Bewegte Begegnungsstunden für Menschen mit Demenz - Marianne Eisenburger - E-Book

Bewegte Begegnungsstunden für Menschen mit Demenz E-Book

Marianne Eisenburger

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Beschreibung

Menschen mit Demenz zu betreuen, gehört zu den anspruchsvollsten Aufgaben der Altenpflege. Diese Menschen sind oft in sich zurückgezogen und sehr schwer zu erreichen. Sie verstehen uns nicht und wir sie nicht. Die Ausgangsfrage ist: Wie schafft man es, diese leblos wirkenden Menschen zu bewegen? Dieses Buch bietet viele Ideen und Anregungen mit ganz alltäglichen, jedoch in der Bewegungsarbeit ungewöhnlichen Materialien. Es wird verdeutlicht, wie eine Bewegungsstunde zur Förderung einer stabilen Persönlichkeit im Alter aussieht und wie man die Menschen dazu ermuntert, selbst aktiv zu werden. Denn dann werden Körper, Geist und Seele gleichermaßen berührt - und bewegt.

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DIE AUTORINNEN

DR. MARIANNE EISENBURGER ist Dozentin im Studiengang Motologie mit dem Schwerpunkt Psychomotorik im Alter, Psychomotorik und Demenz an der Philipps-Universität Marburg. Darüber hinaus unterrichtet sie in der Fortbildung für Mitarbeiter in der Altenpflege zu Themen der Bewegungsförderung und Aktivierung alter Menschen und zum Umgang mit Demenz.

THESI ZAK ist seit 2002 hauptberuflich als selbstständige, mobile Motopädagogin und Motogeragogin in der psychomotorischen Entwicklungsbegleitung tätig. Sie ist spezialisiert auf die Begleitung von Menschen mit mehrfacher Behinderung und Menschen, die an Demenz erkrankt sind.

Bewegte Begegnungsstunden

für Menschen mit Demenz

Das vorliegende Buch wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder die Autorinnenen noch der Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus dem vorliegenden Buch resultieren, Haftung übernehmen.

Hinweis: Diese Veröffentlichung ist aus Gründen der besseren Lesbarkeit in der männlichen Sprachform abgefasst. Selbstverständlich sind immer sowohl Übungsleiter und Übungsleiterinnen oder Teilnehmer und Teilnehmerinnen gemeint.

WO SPORT SPASS MACHT

Bewegte Begegnungsstunden

für Menschen mit Demenz

Marianne Eisenburger | Thesi Zak

Meyer & Meyer Verlag

Papier aus nachweislich umweltverträglicher Forstwirtschaft.Garantiert nicht aus abgeholzten Urwäldern!

Bewegte Begegnungsstundenfür Menschen mit Demenz

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliogra-fische Details sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie das Recht der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren – ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, gespeichert, vervielfältigt oder verbreitet werden.

© 2013 by Meyer & Meyer Verlag, AachenAuckland, Beirut, Budapest, Cairo, Cape Town, Dubai, Hägendorf,Indianapolis, Maidenhead, Singapore, Sydney, Tehran, WienMember of the World Sport Publishers’ Association (WSPA)Druck und Bindung: B.O.S.S Druck und Medien GmbHISBN 9783898997843eISBN 9783840334221E-Mail: [email protected]

„Ich denke, also bin ich.“(Descartes)

„Ich denke nicht mehr – und bin doch.“(Eisenburger & Zak)

Inhalt

     Vorwort

     Einleitung

1   Um was es uns geht: Motogeragogik

2   Warum Motogeragogik?

3     Der „Schlüssel zur Praxis“ I: Grundlagen

4   Der „Schlüssel zur Praxis“ II: Eine Modellstunde

5   Anregungen & Ideen nach dem motogeragogischen Konzept

Wie es zu lesen ist

Steine

Muscheln

Grasbüschel

Holzleisten

Strickliesel

Drehverschluss-Netzbällchen

Bunte Seilchen

Kuscheltiere

Kartonringe

Pylonen

Strumpfhosen

Osterkörbe

Lockenwicklerkopftücher

Luftpolsterstangen

Kartonplatten

Waschlappen

Riesenstrohhalme

Stofftaschen

Schläuche

Bambusstöcke

Luftschlangenröhren

6   Ideen am Tisch für zwischendurch

Nur ein Gegenstand am Tisch

Experimentieren mit vielen Gegenständen

Impulse geben

■    Sortieren

■    Boccia

■    Froschhüpfen

■    „Fitschigoggerl“

■    Bierdeckel

■    Kräftemessen

Alltagsgegenstände im Kleinformat

■    Paare finden

■    Bechermemory

■    Reihen legen

■    „Worte wecken auf“

■    Zollstäbe

7   Wie es begann – und wie es Mut macht, es auszuprobieren(Thesi Zak)

Anhang

     1 Literatur

     2 Bildnachweis

VORWORT

Es war am Wiener Alzheimertag 2011, als ich erstmals auf die von Thesi Zak vorgestellte Motogeragogik aufmerksam wurde. Bei ihrer Darstellung und zudem bei dem Film, den sie präsentierte, erinnerte ich mich daran, dass ich etwa vor 10 Jahren bei einem Kongress in Graz dem Vortrag eines – ich vermute Motopädagogen, der sich auch mit alten Menschen, speziell Demenzkranken, befasste – ebenso aufmerksam gelauscht hatte und davon fasziniert war, wie es diesem Mann gelang, mit einer praktischen Übung vor 150 Kongressteilnehmern etliche von ihnen mit einzubeziehen. Die Ausführungen und vor allem die praktische Anwendung von Motogeragogik von Frau Zak am genannten Wiener Alzheimertag beeindruckte mich mindestens ebenso sehr und aktivierte auch diese meine Erinnerung.

Als Frau Zak mich kürzlich fragte und ersuchte, ein Vorwort zu diesem Buch zu schreiben, habe ich spontan zugesagt, wiewohl ich bekennen muss, dass ich von Motogeragogik wenig bis nichts verstehe. Ich habe diesen Einwand auch vorgebracht, aber die Antwort war einleuchtend und aufmunternd: „Das mag sein, aber dafür verstehen Sie eben viel von Menschen mit Demenz.“

Was sicher stimmt, ist, dass es mir große Freude bereitet, alte Menschen, insbesonders Demenzkranke, bei motogeragogischen Übungen zu betrachten, zu sehen, wie viel Freude und Bewegung in diese Menschen kommt. Noch exakter formuliert: Wie sehr die Motogeragogik auch die von Demenz betroffenen Menschen, die in ihnen vorhandene Freude, Lust am Spiel und an der Bewegung geradezu aufweckt. Ich finde es tatsächlich beeindruckend, was hier mit den Mitteln der Motogeragogik möglich ist und gestehe gerne, dass sich die bei den alten Menschen oft wahrnehmbar entwickelnde Freude auch auf mich überträgt.

Hier bin ich wieder bei meinem Grazer Erlebnis gelandet, bei dem es einem etwa 70-jährigen Mann, eben dem Vortragenden der Motopädagogik bzw. Motogeragogik, binnen Minuten gelang, mit einigen kleinen, bunten Bällen und auch zwei größeren einen halben Saal, wenn nicht den ganzen, mit zahlreichen Zuhörern und Zusehern, wie oben bereits erwähnt, in Bewegung zu bringen. Und darüber hinaus auch – und das ist mir ganz besonders wichtig – brachte er auch das Zwerchfell etlicher Zuhörer in Bewegung, mit anderen Worten, er brachte zahlreiche Kongressteilnehmer zum Lachen oder zumindest zum Lächeln. Das ist nicht einfach, bei einem Kongress, im Gegenteil, es ist heikel und umso feiner, wenn es gelingt. Und ebenso ist es bei einer Runde von alten Menschen mit und auch ohne Demenz nicht einfach, aber fein, wenn es gelingt.

Es ist auch alles andere als einfach, mit Demenzkranken in Kontakt, ja sogar in Beziehung zu treten, Aktivierung zu gestalten, Konzentration und Fokussierung zu fördern, gezielte Bewegung wieder zu ermöglichen. Das ist alles schwierig, jedoch möglich und es ist auch wichtig und auch richtig.

Aber aus meiner Sicht das Schönste ist es, ein Lächeln, ein Lachen zu ermöglichen.

Motogeragogik ist kein einfaches Wort, aber dafür ein großartiger Zugang zu Menschen.

Ich bedanke mich für diese ehrenvolle Aufgabe, das Vorwort dieses Buches schreiben zu dürfen und wünsche der Motogeragogik auf ihrem weiteren bewegten Weg viel Freude und Erfolg!

Chefarzt Prim. Dr. Georg Psota

Psychosoziale Dienste in WienModecenterstraße 14/B/4.OGA-1030 Wien

EINLEITUNG

Vor mir sitzen 11 Menschen.

Nicht erwartungsvoll und aufgerichtet, mit einem Lächeln im Blick, mir zugewandt. Nein. In sich zusammengesunken, mit hängenden Köpfen. Manche sitzen im Rollstuhl, manche schief im Sessel. Keiner blickt mich an. Frau Schneider nestelt an ihrem Rock, Herr Meier brabbelt Unverständliches vor sich hin. Ansonsten: Stille.

Hier sind Menschen versammelt, die ganz in sich zurückgezogen sind. Sie scheinen keine Kraft mehr zu haben. Ich dagegen stehe auf der anderen Seite: voller Energie und Tatendrang. Zwei Welten. Wie können sie sich treffen? Soll ich auf ihr Energieniveau gehen? Dann allerdings verliere auch ich die Kraft und es wird mir kaum gelingen, sie zu bewegen. Oder soll ich versuchen, sie in meine Welt zu holen? Ich gebe meine ganze Energie her und kann sie trotzdem kaum erreichen. So komme ich zu keiner Lösung. Die Frage muss anders gestellt werden – nämlich so: Wie bringe ich meine Energie ein, damit sie ihre eigene wieder entdecken? Und nutzen. Wieder wach werden, herauskommen aus der tiefen Versunkenheit. Und sich lebendig und präsent fühlen.

Das Zauberwort ist „Beziehung“: Nur wenn ich es schaffe, den anderen Menschen zu erreichen und eine Beziehung aufzubauen, kann dieser aus seinem Tief herausfinden. Es geht um einen „Brückenschlag“, der meine Energie mit seiner verbindet. Ich muss den ersten Schritt gehen und den Anfang machen – er ist dazu (zunächst) wenig in der Lage. Und im Laufe einer Stunde muss ich immer wieder neu beginnen, wenn ich merke, der Mensch sinkt wieder in sich zurück. Das heißt nicht, es gäbe keine Pausen. Pausen sind notwendig und gut, nur sind „Ausruhen“ und „Versinken“ ganz verschiedene Dinge: Beim Ausruhen nehme ich immer noch Anteil und bin dabei, beim Versinken wende ich mich innerlich ab und verschließe mich.

Die schönsten Übungen, die buntesten Bilder, die interessantesten Materialien – sie alle nützen nichts, wenn ich die Menschen nicht erreiche. Wenn ich sie nicht berühre – in mehrfachem Sinn. Sprachlich und fühlbar, die Sinne und die Seele, den Körper und das Herz. Ich muss meine Stunde so gestalten, dass die Menschen wach werden, dass sie „da“ sind und im Dasein: „Tun.“ Und das erleben können, was für uns alle „Lebenselexier“1 ist.

Es gibt mittlerweile viele Bücher mit wunderbaren Anregungen, Aufgaben und Übungen. Dieses hier soll ein weiteres werden. Aber vor allem soll es zeigen, wie man es machen kann. Wie man die Menschen dazu bringen kann, selbstständig etwas auszuprobieren, sich zu spüren, den ganzen Körper zu bewegen – und zu lachen, zu tun.

Drei Dinge sind wichtig:

■Begegnung: Individuelle Zuwendung, intensive, persönliche, unmittelbare Beziehung. Und zwar nicht nur einmal zu Beginn der Stunde, sondern immer wieder zwischendurch. Für Menschen mit Demenz sind die Begegnungen oft jedes Mal neu, auch wenn in der realen Welt gerade mal fünf Minuten vergangen sind. Jeder Teilnehmer ist wertvoll, jeder ist wichtig. Dann ist es (fast) gleichgültig, welches Material ich verwende.

Begegnung

■Zeit: Eintauchen in die Langsamkeit. Es dauert lange, bis ein Wort sich den Weg gebahnt hat, bis ein Signal angekommen ist. Und es dauert lange, bis eine Reaktion erfolgen kann, bis ein Gedanke vom Kopf wieder zurück in die Muskeln gewandert ist. „Nicht, dass ich nichts zu sagen hätte, es geht nur alles viel zu schnell – und schwupps, ist der Ansprechpartner schon wieder weg.“ Diese Aussage einer Bewohnerin gibt zu denken. Wollen wir eine Begegnung auf Augenhöhe, müssen wir den Menschen diese Zeit in Ruhe zugestehen. Keine leichte Aufgabe für uns. Wirmüssen in unserem Alltag schnell sein, damit wir ihn meistern können – und nun müssen wir umschalten.

■Sprache: Sprache beeinflusst das Miteinander der Menschen. Die gesprochene Sprache wird immer begleitet von nonverbalen Signalen, von Sprachmelodie, deren Rhythmik und Takt, von Gestik und Mimik.

Jede Wortwahl ist immer auch untermalt von einem bestimmten Tonfall und signalisiert etwas Bestimmtes: Gebe ich eine Anweisung, dann sollen die anderen sie befolgen und es signalisiert ihnen: Da ist „der Bestimmer“ und wir sind die Ausführenden. Der Ton ist automatisch eher direkt. Es ist eine Kommunikation auf verschiedenen Ebenen.

Gebe ich dagegen eine Anregung, einen Impuls, gebe zwar auch ich ihn, lasse ihnen aber die Freiheit, es auf ihre Weise zu machen oder eben auch gar nicht. Der Ton ist automatisch eher offen. Es ist eine Kommunikation auf einer gleichwertigen Ebene. Es ist ein Unterschied, ob ich sage: „Falten Sie jetzt bitte das Tuch.“ Oder ob ich sage: „Ich lade Sie ein, zu probieren, wie Sie das Tuch falten können.“

Wir müssen lernen, achtsam und bewusst mit unserer Sprache umzugehen und den Menschen mit Demenz klar und eindeutig, aber getragen von wertschätzender Freundlichkeit, begegnen.

Ab einem gewissen Grad der Krankheit nützt die Sprache nichts mehr. Die Impulse können nicht verstanden und umgesetzt werden. Dann greifen Sprachmelodie und Tonfall, unterstützt von nonverbalen Signalen des Körpers.

„Stellen Sie sich vor, in einer Ihnen unbekannten Sprache scheint ein Mensch etwas von Ihnen zu wollen. Aufgrund des Tonfalls und der Mimik verstehen Sie, dass es nichts Feindliches’ ist – zeigt er Ihnen auch noch durch den Körper, was er will, verstehen Sie wirklich und können reagieren.“

Auch der „Appellcharakter“ der Materialien wirkt und die Menschen machen das, was ihnen spontan einfällt. Und das sieht anders aus, je nachdem, welches Material Sie verwenden; ob Lineal oder Badeschwamm – es ruft andere Umgangsweisen und damit andere Bewegungsmuster hervor. Vorausgesetzt, die Menschen befinden sich in einem Klima der heiteren Gelassenheit und der Wertschätzung, in dem alles, aber auch alles, was sie machen, gespiegelt wird als erfolgreiches, wunderbares Tun.

Dann können sie erleben: „Ich kann etwas. Ich bin lebendig.“ Und wenn man etwas tut, wenn man sich bewegt, laufen die vielschichtigen Prozesse ab, die jeder Mensch braucht, um lebendig zu bleiben. Wir Menschen sind notwendig darauf angewiesen, dass diese Funktionen „angefordert“ werden. Weil sie sonst unweigerlich noch weiter abbauen. „Was nicht gebraucht wird, verkümmert“ – dieses (biologische) Funktionsgesetz ist unerbittlich.2

Bei Menschen mit Demenz ist die „Ausgangsbasis“ noch geringer – umso schwerer wiegen Schäden, umso mehr wirken sich Abbauprozesse aus. Aber andererseits – wenn sie sich bewegen, sind die Auswirkungen sichtbar und bedeutsam: In sich gesunkene Rücken, leblose Minen, starre Blicke werden lebendig.

Wir müssen lernen, kleine Zeichen zu lesen, denn es sind nicht mehr die großen, lauten Sensationen, die ins Auge fallen. Aber ein Lächeln, das über die Züge huscht, ein intensiver Blick, ein Fuß, der im Takt mitwippt – das sind die Signale: Die Menschen sind da.

Nun zurück zur Ausgangsfrage: Wie schaffe ich es, diese leblos wirkenden Menschen zu bewegen?

Der motogeragogische Leitsatz: Es kommt nicht nur darauf an, was wir machen, sondern auch darauf, wie wir es machen. Das Wie