

Ein Wandel für Frauen in Europa

Als Somalierin, die 1992 in die Niederlande kam, war ich schockiert, als ich junge Frauen alleine in öffentlichen Verkehrsmitteln und in Bars und Restaurants sah. Ich war mit dem Wissen aufgewachsen, dass das Verlassen des Hauses, ohne Kopf und Körper zu bedecken oder ohne einen männlichen Verwandten als Begleiter an meiner Seite, mich zu einem Zielobjekt für Belästigungen und Angriffe machen würde. Aber in Holland waren Frauen abends und nachts auch ohne männliche Beschützer zu Fuß in den Straßen unterwegs, bedeckten ihr Haar nicht und trugen die Kleidung, die ihnen gefiel.

Natürlich gab es auch Ausnahmen. Auch in Holland kam es zu sexueller Gewalt, zu Vergewaltigungen und gelegentlich sogar zu Morden an Frauen. Aber Fälle dieser Art waren meist so außergewöhnlich, dass sie wochenlang ein Thema für die nationale Berichterstattung blieben. Während ich mich an das Leben in einer westlichen Großstadt gewöhnte, lernte ich, dass die gesellschaftliche Stellung der Frau sich hier radikal vom Alltag in der Welt unterschied, aus der ich kam. Heute, fast drei Jahrzehnte später, lässt sich das nicht mehr mit derselben Gewissheit sagen. Eine wachsende Zahl von Frauen in Europa sorgt sich um die eigene Sicherheit. Fälle von Vergewaltigung, gewalttätigen Attacken, Grapscherei und sexueller Belästigung an öffentlich zugänglichen Orten scheinen zugenommen zu haben.

Es ist kein Geheimnis – obwohl es als unhöflich oder politisch unkorrekt gilt, darauf hinzuweisen –, dass junge Einwanderer aus dem Nahen und Mittleren Osten, Südasien und verschiedenen Teilen Afrikas unter den Tätern überrepräsentiert sind. Sie sind oft in Gruppen unterwegs und machen dadurch immer mehr Viertel in europäischen Städten für Frauen, die sich dort bewegen wollen, unsicherer.

Dass Frauen schon immer unter der Bedrohung durch sexuelle Gewalt gelitten haben, ist eine Binsenweisheit. Aber zumindest in den vergangenen vier Jahrzehnten war sie in Europa die Ausnahme und nicht die Regel. In den 1990er-Jahren dachte ich, dass sich die Verhältnisse in den Entwicklungsländern immer mehr an den in Europa erreichten Zustand annähern würden. Damals hätten nur wenige Menschen vorhergesagt, dass Teile Europas allmählich die Haltungen und Glaubensvorstellungen von Kulturen übernehmen würden, die Frauenrechte ausdrücklich gering schätzen. Aber ich glaube, dass genau dies derzeit geschieht. Wir erleben einen Angriff auf die Rechte, die europäische Frauen eigentlich als selbstverständlich vorausgesetzt hatten. Und ich halte es für keinen Zufall, dass dieser Angriff auf eine starke Zunahme der Einwandererzahlen folgte.

Seit 2009 sind rund drei Millionen Menschen illegal nach Europa gekommen, und die meisten von ihnen haben einen Asylantrag gestellt.1 Etwa die Hälfte von ihnen kam 2015, und etwa zwei Drittel der Neuankömmlinge waren männlichen Geschlechts. 80 Prozent der Asylbewerber waren jünger als 35 Jahre. In den letzten Jahren war ein Drittel jünger als 18 Jahre (oder behauptete dies).

Die überwältigende Mehrheit dieser jungen Männer kam aus Ländern, in denen Frauen nicht als gleichberechtigt oder nahezu gleichberechtigt gelten, wie dies in Europa der Fall ist. In einigen der Herkunftsländer werden zum Beispiel Jungen und Mädchen in den Familien ab dem siebten Geburtstag voneinander getrennt. Ein Umgang mit dem anderen Geschlecht ist unerwünscht, und Sexualerziehung ist ein Tabu. Die jungen Männer kommen aus einem kulturellen Umfeld, das Frauen keine Gleichberechtigung zugesteht und sie davon abhält, einer bezahlten Arbeit nachzugehen, alleine zu leben und ihre eigenen Ambitionen zu verfolgen.

Dies ist natürlich kein gänzlich neues Phänomen. Migranten aus muslimischen Ländern kamen bereits seit Beginn der 1960er-Jahre nach Westeuropa. In dieser Anfangsphase der Zuwanderung wurden sie jedoch im öffentlichen Bewusstsein kaum einmal mit Gewalt gegen Frauen in Verbindung gebracht. Das lag daran, dass nur wenige Europäer mitbekamen, wie Frauen und Mädchen in den Zuwandererfamilien behandelt wurden. Menschen wie ich versuchten, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf Probleme wie Gewalt im Namen der Ehre, genitale Verstümmelung von Frauen und Zwangsheiraten zu lenken, unter denen viele Frauen und Mädchen zu leiden hatten. Aber man ging davon aus, dass sich diese von der Herkunftskultur geprägten Verhaltensweisen aufgrund der Ausweitung der Freiheiten, wie sie Frauen in westlichen Ländern genossen, auf Migrantengemeinden innerhalb von einer oder zwei Generationen verlieren würden. Für allzu viele Frauen in jenen Gemeinden hat sich diese Hoffnung schlicht und einfach nicht erfüllt.

Dieses Buch entstand, weil ich herausfinden wollte, warum Frauen sich in manchen Wohnvierteln aus dem öffentlichen Leben zurückzogen. Ich hegte den Verdacht, dass Frauen den Zugang zum öffentlichen Raum um ihrer persönlichen Sicherheit willen preisgaben. So sieht nämlich das Leben vieler Frauen aus, die in Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit leben. Dies ist auch der Grund dafür, warum viele Frauen in Einwanderergemeinden während der letzten fünf Jahrzehnte ihre althergebrachte Lebensweise auch im Westen fortgesetzt haben: Sie bleiben für einen wesentlichen Teil ihres Alltagslebens auf die eigene Wohnung beschränkt, und sobald sie diese verlassen, werden sie durch ein Netzwerk, bestehend aus Familienmitgliedern und Angehörigen der örtlichen Zuwanderergemeinde, überwacht. Es schien nur logisch zu sein, danach zu fragen, in welchem Umfang eine zunehmende Zahl von Männern, die aus Gesellschaften stammen, in denen diese Dynamik zwischen Männern und Frauen besteht, ihre Wertvorstellungen anderen Frauen in ihrer näheren Umgebung aufzwingen könnte.

In den Jahren unmittelbar vor der »Flüchtlingskrise« von 2015 in Europa waren mir gelegentliche Berichte in den Medien über sexuelle Angriffe aufgefallen. Jedes dieser Beispiele war als isolierter Einzelfall dargestellt worden. Auf den ersten Blick ergab sich daraus auch noch kein Gesamtbild. Im Allgemeinen richtete sich der Angriff gegen eine Frau, die abends auf dem Nachhauseweg von einem Unbekannten attackiert wurde. In manchen Fällen stellte sich später dann heraus, dass der Täter ein Zuwanderer war, oder er war vielleicht in Europa geboren und in einer unzureichend integrierten Einwanderergemeinde aufgewachsen. Aber die Fälle schienen nicht zahlreich genug zu sein, um daraus ein Muster ableiten zu können.

Ab dem Spätjahr 2015 änderte sich dies allerdings. Berichte über solche sexuellen Angriffe, über Vergewaltigungen und Fälle von sexueller Belästigung nahmen stetig zu. Als ich mir dieses Phänomen genauer ansah, wurde mir klar, dass die Zunahme von Sexualverbrechen in den Ländern Westeuropas zu beobachten war, die ihre Grenzen für eine bis dahin noch nie dagewesene Zahl von Migranten und Asylbewerbern aus in hohem Maß patriarchalisch strukturierten und muslimisch dominierten Gesellschaften geöffnet hatten. Allein im Jahr 2015 kamen fast zwei Millionen Menschen – in großer Mehrheit Männer – aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, Pakistan, Nigeria und anderen Ländern mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung nach Westeuropa. Die Sprachgrenzen zwischen den verschiedenen europäischen Gesellschaften und die zuweilen engstirnige Fokussierung auf die nationalen Belange ihrer medialen Berichterstattung hatten jedoch zur Folge, dass die Menschen in geografisch so nahe beieinanderliegenden Gesellschaften wie Schweden, Deutschland, Frankreich und Österreich nicht erkannten, dass das, was von Frauen im eigenen Land berichtet wurde, auch anderswo geschah.

Es ist mir wichtig, unmissverständlich festzustellen, dass meine Argumentation keinerlei ethnische Komponente enthält. Ein bestimmter Prozentsatz von Männern jedweder ethnischen Herkunft wird Frauen vergewaltigen und belästigen. Nach Auskunft der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben 35 Prozent der Frauen weltweit »entweder körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch einen Intimpartner oder Nichtpartner erlebt«.2 Weltweit erlebten 7,2 Prozent der Frauen sexuelle Gewalt durch eine Person, die nicht ihr Partner war. Aber die prozentuellen Anteile sind in Europa deutlich niedriger als in anderen Teilen der Welt. In manchen Gesellschaften werden Männer dazu erzogen, die körperliche Selbstbestimmung von Frauen zu respektieren, während anderswo ein aggressiv-übergriffiges Verhalten nicht mit derselben Strenge verurteilt wird.

Bevor Sie Einspruch erheben …

Lassen Sie mich gleich vorweg klarstellen: Ein Muslim oder ein Zuwanderer aus der muslimischen Welt zu sein, macht Sie nicht pauschal zu einer Bedrohung für Frauen. Vergewaltigung, sexuelle Gewalt und sexuelle Belästigung scheinen Universalphänomene zu sein. In zahlreichen Phasen gesellschaftlicher Unordnung scheinen Bevölkerungsverschiebungen großen Ausmaßes mit einer Zunahme sexueller Gewalt gegen Frauen verbunden gewesen zu sein. Mit grausigen Episoden dieser Art ließe sich mühelos ein ganzes Buch füllen, und dabei würde schnell offenkundig werden, dass solche Dinge in einem breiten Spektrum geografisch und kulturell unterschiedlichster Umfelder vorkommen. Wie bereits festgestellt, lässt sich nichts, was nach 2015 geschah, auch nur im Entferntesten mit den entsetzlichen Massenvergewaltigungen vergleichen, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs von Soldaten der Roten Armee an deutschen Frauen verübt wurden.

Es geht in diesem Buch nicht darum, männliche Migranten aus der muslimischen Welt zu dämonisieren. Vielmehr soll es dazu beitragen, das Wesen und die Bedeutung der sexuellen Gewalt, die in so vielen Teilen Europas in der jüngsten Vergangenheit aufgetreten ist, besser zu verstehen. Während ich für dieses Buch recherchierte, warf die #MeToo-Bewegung ein Schlaglicht auf sexuellen Missbrauch und Ausbeutung in den Kreisen der gehobenen Gesellschaft Nordamerikas. Ich wiederum fragte mich, warum auf die oft viel schwerer wiegenden Verbrechen gegen Frauen in ärmeren Wohngegenden Europas nicht ein ebenso grelles Licht geworfen wurde.

Bei meiner Arbeit bin ich immer wieder angesehenen Persönlichkeiten und Kommentatoren begegnet – auch einigen, die sich als Feministinnen bezeichnen –, die bereit sind, wegzuschauen, wenn Einwandererfrauen von den eigenen Männern belästigt oder missbraucht werden. Jetzt sieht es ganz danach aus, als würden sich diese Leute abermals derselben Doppelmoral bedienen, wenn es um die Belästigung und den Missbrauch von Frauen aus dem eigenen Kulturkreis geht. In einigen Fällen habe ich sogar gehört, wie europäische Opfer sexueller Gewalt Entschuldigungen zugunsten ihrer Angreifer vorbrachten. Aus Angst, des Rassismus bezichtigt zu werden, schlagen diese Frauen einen apologetischen Tonfall im Namen derer an, die sie angegriffen haben, einige entschuldigten sich sogar dafür, diese Männer vor Gericht gebracht zu haben.

Die Behörden untertreiben die Häufigkeit der Angriffe auf und der Belästigung von Frauen. Politiker spielen die Bedrohung im Interesse der politischen Zweckdienlichkeit herunter und ermuntern die Polizei dazu, es ihnen gleichzutun. Kriminelles Verhalten wird entschuldigt. Richter verhängen gegen die Täter nur milde Strafen. Und die Medien üben bei ihrer Berichterstattung Selbstzensur – alles in Ordnung, heißt es dann, weil man keine ethnischen und religiösen Spannungen schüren und rechtsgerichteten Populisten auch keine Munition liefern will.3

Diese Verschwörung des Beschweigens – zumindest jedoch des Untertreibens – hatte vorhersagbare Nutznießer: Das waren keine anderen als die rechtsextremen Populisten im Stil des Front National (des heutigen Rassemblement National) in Frankreich, der Partij voor de Vrijheid (Partei für die Freiheit, PVV) in den Niederlanden, der Alternative für Deutschland und all der anderen Parteien, deren zentrales politisches Versprechen die Beschränkung der Einwanderung und vor allem der Zuwanderung von Muslimen ist.

Ich war selbst einmal eine Asylbewerberin. Und ich bin eine zweimalige Einwanderin, zuerst in den Niederlanden und dann in den Vereinigten Staaten. Durch die Flucht nach Holland entging ich einer Zwangsheirat und bekam die Chance, mein Leben auf eine Art zu gestalten, wie es niemals möglich gewesen wäre, wenn ich in der somalischen Gesellschaft geblieben wäre, in die ich hineingeboren war. Das Letzte, was ich sehen möchte, sind deshalb weitere Hindernisse, die denjenigen in den Weg gelegt werden, die religiöser Unterdrückung, Bürgerkrieg und wirtschaftlichem Zusammenbruch entkommen und sich ein besseres Leben aufbauen wollen, indem sie die Freiheiten nutzen, die westliche Länder ihnen bieten. Ich schreibe dieses Buch nicht zur Unterstützung der Befürworter geschlossener Grenzen, sondern will liberale Europäer davon überzeugen, dass das Leugnen und Bestreiten eine aussichtslose Strategie ist, die das Gegenteil des Angestrebten bewirkt. Wenn ich dabei auch noch einige Populisten davon überzeugen kann, der Integration eine Chance zu geben – umso besser.

Viele Autoren haben bereits über den Kampf der Kulturen zwischen dem Islam und dem Westen geschrieben. Sie betrachten die Wirtschaft, Demografie, Sprache und Religion, die gesellschaftlichen Werte und die Geopolitik. Einige erwähnen auch die Rechte der Frauen als Beispiel. Aber ich bin der Ansicht, dass die Frauen es verdienen, im Mittelpunkt der Diskussion zu stehen. Kein anderes Kriterium unterscheidet die heutigen westlichen Gesellschaften so eindeutig von den muslimischen Gesellschaften wie die unterschiedliche Behandlung, die Frauen zuteil wird. In diesem Buch konzentriere ich mich deshalb auf die negativen Auswirkungen der Einwanderung aus muslimischen Gesellschaften auf die Rechte der Frauen, auf das, was wir in Zukunft erwarten können, wenn diese Entwicklung sich fortsetzt, und darauf, was wir anders machen sollten, wenn wir eine gefährliche Gegenreaktion vermeiden wollen.

Die Vorstellung, dass Frauen Männern gleichgestellt sind, ist eine historische Anomalie. Sie ist nur in den westlichen Ländern aufgetreten und auch dort erst in der jüngeren Vergangenheit. (Die Propagandabehauptungen zur sexuellen Gleichberechtigung in kommunistischen Regimen täuschten über eine Wirklichkeit hinweg, die völlig anders aussah.) Wenn wir die Perspektive erweitern und den gesamten Planeten in den Blick nehmen, sehen wir, dass nach wie vor nur ein kleiner Teil der Frauen die wunderbaren Rechte und Freiheiten genießt, die im Westen erreicht worden sind. Aber diese Rechte sind zerbrechlich und stets in Gefahr, von Männern ausgehöhlt zu werden, die unabhängige Frauen – Frauen, die den Männern gleichberechtigt sind – als Beute betrachten.

KAPITEL 2

Die fünfte Welle

Eine neue Völkerwanderung

Westeuropa hat seit 1945 mehrere Wellen der Massenmigration erlebt.1 Die erste Welle war mit einem Exodus von Menschen in Richtung Westen verbunden, der vom Zweiten Weltkrieg und der damit einhergehenden Verschiebung der Grenzen von 1945 bis 1956 ausgelöst wurde. Zu den »Displaced Persons« zählten jüdische Holocaustüberlebende; dazu kamen aus ihrer Heimat vertriebene Deutsche aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien und dem Sudetenland; Esten, Letten und Litauer; antikommunistisch eingestellte Russen und Ukrainer; ehemalige Zwangsarbeiter aus einer Reihe von europäischen Ländern und eine große Zahl von demobilisierten Soldaten. Die zweite Welle umfasste die Migration von Gastarbeitern und ihren Familien aus ehemaligen europäischen Kolonien, von den Pieds-noirs und Harkis, die aus dem kurz zuvor unabhängig gewordenen Algerien flohen, bis zur »Windrush«-Generation, die in Großbritannien auf bessere Chancen für den eigenen wirtschaftlichen Erfolg hoffte. In einer dritten Welle versuchte das »Wirtschaftswunder«-Deutschland, dem Arbeitskräftemangel im eigenen Land in den 1960er-Jahren durch die Anwerbung von »Gastarbeitern« aus Italien, Spanien, Griechenland, Jugoslawien und der Türkei zu begegnen. Im Verlauf der wirtschaftlichen Rezession der 1970er-Jahre, in der die Nachfrage nach Arbeitskräften zurückging, während die Ressentiments gegen Einwanderer zunahmen, wurde deutlich, dass die Mehrheit der mutmaßlichen Gäste nicht die Absicht hatte, in ihre Heimatländer zurückzukehren. Eine ganz erhebliche Zahl von Migrantengemeinden aus Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit – Algerier in Frankreich, Pakistaner und Bangladeschis in Großbritannien, Türken in der Bundesrepublik Deutschland – hatte inzwischen tiefe Wurzeln geschlagen.

Die vierte Welle war ein starker Anstieg der Massenmigration, der sich aus dem Zerfall der kommunistischen Regime in Ost- und Mitteleuropa, aus der gewaltsamen Auflösung Jugoslawiens und aus der Umsetzung einer neuen paneuropäischen Politik (zu der beispielsweise die Schengener Abkommen von 1985 und 1990 gehörten) an den Binnengrenzen zwischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) ergab. Zu den Neuankömmlingen in dieser Zeit zählten Muslime aus Bosnien und Somalia, Ländern, in denen Bürgerkriege wüteten. Diese Neuankömmlinge – ich gehörte dazu – suchten Asyl oder eine Zuflucht. Nicht alle, ja nur enttäuschend wenige von ihnen fanden einen Zugang zu den Arbeitsmärkten der Länder, die sie aufnahmen.

Die fünfte Welle war die zahlenmäßig größte im gesamten Zeitraum seit 1945. Nach Angaben von Frontex, der Grenzschutzagentur der EU, kam es in den letzten zehn Jahren zu rund 3,5 Millionen illegalen Grenzübertritten in das Gebiet der EU.2 Eurostat, das Statistische Amt der EU, verzeichnete knapp 5,8 Millionen Erstanträge auf Asyl.3 Drei Viertel der illegalen Einreisen und zwei Drittel der Asylanträge erfolgten in der Zeit von 2015 – dem Spitzenjahr – bis 2018.

Jede dieser Wellen erreichte die Küsten eines sich entwickelnden und vergrößernden Europa. Was mit den Römischen Verträgen von 1957 begann, mit denen eine sechs Mitgliedsstaaten umfassende Gemeinschaft ins Leben gerufen wurde, die sich in erster Linie auf den Abbau von Handelshindernissen konzentrierte, ist heute eine 27 Mitglieder zählende Europäische Union geworden mit föderalen und konföderativen Elementen und Verbindungen zu Nicht-EU-Staaten wie den vier Mitgliedern der Europäischen Freihandelsassoziation EFTA: Island, Norwegen, Schweiz, Liechtenstein.

Eine Reihe von internationalen Abkommen, EU-internen Verträgen zwischen Mitgliedsstaaten und Direktiven aus Brüssel umreißt die Verantwortung und die Zuständigkeiten europäischer Regierungen im Umgang mit Migranten und Flüchtlingen:

Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und das ergänzende Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1967 enthielten eine rechtsgültige Definition des Wortes Flüchtling und die Verpflichtungen souveräner Staaten im Umgang mit Flüchtlingen. Der Artikel 33 der Flüchtlingskonvention legte den unabdingbaren Rechtsgrundsatz der Nichtzurückweisung (frz.: non-refoulement)4 fest, der es untersagt, einen Flüchtling »über die Grenzen von Gebieten« auszuweisen oder zurückzuweisen, in denen ihm ein ordentliches Gerichtsverfahren möglicherweise verweigert wird oder Verfolgung, Folter oder Tod drohen.

Das Schengener Abkommen von 1985 (Schengen I) sah den gegenseitigen Verzicht auf Grenzkontrollen für eine Reihe von europäischen Staaten vor (ursprünglichen waren es fünf, derzeit sind es 26) und schuf die Voraussetzungen für eine gemeinsame Reisevisum-Politik der EU-Mitgliedsstaaten.

Das Dubliner Übereinkommen von 1990 (später ersetzt durch die Dublin-II- und Dublin-III-Verordnung; 2003, 2013) legte fest, dass Asylbewerber ihr Verfahren in dem Land, in dem sie in das EU-Gebiet einreisen, durchlaufen müssen.

Der Vertrag von Amsterdam (1997) übertrug nationale rechtliche Zuständigkeiten für die Einwanderungs-Gesetzgebung und die Außen- und Sicherheitspolitik auf die Europäische Union.

Der Vertrag von Lissabon (2007) schuf eine rechtsverbindliche Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Zu dieser Charta gehört, neben anderen Punkten, auch das Recht auf Asyl.

Außerdem müssen wir sorgfältig unterscheiden zwischen:

Rechtlich anerkannten oder legalen Einwanderern: Nicht-EU-Bürger mit einer seit mehr als zwölf Monaten gültigen Aufenthaltserlaubnis in einem europäischen Land. Asylbewerber, die als Flüchtlinge anerkannt wurden, und Asylbewerber, die subsidiären Schutz genießen, gehören zu dieser Kategorie.

Asylbewerbern: Nicht-EU-Bürger, die in einem EU-Mitgliedsstaat nach den Bestimmungen des Dubliner Übereinkommens einen Asylantrag gestellt haben. Personen, die zu dieser Kategorie zählen, sind für einen befristeten Zeitraum vor der Abschiebung geschützt, solange ihr Asylantrag noch bearbeitet wird. Anerkannte Asylbewerber erhalten den Flüchtlingsstatus und das Recht, auf dem Gebiet der Europäischen Union leben und dabei Wohn- und Arbeitsort frei wählen zu können.

Rechtlich nicht anerkannten oder illegalen Einwanderern: Nicht-EU-Bürger, die sich ohne gültige Aufenthaltserlaubnis im jeweiligen Land aufhalten. Personen, deren Visum abgelaufen ist, die sich der Abschiebung entzogen haben, ohne gültige Papiere in ein EU-Mitgliedsland eingereist sind oder auf einen abschließenden Bescheid in ihrem Asylverfahren warten, fallen unter diese Kategorie. Da viele europäische Staaten nach wie vor am Abstammungsprinzip (Jus sanguinis) als Grundlage für die Verleihung der Staatsbürgerschaft festhalten, werden in Europa geborene Kinder illegaler Einwanderer nicht automatisch zu EU-Bürgern, im Unterschied zu Staaten wie den USA, in denen das Geburtsortsprinzip (Jus soli) gilt. Einwanderer, die ihre Aufenthaltserlaubnis mit falschen Angaben zur Person erlangt haben, fallen rechtlich nicht unter diese Kategorie.

Die Zahl illegal in die Staaten der Europäischen Union einreisender Migranten und Asylbewerber stieg im Zeitraum nach 2008 stark an und erreichte im Jahr 2015, in dem eine Reihe von Faktoren zusammenkam, einen Höchstwert.

Die Verschärfung des Bürgerkriegs in Syrien war der wichtigste unmittelbare Grund für den Zustrom von Migranten. Der Beginn des direkten militärischen Engagements Russlands verschob das strategische Gleichgewicht in einem vielschichtigen Konflikt, der bis zu diesem Zeitpunkt für den amtierenden syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad ungünstig verlaufen war. Im Osten Syriens waren die Machtentfaltung des sogenannten Islamischen Staates im Zusammenwirken mit den vielfältigen Konflikten zwischen kurdischen Streitkräften, Hisbollah, »gemäßigten« syrischen Aufständischen, vom Iran unterstützten schiitischen Milizen und mit der Türkei verbundenen Kräften mächtige »Push-Faktoren«, die ganz normale Menschen aus Syrien und dem Irak dazu veranlassten, die riskante Reise nach Europa zu wagen, das Sicherheit versprach. Zu dem Flüchtlingsstrom aus dem Nahen Osten kam 2011 noch der Sturz des Regimes von Muammar al-Gaddafi in Libyen. Mit ihm fiel ein Faktor, der bis dato die Migrations- und Menschenhandelsrouten behindert hatte, die ihren Ursprung in Afrika südlich der Sahara haben.

Die amtlichen Zahlenangaben zu dieser jüngsten »Völkerwanderung« müssen mit Vorsicht gelesen werden. Die Daten zu »illegalen Grenzübertritten« berücksichtigen alle Einreiseversuche, so dass manche Personen vielfach registriert wurden. Nicht alle Personen, die illegal in Mitgliedsländer der EU einreisen, stellen anschließend auch einen Asylantrag. Ein Teil der Migranten, die bei »illegalen Grenzübertritten« mitgezählt werden, wird nahezu unmittelbar in das eigene Heimatland oder in ein Transitland zurückgeschickt (zum Beispiel in die Türkei). Andere versuchen, dem amtlichen »Radar« zu entgehen, und ziehen es vor, keinen Asylantrag zu stellen. Bei wieder anderen besteht ein zeitlicher Abstand zwischen der Erfassung ihrer illegalen Einreise in die Europäische Union und dem Zeitpunkt, an dem sie ihren Asylantrag stellen. Migranten reichen diesen Antrag oft erst dann ein, wenn sie in ihrem angestrebten Bestimmungsland angelangt sind. Manche Migranten reisen legal in die Europäische Union ein und stellen einen Asylantrag, sobald sie in Europa sind.

Die Dublin-III-Verordnung der Europäischen Union verlangt von Asylbewerbern, dass sie den Antrag im ersten sicheren Land stellen, das sie erreichen. Wird dieser jedoch in einem Land abgelehnt, kann sich der abgewiesene Antragsteller die offenen Grenzen im Schengen-Raum zunutze machen und es in einem Nachbarland erneut versuchen. Um Zugang zu staatlicher Unterstützung zu bekommen – dazu zählen etwa eine Wohnung, medizinische Versorgung und Sozialhilfeleistungen –, muss jeder Migrant ein aktives Asylverfahren betreiben. Nachdem Italien alle Sozialhilfeleistungen für abgelehnte Asylbewerber gestrichen hatte, reisten deshalb viele Migranten über die Schweiz und Österreich nach Deutschland weiter.5 Eine ganz erhebliche Zahl stellte zwei oder drei Anträge. Das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erklärt, ein Drittel der Asylanträge in Deutschland machten die »Dublin-Fälle« aus.6 Deutschland verzeichnete allein in der ersten Jahreshälfte 2018 30 000 Asylbewerber, die zuvor bereits in Italien, Frankreich oder Griechenland einen Antrag gestellt hatten.7 Auch viele Asylbewerber in den Niederlanden und Schweden hatten sich zuvor bereits in Deutschland, Italien oder Frankreich um Asyl bemüht.8

Die französische Demografin Michèle Tribalat folgte – ausschließlich auf der Basis des Eurostat-Datenmaterials – den Wegen der Asylbewerber. Tribalat stellte fest, dass ihre Zahl in Frankreich anstieg, während sie in Deutschland und Schweden zurückging. Frankreich wurde bis 2018 häufig zur nachrangigen Anlaufstelle. Durchschnittlich 30 Prozent der Asylsuchenden in Frankreich haben bereits einen Asylantrag in einem anderen EU-Staat gestellt.9 Die französische Einwanderungs- und Integrationsbehörde (Office Français de l’Immigration et de l'Intégration, OFII) erkannte, dass Frankreich Asylbewerber, die in anderen Rechtssystemen gescheitert waren, anzog, weil es auch den im eigenen Land abgelehnten Antragstellern Sozialleistungen gewährte. Afghanen haben in Frankreich eine größere Chance auf Anerkennung als in anderen Ländern, und es gibt weniger Einschränkungen für eine Familienzusammenführung.10

Eine verlässliche Schätzung des Nettozustroms von Menschen nach Europa im Verlauf des letzten Jahrzehnts ist deshalb alles andere als einfach. Die Frontex-Zahl von 3,5 Millionen illegalen Grenzübertritten in den Jahren von 2009 bis 2018 ist keineswegs zuverlässiger als die Eurostat-Zahl von 5,8 Millionen Erstanträgen auf Asyl, weil beide Gesamtzahlen auch Mehrfachzählungen von Einzelpersonen enthalten.

Die Zahl der Asylanträge stieg ab 2009 an und liegt nach wie vor weit über dem langjährigen Mittelwert. Aber 2015 war mit 1,8 Millionen verzeichneten illegalen Grenzübertritten, mehr als der Hälfte der für den Zehnjahres-Zeitraum von 2009 bis 2018 belegten Gesamtzahl, ein Ausnahmejahr. Europäische Abkommen mit der Türkei und Libyen haben die Zahl der illegalen Grenzübertritte wieder auf das vor 2015 übliche Maß gesenkt, und die Zahlen für das erste Halbjahr 2019 zeigten einen weiteren Rückgang von 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahreswert. Für das gesamte Jahr 2019 wird mit rund 100 000 Neuankömmlingen gerechnet.11 Die Zahl der neuen Asylanträge geht nicht so schnell zurück, weil die Behörden immer noch mit der Bearbeitung von Anträgen aus dem enormen Zustrom von 2015 beschäftigt sind.

Weil Frontex erst ab 2018 das Geschlecht und das Alter illegal einreisender Personen erfasste, ist die Analyse von Asylanträgen die einzige Möglichkeit, bei diesen Fragen zu Schätzwerten zu kommen. Die Statistik zeigt ein klares Übergewicht von Männern gegenüber Frauen. 67 Prozent der Asylbewerber der letzten zehn Jahre waren Männer. Rund 80 Prozent der Asylbewerber waren jünger als 35 Jahre. Der Anteil der unter 18-Jährigen stieg von 25 Prozent im Jahr 2009 auf 32 Prozent im Jahr 2018. In Deutschland, dem Land, das die größte Zahl von Asylbewerbern anzog, waren 60,5 Prozent der Antragsteller 15 bis 39 Jahre alt, und der Anteil der Männer übertraf in dieser Altersgruppe den der Frauen in einem Verhältnis von 2,81 zu 1.12

Woher kommen die Migranten? Länder, die unter Krieg und Terrorismus zu leiden haben – insbesondere Syrien, Afghanistan und der Irak –, sind die wichtigsten Herkunftsgebiete der illegal Einreisenden (vgl. Tab. 1). Ein erhebliches Kontingent kommt jedoch aus Pakistan und Nigeria.

Tab. 1: Illegal in die EU einreisende Personen (2009–2018), Hauptherkunftsländer

Quelle: Zahlen entnommen aus Frontex, https://frontex. europa. eu/along-eu-borders/migratory-map.

Wie viele der Migranten sind Muslime? Frontex sammelt keine Daten zur Religion oder zu kulturellen Merkmalen von Migranten, aber die Agentur gibt Auskunft über die Staatsangehörigkeit. Aus der Statistik ergibt sich, dass eine eindeutige Mehrheit der Neuankömmlinge des letzten Jahrzehnts muslimischen Glaubens war, da sie aus Herkunftsländern mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit stammten, die von knapp über 50 Prozent (Nigeria) bis zu 92 und 99 Prozent ausmacht (Afghanistan, Irak, Pakistan und Syrien, ebenso wie Algerien, Libyen und Tunesien).13 Insgesamt wurden in Europa in den Jahren von 2015 bis 2018 ca. 2,4 Millionen Asylanträge von Menschen aus neun Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit gestellt.14 Eine gewisse Zahl unter den 2,4 Millionen gehörte zweifellos nichtmuslimischen Minderheiten an, oder sie waren keine strenggläubigen Muslime, aber es kann sich dabei nur um einen kleinen Teil handeln. Wenn wir davon ausgehen, dass auch Muslime aus Ländern mit einer muslimischen Bevölkerungsminderheit nach Europa kamen, können wir möglicherweise die Gesamtzahlen in der folgenden Tabelle als einen angemessenen Platzhalter für die muslimische Migration betrachten.

Tab. 2: In EU-Ländern gestellte Asylanträge von Personen aus ausgewählten Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit

2015

2016

2017

2018

2015–2018

Syrien

368 357

339 246

105 077

83 720

896 400

Afghanistan

181 423

186 604

47 905

45 920

461 852

Irak

124 969

130 100

51 696

44 735

351 500

Pakistan

48 015

49 916

31 857

29 045

158 833

Nigeria

31 243

47 777

41 017

25 880

145 917

Iran

26 574

41 396

18 467

25 085

111 522

Eritrea

34 132

34 469

25 116

15 585

109 302

Bangladesch

18 867

17 245

20 838

15 145

72 095

Somalia

21 048

20 062

14 085

12 905

68 100

Gesamtzahl

854 628

866 815

356 058

298 020

2 375 521

Quelle: Zahlen entnommen aus Eurostat, https://ec. europa. eu/eurostat/databrowser/, abgerufen am 23. Juli 2018.

Eine andere Methode, die zu einer ähnlichen Schlussfolgerung führt, ist die Feststellung, dass neun der zehn Herkunftsländer, die die höchsten Zahlen von Asylbewerbern hervorbringen, Länder mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit sind.

Tab. 3: Wichtigste Herkunftsländer von Asylbewerbern in der Europäischen Union, 2015–2018

Syrien

896 400

Afghanistan

461 852

Irak

351 500

Pakistan

158 833

Albanien

148 380

Nigeria

145 917

Iran

111 522

Eritrea

109 302

Russland

82 055

Bangladesch

72 095

Somalia

68 100

Ukraine

54 895

Türkei

54 725

Guinea

52 710

Georgien

46 495

Venezuela

42 440

Elfenbeinküste

40 350

Mali

35 775

Quelle: Entnommen aus Eurostat, https://ec. europa. eu/eurostat/databrowser/, abgerufen am 23. Juli 2018.

Der Umfang des Zustroms von Migranten nach Europa ist gut dokumentiert, aber wo diese Menschen letztlich landeten, ist nicht so gut belegt. Wir können mit den Ländern beginnen, in denen Asylbewerber ihren Erstantrag stellten.

Tab. 4: Zahl der Asylbewerber in den wichtigsten Bestimmungsländern, 2009–2018

Deutschland

2 169 860

Frankreich

729 880

Italien

571 835

Schweden

504 105

Großbritannien

327 490

Österreich

273 035

Belgien

255 230

Griechenland

252 670

Schweiz

227 960

Niederlande

204 625

Spanien

143 020

Quelle: Entnommen aus Eurostat, https://ec. europa. eu/eurostat/databrowser/, abgerufen am 3. September 2019.

Das ist allerdings nur der Beginn eines komplexen Prozesses. Rund ein Drittel der Asylsuchenden in Frankreich haben bereits einen Antrag in einem EU-Staat gestellt und sollen zurückgeschickt werden in das Land, in dem sie diesen ersten Antrag eingereicht haben.

Europaweit wurden 61 Prozent der Asylbewerber, die 2015 und 2016 einen Antrag stellten, als Flüchtlinge anerkannt.15 Weitere Menschen erhielten möglicherweise einen befristeten Schutz, der mit einer Aufenthaltserlaubnis, aber auch mit Einschränkungen verbunden war, zu denen etwa geringere Sozialleistungen und die Verweigerung einer Arbeitserlaubnis bis zur Klärung des Aufenthaltsstatus gehörten. Eine dritte Kategorie, der »humanitäre Status«, umfasst Migranten, deren Asylantrag abgelehnt wurde, ohne dass es zu einer Abschiebung kam. Im Jahr 2015 hielten sich nach Schätzungen 2,2 Millionen Migranten illegal in Europa auf, von denen eine halbe Million zur Ausreise aufgefordert worden war. Im darauffolgenden Jahr sank die Zahl der illegal eingereisten Migranten auf 984 000 Personen, von denen die Hälfte ausgewiesen worden war.16 Nach amtlichen Angaben folgte in den Jahren 2015 und 2016 weniger als die Hälfte der zur Ausreise aufgeforderten Personen dieser Anweisung. Nach Eurostat-Angaben ging die Zahl der illegalen Einwanderer in der Europäischen Union bis 2018 auf 601 500 Personen zurück, von denen mehr als die Hälfte in Deutschland (134 125), Frankreich (105 880) und Griechenland (93 365) lebte. Den größten Anteil an abgelehnten Asylbewerbern, die sich 2018 nach wie vor in Europa aufhielten, stellten Iraker, Albaner, Syrer und Pakistanis.

Das Pew Research Center in Washington stellte jedoch in einer im November 2019 veröffentlichten Studie fest, dass sich 2017 in Europa mindestens 3,9 Millionen und bis zu 4,8 Millionen illegale Einwanderer ohne Papiere aufhielten, im Vergleich zu 3,0 bis 3,7 Millionen Personen in dieser Kategorie noch im Jahr 2014, was einer Zunahme der Zahl illegaler Einwanderer von rund einer Million entsprach.17 Der Anteil der illegalen Einwanderer an der Gesamtbevölkerung der EU- und EFTA-Länder lag somit bei unter 1 Prozent. Von den 24 Millionen Nicht-EU-Bürgern, die 2017 in Europa lebten, machten die illegalen Einwanderer etwa ein Fünftel aus, und eine Mehrheit dieses Fünftels (12 bis 16 Prozent der Gesamtzahl der EU-Ausländer) hatte gar keinen schwebenden Asylantrag. Aber die Pew-Daten berücksichtigen offensichtlich nicht, wessen Asylantrag positiv beschieden worden war oder wer auf irgendeinem anderen Weg ein Bleiberecht in einem europäischen Land erhalten hatte. Der Begriff »Neuankömmling« ist angemessen, obwohl er eindeutig nicht für Gemeinschaften gilt, die bereits im Verlauf von früheren Migrationswellen entstanden sind. Im Jahr 2017 hatten rund 56 Prozent der illegalen Einwanderer in Europa weniger als fünf Jahre in ihrem jeweiligen Aufenthaltsland gelebt.18

Heute leben rund 70 Prozent der illegalen Einwanderer in Europa in Deutschland, Großbritannien, Italien und Frankreich. Das Pew Center schätzt die Zahl der illegalen Einwanderer auf 1,0 bis 1,2 Millionen in Deutschland, 800 000 bis 1,2 Millionen in Großbritannien, 500 000 bis 700 000 in Italien und auf 300 000 bis 400 000 in Frankreich.19 Die Zahl der illegalen Einwanderer verdoppelte sich in den Jahren von 2014 bis 2016 annähernd.

Die Gruppe der illegalen Einwanderer ist in Großbritannien nach absoluten Zahlen zwar groß, dennoch erlebte das Land 2015 keinen so großen Zustrom wie Deutschland, und zwar aus dem einfachen Grund, weil es sehr viel schwieriger ist, Großbritannien auf dem Seeweg zu erreichen, wenn man aus Nordafrika und dem Nahen Osten kommt. Im Gegensatz dazu hat Italien – ebenso wie Griechenland – seit 2014 einen anhaltenden Zustrom illegaler Einwanderer erlebt. Einschränkungen des freien Grenzverkehrs, wie sie in Frankreich, in der Schweiz und in Österreich praktiziert wurden, hatten eine gewisse abschreckende Wirkung auf Migranten und hielten sie davon ab, ihr Glück in nördlicher Richtung über die Alpenrouten zu versuchen, was Italien zu so etwas wie einer letzten Zufluchtsstätte für erfolglose Asylbewerber machte. Frankreich weist im Vergleich zu seiner Einwohnerzahl einen niedrigen Anteil illegaler Einwanderer auf, weil es dort einem Teil der illegal ins Land gekommenen Migranten eher gelang, eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen.

Tab. 5: Illegal in die Europäische Union gelangte Bürger von Drittstaaten, nach Staatsangehörigkeit

2014

2015

2016

2017

2018

Albanien

32 195

50 125

36 130

40 175

34 810

Afghanistan

48 550

409 250

151 760

35 395

30 980

Syrien

118 865

858 940

212 965

39 315

31 115

Iran

8 465

44 780

33 475

13 090

16 235

Irak

10 275

185 285

92 945

36 375

36 475

Nigeria

16 410

20 400

20 535

19 380

16 520

Pakistan

24 005

81 850

46 525

33 575

24 895

Eritrea

50 795

41 570

23 260

17 870

13 090

Bangladesch

10 145

21 575

10 370

8 520

7 975

Guinea

3 115

4 810

6 675

10 440

17 290

Quelle: Entnommen aus Eurostat, https://ec. europa. eu/eurostat/databrowser/, abgerufen am 6. Juni 2019.

Der Zustrom von Asylbewerbern hat zwar in den letzten Jahren die Schlagzeilen beherrscht, dabei wird aber leicht übersehen, dass sich auch die alltägliche Migration aus muslimischen Ländern stetig fortsetzte. In den Jahren von 2010 bis 2016 kamen 2,5 Millionen Muslime außerhalb des Asylsystems nach Europa. Sie reisten ein, um eine Arbeit oder ein Studium aufzunehmen, oder es handelte sich um einen Familiennachzug. Die häufigsten Bestimmungsländer waren Großbritannien, Frankreich und Italien, während Asylbewerber eher nach Deutschland strebten. Insgesamt machten Muslime in den Jahren von 2010 bis 2016 mehr als die Hälfte der Migration nach Europa aus. Ihr Zuzug vergrößerte die muslimische Bevölkerung Europas von 19,5 Millionen (3,8 Prozent) im Jahr 2010 auf 25,8 Millionen (4,9 Prozent) im Jahr 2016.20

Für eine historische Einordnung der jüngsten Migrationswelle bietet es sich an, das Geschehen in Deutschland etwas genauer zu betrachten. Der jüngste Zustrom von Asylbewerbern übertraf den Exodus von Bürgerinnen und Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik in die Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1989 und 1990 (als Folge der deutschen Wiedervereinigung), der fast 600 000 Menschen umfasste, etwa 3,7 Prozent der DDR-Bevölkerung (ohne Ostberlin).

Der jüngste Zustrom war zwar kleiner als die Zahl jener mehreren Millionen Deutschen, die aus den östlichen Gebieten des ehemaligen Deutschen Reiches und ehemals von der Wehrmacht besetzten Gebieten in der Zeit von 1944 bis 1946 flüchteten und vertrieben wurden und sich ganz mehrheitlich in der Bundesrepublik Deutschland niederließen. Doch sie waren Deutsche – ebenso wie die Menschen, die nach dem Fall der Berliner Mauer und der Öffnung der innerdeutschen Grenze von Osten nach Westen gingen. Die heutigen Neuankömmlinge in Deutschland sind ganz mehrheitlich Muslime und kommen aus ganz Nordafrika, dem Nahen und Mittleren Osten, Südasien und auch vom Balkan. Die in diesem Zusammenhang bedeutsame Parallele ist das »Gastarbeiter«-Programm der 1960er-Jahre mit der Türkei, durch das in einem Zeitraum von etwas mehr als einem Jahrzehnt (1961–1973) insgesamt 2,6 Millionen Türkinnen und Türken in die Bundesrepublik Deutschland kamen, und zwar eigentlich für eine zeitlich begrenzte Beschäftigung in einem der boomenden Industriezweige des Landes. Zunächst hatte man Arbeitskräfte aus anderen europäischen Ländern angeworben, dann wurde das Programm auf die Türkei erweitert. Innerhalb kurzer Zeit wurden die Türken zur größten Gruppe von »Gastarbeitern« im Land. Als das Programm im wirtschaftlich schwierigen Jahr 1973 beendet wurde, blieb die Mehrzahl von ihnen im Land. Heute liegt die Zahl der Einwohner Deutschlands mit türkischer Herkunft (das heißt: mit mindestens einem türkischen Elternteil) nach der Volkszählung von 2011 bei rund drei Millionen oder rund 3,7 Prozent der Gesamteinwohnerzahl.

So sah die fünfte Welle der Einwanderung nach Europa in der jüngeren Vergangenheit aus. Was waren ihre Konsequenzen?

KAPITEL 3

Sexuelle Gewalt in Zahlen

Eine Welt der Gewalt gegen Frauen

Gewalt gegen Frauen ist ein weltweites Problem. Der ehemalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon sagte dazu: »Es gibt eine universelle Wahrheit, die für alle Länder, Kulturen und Gemeinschaften gilt: Gewalt gegen Frauen ist niemals akzeptabel, niemals entschuldbar und niemals tolerierbar.« Der erste umfassende Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu diesem Thema hielt 2013 fest, dass Gewalt gegen Frauen nicht nur ein grundlegender Verstoß gegen die Menschenrechte, sondern auch ein schwerwiegendes Problem für das öffentliche Gesundheitswesen ist.1 Und dieses Problem besteht immer noch fort, überall auf der Welt.

Der WHO-Bericht definierte »Gewalt gegen Frauen« als Gewalt, die von einem Intimpartner oder Fremden ausgeht, als körperliche Misshandlung, Vergewaltigung, sexuellen Angriff, Verstümmelung weiblicher Genitalien, sogenannte Ehrenmorde und Menschenhandel. Der Bericht stützte sich bei der Einschätzung der Gewalt, die von Intimpartnern an Frauen verübt wurde, massiv auf persönliche Berichte von Betroffenen und Haushaltsstudien. Zur Bewertung der Gewalt, die nicht von Intimpartnern ausging, wurden externe Quellen wie Polizeiberichte und frühere wissenschaftliche Untersuchungen mit herangezogen. Die Verfasser des Berichts räumten jedoch ein, dass »Definitionen bei den einzelnen Studien variieren können, und nicht alle Erscheinungsformen sexueller Gewalt sind gut dokumentiert«.2 Wie bereits erwähnt, haben nach Schätzungen der WHO 35 Prozent der Frauen weltweit »Gewalt entweder durch einen Intimpartner und/oder durch eine Person erlebt, die kein Partner war«.3 Die große Mehrzahl dieser Gewaltakte wurde von Intimpartnern oder von Personen begangen, die dem Opfer anderweitig bekannt waren. (Weltweit haben 7,2 Prozent der Frauen einen sexuellen Angriff durch eine Person erlebt, die nicht ihr Partner war.) Frauen, die körperlich oder sexuell misshandelt wurden, haben in der Folge oft unter schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen zu leiden. Sie haben eine um 16 Prozent erhöhte Wahrscheinlichkeit, Babys mit geringem Geburtsgewicht zur Welt zu bringen, in manchen Regionen ist die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung mit Aids um das Eineinhalbfache erhöht, Depressionen treten bei ihnen fast doppelt so häufig auf, und Abtreibungen oder Alkoholmissbrauch kommen bei ihnen mehr als doppelt so häufig vor. Sexuelle Gewalt kann zu psychischen Problemen wie Angstzuständen, posttraumatischen Belastungsstörungen, Essstörungen, Drogenmissbrauch und Selbstmordgedanken führen. Zu den körperlichen Problemen zählen Verletzungen des Stütz- und Bewegungsapparats, der Genitalien und Weichteile und chronische und zermürbende Darmbeschwerden und Beckenschmerzen.4

Der WHO-Bericht hob einerseits die weltweite Verbreitung von Gewalt gegen Frauen hervor, offenbarte gleichzeitig aber auffällige regionale Unterschiede (vgl. Tab. 6), allerdings ist das Fehlen von Daten zur nicht von Partnern ausgehenden Gewalt in der »östlichen Mittelmeerregion« ein auffälliger Mangel, denn dies ist die Region, aus der die Mehrzahl der in den letzten Jahren nach Europa gelangten Migranten stammte.

Tab. 6: Regionale Prävalenz von Gewalt gegen Frauen ab einem Alter von 15 Jahren

Quelle: Weltgesundheitsorganisation (WHO), Global and Regional Estimates of Violence Against Women: Prevalence and Health Effects of Intimate Partner Violence and Non-Partner Sexual Violence, Genf: WHO 2013, Abb. 2 und Tab. 4.

Die höchsten Quoten der von Intimpartnern ausgehenden Gewalt finden sich in Südostasien (37,7 Prozent), der östlichen Mittelmeerregion (37,0 Prozent) und Afrika (36,6 Prozent). Im Gegensatz dazu lag die Quote für Europa bei 25,4 Prozent, und die Gesamtquote für Länder mit hohen Durchschnittseinkommen blieb sogar noch darunter (23,2 Prozent). Der WHO-Bericht mutmaßte, dass die niedrigeren Gewaltquoten in den Industrieländern ein stärkeres soziales Ansehen der Frauen widerspiegelten, da Frauen hier eine wirtschaftlich bedeutsamere Rolle spielten, für Frauen vorteilhafte soziale Normen herrschten und Strafen für Verstöße auch durchgesetzt würden. Irritierend ist dabei jedoch, dass die Quote der von Nichtintimpartnern begangenen Gewalttaten in den Ländern mit hohem Durchschnittseinkommen mit 12,6 Prozent sogar noch höher liegt als in Afrika (11,9 Prozent), und das trotz der allgemein bekannten Häufung von Vergewaltigungen in afrikanischen Konfliktgebieten. Die Quote für Europa lag mit 5,2 Prozent unter dem weltweiten Durchschnittswert, wenn auch etwas über den Angaben für Südostasien (4,9 Prozent).

Solche durch wissenschaftliche Studien gewonnenen Daten bilden ein wichtiges Korrektiv zu amtlichen Zahlenangaben zur sexuellen Gewalt, die meist aus den Akten und Unterlagen der jeweiligen nationalen Strafjustiz entnommen sind. Doch auch diese Untersuchungen kommen an ihre Grenzen. Viel hängt davon ab, wie Fragen formuliert sind, und natürlich kommt es auch auf den Kontext an, in dem sie gestellt werden. Einem Bericht, der als Teil des EU-Index zur Geschlechtergleichstellung veröffentlicht wurde, ist zu entnehmen, dass 33 Prozent der befragten Frauen angaben, seit dem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt zu haben, und das ist eine Quote, die zu den in Tabelle 6 wiedergegebenen WHO-Daten passt.5 Unter diesen Frauen befanden sich allerdings 13,4 Prozent, die niemals mit irgendjemandem über dieses Thema gesprochen hatten. Außerdem erklärten 55 Prozent, dass sie sexuelle Belästigung erlebt hätten. Doch wer könnte sagen, dass alle für diese Untersuchung befragten Personen uneingeschränkt offen und ehrlich antworteten? Wenn mehr als jede zehnte befragte Frau niemals zuvor mit irgendjemandem über ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt gesprochen hatte, wie viele blieben dann nach wie vor stumm?

Nimmt sexuelle Gewalt insgesamt zu?

Es ist eine wohlbekannte Tatsache, dass die amtlichen Verbrechensstatistiken nur einen Bruchteil der tatsächlichen sexuellen Gewalttaten erfassen. Dennoch können wir aus ihnen Informationen gewinnen, auch wenn das nicht einfach ist. Polizeiakten sind die wichtigste Datenquelle für nationale und regionale Statistiken, aber weil zu viele Fälle von sexueller Gewalt bei der Polizei nicht gemeldet werden, müssen diese Akten noch durch andere Quellen ergänzt werden, etwa durch die im vorhergehenden Abschnitt zitierten internationalen Untersuchungen und die nationalen Studien, die im Folgenden erörtert werden. Außerdem sollte berücksichtigt werden, dass es bei der Sammlung und Veröffentlichung von Daten zu erheblichen Zeitverzögerungen kommt. Eurostat veröffentlicht beispielsweise Daten zur Verbrechensstatistik erst 18 Monate nach deren Aufzeichnung durch die Polizei. Die Daten für das Jahr 2017 wurden in den meisten Ländern erst veröffentlicht, als dieses Buch bereits geschrieben wurde.

Eine besondere Herausforderung ist der Vergleich von Statistiken einzelner Länder untereinander. Die Rechtssysteme arbeiten mit unterschiedlichen Definitionen von Verbrechen wie etwa sexuellen Angriffen, und diese Definitionen verändern sich im Lauf der Zeit oft ebenso wie die Berichtsmethoden. Die Eurostat-Definition von sexueller Gewalt umfasst »unerwünschte sexuelle Handlungen, Versuche, zu sexuellen Handlungen zu kommen, oder Kontakt oder Kommunikation mit unerwünschter sexueller Aufmerksamkeit ohne gültiges Einverständnis oder mit einem Einverständnis, das ein Ergebnis von Einschüchterung, Gewalt, Betrug, Nötigung und Zwang, Drohung, Täuschung, Verwendung von Drogen oder Alkohol oder Missbrauch von Macht oder eines Zustandes von Verletzbarkeit ist«. Sie berücksichtigt nicht »Handlungen des Missbrauchs einer Position der Verletzbarkeit, der Macht oder des Vertrauens oder den Einsatz oder die Androhung von Gewalt, um finanziell, gesellschaftlich oder politisch von der Prostitution oder sexuellen Handlungen einer Person zu profitieren, Nötigung, mit Prostitution und Pornografie verbundene Straftaten und andere Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, sexuelle Verhaltensmuster wie Inzest, wenn es dabei nicht zu Vergewaltigung und Exhibitionismus kommt, Übergriffe und Drohungen, Sklaverei und Ausbeutung ohne verletzende Handlungen sexueller Natur, Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, Belästigung und Stalking«.6 Frankreich, Spanien, Griechenland, Dänemark und Schweden berücksichtigen jedoch den Aspekt der sexuellen Belästigung in ihren amtlichen Statistiken zu sexueller Gewalt. Selbst der Vergleich von Statistiken eines einzelnen Landes ist von einem Jahr zum anderen schwierig, weil sich gesetzliche Bestimmungen, Polizeimethoden und das Verhalten der Menschen in der Öffentlichkeit rasch verändern.

Was sagen uns die amtlichen europäischen Statistiken? Die wichtigsten Zahlen zur sexuellen Gewalt zeigen, dass mit sexueller Gewalt verbundene Delikte in den fünf Jahren von 2008 bis 2013 leicht zugenommen haben, und zwar um 3,9 Prozent.7 Aus Tabelle 7 ergibt sich jedoch, dass es nach 2015 in mehreren Regionen und Ländern eine ganz erhebliche Steigerung gab (Großbritannien, Dänemark und Schweden), was mit Sicherheit nicht ganz und gar mit Formalien zu erklären ist. Kann eine Verdopplung der Zahl mit sexueller Gewalt verbundener Straftaten innerhalb eines Zeitraums von nur drei Jahren – wie das scheinbar in England geschah – einzig und allein dem Faktor Bürokratie zugeschrieben werden?

Tab. 7: Sexuelle Gewalt in Europa (2014–2016) in einigen ausgewählten Ländern

Absolute Zahlen

Pro 100 000

2014–2017

2014

2015

2016

2017

2014

2015

2016

2017

Veränderung der Quote

Prozentuale Veränderung in absoluten Zahlen

Österreich

3564

3479

4391

41,9

40,6

50,5

(konsistente Daten)

(-2,4%)

(+26,2%)

Belgien

6897

6742

7273

7177

61,7

60,0

64,3

63,22

1,5

4%

(Zahlen von 2019)*

(-2,3%)

(+7,8%)

(-1,3%)

Dänemark

2368

2611

3793

4795

42,1

46,1

66,5

83,4

41,3

102%

(Zahlen von 2019)**

(+10,2%)

(+45,2%)

(+26,4%)

England und Wales

78 787

95 853

110 037

134 292

137,8

166,3

189,3

229,3

91,5

70%

(Zahlen von 2019)**

(+21,6%)

(+14,8%)

(22%)

Frankreich

30 959

33 283

47,0

50,1

(Zahlen von 2018)

(+7,5%)

Frankreich

37 595

41 751

56,4

62,5

(Zahlen von 2019)

(+12,9%)

(+11,1%)

Deutschland

34 959

34 265

37 166

34 815

43,3

42,2

45,2

42,19

-1,1

(konsistente Daten)

(-2,0%)

(+8,5%)

(-6,7%)

Ungarn

773

1686

600

588

7,8

17,1

6,1

6,0

-1,8

(+218%)

(-281%)

(-2,0%)

Italien

4754

4511

4513

5115

7,8

7,4

7,4

8,4

0,6

8%

(Zahlen von 2019)***

(-5,3%)

(+0,04%)

(+13,3%)

Spanien

9468

9869