Bionik - Antonia B. Kesel - E-Book

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Antonia B. Kesel

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Beschreibung

FISCHER KOMPAKT. Verlässliches Wissen kompetent, übersichtlich und bündig dargestellt. Spinnenseide ist reißfester als Stahl, Lotusblüten reinigen sich selbst und Mottenaugen sind antireflektierend: Die Bionik lernt von den Prinzipien der Natur und versucht sie der Technik zu Nutze zu machen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Antonia B. Kesel

Bionik

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Inhalt

Grundriss1 Der analytische Blick in die Natur2 Der Stoff aus dem das Leben ist2.1 Einfache Bausteine, lange Ketten2.2 Hämoglobin und Chlorophyll2.3 Das Supermolekül DNA und Protein Engineering2.4 Cellulose und Chitin2.5 Spinnenseide2.6 Bio-Kleber2.7 Biogene Keramiken und das Vorbild Perlmutt2.8 Bio-Templating und Bioceren2.9 Komposit-Werkstoffe3 Kratzen an der Oberfläche lohnt sich3.1 Membranen3.2 Molekulare Schalter3.3 Zähnchen auf der Haut, Mikrobubbles und Selbstreinigungseffekte3.4 Multifunktionale Oberflächen3.5 Haften und Verbinden3.6 Aquaplaning bei Kannenpflanzen3.7 Wasser aus dem Nebel3.8 Schwimmen im Sand4 Form und Funktion4.1 Ultraleichte Tragflächen4.2 Rohrkonstruktionen allenthalben4.3 Stabilisierende Schäume und Knochenspongiosa4.4 Hydrodynamische Formanpassung4.5 Der Widerstand4.6 Simulierte Formoptimierung, CAO und SKO4.7 Evolutionäre Algorithmen5 Zu Lande, zu Wasser und in der Luft5.1 Der molekulare Motor5.2 Terrestrische Lokomotion5.3 Aquatische Lokomotion5.4 Der richtige Schwanzschlag5.5 Highspeed unter Wasser5.6 In der Luft6 Das sensitive Fenster zur Welt6.1 Mechanische Sensoren6.2 Ferntastsinne unter Wasser6.3 Orientierung im Raum6.4 Töne, Klänge und Geräusche6.5 Echopeilung und Sonar6.6 Mikro-Ohren an den Beinen6.7 Mit Infrarot zu Beute, Brand und Brut6.8 Von bitter bis umami6.9 Perfekte Nasen6.10 Augentiere6.11 Das Gefühlsleben der PflanzenVertiefungenGiftfreies Antifouling nach biologischem VorbildFaser-Verbund-WerkstoffeKleben, Haften und VerbindenDie GrenzschichtDer AuftriebAnhangGlossarLiteraturhinweiseDankAbbildungsnachweise:

Grundriss

1 Der analytische Blick in die Natur

Die Idee ist nicht neu. Bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts versuchte Leonardo da Vinci von der belebten Natur zu lernen, um den alten Menschheitstraum vom Fliegen zu verwirklichen. Es sollte jedoch noch einige Jahrhunderte dauern, bis die ersten, ebenfalls naturinspirierten Gleitflieger ihren Konstrukteur Otto Lilienthal (zumindest zunächst) erfolgreich vom Erdboden abheben ließen. Ebenfalls Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte der Norweger Cornelius Lie seinen »Mechanischen Lotsenfisch«, dessen Antrieb in Form und Bewegung nach Vorbild der Fischflosse konstruiert war. Auch hier war es zunächst die scheinbar mühelose Fortbewegung der Tiere, die zur Nachahmung anregte. Mit zunehmend verbesserten Analyseverfahren und -möglichkeiten offerierten biologische Systeme und Strukturen zunehmend detaillierte Einsichten in ihre Konstruktionsprinzipien. Diese reichen heute bis in den nanoskopischen Bereich, so etwa bis in die molekulare Struktur membranöser Oberflächen hinein. Molekulare Schalter, DNA-Computer, artifizielle Tunnelproteine nach dem Vorbild der Natur, um nur einige Beispiele zu nennen, scheinen in greifbare Nähe zu rücken.

Dieses Lernen von der belebten Natur ist Gegenstand der relativ jungen Wissenschaftsdisziplin Bionik, im internationalen Sprachgebrauch »Biomimetics«. Ursprünglich zwischen Bio- und Ingenieurwissenschaften angesiedelt, umfasst diese vom interdisziplinären Charakter geprägte anwendungsorientierte Disziplin heute Physik, Mathematik, Informatik, Chemie, Pharmazie, Medizin, Materialwissenschaften, Elektrotechnik, Maschinenbau, Architektur bis hin zu Design und Psychologie. Allen Ausrichtungen gemeinsam ist dabei die Bemühung, die Ergebnisse der biologischen Evolution zu erforschen und die gewonnenen Erkenntnisse in innovative Produkte, Systeme oder Prinzipien zu übertragen.

Ermöglichen neuerdings modernste Messverfahren eine zunehmend detaillierte Charakterisierung natürlicher Materialien bis hin zur Molekularstruktur, so standen am Anfang bionischer Forschungen Struktur- und Konstruktionsanalysen im Vordergrund. Tatsächlich scheinen Gegenüberstellungen aus dem Bereich der Technik und der Biologie neben formalen auch konzeptionelle Analogien aufzuzeigen.

Daraus mag sich der oft geäußerte Wunsch der Ingenieure, natürliche Konstruktionen und Strukturen mögen katalogisiert und nach Funktionen systematisiert werden, erklären. Das hieße jedoch das immense Innovationspotenzial, das die Analyse der belebten Natur offeriert, lediglich zu streifen. Die Kreativität natürlicher Konstruktionen erschöpft sich bei weitem nicht in der Genese der n-fachen Ausführung des gleichen Motivs. »Lernen von der Natur« bedeutet vielmehr die Auseinandersetzung mit den dort realisierten alternativen Lösungskonzepten – auch wenn die zugrunde liegende Frage bzw. Anforderung an das zu analysierende System oder Objekt zunächst meist nicht bekannt ist.

Die Analyse natürlicher Strukturen und Systeme macht deutlich, dass sie, ganz im Gegensatz zu deren technischen Pendants, ausnahmslos multifunktional konstruiert sind. Aufzeigbar an jedem nahezu beliebigen Organismus oder dessen Teilen, imponieren insbesondere diese mehrdimensionalen Funktionsoptionen. Sie ergeben sich aus der Interaktion der Materialien und des daraus realisierten Designs.

Demnach kommt dem verwendeten Werkstoff herausragende Bedeutung zu. Biologische Werkstoffe bestehen aus relativ einfachen Grundsubstanzen. Sie repräsentieren chemisch gesehen eine vergleichsweise geringe Anzahl an Polymeren und keramischen Komponenten. Durch veränderte Synthesebedingungen im Fertigungsprozess bzw. durch Variation singulärer Bestandteile werden variable Materialcharakteristika generiert. Damit werden hinsichtlich Energie- und Materialaufwand hocheffiziente, funktionsoptimierte Bauteile bzw. Strukturen gebildet.

Auf höher skalierter Ebene zeigen die Analysen, dass sich die physikalische Charakteristik biologischer Organismen meist an der Schnittstelle zwischen Außen- und Innenmedium, an der Oberfläche entscheidet. Hier finden nicht nur Materialtransporte und Informationsaustausch statt: Physikalische Effekte wie Selbstreinigung, Reduktion des Reibungswiderstandes, Minimierung des Brechungsindexes, um nur einige zu nennen, werden durch die Mikrokonfiguration der Oberfläche dominiert. Und in der Tat ist hier der Erkenntnistransfer in den Anwendungsbereichen am weitesten fortgeschritten: Tatsächlich reduzieren haifischschuppen-analoge Strukturen bereits den Treibstoffverbrauch von Verkehrsflugzeugen, wird Oberflächenverunreinigung durch Anwendung des »Lotus-Effektes« reduziert und nutzen solare Energiesysteme Breitband-Entspiegelungen nach dem Prinzip des Mottenauges.

Aber die Analysen zeigen ebenso deutlich auf, dass die Natur keine einfachen Kopiervorlagen bietet. Ganz im Gegenteil, in vielen Fällen sind die realisierten Konzepte wenig überzeugend und lassen sich lediglich aus ihrer Historie, dem Evolutionsprozess, erklären. Dennoch lernen wir, dass es möglich ist, selbst unter Einbeziehung multipler Optimierungskriterien, funktionstüchtige Lösungen zu realisieren. Interpretiert man Innovation als »Lösung sich gegenseitig scheinbar ausschließender Anforderungsprofile«, so ist die Beschäftigung mit den Vorlagen der Natur gleichermaßen Herausforderung wie Schulung unserer Kreativität.

Und darüber hinaus erzwingen die hochkomplexen Systeme und Strukturen den interdisziplinären Dialog. Neue Kommunikationsmodelle sind ebenso gefordert wie die Anwendung des Methodenrepertoires aller uns heute und in Zukunft zur Verfügung stehenden Wissenschaftsdisziplinen.

2 Der Stoff aus dem das Leben ist

Die belebte Welt beginnt auf der Stufe der Moleküle, im Nanokosmos. Funktionsbausteine, teilweise nur aus wenigen Atomen aufgebaut, schließen sich zu immer komplexeren Aggregationen zusammen und generieren dadurch letztlich alles, was als lebende Materie bekannt ist. Durch diese hierarchische Strukturierung werden immer mehrdimensionale Funktionsoptionen auf molekularer Ebene generiert, die vielfältige Vorbilder mit Anregungen für HighTech-Materialien, Selbstorganisationsprozesse und Multifunktionalität darstellen.

2.1 Einfache Bausteine, lange Ketten

Der Grundbausatz biologischer Materialien besteht im Wesentlichen zunächst aus Aminosäuren, die aneinander gereiht funktionelle Polymere, so genannte Proteine (Eiweiße) bilden. Diese Moleküle sind die Basiskomponenten des Lebens, das sich einer äußerst konservativen Konstruktionsweise bedient: seit ca. 3 Milliarden Jahren finden die gleichen Bausteine Verwendung. Tatsächlich geht die Selbstbeschränkung hier so weit, dass von der theoretisch nahezu unendlich großen Anzahl unterschiedlicher Aminosäuren lediglich ca. 260 im Bereich der belebten Natur vorkommen; in den Proteinen finden gar nur 20 davon Verwendung. Allerdings werden diese in äußerst innovativer Art und Weise immer wieder neu miteinander kombiniert.

Während die Reihenfolge der Aminosäuren, die Primärstruktur eines Proteins, genetisch festgelegt ist, induzieren die chemischen wie physikalischen Eigenschaften dieser Grundbausteine bzw. deren Seitengruppen Sekundärstrukturen, selbstorganisierte Faltungen oder Verwindungen, die wiederum in so genannten Tertiärstrukturen zu räumlich übergeordneten Strukturen angeordnet werden. Die Prozesse des Faltens in die biologisch funktionalen Konformationen laufen in lebenden Zellen spontan und sehr schnell ab. Lagern sich mehrere dieser Moleküle im so genannten kooperativen Self-Assembling zusammen, wird eine Quartärstruktur ausgebildet und es entstehen hochfunktionale Supermoleküle.

Proteine sind die nanoskopischen Funktionseinheiten des Organismus schlechthin. Sie sind als Enzyme für den geregelten Ablauf chemischer Reaktionen im Körper verantwortlich, ermöglichen als integrale Bestandteile der Zellmembranen dort stattfindende Transport- und Informationsvorgänge und sind als Immunglobuline an der körpereigenen Immunabwehr beteiligt. In Form der kontraktilen Proteine Aktin und Myosin ermöglichen sie jegliche Art von Bewegungen, bilden in Form von Kollagen und Elastin Gerüstproteine und beteiligen sich als Transportproteine an den vielfältigen Transportvorgängen innerhalb des Organismus.

Lassen sich die beschriebenen Grundbausteine der Organismen bis dato auch erst bedingt als Vorlage zu neuen technischen Anwendungen und Produkten nutzen, so hat doch das Organisationsprinzip in der Technik durchaus bereits sein Pendant. Die bei den bereits angesprochenen Polymeren realisierte vielfache Repetition der gleichen Grundbausteine hat in der Werkstoffindustrie längst Einzug gehalten. In Form von Polyethylen, Polyamid, Polyester, Polyvinylchlorid, Polyurethan etc. sind sie gang und gäbe.

2.2 Hämoglobin und Chlorophyll

Im Allgemeinen sind Proteine geeignet, komplexe Hochgeschwindigkeits-Prozesse zu befördern. Selten dauern die Reaktionszeiten länger als einige wenige Millisekunden. Zu diesen Hochleistungsmolekülen gehört z.B. das Hämoglobin. Es besteht aus 4 Untereinheiten sowie einem zentralen Eisenatom und ist verantwortlich für die Sauerstoffversorgung vieler tierischer Organismen. Da Sauerstoff in wässrigen Flüssigkeiten nur bedingt löslich ist und die im Körper benötigte Menge durch physikalische Löslichkeit nicht bereitgestellt werden kann, ist ein entsprechender Träger unerlässlich. In den Lungen oder deren Vorstufen wird besagtes Eisenatom mit Sauerstoff »beladen«. Gebunden an Hämoglobin, das in den Erythrozyten (rote Blutkörperchen) verpackt ist, wird der Sauerstoff über das Blut durch den Körper transportiert und in den Geweben wieder abgegeben. Sowohl bei der Aufnahme des Sauerstoffs durch das Hämoglobin als auch bei der Abgabe handelt es sich um elegante, ph-Wert-gesteuerte Prozesse.

Das Transportmolekül Hämoglobin gehört mit zu den frühesten Errungenschaften innerhalb der Evolution der Lebewesen. Seine ursprüngliche Aufgabe war dabei wohl nicht einmal die Bereitstellung einer hinreichenden Sauerstoffmenge im Körperinneren, sondern vielmehr die Neutralisierung des eigentlich toxischen Sauerstoffs durch dessen Bindung. Im Laufe der Evolution wandelt sich diese Fähigkeit, Sauerstoff durch Bindung unschädlich zu machen, zu der Fähigkeit, den durch neue Anforderungsprofile des Körpers benötigten Sauerstoff bereitzustellen.

Dem Hämoglobin in seinem Molekularaufbau sehr ähnlich ist das Chlorophyll, der grüne Blattfarbstoff. Hier ist das Zentralatom Eisen gegen Magnesium getauscht und ermöglicht dadurch gänzlich neue Funktionalitäten. Chlorophyll ist zentraler Bestandteil der Photosynthese, es dient der Ausbeute der Photonenenergie des sichtbaren Anteils des elektromagnetischen Spektrums der Sonneneinstrahlung. Dieser Prozess kann ohne Übertreibung als eine der Innovationen im Verlauf der biologischen Evolution bezeichnet werden. Hierbei wird Photonenenergie in Bindungsenergie chemischer Substanzen gewandelt, insbesondere in der Form von ATP (Adenosintriphosphat), und kann dadurch gespeichert werden. Die Leistungen der Photosynthese beschränken sich also nicht nur auf die Energiegewinnung. Durch die chemische Speicherung ermöglichen sie eine, wenn auch zeitlich begrenzte, energetische Unabhängigkeit vom einfallenden Sonnenlicht. Dem Organismus steht damit auch nachts hinreichend Energie zur Verfügung.

Auch beim Chlorophyll handelt es sich um phylogenetisch sehr alte Strukturen, die ursprünglich wohl eher der Vermeidung der zerstörenden Wirkung hochenergetischer Strahlung gedient haben dürften. Noch heute verfügen exponierte Organismen oder Teile von diesen über unterschiedlichste Schutzpigmente, die durch Reflexion des einfallenden Lichts die destruktive Wirkung der Sonneneinstrahlung zu verhindern oder doch zumindest zu vermindern suchen.

Bei Hämoglobin und Chlorophyll handelt es sich um sehr alte Funktionseinheiten, deren Alter auf ca. 2 Milliarden Jahre geschätzt wird. In dieser Zeit hat sich im Lauf der Entwicklung der Organismen das Anforderungsprofil geändert und die vorhandenen Anpassungsmechanismen übernahmen in den neuen Kontexten neue Aufgaben, ohne dabei völlig umkonstruiert zu werden. Die Evolution bedient sich hier also vorhandener Strukturen, die nicht unbedingt einen Formwandel, sehr wohl aber einen Funktionswandel erfahren. Im Fall des Hämoglobins wie des Chlorophylls hatte sich, salopp formuliert, einfach der Fokus geändert. Es ging nicht mehr um Vermeidung von Prozessen oder Substanzen, sondern unter sich ändernden, neuen Lebensbedingungen der Organismen waren diese Prozesse oder Substanzen erwünscht, ja sogar plötzlich essenziell.

Hämoglobin und Chlorophyll gehören zu den vielen Beispielen, die aufzeigen, dass die biologische Evolution auf Vorhandenes zurückgreift. Bereits existierende Strukturen und Elemente werden in einen neuen Kontext gebracht oder sie eröffnen durch geringfügige Modifikationen neue Funktionsmöglichkeiten. Es wird nicht prinzipiell Neues konstruiert, sondern die neuen Formen und Funktionen leiten sich aus den alten ab. Daher gilt für die meisten evolutiven Entwicklungen, dass sie sehr allmählich, über einen langen Zeitraum hin entstanden sind. Daneben finden sich allerdings auch immer wieder Ausnahmen von diesen Befunden. Sprungartige Entwicklungen, die zu echten Innovationen führen.

Die Strategie des allmählichen Entwickelns reduziert die Gefahr des Scheiterns, ermöglicht aber auch nur geringe Fortschritte. Ist jedoch die Zeit hinlänglich lang, dann ist der Fortschrittsgrad nicht wirklich relevant. Geschätzte 3 Milliarden Jahre Entwicklungszeit sollten also diese Strategie präferieren. Dennoch lassen sich auch Entwicklungssprünge aufzeigen. Die Anpassungsnotwendigkeiten beim Landgang der Lebewesen beinhalten z.B. eine ganze Reihe dieser Sprünge. Bergen Innovationssprünge auch durchaus enorme Gefahren, so bieten sie jedoch die Möglichkeit zur Erschließung neuartiger Potenziale. Die Strategie der Evolution scheint hier eine »gesunde« Kombination aus beiden Vorgehensweisen zu sein.

2.3 Das Supermolekül DNA und Protein Engineering

Einmal entwickelt, werden die Informationen zur Genese von Strukturen und Prozessen gespeichert. Das hierzu verwendete Molekül, die DNA, zählt ebenfalls zu den hochfunktionalen und evolutionsgeschichtlich alten Molekularstrukturen. Das DNA-Molekül repräsentiert sicherlich die größte Herausforderung, wenn es darum geht, biologische Vorbilder als Anregung für innovative Produkte und Prozesse heranzuziehen. Die Anregungen sind vielfältig: Angefangen vom räumlichen Design, das durch immer neue Verwindungen und Torsionen auf mehreren Hierarchieebenen einen Verkürzungsfaktor von 1:12000 erreicht, bis hin zur Art der Informationsspeicherung. Diese scheint den aktuell in der Computertechnik realisierten Verfahren um ein Vielfaches überlegen zu sein. Diese Überlegenheit bezieht sich nicht nur auf das Speicher- und Informationsverarbeitungspotenzial, das anstelle des 2-Varianten-Prinzips der Informatik (0 und 1) auf 4 Variationen (A, T, G, C) setzt, sondern nicht zuletzt auf die Fähigkeit zur Selbstüberprüfung und -reparatur. Software also, die sich selbst auf Fehlerstellen hin untersucht und – vom Benutzer unbemerkt – Reparaturen bei laufendem System vornimmt.

Die hohe Funktionalität und die Spezifität der Proteine, die offensichtlich durch marginale Veränderungen der Aminosäuresequenz erreicht wird, macht den Wunsch nach der Gestaltung neuer, künstlicher Funktionsmoleküle verständlich. Das Prinzip erscheint einfach: Die Reihenfolge der Aminosäuren bestimmt die Funktion des Moleküls, warum also nicht neue Reihenfolgen und damit neue Funktionen generieren?

Im Bereich des »Protein Engineerings« dienen dabei natürliche Proteine zunächst als Ausgangsbasis und werden an gezielten Stellen manipuliert. Substitutionen von Aminosäuren führen zu veränderten Primärstrukturen. Dadurch kommt es zu spontanen Änderungen in der Sekundär- und Tertiärstruktur und damit zu neuen Reaktionsorten, so genannten reaktiven Domänen und Positionen, auf dem Molekül. Neuartige Bindungen können eingegangen werden, andere werden vermieden, das Molekül erhält andere Funktionen. Weitergedacht, eröffnen die Verfahren des »Protein Engineerings« auch die Möglichkeit zur Konstruktion völlig artifizieller Proteinmoleküle, die entsprechend der gewünschten Funktion »designt« werden können. In der Tat ist damit der Arbeitsbereich des »Protein Designs« umrissen. Hier steht das Bestreben im Raum, in der Natur nicht vorkommende Proteine bzw. Funktionsmoleküle zu generieren, die maßgeschneiderte physikochemische, strukturelle oder katalytische Eigenschaften haben. Hier tut sich ein nahezu unendlich weites Feld auf, zumal diese artifiziellen Moleküle nicht auf die Verwendung der 20 Aminosäuren der natürlichen Proteine beschränkt sein müssen.

2.4 Cellulose und Chitin

Organismen sind nicht ausschließlich aus Proteinen aufgebaut. Ergänzt werden diese multifunktionalen Polymere durch weitere biologische Strukturbausteine und Speicherstoffe, die Polysaccharide (Kohlenhydrate) und Lipide (Fette).

Während Letztere etwa die Langzeit-Energiespeicher des Körpers bilden und essenzielle Funktionsbestandteile der Zellmembranen darstellen, liefern die Kohlenhydrate Energie wie Strukturbausteine gleichermaßen. Tatsächlich finden sich hier die zahlenmäßig häufigsten Bio-Moleküle: Cellulose und Chitin. Beides Polysaccharide (langkettige Zuckermoleküle), die die Strukturstabilität und mechanische Belastbarkeit der Organismen gewährleisten, Cellulose bei den Pflanzen, Chitin bei den Arthropoda (Spinnen, Insekten und Krebse) und Pilzen. Hier ist insbesondere die Biosyntheseleistung der Pflanzen beeindruckend: 50 % der Masse eines Baumes bestehen aus Cellulose und jährlich werden nicht weniger als ca. 10 Billionen Tonnen davon durch die Syntheseleistungen der Pflanzen weltweit gebildet. Allerdings belegt Chitin, zusammen mit der pflanzlichen Hemicellulose, in der Rangliste der häufigsten Moleküle bereits Platz 2, auch hier werden jährlich unvorstellbare Mengen an Biomasse produziert.

Cellulose und Chitin sind sich in ihrem strukturellen Aufbau sehr ähnlich und unterscheiden sich lediglich durch eine stickstoffhaltige Seitenkette beim Chitin. Gleiches gilt für die Speicherstoffe Stärke und Glykogen. Auch hierbei handelt es sich um Polysaccharide, bei Stärke um pflanzliche, bei Glykogen um tierische, die sich in ihrem Aufbau nur marginal unterscheiden und die Energie für alle Lebensprozesse des Organismus liefern. Einmal mehr lässt sich hier sehen, dass neue Funktionen durch eine leichte Modifikation vorhandener Bausteine erreicht werden.

Zu den angesprochenen Elementen und Bausteinen kommt noch ein ganzer Cocktail an Ionen, Salzen und Spurenelementen hinzu, die jeweils essenziell und spezifisch für die Organismen, deren Organe sowie deren jeweilige Funktion sind – und nicht zu vergessen: Wasser.

Das Leben auf diesem Planeten ist auf dem Trägermolekül Wasser aufgebaut, was eine einfache Übertragung biologischer Prozesse und Strukturen in vielen Bereichen der Technik oftmals kaum oder nur sehr schwer realisierbar macht. War und ist der Dipol Wasser zwar das ideale Medium, um die Vorgänge der belebten Natur zu befördern, so haben sich viele technische Entwicklungen just von diesem Medium entfernt, wird Wasser in vielen Prozessen bewusst vermieden. Wasser ist zu wenig thermoresistent, um den Hochtemperaturprozessen vieler technischer Vorgänge standhalten zu können. So werden z.B. temperaturresistentere Öle zur Schmierung der beweglichen Teile von Motoren eingesetzt, wohingegen Organismen wasserbasierte Gele zur Schmierung in den Gelenken verwenden. Wasser ist unter Umgebungsbedingungen flüchtig, daher bleibt sein Volumen nicht konstant. Und das in ihm entstandene Leben bzw. dessen organismische Repräsentanten finden nahezu immer eine Möglichkeit, sich dieses Wasser zugänglich zu machen, sei es vermeintlich auch noch so hermetisch verschlossen. Mit anderen Worten, das Wasser wird kontaminiert, im ersten Besiedlungsschritt durch einzellige Organismen, z.B. Algen, denen bald Vielzeller folgen.

2.5 Spinnenseide

Biologische Organismen sind durchaus in der Lage, unter geeigneter Auswahl einzelner Substanzen und Kombination Hochleistungsmaterialien zu generieren. Zu den besonders beeindruckenden gehören wohl zweifelsohne die Fäden der Spinnen. Sie bestehen im Wesentlichen aus dem Protein Fibroin und unterschiedlichen Mucopolysacchariden (Zuckerverbindungen). Zu einem Faden versponnen, sind dessen Kenndaten so beeindruckend, dass immense Versuche unternommen werden, um analoge technische Fäden herstellen zu können. Und die Untersuchungen zeigen, dass dieses Unterfangen alles andere als einfach zu werden verspricht. Spinnen sind wahre Hochleistungs-Bioreaktoren wie High-Tech-Produktionsanlagen gleichermaßen. Bis zu einigen Dutzend Drüsen verspinnen das, was von den Tieren in bis zu 7