Bilingualer Geschichtsunterricht - Michael Maset - E-Book

Bilingualer Geschichtsunterricht E-Book

Michael Maset

3,0

Beschreibung

Der Bilinguale Geschichtsunterricht findet an immer mehr Schulen in ganz Deutschland statt. Dass Geschichte zumindest zeitweise auf Englisch unterrichtet wird ist also ein Erfolgsmodell, dessen Ergebnisse allerdings aus fachdidaktischer Sicht kaum untersucht und teils fragwürdig sind. Dieses Buch zeigt anhand von Unterrichtsbeispielen wie moderner Bilingualer Geschichtsunterricht auf Grundlage der historischen Fachdidaktik gelingen kann, welche Vor-, aber auch welche Nachteile diese Unterrichtsform mit sich bringt, und wie Lehrende die unterschiedlichen Methoden im Stile eines Method Guide effizient nutzen können.

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Geschichte im Unterricht Band 9

Michael Maset

Bilingualer Geschichtsunterricht Didaktik und Praxis

Verlag W. Kohlhammer

 

 

 

 

1. Auflage 2015

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-029254-3

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-029255-0

epub:    ISBN 978-3-17-029256-7

mobi:    ISBN 978-3-17-029257-4

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

1.1 Gründe für bilingualen Geschichtsunterricht

1.2 Bilingualer Geschichtsunterricht zwischen Geschichts- und Fremdsprachendidaktik

1.3 Welche Wirkungen hat bilingualer Geschichtsunterricht?

1.4 Praxis des bilingualen Geschichtsunterrichts – zwischen Vielfalt und Beliebigkeit?

1.5 Bilingualer Geschichtsunterricht – Chance oder Gefahr für das historische Lernen?

1.6 Ziele und Gliederung

2 Was ist guter bilingualer Geschichtsunterricht?

2.1 Was ist guter Geschichtsunterricht?

2.2 Modellvorstellungen zur Konzeptentwicklung und zum Wissenserwerb im bilingualen Geschichtsunterricht

2.3 Wege zu einer fachspezifischen und sprachbewussten Prozessstruktur im bilingualen Geschichtsunterricht

2.4

Disciplinary Literacy

2.5 Fazit

3 Historisches Lesen

3.1 Quellenarbeit

3.2 Die Arbeit mit historischen Darstellungen und Verfassertexten aus Geschichtsbüchern

3.3 Der Bildungswert historischen Lesens

3.4

Reading like a historian

– Identifizierung historischer Lesestrategien in der nordamerikanischen Forschung

3.5 Können Schüler/innen im Geschichtsunterricht lernen, wie Historiker/innen zu lesen?

3.6 Fachspezifisches

Modelling/Scaffolding

im bilingualen Geschichtsunterricht (Lesen)

4 Historisches Schreiben

4.1 Generisches Lernen im bilingualen Geschichtsunterricht?

4.2 Narrative Kompetenz

4.3 Narrative Kompetenz als Brückenkompetenz einer bilingualen Geschichtsdidaktik?

4.4 Funktionale Linguistik und historisches Lernen

4.5 Lernwege zum Erwerb historischer Schreibfähigkeiten im bilingualen Geschichtsunterricht?

4.6 Fachspezifisches

Modelling/Scaffolding

im bilingualen Geschichtsunterricht (Schreiben)

5 Historisches Denken

5.1 Historische Bedeutsamkeit/Signifikanz –Wie entscheiden wir, was wir über die Vergangenheit lernen sollten?

5.2 Evidenz/Belegbarkeit (Quelleninterpretation) – Woher wissen wir das, was wir über die Vergangenheit wissen?

5.3 Kontinuität und Wandel – Wie können wir die Komplexität der Vergangenheit verstehen?

5.5 Historische Perspektivität – Wie können wir die Menschen der Vergangenheit besser verstehen?

5.6 Die ethische Dimension – Was können wir aus der Vergangenheit lernen, um die Gegenwart besser verstehen zu können?

6 Fazit: Umrisse einer Didaktik des bilingualen Geschichtsunterrichts?

7 Literaturverzeichnis

1   Einleitung

1.1        Gründe für bilingualen Geschichtsunterricht

Es gibt ihn, den bilingualen Unterricht. Er tritt unter verschiedenen Namen auf, wie z. B. bilingualer Sachfachunterricht, CLIL oder EMILÉ – manche reden sogar von einem „babylonischen Sprachengewirr“ (Keßler/Schlemminger 2013). Die Zahl der Schulen, die ihn anbieten, wächst beständig: 1999 waren es 366, 2005/2006 schon 840, nun sind es wohl schon über 1000 (Küppers/Trautmann 2013, S. 285). Während die meisten bilingualen Züge an Gymnasien eingerichtet werden, lässt sich mittlerweile auch eine Ausweitung auf andere Schulformen feststellen. So wurde zum Beispiel im Jahr 2007 in Nordrhein-Westfalen das Programm „Bilingual für alle“ aufgelegt und in Baden-Württemberg startete im gleichen Jahr ein 6-jähriger Schulversuch mit der Schwerpunktsetzung „Bilinguale Züge an Realschulen“ (MSW 2011; Hollm u. a. 2013a; Schwab 2013). Von Anfang an war Geschichte eines der Fächer, die bilingual unterrichtet wurden. Welche Gründe gibt es dafür? Eine mögliche Antwort könnte so lauten: Im Vergleich zu anderen Fächern bietet der Geschichtsunterricht die besondere Möglichkeit, über das Lernziel einer erhöhten Sprachkompetenz hinaus, durch Multiperspektivität und Kontroversität das interkulturelle Lernen und Fremdverstehen zu fördern (vgl. auch Kuhn 2009, S. 6). Somit stellt der bilinguale Geschichtsunterricht für die Fremdsprachendidaktik Englisch eine Art Eldorado dar. Neben dem Zuwachs an Sprachfertigkeit bietet diese Unterrichtsform die Chance eines tiefgründigen Englischunterrichts, in dem die Lernenden vielleicht auch „transkulturelle Kompetenz“ entwickeln und das übergeordnete Ziel der fremdsprachigen „Diskursfähigkeit“ erreichen können (HKM 2011a, S. 11). Es leuchtet unmittelbar ein, dass z. B. in der Jahrgangsstufe 8 bei der Behandlung des Themas the crusades kognitiv mehr in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler stattfindet als bei der Auseinandersetzung mit dem Freizeitparkangebot in Florida. Diese vorherrschende Goldgräbermentalität führt gelegentlich sogar zu Erfolgsmeldungen, die deutlich über das Ziel hinausschießen. So berichtet Oliver Meyer (2009, S. 9) in einem Werbemagazin des Cornelsen-Verlags folgendes: „Mittlerweile ist der Mehrwert sowohl aus Sicht der Fremdsprachen als auch aus der der beteiligten Sachfächer in zahlreichen Studien wissenschaftlich bestätigt worden.“ Das stimmt allerdings so nicht. Die Belege fehlen, da es bisher zu wenige empirische Befunde zur Durchführung und zu den Wirkungen des bilingualen Lernens gibt. Meistens handelt es sich um Werkstatt- oder Zwischenergebnisse auf sehr schmaler Materialbasis, die aufgrund der fehlenden Nähe zum geschichtsdidaktischen Diskurs die Untersuchungskategorien aus historischer Sicht nicht präzise genug erfassen. Diese Studien sind nicht reliabel und dementsprechend im Ergebnis nicht valide, worauf Wolfgang Hasberg (2004; 2007, S. 38) wiederholt hingewiesen hat. John Hattie, momentan der vielleicht bekannteste und meistdiskutierte Vertreter der empirischen Unterrichtsforschung, hat in seinem meta-analytischen Werk Visible Learning (Hattie 2009) deutlich darauf hingewiesen, dass eigentlich jede Maßnahme bzw. Intervention im schulischen Bereich für sich beanspruchen kann, eine positive Auswirkung auf die Lernentwicklung von Schülerinnen und Schülern zu haben:

Im Bereich des bilingualen Geschichtsunterrichts sind wir weit davon entfernt, Metaanalysen zu betreiben und Effektmaße zu bestimmen. Die bisher vorliegenden empirischen Untersuchungen, wobei es sich vor allem um Dissertationsprojekte aus dem Bereich der Fremdsprachendidaktik handelt, können uns nur Hinweise und Anhaltspunkte geben – Tendenzen, die in weiteren Forschungen genauer untersucht werden müssten.

Im Hinblick auf die Theoriebildung gab (und gibt) es viele meinungsbildende Postulate, aber wenig gesichertes Wissen. Die Diskussion über die mit dem bilingualen Unterricht verbundenen Möglichkeiten und Chancen bewegte sich vor allem auf politischem, weniger auf im engeren Sinne wissenschaftlichem bzw. didaktischem Gebiet (Breidbach 2007, S. 16). Stefan Breidbach hat 2007 eine umfassende Ideen- und Problemgeschichte der Theoriebildung zum bilingualen Sachfachunterricht vorgelegt. Darin stellt er drei große Begründungslinien für diese Unterrichtsform dar, deren Gedankenführung sich zum Teil noch in neueren Positionen wiederfindet:

Abb. 1.1: Drei Begründungslinien für bilingualen Unterricht nach Breidbach (2007, S. 49ff.)

Ein Postulat, das sich sehr häufig in Beiträgen zum bilingualen Unterricht findet und bis heute eines der zentralen Argumente zur bildungspolitischen Legitimation dieser Unterrichtsform darstellt, ist die Annahme, dass dieser quasi automatisch, aus sich heraus, reflexive Lernprozesse auslöse. Diese Lernprozesse werden als interkulturelles Lernen beschrieben, vermittelt durch das Aufeinandertreffen zweier Weltdeutungen, die durch die Schulsprache Deutsch und die fremde Arbeitssprache des bilingualen Unterrichts repräsentiert würden (ebd., S. 17). Laut Stefan Breidbach hat sich diese Hypothese mit Blick auf erste empirische Lernprozessstudien – wie die von Andreas Bonnet (2004) für das Fach Chemie – als wenig überzeugend erwiesen, da Lernende nicht bereits dadurch in eine interkulturelle Kommunikationssituation eintreten, dass sie sich im Unterricht einer (Fremd-)Sprache bedienen (vgl. Breidbach 2007, S. 17, 238).

Oliver Meyer spricht wie viele andere – seit Uwe Krambröckers (2002) diese Bezeichnung wohl zum ersten Mal verwendete – vom „Mehrwert“ des bilingualen Unterrichts für Fremdsprache und Sachfach und europaweit scheint sich die Bezeichnung „CLIL“ (Content and Language Integrated Learning) als pragmatische Kombination von Sachfach- und Sprachunterricht durchzusetzten (vgl. Vollmer 2000, S. 60; die französische Version heißt EMILÉ: enseignement d’une matière par l’intégration d’une langue étrangère). Bei Mehrwert denke ich an Marx und Engels und daran, dass der Kapitalist durch Abschöpfung des Mehrwerts den Arbeiter ausbeutet. Bedient sich der Englischunterricht hier nicht anderer Fächer, um auf deren Kosten seine Lern- bzw. Kompetenzziele (besser) zu erreichen? Ziele, die im Fach Geschichte schon lange im „monolingualen“ deutschsprachigen Unterricht angestrebt werden. Ist hier ein Gewinn für das Fach Geschichte erkennbar oder wird das historische Lernen eher einem verbesserten Fremdsprachenunterricht geopfert? Solche Skepsis würde Helge Schröder, Vorsitzender des Hamburgischen Verbandes der Lehrer für Geschichte und Politik, zurückweisen, da seine Erfahrungen in eine andere Richtung deuten:

„Als bilinguales und damit profilgebendes Fach ergeben sich neue Entwicklungsmöglichkeiten für das Fach Geschichte. Kürzungen zugunsten anderer Fächer drohen nicht mehr. […] Europäische und globale Perspektiven sind gleichsam eine ‚Normalität‘, die durch die englische Sprache mitgebracht werden. […] So ergeben sich europäische und globale Geschichte, Multiperspektivität, der Blick von ‚außen‘ auf die deutsche Geschichte und vieles mehr gleichsam ‚automatisch‘ aus der Bilingualität!“ (Schröder 2010, S. 29f.).

Im Zeichen von Globalisierung und der europäischen Einigung wird Englisch zunehmend als lingua franca und Konzernsprache vorausgesetzt. Der Arbeitsmarkt stellt angeblich hohe fremdsprachliche Anforderungen an die Berufsanfänger. Somit wird von vielen im Kontext der Einheit und Vielfalt Europas die Ausbildung von Mehrsprachigkeit als notwendige Kulturkompetenz betrachtet (vgl. Bach 2000; HKM 2002, S. 2; Wolff 2013). Viele Fremdsprachendidaktiker/innen sehen deshalb im in einer Fremdsprache erteilten Sachfachunterricht eine „Antwort auf die Herausforderungen von Lebensbedingungen der Heranwachsenden im 21. Jahrhundert“ (Doff 2010, S. 11). Bilingualer Unterricht ist eine Trumpfkarte der Bildungsbürokratie im Hinblick auf die Herausforderungen des europäischen Einigungsprozesses. Dementsprechend ist dieses Schulangebot politisch gewollt und erfreut sich einer gewissen Fürsorge der Ministerien und des Europarates sowie eines großen Interesses der Eltern, scheinen bilinguale Angebote doch besonders geeignet, um auf die Anforderungen eines europaweiten Arbeitsmarktes vorzubereiten (vgl. Hollm 2013b; Schlemminger/Buchmann 2013; Dallinger 2013 für den Schulversuch in Baden-Württemberg) und einen Abschluss mit höherer sozialer Reputation zu erlangen (vgl. Bernhardt 2011, S. 223). Für Schulleitungen im Konkurrenzkampf um die knapper werdenden Schüler/innen stellt diese Unterrichtsform eine Möglichkeit zur Profilbildung dar, um sich vorteilhaft von Schulen ohne bilinguales Angebot abheben zu können (vgl. auch schon Wittenbrock 1995, S. 107; Breidbach 2013, S. 13).

Breidbach (2000, S. 179) hat kritisch darauf hingewiesen, dass das Begründungsangebot „Globalisierungsrelevanz“ dem Wunschdenken der Fremdsprachendidaktik entspringt und als „strategisches Alliierungsangebot“ an die Fachdidaktiken zu verstehen ist, das dort auf fruchtbaren Boden fällt, „wo selbst keine rechte Klarheit über die eigene Globalisierungsrelevanz besteht“. Ein Blick auf die Geschichtsdidaktik macht dies deutlich: So heißt es in einer ersten größeren Stellungnahme des ansonsten eher lange Zeit mit Zurückhaltung begegneten Trends in der Zeitschrift Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (GWU) von 2002 bei Rohlfes (2002, S. 75), dass Fremdverstehen, interkulturelles Lernen, europäische und globale Perspektiven und komparatistische Herangehensweisen „in der Welt von heute zu den für unser Fach konstitutiven Schlüsselqualifikationen gehören, die sich im bilingualen Zugriff besonders wirksam entfalten lassen“. Woid (2002, S. 78) geht davon aus, dass es für die Verbesserung der Studien- und Berufschancen zunehmend notwendig wird, die Fremdsprache als Arbeitssprache im Geschichtsunterricht zu nutzen: „In einem zusammenwachsenden Europa und in einer Welt, die von zunehmender Globalisierung bestimmt wird, führt am bilingualen Unterricht kein Weg vorbei“. In dieselbe Richtung gehen Überlegungen, das zentrale didaktische Konzept „Geschichtsbewusstsein“ europaweit in die Diskussion zu bringen. „EUSTORY“, das von der Körber-Stiftung initiierte Geschichtsnetzwerk für junge Europäer, hat eine Reihe mit dem Titel Shaping European History publiziert. Ziel dieser Anstrengungen ist die Verständigung über und die Bildung eines European Historical Consciousness, das aus den Perspektiven der Teilnehmerstaaten zentrifugale und zentripedale Kräfte der europäischen Geschichte aufzeigt und kritische Anfragen aus der Geschichte an die Gegenwart stellt (vgl. Macdonald/Fausser 2000; Woid 2002, S. 81). Diese hochgradig normativen Überlegungen gehen vom politisch Wünschenswerten aus, nicht von der Realität und werden außerhalb Europas durchaus kritisch wahrgenommen (vgl. Laville 2004). Auch der sogenannte Bologna-Prozess scheint eher eine „Mobilitätsbremse“ zu sein. Aktuelle Studien zeigen tendenziell eher eine Abnahme, zumindest aber keine Zunahme der studentischen Mobilität, die durch die Reform vereinfacht werden sollte (Grigat 2011; Pflüger 2013, S. 237). In Zeiten der Übernahme des Bildungssystems durch die Wirtschaft bzw. der Ausrichtung desselben an ökonomischen Denkmodellen und der damit einhergehenden Output-Orientierung wird der Erwerb ökonomischer Wettbewerbsvorteile zunehmend als wichtig erachtet. Aber können diese dadurch erworben werden, dass historische Sachverhalte in einer zweiten Sprache ausgedrückt werden können? Breidbach hat dazu kritisch angemerkt:

„Den Verkehrswert, den historisches Wissen auf nationalen wie übernationalen Arbeitsmärkten hat bzw. eben nicht hat, lassen jedenfalls Zweifel daran aufkommen. Der Zugang zu einkommensträchtigen Tätigkeiten, die als zukunftsorientiert gelten und mit einem entsprechend hohen sozialen Prestige belegt sind, scheint doch eher über ökonomisches, technisches und naturwissenschaftliches Wissen eröffnet zu werden“ (Breidbach 2000, S. 178).

1.2        Bilingualer Geschichtsunterricht zwischen Geschichts- und Fremdsprachendidaktik

Bislang beherrscht die Fremdsprachendidaktik das Feld des bilingualen Geschichtsunterrichts. Im Handbuch Bilingualer Unterricht (Hallet/Königs 2013) wird der Verbreitungsbewegung Rechnung getragen, indem der aktuelle Stand von Forschung und Praxis des bilingualen Unterrichts in Deutschland in kompakter und selbstbewusster Form zusammengefasst wird. Das besondere Interesse der Fremdsprachendidaktik an dieser Unterrichtsform ist nicht weiter verwunderlich, verbindet sich mit ihr doch eine Aufwertung der Sprachen im Fächerkanon. Erstaunlich ist jedoch die Zurückhaltung der Geschichtsdidaktik, deren Vertreterinnen und Vertretern vorgeworfen werden kann, eine folgenschwere Entwicklung in der schulischen Praxis lange Zeit ignoriert zu haben. Die Themenhefte der Zeitschriften GWU und Praxis Geschichte aus dem Jahr 2002 zeigten zwar, dass die Geschichtsdidaktik nun langsam aufwachte, über einige Warnhinweise und die Reproduktion von Positionen der Fremdsprachendidaktik ist sie aber bisher kaum hinausgekommen (vgl. Woid 2002, S. 78; Wildhage 2002; Geschichte für heute 3/2010). Der Jahresband 2009 der Zeitschrift für Geschichtsdidaktik mit dem Themenschwerpunkt „Geschichte bilingual“ zeigt vielleicht eine Trendwende zu einer eingehenderen Beschäftigung an. Auf jeden Fall lässt sich feststellen, dass die Vernetzung von Fremdsprachen- und Geschichtsdidaktik bisher nicht ausreichend ist, hier ist eine Intensivierung der Auseinandersetzung und Kooperation dringend angezeigt. Dabei mangelt es – seit vielen Jahren – nicht an konkreten Diskussionsangeboten der Fremdsprachendidaktik.

Das existierende Theoriedesign des bilingualen Sachfachunterrichts ist unbefriedigend. Von einer konzeptionellen Absicherung der Unterrichtspraxis durch eine Didaktik des bilingualen Sachfachunterrichts kann nicht die Rede sein und es wird auch von Seiten der Geschichtsdidaktik in Frage gestellt, ob es eine solche überhaupt geben soll, da es sich um ein Unterrichtsprinzip, nicht aber um eine zu vermittelnde Sache handelt (Hasberg 2007, S. 55). Wolfgang Hallet hat auf das Fehlen einer Didaktik wiederholt hingewiesen. Mit seinem Bilingual Triangle hat er versucht, allgemeine Ziele für den bilingualen Sachfachunterricht zu formulieren. Dabei bestehen die Seiten des bilingualen Dreiecks aus drei Feldern, welche die Ziele, Inhalte und Gegenstände des bilingualen Sachfachunterrichts konstituieren: (1) Die Grundseite umfasst Phänomene und Sachverhalte der eigensprachlichen Kultur und Gesellschaft, während die oberen Seiten des Dreiecks (2) Phänomene und Sachverhalte der zielsprachlichen Kulturen und Gesellschaften sowie (3) kulturunabhängige, kulturübergreifende, globale und universale Phänomene und Sachverhalte umfassen (Hallet 1999; S. 23 ff.). Hallets bilinguales Dreieck in seiner damaligen Form bot Auswahlkriterien für Unterrichtsinhalte, aber keine lerntheoretische Absicherung der Unterrichtspraxis. Dennoch wurde und wird es in der Literatur oft als didaktisches Modell für den bilingualen Sachfachunterricht diskutiert (so z. B. in Finkbeiner 2002; einschränkend bei Gruner 2009, S. 41). Mittlerweile gibt es auch Positionen innerhalb der Fremdsprachendidaktik, die davon ausgehen, dass eine einzige integrative Didaktik aufgrund der Unterschiedlichkeit der Fächer nicht zu verwirklichen sein wird. So halten beispielsweise Bärbel Diehr und Lars Schmelter die Entwicklung „einer eigenständigen Didaktik des bilingualen Lehrens und Lernens in einer jeweils fachspezifischen Ausprägung bei intensivem interdisziplinären Austausch“ für ein tatsächliches Desiderat (Diehr/Schmelter 2012, S. 10).

1.3        Welche Wirkungen hat bilingualer Geschichtsunterricht?

Die Geschichtsdidaktikerin Bettina Alavi hat sich mit Begriffsbildung im Geschichtsunterricht beschäftigt und berichtet über folgende Seminarerfahrung:

„Eine ruhige, aber angestrengt aufmerksame Studentin gab in einem Seminar zur Weimarer Republik eine Hausarbeit ab, die aufgrund ihrer ungewöhnlichen Begrifflichkeit schwer verständlich war. Statt ‚Völkerbund‘ benutzte sie beispielsweise ‚Bund der Nationen‘. Daraufhin angesprochen erklärte mir die Studentin, dass sie in ihrer Schulzeit Geschichtsunterricht auf Englisch gehabt und deshalb in ihrem Studium mit erheblichen Verstehensproblemen zu kämpfen hätte. Den Terminus ‚bilingualer Geschichtsunterricht‘ wies sie weit von sich, weil sie in diesem eben nicht in zwei Sprachen kompetent wurde. Bei Diskussionen könne sie sich kaum beteiligen, weil ihr die Begriffe fehlten, bei Begriffen, die Problemstellungen beinhalten (‚Vertrag von Versailles‘) verstünde sie die mitschwingenden Wertungen nicht“ (Alavi 2004, S. 39).

Bei der Begriffsbildung im Fach Geschichte geht es um mehr als nur Vokabellernen, da die Begriffe in einen historischen Kontext eingeordnet werden müssen, um Vorstellungen und mitschwingende Wertungen abrufen zu können, es geht somit „um eine kulturelle Teilhabe, die Inklusion ermöglicht und Teilhabe auch verweigern kann“ (ebd., S. 39). Dieser Studentin hat der bilinguale Geschichtsunterricht augenscheinlich nicht geholfen, eine zweisprachige Diskursfähigkeit und interkulturelle Kompetenz aufzubauen. Ich glaube nicht, dass es sich hier um Einzelfälle handelt, ich habe selbst rein englischsprachigen Geschichtsunterricht beobachtet, der – unter Gesichtspunkten des historischen Lernens betrachtet – sehr problematisch war. Wenn der Unterrichtsgegenstand auch in der Vergangenheit liegt, ist das noch kein ausreichendes Kriterium dafür, dass es sich bei bilingualem Unterricht um Geschichtsunterricht handelt. Die eingesetzten Lehrkräfte besitzen Narrenfreiheit – wer will sie denn kontrollieren? – und die Schulleitungen sind häufig froh, wenn sie jemanden finden, der „es macht“, auf die Lehrbefähigung im Fach Geschichte wird dabei gerne auch einmal verzichtet. Die Dominanz der Fremdsprachendidaktik birgt in der Tat die Gefahr, dass der bilinguale Geschichtsunterricht in erster Linie als Stütze des Fremdsprachenunterrichts verwendet wird. Bei dem, was ich im Rahmen von Hospitationen gesehen habe, handelte es sich meistens um Sprach-, nicht jedoch um Geschichtsunterricht. Hier führt die „pädagogische Freiheit“ aufgrund des fehlenden lerntheoretischen Fundaments, die häufig mit einem gravierenden Mangel an didaktischer Grundlagenbewusstheit einhergeht, zu sehr bedenklichen Entwicklungen in der Unterrichtspraxis. Diese könnten sich nicht zuletzt auch darin zeigen, dass Unsicherheiten der eingesetzten Lehrkräfte durch eine verschärfte Leistungsselektion auf Seiten der Lernenden ausgeglichen werden (vgl. Breidbach 2007, S. 32). Der Beweis des Postulats, dass sich bilingualer Unterricht „als qualitätssteigerndes Element des fachlichen Arbeitens in den so genannten Sachfächern“ erwiesen habe (Otten/Wildhage 2003, S. 16), steht jedenfalls noch aus.

Seit über 13 Jahren betrachte ich die Entwicklung des bilingualen Geschichtsunterrichts mit sehr gemischten Gefühlen und stelle mir die Frage, was dieser Unterricht nun ist – ein Königsweg oder ein Irrweg, eine Chance oder eine Gefahr für das historische Lernen? Auf jeden Fall ist es ein steiniger Weg, da die Unterrichtspraxis der Theoriebildung weiterhin vorausgeht oder in ganz andere Richtungen läuft. Und was das Laufenlernen angeht, so liegt die Ausbildung von Lehrkräften für den bilingualen Unterricht an den Universitäten meistens in den Händen der Fremdsprachen und im Vorbereitungsdienst bei Ausbildern aus dem Sprachbereich, die – zumindest zu dem Zeitpunkt als ich in der Ausbildung war – häufig nur zwei bis drei Aufsätze zum Thema gelesen hatten, aber Zusatzzertifikate vergaben. Es wurde bisher von den bildungs- und sprachenpolitischen Entscheidungsträgern versäumt, transparente und verbindliche Ausbildungsstrukturen für die Qualifizierung von Lehrkräften für den bilingualen Unterricht zu schaffen (Königs 2013, S. 50; vgl. auch Mentz 2013). Während in der Anfangszeit des bilingualen Unterrichts in Deutschland die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften vor allem in Eigeninitiative stattfand, wird mittlerweile die Notwendigkeit einer systematischen Ausbildung und die verstärkte Einbeziehung der Fachdidaktiken in die Konzeption und Gestaltung bilingualer Studienangebote gesehen (Gnutzmann/Rabe 2013, S. 102ff.). Insofern ist die Forderung von Christine Pflüger zu begrüßen, dass die Lehrerausbildung für den bilingualen Geschichtsunterricht nicht allein im Zuständigkeitsbereich der Fremdsprachendidaktiken liegen sollte (Pflüger 2013, S. 231). Die Professionalisierung der Geschichtslehrerausbildung für den bilingualen Unterricht ist ein wichtiges Unterfangen, bei dem die Geschichtsdidaktik sich einmischen und beteiligen sollte. Solange eine einseitig fremdsprachenbezogene Perspektive eingenommen wird und die Konzepte fremdsprachendidaktisch hergeleitet werden, kann die Entwicklung des bilingualen Geschichtsunterrichts nicht vorankommen, da in den didaktischen Überlegungen oftmals nur die Förderung jener Fähigkeiten eine Rolle spielt, die mit Sprache zu tun haben. So befasst sich Beate Helbig z. B. in ihrer 2001 erschienenen Dissertation mit Texterschließungstechniken im deutsch-französischen Geschichtsunterricht, betrachtet ihre Fragestellung aber aus der Perspektive der Sprachlehrforschung und stellt den fremdsprachendidaktischen Aspekt französischsprachiger Quellen in den Vordergrund (Helbig 1998; 2001). Ulrich Wannagat stellt bilingualen Geschichtsunterricht in einen internationalen Fokus, in dem er EMI-Unterricht (English as a Medium of Instruction) in Hongkong mit CLIL-Unterricht in Nordrhein-Westfalen vergleicht – allerdings nur unter der Frage, inwiefern der Unterrichtsdiskurs Sprachlernprozesse im bilingualen Sachfachunterricht beeinflusst (Wannagat 2010; 2013). Inhaltslernen wird ausdrücklich nicht berücksichtigt, aber die Verwendung der Fremdsprache im integrierten Sachfach- und Sprachlernen des CLIL-Unterrichts führt dann angeblich doch zur Erarbeitung „sachfachlicher Konzepte mit einer größeren Verarbeitungstiefe“ (Wannagat 2010, S. 225). Hier werden – was nicht weiter verwundert, da es sich um Qualifikationsarbeiten in der Domäne der Fremdsprachendidaktik handelt – oft einseitig fremdsprachendidaktische Fragestellungen und Erwartungshaltungen an einen Unterricht herangetragen, der kein Fremdsprachenunterricht ist (vgl. Breidbach 2000, S. 176), denn die Fremdsprache ist nicht Lerngegenstand, sondern nur Lernmedium. Folglich müssten didaktische Konzepte für den bilingualen Geschichtsunterricht davon ausgehen, dass es sich in erster Linie um Fachunterricht handelt – der zum Teil in einer fremden Sprache stattfindet (vgl. Hallet 1999, S. 24). Deshalb ist eine Klärung des Verhältnisses von Sprachlernen und Fachlernen im bilingualen Unterricht dringend notwendig. Die Vorstellung, dass durch die Verbindung von Fremdsprachen- und Fachdidaktik quasi automatisch ein völlig anderer Unterricht entsteht, dass die Begegnung von Sprache und Fach bzw. Inhalt einen eigentümlichen Zauber verursacht, der zum Erwerb besonderen Wissens und zur Entwicklung spezieller Kompetenzen führt, halte ich für naiv. Wenn fachliches Lernen immer auch sprachliches Lernen ist, da der Wissenserwerb über Sprache stattfindet, stellt die Integration von Sprache und Inhalt keine Besonderheit von CLIL dar. Auch der monolinguale deutsche Geschichtsunterricht ist erst einmal CLIL – auch wenn er nicht oder nicht immer „sprachbewusst“ gestaltet wird. Ebenso dringlich ist eine Klärung des Verhältnisses von Fremdsprache und Schulsprache Deutsch. Wo ist im Schulalltag die Zeit für den Aufbau einer „fachsprachlichen Diskursfähigkeit“ in zwei Sprachen, wenn es doch meistens nur eine Zusatzstunde für den sprachlichen Mehraufwand gibt und der bilinguale Geschichtsunterricht häufig erst in der Jahrgangsstufe 9 einsetzt? Dies ist eine gewaltige Doppelbelastung für die Schüler/innen – ein Scheitern ist hier vorprogrammiert. Zumal die deutsche Sprache nicht für alle „Muttersprache“ ist und ihre Verwendung in der Literatur durchaus umstritten ist. Bilingualer Geschichtsunterricht kann Geschichtsunterricht mit fremdsprachlichen Anteilen sein, wobei es unterschiedliche Gewichtungen gibt (wieviel Prozent Deutsch, wieviel Fremdsprache?), er kann aber auch Geschichtsunterricht in einer Fremdsprache sein. Auffallend ist jedenfalls, dass mit zunehmender Progression eine Zunahme des fremdsprachlichen Anteils empfohlen wird und die Idealvorstellung einen Geschichtsunterricht entwirft, der komplett in der Fremdsprache ablaufen kann. Tendenziell ist also in dieser Programmatik – so viel Deutsch wie nötig, so viel Fremdsprache wie möglich – eine Verdrängung der deutschen Sprache vorgegeben. Sofern die Praktiker/innen in der Schule natürlich bemüht sind, die Lernenden so zu fördern, dass sie dazu in der Lage sind, den Unterricht weitgehend in der Fremdsprache zu bewältigen, gerät die immer wieder beschworene fachwissenschaftliche Diskursfähigkeit in der deutschen Sprache schnell in den Hintergrund. In Ulrich Wannagats (2010, S. 99, 132) Studie liegt der Anteil der Fremdsprache am Unterrichtsdiskurs der 10. Klasse bei 93,54 % und er findet Hinweise darauf, „dass durch den überwiegenden Gebrauch“ der Fremdsprache historische Fachbegriffe in der Schulsprache Deutsch „in den Hintergrund treten“. Jetzt kann man natürlich argumentieren, dass ja die englischen und deutschen Fachbegriffe gelernt werden, geübt wird die fachwissenschaftliche Diskursfähigkeit vor allem auf Englisch, aber prinzipiell lernen die Schüler/innen da ja, wie es geht und müssen – wenn sie beispielsweise eine historische Erzählung auf Deutsch verfassen sollen – nur ins Deutsche „zurückübersetzen“. Die Studentin von Bettina Alavi konnte das augenscheinlich nicht.

Bärbel Diehr hat einen Typologisierungsvorschlag zum Verhältnis der Sprachen im bilingualen Unterricht vorgelegt:

Abb. 1.2: Positionen zum Verhältnis der Sprachen nach Diehr (2012, S. 23ff.)

Eine Weiterentwicklung ihrer Übersicht hält Diehr für wünschenswert und formuliert damit zugleich einen Auftrag an die Fachdidaktiken, die Aufgaben, welche den Sprachen im bilingualen Unterricht zugewiesen werden, gut zu durchdenken, fortzuentwickeln und empirisch zu überprüfen (vgl. Diehr 2012, S. 27). So empfiehlt sie z. B. Untersuchungen durchzuführen, in denen Lernende, die Unterricht in den verschiedenen Typen A, B und C erhalten haben, ihre Fachkompetenz zu einem fachspezifischen Thema in beiden Sprachen nachweisen, um herauszufinden, „inwieweit und unter welchen Bedingungen sich ein Kompetenztransfer von einer Sprache zur anderen einstellt – oder auch nicht“ (ebd., S. 31).

Die Entwicklung einer die Unterrichtspraxis fundierende Methodik kann nur in enger Verzahnung mit dem Fach Geschichte erfolgen. Streng genommen ist der bilinguale Geschichtsunterricht eine curriculare Struktur, nicht jedoch eine ausgearbeitete Methode (so schon Bach 2000, S. 13). Ein Blick auf die schulische Praxis zeigt jedoch, dass bilingualer Geschichtsunterricht auf eine langjährige Tradition zurückblicken kann und durchaus als Erfolgsgeschichte gehandelt wird, obwohl es bisher keineswegs zahlreiche, eindeutige bzw. empirisch abgesicherte Ergebnisse gibt, welche die zentralen Annahmen und Ansprüche sowie die Wirksamkeit dieser Unterrichtsart belegen: „Erstaunlich ist vor allem, dass die positive Grundhaltung, die sich in Erfahrungsberichten, aber auch in politischen Positionspapieren findet, häufig ohne forschungsbasierte Evidenz auskommt“ (Viebrock 2013, S. 226). Andreas Bonnet fasst diese eigenartige Dynamik wie folgt zusammen:

„Therefore, the powerful metaphors of ‘two for the price of one’ and the ‘added value of CLIL’ seem to have become accepted truths in the general CLIL-discourse rather than hypotheses to be tested through evidence-based research. Still, they create a powerful atmosphere of optimism and almost limitless belief in the potential of CLIL” (Bonnet 2012a, S. 66).

Erstaunlich ist auch, dass die vorliegenden Studien häufig dem sozialen Hintergrund der beteiligten Schüler/innen keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet haben. Wenn diese Studien die Überlegenheit bilingual unterrichteter Schüler/innen bei der Quellenarbeit und beim historischen Denken gegenüber monolingualen Vergleichsklassen dokumentieren, stellt sich somit die Frage, ob die bilingual unterrichteten Schüler/innen die festgestellten Fähigkeiten erst im bilingualen Geschichtsunterricht erworben haben oder bereits vorher besaßen (Bernhardt 2011, S. 223; Breidbach/Viebrock 2012; 2013b; Rumlich 2013). Insofern ist es sicherlich hilfreich, dass mittlerweile auch im Diskurs der Fremdsprachendidaktik kritischere Stimmen laut werden, die eine solidere Grundlage an Forschungsbelegen fordern, die politische Entscheidungen auf struktureller Ebene, aber auch pädagogische Überlegungen auf der Ebene des Klassenzimmers informieren könnten (vgl. z. B. Apsel 2012, der sich mit Lernenden befasst, die bilinguale Züge verlassen haben, oder einen Teil der Beiträge in Breidbach/Viebrock 2013a). Solche empirische Forschung ist auch nötig, um zu überprüfen, inwiefern bilingualer Unterricht im deutschen Kontext oder anderswo (für Andalusien vgl. Bruton 2011) eher der Selektion als einer Verbesserung des Lernens dient (Bonnet 2012a, S. 67; Bonnet/Dalton-Puffer 2013). Für Almut Küppers und Matthias Trautmann stellt sich die Frage, ob CLIL oder eher die daran teilnehmenden Schüler/innen den Erfolg darstellen:

„CLIL programmes obviously attract high achievement and better motivated learners, and, although not deliberately discussed, current CLIL research thus supports our assumption that it is not CLIL that is a success but rather CLIL students are. […] As a result, the underlying secrets of the outstanding CLIL reputation cannot only be attributed to its theoretical underpinnings or sophisticated teaching methodology. The biggest secret seems, quite simply: bright and enthusiastic learners” (Küppers/Trautmann 2013, S. 294).

Im Hinblick auf die fremdsprachlichen Leistungen im Fach Englisch liegt mit der Studie Deutsch-Englisch-Schülerleistungen-International (DESI) im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland eine bundesweit repräsentative Untersuchung vor, bei der etwa 11 000 Schüler/innen von einem interdisziplinär zusammengesetzten Konsortium aus Fachdidaktikern, Psychologen und Schulforschern unter Federführung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung im Schuljahr 2003/2004 befragt und getestet wurden (DESI-Konsortium 2008). Die Studie kommt u. a. zu folgenden Ergebnissen:

•  Die Teilnahme an bilingualen Unterrichtsprogrammen, die sich überwiegend an Gymnasien finden, geht einher mit generell höheren sprachlichen Kompetenzen der Schüler/innen (auch in Deutsch), einem höheren sozialen Status und dem Geschlecht (Mädchen nehmen an diesem Programmen überproportional häufig teil);

•  Schüler/innen in bilingualen Klassen haben einen sehr deutlichen Kompetenzvorsprung in allen Bereichen, im Hörverständnis kommen sie fast doppelt so schnell voran wie andere Klassen;

•  in bilingualen Klassen sind „ethnorelative interkulturelle Orientierungen“ signifikant häufiger zu beobachten als in der Vergleichsgruppe (DESI-Konsortium 2006, S. 59f.).

Ein forschungsmethodisches Problem von Studien wie DESI oder auch DEZIBEL in Berlin (Zydatiß 2007) besteht allerdings darin, dass die bilingual unterrichtete Lerngruppe deutlich mehr Kontakt zur Fremdsprache hatte als die Vergleichsgruppe, was in beiden Studien nicht berücksichtigt wurde (Diehr 2013, S. 210). Während die DESI-Studie zeigt, dass der Erwerb fremdsprachlicher Kompetenzen durch den bilingualen Unterricht gefördert wird, fehlt es aber immer noch an repräsentativen Studien, welche die spezifischen Stärken bilingualer Lerner in fachlicher – nicht fremdsprachlicher – Hinsicht nachweisen können (so schon Vollmer 2000, S. 54 f.). Bisher dominiert in der europäischen Diskussion dieser Unterrichtsform das Thema der fremdsprachlichen Kompetenz und die methodischen Vorschläge zum Unterrichtsdesign heben sich oftmals nicht von fremdsprachendidaktischen Zugriffsweisen ab. Die fachliche Kompetenz wird in Theorie, Forschung und Praxis noch nicht im ausreichenden Maße berücksichtigt (vgl. Diehr/Schmelter 2012, S. 9).

1.4        Praxis des bilingualen Geschichtsunterrichts – zwischen Vielfalt und Beliebigkeit?

Bilingualer Geschichtsunterricht ist keine vorübergehende Modeerscheinung in der deutschen Schullandschaft, keine vernachlässigungswürdige Größe, sondern eine dauerhafte Einrichtung, die sehr unterschiedlich realisiert wird. Beim bilingualen Geschichtsunterricht ist die Unterrichtspraxis der Theoriebildung lange vorausgegangen. Das hört sich erst einmal ganz gut an, zeugt aber von einem Regulierungsdefizit, das in der von mir in der letzten Dekade beobachteten Unterrichtspraxis zu problematischen Ergebnissen führen kann. Auch im Hinblick auf die Theoriebildung besteht die Gefahr, dass die Entwicklungen in der Unterrichtspraxis durch angepasste Fragestellungen nachträglich legitimiert werden und somit im Nachvollzug der Unterrichtspraxis eine apologetische Theoriebildung erfolgt (Decke-Cornill 1999, S. 165; vgl. auch Breidbach 2007, S. 35). So gibt es natürlich in den Plänen der Bundesländer eine Vielzahl von formalen Organisationsregeln und in den Überlegungen der Fremdsprachendidaktik finden sich viele Hinweise zur Ausgestaltung des Unterrichts. Entscheidend ist aber, dass die Qualität dieser Unterrichtsform davon abhängt, wie die jeweilige Lehrkraft sie versteht und arrangiert. Wenn Handlungskonzepte auf subjektiven Theorien beruhen, stehen diese für John Hattie häufig einer Verbesserung der Unterrichtsqualität im Weg, da diese Überzeugungen oftmals den Forschungsergebnissen widersprechen (Hattie 2009, S. 1, 6, 239f.). Britta Viebrock (2007) kommt in ihrer Dissertation zu den subjektiven didaktischen Theorien von Lehrenden im bilingualen Erdkundeunterricht zu dem Ergebnis, dass es von der einzelnen Lehrkraft abhängt, inwiefern sich das Potenzial des bilingualen Unterrichts entfalten kann. Dabei bestimmen die in der Praxis gewonnenen Alltagstheorien das Vorgehen von Lehrkräften und ihr methodisches Repertoire (Viebrock 2010, S. 108f.). Viebrock warnt sogar vor einem gegenläufigen Trend, demzufolge die Theorie des bilingualen Sachfachunterrichts, die lange Zeit hinter der Praxis her hinkte, nun ihrerseits diese überholt habe und jetzt eine Lücke klaffe zwischen den didaktischen Forderungen an diese Unterrichtsform und der Relevanz und Umsetzung dieser Ziele in der Unterrichtspraxis (Viebrock 2006, S. 171; vgl. auch Doff 2010, S. 15; Kollenrott 2008). Der Faktor „subjektive Theorien“ beeinflusst natürlich alle Fächer, nicht nur den bilingualen Unterricht, aber aufgrund der doch eher unklaren Strukturierung dieser Unterrichtsform stehen Lehrkräften kaum Instrumente zur Reflexion ihrer Praxis zur Verfügung. Was kann eine neu im bilingualen Geschichtsunterricht eingesetzte Lehrkraft also tun, wenn sie sich orientieren möchte? Sie kann z. B. die Vorgaben der Bildungsadministration zurate ziehen. Diese variieren aber von Bundesland zu Bundesland sehr stark – so hieß es zum Beispiel 2001 in Rheinland-Pfalz (MBWW 2001, S. 337): „Bilingualer Unterricht ist Sachfachunterricht in einer Fremdsprache, er vertieft und erweitert interkulturelle und fremdsprachliche Kommunikationsfähigkeit und Kompetenz.“ Wenn nun Sachfach durch Geschichte ersetzt wird, stellt sich die Frage, wo die historischen Lernziele bleiben, hier steht eindeutig der Spracherwerb im Vordergrund. Zehn Jahre später heißt es im hessischen Kerncurriculum für Geschichte in der Sekundarstufe I:

„Im bilingualen Sachfachunterricht vollzieht sich der Erwerb der fachlichen Kompetenzen in der Fremdsprache und verknüpft inhaltliches Lernen mit sprachlichem Lernen. Bilingualer Unterricht im Fach Geschichte bedient sich authentischer Materialien aus dem nichtdeutschen Sprachraum und konfrontiert die Lernenden mit unterschiedlichen kulturellen Deutungsmustern („Perspektivwechsel“). Die fremdsprachliche Verständigung über historische Inhalte bereitet die Lernenden auf den fachsprachlichen Diskurs mit Menschen aus anderen Ländern vor“ (HKM 2011b, S. 13).

Das hessische Kerncurriculum geht vom Erwerb der fachlichen Kompetenzen aus, dieser findet aber in der Fremdsprache statt. Inwiefern ist dieser Unterricht dann noch bilingual?

Da die Geschichtsdidaktik bisher eher durch Abwesenheit glänzt, bietet die Fremdsprachendidaktik eine weitere Anlaufstelle für orientierungsbedürftige Lehrkräfte. Dort ist der konzeptionelle Entwicklungsstand lange Zeit durch praxisnahe Modellbildung bestimmt gewesen (Otten/Wildhage 2003, S. 15). Vielfalt kann gut sein, bedeutet aber in der Unterrichtspraxis nur zu häufig Beliebigkeit, da die Fremdsprachendidaktik meines Erachtens – trotz des z. B. von Doff konstatierten theoretical turn (Doff 2010, S. 12, 15) – über eine Phase beginnender Theoriebildung bisher nicht hinausgekommen ist. Theoriegeleitete Konzepte, sofern sie denn entwickelt werden, müssen fachspezifische Komponenten enthalten, deren Spezifität dem Allgemeinheitsanspruch dieser Überlegungen, der sich in dem Platzhalter „Sachfach“ zeigt, zuwiderlaufen würden. Die Fremdsprachendidaktik arbeitet sich jedoch verständlicherweise an dem Potenzial ab, das sie in der Ausweitung des fremdsprachlichen Lernens auf unterschiedliche Schulfächer sieht.

1.5        Bilingualer Geschichtsunterricht – Chance oder Gefahr für das historische Lernen?

Meine Beschäftigung mit der Theorie, Empirie und Unterrichtspraxis des bilingualen Geschichtsunterrichts hat bis heute mehr Fragen aufgeworfen als sie beantworten konnte. Das existierende Theoriedesign dieser Unterrichtsform basiert auf bildungs- und sprachpolitischen Vorstellungen, in denen dem bilingualen Unterricht eine hohe Relevanz in der schulischen Praxis zugewiesen wird. Er gilt hier als eine Antwort auf die Herausforderungen, vor denen Kinder und Jugendliche in ihrem zukünftigen Leben stehen werden – und als Vermittler des dafür notwendigen Sprach- und Fachwissens bzw. der erforderlichen Sprach- und Fachkompetenz. Die wissenschaftliche Grundlage des bilingualen Geschichtsunterrichts ist aber problematisch, weil die theoretischen Konzepte der Fremdsprachdidaktik, die dem Fach Geschichte wichtige Zugewinne versprechen, aus fachspezifischer Perspektive eher fragwürdig sind:

Multiperspektivität: Dieses für den Geschichtsunterricht zentrale Konzept scheint trivialisiert zu werden, indem es häufig auf die Gegenüberstellung von „zwei Sichtweisen“ verkürzt wird. Es werden Typen, Meinungen, Interessen und Vorstellungen gegenübergestellt, der Zusammenhang von Standort und Perspektive, auf den Multiperspektivität abzielt, wird – wenn überhaupt – nur selten wahrgenommen (vgl. Bergmann 1999; 2000; 2011; Lücke 2012). Das Konzept stellt hohe Anforderungen an die Materialauswahl und-beschaffung für den bilingualen Geschichtsunterricht. Die gängigen Lehrwerke bieten nur selten ein den Ansprüchen dieses Konzeptes genügendes multiperspektivisches Materialarrangement. Eine weitere Einschränkung in der Unterrichtsrealität erfährt die Multiperspektivität durch Prinzipien wie didaktische Reduktion und Exemplarität. Die Vielzahl der zu behandelnden Themen und die wenige Zeit, die für den Unterricht zur Verfügung steht, führen schnell dazu, dass kleine Häppchen serviert werden, maximal zwei Perspektiven gegenübergestellt werden und eher die Mehrheitenperspektive als die Minderheitenperspektive behandelt wird. Wenn nun beispielsweise die Bedeutung eines historischen Sachverhalts in verschiedenen Ländern zum Thema einer arbeitsteiligen Gruppenarbeit mit anschließender Podiumsdiskussion gemacht wird, kann es aus Zeit- oder Materialgründen dazu kommen, dass sich die Lehrkraft entscheidet, nur eine Position/Perspektive pro Land als Materialangebot zur Verfügung zu stellen. Dann wird sich im Unterricht zwar über eine Mehrzahl von Perspektiven auseinander gesetzt, es besteht aber die Gefahr, dass die Schüler/innen die eine Position/Perspektive mit der Sichtweise des ganzen Landes gleichsetzen: „Die Briten“ sehen den historischen Sachverhalt so, „die Deutschen“ sehen das aber anders. Aus dem Urteil eines einzelnen historischen Akteurs wird so in den Köpfen der Lernenden schnell die Meinung einer ganzen Nation – aus einem einzelnen Beispiel wird eine landesspezifische bzw. kulturelle Sichtweise konstruiert und somit kann der Unterricht zur Stereotypisierung führen und damit den Zielen von Multiperspektivität und interkulturellem Lernen zuwiderlaufen. Es reicht also keinesfalls aus, im bilingualen Geschichtsunterricht nur sich widersprechende Aussagen gegenüberzustellen, also z. B. zwei konträre Positionen zu einem Ereignis, weil dann Multiperspektivität nur zur trivialen Einsicht führt, dass Menschen Dinge so oder so sehen können (vgl. Pandel 2010, S. 194).

Fremdverstehen und interkulturelles Lernen: In der Kontrastivität bzw. im komparatistischen Prinzip wird ein Gewinn an Tiefe und Reflexionsfähigkeit gesehen (vgl. Otto 1993; Geiss 2009; Theis 2010; Schlemminger/Balzereit 2013). Da der Perspektivenwechsel und die kontrastierenden Betrachtungsweisen dem bilingualen Geschichtsunterricht inhärent seien, soll er das Fremdverstehen und das interkulturelle Lernen besonders – quasi als Automatismus dieser Unterrichtsform – fördern. Dabei wird Sprache mit Kultur gleichgesetzt und das Aufeinandertreffen von Schulsprache Deutsch und Fremdsprache im bilingualen Unterricht als Aufeinandertreffen zweier Weltdeutungen interpretiert. Dieser Vorstellung, die vor allem den deutsch-französischen Geschichtsunterricht prägt, liegt ein überkommener essentialistischer Kulturbegriff (Kultur als Nationalkultur) zugrunde (vgl. Breidbach 2007, S. 81ff.; Altmayer 2001). Damit ist zu befürchten, dass ein solcher Unterricht eher zur Bildung von Stereotypen führt als zu einem differenzierterem Fremdverstehen und interkulturellem Lernen.

Verwendung von Fremdsprache und Schulsprache Deutsch: Bilingualer Geschichtsunterricht bedeutet häufig keinen Unterricht in zwei Sprachen, sondern einen weitgehend oder ausschließlich in der Fremdsprache stattfindenden Unterricht. Es gibt keine Regelungen, die den Erwerb der historischen Fachsprache in der Schulsprache Deutsch gewährleisten. Die empirische Forschung zur fachspezifischen Konzeptentwicklung wird noch nicht (ausreichend) wahrgenommen. Die monolinguale Unterrichtspraxis kann so zu Sprachmängeln und Verstehensproblemen im Studium führen.

Doppelte Sachfachliteralität bzw. fachbasierte Diskursfähigkeit/-kompetenz in zwei Sprachen: Es gibt keine überzeugenden Umsetzungsvorschläge zum Erreichen dieses sehr anspruchsvollen Lernziels. Auch der Anteil des Fremdsprachenunterrichts an dieser Aufgabe bleibt unklar. Von einer Umsetzung in der Unterrichtspraxis ist der bilinguale Unterricht meines Erachtens weit entfernt.

Content and Language Integrated Learning: Sofern im Unterricht Wissen über den Erwerb und den Ausbau sprachlicher Strukturen entwickelt wird, ist sprachliches Lernen ein inhärenter Bestandteil schulischer Lernprozesse in allen Fächern und somit kein Alleinstellungsmerkmal des bilingualen Unterrichts (vgl. Badertscher/Bieri 2009, S. 196ff.). Die Hypothese, dass sprachlicher und fachlicher Wissens- und Kompetenzerwerb in einer engen wechselseitigen Abhängigkeit stehen, die enge Verknüpfung von Sprache und Denken, kann bezweifelt werden (vgl. auch Bonnet 2012b, S. 202). Die Bezeichnung CLIL erweist sich somit als wenig trennscharf und ungeeignet, um den bilingualen Geschichtsunterricht vom herkömmlichen abzugrenzen. Auch monolingualer deutschsprachiger Geschichtsunterricht ist CLIL.

Ignoranz der Fächer gegenüber Sprache/Fachlichkeit und sprachliches Lernen: Der Hinweis auf den Zusammenhang von Sprach- und Fachlernen führt bisher zu keiner deutlicheren Konturierung des Fremdspracheneffekts im bilingualen Geschichtsunterricht. Während dieser Effekt anfangs vor allem in der Interkulturalität gesehen wurde, wird er nun zunehmend in der Verarbeitungstiefe der Unterrichtsinhalte lokalisiert (vgl. Lamsfuß-Schenk 2008; 2010; Heine 2007; 2010a; 2010b). Die bilinguale Theoriebildung weist meines Erachtens zu Recht auf eine mangelnde Sprachbewusstheit des monolingualen Unterrichts hin, dringt aber nicht tief genug in den jeweils fachspezifischen Zusammenhang von Denken, Inhalt und Sprache ein.

Auswirkungen der Fremdsprache/gesteigerte Verarbeitungstiefe: Es ist sehr schwierig, allgemeine Aussagen über die Auswirkung der Fremdsprache in fachlichen Lernzusammenhängen zu machen, da systematische Forschung, die einen deutlichen Einfluss der Verwendung der Fremdsprache auf fachliche Denkweisen zeigen kann, bisher noch fehlt. Die Frage, ob der Wissenserwerb und das historische Denken im bilingualen Geschichtsunterricht von anderer Qualität sind als im monolingualen, wird für die Legitimation dieser Unterrichtsform als bedeutsam erachtet. Wenn sich Besonderheiten sprachlicher Struktur in konzeptuellen Wissensstrukturen widerspiegeln, könnte daraus abgeleitet werden, dass die Verwendung einer Fremdsprache im bilingualen Sachfachunterricht kognitive Auswirkungen habe und sich diese Unterrichtsform vom Regelunterricht unterscheide (Heine 2010a, S. 200). Solche Auswirkungen können bisher nicht belegt werden. Heine kommt für den Geographieunterricht zu dem Ergebnis, dass in fremdsprachlich dominierten Lernarrangements mit fachlichen Fokus die vordergründig als Schwierigkeit erscheinende begrenzte Kompetenz in der Fremdsprache – Lücken im Wortschatz – zu tieferer semantischer Verarbeitung von Fachinhalten führen kann (Heine 2010b, S. 187). Aber weder Heines Aufarbeitung des Forschungsstandes noch ihre empirischen Daten legen nahe, dass es Besonderheiten in der fremdsprachlichen Bearbeitung von Fachinhalten gibt, die nicht ihrem Wesen nach auch bei einer Verarbeitung auf Deutsch gegeben sind. Die Hypothese der größeren Verarbeitungstiefe, die auf die kanadischen Psychologen Fergus Craik und Robert Lockhart (1972) zurückgeht, findet sich auch bei Stefanie Lamsfuß-Schenk, die 2008 eine exemplarische Fallstudie zum Thema „Fremdverstehen im bilingualen Unterricht“ publiziert hat. In der gesteigerten Verarbeitungstiefe der Unterrichtsinhalte sieht auch sie die Ursache für die höhere Qualität des Perspektivenwechsels und des Fremdverstehens in der bilingual unterrichteten Lerngruppe.

Fremdspracheneffekt oder Prozesstruktur? Bei empirischen Untersuchungen zum bilingualen Unterricht scheint mir der Blick auf die konkrete Unterrichtspraxis in der Experimental- und Kontrollgruppe wichtig zu sein: Im bilingualen Geschichtsunterricht sind Lehrer/innen aufgrund der zweisprachigen Lernsituation stärker dafür sensibilisiert, den Unterricht und die darin angestrebten Lernprozesse durch die Brille der Lernenden zu sehen, um mögliche Probleme bei der Erarbeitung von Unterrichtsinhalten in der Fremdsprache durch die Lernenden zu antizipieren und nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Insofern ist der bilinguale Geschichtsunterricht in solchen Untersuchungen/Forschungsvorhaben vielleicht der besser geplante und durchgeführte Unterricht, da er in der Prozessstruktur der sprachlichen Verarbeitung mehr Aufmerksamkeit schenkt, während der deutschsprachige Geschichtsunterricht zu oberflächlicheren Ergebnissen führt, weil er auch oberflächlicher geplant und durchgeführt wurde, da die sprachliche Durchdringung der Unterrichtsinhalte und die damit verbundenen notwendigen Konstruktionsprozesse in der Unterrichtssprache Deutsch nicht für nötig erachtet wurden. Auch Elke Müller-Schneck kommt in ihrer Arbeit zum bilingualen Geschichtsunterricht in Nordrhein-Westfalen, die auf Befragungen von Lehrkräften basiert, zu dem Schluss, dass bilingualer Geschichtsunterricht „aufgrund seiner besonderen Herausforderungen bewusster geplant und strukturiert“ wird als der deutschsprachige Geschichtsunterricht (Müller-Schneck 2006, S. 303).

Entwicklung einer Didaktik des bilingualen Unterrichts/fächerübergreifender Ansatz: