Bianca Extra Band 113 - Shirley Jump - E-Book

Bianca Extra Band 113 E-Book

Shirley Jump

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Beschreibung

LIEBE, LÜGEN – HEISSE KÜSSE von Shirley Jump
Melanies Leben ist eine einzige Lüge: Dass sie arbeitslos und geschieden ist, verbirgt sie erfolgreich – bis sie zufällig ihren Ex wiedertrifft. Harris‘ zärtliches Lächeln gibt ihr den Mut, endlich zur Wahrheit zu stehen. Und vielleicht sogar an einen Neuanfang mit ihm zu glauben?

DAS SCHICKSAL MACHT ES WIEDER GUT von MELISSA SENATE
Tränenblind erkennt Sara, was ihr verstorbener Mann getan hat: Sie hat einem Zwillingspärchen das Leben geschenkt – und er hat das Mädchen weggegeben! Ausgerechnet dem überzeugten Einzelgänger Noah Dawson hat er es vor die Tür gelegt, in den sie früher verzweifelt verliebt war …

HOCHZEITSGLOCKEN IN WICKHAM FALLS? von ROCHELLE ALERS
Um das Lokalblatt zu retten, kommt der renommierte Journalist Langston Cooper nach Wickham Falls. All seine Auszeichnungen würde er darauf verwetten, dass er hier nie seine Seelenverwandte findet. Bis er Georgina begegnet! Schön, smart – aber leider nicht an ihm interessiert?

WIE KÖNNTE ICH DICH JE VERGESSEN? von CHRISTINE RIMMER
„Wo ist Connor?“ Als Aly nach einem Unfall im Krankenhaus erwacht, versteht sie nicht, dass ihr Ehemann nicht bei ihr ist. Sie braucht ihn jetzt, seine Stärke, seinen Trost! Sie ahnt nicht: Sie hat ihr Gedächtnis verloren. Sie und Connor sind seit sieben Jahren geschieden …

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Shirley Jump, Melissa Senate, Rochelle Alers, Christine Rimmer

BIANCA EXTRA BAND 113

IMPRESSUM

BIANCA EXTRA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRA, Band 113 08/2022

© 2019 by Shirley Kawa-Jump, LLC Originaltitel: „Their Last Second Chance“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: SPECIAL EDITION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Roswitha Giesen

© 2020 by Melissa Senate Originaltitel: „For the Twins’ Sake“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: SPECIAL EDITION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Patrick Hansen

© 2020 by Rochelle Alers Originaltitel: „Starting Over in Wickham Falls“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: SPECIAL EDITION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Valeska Schorling

© 2019 by Christine Rimmer Originaltitel: „A Husband She Couldn’t Forget“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: SPECIAL EDITION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Rainer Nolden

Abbildungen: mauritius images / Onoky / Eric Audras, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2022 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751507844

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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SHIRLEY JUMP

Liebe, Lügen – heiße Küsse

Bauunternehmer Harris ist der Held von Stone Gap, seit er eine Familie aus einem brennenden Haus gerettet hat. Doch ausgerechnet Melanie, die er immer noch insgeheim liebt, könnte seinen Ruf zerstören …

MELISSA SENATE

Das Schicksal macht es wieder gut

„Sie ist dein Kind.“ Bestürzt liest Noah den Brief neben dem ausgesetzten Baby. Noch fassungsloser ist er, als die schöne Mutter des Neugeborenen in sein Leben stürmt: seine lang verlorene Liebe Sara …

ROCHELLE ALERS

Hochzeitglocken in Wickham Falls?

Georgina ist bereit für ein neues Leben! Sie zieht bei ihren Eltern aus und eröffnet einen eigenen Laden. Aber ist sie auch bereit für eine neue Liebe – mit dem berühmten Journalisten Langston Cooper?

CHRISTINE RIMMER

Wie könnte ich dich je vergessen?

Damals hat Aly ihn verlassen, weil sie in New York Karriere machen wollte. Aber als Connor sie jetzt wiedertrifft, herrscht nicht nur prickelnde Spannung – Aly hat auch ihre Scheidung vergessen!

Liebe, Lügen – heiße Küsse

1. KAPITEL

Ihre erste Lüge erzählte Melanie Cooper im Alter von fünf Jahren. Zumindest war es die erste, an die sie sich erinnern konnte. Sie hatte ein paar Hundert Meter von zu Hause entfernt an einem Fluss gespielt – das war verboten, darum war die Versuchung besonders groß gewesen. Es war ihr absoluter Lieblingsplatz, voller Flusskrebse und Fischchen, die im Licht wie Silbermünzen glänzten.

Als ihre Mutter sie rief, kletterte sie durch das Loch im Zaun und wollte so tun, als wäre sie nie weg gewesen. Doch sie blieb mit dem Knie hängen, und als sie schließlich zurück im Garten war, blutete die Wunde stark. Ihre Mutter fragte sie, warum sie so lange gebraucht hatte, und blitzschnell dachte sich Melanie eine aufwendige Geschichte aus, wie sie einen Welpen gefunden hatte und gestolpert war, als sie diesen zurück zu ihrem Besitzer bringen wollte. Daraufhin hatte ihre Mutter darüber hinweggesehen, dass sie den Garten verlassen hatte, und Melanie für ihr großes Herz gelobt, was sehr selten vorgekommen war. In diesem Augenblick hatte das Mädchen gelernt, dass man sich mit Lügen am besten aus brenzligen Situationen befreien und so noch dazu das Lob ihrer überkritischen Mutter gewinnen konnte.

Darum war es nur logisch, dass Melanie später beim City Girl Magazin arbeitete, wo Lügen zum Alltagsgeschäft gehörten. Sie schrieb Artikel darüber, wie man zehn Kilo in zehn Tagen abnahm, und spickte sie mit Tipps wie grünen Tee trinken, ein zusätzliches Training einbauen oder bei der Arbeit Treppen steigen. Schließlich fügte der Redakteur noch einen vielversprechenden Titel für das Cover hinzu.

Als sie über die Main Street von Stone Gap in North Carolina zu ihrer älteren Schwester fuhr, wusste Melanie, dass sie Abby heute besonders überzeugend anlügen musste, denn diese war keine Leserin, die im Supermarkt nach dem Geheimtipp suchte, um ihre Cellulite loszuwerden. Sie war intelligent und kannte Melanie sehr gut. Zu gut. Wenn ihre Geschichte auch nur im Geringsten unstimmig war, würde Abby die Wahrheit sofort erkennen.

Doch sie durfte auf keinen Fall erfahren, dass Melanies hart erkämpftes Leben aus den Fugen geraten war.

Sie bekam kaum noch Luft und atmete daher mehrmals tief durch. Es würde schon alles gut gehen. Irgendwie würde sie alles wieder hinbekommen. Immerhin hatte sie ein Jobangebot von einem angesehenen Online-Magazin, wenn sie diesem bewies, dass sie nicht nur über Diäten und Mascara schreiben konnte. Deshalb musste sie Abby gar nichts sagen – bald wäre alles wieder in Ordnung. Außerdem heiratete ihre Schwester am übernächsten Wochenende, und Ma übernachtete gerade bei ihr. Da fehlte es noch, dass Abby sich um ihre jüngste Krise sorgen musste. Eigentlich eher Krisen, denn sie hatte innerhalb kurzer Zeit ihre Ehe, ihr Zuhause und ihre Arbeit verloren.

Melanie bog rechts in eine baumgesäumte Sackgasse ab und dann in die Auffahrt von Abbys Bungalow. Das wunderschöne Häuschen war mit roten Geranien dekoriert, und auf der Veranda wiegte sich eine Hollywoodschaukel sanft im Wind. Im Schatten einer Eiche lehnte ein Fahrrad, und in der Sonne lag ein Fußball und wartete auf das nächste Spiel. Der Herbstwind trug ein Gefühl von Heimat mit sich, das Melanie vollkommen fremd war.

Sie klappte den Spiegel im Wagen herunter, korrigierte ihr Make-up, zog ihr T-Shirt gerade und wischte sich über die Jeans, dann stieg sie aus dem Auto und ging die Stufen hinauf.

Als Erster kam Jacob aus dem Haus gerannt. „Tante Melanie!“, rief er und rammte ihre Beine.

Melanie beugte sich zu ihm hinunter und hob ihren fünfjährigen Neffen hoch. „Wie geht es denn dem weltbesten Jacob?“

„Ich spiele Fußball! Mommy sagt, ich bin richtig gut, und Dylan ist mein Trainer, und wir haben voll viel Spaß, und wir haben unser erstes Spiel gewonnen!“

Sie lachte. „Das ist wunderbar, mein Kleiner. Meine Güte, bist du groß geworden.“ Als Melanie ihn wieder auf dem Boden abstellte, zog Jacob sie die Stufen hinauf ins Haus. Dabei plapperte er unentwegt über die Schule und sein Fußballteam.

In der Küche holte Abby gerade etwas aus dem Ofen. Sie stellte die Auflaufform auf den Herd und drehte sich lächelnd um. „Melanie! Da bist du ja. Wie war die Fahrt? Ich kann nicht glauben, dass du von New York hierhergefahren bist!“

Melanie legte ihre Handtasche auf einen Stuhl und ihr Telefon auf den Tisch. Keine Anrufe, keine Nachrichten, keine unerwartete Benachrichtigung. Aber das war in Ordnung. Allein schon durch die Ankunft bei ihrer Schwester entspannte sie sich ein wenig.

Abby hatte nämlich immer über eine gewisse Leichtigkeit verfügt. Sie lächelte, ehrlich und voller Wiedersehensfreude, doch Melanie sah ihr an, dass ihr die letzten Tage seit der Ankunft ihrer Mutter zugesetzt hatten. „Wie ich sehe, bist du mit allen Ehren begrüßt worden.“

„Und ich habe schon alles über das Fußballteam erfahren.“ Melanie wuschelte Jacob durch die Haare. „Anscheinend hat er viel zu tun.“

„Das kannst du laut sagen.“ Abby breitete die Arme aus und umarmte sie fest. „Du hast mir gefehlt.“

„Du mir auch.“ Melanie hielt Abby einen Augenblick länger fest. Ein Teil von ihr wollte sich ihr öffnen, den Tränen freien Lauf lassen und ihr die Wahrheit sagen. Vielleicht sollte sie das wirklich tun. Vielleicht wüsste sie ja genau den richtigen Rat. „Ach, und nochmals herzlichen Glückwunsch. Ich freue mich so für euch!“

„Vielen Dank. Dylan ist ein wirklich toller Mann. Ich bin wahnsinnig glücklich, dass wir heiraten.“

Als Melanie die Umarmung löste, sah sie die Freude in Abbys Blick. Sie strahlte förmlich mit ihrem Verlobungsring um die Wette. Melanie konnte es einfach nicht. Wie hätte sie das Leuchten in Abbys Augen auslöschen können? Ihr sagen, dass ihre kleine Schwester, die sich endlich zusammengerissen und gefestigt hatte, alles auf den Kopf gestellt hatte?

Wieder einmal.

Den enttäuschten Blick, der folgen würde, konnte Melanie momentan nicht ertragen. Sie hatte gedacht, dass sie diese Zeiten endgültig hinter sich hätten, als Melanie von der Polizei nach Hause gebracht worden war, weil sie noch nicht volljährig gewesen war und getrunken, die Schule geschwänzt oder sich um drei Uhr nachts ins Haus geschlichen hatte.

Damals hatte Abby sich für ihre Schwester eingesetzt und immer wieder mit Melanie gesprochen und betont, wie wichtig es war, die Highschool mit einem Abschluss zu beenden, ein College zu besuchen, Arbeit zu finden und Verantwortung zu übernehmen. Es hatte einige Jahre gedauert, bis die Botschaft angekommen war, und selbst dann war Melanie manchmal immer noch vom Weg abgekommen, fast im Gefängnis gelandet und hätte beinahe eine Entscheidung getroffen, die ihr Leben komplett ruiniert hätte. Ewiger Teenager hatte Ma sie genannt, und vielleicht hatte sie damit recht. Aber Melanie hatte wirklich geglaubt, dass sie es nun geschafft hatte. Alles war perfekt – und dann war es das plötzlich nicht mehr gewesen. Denn mit neunundzwanzig Jahren war sie plötzlich allein, arbeitslos und vollkommen verloren.

„Erzähl, wie geht es Ma?“, fragte sie und fuhr gedämpft fort: „Treibt sie dich in den Wahnsinn?“

Abby seufzte. „Sie ist jetzt in Rente und langweilt sich. Sie erzählt allen, wie furchtbar ihr Leben ist. Ich liebe sie wirklich, Mel, aber …“

„… sie schafft es, jedem die gute Laune zu verderben?“

„Ganz genau.“ Abby lachte. „Na ja, jedenfalls macht sie gerade ein Nickerchen. Bis zum Essen sollte sie aber wieder herunterkommen.“

Das war Melanie nur recht. So hatte sie wenigstens noch etwas länger Zeit, bis Mutter und Schwester sie gemeinsam löchern würden. „Wie laufen denn die Hochzeitsvorbereitungen? Sag bitte nicht, dass du eine von den Bräuten bist, die selbst gemachte Marmelade in Gläschen abfüllt und die Ringe von einem geschmückten Zicklein zum Altar tragen lässt. Darüber habe ich mal eine Story geschrieben, und eines ist klar, ich markiere als Brautjungfer nicht die Ziegenhüterin.“

Lachend schob Abby ein Blech mit Keksen in den Ofen und rührte dann das Gemüse im Topf um, während Jake sich ins Wohnzimmer davonmachte. „Nicht ganz. Aber ich hoffe sehr, dass du mir etwas zur Hand gehst, denn der Caterer hat sich die Grippe eingefangen. Darum musste ich mir jetzt jemand anderes suchen, und die Band ist wie vom Erdboden verschwunden. Gott sei Dank unterstützt Meri Barlow mich. Sie ist unsere Hochzeitsfotografin und hat uns dabei geholfen, einen Ersatz zu finden. Ehrlich, eine Hochzeit zu planen ist anstrengender, als Kinder großzuziehen.“

„Na ja, zumindest musst du dir um mich keine Sorgen machen. Mir geht es gut. So gut wie noch nie.“ Von Angesicht zu Angesicht fiel ihr das Lügen fast genauso leicht wie auf Papier. Vielleicht sollte sie darüber mal einen Artikel schreiben. Allerdings arbeitete sie für kein Magazin mehr, bei dem sie eine Story wie Zehn Tipps, wie du deiner Familie dein Versagen verheimlichst veröffentlichen konnte.

„Wie geht es Adam?“

„Dem … dem geht es gut. Hat bei der Arbeit viel um die Ohren. Er will nächstes Mal wieder mitkommen.“ Ihren Ex-Mann hatte Melanie schon seit über einem Jahr nicht mehr gesehen, seit sie ihm im Richterzimmer gegenübergesessen und die Scheidungspapiere unterschrieben hatte. Er war mit seinem Blendax-Lächeln und dem Werbegesicht davongegangen und hatte sich nicht einmal umgedreht. Zuletzt hatte sie gehört, dass er mit Cheri, der 21-jährigen Empfangsdame seiner Agentur, in eine Eigentumswohnung gezogen war. Sie war eines dieser Mädchen, die i-Punkte als Herzchen malten und andauernd kicherten.

Melanie hatte ihrer Schwester und Mutter von der Scheidung erzählen wollen, doch sie hatte einfach nicht die richtigen Worte gefunden, vor allem, weil ihre Ma immer wieder davon geschwärmt hatte, wie stolz sie auf ihre verheiratete Tochter und Journalistin war. Da war es einfacher gewesen, so zu tun, als wäre alles in Ordnung, als zuzugeben, dass es bei ihr schon lange bergab ging und dass sie wieder die Versagerin der Familie war.

„Du musst nicht im Inn bleiben“, meinte Abby. „Jake kann in Codys Zimmer schlafen und Cody auf der Couch. Wird zwar etwas eng für die beiden, aber das sind Jungen, die kommen damit klar. Außerdem ist Cody wegen der Schule und seinem Job sowieso kaum hier.“

Wenn sie blieb, müsste sie ständig ihre Mutter sehen und täglich mit ihrer Schwester reden. Ihren Schwindel konnte sie jedoch nur für begrenzte Zeit aufrechterhalten. 24 Stunden am Tag schaffte sie das auf keinen Fall. Obwohl sie sich das Geld für das Inn kaum leisten konnte, war ihr klar, dass sie die Wahrheit nur so verstecken konnte. „Danke, Schwesterherz, aber ich muss sowieso arbeiten, also wäre ich die meiste Zeit auf meinem Zimmer, selbst wenn ich hierbleiben würde, und du hast doch bestimmt noch zig Sachen für die Hochzeit vorzubereiten.“

Abby musterte sie prüfend, doch Melanie hielt ihrem Blick stand und lächelte.

„Na gut, wenn du meinst. Aber falls du es dir doch anders überlegst, ist hier immer Platz für dich.“

„Vielen Dank. Du bist die Beste.“

Während die beiden den Tisch deckten, schlenderte Cody mit Dylan ins Zimmer. Als Melanie den Jungen zum letzten Mal gesehen hatte, war er ein mürrischer Teenager gewesen, der sich voller Wut aufs Leben komplett zurückgezogen hatte. Heute kam er lächelnd auf sie zu und umarmte seine Mutter und Tante freiwillig. „Hey, Tante Melanie, wie war die Reise?“

Sie schluckte die Überraschung hinunter. Cody unterhielt sich mit Erwachsenen? Von den Teenager-typischen Ängsten, die er beim letzten Besuch in New York gezeigt hatte, war nichts mehr zu erkennen. Stone Gap und Dylan hatten eindeutig einen guten Einfluss auf ihn. „Gut, danke. Ich habe gehört, dass du jetzt im Kinder- und Jugendtreff arbeitest.“

„Ja, Dylan lässt mich bei der Instandhaltung und dem Basketballprogramm helfen“, erklärte Cody voller Stolz und Aufregung. „Nächsten Monat wollen wir sogar eine Art Jobmesse veranstalten.“

„Er leitet den Treff schon fast allein“, erklärte Dylan grinsend und klopfte Cody auf die Schulter. Er war groß und schlank, hatte braune Haare und lächelte herzlich. Seine Liebe für Abby und die Jungs war offensichtlich, und auch Abby liebte ihn, das erkannte Melanie an ihrem Strahlen, sobald er ins Zimmer kam. Jeder Mann, der ihre Schwester so glücklich machte, wurde von Melanie sofort abgesegnet.

Cody errötete und schaute zu Boden. „Ich helfe doch nur aus.“

„Das machst du jedenfalls sehr gut.“

Während Melanie sich mit ihren Neffen und Dylan unterhielt, entschuldigte Abby sich kurz, ging in die obere Etage und kam kurz darauf wieder zurück. „Mel, Ma fühlt sich nicht besonders. Sie hat mich gebeten, dass du ihr gleich einen Teller hochbringst, damit ihr euch ein bisschen unterhalten könnt. Ich glaube, als wir heute in der Stadt spazieren waren, hat sie zu viel Sonne abbekommen. Wir haben Mittag gegessen und wollten noch bummeln, aber dann …“ Sie zuckte mit den Schultern.

„… hat Ma sich über die Sonne und den Lärm beschwert und aufgegeben?“, fragte Melanie. „Ich verstehe schon, Schwesterherz. Ich bring ihr was zu essen hoch.“

„Danke. Die letzten Tage waren wirklich stressig und jetzt … Wir warten aber mit dem Essen auf dich.“ Abby gab Melanie einen Teller mit Hühnchen, Gemüse und Kartoffeln, Besteck und eine Serviette. „Das erste Zimmer auf der rechten Seite.“

„Okay.“ Melanie schluckte kurz, dann ging sie die Treppe hinauf und wappnete sich innerlich gegen ihre schärfste Kritikerin.

Cynthia Cooper war eine starke Frau, das sagten alle, die ihr begegneten. Sie hatte zwei Mädchen allein großgezogen, nachdem deren Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, als Melanie noch ein Baby gewesen war, und jahrelang zwei Jobs gleichzeitig gehabt, um ihre Familie durchbringen zu können. Für Außenstehende war sie die Stärke in Person, für Melanie bedeutete es lediglich hohe Erwartungen ohne Herzenswärme.

Sie klopfte an und betrat das Zimmer. „Hi, Ma. Ich habe Abendessen für dich.“

„Wurde ja auch Zeit, dass du hochkommst und mich begrüßt.“ Ihre Mutter saß aufrecht im Bett. Obwohl sie schon Ende fünfzig war, sah sie dank regelmäßiger Yoga-Kurse, intensiver Hautpflege und stets akkuraten Stylings jünger aus. Die Haare hatte sie blond gefärbt, sie trug nur minimales Make-up und selbst im Bett Lockenwickler. Sogar ihr Pyjama war frisch gebügelt.

Melanie packte den Teller auf ein Betttablett, das auf dem Ottoman stand, und stellte ihrer Mutter dieses auf den Schoß. „Abby hat Hühnchen mit Kartoffeln und Gemüse gemacht. Riecht richtig gut.“

„Hoffentlich hat deine Schwester das Abendessen dieses Mal nicht anbrennen lassen. Gestern Abend war es kaum genießbar.“ Cynthia schüttelte den Kopf. „Manchmal habe ich das Gefühl, ihr beiden habt nichts von dem behalten, was ich euch beigebracht habe.“

Melanie verbiss sich ihre spontane Reaktion. „Nicht alle sind geborene Köche, Ma.“

„Ganz sicher nicht. Wahrscheinlich würdest du sagen, dass du eine geborene Lieferdienst-Kundin bist. Was für eine Verschwendung, vor allem, wenn man problemlos zu Hause essen kann.“

Da sie bei dieser Diskussion immer den Kürzeren zog, zwang Melanie sich zu einem Lächeln. „Wie geht es dir?“

„Furchtbar. Diese Hitze bringt mich noch um. Ich kann es kaum erwarten, wieder in Connecticut zu sein, da ist das Wetter wenigstens auszuhalten. Die Luft hier ist so drückend, dass ich kaum atmen kann.“

In North Carolina wurde es zwar manchmal heiß, doch heute waren es knapp 25 Grad bei leichter Bewölkung und geringer Luftfeuchtigkeit. In Mas Zimmer drehte außerdem ein Deckenventilator langsam seine Runden, und die leichte Brise ließ die offenen Vorhänge wehen. „Na gut, dann lasse ich dich jetzt mal in Ruhe essen“, sagte Melanie.

„Bleib doch noch.“ Ma klopfte neben sich aufs Bett. „Unterhalte dich ein wenig mit deiner Mutter. Du lebst zwar in einem Nachbarstaat, aber ich muss extra nach North Carolina reisen, damit ich dich endlich mal wiedersehe.“

Melanie setzte sich auf die Bettkante. Während ihre Mutter ein Stück Hähnchen aufspießte und aß, überlegte sie sich, was sie sagen konnte, ohne sofort Kritik zu ernten. „Abby freut sich schon richtig auf die Hochzeit, und Dylan scheint ein toller Mann zu sein.“ Wenn sie Mas Aufmerksamkeit auf ihre Schwester lenkte, dachte sie vielleicht nicht zu intensiv über Melanie nach.

„Ja, viel besser als der Loser, den sie beim ersten Mal geheiratet hat.“ Ma verzog das Gesicht. „Aber genug von Abby. Was hast du Neues zu erzählen? Bist du schon befördert worden? Das wäre wirklich an der Zeit. Du bist schließlich schon lange genug bei diesem Magazin.“

„Nein, noch keine Beförderung, aber mir geht es gut.“

„Und Adam? Was ist mit ihm? Wann schenkt ihr beiden mir endlich ein Enkelkind? Deine Schwester hat sogar schon zwei Kinder.“

„Ich weiß, wie viele Kinder Abby hat, Ma. Ich bin noch nicht so weit.“

„Ihr müsst euch aber langsam Gedanken darüber machen. Du wirst schließlich nicht jünger.“

Melanie stand auf und zwang sich erneut zu einem Lächeln. „Wenn wir uns weiter unterhalten, wird dein Essen kalt. Wir sehen uns später.“

Am besten in zehn Jahren … Sie verließ hastig das Zimmer und ging wieder hinunter.

Seit ihrer Geburt hatte sie immer Abby nachgeeifert, doch wenn ihre Mutter die Wahrheit kennen würde, würde sie niemals an ihre Schwester heranreichen, da diese einfach immer alles schaffte.

Zurück im Esszimmer empfing sie das fröhliche Geplapper von Jake. Der Raum war erfüllt von Familienglück.

Obwohl Melanie sich wirklich für ihre Schwester freute, die nach der Scheidung von ihrem Höllen-Ex einen tollen Mann verdient hatte, war sie auch ein wenig neidisch. Vielleicht hätte es mit ihr und Adam ja funktioniert, wenn sie Kinder bekommen hätten …

Doch das waren nur Hirngespinste. Unproduktive und dumme noch dazu. Adam hatte sich als selbstverliebtes, verlogenes Arschloch herausgestellt. Sie hätte schon aus seinem Beruf als Model schließen können, dass er eher narzisstisch als mitfühlend veranlagt war, und wenn sie Kinder bekommen hätten, wäre sie ihr Leben lang an ihn gebunden gewesen.

So oder so, Adam gehörte nicht mehr zu ihrem Leben, und wenn er mit Cheri oder Shari, oder wie auch immer sie hieß, zusammenblieb, würden sie ihren Babys wahrscheinlich Namen geben, deren i-Punkte aus Herzchen bestanden.

Doch damals, mit achtzehn, hatte sie sich eine Zukunft mit Babys und Ehemann vorgestellt. Mit einem völlig anderen Mann als dem den sie geheiratet hatte, einem, der ihr das Gefühl gegeben hätte, die einzigartigste Frau der Welt zu sein.

„Melanie, was meinst du dazu?“

Sie konzentrierte sich wieder auf Abbys Frage. „Entschuldigung, ich war in Gedanken.“

Ihre Schwester lachte. „Wahrscheinlich wieder ganz bei der Arbeit. Wie läuft es denn so? Auf dem Markt habe ich die letzte Ausgabe von City Girl gesehen und nach einem Artikel von dir gesucht, aber da war keiner drin.“ Sie wandte sich an Dylan. „Melanie schreibt für ein Frauenmagazin. Ich bin so stolz auf sie, denn sie macht genau das, was sie schon immer tun wollte.“

„Ja, ganz genau.“ Arbeitslos und eine Karriere voller hirnloser Artikel – davon träumte doch jedes Mädchen, oder? Seit sie einen Stift hatte halten können, hatte Melanie geschrieben. Einst hatte sie davon geträumt, wichtige Artikel zu verfassen, die man lesen und beachten würde. Aber 750 Wörter über den besten Concealer würde sie nicht gerade als wichtig betiteln. Nach dem College hatte sie die erste Stelle angenommen, die ein sicheres Einkommen garantiert hatte, und sich eingeredet, dass sie das glücklich machte. Zumindest bis zum Vorjahr war es auch so gewesen.

„Für die letzte Ausgabe habe ich nichts geschrieben, weil ich, äh, gerade für eine größere Sache recherchiere.“ Sie recherchierte eine Stelle, die einer arbeitslosen Journalistin genug einbrachte, um die Miete in New York zahlen zu können. Melanie hatte nämlich beinahe ihre gesamten Ersparnisse aufgebraucht. Sie musste sich die Stelle bei dem seriösen Online-Magazin bis zum Monatsende sichern, sonst würde es in naher Zukunft nur noch Ramen-Nudeln geben. Der Redakteur hatte ihr die Stelle zugesichert, wenn sie etwas vorlegte, das eine Veröffentlichung wert war, doch bisher hatte Melanie noch nichts gefunden, das seinen Vorstellungen entsprach.

„Schade, dass du nicht hier lebst.“ Dylan nahm sich noch einmal vom Hühnchen. „Saul Richardson, der Herausgeber der Stone Gap Gazette, hat nämlich gerade seinen einzigen Journalisten verloren. Er ist nicht mehr der Jüngste und vollkommen damit überfordert, dass er alle Artikel selbst schreiben und sich um Layout, Druck und Vertrieb kümmern muss. Ersatz sucht er schon länger, aber bisher hat er niemand Passenden gefunden.“

Melanie horchte auf. Wenn man die Größe der Stadt bedachte, hatte die Stone Gap Gazette wahrscheinlich ein deutlich geringeres Budget als den Millionen-Dollar-Etat von City Girl. Andererseits waren die Lebenshaltungskosten in dieser Kleinstadt in North Carolina garantiert deutlich niedriger. Sie interessierte sich zwar für keine langfristige Anstellung, aber vielleicht konnte sie in den nächsten beiden Wochen so ja etwas verdienen, zumindest bis nach der Hochzeit, wenn Abby auf Hochzeitsreise ging. So könnte Melanie sich etwas Zeit verschaffen, um die besondere Story zu finden, die der andere Redakteur erwartete. „Vielleicht lässt er mich ja den einen oder anderen Artikel schreiben. Wäre doch nett, in der Zeit hier auch etwas zu verfassen.“

Abby schnitt Jacob ein großes Stück Hähnchen in mundgerechte Stücke. „Es wäre ziemlich cool, wenn hier in der Tageszeitung ein Artikel von meiner Schwester erscheinen würde. Dann würde ich hundert Zeitungen kaufen und überall mit dir angeben!“

Melanie errötete. Sie hatte gewusst, dass ihre Schwester das Magazin manchmal kaufte, denn sie schrieb ihr dann eine Textnachricht oder E-Mail zu den neuesten Artikeln. Doch ihr war im Traum nicht eingefallen, dass Abby, die Erfolgreiche und Vernünftige, so stolz auf sie war. „Danke, Abs.“

„Ich freue mich einfach riesig, dass du da bist. Dass du so lange freibekommst, hätte ich nie gedacht. Adam vermisst dich bestimmt wahnsinnig. Adam ist Mels Mann“, erklärte sie Dylan.

„Ich würde es keine acht Stunden ohne Abby aushalten, von acht Tagen ganz zu schweigen.“ Zärtlich schaute er seiner Verlobten in die Augen. „Aber ich bin auch noch immer total verknallt in sie.“

„Ey, Leute, hier am Tisch sitzen Kinder“, motzte Cody grinsend.

„Eines Tages wirst du genauso für ein Mädchen schwärmen, Cody.“

Der Junge betrachtete seine Mutter und seinen zukünftigen Stiefvater. „Ja, vielleicht.“

Bei so viel Familienglück fühlte es sich schrecklich an, alle anzulügen, doch Melanie konnte nicht anders, sie wusste nicht, wie sie das Netz aus Lügen, das sie in den letzten beiden Jahren gesponnen hatte, entwirren konnte. Immer wieder hatte sie verlogene Geschichten darüber erzählt, wie glücklich sie mit ihrem Mann war, und über ihre Erfolge im Job. All das war ihr irgendwann über den Kopf gewachsen, und sie hoffte, dass sie die Stadt bereits verlassen hatte, wenn es herauskam.

„Ich sollte langsam zum Inn fahren und einchecken“, verkündete Melanie, stand auf und nahm ihren halb leeren Teller mit. „Tut mir leid, dass ich so schnell wieder wegmuss, Abs, aber ich muss heute Abend noch an einem Artikel arbeiten.“

„Ach, wie schade, dass du schon gehst.“ Abby nahm ihr den Teller ab und umarmte sie. „Aber wir haben ja noch die ganze Woche Zeit zum Reden, und das wird mir guttun, bei dem ganzen Stress mit Ma und den Hochzeitsvorbereitungen. Ich will ganz viel Zeit mit dir verbringen, Schwesterchen, und du musst mir von all deinen Abenteuern in New York erzählen, von den verrückten Leuten, die du interviewt hast, und wie dich dein Ehemann auf Händen trägt.“

Melanie verging beinahe das Lächeln. „Das klingt toll!“ Zumindest würde es interessant werden. So als würde sie einen Roman lesen, ohne vorher den Klappentext zu kennen – sie hatte keine Ahnung, wie sich die Geschichte entwickeln würde.

2. KAPITEL

Die Comeback Bar lag in einer kleinen Seitenstraße im Zentrum von Stone Gap. Aus der offenen Tür dröhnte Country-Musik. Das klang einladend, obwohl das Lokal von außen aussah, als bräuchte es selbst ein Comeback. Die graue Verkleidung war verblasst und aufgesprungen, und am Schild über der Tür fehlten einige Buchstaben.

Vielleicht war diese Idee also doch nicht so gut, wie Melanie gedacht hatte. Doch da Stone Gap nicht besonders groß war, hatte sie keine andere Wahl. Am Strand lag das Sea Shanty, ein Restaurant, das nur freitagabends länger geöffnet hatte, und dann gab es die Comeback Bar. Auf jeden Fall war es besser, sich hier einen Drink zu genehmigen, als allein und voller Selbstmitleid in ihrem Zimmer zu sitzen. Das hatte sie nach ihrer Ankunft schon getan und vielleicht eine Stunde lang ausgehalten.

Melanie schlüpfte in die Bar. Noch immer waren es über zwanzig Grad, ein warmer Abend für Ende September, aber sie hatte trotzdem eine leichte Jacke dabei, da sie eher an die kühlen New Yorker Temperaturen gewöhnt war. Den Cardigan legte sie neben sich auf den Hocker, dann setzte sie sich an den Tresen aus lackiertem Eichenholz.

„Hi, ich bin Al, was darf ich Ihnen bringen?“, fragte ein korpulenter Typ und schob ihr einen Papieruntersetzer hin. Hinter ihm stand auf einer Schiefertafel eine schöne Auswahl an Craftbier. Melanie entschied sich für ein Orangen-Weizen.

„Kommen Sie von außerhalb?“

„Ich bin bei meiner Schwester zu Besuch. Woher wissen Sie das?“

„Diese Stadt ist ein Nest. Wenn Leute in meine Bar kommen, die ich nicht kenne, sind sie in neunundneunzig Prozent der Fälle von außerhalb. Übernachten Sie im Inn?“

„Ja, ich habe vorhin eingecheckt.“ Da das Stone Gap Inn wortwörtlich die einzige Möglichkeit im Umkreis von dreißig Kilometern war, hatte Melanie keine Wahl gehabt. Außerdem gefiel ihr das Inn mit seinem Südstaaten-Charme und der Aussicht auf saftig grüne Hügel. Besonders mochte sie Della Barlow und Mavis Beacham, die Inhaberinnen, die genau so herzlich und freundlich wie das Inn selbst waren. Die beiden hatten das Gebäude vor etwas über einem Jahr gekauft und es von Grund auf renoviert. Trotz der modernen Einrichtung war der Charakter der Vorbürgerkriegsvilla mit ihren historischen Elementen beibehalten worden. Alles wirkte wie im Film.

„Im Inn wird es Ihnen gefallen. Della und Mavis machen das großartig. Sie holen ganz unterschiedliche Menschen in unsere Stadt. Gut für sie, gut für Stone Gap und gut für mich.“ Al grinste. „Schau einer an, da kommt gerade unser neuester Einwohner auf Zeit. Ist erst seit ein paar Tagen hier und schon ein echter Held!“

Melanie drehte sich auf dem Barhocker um … und erstarrte.

Etwa anderthalb Meter von ihr entfernt stand Harris McCarthy, erwachsen und wahnsinnig gut aussehend. Sie hatte ihn mindestens elf Jahre lang nicht gesehen, seit er ihr das Herz zerfetzt hatte. Die beiden waren gemeinsam in Connecticut aufgewachsen und zur Highschool gegangen, zwei Jahre lang ein Paar gewesen und hatten kurz vor ihrem Abschluss von einer gemeinsamen Zukunft geträumt. Doch dann hatte er ohne Vorwarnung mit ihr Schluss gemacht … genau an dem Tag, an dem sie ihn am meisten gebraucht hätte. Er hatte nicht auf sie hören oder die Wahrheit glauben wollen, sondern einfach Schluss gemacht und war gegangen. Damals hatte sie sich geschworen, dass sie ihm niemals vergeben und dass sie ihr Herz vor seinem Lächeln verschließen würde – allerdings hatte sie auch nicht erwartet, dass er sie jemals wieder anlächeln würde. Was zum Teufel machte er ausgerechnet hier?

Doch dann erinnerte sie sich daran, was Abby ihr vor einigen Monaten am Telefon erzählt hatte. Harris war nun ein Bauunternehmer für Massiv-Holzhäuser, und man hatte ihn damit beauftragt, einem Baseballspieler in North Carolina ein Haus zu bauen. Aber das war doch schon im letzten Jahr gewesen, oder?

„Ich glaube, ich sehe nicht recht, Melanie Cooper?“ Harris grinste sie an. „Du meine Güte, wie lange ist das jetzt her?“

„Eine ganze Weile.“ Elf Jahre, drei Monate und zwei Tage. Nicht, dass sie zählte, auch wenn sie an jenem Tag geglaubt hatte, dass sie sich nie davon erholen und nie darüber hinwegkommen würde. „Meine Schwester hat erzählt, dass du hier in der Stadt ein Haus baust.“

„Ja, das war im letzten Jahr. Das Projekt ist so gut gelaufen, dass ich … na ja, dass mir noch einige andere Leute Angebote gemacht haben. Also bin ich wieder im Lande und wollte mir gerade ein Bier genehmigen.“ Wieder grinste er, und der Teil von Melanie, der die Vergangenheit ignorieren wollte, schmolz dahin.

Harris hatte ein hübsches Lächeln – das hatte er immer gehabt, und er lächelte gern und oft. Er war ein Charmeur gewesen, Klassensprecher und Captain des Football-Teams, aber tief in seinem Innern war der Harris, den sie gekannt hatte, eher schüchtern und introvertiert gewesen. Mit Stift und Skizzenblock hatte er sich viel wohler gefühlt als mit einem Football.

„Ich bin überrascht, dass du unter die Bauunternehmer gegangen bist. Ich dachte, du würdest Steuerberater werden.“

„Das war der Traum meines Vaters, nicht meiner. Ich bin glücklicher, seit ich selbstständig arbeite.“

Warum sprach sie überhaupt mit ihm? Was interessierte sie seine Berufswahl? Aber Melanie musste zugeben, dass Harris sich als Bauunternehmer viel besser eignete, denn er sah überhaupt nicht wie ein typischer Steuerberater aus. Harris war knapp einen Meter neunzig groß, die glatten, dunkelbraunen Haare fielen ihm manchmal ins Gesicht und noch immer hatte er den Körperbau eines Quarterbacks, schlank und muskulös.

„Bist du wegen Abbys Hochzeit hier?“, fragte er.

Melanie schaute ihm nachdenklich ins Gesicht und versuchte, zu ignorieren, wie sich sein Pullover an der Brust spannte oder die Jeans sich an seine Beine schmiegte. „Woher weißt du, dass meine Schwester heiratet?“

„Harris kennt alle in Stone Gap.“ Al legte auch ihm einen Papieruntersetzer hin. „Nach Dienstagabend kennen nun auch fast alle seinen Namen.“

Harris’ Gesichtsausdruck war jetzt nicht mehr freundlich und offen, sondern distanziert und verschlossen. „Al, machst du mir ein kühles Helles?“

„Klar.“ Al zapfte das Bier und gab es ihm. „Bitte schön. Geht aufs Haus. Du solltest ihr die Geschichte erzählen, Harris. Was du getan hast …“

„… ist getan und muss nicht weiter besprochen werden.“ Er prostete Al zu. „Danke für das Bier, aber natürlich bezahle ich es.“

Egal, was Harris Heldenhaftes getan hatte, offensichtlich wollte er nicht darüber sprechen. Das machte die Journalistin in Melanie unwillkürlich neugierig. Sie spürte, dass dahinter eine Story steckte, um die sich Redakteure reißen würden.

Vielleicht eine, mit der eine arbeitslose Journalistin für Frauenmagazine einen Neuanfang schaffen könnte.

„Ich würde die Geschichte sehr gern hören“, sagte Melanie darum und zeigte auf den Hocker neben sich. „Falls du darüber reden willst.“

„Nein, das will ich ganz und gar nicht. Aber wir können gern über irgendetwas anderes reden.“ Er deutete auf ihren Cardigan. „Erwartest du noch jemanden?“

Irgendwo tief im Innern hatte sie gehofft, einen Funken Eifersucht in Harris’ Gesicht zu entdecken, doch da war nichts. Warum interessierte es sie überhaupt, was er davon hielt, ob sie allein hier war oder auf ihren jetzt nur noch imaginären Ehemann wartete? Sie hatte ihn überwunden. Voll und ganz.

„Im Augenblick sitzt dort niemand“, antwortete Melanie möglichst vage. Sollte er doch denken, was er wollte. Sie nahm ihren Cardigan und legte ihn sich auf den Schoß.

Harris setzte sich und drehte sich zu ihr. „Wirklich schön, dich hier zu sehen. Erzähl mal, wo du die letzten Jahre gewesen bist, Mellie.“

Niemand außer ihm hatte sie jemals Mellie nennen dürfen. Diesen Spitznamen hatte er ihr kurz nach dem ersten Date gegeben, und dabei war es geblieben. Als sie sich zum ersten Mal geliebt hatten, hatte er ihn ihr ins Ohr geflüstert, und zum letzten Mal hatte sie ihn gehört, als er ihr mit brüchiger Stimme gesagt hatte, dass es vorbei war. Mellie ging ihr daher durch Mark und Bein … erinnerte sie an heimliche Küsse auf dem Flur vor dem Chemiesaal … wie sie einmal gemeinsam die Schule geschwänzt und einen wunderbaren Frühlingsnachmittag verbracht hatten … und an lange Nächte unterm Sternenhimmel.

Melanie trank einen Schluck Bier und zögerte mit ihrer Antwort, bis sie die Erinnerungen vertrieben hatte und wieder in der Gegenwart angekommen war. Bei einer Band, die über eine verlorene Liebe sang, und einem Mann, der nicht mehr in ihre Welt gehörte. „Ich arbeite bei einem Magazin in New York.“

„Du schreibst? Das ist toll!“ Zufrieden nickte er. „Das ist der perfekte Beruf für dich. Deine Englisch-Aufsätze waren einfach klasse. Erinnerst du dich noch an die Arbeit über den Bürgerkrieg, die du geschrieben hast? Die war großartig.“

„Daran erinnerst du dich?“

„Ich erinnere mich an vieles aus dieser Zeit, Mellie.“

Sie konzentrierte sich wieder auf ihr Bier, doch ihr Herz klopfte laut, und sie fragte sich, ob Harris’ Küsse über die Jahre noch heißer, intensiver oder vielleicht eher sanfter geworden waren. Was war bloß los mit ihr? Dieser Mann hatte ihr in jenem Sommer das Herz gebrochen. Hör auf, mit ihm zu reden. „Und du? Was hast du so getrieben?“

„Ich bin aufs College gegangen, habe den Abschluss als Buchhalter gemacht, den mein Vater von mir erwartet hat, und danach zwei Jahre in der Zentrale von PMA in Greenwich gearbeitet.“

Melanie nickte verständnisvoll. Genau dieses Leben hatte sie sich für ihn vorgestellt – dass er in der wahnsinnig erfolgreichen Firma schuften würde, die sein Vater aus einem Ein-Mann-Buchhaltungsbüro in ein landesweit tätiges Unternehmen verwandelt hatte. „Die machen Steuern oder so was, richtig?“

„Ich habe bei der Unternehmensberatung gearbeitet“, erklärte Harris. „Das ist aber eigentlich nur ein anderer Name dafür, dass man großen Unternehmen dabei hilft, kleine Firmen zu übernehmen, Wettbewerber zu eliminieren und den Profit zu steigern. Ich habe jede Sekunde, die ich dort gearbeitet habe, gehasst.“ Er lachte bitter. „Irgendwann habe ich angefangen, nach Feierabend auf Baustellen zu arbeiten, und ich hatte Spaß daran, etwas mit den Händen zu machen. Der Typ, für den ich gearbeitet habe, hat mich schließlich ermutigt, eine Gewerbelizenz zu beantragen, und an dem Tag, an dem ich das getan habe, bin ich zu meinem Vater ins Büro gegangen, habe gekündigt und den Sprung ins kalte Wasser gewagt.“

„Wow, das war ganz schön mutig.“ Aber es überraschte sie nicht, denn beim Football hatte er das Team zwei Jahre in Folge zum Sieg geführt.

„Mir ist klar geworden, dass ich in meinem Leben nichts bereuen will“, sagte Harris. „Nachdem ich bei meinem Vater angefangen hatte, bin ich mir noch sicherer geworden, dass ich nicht so wie er werden will … so bitter und voller Zorn auf die Welt.“ Er klang traurig. „Na ja, jetzt weißt du eigentlich alles über mich. Heute habe ich das große Glück, dass ich mit einer Arbeit, die ich liebe, gutes Geld verdienen kann.“

„Das ist toll. Das freut mich sehr für dich.“ Hau endlich ab. Stell keine weiteren Fragen, und schau ihm bloß nicht auf die linke Hand.

„Danke. Hast du geheiratet? Kinder bekommen?“

„Keine Kinder, und ja, ich habe geheiratet.“

Kurz wanderte sein Blick auf ihren nackten Ringfinger. „Und hast die Ehe wieder beendet, wie ich sehe.“

Melanie könnte ihn anlügen und sich irgendeine Geschichte ausdenken, dass Adam ihr einen neuen Ring besorgen wollte, doch sie war die Lügen leid. Schon bei ihrer Schwester waren sie ihr schwergefallen, und nun, bei Harris, den sie wahrscheinlich sowieso nie wiedersehen und der garantiert nicht mit ihrer Schwester reden würde, schienen sie unnötig. „Ja, vor einem Jahr, aber ich habe es meiner Familie noch nicht gesagt. Ich wollte nicht von Abbys Glück ablenken.“ Japp, deswegen log sie ihrer Schwester lieber mitten ins Gesicht. „Und du?“

Auch er trug keinen Ring. Also gab es keine Frau, mit der Harris ein prächtiges Anwesen teilte?

„Ich war einmal kurz davor, aber ich habe keine Frau und auch keine Kinder.“

War einmal kurz davor. Welche Frau hatte beinahe für immer sein Herz erobert? „Wie lange bleibst du in Stone Gap?“

„Bis mein aktuelles Projekt abgeschlossen ist, also vielleicht noch … ein paar Wochen oder so. Das ist das Tolle an meiner Arbeit. Flexible Arbeitszeiten und Arbeitsorte.“ Er trank einen Schluck Bier und überlegte. „Ich könnte dir die Stadt zeigen. Ist echt nett hier. Hat mir schon beim ersten Mal gefallen.“

„Nein, danke.“ Sie wandte sich wieder ihrem Bier zu und trank einen großen Schluck. Je schneller sie es austrank, desto früher konnte sie gehen. „Ich habe in den nächsten Tagen viel zu tun. Ich helfe Abby bei den Hochzeitsvorbereitungen und muss nebenher noch arbeiten. Du weißt ja, wie das mit Abgabefristen ist. Immer unter Strom.“

Anscheinend hatte sie mit den Lügen doch noch nicht abgeschlossen.

Harris schob ihr über den Tresen eine Karte zu. „Hier ist meine Handynummer. Ruf mich an oder schreib mir, wenn du zwischen der Kuchenauswahl und dem Dekobasteln mal Zeit hast, oder was ihr Brautjungfern noch so tut. Ich würde dich wirklich gern wiedersehen, Mellie.“

Melanie steckte die Karte ein und stand hastig auf. Wenn sie noch länger blieb, würde sie der Alkohol, der ihr schon zu Kopf stieg, vielleicht noch zu Dummheiten verleiten. Die hatte sie mit Harris nämlich zuhauf begangen. „Lass dir dein Bier schmecken. Vielleicht sehen wir uns ja mal in der Stadt.“

Er grinste. „Ganz bestimmt sehen wir uns, und wahrscheinlich sogar schon bald.“

Melanie schüttelte den Kopf. „Ich habe echt viel um die Ohren, Harris, das glaube ich daher kaum.“

„In Stone Gap gibt es nur eine Unterkunft.“ Er hielt inne, bis die Bedeutung seiner Worte bei ihr angekommen war. „Das heißt, du und ich wohnen beide im Inn.“

Diese dumme Kleinstadt. Warum gab es hier kein heruntergekommenes Motel oder eine zweite Pension? Sie würden sich also zweifellos auf dem Flur oder beim Frühstück begegnen. Aber damit könnte sie umgehen. Sie würde seinem Mellie-Zauber nicht verfallen, nicht noch einmal! „Gute Nacht, Harris.“

Gerade als sie gehen wollte, streckte er den Arm nach ihr aus. Sofort waren die soeben gefassten Vorsätze vergessen.

„Geh noch nicht, Mellie. Trink noch ein Bier. Wir können uns unterhalten, so wie früher.“

Sie zögerte, doch dann riss sie sich zusammen. „Ich bin nicht hier, um in Erinnerungen zu schwelgen, Harris. Außerdem waren die alten Zeiten nicht immer so gut, wie man vielleicht denkt.“

Melanie schlüpfte in ihre Jacke, sodass er sie loslassen musste, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und ging hinaus in die warme Nacht, die ihr plötzlich deutlich kälter und dunkler vorkam.

Die Uhr auf Harris’ Nachttisch zeigte schon nach Mitternacht. Er massierte sich die Schläfen. Er hatte zu lange über seinem Laptop gebrütet, doch in Gedanken war er überhaupt nicht bei der Arbeit gewesen. Immer wieder hatte er an Mellie gedacht, und daran, wie wunderbar sie war und wie gern er sie geküsst hätte … und wie wenig Interesse sie daran gezeigt hatte, mit ihm zu reden und in seiner Nähe zu sein. Natürlich hatten sie sich schon vor langer Zeit getrennt und waren schrecklich auseinandergegangen, doch kurz hatte er geglaubt, in ihrem Blick etwas aufflackern zu sehen. Genau das, was er gefühlt hatte, als er sie erkannt hatte.

Es war zwar über zehn Jahre her, dass sie zusammen gewesen waren, doch als er Mellie gesehen hatte, war es ihm so vorgekommen, als wäre es gestern gewesen.

Nun schlief sie ein paar Türen weiter, und er konnte sich nicht konzentrieren. Er hatte gehofft, sie zu sehen, als er aus der Comeback Bar zurückkehrte, doch sie war schon zu Bett gegangen, denn kein Lichtschein war unter ihrer Zimmertür zu sehen gewesen. Mavis, die gesellige Afroamerikanerin, die im Inn die Nachtschicht übernahm, hatte Harris gesagt, dass Melanies Zimmer zwei Türen von seinem entfernt lag. So nah und doch so fern, wenn man bedachte, dass sie sich beim Abschied vor wenigen Stunden nicht einmal umgedreht hatte.

Harris stand auf, streckte sich, schaute ein letztes Mal auf seinen Computer und klappte ihn dann zu. Mit dem Versuch zu arbeiten, verschwendete er nur seine Zeit, und das Wiedersehen mit Mellie war nur ein Grund dafür. Ihm gingen noch andere Dinge durch den Kopf.

Harris machte sich auf den Weg nach unten, um sich mit einem Snack die Zeit zu vertreiben, bis er müde wurde und all das verdrängen konnte, was er bereute.

Über dem Waschbecken in der Küche brannte noch Licht und hüllte den Raum in einen warmen Goldton. Der Rest der Welt erschien Harris still und dunkel, ruhig und verzaubert. Diese Nachtstunden liebte er, denn sie versprachen, dass in Kürze etwas Neues beginnen würde. Neuanfänge und die Stunde null. An solche Dinge glaubte Harris, denn irgendjemand in seiner Familie musste es ja tun.

Er nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank und ging dann nach hinten auf die Terrasse. Dort standen zwei Adirondack-Sessel mit Blick auf den wunderschönen Garten, die grünen Hügel dahinter und einen Teil des Stone-Gap-Sees in der Ferne. In der Dunkelheit schien alles undeutlich und verschwommen, nur das Mondlicht über dem See war klar zu erkennen.

Noch immer hing der Geruch von Rauch, verbranntem Holz und einem zerstörten Lebenswerk in der Luft, und das schon seit einigen Tagen – seit seiner sogenannten Heldentat. Wenn er die Augen schloss, war er wieder dort … in diesem zweistöckigen Haus, in dem alles verraucht war, die Flammen rauschten und über seinem Kopf die Holzbalken zersplitterten. Immer wieder hörte er die Schreie, die langsam immer leiser wurden, von Husten unterbrochen und doch voller Verzweiflung, als das Haus nach und nach einstürzte. Wäre er nur zwei Minuten später gekommen …

Doch das war er nicht, und dafür war er Gott sehr dankbar. Genau wie die Familie Kingston. Die gesamte Familie hatte wahnsinniges Glück gehabt, dass er so schnell da gewesen war. Den gelallten Anruf von John, der ihn besorgt und dazu veranlasst hatte, mitten in der Nacht quer durch die Stadt zu rasen, hatte Harris nie jemandem gegenüber erwähnt.

Weder die Kingstons noch er wollten, dass die Geschichte in den Medien breitgetreten wurde. Er hatte John Kingston versprochen, dass er alles dafür tun würde, die privaten Probleme der Familie aus der Öffentlichkeit rauszuhalten. Wenn die Nachrichtensender von der Geschichte erfuhren, würden sie mit Sicherheit die Hintergründe erforschen, und das konnte Harris sich nicht leisten, denn das würde alles zerstören, was er bisher erreicht hatte, und alles, was er noch tun wollte.

John und seine Familie waren inzwischen bei Verwandten in Sicherheit. Seine Frau Catherine und die drei Kinder hatten bereits genug durchgemacht, darum hatte Harris die Medien abgewimmelt und alles so weit wie möglich heruntergespielt. Er hatte John kennengelernt, als er im letzten Jahr für einen anderen Bauauftrag in der Gegend gewesen war und für einen Haarschnitt in dessen Salon vorbeigeschaut hatte. Sie hatten sich unterhalten und waren schließlich Freunde geworden. John war für ihn da gewesen, als er vom Tod seiner Mutter erfahren hatte, und hatte ihn aus seinem Zimmer im Inn gezerrt, als er seinen Kummer am liebsten einfach im Alkohol ertränkt hätte.

Doch Harris hatte auch andere Geheimnisse, die er ihm nicht erzählt hatte, denn es sollten nicht noch mehr Menschen in das Drama der Familie McCarthy hineingezogen werden. Je weniger man ihn mit seinem Vater in Verbindung brachte, desto besser. Viel zu lange hatte Harris’ Vater versucht, jede Entscheidung in seinem Leben zu kontrollieren, deshalb wollte er möglichst viel Distanz aufbauen.

Doch nun war eine Erinnerung an die Vergangenheit erneut in sein Leben getreten.

Wie aufs Stichwort öffnete sich hinter ihm die Tür, und Melanie trat auf die Veranda. Sie trug eine Pyjamahose aus Flanell und dazu ein T-Shirt, das nur bis zur Kordel des Hosenbunds reichte und ihren Bauch hervorblitzen ließ. Hübsch. Sehr hübsch.

„Kannst du auch nicht schlafen?“

Melanie zuckte zusammen. „Harris, ich habe dich gar nicht gesehen.“

Er wollte mehr über ihr Leben erfahren, darum zeigte er auf den zweiten Sessel. „Setz dich doch zu mir. Es ist eine wundervolle Nacht.“

„Ich glaube nicht …“

„Hey, du kannst nicht schlafen, und ich kann nicht schlafen. Lass uns über total langweilige Sachen reden und Kamillentee trinken.“

Melanie lachte. „Du trinkst Kamillentee?“

„Natürlich nicht. So was würde meine Oma tun. Ich wähle Männermedizin gegen Schlaflosigkeit.“ Er hob die Bierflasche hoch.

„Ah, eine sehr gute Idee.“ Kurz überlegte sie, dann ließ sie sich neben ihn in den Sessel fallen. „In Ordnung, ich bleibe, aber nur, weil die Aussicht so schön ist.“

„Da muss ich dir zustimmen.“

Mit großen Augen schaute Melanie ihn an. „Du tust die ganze Zeit so, als wären wir Freunde, aber soweit ich mich erinnere, waren wir das ganz und gar nicht.“

„Stimmt schon.“ Ihre Beziehung hatte mit einem Knall geendet. Sein Vater hatte ihm gesagt, dass er Melanie mit einem anderen Mann beobachtet hatte. Harris hatte ihm nicht glauben wollen, doch dann hatte er gesehen, dass sie schluchzend in den Armen eines anderen gelegen hatte. Als Harris sie darauf angesprochen hatte, hatte sie es nicht abgestritten. Sie hatte nur geweint und immer wieder gesagt, dass es nicht so war, wie er dachte, doch die Umarmung, die er gesehen hatte, hatte etwas anderes erzählt. Mit einem Ring in der Tasche hatte er dagestanden und zugesehen, wie sein ganzes Leben aus den Fugen geraten war.

Die Trennung hatte Harris beinahe um den Verstand gebracht. Er war jung und verliebt gewesen, und als sie ihm nun so nah war, kamen all die Gefühle, die er vor Jahren verdrängt hatte, wieder hoch.

„Es tut mir leid, wie alles zu Ende gegangen ist“, entschuldigte er sich. Er war ein jähzorniger Teenager gewesen und hatte ihr nicht zuhören wollen. Im Grunde hatte er sie nur angeschrien und war dann abgezogen. „Ich hätte besser damit umgehen können.“

Melanie winkte ab. „Das ist egal. Vergeben und vergessen.“

„Ist es das?“

Sie wandte den Blick ab. „Wir sind seit über zehn Jahren getrennt. In der Zwischenzeit hatten wir beide andere Beziehungen, und ich habe geheiratet …“

„… und dich scheiden lassen.“ Harris frage sich, welcher Mann Mellie gehen lassen würde, doch dann erinnerte er sich daran, dass er ja genau dasselbe getan hatte.

Melanie stand auf, schaute über den See und wandte ihm den Rücken zu. „Seitdem haben wir uns verändert, andere Wege, andere Interessen verfolgt und andere Menschen kennengelernt. Was auch immer in der Highschool zwischen uns war, liegt schon lange hinter uns.“

Harris stand auf und stellte sich neben sie. Sie drehte sich etwas, wich aber nicht zurück. Erneut sah er die Haut unter ihrem T-Shirt aufblitzen, dann schaute er ihr ins Gesicht. Sie sah noch immer wunderschön aus, sogar mit dem einfachen Pferdeschwanz und ungeschminkt. Er hatte sie vermisst, mehr als ihm bewusst gewesen war, bis er sie auf diesem Barhocker gesehen hatte. Hatte sie ihn aus jugendlicher Unreife betrogen, genau wie er damals überreagiert hatte? Oder hatte mehr dahintergesteckt? Hatte ihr ihre Beziehung jemals so viel bedeutet wie ihm? „Tut es das?“

Wieder wandte sie den Blick ab. „Harris, das hat keinen Zweck.“

Mit einer Hand drehte er ihr Gesicht in seine Richtung. Dann ließ er sie genauso schnell wieder los. Was tat er da? „Entschuldige. Ich … ich möchte einfach nicht, dass das zwischen uns steht.“

„Wir haben uns versöhnt. Jetzt können wir mit gutem Gewissen schlafen gehen.“

Wenn es doch wahr wäre. Noch immer quälte ihn sein Gewissen wegen der Handlungen seines Vaters, des Leids seiner Mutter und der zahlreichen Konsequenzen. Harris trank einen Schluck Bier und lehnte sich an das Geländer der Veranda.

„Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich bin noch nicht müde. Ich liebe diese Stunden.“

„Daran erinnere ich mich noch.“

Dachte sie auch an diese Zeit zurück, und erinnerte sie sich an die langen Waldspaziergänge und die Nachmittage am Fluss? Wie sie mit wenigen Worten seinen Tag zum Guten hatte wenden können? Er hatte sie wirklich geliebt. Warum hatte sie sich einen anderen gesucht und trotzdem noch behauptet, dass sie ihn liebte? Hatte sie gelogen, oder war er zu verliebt gewesen, um die Wahrheit zu erkennen?

„Wenn ich mit der Arbeit nicht weiterkomme, gehe ich gern nachts spazieren. Da bekomme ich den Kopf frei.“

„Das mache ich auch manchmal.“ Melanie lehnte sich gegen einen Pfosten. „Warum baust du jetzt Häuser?“

Harris zuckte mit den Schultern. „So konnte ich meine Liebe fürs Zeichnen, für Zahlen und das praktische Arbeiten miteinander verbinden. Bei diesem Job ist einfach alles dabei. Warum schreibst du für ein Magazin? Ich dachte, du wolltest Journalistin werden?“

„Na ja, mein Job ist nicht das, was ich mir immer vorgestellt habe.“ Seufzend schaute sie wieder über den See. „Ich wollte immer über Dinge schreiben, die einen Wert haben. Geschichten, die den Menschen etwas bedeuten.“

Sie sah traurig aus und beinahe verloren. Der Teil von ihm, der nie aufgehört hatte, sie zu lieben, wollte sie am liebsten in die Arme nehmen und alles zum Guten wenden. „Warum kündigst du dann nicht bei dem Magazin und schreibst, was du wirklich schreiben willst? Ich weiß, es ist ein Sprung ins kalte Wasser, den musste ich auch wagen. Das macht einem echt Angst, aber letzten Endes ist es das wert.“

„Das ist leichter gesagt als getan, Harris. Ich kann es mir nicht leisten, einfach alles hinzuschmeißen und etwas anderes zu machen. Mit Artikeln über den neuesten Sandalentrend für diesen Sommer konnte ich wenigstens meine Rechnungen bezahlen.“

Konnte. Vergangenheit. Vielleicht nur ein Versprecher?

Er legte seine Hand auf ihre. Zum zweiten Mal an diesem Abend berührte er sie, und wieder spürte er dieses Kribbeln. „Dann schreib über etwas, für das du morgens gern aufstehst. Ich erinnere mich daran, dass du früher immer einen Notizblock dabeihattest. Du hast so gern geschrieben und so gern Geschichten erzählt. Diese Begeisterung sehe ich in deinem Gesicht nicht mehr.“

„Ich bin eben kein naives Kind mehr. Du kennst mich nicht, Harris. Nicht mehr.“ Sie wandte sich ab und entzog sich ihm. „Ich … ich sollte jetzt wirklich ins Bett gehen.“

Gerade, als sie die Tür öffnen wollte, sagte Harris: „Erinnerst du dich noch daran, wie wir einmal nackt im Schwimmbad der Highschool gebadet haben?“

Scheiße, woher kommt das denn plötzlich?

„Wie kommst du denn jetzt darauf?“

Er nickte in Richtung des dunklen Wassers unten am Hügel. In der fernen Erinnerung hörte er noch Mellies Lachen und sah ihre helle Haut, bevor sie ins Wasser gesprungen war und ihn gelockt und herausgefordert hatte, die Ketten in seinem Leben zu sprengen. „Der See dort unten ist zu dieser Jahreszeit bestimmt noch warm.“

Was wollte er da heraufbeschwören?

„Ich gehe mit dir bestimmt nicht nackt baden, Harris McCarthy. Egal, wie warm das Wasser ist.“

Als er die gekünstelte Empörung in ihrer Stimme hörte, musste Harris lachen. Die Mellie aus seiner Erinnerung wäre fast jedes Risiko eingegangen und von jeder Klippe gesprungen.

„Wir hatten in der Nacht eine wirklich gute Zeit.“

„Bis uns der Hausmeister erwischt hat. Wir sind fast von der Schule geflogen.“ Mellie schüttelte den Kopf und wurde wieder ernst. „Warum kommst du andauernd mit den alten Geschichten?“

„Weil ich mit niemandem so viel Spaß gehabt habe wie mit dir, Mellie. Das fehlt mir.“

„Ich … ich weiß nicht, ich glaube trotzdem nicht, dass wir …“

„Freunde sein sollten? Mehr verlange ich nämlich gar nicht.“ Harris wollte Mellie erzählen, dass er eine schreckliche Woche hinter sich hatte und wirklich Gesellschaft brauchte. Vor allem die der einzigen Frau, die ihn immer zum Lachen gebracht hatte.

„Ich bin nur rausgekommen, um etwas frische Luft zu schnappen. Vielleicht ein anderes Mal, Harris.“ Dann wandte sie sich ab und ging wieder hinein.

3. KAPITEL

Am nächsten Morgen betrat Melanie um kurz nach neun die Stone Gap Gazette. Das kleine Gebäude lag versteckt am Ende einer Seitenstraße. Als sie die Tür öffnete, ertönte eine kleine Glocke, und das Parkett unter ihren Füßen knarrte leise.

Ein älterer Mann stand auf und kam ihr entgegen. Die Baseballkappe verdunkelte sein zerfurchtes Gesicht. „Kann ich Ihnen helfen?“

Melanie setzte ein fröhliches Lächeln auf und versuchte, ihre Nervosität zu verdrängen. „Guten Morgen.“ Sie lächelte noch breiter, doch dann entschied sie sich gegen Small Talk. Wenn er sie ablehnen wollte, dann lieber kurz und schmerzlos. „Ich habe gehört, dass Sie in den nächsten Wochen Hilfe bei den Artikeln benötigen.“

„Eigentlich brauche ich deutlich länger Hilfe, aber ja, es würde mich freuen, wenn jemand mit Erfahrung für mich schreiben könnte. Ich bin Saul Richardson, Redakteur und leitender Tellerwäscher, und wer sind Sie?“

„Melanie Cooper.“ Arbeitslose Journalistin mit der Hoffnung, nicht schon wieder abgelehnt zu werden.

Sie schüttelten sich die Hände, dann schaute er sie über seine Brille hinweg an. Er war nur wenige Zentimeter größer als sie, und durch die jahrelange Schreibtischarbeit hielt er sich gebückt, doch sein Blick war wach und messerscharf. „Haben Sie Erfahrung?“

„Ich habe fünf Jahre beim Magazin City Girl in New York gearbeitet. Sie können sich gern meine Arbeiten ansehen, die sind alle auf der Website archiviert.“

Ein letztes Mal schaute Mr. Richardson sie prüfend an, dann nickte er. „Das mache ich. Gehen Sie doch solange drüben im Café einen Happen essen. Wenn Sie zurückkommen, weiß ich, ob Sie das richtige Material für die Stone Gap Gazette haben. Natürlich sehen die meisten sie nur als Kleinstadtzeitung, aber sie ist mein Baby, deshalb darf da nicht jeder mitarbeiten.“

Melanie gefiel, dass Richardson seine Zeitung schützte und die Mitarbeiter so sorgfältig aussuchte. Ihr war sofort klar, dass man für ihn als Chefredakteur gern arbeitete. Er war voller Leidenschaft, aber auch intelligent und gerecht. „Das verstehe ich voll und ganz. In der Highschool war ich die Redakteurin der Schülerzeitung, da habe ich es genauso gesehen. Ich bin bald wieder da.“ Sie gab ihm die URL für das Archiv des Magazins, dann machte sie sich auf den Weg zu Mabels Schnellrestaurant auf der anderen Straßenseite.

Genau wie überall in Stone Gap war es dort richtig gemütlich. An diesem sonnigen Mittwochmorgen waren viele Einheimische zu Gast, und eine eifrige Kellnerin eilte mit Omelett und Kaffee durch den Raum. Melanie setzte sich an den Tresen und bestellte einen Kaffee und eine Portion Rührei. Nur Augenblicke später setzte sich ein gut aussehender Mann mit dunklen Haaren neben ihr auf den letzten freien Hocker.

„Guten Morgen“, begrüßte er sie freundlich. „Sie sind neu in der Stadt.“

Melanie lachte. „Steht mir das auf die Stirn geschrieben? Das sagen alle, und die nächste Frage lautet …“

„Übernachten Sie im Stone Gap Inn? Das hoffe ich sehr, denn ich bin Jack Barlow, der Sohn von Della, der Miteigentümerin.“

„Ich bin Melanie. Freut mich, Sie kennenzulernen. Mavis hat Sie und Ihre Brüder erwähnt, als sie von der Renovierung erzählt hat, und in der Stadt habe ich den Namen Barlow auch schon gehört.“

„Das liegt daran, dass meine Brüder und ich für einige Dummheiten bekannt sind.“ Er grinste. „Ich hoffe, Sie genießen Ihren Aufenthalt hier.“

„Das tue ich. Das Inn ist wunderbar. Ihre Mutter habe ich noch nicht getroffen, aber Mavis ist wirklich lieb und freundlich.“ Die Kellnerin schob ihr einen Kaffee hin, und Melanie bedankte sich bei ihr. „Ich bin nur ein oder zwei Wochen in der Stadt, weil meine Schwester Abby heiratet.“

„Abby und Dylan? Ein tolles Paar!“ Jack winkte einigen Leuten zu, die gerade hereinkamen, dann konzentrierte er sich wieder auf Melanie. „Meine Frau Meri ist die Fotografin.“

„Ach, wirklich? Meine Schwester hat sie in den höchsten Tönen gelobt, weil sie ihr mit ein paar Sachen die Hochzeit gerettet hat, nachdem einiges schiefgegangen war. Die Stadt ist wirklich klein.“

Jack lachte. „Mehr muss man zu Stone Gap eigentlich nicht sagen. Jeder kennt hier jeden, und wir helfen uns alle gegenseitig. Genau wie Dylan, als sein Onkel ihn im Kinder- und Jugendtreff gebraucht hat, da war er sofort da.“

„Das ist toll.“ Sie trank einen Schluck Kaffee und dachte dabei wieder an den Redakteur auf der anderen Straßenseite. „Meinen Sie, darüber könnte man einen guten Artikel für die Lokalzeitung schreiben? Ich habe dort nach dem Frühstück ein Vorstellungsgespräch und würde dem Redakteur gern ein paar Ideen vorschlagen.“

Jack schüttelte den Kopf. „Darüber hat Saul erst vor etwa einem Monat einen Artikel gemacht, und auch über das Inn.“

„Ach so, okay.“ Das war einer der Nachteile, wenn man neu in der Stadt war. Sie wusste einfach nicht, worüber schon geschrieben worden war. Vielleicht hatte Mr. Richardson ja Interesse daran, die Geschäftsleute des Ortes vorzustellen, oder vielleicht daran, wie das Inn sich auf die Stadt auswirkte. Nein, das waren alles langweilige Ideen. Die Geschichte über einen echten Helden hingegen würde sie sofort auf die Titelseite bringen. Doch es hatte keinen Sinn, so etwas für die Stone Gap Gazette zu verschwenden.

Nach kurzem Überlegen meinte Jack Barlow: „Eine Geschichte, über die Saul noch nicht berichtet hat, obwohl er versucht hat, mehr darüber zu erfahren, ist das Feuer drüben bei den Kingstons. Dieser Typ von außerhalb, Harris, ein Bauunternehmer, glaube ich, ist da rein und hat die ganze Familie gerettet.“

Das klang wirklich nach einer Heldengeschichte. Aber würde Harris in ein brennendes Haus laufen?

War das denn so unwahrscheinlich? Nur weil er ihr das Herz gebrochen und sie enttäuscht hatte, konnte er doch trotzdem ein Held sein. Vor vielen Jahren hatte Harris einmal einen verletzten Hund fast fünf Kilometer weit durch unwirtliches Terrain getragen, um ihn zu einem Tierarzt zu bringen. Das war schon heldenhaft gewesen. Solche Eigenschaften verlor ein Mann nicht, nur weil er erwachsen wurde und dabei das eine oder andere Frauenherz brach.

Melanie versuchte, nicht zu neugierig zu erscheinen. „Davon habe ich gestern Abend in der Comeback Bar gehört.“

„Das war ein einschneidendes Ereignis hier. Besonders, weil die Stadt so klein ist, dass eigentlich alles zur wichtigen Neuigkeit wird. Na ja, jedenfalls reden jetzt alle darüber. Wenn so etwas passiert, wird die Familie normalerweise von der Zeitung befragt und die Leute kommen, um Kleidung und Lebensmittel zu spenden, aber dieses Mal halten die Kingstons sich bedeckt. Ist schon eigenartig.“

Nach Melanies Erfahrungen hielten Menschen sich nur dann bedeckt, wenn sie etwas zu verbergen hatten. Das klang ganz nach einem Artikel, der ihre Karriere befeuern könnte. Wenn sie diese Story schrieb, konnte sie vielleicht endlich das Leben führen, das sie sich immer gewünscht und bisher nie erreicht hatte.

Melanie legte ein paar Geldscheine auf den Tresen und trank noch einen Schluck Kaffee. Plötzlich verspürte sie wieder die Begeisterung, die sie vor Jahren verloren hatte. „Vielen Dank für den Hinweis, Jack.“

„Gern geschehen, und herzlich willkommen in Stone Gap.“

Melanie lächelte. „Vielen Dank. Es ist eine tolle Stadt. Ich weiß selbst nicht, was ich erwartet habe, aber … alles ist so gemütlich.“

„Vorsicht, Stone Gap ist eine Stadt, die einem ans Herz wächst. Bevor Sie sich versehen, kaufen Sie ein Sofa und pflanzen Hortensien.“

Sie lachte. „Ich pflanze grundsätzlich keine Hortensien, und Stone Gap ist nur ein Zwischenstopp.“ Ich bleibe nur so lange, bis mein Leben wieder in die richtige Richtung läuft.

Mit der Chance auf eine Exklusiv-Story schien das in greifbare Nähe gerückt zu sein.

4. KAPITEL

Eine Stunde später hatte Melanie eine Stelle bei der