Biker Tales: In der Liebe und im Krieg - Sandra Binder - E-Book

Biker Tales: In der Liebe und im Krieg E-Book

Sandra Binder

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Beschreibung

Die beliebte Biker-Tales-Reihe von Sandra Binder geht weiter! Werden Isa und Pat je zusammen frei sein können? Isas Bruder hat den Waffenstillstand mit dem Nachbarclub aufgekündigt, wodurch er nicht nur einen Rockerkrieg auslöst, er macht damit auch Isa und Patrick zu Feinden. Unter diesen Umständen können sie ihre heimliche Beziehung nicht weiterführen, das ist beiden schmerzlich klar. Isas Herz ist gebrochen, doch schlimmer noch ist ihre Angst. Plötzlich kann sie Patrick nicht mehr erreichen und da ihr Bruder eisern schweigt, stammt alles, was sie über die blutigen Auseinandersetzungen erfährt, aus bruchstückhaften Radio- und Fernsehmeldungen. Die Situation bringt sie an den Rand der Verzweiflung. Isa will unbedingt einen Weg finden, die Clubs zu versöhnen, und entwickelt schließlich einen Plan, der entweder den Frieden bringt oder durch den sie alles verliert.

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Kurzbeschreibung

Werden Isa und Pat je zusammen frei sein können?

Isas Bruder hat den Waffenstillstand mit dem Nachbarclub aufgekündigt, wodurch er nicht nur einen Rockerkrieg auslöst, er macht damit auch Isa und Patrick zu Feinden. Unter diesen Umständen können sie ihre heimliche Beziehung nicht weiterführen, das ist beiden schmerzlich klar. Isas Herz ist gebrochen, doch schlimmer noch ist ihre Angst. Plötzlich kann sie Patrick nicht mehr erreichen und da ihr Bruder eisern schweigt, stammt alles, was sie über die blutigen Auseinandersetzungen erfährt, aus bruchstückhaften Radio- und Fernsehmeldungen. Die Situation bringt sie an den Rand der Verzweiflung. Isa will unbedingt einen Weg finden, die Clubs zu versöhnen, und entwickelt schließlich einen Plan, der entweder den Frieden bringt oder durch den sie alles verliert.

Sandra Binder

In der Liebe und im Krieg

Biker Tales 6

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2020 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2020 by Sandra Binder

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Agentur

Covergestaltung: Marie Wölk, Wolkenart Design

Lektorat: Tatjana Weichel

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-3-618

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www.edelelements.de

Inhaltsverzeichnis

Prologue – Pat

Chapter Eight – Give Me One Good Reason

Interlude – One Less Brother

Chapter Nine – The Wrong Route

Interlude – It’s Up To Us. Again.

Chapter Ten – My Love’s War

Interlude – Who Intrigues Here?

Chapter Eleven – Way Down We Go

Interlude – The Lucky Irish

Chapter Twelve – Broken

Interlude – The Whole Truth

Chapter Thirteen – New Beginning

Epilogue – The Ladys

Glossar

Spanische Begriffe

Danksagung

Prologue – Pat

Ich habe nie viel vom Leben erwartet. Wenn du als Katholik in Derry geboren wirst, begreifst du schnell, dass du nichts geschenkt bekommst. Im Gegenteil. Du lernst es zu schätzen, wenn du wenig hast. Denn wer nichts besitzt, kann nichts verlieren. Das war das Motto meiner Familie.

Wir lebten in keiner heilen Welt, sondern in einem vom Bürgerkrieg gebeutelten Land mit tiefen, blutigen Gräben zwischen den Bevölkerungsteilen. Anders als die meisten Menschen interessierten wir uns herzlich wenig für Materielles – was uns antrieb, war die Freiheit.

Mein Vater war ein radikaler Republikaner, ebenso mein Großvater und dessen Vater und vermutlich auch dessen Vater … Das Hauptthema in unserem Drecksloch von Sozialwohnung war also stets Politik: die Unterdrückung der katholischen Iren durch die protestantische, englische Besatzung und der Wunsch nach einem wiedervereinigten Irland. Bereits als Kind wurde mir eingetrichtert, dass es das Wertvollste im Leben war, wenn man das Recht besaß, tun und lassen zu können, was man wollte.

Mit diesem Background ist es wahrscheinlich nicht weiter verwunderlich, dass ich mich später der Real IRA anschloss. Wie meine Familie, meine Freunde und meine Kameraden hielt ich das Karfreitagsabkommen, das ›Friedensabkommen‹ von 1998, für einen faulen Kompromiss, eine Lüge, schlicht Bullshit. Der Kampf war damit nicht beendet, nicht für uns, die wir so lange gelitten und so viele Verluste hatten ertragen müssen.

Dass die ehemaligen Untergrundkämpfer zu Politikern geworden waren, enttäuschte mich maßlos. Was war mit unseren Freiheitskämpfern geschehen? Ich hatte damals noch kein einziges Härchen auf der Brust, aber ich beschloss dennoch, den Kampf für unsere Freiheit niemals aufzugeben. Denn es fühlte sich richtig an.

Mit Anfang zwanzig, ich war schon ein paar Jahre bei der RIRA, galt ich als einer der besten Bombenbauer unserer Gruppe. Leider läuft man, wenn man etwas besonders gut kann, oft Gefahr, dass Leute davon erfahren, die das lieber nicht wissen sollten. Ein solcher war beispielsweise der Spitzel, der sich bei uns eingeschleust hatte, den wir aber glücklicherweise enttarnen konnten, bevor er seine Aussage zu Protokoll gab. Dennoch brachte der Kerl eine Kette von Ereignissen in Gang, die meine gesamte Geschichte verändern sollte.

Eines Abends bastelten mein Kumpel Aiden und ich an einer Autobombe für eben jenen Spitzel. Schließlich musste er von der Bildfläche verschwinden, bevor er etwas ausplaudern konnte. Oder besser gesagt, ich bastelte, während Aiden auf mich einquasselte.

»Dass die Sinn Féin im Parlament hockt, bedeutet einen Scheiß, Mann. Das ändert doch nichts.« Er fuhr sich durch das fransige, blonde Haar und ging vor dem Tisch, an dem ich saß und versuchte zu arbeiten, auf und ab. »Im Grunde läuft alles wie bisher. Was wir hier tun, ist die einzige Möglichkeit, uns gegen das unfaire System zu wehren. Die Drecksprotestanten haben Schiss, dass wir zu mächtig werden. Die wollen, dass wir jetzt die Fresse halten und zufrieden sind. Aber ich tanz nicht nach deren Pfeife, nee, ich nich. Ich schwöre offiziell meine Treue zur 32-Grafschaften-Republik.«

»Alter«, ich sah vom Sprengstoff auf und lachte, »holst du auch mal Luft?«

Aiden blinzelte mich kurz an, ehe er zögerlich in mein Lachen einstimmte. Er redete sich oft in Rage, aber heute klang er fast schon verzweifelt.

»Ist alles okay bei dir?«, fragte ich geradeheraus.

Er atmete tief durch, stützte sich mit beiden Händen auf dem Tisch ab und sah mich schließlich an. In seinen Augen schimmerte die blanke Angst. »Darlene ist schwanger.«

»Fuck.« Das Wort brach aus mir heraus, bevor ich es verhindern konnte. Entschuldigend sah ich zu ihm auf, aber an seinem gequälten Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass ich seinen Gedanken laut ausgesprochen hatte. Das war eine Katastrophe für einen wie uns.

Je mehr du hast, desto mehr kann man dir nehmen – und Aiden hatte jetzt Familie, Menschen, die er beschützen musste, die er mehr liebte als sich selbst. Fuck. Das war exakt das richtige Wort für diese Misere.

Ich stellte mir die Situation furchtbar beängstigend vor. Für normale Männer war sie das schon, aber für uns, die wir einen blutigen Kampf für die Freiheit führten, war es eine Qual.

»Wirkt sich … das irgendwie aus?« Ich wusste nicht recht, wie ich es sonst formulieren sollte.

Er zuckte mit den Schultern und schüttelte gleichzeitig den Kopf. »Für die da draußen bin ich ein Terrorist. Will ich, dass mein Kind so aufwächst? Will ich, dass es … im schlimmsten Fall … ohne mich aufwächst?«

Wir sahen uns in die Augen, und obwohl ich mir deswegen wie der größte Scheißkerl vorkam, war ich in diesem Moment heilfroh, nicht er zu sein und seine Entscheidungen treffen zu müssen. Liebe verpflichtete. Aiden musste nun tun, was das Beste für seine Familie war.

Ich stand auf, legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte diese freundschaftlich. Keine Ahnung, was ich dazu sagen sollte. Ich hatte niemanden, musste auf keinen achten oder Rücksicht nehmen – und ganz ehrlich, ich war darüber noch nie so glücklich gewesen wie in diesem verdammten Augenblick.

Ich konnte Aiden ansehen, dass er mit sich und seinem Leben haderte. Er glaubte an unseren Kampf, aber er wusste, dass es vernünftiger war, ihn für seine Familie aufzugeben. Am liebsten hätte ich ihm geraten, dass er die beiden in die Republik schicken sollte, ahnte jedoch, dass das falsch war, also hielt ich einfach meine Klappe. Ich kannte mich mit so was nicht aus. Bisher hatte ich keine Frau getroffen, mit der ich länger als ein paar Wochen verbringen wollte.

Meine große Liebe war die Freiheit.

»Komm jetzt, lass uns den Schweinehund hochjagen.« Aiden löste sich von mir, schnappte sich seine Jacke und deutete auf die Treppe, die vom Keller nach oben führte. »Ich geb dir nachher bei O’Sheas einen aus.«

Ich freute mich nicht gerade darauf, das Gespräch fortzusetzen, weil ich der wohl ungeeignetste Kerl überhaupt dafür war. Aber Aiden war mein Kumpel, natürlich wollte ich für ihn da sein. Und egal, wofür er sich letztlich entscheiden würde, ich würde es akzeptieren und ihn unterstützen. Es war sein Leben, nicht meins.

Also nickte ich, packte unsere Bombe vorsichtig ein und folgte ihm nach oben. Wir verließen sein Haus, gingen zum Auto des Spitzels und koppelten den Sprengstoff mit der Zündung. Alles lief glatt, keiner bemerkte uns. Wir waren bereits auf dem Weg zum Pub, als der schreckliche Unfall passierte.

Aiden hatte sich erneut in Rage geredet. Er gestikulierte wild, sprach laut und schaute nicht auf die Straße, als er sie überqueren wollte. Ich sah den Laster wie in Zeitlupe auf ihn zurasen, aber ich konnte nicht reagieren. Hilflos sah ich dabei zu, wie mein bester Freund vom Kühler erwischt und mitgeschleift wurde. Die blutige Spur auf dem Asphalt war noch Tage später zu sehen.

Letztlich starb er nicht in seinem Kampf für die Sache, sondern weil ein verfluchter Siebentonner ihn gerammt hatte. Was für ein unnötiger, sinnloser Tod.

Ein paar Tage später stand ich neben der schwangeren Darlene am Grab. Aidens Freundin war nicht nur seelisch zerstört, sie wusste nicht, was sie machen, wo sie hin und wie sie sich und das Baby ohne den Hauptverdiener über Wasser halten sollte. Ihre Verzweiflung zerriss mir das Herz.

Während sie neben mir schniefte und schluchzte, nahm ich mir vor, niemanden je in diese Lage zu bringen. Ich wollte mich und mein Leben keiner Frau aufbürden, um sie am Ende allein und traurig zurückzulassen. Mir war es lieber, frei zu bleiben und auch keinem anderen Menschen die Freiheit zu nehmen.

Die Bullen hatten zwar keine Beweise mehr nach dem Tod des Spitzels, im Visier hatten sie mich dennoch, daher beschloss ich, mich für eine Weile zu verdrücken. Ich ging in die USA und landete zunächst in einer Art Auffanglager für geflohene IRA-Kämpfer. Da ich schon damals eine einschüchternde Statur besaß und nicht auf den Mund gefallen war, übernahm ich rasch eine Aufgabe, und zwar die als Mittelsmann zwischen RIRA und den Advocates. So traf ich auf Syd, der wohl Mitleid mit mir hatte und mir einen Job und das Hinterzimmer des Clubhaus’ zum Pennen anbot. Auf diese Weise kam ich aus dem Matratzenlager raus, das ich mir mit ungefähr zwanzig Iren teilen musste. Und weil Syd und ich schnell merkten, dass wir einen Draht zueinander hatten, wurde ich bald vom Mittelsmann zum Member und richtete mir schließlich ein neues Leben in Wolfville ein.

So lief es eben – irgendetwas ergab sich immer, man musste nur ein wenig Vertrauen haben. Aber am Ende kam alles, wie es kommen sollte.

Die meisten Leute verstanden meine Art zu denken nicht. Wie konnte ich glücklich sein, in einem Wohncontainer, die meiste Zeit über nicht wissend, von wem ich meinen nächsten Lohnscheck erhalte? Ich fragte mich jedoch, wieso mir zu meinem Glück eine bestimmte Quadratmeterzahl oder ein Flachbildfernseher fehlen sollten. Kam doch eh nur scheiße in der Glotze. Außerdem ist es in Wahrheit so, dass die Dinge, die du besitzt, am Ende vielmehr dich besitzen. Auch Besitz ist eine Sucht.

Ich hatte ein Dach überm Kopf, ich hatte Kleider am Leib und Essen im Kühlschrank. Arbeit gab es immer irgendwo, und solange ich mir mein Bike und Sprit leisten konnte, war alles in Butter. Ich hatte den Club, ich hatte kein Problem damit, mir morgens im Spiegel in die Augen zu sehen und – das Wichtigste von allem – ich hatte meine Freiheit. Ich war zufrieden, obwohl mir die Leute einreden wollten, ich sollte es nicht sein. Vor allem die Mädels …

Keine Ahnung, woran es lag, aber irgendwie machte ich auf die meisten Frauen den Eindruck, dass ich aus meinem einsamen, lieblosen Dasein gerettet werden müsste. Dabei machte ich nie ein Geheimnis daraus, dass ich mit den Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts nur eine gute Zeit verbringen wollte, aber kein Mann für eine feste Sache war. Dennoch glaubten mir die wenigsten. Sie dachten, wenn ich sie erst einmal kennenlernte, würde mich das umstimmen. Tja, und am Ende war ich dann derjenige, der Ohrfeigen kassierte, weil sie sich selbst etwas vorgemacht hatten.

Ich glaube, im tiefsten Inneren hat mich die Sache mit Aiden immer blockiert. Seine Überlegungen, sein früher Tod, der Anblick von Darlene auf seiner Beerdigung … Ich wollte das alles nicht.

Doch dann kam diese Frau, die mich überraschend mitten ins Herz traf. Isabella war so tough, hatte diese Art von tiefen, dunklen Augen, bei denen man sofort die dahinter verborgenen Geheimnisse ergründen will. Sie verstellte sich nicht, um mir zu gefallen, sie war echt. Und sie hatte kein Interesse daran, mich zu retten oder zu verbiegen. Sie sah mich, wie ich wirklich war, sie respektierte mich, wie ich wirklich war, und mehr noch, sie beneidete mich für meine Art zu leben.

Ich hatte mich rettungslos in diese Frau verliebt, schon bevor ich überhaupt kapierte, was da eigentlich gerade mit mir geschah. Und obwohl das Ganze scheiß kompliziert hätte sein müssen, fühlte es sich mit ihr einfach nur leicht an. Als müsste es genau so sein.

Zum ersten Mal in meinem Leben gab es da etwas, das mir wichtig war, das ich unbedingt behalten wollte. Etwas, das ich nie gewollt hatte, aber das sich jetzt ganz anders anfühlte als gedacht. Isa war keine Bürde. Durch sie verstand ich auf einmal, dass Liebe nicht das Ende der Freiheit bedeutete. Sie war vielmehr ein Teil davon. Der Teil, der mir bisher zu meinem Glück gefehlt hatte. Und als ich das begriff, verlor ich sie auch schon.

Ich hatte wochenlang ein ungutes Gefühl gehabt. Als ich jedoch Ramirez’ Gesicht sah, an dem Abend, an dem die Clubs sich trafen, da wusste ich, dass es Krieg geben würde. Dann zog der Idiot seine Knarre, und ich hätte ihn am liebsten gepackt, geschüttelt und angebrüllt, weil er damit alles zerstörte, was ich mir die vergangenen Wochen aufgebaut hatte: Meine Beziehung zu seiner Schwester und die Freiheit, lieben zu dürfen, wen ich wollte. Er entriss mir diesen einen neuen, wichtig gewordenen Teil von mir, der schon fest mit mir verwachsen war, und ließ mich blutend zurück.

Ich hatte immer daran geglaubt, dass alles so kommen würde, wie es kommen musste. Bis zu diesem Tag. Ich konnte es schlichtweg nicht akzeptieren, dass die Frau, die mir die Welt bedeutete, plötzlich mein Feind war.

Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich diese Scheiße wieder hinbiegen sollte. Aber ich musste es schaffen. Ich wollte Isabella nicht verlieren; ich hatte sie doch erst gefunden.

Ich würde dafür kämpfen, dass wir zusammen frei sein konnten, das schwor ich mir. Und wenn es mich den Kopf kostete.

Chapter Eight – Give Me One Good Reason

Isa starrte gegen Nandos Schlafzimmertür und versuchte zu verarbeiten, was in den letzten Stunden geschehen war. Es hatte eine Schießerei stattgefunden, die Clubs hatten sich den Krieg erklärt, ihr Bruder war verletzt, Patrick und sie konnten unter diesen Umständen nicht zusammen sein – Isas gesamtes Leben war in sich zusammengefallen, mit nur einem Wimpernschlag alles vorbei und das durch die Entscheidungen anderer Menschen. Sie wusste, dass das alles wahr war, aber es fühlte sich total unwirklich an.

Sie hörte ein Scheppern von unten und erwachte aus ihrer Starre. Die Männer ihres Bruders waren nach wie vor hier, saßen auf der Couch und am Esstisch, manche schliefen, manche redeten zu laut. Das untere Stockwerk war wie ein Wartebereich im Krankenhaus. Isa würde sich später darum kümmern, zuerst musste sie mit Nando sprechen.

Leise öffnete sie die Tür und trat ins Zimmer. Die Vorhänge waren nicht zugezogen, weshalb es im Raum taghell und der Verletzte deutlich zu sehen war. Die Decke war ihm bis zur Hüfte hinuntergerutscht, durch das weiße T-Shirt konnte Isa die Umrisse des dicken Verbands erkennen, der seinen Bauch bedeckte.

Nandos Augen waren geschlossen, sein Gesicht blass und schweißnass. Er atmete schwer und sah furchtbar klein und verletzlich aus, wie er dort in seinem Bett lag. Isas Herz krampfte schmerzvoll in ihrer Brust, und sie musste gewaltsam die Tränen zurückhalten.

So wütend sie auf ihn war, es war ihr schmerzlich bewusst, dass sie ihn heute fast verloren hätte. Und dann wären sie im Streit voneinander geschieden. Sie mussten das, was zwischen ihnen stand, sofort klären; und sie mussten von nun an offener und ehrlicher zueinander sein. Das war ihr klar geworden.

Isa holte den Stuhl von Carmens Schminktisch, stellte ihn neben das Bett und setzte sich. Tief durchatmend verschränkte sie die Finger im Schoß und betrachtete Nandos Gesicht. Seine Brauen schoben sich zusammen, und eine Falte bildete sich zwischen ihnen. Er war wach.

»Wie geht es dir?«, fragte Isa leise.

Er verzog die Lippen, als er ein Stück nach oben rutschte. Es war deutlich, dass ihn jede Bewegung schmerzte. »Alles gut«, raunte er.

»Ist es das.« Das Herz in Isas Brust wurde bleischwer und zog sie förmlich hinab. Sich aufrecht zu halten, kostete sie Unmengen an Kraft. Sie konnte die Gedanken, die sie befallen hatten, als sie in ihrem Zimmer gekauert, geweint und gebetet hatte, nicht wieder abschütteln. »Du bist wie unser Vater.«

Ihre Stimme war nur ein Flüstern, aber er hatte sie verstanden. Flatternd öffneten sich seine Lider, und in seinen Augen erkannte sie eine Mischung aus Schmerz, Wut und Unverständnis.

»Ich habe mich so lange geweigert, es zu erkennen, aber wir beide sind wie unsere Eltern.« Sie wandte den Blick ab, schaute auf ihre Hände und schüttelte den Kopf. »Ich habe immer geglaubt, du würdest besonnener handeln als Papá. Ich dachte, unsere Familie und das friedliche Leben hier wären dir das Wichtigste. Aber du bist genauso berechnend und stolz wie er.« Nando holte Luft, aber Isa ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Und ich nehme es hin. Ich verschließe die Augen vor dem, was du tust, und lebe in meiner eigenen rosafarbenen Blase aus Naivität. Genau wie Mamá.«

Diese Erkenntnis hatte Isa wie ein Schlag getroffen, und auch jetzt musste sie tief durchatmen, um den dicken Kloß zu vertreiben, der sich in ihrer Kehle formte.

»Was redest du denn da, mi pequeña? Hör mal, es tut mir leid, dass ich dich gestern im Flur derart angegangen bin, aber …«

»Darum geht es nicht. Und hör auf, mich so zu nennen, ich bin nicht deine Kleine.« Sie schnaubte. »Ich habe zugelassen, dass du mich wie ein Kind behandelst, mich hier einsperrst und mir meine Stimme nimmst.«

Er versuchte sich aufzusetzen, verzog jedoch stöhnend das Gesicht und sank wieder hinab. Danach beschränkte er sich darauf, Isa finster anzufunkeln. »Ich war immer gut zu dir, Isabella. Ich habe alles für dich getan, dich immer beschützt …«

»Übertrieben hast du, Fernando.« Isas Herz klopfte heftig. Sie massierte sich die Stirn und mahnte sich selbst zur Ruhe. »Es spielt keine Rolle, weshalb du es getan hast, doch du hast mich wie eine Prinzessin in den Turm gesperrt und von allem und jedem abgeschottet. Und ich bin mindestens genauso schuldig an meinem verpassten Leben, denn ich habe es geschehen lassen, keine Fragen gestellt und deine Befehle befolgt. Ich war immer die artige Schwester, die sich nicht einmischt. Dabei habe ich schon lange bemerkt, was aus dir geworden ist.« Die Verbitterung war ihr deutlich anzuhören. »Von heute an werde ich nicht mehr schweigen. Ich sehe keine Minute länger dabei zu, wie du uns alle ins Unglück stürzt.«

Nando kräuselte die Nase und verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. »Hältst du das hier wirklich für den idealen Zeitpunkt, um diese Diskussion zu beginnen? Wie du vielleicht mitbekommen hast, wurde ich heute angeschossen. Und so eine Kugel tut scheißweh, das kann ich dir sagen.«

»Daran bist du selbst schuld, das weißt du.« Isa erwiderte seinen eisigen Blick und verschränkte krampfhaft ihre Finger miteinander, damit sie ihn nicht vor Zorn schüttelte. Ja, sie hielt den Zeitpunkt für ideal, denn endlich konnte er einmal nicht vor ihr fliehen. Er war gezwungen, ihr zuzuhören. »Ich bin nicht dumm, Nando, nur gutmütig. Glaubst du ernsthaft, ich bekomme nicht mit, was hier läuft? Du hast diesen Krieg gewollt – wieso solltest du sonst mit dem ADIOS-Patch an der Kutte zu einem Treffen mit den Advocates fahren? Du hattest deine Entscheidung bereits getroffen, ehe die Nachbarn Gelegenheit hatten, sich zu erklären.«

Er musterte sie überrascht. »Du hast keine Ahnung, wovon du redest.«

»Dann erklär es mir. Wieso holst du einen Krieg an den Ort, wo deine Familie lebt? Wieso bringst du alle in Gefahr, die du anscheinend beschützen willst? Wenn ich dich falsch eingeschätzt habe, dann sag mir doch, wie du wirklich bist.«

Schnaubend drehte er den Kopf von ihr weg. »Halt dich da raus, Isabella. Es geht dich nichts an.«

»Ach, nein? Wieso stecke ich dann mittendrin?« Sie nahm sein Kinn in die Finger, drehte sein Gesicht zu ihr und blickte ihm durchdringend in die Augen. »Ich wollte ein normales Leben führen und nichts mit all dem hier zu tun haben. Aber das geht nicht, und weißt du, wieso? Weil ich nicht ›normal‹ bin. Und ich werde es auch nie sein können. Denn ich bin, wer ich bin, und ich gehöre in die Welt, in die ich geboren wurde – es wird Zeit, dass wir beide das akzeptieren. Mein ganzes Leben lang hast du meine Entscheidungen getroffen, das nimmt hier und heute ein Ende. Das ist keine Bitte, sondern eine Tatsache, verstehst du? Also sag mir jetzt sofort, wieso du diesen Krieg begonnen hast.«

Isa war fest entschlossen, die Wahrheit aus ihrem Bruder herauszuquetschen. Sie war es so leid, im Dunkeln gelassen zu werden, nicht zu wissen, was direkt vor ihrer Nase vorging. Vor allem jetzt, da an der ganzen, schrecklichen Situation irgendetwas nicht stimmte und sie keine Ahnung hatte, welcher der beiden Männer, die sie liebte, ein falsches Spiel mit ihr spielte.

Sie wusste, dass Nando es von jeher gewöhnt war, eine Frau nicht mit einzubeziehen. Für Isa war es immer schon unverständlich gewesen, wie diese Männer ihre old Ladys behandelten: Wie Dekoobjekte, die schön neben ihnen aussahen, aber keine Stimme besaßen. Sie wurden nicht in das Leben des anderen mit einbezogen, konnten nicht für ihren Partner da sein, wie er es verdiente – und umgekehrt. Erst bei Patrick hatte Isa bemerkt, dass es auch anders ging.

Er hatte mit ihr geredet. Ihm war es wichtig, dass sie wusste, wie und wer er wirklich war. Und sie musste zugeben, dass sie immer zu ihm gestanden hätte. Denn ihre Liebe war größer als ihre Furcht.

Beim Gedanken an Patrick spürte sie einen gewaltigen Stich im Herzen. Sie hatte sich mit Leib und Seele auf diesen Mann eingelassen, und nun konnte sie nicht bei ihm sein, weil ihr Bruder es so bestimmt hatte. Seine Entscheidung, einen Krieg gegen den Mann zu führen, den sie liebte, machte sie so sauer, dass sie ihn am liebsten ohrfeigen wollte.

»Rede endlich!«, herrschte sie ihn an. »Nenn mir einen guten Grund, warum es nötig war, uns alle in Gefahr zu bringen und eine jahrelange Freundschaft aufzukündigen.« Sie legte sich eine Hand auf die Brust. »Ich hatte ebenfalls eine Freundin in Wolfville. Und nun soll ich sie hassen, weil du es so beschlossen hast?«

Er griff unvermittelt nach ihrem Handgelenk und zog sie mit erstaunlicher Kraft zu sich. So nah, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten. »Sie waren nie unsere Freunde. Von Anfang an haben sie uns getäuscht, betrogen und ausgenommen. Ich bin nicht wie unser Vater, Isa, ich habe alles versucht, aber sie haben mich immer wieder herausgefordert.«

Isa löste sich sanft aus seinem Griff und verschränkte die Arme vor der Brust. »Das war keine Antwort. Sag mir, was passiert ist und gib mir die Möglichkeit, mein eigenes Urteil zu fällen.«

Er schnaubte. »Das sind Clubangelegenheiten.«

»Ach, wenn mir Kugeln um die Ohren fliegen, sind das dann immer noch Clubangelegenheiten?« Sie erhob sich und krallte die Finger in die Lehne des Stuhls. »Wenn du nicht mit mir reden willst, fahr ich eben rüber und frage Emma. Vielleicht erfahre ich da die Wahrheit.«

Er langte nach ihr und stöhnte, weil er sich zu ruckartig bewegt hatte. »Du verlässt dieses Haus nicht, Isa!«

»Versuch mich aufzuhalten.« Sie wusste, dass sie sich kindisch verhielt, aber allmählich war sie verzweifelt. Irgendwie musste sie Nando zum Reden bringen.

»Setz dich bitte wieder hin.« Sein ergebener Tonfall und dass er plötzlich ungesund erschöpft aussah, veranlassten sie dazu, seiner Bitte nachzukommen. Sie hatte ihn nicht aufregen wollen, immerhin war er verletzt und brauchte Ruhe, dieses Gespräch konnte jedoch nicht warten.

»Es war nicht allein meine Entscheidung, dich nicht einzubeziehen. Du hast alles abgeblockt, was mit dem Club zu tun hatte.«

»Ich weiß. Aber ich habe erkannt, dass das falsch war.«

»Was ist passiert, dass du zu dieser Erkenntnis gelangt bist? Wieso bist du so verändert?«

Ja, sie wollte offener und ehrlicher sein. Aber für dieses Gespräch war die Zeit definitiv noch nicht gekommen. »Es geht jetzt nicht um mich, Nando.«

Er seufzte tief. Vielleicht gab er nicht Isa zuliebe auf, sondern weil er Schmerzen und eine Menge Medikamente geschluckt hatte und endlich seine Ruhe wollte, aber das war momentan egal. Hauptsache, er redete. »Ich möchte diesen Krieg nicht, glaub mir. Ich bin nicht wie Papá und wollte auch nie wie er werden. Wieso hätte ich den Advocates nach seinem Tod sonst vorgeschlagen, alles zu vergessen und in Frieden neu zu beginnen? Obwohl sie Papá auf dem Gewissen haben und wir allen Grund hätten, nach Vergeltung zu streben?«

Sie nickte. Carlos Ramirez war ein herzloser Prolet gewesen, der nur zum Spaß Streit angefangen und die Menschen, die er liebte, andauernd in Gefahr gebracht hatte. Er war der Grund, weshalb Isa solche Angst vor dieser Welt gehabt hatte. Vielleicht war es doch etwas zu hart, Nando mit ihm zu vergleichen.

»Ich hatte keine andere Wahl.« Er schloss die Augen und atmete tief durch. Er schwitzte jetzt weitaus mehr, also nahm Isa ein Taschentuch vom Nachttisch und tupfte ihm das Gesicht trocken.

»Was haben sie getan?«, hakte sie nach.

»Wir haben ihnen so oft den Arsch gerettet, haben ihre Kämpfe mitgeschlagen, sie unterstützt. Ich wollte, dass sie uns vertrauen, dass wir einen freundschaftlichen Umgang pflegen, aber es war eine Einbahnstraße. Diese Typen nehmen nur und geben niemals etwas zurück.« Er blickte zur Decke hoch, ordnete vermutlich seine Gedanken, bevor er fortfuhr. »Wir stellen ein Produkt her, drüben im Pahrump Valley. Das ist Advocates-Gebiet.«

»Drogen, ich weiß. Ich bin weder blind noch taub.«

Er schielte zu ihr herüber und knabberte an seiner Unterlippe. Anscheinend überraschte ihn tatsächlich, wie viel sie wusste. »Wir betrieben den Standort bereits, bevor sie sich dort breitgemacht haben. Sie wollten nicht abrücken und verlangten sogar Schutzgeld für Transporte durch ihr Gebiet, aber um des Friedens willen habe ich diese Frechheit geschluckt. Wir bezahlten sie, und sie schützten unsere Ware vor den Scavengers. Das ist eine Gang aus dem Death Valley, mit der wir hin und wieder … Meinungsverschiedenheiten haben.« Er räusperte sich, und Isa reichte ihm das Wasserglas, das auf dem Nachttisch stand.

»Unser Vater hätte dieses Geld wohl niemals bezahlt«, nahm sie an.

»Darauf kannst du wetten.« Er trank einen Schluck, gab ihr das Glas zurück und ließ seinen Kopf ins Kissen sinken. »Aber sie waren nicht nur so dreist, Geld zu verlangen, sie erhöhten den Betrag auch noch regelmäßig. Ihr letzter Vorschlag war so unverschämt hoch, dass ich mich geweigert habe zu bezahlen. Und das nach allem, was wir getan haben … Wir haben ihnen geholfen, die old Lady ihres VP zu befreien, haben dichtgehalten, als ein paar ihrer Leute ein Kartell in unser Gebiet gelockt haben, standen gegen die Kings immer an ihrer Seite, sodass es diese Arschlöcher jetzt auch auf uns abgesehen haben.«

Isa streichelte beruhigend mit einer Hand über seinen Arm. Es klang, als hätte er tatsächlich alles versucht, um ein freundschaftliches Verhältnis zu den Nachbarn aufzubauen. »Aber es kam nie etwas zurück?«

Er schnaubte. »Niemals. Ich sagte ihrem Pres, dass uns die Kings auf die Pelle rücken. Willst du wissen, was er geantwortet hat? ›Na, dann können wir ja froh sein, dass ihr als Puffer zwischen uns steht.‹«

Isa schüttelte den Kopf. »Was für ein Arschloch.«