Des Teufels Klinge (Die Teufel-Trilogie 2) - Sandra Binder - E-Book
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Des Teufels Klinge (Die Teufel-Trilogie 2) E-Book

Sandra Binder

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Beschreibung

**Ich war die Klinge Luzifers.** Einst erfolgreiche Kopfgeldjägerin im Auftrag des Teufels, wird Toni nun von dessen dämonischen Handlangern verfolgt. Allen voran Luzifers Krieger Tai, der in seiner persönlichen Vendetta Tonis ganze Welt brennen sehen will. Als wäre das nicht genug, kriselt es zunehmend zwischen ihr und Alek. Für den dickköpfigen Engel hat sie alles hinter sich gelassen, was sie kannte, und sich in den Krieg zwischen Himmel und Hölle verstrickt. Aber das Vertrauen zwischen ihr und ihren neuen Verbündeten ist brüchig und das Weltengefüge verändert bereits seine Gestalt. Das Gleichgewicht von Gut und Böse droht endgültig zu kippen … Teuflisch süffige Romantik, die dich die Realität vergessen lässt //Dies ist der zweite Band der prickelnden Urban-Fantasy-Serie von Sandra Binder. Alle Bände der Buchreihe bei Impress:  -- Des Teufels Jägerin (Die Teufel-Triloge 1) -- Des Teufels Klinge (Die Teufel-Trilogie 2) -- Des Teufels Thron (Die Teufel-Trilogie 3) -- Teuflisch prickelnde Romantik im Fantasy-Sammelband (Die Teufel-Trilogie )// Diese Reihe ist abgeschlossen. »Des Teufels Klinge« ist eine Neuauflage von Sandra Binders Roman »Des Teufels Krieger«. 

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Sandra Binder

Des Teufels Klinge (Die Teufel-Trilogie 2)

**Ich war die Klinge Luzifers.**Einst erfolgreiche Kopfgeldjägerin im Auftrag des Teufels, wird Toni nun von dessen dämonischen Handlangern verfolgt. Allen voran Luzifers Krieger Tai, der in seiner persönlichen Vendetta Tonis ganze Welt brennen sehen will. Als wäre das nicht genug, kriselt es zunehmend zwischen ihr und Alek. Für den dickköpfigen Engel hat sie alles hinter sich gelassen, was sie kannte, und sich in den Krieg zwischen Himmel und Hölle verstrickt. Aber das Vertrauen zwischen ihr und ihren neuen Verbündeten ist brüchig und das Weltengefüge verändert bereits seine Gestalt. Das Gleichgewicht von Gut und Böse droht endgültig zu kippen …

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Vita

Danksagung

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© Agentur Ashera

Sandra Binder, geboren 1985, lebt mit ihrem Mann im Herzen Oberschwabens. Noch bevor sie lesen und unzählige Bücher verschlingen konnte, entwickelte sie eine Leidenschaft fürs Theater. Allerdings stellte sie bald fest, dass sie sich lieber selbst Geschichten ausdachte, statt eine einzelne Rolle darin zu spielen. Im Jahr 2015 wagte sie den ersten Schritt ins Autorenleben und freut sich heute darüber, in verschiedenen Genres schreiben zu dürfen.

Freundschaft kennt weder Gut noch Böse,

für sie zählt nur der Takt des Herzens.

Für meine Besten.

Prolog

»Magst du es Hölle nennen, Vater, ich nenne es Freiheit!«

Diese Worte zieren den Torbogen am Eingang zu Luzifers Thronsaal. Der Höllenfürst hat sie vor langer Zeit gesprochen, nachdem er aus seiner Heimat verbannt, wie ein lästiger Hund verstoßen und ins kalte Nichts verwiesen wurde.

»Magst du es Hölle nennen, Vater, ich nenne es Freiheit!«

Scharlachrote Zeichen in altdämonischer Sprache, die er selbst kreiert hat. Jedes Mal, wenn ich zu den gezackten Lettern aufsehe, die ineinanderzufließen scheinen, als seien sie lebendige Wesen, befällt mich ein Gefühl der Ehrfurcht.

Denn was hat er getan, der Verstoßene, als er von allen verraten worden ist? Er hat sich nicht heulend zusammengerollt, sich geschämt und bereut oder gar um Gnade gefleht, nein, nicht mein Fürst. Er hat sich aus dem Dreck erhoben, in den er gestoßen worden war, und ein Reich erschaffen, das in seiner Pracht der Heimat, die er hatte verlassen müssen, in nichts nachsteht. Ein Königreich für die Verdammten und Ausgestoßenen. Und er ist ihr König.

Wenn das nicht der ultimative Beweis ist, dass ein Mann, der alles verloren hat, der wahre Sieger ist. Ein Gefallener ist nichts weniger als ein freier Mann, der sein Leben selbst in die Hand nehmen und nicht nur Neues, sondern Großes beginnen kann. Man braucht dazu nichts außer einem Ziel, eine Lebensaufgabe, die fest im Herzen verankert ist. Luzifer hat so etwas: den Engeln trotzen. Und ich habe ebenfalls eines: sie zerstören.

Sie glaubt nach wie vor, ich sei tot. Es ist fast putzig zu beobachten, wie sie an meinem Grab steht und mit dem leeren Sarg zu ihren Füßen spricht. Wenn das nicht das Lächerlichste ist, was die Welt je gesehen hat: Die Frau, die mich belogen und benutzt hat, beweint meinen Tod … dabei habe ich mich nie lebendiger gefühlt.

Magst du es Hölle nennen, Jägerin, ich nenne es Freiheit!

Ich könnte mich totlachen beim Gedanken daran, was aus ihr geworden ist. Sie war eine freie Einzelkämpferin, ein wertvolles Mitglied einer autarken Gesellschaft, und dann opfert sie alles für einen Posten in einer als Demokratie getarnten Knechtschaft. Dumme, kleine Jägerin …

Nein, Moment, keine Jägerin. Friedenswächterin. Und sogar Anführerin. Ein alberner Titel für eine Verräterin, die im Grunde keine Stimme besitzt.

Zugegeben, diese Friedenswächter sind ganz unterhaltsam gewesen, als sie noch versucht haben die Menschen durch reines Diskutieren vor der bösen, bösen Hölle zu »retten«. Jetzt, nachdem selbst den Begriffsstutzigsten unter den Wesen, den Engeln, aufgegangen ist, dass man mit Gerede keinen Krieg gewinnt, werden sie lästig. Ihr Aufgabenfeld ist erweitert worden, man hat die Schwarze Liste, eine Art Todesliste, eingeführt und die verräterische Ex-Jägerin darf nun wieder auf die Jagd gehen. Nur eben mit goldenem statt mit silbernem Schwert. Allmählich sollte man gegen diese Nephilim-Plage vorgehen. Und ich hoffe und wünsche, dass ich diese Aufgabe übernehmen darf.

Bald wird meine Zeit kommen, das spüre ich. Aber bis es so weit ist, amüsiere ich mich weiterhin über ihre One-Woman-Show. Soll sie doch in die Hand beißen, die sie über Jahre hinweg liebevoll gefüttert hat. Es ist zu komisch, wie sie sich dabei in Sicherheit wähnt, umringt von diesen nichtsnutzigen Engelsbälgern – besser als jedes Fernsehprogramm. Nicht dass ich hier unten viel Auswahl hätte.

Was zum … Verdammt! Das Summen. Jetzt kommt …

Eins.

… der Stundenschlag. Es ist elf Uhr. Elf Schläge, das ist …

Zwei.

… die Hölle … Oh, nein, bitte …

Drei.

Dafür wird sie bezahlen.

Vier.

Sie wird sich noch wünschen mich nie kennengelernt zu haben.

Fünf.

Sie wird … sich noch wünschen, ich sei damals gestorben.

Sechs.

Sie wird …

Sieben.

Sie … Ich werde … Was?

Acht.

Ja, bereuen. Bereuen wird sie.

Neun.

Dieses verdammte Pendel! Es muss doch irgendwie …

Zehn.

Bitte, nicht weiter … Bitte!

Elf.

Manches ändert sich nie

Ein schrilles Geräusch reißt Toni aus der seligen Schwärze. Alarmiert springt sie auf, blinzelt, versucht den Schleier über ihren Augen loszuwerden.

»Schon wieder, hm? Das ist nicht dein Ernst!«

Sie erkennt die kratzige Stimme sofort und weiß plötzlich genau, wo sie sich befindet. Erleichtert sinkt sie auf den Stuhl zurück und reibt sich die müden Augen, bevor sie Nikki einen entschuldigenden Blick zuwirft.

Der Boss steht an der Eingangstür, die Hände in die Hüften gestemmt wie ein altes Waschweib und die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst. In Verbindung mit seinem verlotterten Outfit, den verwaschenen, tief sitzenden Jeans, der ramponierten Collegejacke und der umgedrehten Baseballcap ein urkomisches Bild.

Toni verkneift sich ein Grinsen. »Muss die Glocke an der Ladentür derart laut sein?« Sie spürt seinen tadelnden Blick selbst durch die dunklen Gläser seiner Sonnenbrille. »Wieso erschreckst du mich so?« Toni hebt einen Mundwinkel. »Ich dachte schon, wir hätten Kundschaft und ich müsste die Kasse abstauben.«

»Kannst du nicht zu Hause schlafen, hm?«

»Könnte ich schon, aber dort bezahlt mich keiner dafür.«

Seufzend lässt Nikki die Arme sinken, kommt auf Toni zu und stützt sich auf die Theke. Als er den Kopf schief legt, blitzt ein schwarzes Zeichen unter dem Kragen seiner Jacke hervor. Die verschnörkelte Tätowierung an seinem Hals muss neu sein; die Ränder sind rot und die Haut ist leicht geschwollen.

Toni hebt die Brauen. Neben dem bunten Sammelsurium von Bildern, die sich auf dem knochigen Körper ihres Bosses tummeln, wirkt dieses auffallend schlicht. Gewohnheitsmäßig zupft sie am Ärmel ihrer Fleecejacke, um das Jägersymbol an ihrem rechten Handgelenk zu verdecken. Es ist zwar nur noch ein zartes Wasserzeichen, aber deutlich zu erkennen. Wie ein bleiernes Mahnmal ruht es auf ihrer Haut, als wollte es sie auf ewig an ihre größte Verfehlung erinnern.

Manchmal fragt sie sich, was es zu bedeuten hat, dass es nach wie vor da ist. Es könnte gleichermaßen der Spott Luzifers sein wie eine Mahnung der Engel.

Rasch schüttelt Toni den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben. Ob Nikki eine ebensolche Verbindung zu all seinen Tattoos hat?

»Kannst nachts nicht schlafen, hm?« Seine Stimme klingt ungewöhnlich sanft.

»Was?«, hakt Toni wenig geistreich nach und mustert argwöhnisch seine mitfühlende Miene. Es ist merkwürdig – sie kann beim besten Willen nicht abschätzen, wie alt Nikki ist. Sein Gesicht sieht jeden Tag anders aus. Das liegt aber vielleicht an seinem dunklen Bart, der die meiste Zeit über aussieht, als würde ihn ein Blinder rasieren.

Nikki verschränkt die Arme vor der Brust und seine Lippen verziehen sich zu einem Grinsen. »Nachts. Du weißt schon, dann, wenn andere Leute schlafen. Was treibst du da, hm?«

Eines hat Toni in ihrer Zeit als Kopfgeldjägerin des Teufels gelernt: Wer Wahrheiten verbergen will, darf nur bedingt davon abweichen. Zumal nichts für die Menschen absurder klingt als die Realität.

»Was werde ich schon treiben? Ich werfe mich in mein scharfes Lederoutfit und rette die Menschheit.«

»Ich hoffe für die Menschheit, dass sie nicht auf deine Rettung angewiesen ist.« Er winkt ab. »Und jetzt verschwinde, du hast Feierabend.«

Toni greift unter die Ladentheke und zieht ihre Schultertasche hervor. Dann lässt sie den Blick über die bunten CD-Regale schweifen und wundert sich wie so oft, dass heute noch jemand Geld mit CDs verdienen kann. Vor allem wenn sich nie ein Kunde in den Laden verirrt. Na ja, solange sie fürs Nichtstun bezahlt wird, soll es ihr recht sein. »Glaub mir, keiner ist damit zufrieden, aber die Menschheit kann es sich eben nicht aussuchen, von wem sie gerettet wird«, murmelt sie, verstaut das Buch, auf dessen Seiten sie eingeschlafen ist, in ihrer Tasche und zieht stattdessen den iPod heraus.

»Morgen kommt eine neue Lieferung CDs.« Nikki schlendert um die Theke herum und öffnet geräuschvoll die Kasse. »Sei also zur Abwechslung mal pünktlich und hilf mir beim Einräumen.«

»Wow, wie spannend, das lasse ich mir keinesfalls entgehen.« Mit einem sarkastischen Lächeln schultert sie ihre Tasche und geht auf die Tür zu.

»Dein Auto parkt nicht vor der Tür.« Nikki schaut von den bunten Geldscheinen in seiner Hand auf – wo kommen die plötzlich her? – und wieder schleicht sich dieser mitfühlende Blick in seine Miene. »Soll ich dich nach Hause fahren, hm?«

Zögerlich hält Toni inne. Im Grunde ist sie lediglich aus Geldmangel und der daraus resultierenden Benzinknappheit in ihrer klappernden Schrottkarre zu Fuß unterwegs. Und da ihr Boss gerade so unverschämt mit einem dicken Stapel Moneten wedelt, könnte das vielleicht die passende Gelegenheit sein, ihn wegen einer Gehaltserhöhung anzusprechen. Allerdings ist Tonis Schmerzgrenze für mitfühlende Blicke und Fragen mit einem »Hm« am Ende für heute erreicht.

Sie schüttelt den Kopf. »Die frische Luft wird mir guttun und mich wieder aufwecken.«

Nikki hebt die Brauen. »Ach, jetzt willst du wach sein, hm?«

»Gute Nacht, Nikki!« Sie reißt die Glastür auf, wodurch das Glöckchen erneut schrillt, und schlüpft nach draußen. Ein eisiger Windstoß fegt über den Bürgersteig, bläst unbarmherzig durch ihre Fleecejacke und zupft an ihrem Haar. Fröstelnd schlingt Toni die Arme um den Körper und setzt sich in Bewegung, hält allerdings abrupt inne, als sich eine dicke Schneeflocke auf ihrer Nase niederlässt. Mit zornigem Blick schaut sie zum Himmel. »Was soll denn die Scheiße jetzt?«

Wie winzige weiße Federn segeln die Flocken zur Erde, bis sie vom nächsten Windstoß spielend durcheinandergewirbelt werden.

»Ihr habt echt was gegen mich, oder?« Seufzend wirft sie einen Blick über die Schulter in den Laden. Wie armselig wäre es wohl, Nikkis Angebot nachträglich anzunehmen?

Ihr Boss hat seine Baseballmütze inzwischen abgelegt und reibt sich konzentriert den geschorenen Schädel, während er die Geldscheine beäugt. Diese Kohle kann er niemals allein mit CDs verdient haben – zumal Toni, seit sie in seinem Laden arbeitet, fünf Kunden hatte, wenns hochkommt. Na ja, okay, das ist vielleicht etwas übertrieben. Dennoch, Nikki hat eine andere Einnahmequelle und benutzt den Musikladen zur Geldwäsche, ganz bestimmt. Ob Toni in sein Nebengeschäft einsteigen könnte?

Seufzend wendet sie sich ab und massiert ihr Nasenbein. »Schon vergessen? Du gehörst jetzt zu den Guten. Wie wärs, du verhältst dich so?« Sie zieht den Reißverschluss ihrer Jacke bis oben zu und schlägt den Kragen hoch, was nicht nur gegen die Kälte hilft, sondern ebenso vor der Peinlichkeit schützt, das aufgestickte Namensemblem auf ihrer Brust der Öffentlichkeit zu präsentieren. Unter dem Logo von »Nikki’s RockShop« steht tatsächlich »Toni rockt für Sie!« auf ihrem Poloshirt! Welcher sadistische Minusboss kommt denn auf so was? Am liebsten hätte sie ihm das Teil um die Ohren gehauen. Aber es ist nicht mehr wie früher – sie ist keine Freelancerin mehr, die ihre Arbeitsbedingungen selbst bestimmt und eine Menge Geld damit verdient. Sie braucht diesen Job. Dringend.

Brummend stopft sie sich die Hörer ihres iPods in die Ohren und lässt sich von Bob Dylans »The Times They Are A-Changin’« berieseln. Jaja, die Zeiten ändern sich … Früher hat sie die Musik passend zu ihren Zielpersonen ausgesucht, nicht nach ihrer Stimmung.

Mit gesenktem Kopf und in den Jackentaschen vergrabenen Händen marschiert sie durch die Dunkelheit. Es ist zwar noch früh am Abend, doch zu dieser Jahreszeit scheint es in Flammach ohnehin niemals Tag zu werden. Als hätte die Sonne ihren Blick angewidert von der hässlichen Stadt abgewendet und ihren Job den Straßenlaternen überlassen, die nun fahle, orangefarbene Lichtkugeln auf den Asphalt werfen.

Toni geht wie immer die einsamen Nebenstraßen entlang. Das ist nicht nur eine alte Gewohnheit, sie genießt es, mit sich und ihren Gedanken allein zu sein. So kann ihr schon keiner auf den Keks gehen. Die entspannende Ruhe hält allerdings nicht lange; bis zum Eingang des Parks, um genau zu sein. Plötzlich spürt sie eine Präsenz hinter sich und im nächsten Augenblick fegt ein Luftzug durch ihr Haar, so unnatürlich kalt und fordernd, als wollte er sie zum Umdrehen bewegen.

Alarmiert wirbelt sie herum, blinzelt gegen die immer dichter fallenden Schneeflocken an, die in ihren Wimpern kleben bleiben, und erkennt schließlich eine wohlvertraute Silhouette etwa zehn Meter von sich entfernt. Bernsteinfarbene Augen starren ihr aus einem nachtschwarzen Gesicht entgegen und blitzen gierig auf.

»Du schon wieder?! Was willst du von mir?« Drohend macht sie einen Schritt auf den riesigen schwarzen Hund zu und wedelt mit den Händen. »Verschwinde, du Flohteppich!«

Der verlauste Straßenköter legt lediglich den Kopf schief und starrt sie weiterhin an. Einen Moment später lässt er sich sogar – gänzlich unbeeindruckt von Tonis Vertreibungsversuchen – auf den Hinterbeinen nieder, öffnet das Maul und hängt die Zunge heraus.

Manchmal kommt es ihr vor, als würde dieses Mistvieh sie auslachen.

»Mach, was du willst«, warnend zielt sie mit einem Finger auf ihn, »aber wehe, du läufst mir wieder hinterher!«

Sie macht auf dem Absatz kehrt und tritt schnellen Schrittes durch das Buchsbaumtor am Eingang des Parks.

Der Hund folgt ihr auf dem Fuß.

Argwöhnisch schielt Toni über die Schulter. Es ist ihr ein Rätsel, wieso sich das Vieh derart merkwürdig verhält. Und es verursacht ihr eine eisige Gänsehaut, von ihm verfolgt durch den düsteren, menschenleeren Park zu gehen.

Bei Anbruch der Dunkelheit verlassen die braven Bürger Flammachs diesen Ort instinktiv, machen unheilvollen Schatten Platz, dämonischen Aktivitäten, deren Rohheit über ihre Vorstellungskraft hinausgeht. Toni weiß genau, was und wer hinter den hohen Hecken lauert. Glücklicherweise kennen sie die meisten dieser Gestalten als gnadenlose Ex-Jägerin und halten sich von ihr fern.

Da sag jemand Böses über einen schlechten Ruf! Immerhin schützt er weitaus zuverlässiger als ein guter. Außer es handelt sich um nervtötende, verfilzte Fellknäuel …

Knurrend dreht sich Toni um und funkelt den Hund zornig an, woraufhin das Tier anhält und wie zuvor auf die Hinterläufe sinkt.

»Willst du mich ärgern? Hau endlich ab!«

Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie sagen, das Vieh grinst sie an. Bis es sich plötzlich duckt, die Ohren anlegt und an ihr vorbeischielt.

Sofort wirft sie einen Blick über die Schulter, kann aber niemanden sehen. »Hast du was gehört?«

Wie vom Blitz getroffen springt das Tier auf, dann tapst es ungeschickt rückwärts. Und als Toni einen Schritt auf es zugeht, wirbelt es schließlich herum und prescht davon.

Mit zusammengeschobenen Brauen zieht Toni die Stöpsel aus den Ohren und schaut sich gründlich um. Wenn er vor ihr keine Angst gehabt hat, muss wohl noch etwas anderes in diesem Park sein, etwas Beängstigenderes.

Vorsichtig tritt sie vom Kies aufs Gras, auf dem sie ihren Weg fortsetzt, nicht ohne ihre Umgebung im Auge zu behalten.

Als sie beinahe am Ausgang angekommen ist, hört sie ein leises Rascheln in den Büschen. Automatisch greift sie nach ihrem Schwert, das sie natürlich auf dem Heimweg von der Arbeit nicht dabeihat. Seufzend hebt sie die Fäuste und geht in Kampfstellung.

»Wer hat sich denn da in meinen Park verirrt?« Es ist das piepsige Stimmchen eines Mädchens, aber ihr Tonfall ist härter und entschlossener geworden. Geschmeidig tritt die neue Jägerin Flammachs hinter einem Rhododendron hervor und blitzt Toni mit ihren schokoladenbraunen Mandelaugen zornig an.

Der Anblick versetzt Toni einen Stich ins Herz. Vy sieht ihrem Bruder verdammt ähnlich.

»Können wir das bitte vertagen?« Toni lässt die Fäuste sinken, ignoriert das fiese Ziehen in ihrer Magengegend und fährt betont lässig fort: »Ich habe einen ereignislosen Tag hinter mir und muss mich auf eine ereignislose Nacht vorbereiten. Aber, hey, lass uns was für nächste Woche ausmachen. Was hältst du davon, hm?«

Hat sie den Satz tatsächlich mit »Hm« beendet? Sie brummt. Wenn das kein Zeichen ist, dass sie schon zu lange für Nikki arbeitet.

Als Vy ihr Schwert aus der Scheide an ihrem Gürtel zieht, erklingt ein schabender Laut, begleitet von dem leisen Sirren der Klinge. Diese Melodie ist Toni nur allzu vertraut. Und obwohl sich die Härchen in ihrem Nacken aufstellen, verschränkt sie die Arme vor der Brust und lächelt ihre Nachfolgerin selbstsicher an. »Ich kenne dich besser. Du hast genug Ehre im Leib, um keinen unbewaffneten Feind anzugreifen.«

Schlagartig verdüstert sich Vys Miene und ihre Finger verkrampfen sich sichtlich um die rotschwarze Heftwicklung am Schwertgriff. »Du wagst es, von Ehre zu sprechen? Du? Als wüsstest du, was das ist! Tai hat dich geliebt und du hast ihn getötet!«

Ihre Worte fühlen sich an wie Ohrfeigen. Jedes der seltenen Male, da sie das Mädchen seit dem Tod ihres Bruders getroffen hat, hat sie ihr dieselben Vorwürfe ins Gesicht gespuckt. Sie treffen Toni jedes Mal hart, erbarmungslos und mitten ins Herz.

Sie räuspert sich, ehe sie auf sich selbst deutet. »Sein Schwert hat meine Brust durchbohrt, nicht andersherum.«

Ein wenig überzeugendes Argument, das wissen sie wohl beide.

»Ich bete jeden Tag darum, in einem Paralleluniversum aufzuwachen, in dem er dein Herz nicht verfehlt hat.« Plötzlich lässt sie das Schwert auf Toni herabsausen.

Im letzten Moment weicht diese zurück, rutscht auf dem Kies und hebt beschwichtigend die Hände. »Komm schon, Vy … Wir beide sind die Ordnungshüter dieser Stadt und haben im Grunde das gleiche Ziel. Hin und wieder sollten wir zusammenarbeiten, um das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten.« Grinsend wackelt sie mit den Brauen. »Sogar Mafiaboss und Polizeichef setzen sich abends mal auf ein Gläschen Wein zusammen. Na, was meinst du?«

Mit drohend erhobenem Schwert macht Vy einen Schritt auf sie zu. »Ich trinke keinen Wein.«

Hätte Toni auch gewundert. Sooft sie der jungen Jägerin die Hand reichen und ihr beistehen wollte, dieser Sturkopf hat es jedes Mal abgelehnt. Verständlicherweise. Dabei zerreißt es Toni fast das Herz, nichts für Tais Schwester tun zu dürfen, denn ihr schlechtes Gewissen und ihre Trauer plagen sie sehr.

»Ich ebenfalls nicht«, räumt sie ein, spiegelt Vys austestende Vor- und Rückwärtsbewegungen und fixiert das Mädchen aufmerksam. »Wir müssen uns nicht auf ein Getränk festlegen. Steck erst mal das Schwert weg, das wäre ein Anfang.«

Ohne Vorwarnung stürzt Vy auf sie zu.

Toni weicht ihr leichtfüßig aus, wirbelt um sie herum und verpasst ihr einen leichten Tritt in den Hintern, der die junge Jägerin stolpern lässt.

Knurrend wirft diese ihrer Gegnerin einen hasserfüllten Blick zu.

»Du bist besser geworden«, lobt Toni. »Aber du bist immer noch zu langsam und hältst dein Schwert wie ein Mädchen. Du brauchst mehr Übung. Bisher ist dein einziger Vorteil gegenüber deinen Zielpersonen die Waffe in deiner Hand.«

»Was du nicht sagst, Nephilim«, spuckt Vy ihr entgegen und wirft ihren seidigen schwarzen Haarzopf über die Schulter. Daraufhin steckt sie das Schwert mit einer geschmeidigen Bewegung zurück in die Scheide und hebt die Fäuste in Kampfstellung.

»Ich fürchte, du hast mich nicht richtig verstanden. Du solltest immer versuchen hinter dem Schwert zu bleiben.«

»Ich brauche keine Nachhilfestunden von einem Friedenswächter!«

Damit liegt sie leider falsch. Nach einem Selbstverteidigungskurs im Gemeindezentrum und ein paar Wochen halbherzigem Einsatz als Kopfgeldjägerin kennt Vy nicht einmal die Grundlagen.

Toni überlegt noch, wie sie aus der Situation herauskommen kann, ohne Vy zu verletzen, da greift die junge Jägerin bereits frontal an. Genau so, wie man es nicht machen sollte. Die zierlichen Fäuste schwingen durch die Luft und prasseln auf Tonis Unterarme ein, die sie zur Abwehr erhoben hat. Vy ist stärker als gedacht, doch noch immer keine ernst zu nehmende Gegnerin für die kampferprobte Jägerin, oder vielmehr Ex-Jägerin … Nephilim … verdammt, Friedenswächterin!

Schnaubend duckt sich Toni unter Vys Schlägen hindurch und schubst das Mädchen von sich. »Zwing mich nicht dir wehzutun.«

Die dunklen Augen flackern auf. Sie sind voller Zorn und Hass. Knurrend stürmt sie erneut auf Toni zu. Anders als erwartet dreht sie kurz vor ihrem Ziel ab und verpasst ihr einen seitlichen Schlag in die Rippen.

Toni keucht, wirbelt augenblicklich herum und stellt Vy ein Bein.

Das Mädchen stolpert, nutzt jedoch den Schwung, um Toni zu rammen.

Würde ihr nicht durch Vys Ellbogen in ihrem Rücken alle Luft aus den Lungen gepresst, wäre Toni beinahe beeindruckt. Laut nach Atem ringend weicht sie zurück und hebt einmal mehr beschwichtigend die Hände.

»Du schwingst hier große Reden übers Kämpfen, aber traust dich nicht anzugreifen«, schnauzt Vy. »Was ist los, Nephilim? Haben sie dich weichgespült?«

Weichgespült? Ich darf doch sehr bitten!

Bevor sie sich bremsen kann, schnellt Tonis Faust nach vorn und boxt die junge Jägerin in den Magen.

Das Mädchen taumelt zurück und … grinst. »Jetzt verstehen wir uns.«

Erneut schießt sie vor, Toni weicht aus, schlingt gleichzeitig einen Arm um ihren Hals und hält sie im Würgegriff.

Das Mädchen wehrt sich mit Händen und Füßen, kann sich dem schraubstockartigen Griff aber nicht entziehen. Kurz darauf macht sie etwas Seltsames: Vy holt mit ihrem Hintern aus und schwingt daraufhin gegen Toni.

Diese rutscht auf dem Kies nach hinten und hört plötzlich ein unheilvolles Knacken. Erschrocken lässt sie von dem Mädchen ab und stützt sie an den Schultern, in der festen Annahme, sie hätte ihr das Genick gebrochen. Ihr Herz rast und sie ist derart in Panik, dass sie nicht einmal reagieren kann, als Vy herumwirbelt und zu einem Tritt ausholt. Als deren Stiefel schmerzhaft auf Tonis Magen trifft, rutscht sie ein weiteres Mal aus und landet mit dem Rücken im Kies.

Hustend und würgend blickt sie sich um und entdeckt schließlich den Verursacher des knackenden Geräuschs: Ihr Stiefelabsatz ist abgebrochen und liegt wie ein ausgedientes Requisit neben ihr. Verwirrt schaut sie zu Vy auf, die bereits zum nächsten Tritt ansetzt.

Hastig greift Toni nach dem Absatz, rollt zur Seite und springt auf. Sie mustert Vys entschlossene Miene einen Augenblick lang, ihre zornig verzerrten Lippen und die wild funkelnden Augen. Tais Schwester hasst sie abgrundtief, das ist deutlich, und für die junge Jägerin ist dieser Kampf bitterer Ernst. Deshalb tut Toni, was ihr in diesem Moment als das einzig Richtige erscheint: Sie wirbelt herum und rennt davon.

»Feiger Nephilim«, brüllt Vy ihr nach und Toni kann ihr nur recht geben.

Sie läuft vor der Kopfgeldjägerin weg, weil sie sich davor fürchtet, gegen sie zu kämpfen. Ja, jetzt ist sie wirklich eine von ihnen. »Verdammte Scheiße!«, flucht sie und schaut über die Schulter.

Vy kann sie nicht mehr sehen, dafür aber den großen schwarzen Hund. Er sitzt seelenruhig vor dem Eingang des Parks und sein bernsteinfarbener Blick folgt ihr träge.

***

Tai öffnet die Augen und streckt die Beine aus. Seine Knie sind steif geworden von der langen Zeit, die er bewegungslos im Schneidersitz verbracht hat, dennoch lächelt er zufrieden. Was er eben durch die Hundeaugen auf der Menschenwelt gesehen hat, war sehr … aufschlussreich.

Ein wenig schwerfällig erhebt er sich von seiner Pritsche, streckt sich ausgiebig und wirft einen Blick auf die Uhr. Es ist kurz vor acht. Höchste Zeit, aus seiner Kammer zu verschwinden, bevor der Stundenschlag der Standuhr ertönt. Acht Mal. Allein bei der Vorstellung schaudert ihn.

Das schwere, schneidende Geräusch des Pendels fährt bereits schmerzlich in all seine Nervenenden, doch wenn die massive Standuhr ihren vollen, sonoren Ruf ertönen lässt, schlagen Tais Innereien panisch Purzelbäume. Es ist, als wirble der Klang seine Gedanken durcheinander. Am Ende fehlen einige davon einfach. Oder es kommen welche hinzu? Das kann er hinterher schwer nachvollziehen.

Jedenfalls wirkt der vibrierende Laut dieses ebenholzfarbenen Ungetüms so ernst und unheilvoll und derart greifbar, dass das Geräusch wie ein lebendiges Wesen durch seine Kammer wabert. Manchmal hat Tai sogar das Gefühl, dass es in ihn hineingleitet und an irgendetwas in seinem Inneren zupft und reißt. Es ist seltsam, verwirrend und tut höllisch weh – und Tai weiß inzwischen genau, was das Wort »höllisch« bedeutet.

Er nimmt sich vor erst nach zwölf zurückzukommen. Zwölf Mal. Das ist beinahe unerträglich.

Er schlüpft in die Motorradstiefel, schnappt sich seine Jacke vom Stuhl und verlässt fluchtartig den Raum. Erst einige Schritte von seiner Tür entfernt hat er das Gefühl, dem Grauen entkommen zu sein, und atmet tief durch. Der eigenwillige Geruch des Unteren Reiches kitzelt zwar in seiner Nase und brennt in seinen Lungen, dennoch hat das Aroma eine beruhigende Wirkung auf ihn. Manche Menschen fühlen sich heimisch und sicher, wenn der Duft von frisch gebackenen Plätzchen um ihre Nasen weht – Tai bevorzugt den beißenden Gestank verbrannten Plastiks.

Eine Erinnerung blitzt in seinem Kopf auf: frische Minze. Ihre scharlachroten Locken rochen immerzu nach frischer Minze …

Tai stöhnt auf, als ein stechender Schmerz in seine Schläfen fährt. Gewaltsam drängt er die Gedanken zurück, füllt seine Lungen erneut mit dem Geruch der neuen Heimat und marschiert schließlich los.

Wie gerne hätte er sein Motorrad hier unten. Die Akustik in dem höhlenartigen Flur muss gigantisch sein. Die Schreie der armen Hunde, für die Luzifer keine Verwendung hat, hallen jedenfalls erschreckend klar und intensiv von den rauen Eiswänden wider. Außerdem müsste er dann nicht ständig zu Fuß gehen, in seiner Motorradkluft wirkt das auf Dauer recht albern.

Sein Fürst hatte allerdings einleuchtende Gründe, ihm diesen Besitz zu verwehren. Zumindest fand Tai sie zu dem Zeitpunkt ihres Gesprächs einleuchtend, so viel weiß er noch. Seltsamerweise kann er sich aber nicht mehr genau daran erinnern. Jedes Aufeinandertreffen mit Luzifer erscheint ihm im Nachhinein blass und bruchstückhaft. Wie ihm die meisten Begebenheiten und manchmal sogar seine eigenen Gedanken blass und bruchstückhaft erscheinen. Und unterlegt von einem vibrierenden Glockenschlag …

Tai hebt den Kopf, betrachtet das Spiel des Lichts in den riesigen Eiszapfen, die von der Decke hängen, und verfällt in einen lässigen Schlenderschritt. Allmählich kennt er sich ganz gut aus und braucht Ku’rax nicht mehr als Reiseführer. Die Flure sehen alle gleich aus – dieselben rauen Eiswände und dieselben dunklen Holztüren an den Seiten –, aber es gibt einen Trick, wie man in diesem Labyrinth den Überblick behält: zählen.

Von Tais Kammer aus sind es vier Türen bis zur Trainingshalle und dort gegenüber befindet sich die Waffenkammer, die meist verschlossen ist. Geht man weiter, zweimal links und einmal rechts, gelangt man durch die dritte Tür auf der linken Seite in die Verpflegungshalle. Wer diese nicht findet, hungert. Es ist ein einfaches System.

Heute nimmt Tai allerdings einen Weg, den außer ihm nicht viele »Zugezogene« kennen. So nennen die Dämonen die menschlichen Bewohner der Unterwelt, diejenigen, die eine neue Aufgabe bekommen und ihrem Fürsten dienen dürfen. Ku’rax hat ihm diesen besonderen Ort am zweiten Tag gezeigt und sich bei Tai damit als einziges Wesen in den drei Welten einen Titel verdient, der dem eines »Freundes« recht nahekommt.

Tai zählt: einmal links, einmal rechts, fünf Schritte nach vorn und durch die Öffnung im Eis zu seiner Rechten. Er hält die Luft an und schiebt seinen Oberkörper vorsichtig durch den engen Spalt. Vor ein paar Wochen ging das noch leichter. Durch die vielen Trainingsstunden und den seltsamen Haferschleim, den er morgens hinunterwürgen muss, hat er einige Kilo zugelegt. Er kann sich ein Kichern nicht verkneifen. Es wird großartig sein, wenn er ihr zum ersten Mal wieder begegnet, so stark und mächtig und einschüchternd …

In Erwartung eines gewaltigen Kopfschmerzes zieht er das Genick ein, doch seine Schläfen pochen lediglich ein wenig. Merkwürdig. Aber inzwischen hat er aufgehört darüber nachzudenken, wieso es ihm körperliche Schmerzen bereitet, sich an sie zu erinnern, es geht ihm bloß noch auf die Nerven, dass sie ihn ständig in seinen Gedanken belästigt. Es ist, als würde die Erinnerung ihn verspotten. Kein Wunder, nachdem er damals ein so schwacher, gutgläubiger Trottel gewesen ist.

Tai schüttelt den Kopf, ehe er sich auf den riesigen Raum konzentriert, der vor ihm liegt. Das Licht, das überall anders im Unteren Reich ohne erkennbaren Grund gleißend hell von Wänden und Decken strahlt, scheint an dieser Stelle gedämpft. Der ehemalige Jäger braucht einen Moment, bis er sich an den Helligkeitsunterschied gewöhnt hat, dann reiht er sich zwischen den Dämonen ein und lässt sich von der Masse mitziehen.

Hier geht es zu wie in einem Kaufhaus kurz vor Weihnachten und es sieht sogar ähnlich aus. Bloß ohne die grelle Dekoration und die abartige Fröhlichkeit der Kunden.

Tai marschiert die Galerie auf dem höchsten von fünf Stockwerken entlang und beobachtet das dichte Gedränge auf den Wegen unter ihm. Dämonen gehen nicht gerade zimperlich mit ihren Mitdämonen um – vor allem wenn ihnen jemand in die Quere kommt, kann es gerne mal vorkommen, dass derjenige vom geländerlosen Weg geschubst wird und in die Tiefe fällt. Interessiert niemanden, denn sterben darf in der Unterwelt sowieso keiner. Schmerzhaft ist es trotzdem, weshalb Tai so weit innen wie möglich geht, obwohl er dort ständig von irgendwelchen Ladenbesitzern angequatscht oder in zwielichtige Kammern gezogen wird. Er ist jedes Mal froh, wenn er die Treppe erreicht hat und bis ganz nach unten durchgedrungen ist.

Die unterste Ebene ist quasi die Amüsiermeile der Hölle. Lautstarkes Gebrüll, das Scheppern und Zischen der kleinen Garstände am Wegesrand und die Musik aus den Höhlen, die sich zu beiden Seiten des Weges öffnen, verbinden sich zu einer Geräuschkulisse, die man sonst nur auf einem überfüllten asiatischen Markt erwartet. Ebenso wie die Gerüche: Gewöhnungsbedürftige Gewürze vermischen sich mit einem Gestank, dessen Ursprung sich Tai lieber nicht ausmalen will. Flach atmend schiebt er sich durch den bunten Pulk und erinnert sich daran, wie viel Glück er hat, sich an diesem Platz aufhalten zu dürfen und nicht in seiner Kammer bleiben zu müssen.

Ein hochgewachsener Dämon, der in feinem Zwirn vor einem der Höhleneingänge steht, begrüßt ihn mit einem schiefen Grinsen und einem Schulterklopfen. »Bereit für eine neue Partie?«

Tai schaudert. Nicht wegen des narbenübersäten Gesichts oder der giftgrünen Augen seines Gegenübers – den Anblick der Dämonen ist er inzwischen gewohnt –, sondern wegen des Gedankens, in diese Höhle zu gehen. Das letzte Mal hat er im Kasino Trainingsstunden für zwei volle Tage verspielt. Einen Tag länger und er wäre vollends irrsinnig geworden. Nichts ist schlimmer, als hier unten nichts zu tun zu haben.

»Nein, heute nicht.« Tai lächelt vielsagend. »Ich habe schon ein anderes Date.«

Der Dämon antwortet mit einem breiten Grinsen und klopft ihm erneut auf die Schulter. Muss er ja nicht wissen, dass Tais »Date« flaschenförmig ist. Er nickt dem Türsteher zu, dann biegt er in den nächsten Höhleneingang ein, um den Schein zu wahren.

Ein düsterer Flur führt zu einer wuchtigen Holztür. Bereits beim Aufschieben dringen die wummernden Bässe nach draußen, vibrieren in Tais Brust und fressen sich dumpf in seinen Schädel. Bei diesem Technolärm kann man seine eigenen Gedanken nicht mehr hören. Herrlich.

Er betritt das Lokal und marschiert an bunten Laserlichtstreifen vorbei, die sich durch die Dunkelheit schneiden. Gesteuert werden sie von der Lichtanlage über einer großen Bühne in der Raummitte, neben der sich an silbernen Stangen halb nackte Dämonenfrauen räkeln. Sie sind trotz der kargen Beleuchtung noch viel zu deutlich zu erkennen für Tais Geschmack. Er wendet den Blick von dem grotesken Schauspiel ab und steuert zielstrebig auf die Bar zu, die mit bunten LED-Bändern hervorgehoben ist.

Es ist kaum was los heute Abend. Nur eine Handvoll Dämonen sitzt an verschiedenen Tischchen, verfolgt die Show, genießt einen Lapdance oder tut, was man eben Unaussprechliches in höllischen Stripclubs tut. Tai versucht die meiste Zeit über nicht hinzusehen.

Er dreht dem Geschehen den Rücken zu, lässt sich auf einem Barhocker nieder und tippt mit zwei Fingern auf die Theke, was so viel bedeutet wie: doppelter Whisky ohne Eis. Bei diesem Krach muss man die Zeichensprache der Bar kennen, wenn man nicht durstig nach Hause gehen will.

Tai nimmt dem Barmann das Glas aus der Hand und trinkt einen großen Schluck. Der billige Fusel rinnt seine Kehle hinab wie Spiritus. Ohne eine Miene zu verziehen, stellt er das Glas ab, dreht es in den Händen und beobachtet die strudelnde Bewegung der dunklen Flüssigkeit.

»Hey«, brüllt ihn eine schrille Stimme an. »Wie wärs, Süßer?«

Tai schielt die Dämonin von der Seite an und knurrt ein »Hau ab!«, das sie nicht hören muss, um es zu verstehen.

Sichtlich gekränkt verengt sie die purpurnen Augen zu Schlitzen und fährt sich mit einer Hand durch das dicke – vermutlich künstliche – rote Haar. »Dir entgeht was.« Betont langsam dreht sie sich um die eigene Achse, wohl um zu demonstrieren, was ihm da entgehen soll.

Tai erkennt es trotz aller Bemühung nicht. Seufzend rollt er mit den Augen und trinkt einen weiteren Schluck seines Whiskys. Diese Dämonenmädels fallen wie die Geier über alles her, was noch einen Puls hat.

»Lass ihn in Frieden, Mädchen. Heute ist kein geeigneter Tag dafür.« Die knorrige Stimme klingt wie immer belustigt. Ku’rax schiebt die beleidigte Dämonin beiseite und lässt sich auf dem nächsten Barhocker nieder. Mit erhobenem Zeigefinger bestellt er einen Becher Met, bevor er seine Augen, oder vielmehr die schwarzen Löcher in seinem Gesicht, auf Tai richtet. »Dieser Abend verspricht etwas Außergewöhnliches. Kannst du es spüren?« Ku’rax’ reptilartige Lippen teilen sich zu einem breiten Grinsen, das spitze Zähne entblößt.

»Ja, er verspricht eine Menge Alkohol.« Tai leert sein Glas und bedeutet dem Barmann nachzufüllen. »Ich werde mich heute fürchterlich betrinken. Du musst nicht bleiben und dabei zusehen.«

Ku’rax kichert und blickt ihn mit nachsichtiger Belustigung an. »Ihr Menschen seid zu köstlich. Mit Freuden werde ich hier sitzen, deine Qualen genießen, bis du vom Barhocker fällst, und dich dann zurück in deine Kammer bringen. Dort lasse ich mir – wie jeden Donnerstag – von deinem halb verdauten Abendbrot ein weiteres Paar italienischer Schuhe ruinieren.« Er schnalzt mit der Zunge. »Nun, für jedes Vergnügen muss bezahlt werden.«

Tai hat nichts anderes erwartet. Lächelnd prostet er dem Dämon zu. »Du wärst die ideale Ehefrau.«

Ku’rax scheint sich für seinen ehemaligen Kopfgeldjäger verantwortlich zu fühlen, seit er ihn im Unteren Reich abgeliefert hat. Warum ist Tai schleierhaft, aber er ist froh jemanden zum Reden oder auch zum Schweigen zu haben.

»Ich habe sie heute beobachtet«, erzählt er dem Dämon mit starrem Blick auf sein Glas.

Er kann Ku’rax’ Seufzen förmlich spüren. Hastig kippt er den Rest Whisky hinunter und stellt zufrieden fest, dass seine Kehle bereits derart betäubt ist, dass er das Brennen kaum noch spürt. Als er gerade gegen sein Glas tippen will, stellt der Barmann die Flasche vor ihm ab.

In stillschweigendem Verständnis nickt er Tai zu. Da sag einer, Dämonen könnten nicht freundlich sein.

Beherzt greift Tai nach der Flasche und füllt sein Glas bis zum Rand auf. »Ich habe ihren Schwachpunkt entdeckt«, fährt er schließlich fort.

Ku’rax schüttelt den Kopf und kichert, als habe Tai einen Scherz gemacht. »Deine Besessenheit für diese Nephilim ist überaus erheiternd. Jedoch … Du solltest achtsam prüfen, ob unter dem lodernden Hass noch ein Funken Liebe glimmt.«

Tai zieht eine abfällige Grimasse. Ist das sein Ernst?

»Unser Fürst hält dich nur um deinetwillen zurück. Du musst bereit sein. Der letzte Funke Zuneigung muss erloschen sein, um deine Rache perfekt zu machen«, meint der Dämon und wirkt ausnahmsweise einmal todernst.

»Keine Sorge, ich bin bereit«, antwortet Tai mit fester Entschlossenheit. Das irre Grinsen, das sich in seine Züge schleicht, kann er allerdings nicht aufhalten. »Ich will ihr wehtun, Ku’rax. Und nicht nur das. Ich will sie zerstören!«

Auf dem Gesicht des Dämons formt sich ein freudiger Ausdruck entspannter Kaltblütigkeit. »Wunderbar. Fürst Luzifer wird erfreut sein das zu hören.«

***

»Weißt du, weshalb die Superhelden, die keine Superkräfte besitzen, so unverschämt reich sein müssen?« Sorgfältig verteilt Toni den Kleber auf dem abgebrochenen Absatz und drückt ihn vorsichtig auf die Sohle. »Wegen der Ausrüstung. Ohne gepanzerte Wagen, Fallschirm-Capes oder dolchschießende Armbänder würden die nämlich alt aussehen.« Sie spannt den Schuh behutsam in die Schraubzwinge, die sie zusammen mit dem Kleber von ihrem Nachbarn geliehen hat. Was für ein Glück, dass es noch Bastler auf dieser Welt gibt. »Wie soll ich je zu den Helden gehören, wenn ich in solchen Lumpen rumlaufen muss?«

Lestat schielt sie über den Rand seiner Zeitschrift hinweg an, ehe er die Seite umblättert. »Dann musst du dir eben Superkräfte zulegen.«

»Danke für dein Mitgefühl.« Brummend lässt sich Toni neben ihm auf die Couch fallen.

»Schätzchen, ich habe Mitleid mit dir, glaub mir.« Ihr Mitbewohner grinst so breit, dass die langen Reißzähne zwischen seinen Lippen hervorblitzen. »Immerhin bist du vor Vy davongelaufen. Wie ein kleines Nephilim-Mädchen. Das ist mitleiderregend.«

Sie gibt ihm einen spielerischen Klaps auf den Arm. »Du weißt, dass ich sie nur schützen wollte. Hätte ich sie stattdessen k. o. schlagen sollen?«

»Unterschätz den Krümel nicht.« Lestat wirft die Zeitschrift auf den Couchtisch und mustert Toni aus seinen karamellbraunen Augen. »Sie ist clever, lernt verteufelt schnell und hat zumindest schon das Vokabular einer echten Jägerin drauf. Es ist gruselig, wie sie dir von Tag zu Tag ähnlicher wird.«

»Nein, nicht mir. Ihm.«

Nachdenklich kaut Toni auf ihrer Unterlippe. Wieso muss sie ihrem Bruder so verdammt ähnlich sehen? Vys Anblick reißt alle Wunden auf, welche die Zeit versucht zu heilen. Nicht dass sie damit großen Erfolg hätte …

Toni fühlt sich schuldig, nach wie vor, jeden Tag. Auch wenn es Tais eigene dämliche Entscheidung war, seine Zielperson zu verschonen und auf einen Engel loszugehen, ist Toni zweifelsfrei der Auslöser für diesen ganzen Schlamassel gewesen. Sie hatte gewusst, was er für sie empfand, und hatte ihn in dem Glauben gelassen, seine Gefühle zu erwidern. Der Jäger hatte alles für sie riskiert. Und verloren. Dass seine kleine Schwester ihn retten wollte, indem sie selbst einen Vertrag mit Luzifer abschloss, macht die Sache nur noch tragischer.

Aber Tonis Gewissensbisse bringen Tai nicht zurück, nichts vermag das. Sie sollte sich stattdessen endlich auf die Zukunft konzentrieren und darauf, die zweite Chance zu nutzen, die sie durch ihn erhalten hat. Sein Untergang, heute vor genau zehn Wochen, darf nicht umsonst gewesen sein. Sie muss nur noch herausfinden, wie das mit dem Gutsein funktioniert …

Zuvor ist es ihr allerdings ein Bedürfnis, eine letzte Unterweltsache zu klären: »Habt ihr inzwischen neue Hinweise auf die Ratte, die uns damals im Hotel verpfiffen hat?«

»Max verfolgt persönlich jede Spur.« Lestat zuckt mit den Achseln. »Aber bisher führte alles in eine Sackgasse.«

»Irgendwann kriegen wir die Mistkröte dran.«

Dass es einen Spitzel unter den Unterweltlern gibt, ist schlimm genug. Dass er die Dämonen in das Heiligste der Vampire, das alte Hotel La Paix de Nuit, geführt hat, macht es für die Blutsauger zu etwas Persönlichem. Und dass die Dämonen dadurch Tai drangekriegt haben, macht es für Toni zu etwas Persönlichem.

»Vielleicht mischst du dich lieber nicht in diese Sache ein.« Lestat wirft ihr einen vorsichtigen Blick zu. »Ich meine, das ist so ein Unterweltlerding. Und du … na ja, du gehörst nicht mehr dazu.«

»Ist das deine Meinung? Oder die von Max?«

Das Clanoberhaupt der Vampire ist nicht glücklich über die Freundschaft zwischen seinem Geliebten und der Anführerin der Friedenswächter. Max traut Toni nicht, das hat er ihr offen gesagt. Wieso sollte er auch? Schließlich gehören sie unterschiedlichen Seiten an.

Das allein würde Toni nicht weiter belasten, sie bekommt aber allmählich das Gefühl, dass der schöne Vampir ihrem besten Freund immer mehr Flausen in den Kopf setzt. Obwohl sie sich schlicht weigert anzuerkennen, dass Lestat ihr Feind ist, und bisher der Meinung war, ihm ginge es ebenso, gibt es in letzter Zeit häufiger diese seltsamen, fast argwöhnischen Momente. Toni hasst diesen Keil, der sich beharrlich zwischen sie beide drängen will.

»Es ist nicht so, als könnte Max dich nicht leiden …«

»Nein, natürlich nicht …«

»Er beschützt bloß seinen Clan.«

Toni hebt ergebend die Arme. »Und ich helfe ihm dabei, wenn ich nach der Ratte suche, oder nicht? Eines seiner Clanmitglieder ist mein bester Freund, wieso sollte ich ihn reinlegen?«

»Vielleicht müsst ihr euch nur endlich besser kennenlernen.« Er wackelt mit den Brauen. »Was hältst du von einem Pärchenabend? Dieser neue Inder in der Stadtmitte soll sagenhaft sein.«

»Ein Engel, ein Nephilim und zwei Vampire essen gemeinsam Gemüsecurry – finde den Fehler.« Tonis Lippen formen sich zu einem Grinsen. »Danach wäre ich mal wieder eine Heldin für die Friedenswächter.«

Tonis neue Verbündete sind ebenso wenig begeistert von ihrer Freundschaft mit Lestat. Was erwarten die Leute eigentlich? Dass sie auf ein Fingerschnippen hin aufhört jemanden zu mögen, den sie ihr gesamtes Leben lang kennt und liebt? Nein, der Forderung, sich von dem Vampir fernzuhalten, wird sie niemals nachkommen.

»Was ist?«, fragt Lestat auf ihr Stirnrunzeln hin.

»Nichts, ich …« Fieberhaft durchforstet sie ihr Hirn nach einem angenehmeren Thema. »Dieser Straßenköter hat mich wieder verfolgt.« Na ja, nicht gerade angenehmer, aber zumindest anders.

Lestat klemmt sich eine blonde Strähne hinters Ohr und blickt sie vorwurfsvoll an. Wahrscheinlich resultiert sein Gesichtsausdruck aus dem abrupten Themenwechsel und der Vermutung, sie würde ihm etwas verheimlichen, dennoch fährt Toni betont lässig fort.

»Sieh mich nicht so an. Dieses Vieh verfolgt mich, glaub mir. Hinter diesen listigen Augen sitzt ein messerscharfer Verstand. Der heckt irgendwas aus, das ahne ich.«

»Der Hund heckt also irgendwas aus.« Lestat presst die Lippen aufeinander, wohl um sich das Lachen zu verkneifen.

Toni winkt ab. »Du kannst mich für verrückt halten …«

»Tu ich.«

»… aber diese verlauste Töle hat es auf mich abgesehen. Ich sags dir, da stimmt was nicht!«

Lestat tätschelt ihr mitfühlend das Knie, dann erhebt er sich seufzend von der Couch. »Du wirst schon wieder paranoid, Toni.« Unbekümmert schlendert er auf seine Zimmertür zu. »Entweder schlägt das Wetter um oder irgendjemand hat beschlossen dich ins Jenseits zu befördern.« Als er den entgeisterten Blick seiner Mitbewohnerin bemerkt, fügt er sanft hinzu: »Das war ein Scherz. Hör auf dir grundlos Sorgen zu machen.«

Sie versucht sich an einem Lächeln und nickt Lestat zu, der kurz darauf in seinem Zimmer verschwindet.

Es war nur ein Scherz … Wieso breitet sich dann plötzlich eine eisige Gänsehaut auf ihrem gesamten Körper aus?

***

Die Sekretärin, eine ältliche Frau mit ordentlich gedrehtem Dutt und geblümtem Hosenanzug, führt ihn durch einen langen Flur. An den blütenweißen Wänden hängen gerahmte Poster berühmter Maler aus verschiedenen Epochen und alle paar Meter finden sich Sitzgelegenheiten und winzige Glastische, auf denen liebevoll gestaltete Blumenarrangements thronen. Wenn sie so viel Zeit und Sorgfalt in ihr Unternehmen gesteckt hätten wie in die Dekoration des Hauptgebäudes, würden die Dinge heute vielleicht anders stehen.

Seine Führerin hält an, öffnet die Tür für ihn und macht eine einladende Geste. »Bitte treten Sie ein, Herr Novak.«

Er nickt ihr zu, betritt das Zimmer und sieht sich aufmerksam um. Blütenweiße Wände, gerahmte Poster, Blumen auf dem Besprechungstisch – die Dekoration zieht sich durch. Dazu eine großzügige Auswahl an alkoholfreien Getränken, Snacks und Keksen auf einem Servierwagen in der Ecke.

Novak hebt eine Braue ob der übertriebenen Gastfreundlichkeit, dann mustert er den Mann, der ihm die Hand zur Begrüßung hinstreckt.

»Herr Novak, es freut mich, Sie wiederzusehen«, lügt dieser lächelnd.

»Die Freude ist ganz meinerseits, Herr Czerny.« Novak zwingt sich die feuchte, pummelige Hand seines Gegenübers zu schütteln und beobachtet fasziniert, wie der Schweiß von dessen breiter Stirn perlt. Nervös, wie er wirkt, ist er sich der finanziellen Probleme seiner Firma deutlich bewusst, mimt aber nach wie vor den großen Unternehmer, erhält den Schein aufrecht, um Novak seine Forderungen im Falle eines Verkaufs aufschwatzen zu können. Beinahe hätte er gekichert.

Czerny wendet das runde, mit hektischen roten Flecken übersäte Gesicht von Novak ab und deutet auf die junge Frau hinter ihm. »Ich möchte Ihnen meine Tochter Lena vorstellen.« Seine Stimme klingt wie eine Mischung aus Grunzen und Schnaufen und passt damit hervorragend zu seinem Äußeren.

Die Frau ist anscheinend nach ihrer Mutter geraten, denn sie ist im Gegensatz zu ihrem Vater groß gewachsen, wohlgeformt und mit ebenmäßiger, vornehm blasser Haut gesegnet. Ihre Wangen färben sich zartrosa, als Novak sie in Augenschein nimmt, und wohl unbewusst wirft sie ihr dichtes blondes Haar über die Schulter und streicht einen imaginären Fussel von ihrem azurblauen Blazer, ehe sie ihm die feingliedrige Hand reicht.

»Schön Sie kennenzulernen«, raunt Novak.

Lena antwortet mit einem kühlen Blick und einem Nicken, dann weist sie auf einen Stuhl am Kopf des Besprechungstisches. »Nehmen Sie bitte Platz. Möchten Sie Kaffee oder Tee?«

Novak lässt sich betont langsam nieder, ohne die junge Frau aus den Augen zu lassen. Einem Raubtier schadet es nie, sich seiner Art entsprechend zu verhalten und den Menschen zu zeigen, woran sie sind. »Nein danke. Es wäre mir recht, wir kämen gleich aufs Wesentliche zu sprechen.«

Lena gibt der Sekretärin ein Zeichen, woraufhin sich die Angestellte unauffällig entfernt und die Zimmertür schließt.

Czerny wuchtet derweil seinen massigen Körper auf den Stuhl gegenüber von Novak und wirft ihm einen abwägenden Blick zu. »Gefällt mir, ein Mann, der gleich zur Sache kommt.«

Lena scheint anderer Meinung zu sein. Sie schnaubt leise. »Wissen Sie denn, was wir bei Black Aerospace herstellen?«

Novak hebt erneut eine Braue, lehnt sich in seinem Stuhl zurück und überschlägt die Beine. Dieses arme Mädchen ahnt ebenfalls nicht, dass sie das Spiel bereits verloren haben.

»Sie blicken auf eines der größten Unternehmen des Landes für die Herstellung von Flugzeugausrüstungen«, fährt die junge Frau fort. »Wir beschäftigen über dreitausend Mitarbeiter.«

»Haben Sie mich herbestellt, um mich mit Ihrer Firmengeschichte zu langweilen?«

»Wir wissen, dass Sie ein vielbeschäftigter Mann sind …«, lenkt Czerny ein und legt seiner Tochter, die fest die Zähne zusammenbeißt, beruhigend eine fleischige Hand auf den Unterarm.

»Nun, Sie haben Interesse an unserer Firma bekundet und wir geben Ihnen die Möglichkeit, uns hier und jetzt von sich zu überzeugen. Wenn Sie bei uns einsteigen und … die Führung übernehmen würden, rein hypothetisch: Was würden Sie tun? Das ist die primäre Frage, der wir uns hier und heute widmen wollen. Sie können nicht erwarten, dass wir unser Unternehmen einfach irgendjemandem überstellen, dessen Pläne wir nicht kennen.«

»Was glauben Sie denn? Ihr Unternehmen ist im Ganzen nicht besonders viel wert für mich. Die Einzelteile allerdings …« Novak öffnet die Lippen zu einem breiten Lächeln. Es hat den gewünschten Effekt: Seine beiden Gesprächspartner weichen unwillkürlich zurück.

Czerny runzelt verwirrt die Stirn. »Sie können sich vorstellen, dass ich nicht sehr angetan bin von dieser Idee.«

»Völlig zu unrecht.« Novak schlägt einen heiteren Tonfall an, wofür ihn Lena beinahe mit ihren Blicken erdolcht. »Sie würden diese missliche Lage als reicher Mann hinter sich lassen.«

»Geld habe ich genug.« Czerny kommt sich allmählich wohl etwas verulkt vor. Seine hängenden Wangen schlagen regelrechte Wellen. »Ich werde Ihnen mein Unternehmen nicht verkaufen. Damit ist unser Gespräch beendet. Lassen Sie ihre schmutzigen Finger von meiner Firma, Sie Heuschrecke!«

»Sie werden verstehen, dass ich das nicht kann. Ich besitze die Mehrheit der Aktien.«

Czernys Gesicht hat inzwischen dieselbe Farbe angenommen wie der Burgunder, den Novak früher so gerne getrunken hat. Allem Anschein nach hat er nicht damit gerechnet, dass die Sache bereits hinter seinem Rücken von seinen eigenen Vorstandsmitgliedern eingefädelt worden ist. Leidenschaftlich schlägt der alternde Geschäftsmann mit der Faust auf den teuren Tisch aus Walnussholz. »Ich kaufe Sie zurück!«

Seufzend betrachtet Novak seine manikürten Fingernägel. »Das können Sie sich nicht leisten, Czerny.«

»Wenn wir erst den Auftrag von Air F…«

»Es wird keinen Auftrag geben«, unterbricht ihn Novak mit einem bedeutungsvollen Schmunzeln.

Stille.

Lena starrt mit weit aufgerissenen Augen ihren Vater an, der sichtlich um Beherrschung ringt. Diesen Kampf verliert er.

Plötzlich schnellt sein massiger Körper vom Stuhl und baut sich wie ein Berg vor Novak auf. »Passen Sie auf, Jüngelchen!« Anklagend richtet er den Finger auf ihn. »Ich werde Sie in der Luft zerreißen! Wie alt sind Sie überhaupt? Noch grün hinter den Ohren, aber einem erfahrenen Unternehmer an den Karren fahren wollen. Sie werden schon sehen, was Sie davon haben!« Schwer atmend steht er da und wartet Novaks Antwort ab.

Dieser erhebt sich betont langsam vom Stuhl und rückt seine Krawatte zurecht, bevor er Czerny mit einem durchdringenden Blick bedenkt. »Sie sind ein mustergültiges Beispiel für die Einfältigkeit Ihrer erbärmlichen Spezies, Herr Czerny.«

Auf den Gesichtern der beiden Menschen zeigt sich deutliche Verwirrung.

»Sie haben nun zwei Möglichkeiten«, fährt Novak fort. »Möglichkeit Nummer eins bedeutet, Sie werden mir keinen Ärger machen und ich Ihnen im Gegenzug ebenfalls nicht. Ein faires Geschäft. Entscheiden Sie sich für Möglichkeit Nummer zwei … Nun ja, diese wird Ihnen nicht gefallen.«

Schweiß rinnt Czernys Schläfe hinab. Er hat begriffen, dass er verloren hat.

Im Gegensatz zu seiner Tochter. »Tausende Menschen werden ihre Arbeitsplätze verlieren«. Lena appelliert an seine Menschlichkeit. Hat sie noch immer nicht verstanden, dass er so etwas nicht besitzt? »Für manche Familien bedeutet das den sicheren Ruin! Sollen diese Menschen auf der Straße betteln gehen?«

»Ich bin sicher, diese verzweifelten Menschen erhalten andere lukrative Angebote«, antwortet Novak lächelnd.

Czerny wirft seiner Tochter einen bedeutungsvollen Blick zu, ehe er zur Tür marschiert und Novak zu sich winkt. »Ich bringe Sie zum Fahrstuhl.«

»Es war nett, Sie kennenzulernen, Frau Czerny.« Novak nickt der Dame schlicht zu, da sie keine Anstalten macht, ihn förmlich zu verabschieden, dann geht er an Czerny vorbei in den Flur.

Schnaufend hält der übergewichtige Mann mit ihm Schritt. »Vielleicht ist es wahr, was man sagt. Reichtum ist wie Mist. Gut verteilt lässt er das Land blühen, auf einem Haufen aber stinkt er und verpestet das Grundwasser. Geld ist nicht alles, Herr Novak.«

Am Ende des Flurs angekommen drückt Novak auf den Fahrstuhlknopf. »Wollen Sie mir sagen, dass Sie lieber in einem dampfenden Haufen Mist nächtigen als in einer schicken Villa mit Sauna und Kamin?« Er lacht. »Aber ich muss Ihnen recht geben: Geld ist nicht alles. Macht ist viel erstrebenswerter.«

Wie dumm, durchschaubar und leicht zu manipulieren die Menschen sind! So wie all diejenigen, die unter diesen jämmerlichen Kreaturen aufwachsen mussten. Einschließlich dieser lächerlichen neuen Organisation der Engel. Friedenswächter, von wegen. Bis die Engelsbälger begreifen, was in der Stadt vor sich geht, wird diese längst Novak gehören.

Ein leises Bimmeln kündigt die Ankunft des Fahrstuhls an. Gelassen tritt Novak hinein und betätigt den Knopf für das Erdgeschoss.

»Sie sind der Teufel«, raunt Czerny.

»Das bin ich nicht.« Seine Lippen formen sich zu einem breiten Grinsen. »Aber ich vertrete seine Interessen in dieser Welt.«

Czernys Mund klappt auf, dann schließen sich die Aufzugtüren.

WaidmannsHeil?

Ihr glockenreines Lachen erhellt den Raum wie die Strahlen der aufgehenden Sonne. Ein Hauch ihres blumigen Parfums weht zu ihm herüber, als sie ihr seidiges blondes Haar über die Schulter wirft.

Finn nimmt den Lolli aus dem Mund und betrachtet die telefonierende Clarissa verstohlen. Sie mit etwas so albernem wie einem Lutscher zwischen den Zähnen anzuglotzen erscheint ihm unangemessen. Geradezu unwürdig. Auch wenn Lissy stets sagt, auf dem Ding herumzukauen sei gut gegen seine unterdrückten Aggressionen. Was immer das bedeutet.

Lissy … Nur in Gedanken nennt er sie bei ihrem Spitznamen, denn sie hat ihm vor einigen Wochen bereits deutlich erklärt, dass nur ihre Freunde sie so nennen dürfen. Und dass er nicht zu diesem Kreis gehört. Sie derart anzuschmachten und dabei dieses leise Gefühl der Hoffnung in seiner Brust aufwallen zu spüren ist demnach mehr als erbärmlich. Aber er kann einfach nicht damit aufhören.

Gebannt lauscht er ihrer Stimme, ohne ein Wort zu verstehen, und beobachtet, wie sie mit dem Telefon in der Hand auf und ab geht. Sie für den Telefondienst einzuteilen war die beste Idee, die die Jägerin jemals hatte. Oder vielmehr die erste und einzig Gute. Denn wer würde dieser engelsgleichen Stimme etwas abschlagen? So ein reines und vollkommenes Geschöpf abweisen?

»Stimmt was nicht?« Erst als sie ihn direkt anspricht, bemerkt er, dass sie das Gespräch inzwischen beendet und das Telefon weggelegt hat. Ihre großen himmelblauen Augen sind fragend auf Finn gerichtet. Wie lange wohl schon?

»Ähm.« Irgendwo in den Tiefen seiner Hirnwindungen ist noch mehr Wortschatz vergraben, das weiß er genau. »Alles klar bei dir?«

Wenn das nicht episch war …

»Ja«, antwortet sie gedehnt. »Und bei dir?«

»Mhm.« Brummend dreht er sich in seinem Bürostuhl zum Schreibtisch und starrt in den Bildschirm des Laptops in der Hoffnung, ihm würde wieder einfallen, wie man ein Touchpad bedient.

»Hey!« Die dunkle Stimme der Jägerin dringt unvermittelt ins Zimmer und lässt Finn zusammenzucken.

Muss die sich so anschleichen? Er steckt den Lolli zurück in den Mund und mustert sie abwägend, während sie sich mit einer Schulter an den Türrahmen lehnt. Sie sieht müde aus. Gut.

»Wo ist Alek?«, hakt sie nach.

»Sieht aus, als hättest du einen harten Tag gehabt.« Finn kann das Heben seiner Mundwinkel nicht verhindern. Will er auch gar nicht. »Tolle Nachrichten: Der Abend wird noch beschissener.« Wenn sie gleich erfährt, was die Nephilim herausgefunden haben, wird sie mächtig angepisst sein. Wie schade, dass er nicht dabei sein und ihr Gesicht sehen wird …

»Und wieso sollte das toll sein, du Genie?«

Sein Grinsen wird automatisch breiter. »Ich sagte nicht, dass es das für dich ist.«

Ihre Kiefer mahlen und ihre grünen Augen stechen geradezu in seinen Kopf. Sie ist genervt. Gut.

Mit einem Mal spürt er eine warme, kleine Hand auf seiner Schulter und ein sinnlicher Duft nach exotischen Blumen hüllt ihn ein. Gewaltsam kämpft er gegen den Drang an, wohlig seufzend die Augen zu schließen.

»Alek wartet in deinem Büro.« Clarissa klingt freundlich wie immer. »Und in der Küche steht frischer Kaffee.«

»Danke«, murmelt die Jägerin knapp und rauscht davon.

Viel zu schnell nimmt Clarissa ihre Hand von Finns Schulter, geht zum zweiten Schreibtisch hinüber und lässt sich dort auf dem Bürostuhl nieder. Eine Falte gräbt sich zwischen ihre Augen, als sie die Brauen zusammenzieht. Sie scheint genervt zu sein. Nicht gut.

Finn würde am liebsten die Finger ausstrecken und die Haut an ihrer Stirn glätten. Stattdessen verschränkt er die Hände vor dem Bauch und erwidert fragend ihren Blick.

»Wieso musst du es ihr so schwer machen?«

Er schnaubt. »Ich traue ihr nicht über den Weg. Nimmst du ihr etwa ab, dass sie urplötzlich auf unserer Seite steht?«

Clarissa nickt langsam, dann legt sie ihre eleganten Finger an das silberne Kreuz, das sie immerzu an einer Kette um ihren Hals trägt. »Sie bemüht sich. Auf ihre Art … Und Alek glaubt fest an sie. Gib ihr eine Chance, vielleicht überrascht sie dich.«

Finn unterdrückt ein Seufzen. Da ist er wieder: der unerschütterliche Glaube an das Gute in jedem Wesen. Dabei ist es so einfach: einmal Jägerin, immer Jägerin. Ihm kann sie nichts vormachen, nein, er sieht das Böse deutlich in ihren Augen.

»Der Engel ist blind für ihre Fehler.« Er zuckt mit den Schultern. »Ist doch klar. Nach so vielen Jahren der Enthaltsamkeit hat er endlich Action, da kann man schon mal verwirrt sein. Du glaubst nicht wirklich, dass Engel keinen Se…«

»Finn!« Clarissa springt vom Stuhl, funkelt ihn empört an und zielt mit einem Finger auf ihn. »Wage es nicht, diesen Satz zu beenden. Was bist du nur für ein Rübenschwein?!« Erhobenen Hauptes marschiert sie aus dem Raum und ihr blondes Haar weht wie ein Kometenschweif hinter ihr her.

»Ähm, also …« Finn sucht noch nach den richtigen Worten, da ist sie bereits im Flur verschwunden. Stöhnend schlägt er sich eine Hand gegen die Stirn. »Vollidiot! Kannst du nicht einmal deine dumme Klappe halten?«

***

»Vollidiot. Kann der nicht einmal seine dumme Klappe halten?«, murmelt Toni, während sie auf ihre Bürotür zugeht. Die Welt und vor allem die Friedenswächterbasis wären bessere Orte ohne dieses fiese Frettchen Finn, da ist sich Toni sicher. Sie braucht seine gehässige Miene bloß aus der Ferne zu sehen, da fängt das Blut in ihren Adern bereits an zu kochen.

»Sein Name ist Finn McGrath … Ihr seid vom gleichen Schlag.« Schaudernd hält Toni mit der Hand an der Türklinke inne, als sie sich an die Worte des Vorsitzenden des Hohen Rates der Engel erinnert. Sie hat damals bezweifelt etwas mit Finn gemein zu haben und tut es heute noch. Energischer denn je sogar. Dass sie der gleichen Spezies angehören – nämlich einer Mischung aus Engel und Nephilim –, macht sie nicht automatisch zu Verbündeten oder Freunden. Und das ist wohl der einzige Punkt, in dem sich Toni und Finn einig sind.

Kopfschüttelnd drückt Toni die Tür auf und betritt ihr Büro. Nur sie hat ein Zimmer für sich allein; was allerdings weniger daran liegt, dass sie eine besondere Stellung bekleidet, als daran, dass keiner mit ihr zusammenarbeiten will. Die Friedenswächter misstrauen der ehemaligen Jägerin nach wie vor. Dass sie bei jeder Gelegenheit mit Finn aneinandergerät, zu dem – für Toni völlig unverständlich – die Nephilim aufblicken, wirkt sich gleichfalls nicht positiv auf ihr Beliebtheitslevel aus. Und da wundern die sich, wieso sie ab und an schlecht gelaunt ist …

Als ihr Blick auf Alek fällt, der hinter ihrem Schreibtisch sitzt, vergisst sie schlagartig, dass sie gerade noch wütend war.

Der Engel lehnt sich im Bürostuhl zurück und richtet seine saphirblauen Augen auf seine Freundin. »Du bist pünktlich.«

Toni ignoriert die kleine Spitze, zumal sein ernster Blick ihren Puls schlagartig beschleunigt. »Du sitzt an meinem Computer.«

Aus einer dummen Angewohnheit heraus wirft sie ihr Schwert beim Schließen der Tür in die rechte hintere Ecke des Raumes. Die goldene Parierstange knallt dumpf gegen die Betonwand, bevor die Waffe auf dem Boden auftrifft und die Klinge ein Stück weit aus der ledernen Scheide rutscht.

Alek verzieht schmerzvoll das Gesicht. »Du hast bereits ein Engelsschwert zerstört. Würdest du bitte pfleglicher mit dem Eigentum des Oberen Reiches umgehen?«

»Ich besorge mir gleich morgen einen Schirmständer, versprochen«, antwortet sie mit einem entschuldigenden Lächeln.

Er bedenkt sie mit einem tadelnden Blick, ehe er durchatmet und auf eine Taste ihres Keyboards tippt, woraufhin das Gerät neben dem Computer anspringt. »Ich habe deinen Drucker installiert.«

Wie er dort am Schreibtisch sitzt, umgeben von seinen schimmernden Engelsflügeln, die mehr Luft als Masse sind, geschäftig auf irgendwelche Tasten drückt und mit einem nachdenklichen Ausdruck in seinem schönen Gesicht, ist wohl das Entwaffnendste, was Toni je gesehen hat. In manchen Momenten schafft er es noch immer, ihr mit seiner bloßen Anwesenheit die Sprache zu verschlagen. Allerdings gefällt ihr die Besorgnis in seiner Miene überhaupt nicht. »Ist was passiert?«, hakt sie vorsichtig nach.

Seufzend wedelt er mit einer Hand in Richtung des Druckers. »Du solltest dir das anschauen.«

Toni marschiert zu dem Gerät und nimmt das Blatt Papier an sich. Nachdem sie sich den Ausdruck angesehen hat, bedenkt sie Alek mit einem argwöhnischen Blick. »Wieso halte ich ein Foto von Bobby in der Hand?«

Seine Augen weiten sich. »Du kennst ihn?«

Toni beäugt das Bild des jungen Mannes eingehend. Die lange Nase in dem kantigen Gesicht würde sie überall wiedererkennen. Genauso wie die schleimig zurückgekämmten und mit einer Unmenge Gel fixierten dunklen Haare. Bobbys braune Augen blicken suchend an der Kamera vorbei und er zieht den Hals so weit ein, dass sein breites Kinn hinter dem Kragen der Jeansjacke verschwindet. Die Fotografie ist leicht verwackelt, doch dieses Gesicht ist schlicht zu markant, um es zu verwechseln.

»Kennen ist übertrieben. Das ist einer von Max’ Leuten.«

Alek nickt nachdenklich. »Ein Vampir. Das habe ich befürchtet.«

Sie legt den Ausdruck auf den Tisch und mustert ihren Freund abwägend. »Was ist los?«

»Dich hat noch keiner informiert?« Als sie den Kopf schüttelt, erhebt er sich und deutet auf den Stuhl. »Setz dich.«

Brummend verschränkt sie die Arme vor der Brust. Jedes Mal, wenn er ihr vorschlägt sich hinzusetzen, geht kurz darauf die Welt unter. Nun ja, zumindest Tonis Welt.

Demonstrativ bleibt sie stehen. »Sag es einfach.«

»Natürlich überlassen sie es mir, dich zu informieren, wieso wundere ich mich?« Schnaubend fährt er sich durch die Haare. »Du weißt, der Pakt ist gebrochen und keine der Welten muss sich mehr an Regeln halten. Der Dunkle konnte daher im vergangenen Monat mehr Verträge abschließen als im gesamten letzten Jahr. Fünfhundert, um genau zu sein. Und das ist nur die Zahl derer, die wir ausmachen konnten.« Alek schüttelt den Kopf. »Ich schätze, die Dunkelziffer ist noch viel höher. Und täglich bekommen wir neue Meldungen. Er nutzt die Situation gnadenlos aus, um das Gleichgewicht systematisch zu kippen.«

Toni schluckt. Bei fünfzigtausend Einwohnern ist es nur eine Frage der Zeit, bis ganz Flammach von Unterweltlern bevölkert ist. »Wie ist das möglich? Dämonen sind nicht unbedingt die fleißigsten Bienchen, das weiß ich zufällig.«