Bewegungen, die heilen - Harald Blomberg - E-Book

Bewegungen, die heilen E-Book

Harald Blomberg

4,8

  • Herausgeber: VAK
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2013
Beschreibung

Dieses Buch stellt 15 einfache, von jedem anwendbare Übungen mit erstaunlichen Wirkungen vor - sie fördern die gesunde Entwicklung und helfen bei Entwicklungsstörungen. Der Hintergrund: Das kindliche Gehirn braucht Stimulation durch Sinneseindrücke, damit sich die Nervenzellen verzweigen. Besonders wichtig ist die Anregung der Sinne für Gleichgewicht, Berührung und Bewegung. Im Normalfall erhält das Kleinkind diese Stimulation durch Berühren und Wiegen von den Eltern und es führt selbstständig rhythmische Bewegungen aus. Bei Kindern, denen eine ausreichende Anregung fehlt, wird die Gehirnentwicklung verzögert oder behindert. Koordinationsprobleme, Aufmerksamkeits und Lernstörungen sowie emotionale Unausgeglichenheit sind die Folgen. Die gute Nachricht: Diese mangelnde Gehirnaktivierung im Säuglings- und Kleinkindalter lässt sich später nachholen. In Anlehnung an die natürlichen rhythmischen Bewegungen bei Kleinkindern entwickelte Dr. Harald Blomberg ein sehr effizientes, grundlegendes Bewegungsprogramm: das "Rhythmic Movement Training" (RMT), das die gesunde kindliche Entwicklung von Anfang an fördert. In späteren Altersstufen hilft es, Fehlentwicklungen zu beheben (etwa das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom oder Lese-Rechtschreibprobleme). Dr. Blomberg erklärt in diesem Buch die Hintergründe und Anwendungsgebiete der RMT-Methode. Viele Fallbeispiele sowie 15 detaillierte, bebilderte Übungsanleitungen demonstrieren anschaulich die Anwendung in jedem Alter. Dieses Buch richtet sich an Eltern, Erzieher, Lehrer, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und speziell an Eltern von Kindern mit Entwicklungsstörungen.

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Seitenzahl: 341

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Dr. Harald Blomberg

Bewegungen, die heilen

Einfache Übungen für jedes Alter

RMT hilft bei ADHS,Lern- und Verhaltensproblemen

VAK Verlags GmbHKirchzarten bei Freiburg

Titel der englischen, für das Erscheinen in Deutschland überarbeiteten Ausgabe:

Movements that heal

© Dr. Harald Blomberg, 2011

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

VAK Verlags GmbH

Eschbachstr. 5

79199 Kirchzarten

Deutschland

© VAK Verlags GmbH, Kirchzarten bei Freiburg 2012

Übersetzung: Rotraud Oechsler

Lektorat: Norbert Gehlen

Illustrationen: S. Almenberg, R. Mauler Gruber, E. M. Rodríguez Diez, F. J. C. Rodríguez

Coverfotos: iStockphoto.com

Coverdesign: Sabine Fuchs

Layout: Karl-Heinz Mundinger, VAK

Gesamtherstellung: freiburger grafische betriebe, Freiburg

Printed in Germany

ISBN 978-3-86731-101-4 (Paperback)

ISBN 978-3-95484-140-0 (ePub)

ISBN 978-3-95484-141-7 (Kindle)

ISBN 978-3-95484-142-4 (PDF)

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung:

  

Wie das rhythmische Bewegungstraining (RMT) entstand

Kapitel 1:

Die

traditionelle

Behandlung von ADHS

Kapitel 2:

Eine

alternative

Sichtweise und Behandlung von ADHS

Kapitel 3:

Kinder mit besonderen Herausforderungen – zwei verschiedene Betrachtungsweisen

Kapitel 4:

Umfeldbedingte Ursachen von Aufmerksamkeits- und Lernstörungen

Kapitel 5:

Das Stammhirn und die rhythmischen Bewegungen

Kapitel 6:

Das Kleinhirn und die rhythmischen Bewegungen

Kapitel 7:

Das reptilienhafte Gehirn

Kapitel 8:

Wichtige primitive Reflexe bei ADHS

Kapitel 9:

Primitive Reflexe bei Lese- und Schreibschwierigkeiten

Kapitel 10:

Das limbische System und die rhythmischen Bewegungen

Kapitel 11:

Der präfrontale Kortex und die rhythmischen Bewegungen

Kapitel 12:

Störungen aus dem autistischen Formenkreis und das rhythmische Bewegungstraining

Kapitel 13:

Rhythmisches Bewegungstraining und Psychose

Kapitel 14:

Was ist Legasthenie?

Kapitel 15:

Sehprobleme und Legasthenie

Kapitel 16:

Probleme mit der Phonologie und dem Schreiben

Kapitel 17:

Das neuronale Netzwerk für das Lesen

Quellenverzeichnis

Über den Autor:Mein Werdegang (von Dr. H. Blomberg)

Das RMT-Übungsprogramm:Die 15 rhythmischen Bewegungsübungen – Anleitungen und Wirkungen

Hinweis des Verlags

Dieses Buch informiert über Hintergründe und Anwendung des rhythmischen Bewegungstrainings (RMT). Die dargestellten Verfahrensweisen haben sich als sicher und effektiv bewährt. Wer sie anwendet, tut dies in eigener Verantwortung. Autor und Verlag beabsichtigen hier nicht, individuelle Diagnosen zu stellen oder Therapieempfehlungen zu geben. Die Informationen in diesem Buch sind nicht als Ersatz für professionelle therapeutische Hilfe bei gesundheitlichen oder psychischen Problemen zu verstehen.

Vorwort

Dieses Buch ist für alle gedacht, die nach Methoden suchen, die Kindern bei Problemen helfen; Methoden, die Kindern ermöglichen, sich wohlzufühlen, ihren Aufgaben gerecht zu werden und auf Medikamente zu verzichten. In diesem Buch beschreibe ich die von Kerstin Linde entwickelten einfachen Bewegungsübungen, die die Fähigkeit des Gehirns und des Nervensystems stimulieren, sich ständig zu erneuern und neue Nervenverbindungen zu schaffen. Ich werde erklären, wie die Übungen dem Kind helfen, sich körperlich, emotional und geistig zu entwickeln, zu reifen oder zu gesunden. Diese Bewegungen existieren bereits als angeborene motorische Muster, die aktiviert werden müssen, damit ein Kind sich normal entwickeln kann. Ich nenne meine Methode Rhythmic Movement Training [RMT; zu Deutsch: rhythmisches Bewegungstraining. – Anm. d. Übers].

Manchmal hat es den Anschein, als hätten die Übungen innerhalb kurzer Zeit eine sozusagen „magische“ Wirkung. Das soll jedoch nicht heißen, dass ihre Funktionsweise etwas mit Magie zu tun hätte. Ich habe mich nach bestem Wissen bemüht, wissenschaftlich zu erklären, wie diese einfachen Übungen so kraftvoll wirken können, und ich hoffe, Sie als Leser fühlen sich von meinen Erklärungen nicht „erdrückt“.

Diese Übungen habe ich von meiner schwedischen „Kollegin“ Kerstin Linde gelernt und ich wende sie seit 25 Jahren in meiner Arbeit als Psychiater an. (Seit 2001 betreibe ich in Stockholm mein Zentrum für rhythmisches Bewegungstraining.)

Kerstin Linde war ursprünglich Fotografin und erarbeitete ihre Methode, die hauptsächlich durch die spontanen rhythmischen Bewegungen von Babys inspiriert war, indem sie beobachtete, wie Babys, Kinder und Erwachsene sich bewegen. Ich verfolgte ihre Arbeit in den späten 1980er-Jahren ein paar Jahre lang und schrieb darüber in meinem früheren Buch Helande Liv [zu Deutsch etwa: Das Leben heilen].

Die rhythmischen Bewegungselemente sind für ihre Methode besonders charakteristisch. Andere Ansätze, die Kindern mit Problemen im Bereich der Motorik und des Lernens helfen, sind auch durch Bewegungen von Babys inspiriert – ihnen fehlen jedoch die rhythmischen Elemente. Und wie dieses Buch deutlich macht, sind es gerade diese spontanen rhythmischen Bewegungen, die von fundamentaler Bedeutung für die motorische, emotionale und intellektuelle Entwicklung des Kindes werden.

Zu den vielen Auswirkungen von Kerstin Lindes Methode gehört die Integration der frühkindlichen oder „primitiven“ Reflexe. Sie betonte immer, dass die rhythmischen Übungen diese primitiven Reflexe integrierten, wenn sie korrekt ausgeführt würden. Das mag für kleine Kinder gelten, doch bei älteren Kindern und bei Erwachsenen müssen die rhythmischen Übungen durch andere Methoden ergänzt werden. Die russische Psychologin Svetlana Masgutova entwickelte eine andere wirksame Methode zur Integration der primitiven Reflexe; ihre Übungen sind eine wertvolle Ergänzung zu den rhythmischen Übungen von Kerstin Linde.

Seit vielen Jahren gebe ich Kurse in rhythmischem Bewegungstraining und Reflexintegration (in Schweden und in anderen europäischen Ländern, in Asien, Australien und Amerika). In diesen Kursen wende ich mich an Lehrer, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Masseure und andere Fachleute sowie an Eltern von Kindern mit verschiedenen Problemen.

Dieses Buch basiert auf meinen Kursunterlagen. Mein Ziel beim Schreiben war, die bemerkenswerte Wirksamkeit des rhythmischen Bewegungstrainings bei so vielen verschiedenen Beschwerden wissenschaftlich überzeugend zu erklären. Daher enthält das Buch auch etwas kompliziertere Abschnitte über die Struktur und Funktion des Gehirns und des Nervensystems sowie über die primitiven Reflexe. Vor allem aber enthält es viele Fall­geschichten, die veranschaulichen, wie die Methode funktioniert.

Rhythmisches Bewegungstraining kann nicht durch einen einmal unveränderlich abgesteckten starren Rahmen begrenzt werden. Die Unterstützung von Kindern in ihrer körperlichen, emotionalen und geistigen Entwicklung sowie in ihrem Reifungs- oder Heilungsprozess ist zu einer sehr viel größeren Herausforderung geworden, als das zu Beginn meiner Arbeit mit dieser Methode der Fall war. Nach meiner eigenen Erfahrung und nach den Erfahrungen von Lehrern und Therapeuten, die meine Kurse besuchen, haben die heutigen Kinder wesentlich mehr Probleme als Kinder vor 10 oder 20 Jahren. Es gibt einen dramatischen Anstieg von Aufmerksamkeitsstörungen, Autismus, emotionalen Problemen und Lernschwierigkeiten.

Es kommt immer häufiger vor, dass Kinder mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom), mit Lernschwierigkeiten und motorischen Problemen nicht mehr so schnelle Fortschritte mit RMT machen, wie ich sie zu Beginn meiner Arbeit mit dieser Methode gewöhnt war. In diesem Buch habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, den Ursachen der sich so rasch verschlechternden Gesundheit von Kindern nachzugehen und auch der Frage, wie wir dieser Entwicklung in der Arbeit mit RMT Rechnung tragen können. Daher informiere ich auch darüber, wie Kinder durch negative Faktoren aus ihrem Lebensumfeld belastet werden, zum Beispiel durch Mikrowellen, Schwermetalle, Nahrungsmittelzusätze usw.; ich zeige auch den enormen Stress auf, dem das kindliche Immunsystem heutzutage ausgesetzt ist und der bei vielen zu Nahrungsmittelunverträglichkeiten führt. Stressbelastung durch Mobiltelefone und kabellose Netzwerke (W-LAN) oder durch Nahrungsmittelunverträglichkeiten ist heute eine maßgebliche Ursache des sich rapide verschlechternden Gesundheitszustands bei Kindern; dieser Belastung muss man Rechnung tragen, wenn man RMT wirksam anwenden will.

Danken möchte ich an dieser Stelle der Soziologin Dr. Sophia Lövgren, die mit ihrem großen Expertenwissen großzügig zu diesem Buch beigetragen hat. Ich danke auch Dr. Mårten Kalling für seine Unterstützung in Form vieler wertvoller Erkenntnisse und wissenschaftlicher Artikel, mit deren Hilfe ich die Wirkungsweise des rhythmischen Bewegungstrainings erklären konnte.

Für ihre Hilfe im Zusammenhang mit den Illustrationen in diesem Buch bin ich Sandra Almenberg, Ricardo Mauler Gruber, Eva María Rodríguez Diez und Francisco Javier Carrasco Rodríguez zu Dank verpflichtet.

Dr. Harald Blomberg

EINLEITUNG

Wie das rhythmische Bewegungstraining (RMT) entstand

Im Jahre 1985 lernte ich hier in Schweden Kerstin Linde kennen, die eine Methode entwickelt hatte, die sie als „rhythmische Bewegungspädagogik“ bezeichnete. Damals arbeitete ich als Psychiater in einer psychiatrischen Ambulanzklinik und nahm an Kursen in Neurolinguistischem Programmieren (NPL) teil. Außerdem absolvierte ich eine zweijährige Ausbildung in therapeutischer Hypnose.

Mich faszinierte, was Kerstin Linde über ihre Arbeit, die rhythmischen Übungen mit Kindern und Erwachsenen, berichtete. Sie erzählte von exzellenten Resultaten bei allen möglichen Klienten, von Kindern mit schweren motorischen Behinderungen bis hin zu Erwachsenen mit Psychosen und Depressionen. Ich bat sie um die Erlaubnis, ihr bei der Arbeit zusehen zu dürfen, um zu lernen und zu verstehen, was sie da tat. Liebenswürdigerweise war sie damit einverstanden und riet mir, die Arbeit mit behinderten Kindern zu wählen, da dies am aufschlussreichsten sei.

Die Fortschritte, die ich dann bei vielen Kindern mit schweren motorischen Behinderungen beobachten konnte, übertrafen bei Weitem alles, was ich mir je hätte vorstellen können oder was ich aufgrund meiner medizinischen Ausbildung für möglich halten konnte. Spastisch gelähmte Kinder, die sich kaum bewegen und nicht sprechen konnten und stark schielten oder weitsichtig waren, entspannten ihre Muskeln und schon nach wenigen Monaten waren einige von ihnen in der Lage zu krabbeln, sich an Möbeln hochzuziehen und sogar Drei- und Vier-Wort-Sätze zu sprechen. Ich beobachtete, wie das Schielen aufhörte und die Weitsichtigkeit durch das Training erheblich gebessert wurde.

Die Eltern dieser Kinder waren wegen der raschen Fortschritte ebenso überrascht wie ich, zumal Ärzte und Physiotherapeuten ihnen gesagt hatten, dass sie von der angebotenen medizinischen Behandlung keine wesentliche Verbesserung zu erwarten hätten. In vielen Fällen hatten die Eltern das Gefühl, dass es Ärzten und Physiotherapeuten mehr darum ging, ihnen die Behinderung ihrer Kinder zu erklären und sie dazu zu bringen, den gegebenen Zustand zu akzeptieren, als ihren Kindern wirklich zu helfen.

Rhythmische Bewegungsübungen mit psychiatrischen Patienten

Ermutigt durch die Verbesserungen, die ich nicht nur bei Kindern mit schweren Behinderungen, sondern auch bei Erwachsenen mit Problemen wie Rückenschmerzen, Osteoarthritis oder psychiatrischen Symptomen erlebt hatte, führte ich die rhythmischen Übungen bei meinen Patienten in der Ambulanzklinik ein, wo ich als Facharzt tätig war. Sie lernten ein paar einfache rhythmische Übungen, die sie einmal täglich nicht länger als 10 Minuten machen sollten. Diese Übungen wurden bald sehr beliebt, denn bei vielen Patienten besserten sich die Depressionen, Angstzustände oder psychotischen Symptome. Ich bemerkte, dass sich viele aufgrund der Übungen an ihre Träume erinnern konnten und dass das für manche so war, als tue sich eine neue Welt auf. Ich stellte auch psychische Weiterentwicklungen fest, die sich in vielen Fällen in den Träumen der Patienten widerspiegelten.

Die Krankenschwestern, die sich um schizophrene und psychotische Patienten kümmerten, bemerkten, dass es diesen in vielerlei Hinsicht besser ging. Sie zogen sich weniger zurück, wurden aktiver und zeigten Interesse daran, Kontakte zu knüpfen. Ihre psychotischen Symptome verringerten sich und verschwanden bei zwei Patienten, die schon mehrere Jahre an Schizophrenie gelitten hatten, sogar völlig.

Die Patienten nahmen diese „Behandlung“ sehr dankbar und glücklich an, doch als mein Vorgesetzter davon erfuhr, untersagte er ihre Fortführung mit dem „Argument“, dass sie „nicht anerkannt“ und „kaum bekannt“ sei. Ich weigerte mich, seiner Forderung nachzukommen, und so sah er sich veranlasst, mich der staatlichen Gesundheitsbehörde zu melden, um mir Einhalt zu gebieten. Im Jahre 1988 wurde eine Untersuchung eingeleitet und ich schrieb zehn Fallstudien, die die Wirkung der Behandlung dokumentierten. Viele meiner Patienten wandten sich schriftlich an die Behörde und drückten ihre Dankbarkeit für die Behandlung aus. Die Behörde stellte in ihrem Abschlussbericht fest, dass die Behandlung von vielen Patienten als sehr positiv empfunden worden sei und dass diese Bewegungstherapie in einer als festgefahren oder stagnierend empfundenen Situation ein lobenswerter Beitrag zur Besserung sei. Zudem wurden meine Vorgesetzten von der Behörde kritisiert, da es an der Koordination bei der Behandlung von stationären und ambulanten Patienten mangele. Danach blockierte mein Chef mich ganz und gar; das machte meine berufliche Situation unerträglich und ich entschloss mich, zu kündigen.

Initiative zu einer wissenschaftlichen Studie

Im Jahre 1989 eröffnete ich eine Privatpraxis und ein Jahr später bat mich ein Kollege, Dr. Mårten Kalling, mein Bewegungstraining mit einigen schwer kranken Schizophreniepatienten durchzuführen, von denen die meisten 10 Jahre oder länger in einer psychiatrischen Klinik waren. Ich begann dort zweimal in der Woche zu arbeiten. Im Jahre 1991 wurde mir angeboten, an einem Forschungsprojekt über diese Arbeit unter der Leitung eines Assistenzprofessors für Psychologie von der Universität Umeå teilzunehmen.

Ich musste einen Antrag stellen, um Forschungsgelder für das Projekt zu erhalten, musste eventuelle vorausgehende Forschungen auf diesem Gebiet zusammenfassen, die Wirkungsweise der rhythmischen Übungen beschreiben und erklären, warum sie bei Schizophrenie Erfolg haben würden. Ich fand aber keine Forschungsarbeit über irgendeine Methode, die den rhythmischen Übungen auch nur entfernt ähnlich war. Ich betrat also Neuland, als ich die Arbeitsweise der rhythmischen Übungen zu erklären versuchte.

Die Studie wurde bewilligt, lief über 2 Jahre und zeitigte positive Ergebnisse: Die mit dem rhythmischen Bewegungen behandelten Patienten hatten im Vergleich zu einer Kontrollgruppe die größten positiven Veränderungen gezeigt. Sie waren ihrer Umgebung gegenüber aufgeschlossener geworden, konnten an sozialen Aktivitäten sowie an der Beschäftigungstherapie teilnehmen und in sich größerem Ausmaß an den täglichen Aufgaben auf der Station beteiligen.

Die Wirkungsweise der rhythmischen Bewegungen nach Kerstin Linde

Kerstin Linde beschrieb die rhythmischen Bewegungen als rhythmische Ganzkörperbewegungen. Ihrer Meinung nach beruht die Methode auf einer funktional-ganzheitlichen Betrachtungsweise: Beseitigt man Funktionsstörungen des Körpers insgesamt, werden die daraus resultierenden Symptome indirekt behoben. Durch das Training lernt das Gehirn, den Körper und die motorischen Funktionseinheiten zu steuern und automatisch die jeweils erforderliche Muskelspannung anzuwenden. Laut Kerstin Linde ist es das Ziel des Trainings, sicherzustellen, dass Zirkulation und Austausch von „Gasen“ (Sauerstoff, Kohlendioxid u. ä.) in allen Körperteilen gewährleistet sind.

Sie wurde zu dieser Methode durch die rhythmischen Bewegungen inspiriert, die Babys spontan machen, bevor sie sich aufrichten und zu laufen beginnen. Dadurch lernen sie, für alle Bewegungen die adäquate Muskelspannung anzuwenden und automatisch mit der Schwerkraft zurechtzukommen. Wenn wir als Babys unsere Muskelspannung nicht in dieser basalen Weise angepasst haben (– sozusagen eine Art „Feintuning“), kann die Muskelspannung, die wir (auch später noch) automatisch anwenden, unseren Gelenken und der Wirbelsäule schaden und/oder die Zirkulation und den Gasaustausch behindern. Das kann schließlich zu Schmerzen und zur Abnutzung der Gelenke führen, insbesondere an Knien, Hüften und der Wirbelsäule.

Eine ergänzende Erklärung für die Wirkung der rhythmischen Übungen

Kerstin Lindes Theorie über die rhythmischen Bewegungen konnte nicht hinreichend erklären, wie dadurch die Sprachentwicklung bei Kindern mit Zerebralparese stimuliert oder psychotische Symptome bei chronischer Schizophrenie gebessert werden können. Ich musste andere Erklärungen für ihre Wirksamkeit in solchen Fällen finden.

Dazu inspirierte mich die Theorie des dreigliedrigen Gehirns von Paul MacLean [engl.: The Triune Brain. – Anm. d. Übers.], nach der für Motorik, Emotionen und kognitive Funktionen verschiedene Lagen oder Schichten des Gehirns verantwortlich sind. Diese Hirnteile sind beim Neugeborenen schon vorhanden, aber noch nicht voll entwickelt und miteinander verbunden. Dies sollte normalerweise während des ersten Lebensjahres vonstattengehen.

Als ich Kerstin Linde bei der Arbeit mit motorisch schwerbehinderten Kindern beobachtet hatte, war mir aufgefallen, dass andere Funktionen (wie Sprache, Emotionen und Kognition) bei ihnen umso weniger entwickelt waren, je schwerer ihre motorische Behinderung war. Und je schneller sie Fortschritte in der Motorik machten, desto schneller entwickelten sich die anderen Funktionen auch. Aus dieser Beobachtung zog ich den Schluss, dass das Gehirn durch die Motorik stimuliert werden muss, um sich zu entwickeln und zu reifen, und dass eine derartige Stimulation die unterschiedlichen Ebenen des Gehirns miteinander verbindet. Diese Tatsache wird jedoch von Hirnforschern und Ärzten im Allgemeinen nicht anerkannt; sie scheinen zu glauben, dass das Gehirn lediglich Sauerstoff und Nährstoffe brauche und sich sozusagen wie ein Kohlkopf entwickle.

Ich konnte dann auch eine plausible Erklärung dafür formulieren, dass die rhythmischen Übungen sowohl sprachliche als auch psychotische Symptome besserten. Später erklärte ich diese Theorie ausführlich in meinem ersten Buch über das rhythmische Bewegungstraining, das 1998 auf Schwedisch erschien.

Rhythmische Bewegungen und primitive Reflexe

Schon bevor ich Kerstin Linde kennenlernte, hatte ich bei Peter Blythe, dem Begründer des Institute of Neuro-Physiological Psychology (INPP) in England, einen Kurs über primitive Reflexe und Lernbehinderung besucht.

Primitive Reflexe sind automatische, stereotype, vom Stammhirn gesteuerte Bewegungen. Diese Reflexe steuern die motorischen Aktivitäten des Fötus und des Neugeborenen und müssen gehemmt und integriert werden, damit sich die Motorik des Kindes richtig entwickeln kann. Das Kind integriert die primitiven Reflexe, indem es rhythmische Bewegungen macht, die die Muster der verschiedenen Reflexe wiederholen. Kerstin Linde pflegte zu sagen, dass sie die primitiven Reflexe beobachten könne, aber nicht speziell mit ihnen arbeiten müsse, da sie durch die von ihr angewandten Übungen integriert würden.

Ab 1994 arbeitete ich ganztags in meiner Privatpraxis. Besonders bei den von Kerstin Linde gelernten rhythmischen Übungen beobachtete ich in meiner Arbeit mit Kindern, dass sie alle für die Integration der primitiven Reflexe genutzt werden konnten. Ich fand auch heraus, dass manche anderen Übungen, die diesen frühkindlichen Bewegungen ähnelten, tatsächlich auch verschiedene primitive Reflexe integrieren konnten.

Zu Beginn des Jahres 2000 lernte ich eine andere Möglichkeit der Integration primitiver Reflexe kennen: als ich Kurse bei der russischen Psychologin Svetlana Masgutova besuchte. Ihre Methode bestand darin, das Reflexmuster mit einem leichten isometrischen Druck zu verstärken, was insbesondere bei älteren Kindern und Erwachsenen von Nutzen war.

Die „Geburt“ meines rhythmischen Bewegungstrainings (RMT)

Während der 1990er-Jahre gab ich gelegentlich Kurse in rhythmischer Bewegung, für Therapeuten, Lehrer und Pflegepersonal. Nach der Veröffentlichung meines ersten Buches (1998) wurden diese Kurse vermehrt nachgefragt und ab 2002 hielt ich diese Kurse in Schweden regelmäßig ab.

Anfänglich hatte ich drei Kurse ausgearbeitet, von denen jeder einer Schicht des dreigliedrigen Gehirns (nach Paul MacLean) entsprach. In meinem ersten Kurs, der sich hauptsächlich auf den Hirnstamm und das reptilienhafte Gehirn konzentrierte [in Fachkreisen als „Reptiliengehirn“ bezeichnet. – Anm. d. Übers.], lehrte ich, wie und warum die rhythmischen Übungen nicht nur zur Verbesserung der Motorik, sondern auch zum Verbessern von Aufmerksamkeit und Hyperaktivität sowie zur Integration der bei ADHS häufig fortbestehenden primitiven Reflexe eingesetzt werden können. Im zweiten Kurs konzentrierte ich mich auf das limbische Gehirn, das für die Emotionen zuständig ist [auch limbisches System oder Säugetiergehirn genannt]. Ich vermittelte, wie die rhythmischen Übungen Emotionen beeinflussen und das Selbstbewusstsein und das Selbstvertrauen erhöhen. Der dritte Kurs konzentrierte sich auf die Funktionen des Neokortex und auf Lese- und Schreibschwierigkeiten sowie darauf, wie visuelle und phonologische Probleme und das Leseverständnis mithilfe der rhythmischen Bewegungen und speziellen Reflexintegrationsübungen verbessert werden konnten.

Ich wollte mich nicht auf das beschränken, was ich von Kerstin Linde gelernt hatte, und entschloss mich, noch andere Themen in meine Kurse aufzunehmen, etwa das Testen und Integrieren der primitiven Reflexe. Die Übungen mit isometrischem Druck nahm ich ebenfalls zusätzlich mit ins Programm. Meine umfangreiche Erfahrung während mehr als 15 Jahren Anwendung der rhythmischen Übungen bei Kindern und Erwachsenen, die an einem breiten Spektrum von Beschwerden litten, war eine unschätzbare Bereicherung bei der Gestaltung dieser Kurse.

Mein Ziel war es, die Wirkungsweise der rhythmischen Bewegungen wissenschaftlich plausibel, doch einfach zu erklären, sodass sie auch von normalen Lesern ohne medizinische Ausbildung verstanden wird. Dr. Mårten Kalling stellte mir viele wissenschaftliche Artikel zur Verfügung, die mir bei meinen Bemühungen sehr hilfreich waren.

In Schweden dürfen nur Menschen mit medizinischer Ausbildung Kinder unter 8 Jahren behandeln. Kerstin Linde betrachtete die rhythmischen Bewegungen als eine Art Lehrmethode und bezeichnete sie als Pädagogik, nicht als Therapie. Ich beschloss schließlich, meine erweiterte Methode, die auf Kerstin Lindes rhythmischen Übungen beruhte, als Rhythmic Movement Training (RMT) zu bezeichnen.

Die weitere Entwicklung des rhythmischen Bewegungstrainings

Ich entschloss mich, meine Kurse Auftraggebern (sozusagen „Sponsoren“) anzubieten, die bereit waren, mich als Dozenten oder Kursleiter zu engagieren, denn ich betrachtete mich in erster Linie als Initiator und Entwickler dieses Bewegungstrainings und nicht als Organisator. In Schweden wurden meine Kurse von einem Zentrum für sensorische Integration und positives Lernen gefördert. Ich wurde auch eingeladen, Kurse im Rahmen der Ausbildung von Vorschulpädagogen zu halten, die mit Kindern zwischen 18 Monaten und 3 Jahren arbeiteten. Das mache ich seit 2004 regelmäßig.

Im Jahre 2003 begann ich, mit Moira Dempsey zusammenzuarbeiten. Ich übersetzte meine schwedischen Kursunterlagen ins Englische und sie bearbeitete sie redaktionell, illustrierte sie und unterstützte meine Kurse in Südostasien, Australien und den USA finanziell. 2005 wurde ich eingeladen, Kurse in Spanien zu halten, wo das rhythmische Bewegungstraining weithin Verbreitung fand und beliebt wurde. Ich halte dort regelmäßig mindestens sechs Kurse im Jahr.

Neben meiner Kurstätigkeit setzte ich die Arbeit in meiner Privatpraxis fort und konzentrierte mich besonders auf Kinder mit motorischen Problemen und Lernschwierigkeiten sowie Störungen aus dem autistischen Formenkreis. Ich entwickelte meine ursprünglichen Kurse weiter, entsprechend den Erkenntnissen, die ich aus meiner Arbeit mit Kindern und durch Erfahrungen beim Unterweisen von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund gewann.

Neue Kurse in rhythmischem Bewegungstraining

Die rhythmischen Übungen können auf vielen verschiedenen Gebieten erfolgreich angewendet werden, wie bereits Kerstin Linde gezeigt hat. Für die Ausbildung der oben erwähnten Vorschulerzieher(innen) gestaltete ich einen speziellen Kurs, in dem die rhythmischen Bewegungen zusammen mit Liedern, Kinderreimen und Spielen zur Integration der Reflexe gelehrt werden.

Die rhythmischen Übungen eignen sich hervorragend auch für die Psychotherapie, insbesondere, weil sie das Träumen fördern und den Menschen helfen, mit unbewussten Themen in Kontakt zu kommen. Aufgrund meiner umfangreichen Erfahrung in diesem Bereich entwickelte ich einen Kurs über rhythmisches Bewegungstraining und Träume, den ich regelmäßig in Schweden und Spanien halte.

Sowohl in meinen Kursen als auch in meiner Privatpraxis sehe ich oft Menschen, die aufgrund nicht integrierter primitiver Reflexe Schmerzen im Nacken, im Rücken oder in den Hüften haben. Vor mehreren Jahren gestaltete ich einen Kurs für Physiotherapeuten und Masseure, in dem das Hauptaugenmerk auf Übungen zum Lösen von Muskelspannungen liegt, die Schmerzen und Osteoarthritis im Nacken sowie in der Brust- und Lendenwirbelsäule verursachen. In diesem Kurs werden auch einfache Übungen zur Korrektur eines verdrehten Beckens vermittelt.

RMT und Störungen aus dem autistischen Formenkreis

Während der letzten 10 Jahre wurden Störungen aus dem autistischen Formenkreis immer häufiger und viele Eltern brachten ihre autistischen Kinder zu mir zum rhythmischen Bewegungstraining. Damit konnte ich vielen dieser Kinder zu einer Besserung verhelfen, zum Beispiel bei der Entwicklung des Sprechens und der Emotionen, doch andere Kindern machten nur langsam Fortschritte; und als sich andeutete, dass die Übungen bei manchen seltsamerweise Hyperaktivität und starke emotionale Reaktionen auslösten, hörte ich in diesen Fällen natürlich damit auf. Die Kinder, die am meisten profitierten, ernährten sich übrigens gluten- und caseinfrei.

Ich entschloss mich daraufhin, tiefer einzusteigen und einen fundierten Kurs über rhythmische Übungen bei Autismus zu entwickeln. Als ich mich näher mit diesem Thema beschäftigte, kam ich zu der Überzeugung, dass Autismus in hohem Maße durch äußere Faktoren wie Schwermetallbelastung, Impfungen und elektromagnetische Strahlung verursacht wird: Sie schädigen das Immunsystem und den Darm und dadurch kommt es zu Entzündungen im Gehirn, die viele Symptome von Autismus erklären können. Ich kam zu dem Schluss, dass die rhythmischen Bewegungen hier mit anderen Maßnahmen ergänzt werden müssen, zum Beispiel mit entsprechender Ernährung und mit Nahrungsergänzungen, damit die gewünschten Wirkungen erzielt werden können.

Je mehr ich mich mit den umgebungsbedingten Ursachen der Störung befasste, desto mehr wurde mir klar, dass ich ein Buch darüber schreiben musste. Dieses Buch [Autism – a disease that can heal, zu Deutsch etwa: Autismus – eine heilbare Krankheit] ist im Jahre 2010 in Schweden erschienen; bisher wurde es noch nicht in andere Sprachen übersetzt.

„Bewegungen, die heilen“

Die erste Ausgabe des hier vorliegenden Buches [engl. Titel: Movements that heal] habe ich bereits 2008 auf Schwedisch veröffentlicht. Es war eine Zusammenfassung dessen, was ich in meinen Kursen unterrichte, ergänzt durch viele Fallberichte, die die Entwicklung der Betroffenen während des rhythmischen Bewegungstrainings veranschaulichten. Das nun vorliegende Buch ist eine aktualisierte Fassung, in der die zivilisatorisch bedingten Ursachen nicht nur bei Autismus, sondern auch bei Aufmerksamkeits- und Lernproblemen stärker betont werden. Ich habe das Kapitel über Autismus ganz neu geschrieben und ergänzende Abschnitte über wichtige Reflexe hinzugefügt.

KAPITEL 1

Die traditionelle Behandlung von ADHS

Kinder, die überaktiv, unaufmerksam und leicht ablenkbar sind, nicht lange bei einer Sache bleiben können oder Probleme damit haben, ihre Aktivitäten zu organisieren und ihre Impulse zu kontrollieren, gelten als „ADHS-Kinder“: Sie leiden unter dem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom.

In den USA werden die Verhaltensmerkmale von Hyperaktivität bereits seit Langem mit zentral wirksamen Stimulanzien behandelt. Das sind Betäubungsmittel mit hohem Suchtpotenzial (die also leicht süchtig machen können), etwa Ritalin und Amphetamine, die seit mehr als 50 Jahren zur Behandlung von Kindern mit Verhaltensstörungen eingesetzt werden. In den 1990er-Jahren verzehnfachte sich die Produktion von Ritalin und nach gegenwärtigen Schätzungen werden 7 bis 10 Prozent der amerikanischen Kinder, vorwiegend Jungen, damit oder mit anderen zentral wirksamen Stimulanzien „behandelt“. Auch lassen sich im Laufe der letzten Jahre immer mehr Erwachsene mit zentral wirksamen Stimulanzien behandeln. Zwischen 2000 und 2004 – so besagt eine Statistik – ist der Umsatz mit diesen Substanzen von 759 Millionen auf 3,1 Milliarden Dollar gestiegen.1

Zentral wirksame Stimulanzien – das konventionelle Mittel der Wahl

Hinter dieser Entwicklung stecken hauptsächlich die großen Pharmakonzerne, die diese Medikamente verkaufen, und das American National Institute for Mental Health [NIMH; zu Deutsch etwa: Staatliches amerikanisches Institut für geistige Gesundheit]. Das NIMH wird von Psychiatern geleitet, die entschiedene Befürworter der Behandlung von hyperaktiven Kindern mit zentral wirksamen Stimulanzien sind.

Zu den Aufgaben des NIMH gehört unter anderem die Verteilung von Forschungsgeldern. Laut einem Artikel in US News & World Report hat das NIMH seine Studien fast ausschließlich auf die Gehirnforschung und die genetische Untermauerung psychischer Krankheiten konzentriert. Die Neuordnung der Forschungsschwerpunkte sei sowohl eine wissenschaftliche als auch eine politische Entscheidung gewesen.2

Der amerikanische Psychiater Peter Breggin, ein erklärter Kritiker der zunehmenden Praxis des Verschreibens von Stimulanzien für Kinder, sagt, das NIMH habe viele Millionen Dollar für Forschung an zentral wirksamen Stimulanzien bewilligt. Fast das gesamte Geld sei an unermüdliche Befürworter von Ritalin gegangen, die Kritiker hätten keines bekommen.

Die Theorie von ADHS als biologischer Störung – von amerikanischen Psychiatern widerlegt

Im Jahre 1998 organisierte das NIMH eine „Konsens-Konferenz“ mit dem offensichtlichen Ziel, dass ADHS als genetisch determinierte biologische Störung anerkannt werden sollte. Bei dieser Konferenz wurde ein Beitrag zur Prüfung der gesamten Bandbreite der Berichte über Gehirnscans vorgelegt, die angeblich für eine biologische Basis von ADHS sprachen. In diesen Gehirnscan-Studien wurde behauptet, dass in bestimmten Gehirnarealen von Kindern mit ADHS-Diagnose Anomalien gefunden worden seien. In vielen dieser Studien waren solche Kinder jedoch mit Stimulanzien behandelt worden. Und keine dieser Studien konnte den Nachweis dafür erbringen, dass sie ausschließlich mit ADHS-Kindern gemacht worden war, die keine zentral wirksamen Stimulanzien erhalten hatten.3

Demzufolge waren die Unterschiede zwischen den Gehirnen normaler Kinder und denen der Kinder mit ADHS-Diagnose mit größter Wahrscheinlichkeit auf die Wirkung der Medikation zurückzuführen, die dafür bekannt war, dass sie zumindest bei Affen Schädigungen in den fraglichen Gehirnarealen hervorrief.

In Laufe der Konferenz wurden auch mehrere Beiträge vorgelegt, die ernsthafte Risiken und Nebenwirkungen von zentral wirksamen Stimulanzien hervorhoben. Nachdem eine Reihe von Vorträgen angehört und zahlreiche Beiträge von Wissenschaftlern studiert worden waren, die über ADHS geforscht hatten, zog das Gremium die Gültigkeit der ADHS-Diagnose mit gutem Grund in Zweifel. Sehr enttäuschend für die Medikationsbefürworter vom NIMH war die Schlussfolgerung in der abschließenden einvernehmlichen Erklärung, die an die Presse verteilt und in der festgestellt wurde, es gebe keine Hinweise darauf, dass eine Gehirnstörung Ursache für ADHS sei.

Im Jahre 2000 gab es eine ähnliche Erklärung der American Academy of Paediatrics [zu Deutsch etwa: Amerikanische Akademie für Kinderheilkunde], die besagte, dass Gehirnscans und ähnliche Studien keine zuverlässigen Aussagen über Unterschiede zwischen Kindern mit ADHS und Kontrollgruppen machten.4

Die MTA-Studie von 1999

„Wir haben die beste Studie gemacht, die es auf unserem Planeten je gegeben und die Eltern und Lehrern dieser Kinder geholfen hat – und was kam dabei heraus? Es kam heraus, dass die medikamentöse Therapie bei diesen Kindern immer noch die wirksamste war.“5

Laut Eric Tailer, einem renommierten britischen Kinderpsychiater, war die wichtigste Schlussfolgerung der Studie, dass eine sorgfältig durchgeführte Medikation besser sei als jede andere Behandlung; aufgrund dessen sei zu fordern, dass die medikamentöse Therapie allen Kindern mit ADHS zugänglich gemacht werde.

Diese erste MTA-Studie war ein Triumph für die Pharmaindustrie und für die Befürworter von Ritalin bei ADHS. Gleichzeitig erwies sie sich als Blamage für die weltweite Gemeinschaft der Kinderpsychiater und als Katastrophe für die steigende Zahl von Kindern, die infolge dieser Studie als „ADHS-Kinder“ abgestempelt und mit Stimulanzien behandelt wurden.

Das Studienergebnis wurde weltweit publiziert und führte dazu, dass immer mehr Kinder auf der ganzen Welt das Etikett „ADHS“ erhielten und mit zentral wirksamen Stimulanzien behandelt wurden. In mehr als zehn Ländern, die ich besuchte, um Kurse in rhythmischem Bewegungstraining zu geben, habe ich Berichte über eine ständig steigende Zahl von Kindern gehört, die seit dem Jahr 2000 mit zentral wirksamen Stimulanzien behandelt werden.

Die MTA-Nachfolgestudie von 2007

Im Jahre 2007 wurde vom selben Forschungsteam eine Nachfolgestudie veröffentlicht. Sie hatte die Kinder, die medikamentös behandelt wurden, über drei Jahre beobachtet.

Das Ergebnis dieser Studie war für das Forschungsteam eine große Enttäuschung. Einer der wichtigsten Beteiligten, Professor William Pelham, trat bei BBC Panorama, einer investigativen TV-Sendung, auf und erklärte, im Gegensatz zu den Erwartungen des Forschungsteams hätten sich auch nach 36 Monaten Behandlung keinerlei positive Wirkungen eingestellt. Laut Professor Pelham gab es keine Hinweise, dass Medikamente auf lange Sicht besser seien als keine Behandlung, und er betonte, diese Information solle man den Eltern eindeutig klar machen.6

Laut Professor Pelham zeigte der Bericht, dass die anfänglich guten Behandlungsergebnisse bei den Kindern mit den schwerwiegendsten Problemen vollständig verschwanden, als sie älter wurden. Der Bericht stellte außerdem fest, dass zentral wirksame Stimulanzien das normale Wachstum von Kindern hemmten und dass davon auch das noch wachsende Gehirn beeinflusst werde.

Zudem veranschaulichte die Studie, dass zentral wirksame Stimulanzien mit aggressiverem und unsozialerem Verhalten korrespondieren sowie mit einem erhöhten Risiko, später kriminell und drogenabhängig zu werden. Kinder im Alter zwischen 11 und 13 Jahren, die an der Studie teilnahmen, griffen im Gegensatz zu einer Kontrollgruppe von Klassenkameraden öfter zu Alkohol und illegalen Substanzen. Der häufigere frühe Beginn des Missbrauchs, so die Schlussfolgerung des Berichts, mache klinische Behandlung erforderlich.7 Mit typisch englischem Understatement äußerte Professor Pelham in der oben erwähnten BBC-Sendung:

„Ich glaube, wir haben die positiven Wirkungen der Medikation in der ersten Studie überschätzt.“

Wenngleich das Ergebnis dieser neuen Studie in den USA, in Großbritannien und in Australien veröffentlicht wurde, schwiegen sich die schwedischen Medien darüber aus. Meines Wissens haben diese Erkenntnisse nirgendwo auf der Welt Diskussionen unter den Psychiatern oder in den Medien ausgelöst. Medizinische Fachleute geben Fehler selten oder niemals zu und im Fall der zentral wirksamen Stimulanzien scheinen die Psychiater ein „Vogel-Strauß-Verhalten“ vorzuziehen. Vielleicht warten sie auf eine neue Studie, die das Ergebnis der vorherigen widerlegt? Die Pharmaindustrie wird zweifellos alles daransetzen, dass es dazu kommt.

Zentral wirksame Substanzen verringern das Wachstum

Hätten die verantwortlichen Forscher der MTA-Studien ihre Hausaufgaben gemacht und die zahlreichen vorausgegangenen Studien analysiert, dann wären sie vom Ergebnis nicht so überrascht gewesen. Dutzende von Studien haben tatsächlich gezeigt, dass zentral wirksame Stimulanzien das Gesamtwachstum verringern. Eine offensichtliche Ursache ist, dass sie den Appetit zügeln, doch noch heimtückischer ist, dass sie die Produktion des Wachstumshormons stören. Das wurde bereits 1976 von einer norwegischen Forschergruppe gezeigt.8

In einer Studie von 1986 mit 24 jungen Erwachsenen, die als Kinder wegen Hyperaktivität mit zentral wirksamen Stimulanzien behandelt worden waren, wurde in mehr als 50 Prozent der Fälle ein Schwund an Gehirnmasse festgestellt.9

Zentral wirksame Substanzen verbessern den schulischen Erfolg nicht

Entgegen allen Behauptungen der Befürworter von Ritalin bei ADHS kommt es bei den mit zentral wirksamen Stimulanzien behandelten Kindern nicht zu verbesserten schulischen Leistungen. Bereits im Jahre 1976 konnte eine Doppelblindstudie bei mit zentral wirksamen Stimulanzien behandelten Kindern keine verbesserten Schulleistungen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe zeigen, wenngleich das Verhalten der behandelten Kinder als besser eingestuft wurde. Ganz im Gegenteil, die Forscher fanden heraus, dass zentral wirksame Stimulanzien wünschenswerte Verhaltensweisen, die das Lernen erleichtern, unterdrücken. Im Jahre 1992 warnten James Swanson (ein prominenter Befürworter von Ritalin bei ADHS) und seine Kollegen, dass es bei den üblicherweise verordneten klinischen Dosen zur toxischen Wirkung auf die geistigen Fähigkeiten, zur kognitiven Toxizität, kommen könne. Die Kinder würden verschlossen und überfokussiert und viele erschienen „zombiartig“. Laut Swanson ist kognitive Toxizität weit verbreitet und kann bei 40 Prozent der behandelten Fälle auftreten; und die Überfokussierung der Aufmerksamkeit kann das Lernen eher beeinträchtigen als verbessern.10

Erhöhtes Risiko von Drogenmissbrauch

Frühere Forschungen ergaben auch ein erhöhtes Risiko von Drogenmissbrauch. Die amerikanische Drogenbehörde (Drug Enforcement Administration, DEA) hat wiederholt große Bedenken geäußert, dass die Behandlung mit Ritalin zum Missbrauch anderer Drogen führen werde. Im Jahre 1995 berichtete die DEA, neuere Studien, Fälle von Drogenmissbrauch und Trends unter den Jugendlichen (aus verschiedenen Quellen) wiesen darauf hin, dass Methylphenidat (Ritalin) ein Risikofaktor für Substanzenmissbrauch sein könne.11

Bei der 1998 vom NIMH organisierten „Konsens-Konferenz“ legte die Professorin Nadine Lambert von der Universität von Kalifornien in Berkeley eine ungewöhnliche Langzeitstudie über den (späteren) Drogenmissbrauch in zwei ADHS-Gruppen vor. Die Studie verglich eine Gruppe, der im Kindesalter Stimulanzien verschrieben worden waren, mit einer Gruppe, die keine Medikamente erhalten hatte.

Die Wissenschaftlerin stellte eine deutliche Korrelation zwischen der Behandlung mit Stimulanzien und späterem Drogenmissbrauch fest. Sie erklärte, dass die Verordnung von Stimulanzien bei Kindern über einen Zeitraum von einem Jahr oder länger mit einem erhöhten lebenslangen Konsum von Kokain und Aufputschmitteln korreliere. In ihrer Abhandlung schlussfolgerte sie, dass die Einnahme von Stimulanzien in der Kindheit maßgeblich und durchgängig daran beteiligt sei, dass mit dem regelmäßigen Rauchen begonnen werde, dass im Erwachsenenalter täglich geraucht werde und dass es zu Kokainabhängigkeit und lebenslangem Konsum von Kokain und Aufputschmitteln komme.12

Aus ersichtlichen Gründen wäre es schwierig, Nebenwirkungen zentral wirksamer Stimulanzien wie Wachstumshemmung oder das Risiko späteren Drogenmissbrauchs zu demonstrieren, indem man die Kinder nur ein Jahr oder sogar kürzer begleitete. Solche Wirkungen zeigen sich erst Jahre später. Viele Kinder nehmen 5 bis 10 Jahre oder noch länger zentral wirksame Stimulanzien. Was mit diesen Kindern in Zukunft geschehen wird, darüber kann vorläufig nur spekuliert werden. Bisher fand keine Langzeitbeobachtung über mehr als drei Jahre statt und es darf bezweifelt werden, dass sich das jemals ändern wird, da die Ergebnisse solcher Studien für die Pharmaindustrie wahrscheinlich noch verheerender sind als die bisher jüngste veröffentlichte MTA-Studie.

Anfänglich gute Wirkungen – nach 3 Jahren verschwunden

Hätten die für die MTA-Studien verantwortlichen Forscher die früheren Studien an Affen über zentral wirksame Stimulanzien untersucht, so hätten sie vorhersagen können, dass die scheinbar „guten“ Wirkungen nach 3 Jahren verloren gehen.

Der Wirkungsmechanismus zentral wirksamer Stimulanzien besteht darin, die Freisetzung von Dopamin zu erhöhen und seine Aufnahme an den Synapsen des präfrontalen Kortex und in den Basalganglien zu verhindern. Infolgedessen vermehrt sich die in den Synapsen dieser Areale verfügbare Dopaminmenge; dadurch kommt es zu einer unmittelbaren klinischen Wirkung: Ein überaktives Kind, das die meiste Zeit herumgesprungen und -gelaufen ist und eine Belastung für die Menschen in seiner Umgebung war, ist oft schon nach der ersten Dosis in der Lage, ruhig zu sitzen und sich auf jede „langweilige“ Aufgabe zu konzentrieren. Dies hinterlässt bei vielen Lehrern und Eltern natürlich einen „nachhaltigen“ Eindruck.

Diese Wirkung ist jedoch nicht nur von kurzer Dauer, sie fordert auch einen hohen Preis. Die Erhöhung von Dopamin verursacht ein kompensatorisches Absterben von Dopaminrezeptoren im Gehirn, das die akute Drogenwirkung und den nachfolgenden Tod von Gehirnzellen bei Weitem überdauert.13 In einer Studie an Affen im Jahre 1997 konnte gezeigt werden, dass die Verabreichung von zwei relativ kleinen Dosen Amphetamin (2mg/kg Körpergewicht, im Abstand von 4 Stunden) eine dauerhafte, deutliche Abnahme der Dopamin-Synthese und -Konzentration bis zu 3 Monaten zur Folge hatte. Ein Tier zeigte selbst 8 Monate später noch eine fortgesetzte Fehlfunktion.14

Bei Kindern, die mit Amphetamin und anderen Stimulanzien behandelt werden, kann die Medikamentenmenge in mg/kg so hoch sein wie diejenige, die in mehreren Studien bei Tieren zu Gehirnschäden geführt hat.

Laut MTA-Studie verlieren zentral wirksame Stimulanzien ihre positive Wirkung, wenn Kindern länger als 1 Jahr und bis zu 3 Jahren damit behandelt werden. Dies ist logisch, wenn man die Langzeitwirkung zentral wirksamer Stimulanzien auf das Gehirn betrachtet, die die Verminderung der Dopamin produzierenden Nervenzellen zur Folge hat. Also muss die Dosis der zentral wirksamen Stimulanzien erhöht werden, damit dieselbe Wirkung erzielt wird, und auf lange Sicht haben diese aufgrund des massiven Verlustes von Dopamin produzierenden Gehirnzellen überhaupt keine positive Wirkung mehr.

Eine australische Langzeitstudie bestätigte die MTA-Studie

Anfang 2010 veröffentlichte das westaustralische Gesundheitsministerium eine Langzeit-Outcome-Studie15 über den Einsatz stimulierender Medikamente bei der Behandlung von ADHS. [Eine „Outcome-Studie“ untersucht, ob bzw. in welchem Maße eine bestimmte Behandlung die angestrebten oder überhaupt angemessene Ergebnisse liefert. – Anm. d. Übers.]

Die zugrunde liegenden Daten betreffen 131 Patienten, die 20 Jahre lang von der Gesundheitsbehörde überwacht wurden. Diese Patienten wurden verglichen mit einer ähnlichen Gruppe mit der Diagnose ADHS, die nicht mit zentral wirksamen Stimulanzien behandelt worden waren. Die Studie ergab, dass die Medikation mit Stimulanzien den Blutdruck erhöhte, keinerlei Ergebnisse hinsichtlich der Lernleistung sowie keine Besserung des Verhaltens zeigte. Diejenigen, die damit behandelt werden, zeigen mit zehnfacher Wahrscheinlichkeit eine unterdurchschnittliche schulische Leistung. Die körperlichen Auswirkungen der Medikation verfolgen das Kind bis ins Erwachsenenleben.

In einem Interview des australischen Rundfunks zeigte sich der Koautor, Professor Lou Landau, bezüglich dieser Ergebnisse betroffen, da sie vielen der veröffentlichten (von der Industrie finanzierten) Kurzzeitstudien widersprachen.

Die Autoren schlussfolgerten: Da eindeutige Langzeitverbesserungen der sozialen, emotionalen und schulischen Leistungen in Verbindung mit dem Einsatz stimulierender Medikation ausgeblieben seien, sei eine speziell auf diesen Zweck zugeschnittene Langzeit-Forschungsstudie angezeigt, damit die „mutmaßlichen“ langfristigen sozialen, emotionalen und erzieherischen Vorteile der Stimulanzienmedikation zur Behandlung von ADHS „besser verstanden“ würden.

Die Entwicklung in Schweden

Zwischen 2000 und 2011 nahm die Zahl der Kinder, denen zentral wirksame Stimulanzien verschrieben wurden, um mehr als das Zehnfache zu: von 2000 Kindern auf 25 000 im Jahre 2011. Dies ist insofern eine bemerkenswerte Entwicklung, als Ritalin im Jahre 1968 wegen seiner großen Beliebtheit und des infolgedessen weitverbreiteten Missbrauchs vom Markt genommen wurde. In den 1970er- und 1980er-Jahren wurden Kindern nur selten zentral wirksame Stimulanzien verschrieben. Sie durften nur mit einer Sondererlaubnis der nationalen Gesundheitsbehörde verschrieben werden. Ende der 1990er begann die Anzahl der Kinder, denen zentral wirksame Stimulanzien verschrieben wurden, erheblich zu steigen. Führende Kinderpsychiater schätzten die behandlungsbedürftigen Kinder mit ADHS auf etwa 10 000. Doch im Jahre 2010 wurden bereits 20 000 Kinder behandelt.

Im Jahre 2004 veröffentlichte die staatliche schwedische Gesundheitsbehörde eine Broschüre mit dem Titel „Kurzer Abriss über ADHS bei Kindern und Erwachsenen“.16 Die Behörde unterstrich die Vererbung als Ursache von ADHS und schrieb:

„Vererbung vollzieht sich über die Gene. Gene steuern die Transmittersubstanzen, die Informationen zwischen den Neuronen des Gehirns übertragen. Ein Mangel oder die ungenügende Wirkung dieser Substanzen in bestimmten Hirnarealen verursacht Veränderungen der psychischen / kognitiven Funktion, wodurch es zu Problemen mit der Verhaltenssteuerung des Kindes kommen kann. Das wiederum führt zu typischen ADHS-Symptomen wie Unruhe, Problemen mit der Aufmerksamkeit und Impulsivität.“

Diese Aufsehen erregende Aussage über die Ursache von ADHS entbehrte jeglicher wissenschaftlichen Grundlage und widersprach der bei der amerikanischen „Konsens-Konferenz“ (1998) vorgestellten Forschung und ihrem gemeinsamen Abschlusspapier.

Die Behörde empfahl den Einsatz zentral wirksamer Stimulanzien als Behandlung bei ADHS und betonte, wie gut diese Medikamente insbesondere in großen Studien mit Kindern dokumentiert seien, wie wirksam sie seien und wie geringfügig ihre Nebenwirkungen seien. Es gebe, so die Behörde, keine anderen psychoaktiven Medikamente, die so sorgfältig untersucht worden seien wie die zentral wirksamen Stimulanzien, und sie traf folgende Feststellung:

„Aufgrund des rasch anwachsenden Wissens über ADHS in Schweden und der Tatsache, dass wir nun an internationalen Erfahrungen mit der Medikation teilhaben, hat die Anzahl der mit zentral wirksamen Stimulanzien behandelten Kinder genauso wie in anderen Ländern schnell zugenommen.“

Die staatliche Gesundheitsbehörde rühmte die zentral wirksamen Stimulanzien für die Steigerung der Konzentration und die Senkung der Hyperaktivität; zudem schienen die Medikamente geistige Fähigkeiten wie das Lösen von Problemen zu verbessern. Bezüglich der Gefahr der Abhängigkeit und des künftigen Missbrauchs erklärte die Behörde, dass es kein solches Risiko gebe, und behauptete, die Behandlung mit zentral wirksamen Stimulanzien scheine das Risiko eines künftigen Missbrauchs vielmehr zu verringern.

Die Folgestudien mit ADHS-Kindern, so schrieb die Behörde allerdings auch, böten oft ein düsteres Bild mit geringem schulischem und beruflichem Erfolg und häufigen psychischen Problemen im Erwachsenenalter. ADHS müsse als öffentliches Problem behandelt werden, da es viele Menschen betreffe und sich gravierend auf ihre Gesundheit, Entwicklung und die Möglichkeiten für ein vollwertiges Leben als Erwachsene auswirke.

Neueste MTA-Studie widerlegt die Ansichten der Behörde

Die jüngste MTA-Studie ergab, dass die Stimulanzien nach dreijähriger Einnahme keinerlei positiven Wirkungen haben. Sie sind schlichtweg nicht besser, als wenn überhaupt keine Behandlung erfolgt. Sie als wirksame Medikamente gegen ADHS zu bezeichnen muss ein Irrtum gewesen sein.

Im Gegensatz zur staatlichen schwedischen Gesundheitsbehörde ist die MTA-Studie weit davon entfernt, das Risiko künftigen Drogenmissbrauchs herunterzuspielen; sie hat gezeigt, dass die Einnahme der Stimulanzien zu einem aggressiveren und antisozialen Verhalten führt und ein erhöhtes Risiko für künftigen Drogenmissbrauch und Kriminalität in sich birgt.