Blinde Wahrheit - Shiloh Walker - E-Book

Blinde Wahrheit E-Book

Shiloh Walker

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Beschreibung

Sie ist das perfekte Opfer, denn niemand will ihr glauben ...

Ein Serienmörder treibt in der Kleinstadt Ash, Kentucky sein Unwesen. Er quält und tötet junge Frauen, doch bisher konnte niemand ihn dingfest machen. Die blinde Lena Riddle wird unfreiwillig Zeugin des Geschehens, als sie die verzweifelten Schreie eines seiner Opfer hört. Da die Polizei jedoch keine Beweise für ein Verbrechen findet, will ihr niemand Glauben schenken - außer Ezra King. Der attraktive Ex-Cop ist sich sicher, dass Lena in tödlicher Gefahr schwebt ...

Atemlose Spannung und eine prickelnde Liebesgeschichte - eine der besten Romantic-Thrill-Reihen.

Für Leserinnen und Leser von Sandra Brown und Christy Reece.

Band 2: Stille Gefahr
Band 3: Tödliche Nähe

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.




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Seitenzahl: 544

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Inhalt

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

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Anmerkungen der Autorin

Danksagung

Weitere Titel der Autorin

Ash-Trilogie:

1. Blinde Wahrheit

2. Stille Gefahr

3. Tödliche Nähe

Teile der Lust de LYX-Reihe:

Lust de LYX – Geheime Wünsche

Lust de LYX – Nur eine Nacht mit dir

Über dieses Buch

Sie ist das perfekte Opfer, denn niemand will ihr glauben …

Ein Serienmörder treibt in der Kleinstadt Ash, Kentucky sein Unwesen. Er quält und tötet junge Frauen, doch bisher konnte niemand ihn dingfest machen. Die blinde Lena Riddle wird unfreiwillig Zeugin des Geschehens, als sie die verzweifelten Schreie eines seiner Opfer hört. Da die Polizei jedoch keine Beweise für ein Verbrechen findet, will ihr niemand Glauben schenken – außer Ezra King. Der attraktive Ex-Cop ist sich sicher, dass Lena in tödlicher Gefahr schwebt …

eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.

Über die Autorin

Shiloh Walker wurde in Kentucky geboren und hegt seit ihrer Kindheit eine besondere Vorliebe für das Schreiben. 2004 begann sie ihre Karriere als Autorin von Romantic Fantasy, Romantic Suspense und erotischer Geschichten. Sie lebt mit ihrer Familie im mittleren Westen der USA.

SHILOH WALKER

Blinde Wahrheit

Aus dem amerikanischen Englisch von Heide Franck

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2011 by Shiloh Walker, Inc.

Published in agreement with the author, c/o THE KNIGHT AGENCY INC., 232 West Washington Street, MADISON, GA 30650 USA

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »If you hear her«

Originalverlag: Ballantine Books, an imprint of The Random House Publishing Group, a division of Random House, Inc., New York, USA

Dieses Werk wurde durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover, vermittelt.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2012/2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Die MedienAkteure, Hamburg

Covergestaltung: Guter Punkt GmbH Co. KG unter Verwendung von Motiven von © Photographee.eu / shutterstock; calvio / E+ / Getty Imagesx1x1

eBook-Erstellung: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-7517-1576-8

be-ebooks.de

lesejury.de

Für Lora Leigh und Jaci Burton – vielen Dank, Ladies, dass ihr mich immer wieder auf den Teppich geholt habt, während ich versucht habe, diese Geschichte zu konstruieren.

Für Lynn Viehl, die sich alles durchgelesen hat, als ich noch nicht einmal selbst von meinem Projekt überzeugt war.

Für Irene Goodman, meine Agentin – danke, dass Sie sich mitten im Chaos dieser Geschichte angenommen, sich in sie verliebt und mir neue Denkanstöße gegeben haben.

Für meine Lektorin Kate – ich bin dir so dankbar, dass du dich für diese Serie begeisterst und dich nicht von meinem Wahnsinn hast anstecken lassen.

Für meine Twitter-Freundin Shannon und ihre Unterstützung, während ich Lenas Geschichte zu Papier gebracht habe.

Und zu guter Letzt … wie immer, für meine Familie. Ich liebe euch. Ihr seid mein Ein und Alles. Jeden Tag danke ich Gott für euch, und das ist noch nicht oft genug.

1

März 2010

Ihr Name war Carly Watson.

Die letzten Stunden ihres Lebens verliefen grausam.

Sie wusste nicht, wo sie war. Sie wusste nicht, wie lange sie schon dort war. Und inzwischen hatte sie so große Schmerzen, dass sie sich auch kaum noch daran erinnern konnte, wer sie war, doch sie wünschte sich sehnlichst an einen anderen Ort.

Sie war 23 Jahre alt, Medizinstudentin, klug und fleißig und hatte ihr Leben geliebt, bevor sie in diese Hölle geraten war. Nun jedoch betete sie nur noch um ein baldiges Ende.

Seit Stunden, Tagen, wenn nicht gar Wochen hockte sie schon in dieser fürchterlichen Dunkelheit.

Und sie wusste, dass sie dort auch sterben würde.

Gerade kam er zurück – das Knarzen der Tür verriet es ihr, war wie das Geräusch des nahenden Todes für sie. Als die Tür aufgestoßen wurde, ächzte sie in den uralten Angeln.

Ein Schluchzer entwich ihrer Kehle, als er eine Hand auf ihr Bein legte und langsam aufwärts strich. Sie versuchte, sich ihm zu entwinden, konnte sich durch die Fesseln um ihre Handgelenke, um Taille, Knie und Knöchel jedoch kaum bewegen.

Als er sie mit der Hand im Schambereich berührte, gellte ihr langer, verzweifelter Schrei durch die Nacht.

Ihr Entführer, Vergewaltiger und wohl auch angehender Mörder beobachtete sie. Ihre Angst schien ihn zu amüsieren, schien ihm zu … gefallen. »Schrei nur, Schätzchen. Niemand kann dich hören.«

»Bitte …« Sie war schon ganz heiser vom Schluchzen und ihr Hals fühlte sich trocken an. Von ihrem Bitten. Von ihrem Flehen. Sie hasste sich regelrecht dafür, dass sie ihn so angebettelt und ihm dabei diese Befriedigung verschafft hatte. Doch tief in ihrem Inneren gab es immer noch etwas, das sie die Wahrheit nicht akzeptieren und noch nicht aufgeben lassen wollte.

Auch wenn sie längst schon wusste, dass es keinen Zweck haben würde. »Lassen Sie mich einfach gehen. Bitte lassen Sie mich gehen … Ich werde auch nichts verraten, ich verspreche es Ihnen!«

Er seufzte wie ein Vater, dessen Kind seine Geduld überstrapazierte, tätschelte ihr sogar die Schulter. »Ja, da bin ich mir ganz sicher.«

Ein Ratschen durchfuhr die Stille. Und Carly fing erneut an zu wimmern, als sie das Geräusch erkannte. Es war ein Reißverschluss. Er zog sich die Hose aus – nein, nein, nein …

Panik stieg in ihr auf, sie begann zu schreien.

Er vergewaltigte sie wieder.

Ihr versagte die Stimme, bevor sie abschaltete und sich innerlich zurückzog.

Dieses Mal war es eine endgültige Flucht. Sie hatte sich an einen Ort begeben, an dem sie keinen Schmerz mehr spürte, keine Angst.

Als er ihr das Leben nahm, bekam sie davon nichts mehr mit – sie war schon längst nicht mehr anwesend.

Ihr Name war Carly Watson.

Es war ein wunderschöner Tag – einer von denen, die es nicht allzu oft gab. Mit warmer, milder Luft, die Sonne schien vom blauen Himmel, eine leichte Brise wehte. Lediglich im Schatten der Bäume war es ein wenig kühler.

Ein perfekter Tag also für einen Spaziergang.

Das hatte Lena Riddle zumindest gedacht. Auf halber Strecke begann ihr Hund jedoch, unruhig zu werden. Puck konnte eigentlich nichts so leicht aus der Ruhe bringen. In den vier Jahren, die er nun schon bei ihr war, hatte er sich kein einziges Mal dermaßen aufgeführt. Und dennoch zerrte er jetzt an seiner Leine, als hätte er beschlossen, sie auf keinen Fall ihren gewohnten Weg durch den Wald gehen zu lassen.

»Komm schon, Puck. Du wolltest doch unbedingt raus, schon vergessen?«

Sie lief versuchsweise noch einen Schritt voraus, aber der groß gewachsene Golden Retriever setzte sich auf die Hinterläufe und schien nicht gewillt zu sein, sich auch nur einen Zentimeter weiterzubewegen.

Genau in diesem Augenblick, leise, ganz leise, hörte sie … ein Geräusch.

Puck fing an zu knurren. »Still«, flüsterte sie und legte ihm eine Hand auf den Kopf. Sein Nackenfell hatte sich aufgestellt, sein Körper war angespannt. »Schon gut, Dicker. Bleib ruhig.«

Sie standen nun mitten auf dem Weg. Lena hob den Kopf und horchte. Die schwache Brise, die den ganzen Tag über geweht hatte, hatte sich plötzlich gelegt. Und auch die sie umgebenden Geräusche, die vom vielfältigen Leben im Wald zeugten, waren verstummt. Ihr Herz schlug einmal, zweimal.

Es herrschte absolute Stille.

Da war es wieder. Es klang irgendwie … dumpf. Weit weg. Vielleicht war es ein Tier, das sich irgendwo verfangen hatte?

Sie konzentrierte sich, wobei sie angestrengt die Augenbrauen zusammenzog. Da, schon wieder. Lena versuchte ihren Blick auf die Stelle zu fokussieren, wo das Geräusch herkam.

Puck winselte und zog noch stärker an der Leine. Lena drehte den Kopf, um besser lauschen zu können. Doch das Geräusch war verschwunden. Lediglich das Rascheln der Blätter vom leicht einsetzenden Wind und der Ruf eines Vogels waren zu hören. Irgendwo in der Ferne hörte sie ein Auto davonfahren.

Dennoch – allein die Erinnerung an dieses Geräusch, was auch immer es gewesen sein mochte, ließ sie schaudern.

»Weißt du was, Puck?«, murmelte sie. »Du hast recht. Wir verschwinden hier besser.«

In ein paar Stunden musste sie ohnehin zur Arbeit.

»So, bitte schön …« Er beugte sich über sie und begutachtete ihr Haar.

Die glänzenden blonden Strähnen waren nun auf Kinnlänge gestutzt, schnurgerade und so gleichmäßig wie nur möglich.

Blind und mit starrem Blick schaute sie an ihm vorbei.

Der leere Ausdruck in ihren Augen ärgerte ihn zwar, überrascht war er jedoch nicht. Er hatte es kommen sehen. Bereits ihre erste Reaktion, ihr erster Schrei, hatte darauf schließen lassen.

Dieses Mädchen besaß keinen Lebensmut mehr, und wenn der Kampfgeist einmal erloschen war …

Tja. Nichts zu machen.

Sorgfältig sammelte er das Haar auf, wählte einige Strähnen aus und ließ den Rest in eine Tüte fallen, die er zu dem Bündel legte, das er hinaustragen würde. Später. Zuerst musste er sich noch um einige Dinge kümmern.

Er ließ den Blick über ihren Körper wandern, über die große schlanke Gestalt, über ihre Gliedmaßen, die nun blass und schlaff herunterhingen, die sanfte Wölbung ihres Bäuchleins, ihre schönen, üppigen Brüste … Er schätzte es, wenn eine Frau einen ordentlichen Vorbau besaß. Schließlich ließ er den stumpfen Goldglanz, den die Kette an ihrem Hals abgab, auf sich wirken und musterte ihre kräftigen, weich geschwungenen Schultern.

Er ging neben ihr in die Hocke und hob ihren leblosen Körper hoch.

Was er nun tun musste, würde nicht besonders schön werden, und er würde es nicht hier erledigen.

»Was glaubst du, was das war?«

»Keine Ahnung, verdammt.« Lena seufzte und wandte sich ihrer besten Freundin zu. Schon allein mit Roslyn Jennings zu reden, tat ihr gut. Auch wenn sie sich ein bisschen blöd vorkam. Wahrscheinlich war dort überhaupt nichts gewesen. Rein gar nichts … Obwohl es ihrem Hund einen gehörigen Schrecken eingejagt hatte. »Puck war jedenfalls ganz schön verstört.«

»Du klingst allerdings auch so, als wärst du ein bisschen neben der Spur.«

»Ja, das kannst du laut sagen.«

Auch wenn neben der Spur es eigentlich nicht so ganz traf.

Lena verzog das Gesicht und ermahnte sich selbst, konzentriert zu bleiben. Sie sollte lieber aufpassen, was sie tat, sonst würde sie nicht nur die Kartoffeln, sondern auch ihre Finger klein schneiden. Und mit Sicherheit wäre es auch nicht gerade förderlich für den Ruf des Restaurants, wenn sich herumsprach, dass die Chefköchin Körperteile in die Mahlzeiten mischte.

Aus unerfindlichen Gründen lief es ihr bei diesem Gedanken eiskalt den Rücken hinunter.

»Schon komisch, dass Puck sich so gesträubt hat. Das ist noch nie vorgekommen. Er liebt eure Spaziergänge, nicht wahr?«

»Jepp, allerdings. Du hast recht … Das sieht ihm einfach nicht ähnlich.« Lena konnte sich nicht daran erinnern, dass ihr Hund jemals solch ein Verhalten an den Tag gelegt hätte. Er war ein gutes Tier, beschützerisch, liebevoll … fast wie ein Freund.

»Lass uns noch mal über dieses Geräusch nachdenken, das du gehört hast. Wenn wir herausfinden, was das war, wissen wir vielleicht auch, was Puck so nervös gemacht hat. Das hing wahrscheinlich irgendwie miteinander zusammen, oder? Wäre jedenfalls eine logische Erklärung.«

»Ich kann es nicht genau zuordnen. Es klang wie ein Stöhnen, aber irgendwie erstickt.«

»Nimm’s mir nicht übel, aber könnte es vielleicht sein, dass da gerade jemand zugange war?« Zweifel, aber auch Neugier schwangen in Roslyns Stimme mit.

»Zugange?«, fragte Lena. »Womit denn?«

Ungefähr zwei Sekunden lang sagte Roz gar nichts. Dann brach sie in Gelächter aus. »Ach, Süße, du bist einfach viel zu lange nicht mehr flachgelegt worden. Mit Sex, Mädchen. Weißt du noch, was das ist?«

»Ich kann mich vage daran erinnern.« Mit finsterer Miene hackte Lena etwas energischer auf die Kartoffeln ein als unbedingt notwendig gewesen wäre. Nein, sie hatte bestimmt nicht vergessen, was Sex war. Auch wenn ihre letzten Erfahrungen auf dem Gebiet fast ein ganzes Jahr lang zurücklagen. Und die davor? – Hatten zu Collegezeiten stattgefunden.

Nichtsdestotrotz konnte sie sich noch gut daran erinnern.

»Und, meinst du, dort draußen hat sich vielleicht ein Pärchen vergnügt? Mal ganz ehrlich, wenn mich ein Kerl dazu überreden würde, in freier Wildbahn die Hosen runterzulassen, dann müsste der Sex schon ziemlich gut sein, bei all den Insektenstichen, Zecken, giftigen Pflanzen und was einen da sonst noch alles erwartet.«

»Sonnenbrand«, kam Lena ihr zu Hilfe. Sie war von Natur aus eher blass und musste sich für jeden kurzen Abstecher zum Briefkasten mit Lichtschutzfaktor 60 einschmieren. Na ja, ganz so schlimm war es vielleicht doch nicht. Aber so ungefähr.

»Sonnenbrand auf der Mumu, na super. Klingt nicht gerade spaßig, oder? Obwohl, wenn der Kerl gut ist … Aber du warst doch mitten im Wald, stimmt’s? Vergiss das mit der sonnenverbrannten Mumu. Also, was denkst du, warst du vielleicht wirklich nur Zeugin eines sehr intimen Augenblicks?«

»Du bist pervers, weißt du das?« Lena grinste ihre beste Freundin an. Dann zuckte sie mit den Schultern. »Tja … Ich weiß es nicht. Keine Ahnung. Ich weiß bloß eins: Puck wollte nur noch weg – und das sieht ihm gar nicht ähnlich.«

Der Hund regte sich zu ihren Füßen, sodass sie sich die Hände wusch, vor ihm in die Hocke ging und ihm den Kopf streichelte. »Schon gut, alter Junge. Ich kann dich ja verstehen.«

Er leckte ihr übers Kinn, dann stand sie wieder auf.

Als sie sich umdrehte, um sich noch einmal die Hände zu waschen, hörte sie das verräterische Scheppern der Keksdose. Unweigerlich musste sie lächeln. »Wenn du sie alle aufisst, hast du für den Rest der Woche Pech gehabt. Ich werde morgen bestimmt keinen neuen Teig anrühren. Dann musst du dich mit dem zufriedengeben, was du im Laden findest. Jake und ich werden durch die Hochzeitsfeier, die du angenommen hast, ohnehin schon genug rotieren.«

Jake war der zweite Chefkoch im Running Brook. Sie hatten die Wochentage unter sich aufgeteilt: Jake arbeitete montags bis mittwochs und Lena übernahm die Schichten von Donnerstag bis Samstag. Am Sonntag wechselten sie sich in der Regel ab, aber da am Tag darauf eine Hochzeit stattfinden sollte, waren dieses Mal beide gefragt.

»Diese Hochzeit«, nuschelte Roz, da sie den Mund voller Kekskrümel hatte. »Meine Güte, wenn ich nur daran denke, sinkt mein Zuckerspiegel dramatisch ab – und Fertigware tut’s da nicht, Süße. Ich brauche etwas, wo noch Liebe drinsteckt. Mist! Wenn ich dürfte, würde ich mir auch noch einen White Russian oder zwei dazu genehmigen.«

»Kein Alkohol bei der Arbeit. Das gilt selbst für die Inhaberin«, feixte Lena. »Schließlich war es deine Idee, diese Edelhochzeitsfeiern anzubieten. Genauso gut hättest du auch ein Schild aufhängen können: Hereinspaziert, all ihr gestressten, zickigen Bräute mit den überzogenen Vorstellungen!« Sie stieß sich vom Tresen ab, gegen den sie lehnte, und gesellte sich zu Roz an die Kücheninsel. »Gib mir auch einen, bevor du sie alle allein verdrückst.«

Roz legte ihr einen Keks in die ausgestreckte Hand, und Lena biss hinein. Mit dem Mund voller Macadamianüssen, weißer Schokolade und Preiselbeeren ging sie zur Kaffeemaschine hinüber. »Wenn du schon keinen White Russian haben kannst … Darf es stattdessen ein Kaffee sein?«

»Bloß nicht!« Roslyn seufzte. »Kaffee ist das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann. In einer halben Stunde steht ein Treffen mit der Braut und ihrer Mutter an, um den Blumenschmuck zu besprechen.«

Lena, die gerade nach einer sauberen Tasse aus dem Hängeschrank gegriffen hatte, hielt inne und runzelte die Stirn. »Den Blumenschmuck? Die Hochzeit ist morgen …!«

»Genau. Deshalb brauche ich ja unbedingt noch etwas Nervennahrung.« Sie atmete schwer aus. »Verdammt. So ein White Russian würde mir jetzt wirklich guttun, weißt du. Aber ich halte mich wohl lieber ans Gebäck.«

Lena lächelte, als ihre Freundin wieder in die Dose griff. Die Notration würde diesen Tag nicht überstehen – geschweige denn das Wochenende. Im Geiste ging sie ihren Zeitplan durch und beschloss, dass sie es vielleicht doch noch schaffen würde, einen Teig anzurühren. Irgendwann müssten sich schon noch ein paar Minütchen erübrigen lassen. Es sah so aus, als würde Roz die Extraportion noch brauchen. Und spätestens morgen würde es ihnen allen so gehen.

»Will sie das Blumenarrangement denn noch einmal ändern?«

Roz stöhnte. Ein seltsames, dumpfes Rumsen ertönte, dann war die undeutliche Stimme ihrer Freundin zu hören. »Ich hab keine Ahnung. Sie hat bloß gesagt, dass sie noch einmal über die Blumen sprechen möchte. Ihr sind wohl irgendwelche Bedenken gekommen.« Es folgten noch zwei Rumser.

»Tja, mit dem Kopf auf die Arbeitsplatte zu schlagen wird dir da wohl auch nicht weiterhelfen … Es sei denn, du schaffst es, dass du dabei bewusstlos wirst. Ansonsten wirst du lediglich Kopfschmerzen bekommen.«

»Kopfschmerzen habe ich eh schon«, brummelte Roz.

»Pass auf, sollte sie wirklich noch einmal den Blumenschmuck ändern wollen, dann erzähl ihr einfach, dass der Florist im Ort seit Freitagmittag geschlossen habe und ihre Bestellung bereits bearbeitet werde, aber Änderungswünsche zu diesem Zeitpunkt nicht mehr berücksichtigt werden könnten. Und sich so kurzfristig noch an einen Blumenladen außerhalb der Stadt zu wenden, stelle natürlich ein Risiko dar. Wenn du dick genug aufträgst, wird sie das Risiko nicht eingehen wollen.«

»Hmmm. Gutes Argument.« Es quietschte, als Roz den Stuhl zurückschob, um aufzustehen. »Ich weiß schon, warum ich dich eingestellt habe.«

»Du hast mich wegen meiner Kekse eingestellt«, erwiderte Lena trocken.

»Dann gab es eben zwei Gründe.« Roslyn holte tief Luft. »Also gut, Schluss mit den Plätzchen. Ich muss noch ein paar Dinge überprüfen, bevor ich mit meiner … Kundin spreche.«

»Viel Erfolg. Aber tu mir bitte einen Gefallen … Sollte sie sich überlegen, in letzter Sekunde auch noch das Festessen ändern zu wollen – stell dich stur. Was auch immer du ihr erzählen musst, das ist mir ganz egal. Aber rede es ihr aus.«

»Leichter gesagt als getan.« Roz seufzte. »Die Frau hat so einen Dickkopf – es grenzt schon fast an ein Wunder, dass sie damit überhaupt aufrecht laufen kann.«

»Lass dir was einfallen.« Nie und nimmer würde Lena auf den letzten Drücker noch das Menü ändern.

2

Unbarmherzig knallte Ezra King die Spätsommersonne auf den Rücken, während er einen langen Balken auf die Dachterrasse schleppte. Es herrschte eine Affenhitze hier draußen, über dreißig Grad, aber davon ließ er sich nicht aufhalten.

Oh nein, er würde diese verdammte Terrasse noch vor Ende des Sommers fertig bauen. Und dann verbrächte er die kühlen Herbstabende – falls es wirklich jemals abkühlen sollte – hier oben auf einem Liegestuhl und würde ins Leere starren, während er darüber nachdachte, wie er am besten auch den Rest seines Lebens vergeudete.

»Jedenfalls nicht als Zimmermann«, brummelte er vor sich hin. »So viel steht fest.«

Ezra war dazu erzogen worden, den Lohn harter Arbeit zu würdigen zu wissen – damals hatte er es gehasst, aber nun kam es ihm zugute. Nichts Begehrenswertes fiel einfach so vom Himmel. Wollte ein Mann etwas haben, musste er entweder dafür arbeiten oder dafür bezahlen. Ansonsten bekam er es nicht – und hatte es auch nicht verdient. So war das Leben.

Und mit dieser Terrasse war es das Gleiche. Ezra wollte sie haben, und zwar nach seinen eigenen Vorstellungen gestaltet, und er war nicht dazu bereit, jemand anderes dafür zu bezahlen. Zwar hatte er ein bisschen Geld beiseitegelegt, aber wenn es reichen sollte, musste er sorgsam damit umgehen. Also nahm er die Sache selbst in die Hand. Auch wenn er drei Kreuze machen würde, wenn endlich alles fertig war.

Um die Mittagszeit legte er eine kleine Pause sein, aber nur, weil das Knurren seines Magens sogar schon die Hammerschläge übertönte. Nach einem hastig geschmierten Sandwich und einer halben Kanne Eistee ging er jedoch gleich wieder an die Arbeit, fiel in seinen gewohnten Rhythmus und hämmerte einen Nagel nach dem anderen ins Holz.

Dabei verlor er jegliches Zeitgefühl. In seinem Kopf herrschte Leere.

Nur mit einer tief sitzenden Khakihose und seinen Turnschuhen bekleidet, verrichtete er seine Arbeit. Ein rotes Kopftuch hielt ihm die schweißnassen, braunen Haare aus dem Gesicht, und eine Sonnenbrille schützte seine grünen Augen.

Er besaß ein hübsches Gesicht, das hatte er oft genug gehört und ihm damals in der Schule mehr als nur eine Prügelei eingebracht. Dabei war es doch lediglich ein Gesicht, das Gesicht seines Vaters, mit den grünen Augen seiner Mutter.

Für Ezra stellte es jedoch Fluch und Segen zugleich dar. Seit er denken konnte, hatten die Mädchen mit ihm geflirtet, noch bevor er überhaupt zu verstehen begann, was das überhaupt bedeutete. In der Schule hatten dann all die hübschen Mädchen, die mit ihm flirteten, die Aufmerksamkeit der Jungs aus seiner Stufe auf sich gezogen. Weshalb er ziemlich oft in Schwierigkeiten geraten war.

Irgendwann hatte er gelernt, das Flirten zu genießen, ohne auf die Sticheleien der anderen zu achten. Meistens jedenfalls.

Im vorletzten Jahr an der Highschool war es zu einer Schlägerei mit einem anderen Spieler aus dem Basketball-Team gekommen, bei der er sich die Nase gebrochen hatte. Und nachdem seine Eltern in die Schule gebeten worden waren, musste er schließlich aus der Mannschaft ausscheiden.

Eine Maßregelung, die er stets als sehr bitter empfunden hatte, auch wenn er im Nachhinein betrachtet froh darüber war, dass seine Eltern aus Liebe eine strenge Hand walten ließen und Regeln aufstellten, egal, wie schmerzvoll diese zunächst auch sein mochten.

Zur großen Bestürzung seiner Mutter und seiner eigenen Freude, war seine Nase nicht ganz gerade wieder zusammengewachsen. Die leichte Krümmung machte sein Gesicht vielleicht ein kleines bisschen weniger hübsch.

Ansonsten hatte sich Ezra über die Jahre nicht groß verändert. Die Grübchen in seinen Wangen waren tiefer geworden. Er rasierte sich morgens, aber bereits am späten Nachmittag zeigte sich wieder ein bläulicher Schatten. Und er war immer noch groß und schlank, obwohl er auf dem College dank Fitnesstraining endlich ein paar Kilos zugenommen hatte.

Mittlerweile fühlten sich seine Muskeln warm und locker an. Sogar die verhärteten Stränge in seinem rechten Oberschenkel. Vor sechs Monaten hatte er sich eine Kugel gefangen, weshalb er nun weit draußen in Ash, im Bundesstaat Kentucky, lebte. Er hatte seinen Job mitsamt seiner Dienstmarke an den Nagel gehängt und bezweifelte, dass er jemals wieder zurückkehren wollen würde.

Sobald seine Muskeln sich nach getaner Arbeit verkrampften, würden die Schmerzen ihn umbringen, so viel war klar. Spätestens bei Einbruch der Dunkelheit müsste er durch die Hölle gehen. Doch darum würde er sich kümmern, wenn es so weit war.

Zugleich stellte er fest, dass die Terrasse langsam immer mehr Form annahm.

Gegen drei Uhr machte er noch eine weitere kurze Pause, als er das vertraute Rumpeln eines Jeeps hörte. Der Postbote brachte ihm Rechnungen – und ein Paket. Nachdem der Wagen wieder weggerauscht war, stopfte Ezra sich die Briefe in die Gesäßtasche und riss das Päckchen auf. Bücher … verdammte Axt, darunter auch der Band, den er monatelang gesucht hatte.

Doch Ezra schlug das Buch nicht auf. Auch wenn es ihm in den Fingern juckte, zwang er sich, es wieder in den Karton zu legen. Vorerst zumindest. Wenn er nun anfinge zu lesen, würde er an diesem Tag nichts anderes mehr schaffen, und er wollte mit der Terrasse schließlich noch ein gutes Stück weiterkommen.

Nachdem er die Post in die Küche gelegt und seine Thermoskanne wieder mit Eistee aufgefüllt hatte, ging er durch die Seitentür wieder nach draußen.

Er hörte das Brummen eines Motors und schaute die Landstraße hinauf, die vor seinem Haus entlangführte. Als er eine schwarze Stretchlimousine erblickte, hielt er kurz inne.

Mit finsterer Miene schraubte er seine Thermoskanne auf, nahm einen Schluck und blickte dem Wagen hinterher, bis der glänzende schwarze Schlitten hinter einer Kurve verschwand.

Ezra wusste, wohin die Fahrt ging – zum Running Brook Inn. In seiner Kindheit war das große alte Haus sehr verkommen und unansehnlich gewesen. Nach dem Tod des Besitzers hatte einer der Erben die geniale Idee gehabt, eine Frühstückspension daraus zu machen, und das war ein Erfolg geworden.

Inzwischen war das Running Brook mehr als nur eine Übernachtungsmöglichkeit. Es gab ein kleines Restaurant, und die Crew richtete auch Edelhochzeiten aus – wer auch immer auf so etwas stand.

Dieses Angebot führte zu einem ordentlichen Verkehrsaufkommen, und die ganzen Wagen fuhren nun regelmäßig an seinem Grundstück vorbei. Eigentlich war er auf der Suche nach Frieden und der Ruhe hierhergekommen, so wie er es von früher in Erinnerung behalten hatte. Und stattdessen fand er nun einen nicht abreißen wollenden Strom von Autos vor.

»Was soll’s. Solange sie nicht durch meinen Vorgarten brettern …«, brummelte er vor sich hin und versuchte, seine Wut zu unterdrücken. Also verdrängte er den Gedanken an die Limousine und machte sich wieder an die Arbeit. Erst als es dunkel wurde, legte er das Werkzeug beiseite.

Mittlerweile schienen sich die Muskeln in seinem verwundeten Bein zu einem einzigen Knoten verhärtet zu haben, und er verspürte ein heftiges Pochen in seinem Kopf.

Eine heiße Dusche, ein Sandwich, eine Mütze voll Schlaf, und er wäre wieder so gut wie neu.

Nach der Dusche hatte er jedoch keine Lust mehr auf ein Sandwich oder eine Pizza – oder auf den ganzen anderen Billigfraß, der sein Tiefkühlfach füllte.

Zwar bot ihm Ash nicht besonders viele Auswahlmöglichkeiten, aber er hatte Hunger auf etwas Anständiges. Und da seine eigenen Kochkünste praktisch gegen null strebten, würde er nun wohl oder übel das Haus verlassen müssen.

Es war Freitag, also hatte das Bistro in der Main Street immer noch geöffnet. Darüber hinaus gab es noch das Turkey Bar and Grill.

Doch anstatt in die Innenstadt zu fahren, ertappte Ezra sich dabei, wie er nach rechts abbog und auf die Pension zusteuerte.

Es war schon fast zehn Uhr, als er dort ankam.

Als er sich an der langen, polierten Mahagoni-Theke niedergelassen hatte, musste er zudem feststellen, dass er viel zu salopp gekleidet war. Mit seinen Jeans und dem T-Shirt konnte er mit den anderen Gästen des Restaurants in Stoffhosen, Lederhalbschuhen und Polohemden nicht mithalten.

Doch egal. Solange er hier etwas Gutes zu essen bekam …

Ihm stieg ein Geruch in die Nase, der ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ, erkannte Knoblauch und andere Gewürze. War das vielleicht Lasagne …?

»Hallo, könnte ich bitte die Speisekarte bekommen?«

Der Barkeeper lächelte entschuldigend. »Tut mir leid, aber die Küche hat seit halb zehn geschlossen. Allerdings kann ich Ihnen noch Snacks anbieten, die gibt’s bei uns bis elf.«

»Geschlossen«, wiederholte Ezra. Sein Magen knurrte vernehmlich, und es hätte ihn nicht weiter überrascht, wenn ihm auch noch Speichel aus dem Mundwinkel getropft wäre. Was auch immer an diesem Tag auf der Speisekarte gestanden hatte – genau das wollte er. Und keine Snacks.

»Ja, nichts zu machen. Tut mir leid.« Der Barkeeper warf einen Blick auf seine Uhr und verzog bedauernd das Gesicht.

Ezra stieß einen Seufzer aus. »Was haben Sie denn für Snacks?«

Immerhin war das Bier kalt. Fünf Minuten später, er starrte gerade auf den Bildschirm des Fernsehers, der über der Bar hing, sah er aus den Augenwinkeln heraus jemanden auf sich zukommen. Zudem war ein Trappeln zu hören. Stirnrunzelnd wandte er den Kopf.

Das Geräusch kam nicht von ihr, so viel war sicher.

Sie sah toll aus.

Eine ganze Weile bemerkte Ezra den Hund an ihrer Seite nicht, da er viel zu sehr damit beschäftigt war, sie anzustieren.

Verdammt …

Trotz der schummrigen Beleuchtung, die in Bars wie dieser herrschte, trug die schöne Unbekannte eine Sonnenbrille. Ihr dunkelrot schimmerndes Haar ging ihr bis zum Kinn und legte sich wie ein Rahmen um das schmale, katzenhaft wirkende Gesicht mit dem vollen, sinnlichen Mund.

Sie besaß milchweiße Haut, die entweder unermüdlich mit Sonnenmilch eingecremt wurde oder einfach keine Sonne abbekam, und war ziemlich hoch gewachsen – er schätzte sie auf knappe ein Meter achtzig, das meiste davon musste Bein sein.

Himmel, er hatte es hier mit einer echten Augenweide zu tun. Genau genommen war sie wohl das Schönste, was er seit Langem gesehen hatte. Ob sie in Ash lebte? Er konnte sich nicht daran erinnern, sie während seiner gelegentlichen Besuche in den Jahren, bevor seine Großmutter gestorben war, jemals gesehen zu haben – wobei er zugeben musste, das Haus kaum verlassen zu haben, außer zum Angeln oder um seine Grandma in die Kirche zu bringen.

Er hörte wieder dieses seltsame Geräusch und dieses Mal senkte er den Blick und entdeckte den Hund. Es war ein großer, hübscher Golden Retriever – mit einer recht auffälligen Weste. Er lief neben der Frau her, hielt exakt dasselbe Tempo wie sie, und bei jedem Schritt machten seine Krallen ein klackendes Geräusch auf dem Parkettboden. Die rothaarige Schönheit bewegte sich mit derselben Anmut durch den Raum, die sie auch im Stehen besaß – ohne nach links oder rechts zu schauen, die Schultern gerade, das Kinn leicht nach vorn gereckt.

Sie war blind.

Ezra runzelte die Stirn. Er beobachtete jeden ihrer Schritte, während sie sich der Bar näherte.

»Hi, Paul. Wie läuft’s?«

»Gut läuft’s, Lena. Willst du was trinken, während du auf Carter wartest?«

Mit ausgestreckter Hand strich sie über die Lehne eines Barhockers. »Gern. Rum mit Cola light, bitte.« Langsam und elegant ließ sie sich auf dem Stuhl nieder.

Ezra erwischte sich dabei, wie er auf ihren Mund starrte … und sich fragte, wie er wohl schmecken mochte.

Sie drehte sich in seine Richtung und legte den Kopf schief. »Hallo?«

»Ääh … Hey.«

Der Barkeeper warf ihm einen Blick zu und grinste. »Sie hat Ohren wie ein Luchs.«

Die schöne Unbekannte schnitt ihm eine Grimasse. »Gar nicht wahr. Ich konnte bloß spüren, dass mich jemand angeschaut hat.« Sie lächelte leicht. »Anscheinend hat er noch nie eine Blinde gesehen.«

»Das ist es nicht«, gab Ezra mürrisch zurück und war leicht empört darüber, dass sie über ihn sprach, als wäre er gar nicht anwesend.

Sie wandte sich ihm zu, stützte sich auf der polierten Holz-Theke auf und zog eine Augenbraue hoch. »Also gut, wenn es nicht an mir liegt, dann vielleicht an Puck.«

»Puck?«

»Puck.« Der Retriever zu ihren Füßen hob den Kopf und stellte die Ohren auf. »Mein Hund. Manche Menschen sehen ihn nicht gern im Restaurant.«

»Verstehe. Nein, es liegt nicht an Ihrem Hund. Schönes Tier übrigens. Aber solange er sich nicht auf mein Essen stürzt, stört er mich nicht.«

Er hat eine verdammt sexy Stimme, dachte Lena. Supersexy … Und er starrt mich immer noch an.

Sie konnte seinen warmen Blick förmlich spüren. Es fühlte sich wie ein Sonnenstrahl auf ihrem Körper an, der ein verführerisches Prickeln hinterließ. Sie versuchte, nicht aus Verlegenheit herumzuzappeln, und fing stattdessen an, Puck zu streicheln. Normalerweise hätte sie ihm befohlen, sich zu ihren Füßen hinzulegen, aber in diesem Augenblick brauchte sie einfach die beruhigende Wirkung, die das Berühren seines Fells hatte.

»Tja, wenn Sie mich auch weiterhin so anstarren, dann sollten Sie sich vielleicht vorstellen.«

»Ezra King. Und Sie sind …?«

Sie streckte die Hand aus. »Lena. Lena Riddle.«

Eine warme, raue Hand drückte die ihre. Sie war kräftig und schwielig, als würde Ezra viel körperliche Arbeit leisten. Zudem fühlte sich seine Haut nicht so dünn und trocken wie bei älteren Menschen an. Mist, das wurde ja besser und besser. Noch ein paar Minuten und sie würde ihre Libido wahrscheinlich kaum noch unter Kontrolle halten können, vor allem wenn er sie weiterhin so anschaute.

»Also, Ezra King, warum starren Sie mich an?«

»Weil Sie schön sind.«

Lena wurde nicht oft rot. Sie war selten peinlich berührt. Aber in diesem Augenblick spürte sie, wie ihr das Blut in die Wangen schoss, und musste sich beherrschen, um nicht nervös auf ihrem Stuhl herumzurutschen.

»Aah. Tja, vielen Dank.« Hinter sich hörte sie das Quietschen der Küchentür und hätte vor Erleichterung beinahe aufgeseufzt.

»Bitte sehr, Lena.« Mike, der Beikoch, stellte eine Lasagne vor sie auf die Theke. Schon allein der Geruch ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen.

»Danke, Mike.«

»Und für Sie die Chicken Wings, Sir?«

»Ja.«

Mike ging in die Küche zurück.

»Ich hätte allerdings lieber die Lasagne gehabt. Wieso bekommen Sie noch etwas davon?«

»Weil ich sie gemacht und mir ein Stück für den Feierabend aufgehoben habe.« Sie lächelte in Ezras Richtung. »Ich bin einer der beiden Chefköche hier im Restaurant.«

»Wirklich?«

Sie hörte, wie er mit dem Barhocker an sie heranrutschte und ihr ganz nah kam. »Das nächste Mal, wenn es bei Ihnen Lasagne gibt, muss ich unbedingt wiederkommen«, raunte er ihr zu.

Oh Gott, diese Stimme … »Hey, Paul, kannst du mir bitte noch einen Teller geben?«

Als Paul den Teller auf den Tresen stellte, schob sie Ezra die Lasagne zu. »Wissen Sie was, probieren Sie mal. Ich schaffe sowieso nicht alles allein.«

Er zögerte, und Lena musste schmunzeln. »Nun kommen Sie schon, gerade haben Sie noch gemeckert, dass Sie nichts Richtiges zu essen bekommen, also nehmen Sie sich was. Und wenn Ihnen die Lasagne schmeckt, kommen Sie das nächste Mal einfach wieder, bevor die Küche schließt.«

»Na ja, wenn Sie es so sagen …«

Sie nahm einen Schluck von ihrer Cola mit Rum, während sie darauf wartete, dass er sich von ihrem Teller bediente. Beinahe hätte sie sich verschluckt, als er sagte: »Wenn ich das nächste Mal hier bin, könnten Sie vielleicht mit mir zu Abend essen.«

Fragt er mich gerade nach einem Date?

Sie schindete ein bisschen Zeit, indem sie noch einen Schluck aus ihrem Glas nahm und es bedächtig absetzte. »Sie wollen mit mir zu Abend essen?«

»Das habe ich gerade gesagt, ja.«

»Warum?«

So verwirrt sah sie verdammt süß aus. Abgesehen davon war Ezra überzeugt, dass sie ihm mit jedem Gesichtsausdruck gefallen würde. »Fragen Sie jeden Mann, der Sie zu einem Date einlädt, erst einmal aus?«

»Sie laden mich zu einem Date ein?«

Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete er den Barkeeper, der ihrem Gespräch lauschte – und es auch gar nicht erst zu verbergen versuchte. Der Typ sah aus, als würde er eigentlich noch aufs College gehören – vielleicht sogar auf die Highschool.

Dann ließ er den Barmann Barmann sein und konzentrierte sich wieder auf Lena. »Ja, ich lade Sie zu einem Date ein. Ich habe schon lange keine Frau mehr nach einer Verabredung gefragt, vielleicht mache ich da also etwas falsch.«

»Na ja, mich hat auch schon lange kein Mann mehr nach einem Date gefragt, vielleicht habe ich einfach die Andeutungen nicht verstanden.« Sie lächelte.

Sie musste einfach Ja sagen. Allein schon, weil er unbedingt diesen Mund küssen wollte. Er wollte mit beiden Händen in dieses wunderbar dunkelrote Haar greifen, wollte das Gesicht zwischen ihre Brüste drücken und ihre weiche, zarte Haut spüren.

Er war ein ziemlich guter Menschenkenner, wusste Gesten und Blicke schnell zu deuten. Meistens jedenfalls. Und er glaubte, dass er sich auch bei ihr nicht vertat.

Und falls er richtiglag, dann verspürte sie gerade dasselbe unterschwellige Verlangen wie er. Auf diese Vermutung vertrauend, berührte er flüchtig ihren Unterarm. »Also, nachdem wir nun herausgefunden haben, was wir hier gerade machen, sollten wir es vielleicht noch einmal probieren. Hätten Sie Lust, mit mir zu Abend zu essen?«

»Wissen Sie, mich hat wohl noch nie jemand fünf Minuten, nachdem er mich gesehen hat, zu einem Date eingeladen.« Ihr Lächeln bekam einen bitteren Zug, als sie geistesabwesend die dunkle Brille berührte, die ihre Augen verdeckte. »Zu diesem Zeitpunkt des Gesprächs sitzen sie normalerweise schon am anderen Ende des Raumes – oder wollen mir das Essen klein schneiden.«

Ezra warf einen Blick auf das Stück Lasagne auf seinem Teller. »Wenn Sie es kochen können, dann können Sie es vermutlich auch selbst schneiden. Und Sie haben mir immer noch nicht geantwortet.«

»Nein, habe ich nicht. Ich überlege noch … Ach verdammt, was soll’s. Wissen Sie was, Ezra? Ich würde liebend gern mit Ihnen zu Abend essen.«

»Wann?«

»Wenn Sie mit einem späten Essen einverstanden sind, könnten wir das Ganze morgen Abend in Angriff nehmen. Ich bin bis zehn in der Küche. Allerdings gibt es morgen keine Lasagne. Kommen Sie einfach gegen zehn hierher, und ich werde Ihnen eine Mahlzeit beiseitestellen. Wie klingt das?«

»Nach einem Plan.«

Auf der Heimfahrt konnte Lena förmlich spüren, wie Carter ab und an zu ihr herüberschaute. Sie wusste, früher oder später würde sie ohnehin von Roz oder ihm darauf angesprochen werden, sodass sie schließlich selbst das Wort ergriff: »Raus damit, Freundchen.«

Carter kicherte. »Ich habe mich bloß gefragt, wer der Typ war, mit dem du da an der Bar gesessen hast.«

»Hmm. Das wäre dann wohl Ezra King.« Sie lächelte still vor sich hin. Schon allein der Klang seines Namens ließ ihr Herz ein bisschen schneller schlagen. Es war lange, lange her, dass ein Mann solch eine Reaktion bei ihr ausgelöst hatte. Und an ihr letztes Mal konnte sie sich schon gar nicht mehr erinnern.

»Ezra King.« Carter wiederholte den Namen einige Male – eine nervige Angewohnheit, auch wenn Lena ihm das natürlich nie sagen würde. Roz fand sein zerstreutes Gemurmel sogar ganz liebenswert. »King … ob der wohl mit der alten June King verwandt ist?«

»Keine Ahnung.«

Carter warf ihr einen Blick zu, bemerkte ihr Schmunzeln und musste wieder lachen. »Ja, richtig. Du bist immer noch ziemlich neu hier.«

»Gar nicht wahr.« Sie streckte ihm die Zunge raus. »Ich wohne schon seit Jahren in Ash. Nur weil meine Familie nicht schon zu Urzeiten hier gelebt hat, bin ich längst nicht mehr die Neue.«

»Komm, so lange gibt’s den Clan der Jennings nun auch wieder nicht. Vielleicht seit Gottes Gedenken. Aber bestimmt nicht schon seit Urzeiten.« Er kratzte sich am Kinn und versuchte, sich die Namen von Junes lebenden Nachkommen ins Gedächtnis zu rufen. Doch es wollte ihm nicht gelingen. Sie hatte mehrere Kinder gehabt, aber alle waren recht bald weggezogen. Es gab auch Enkel, doch auch an die konnte er sich nicht mehr wirklich erinnern. »Also, wenn er June Kings Enkelsohn ist, dann muss er ganz anständig sein.«

»Ich bin ja so froh, dass ich deinen Segen habe.« Lena rollte mit den Augen.

»Du kleiner Klugscheißer.« Carter setzte den Blinker, während er auf ihre Einfahrt zuhielt. »Und, wirst du dich noch einmal mit ihm treffen?«

»Technisch gesehen habe ich mich überhaupt noch nicht mit ihm getroffen. Das vorhin war ja kein Date. Wir sind uns einfach zufällig begegnet. Er hat neidisch auf meinen Teller gestiert – ich mochte seine Stimme und ihn zufällig auch, also habe ich meine Lasagne mit ihm geteilt. Aber ja, wir werden uns morgen zum Abendessen im Restaurant sehen.« Sie wandte ihm ihr hübsches Gesicht zu, auf dem ein gespielter Ausdruck von hoffnungsvoller Unschuld lag. »Darf ich, Daddy? Er ist wirklich nett, und ich werde auch ganz brav sein …«

»Du bist ein echter Quälgeist.« Er hielt vor dem Haus. »Aber sich im Running Brook zu treffen, war eine gute Idee. Wir werden schon dafür sorgen, dass er anständig bleibt.«

»Ach, bitte. Puck und ich würden ihm ohnehin keine Frechheiten durchgehen lassen.«

Um halb zehn des darauffolgenden Tages stand Ezra wieder vor dem Restaurant. Dieses Mal trug er keine Jeans. Eine Stoffhose zu finden war nicht das Problem gewesen, und ganz hinten in seinem Kleiderschrank hatte er auch noch ein fast unzerknittertes Polohemd gefunden. Doch das war auch das höchste der Gefühle. Er rasierte sich lediglich noch. Erst als er sich an die Bar setzte und auf Lena wartete, fing er an, nervös zu werden.

Das Herzklopfen setzte ein, als er sich selbst die Frage stellte, was er da gerade tat.

Er wartete auf sein Date.

Ein verdammtes Date.

Was zum Teufel trieb er da eigentlich?

Zurzeit sollte er doch eigentlich besser keine Verabredungen haben … oder?

Er war vollkommen durcheinander, und ganz oft hatte er diese Blackouts.

Als Date taugte er also nicht viel. Im Grunde überhaupt nichts.

Doch selbst während er sich dies einredete, konnte er einfach nicht aufstehen und gehen. Es war ein Abendessen. Eine simple Mahlzeit, nicht wahr? Eine Mahlzeit mit einer hübschen Dame, und der Lasagne vom Abend zuvor nach zu urteilen, ganz offensichtlich einer hübschen Dame mit einem großen Talent zum Kochen. Sie würden gemeinsam essen, sich unterhalten – so schwer konnte das wohl nicht sein.

Sein verdrehtes Hirn brauchte ihm dabei ja nicht zwangsläufig in die Quere zu kommen, oder?

Essen. Gespräche. Und am Ende des Abends würden sie wieder getrennte Wege gehen, und vielleicht, nur ganz vielleicht würde sie ihm ihre Telefonnummer geben. Es liefe ganz einfach und ungezwungen … ganz unkompliziert.

Einfach.

Und wie er später feststellen musste, war es das dann auch. Sie saßen gemeinsam an der Bar, aßen zu Abend und unterhielten sich.

Dass er schon lange niemanden mehr zu einem Date eingeladen hatte, entsprach der Wahrheit. Es war bereits Monate her, dass er Verabredungen getroffen, und sogar Jahre her, dass er tatsächlich eine Frau angesprochen hatte.

Dennoch fiel es ihm bei Lena ganz leicht. Mit ihr kam ihm alles ganz einfach vor. Fast wie … selbstverständlich.

»Du wohnst noch nicht lange hier«, bemerkte sie, während sie das gebratene Hühnchen anschnitt.

»Ist das so offensichtlich?«

»Kleinstadt eben. Wenn du bereits länger hier wärst, hätte ich schon mal von dir gehört … obwohl mir dein Nachname bekannt vorkommt. Bist du June Kings Enkel?«

»Ja.« Kleinstädte waren seltsame Orte. Man wurde bis in alle Ewigkeiten als der Sohn von soundso oder der Enkel von dem und dem betrachtet. June Kings Enkelsohn – das war sein persönliches Erkennungsmerkmal in Ash. Doch es störte ihn nicht im Geringsten, immerhin war seine Großmutter eine Frau von echtem Kaliber gewesen, die offensichtlich jeder sofort in sein Herz geschlossen hatte. »Hast du sie gekannt?«

»Nicht näher.« Lena zuckte mit den Schultern und nippte an ihrem Wasser. »Ich wohne hier erst seit knapp neun Jahren, und ich weiß, dass es in den letzten Jahren ihres Lebens mit ihrer Gesundheit bergab gegangen ist. Ich habe sie allerdings ein paar Mal getroffen. Sie war wohl eine bezaubernde ältere Dame.«

»Ja, das war sie.«

»Das Thema macht dich traurig«, murmelte sie. »Tut mir leid.«

»Verluste sind nie leicht.« Er nahm eine Gabel voll Kartoffelbrei und schluckte ihn trotz Kloß im Hals hinunter. »Übrigens konnte sie verdammt gut kochen, aber weißt du was – du machst ihr ernsthaft Konkurrenz. Wie bist du zum Kochen gekommen? Wolltest du schon immer in die Branche?«

»Willst du das wirklich wissen?« Sie schmunzelte.

Ihr Lächeln weckte seine Neugier. »Und ob.«

»Ich wollte meine Mom wütend machen.«

»Deine Mom?«, wiederholte Ezra verblüfft und ließ die Gabel sinken. »Wie um alles in der Welt bringt man mit einer Chefkochmütze seine Mom auf die Palme?«

»Tja, als Köchin kommt man mit Dingen wie scharfen Messern und heißen Herdplatten in Berührung«, entgegnete Lena. Sie grinste amüsiert – amüsiert und auch ein klein wenig boshaft. »Für sie kam diese Tatsache für jemanden, der nichts sieht, mit einem Todesurteil gleich. Sie ist eine ziemliche Glucke.«

»Und dein Vater?«

Lena seufzte, und das Lächeln auf ihren Lippen erstarb. »Er ist tot. Ein Unfall, als ich zwölf war.« Geistesabwesend rieb sie sich die Augen hinter den getönten Gläsern. »Dad hat mich immer dazu ermutigt, alles zu tun, was ich wollte und konnte. Mom war da skeptischer, aber Dad hat sie stets dazu gebracht, es mich einfach probieren zu lassen. Nachdem er dann gestorben war, na ja … da ist sie mir nicht mehr von der Seite gewichen, hat mich nicht einen Schritt allein machen lassen. Kennst du diese Fernsehsendungen, in denen solche überängstlichen Mütter gezeigt werden? Denen hätte meine Mom noch was beibringen können.«

Sie wandte ihm das Gesicht zu und schnitt eine Grimasse. »Nicht gerade der ideale Gesprächsstoff für ein Date, was?«

»Wer sagt das?« Er knuffte sie in die Seite. »Ich genieße unsere Unterhaltung. Sie schlägt den einfältigen Mist, den ich mir schon so oft habe anhören müssen, um Längen.«

»Einfältiger Mist?« Ihr düsterer Gesichtsausdruck wich langsam einem Lächeln. »Zehn Punkte für kreatives Vokabular, Ezra. Aber vielleicht können wir uns ja trotzdem erfreulicheren Themen zuwenden. Was bringt dich nach Ash?«

Kein besonders erfreuliches Thema, schoss es Ezra durch den Kopf. Er versuchte dennoch, möglichst locker zu antworten. »Ich habe bis vor ein paar Monaten in Lexington gewohnt und mir jetzt eine Auszeit vom Job genommen. Und da mir von Gran das Haus hinterlassen worden ist, habe ich beschlossen, herzukommen. Das Gebäude verfällt langsam, es muss dringend etwas dagegen getan werden. Und wenn ich ohnehin hier bin, kann ich das auch ruhig allein erledigen.«

»Und bleibst du länger?«

»Das versuche ich noch für mich herauszufinden«, antwortete Ezra leise.

Irgendetwas in seiner Stimme ließ Lena aufhorchen.

Sie kannte ihn zwar nicht gut genug, um seinen Tonfall deuten zu können, doch sie nahm seine Anspannung wahr. Und da sie neben ihm saß, konnte sie spüren, wie er sich kurz verkrampft hatte, bevor er die Beherrschung wiedererlangte.

Aber sie würde nicht weiter nachbohren.

Noch nicht jedenfalls.

Vielleicht bot sich die Gelegenheit, wenn er sie noch einmal zu einer Verabredung bat …

Es war ein nettes, unkompliziertes Rendezvous.

Sogar richtig angenehm, dachte Ezra, als er Lena hinaus auf die Veranda folgte, die um das alte Haus herumführte. Er genoss es, mit ihr zu reden, sie anzuschauen … und wenn sie ihn zwischendurch anlächelte … tja, da wurde es dann doch kompliziert. Jedes Mal, wenn sie es tat, spürte er einen merkwürdigen Stich in der Brust.

Wie in diesem Augenblick zum Beispiel. Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen das Geländer, der Wind blies ihr die dunklen, schimmernd roten Strähnen ins Gesicht, und sie zog ihre Mundwinkel ganz leicht nach oben. Als hätte sie ein Geheimnis.

Oder auch viele Geheimnisse. Ezra überquerte die Veranda, blieb dreißig Zentimeter vor Lena stehen und betrachtete ihr rätselhaftes Lächeln.

Es war dem der Mona Lisa ähnlich, stellte er fest. Und endlich verstand er auch, warum es über Jahrhunderte hinweg die Menschheit so faszinierte. Man wollte herausfinden, was dieses Lächeln wohl ausgelöst hatte … Ja, er hätte einige Zeit damit verbringen können, Lenas Geheimnisse aufzudecken.

»Das Essen war sehr lecker«, sagte er stattdessen nur und steckte die Hände in die Hosentaschen, da er irgendetwas mit ihnen anfangen musste, um nicht der Versuchung zu erliegen, Lena das Haar aus dem Gesicht zu streichen. Sobald er sie berührte – auch wenn es eine noch so kurze und harmlose Berührung wäre – würde er vielleicht Blut lecken, mehr wollen, und so weit durfte es an diesem Abend nicht kommen, das war klar.

Er wollte frustrierende Erfahrungen auf jeden Fall vermeiden.

»Das freut mich.«

»Auch wenn ich eigentlich davon ausgegangen bin, dafür zu bezahlen«, fügte er hinzu.

»Du bist eben ein etwas altmodischer Typ«, zog Lena ihn auf, und ihr Grinsen wurde noch ein bisschen breiter.

»Mag sein. Vielleicht habe ich auch einfach Angst, meine Familie könnte Wind davon bekommen«, antwortete er, zuckte mit den Schultern und versuchte, nicht rot anzulaufen.

»Ein erwachsener Mann, der Angst vor seiner Familie hat?«

Jetzt wurde das Lächeln zu einem richtig breiten Grinsen, und Ezra musste sich stark beherrschen, um sie nicht einfach zu küssen. »Hey, du kennst meine Mom nicht. Die würde sogar hartgesottenen Ganoven Angst einjagen.«

»Tatsächlich?« Sie neigte den Kopf.

»Allerdings.« Verdammt, dieses Lächeln … dieser Mund. Er würde ihn noch um den Verstand bringen.

»Ach, was soll’s.« Er legte seine Handfläche an ihre Wange und strich sanft mit der Daumenspitze an ihrer Unterlippe entlang.

Mit einem überraschten Seufzer öffnete sie leicht den Mund. Ezra neigte den Kopf zu ihr hinunter, bis nur noch ein Atemhauch sie voneinander trennte. »Vom allerersten Augenblick an habe ich mich gefragt, wie du wohl schmeckst. Wenn du lieber nicht möchtest, dass ich es herausfinde, dann sag es mir.«

Lena blinzelte. Wow! Ihr Gehirn war wie leer gefegt.

»Äähm …«

»Ist das eine Abfuhr?«, fragte er leise.

»Nein. Nein, ich glaube nicht.«

»Gut.«

Vorsichtig drückte er seinen Mund auf ihren, berührte sie anfangs nur ganz leicht und voller Zurückhaltung. Sie öffnete ihren Mund und erschauderte, als er mit der Zunge über ihre Unterlippe fuhr. Er schmeckte nach Kaffee und Schokoladenkäsekuchen – und nach Mann. Einfach köstlich. Sie legte ihm eine Hand auf die Wange und spürte einen Anflug von rauen Bartstoppeln. Gespannt ließ sie die Finger seinen Hals entlang Richtung Ohr wandern und schob sie in sein Haar. Doch so gern sie sein Äußeres auch erforscht hätte, so groß ihre Neugierde auch war … ihr Verlangen war stärker.

Er küsste gut.

Mit einem Seufzer schmiegte sich Lena enger an ihn und legte die freie Hand auf seine Lende. Er hatte recht schmale Hüften, wie ihr auffiel. Überhaupt war er groß und sehr schlank. Ihr wurde ganz heiß, was auch nicht weiter überraschend war. Seit sie sich das erste Mal neben ihn gesetzt hatte, verspürte sie ein gewisses Kribbeln.

Ezra strich ihr zärtlich den Rücken hinunter und ließ die Hand auf ihrer Hüfte ruhen. Sie erschauderte, und als er sie schließlich noch näher an sich heranzog, ihren Unterleib fest gegen seinen eigenen presste, wurde das Zittern noch stärker. Ihre gesamte Haut schien zu prickeln. Sie spürte nur noch Verlangen, presste ihre Hüften an ihn und war kurz davor, sich an seiner Erektion zu reiben, die gegen ihren Bauch drückte.

Womöglich wäre es auch genau dazu gekommen. Vielleicht hätte sie ihn sogar gefragt, ob er mit zu ihr kommen wolle, wäre wie von Sinnen gewesen.

Wenn nicht plötzlich ein Hupen durch die abendliche Stille gegellt hätte und Lena keuchend zurückgeschreckt wäre.

Ihr Herz … Großer Gott … Es klopfte so stark, als würde es gleich aus ihrem Brustkorb springen.

Sie schluckte schwer, befeuchtete ihre Lippen – und hätte beinahe aufgestöhnt und um Erbarmen gefleht. Sie konnte ihn noch immer schmecken, wollte sich am liebsten gleich wieder in seine Arme werfen und ihn küssen. Wieder und wieder und wieder … Und dann vielleicht eine kleine Pause einlegen, gerade kurz genug, um sich die Kleider vom Leib zu reißen.

»Der wartet wohl auf dich«, sagte Ezra mit rauer, leiser Stimme.

»Was? Wer?«

»Da drüben sitzt ein Kerl in einem weißen Lexus und starrt zu uns herüber. Der spießt mich förmlich auf mit seinen Blicken.«

»Das ist Carter«, antwortete Lena. Sie holte tief Luft, versuchte, einen möglichst neutralen Gesichtsausdruck aufzusetzen und machte eine halbe Drehung, um Carter zuzuwinken. »Das ist der Mann der Besitzerin. Er fährt mich nach der Arbeit immer nach Hause.«

»Dann musst du wohl los.« Ezra strich ihr mit der Hand über den Arm und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Danke für das Abendessen.«

»War mir ein Vergnügen.« Sie zögerte, kämpfte gegen ihre Verlegenheit an und zwang sich zu einem Lächeln. »Vielleicht können wir das ja noch einmal versuchen.«

»Unbedingt.«

Sie gab ihm ihre Nummer und saß keine zwei Minuten später in Carters Auto und fuhr davon. Dabei hatte sie noch gar nicht aufbrechen wollen, sondern wäre lieber später von Ezra nach Hause begleitet worden.

Vielleicht das nächste Mal … oder das Mal danach, sagte sie sich.

Doch er rief nicht an.

Nicht am nächsten Tag und auch nicht am Tag danach.

Möglicherweise hatte sie sich dieses Knistern zwischen ihnen nur eingebildet. Und nachdem schließlich eine ganze Woche ohne ein einziges Lebenszeichen von ihm vergangen war, gab sie die Hoffnung darauf auf.

Doch es tat weh. Mehr, als sie es je für möglich gehalten hatte.

Nach nur einem lumpigen Date war es ihm bereits gelungen, die nahezu undurchdringliche Mauer um sie herum, die sie sonst zu ihrem Schutz aufrechterhielt, zu überwinden.

Vor einem Jahr hatte sie ein lockeres Verhältnis mit jemandem aus der Stadt gehabt – Remy Jennings. Ein paar Monate lang waren sie gelegentlich miteinander ausgegangen. Sie hatte ihn gemocht und im Bett gut mit ihm harmoniert. Doch als das Ganze wieder auseinandergegangen war, hatte es nicht im Geringsten wehgetan.

Bis über beide Ohren war sie bisher nur auf dem College verknallt gewesen. Sie hatte geglaubt, vielleicht sogar in den Typen verliebt zu sein, und das, obwohl der ihr selbst kein einziges Mal gesagt hatte, dass er sie lieben würde. Nicht ein einziges Mal in sechs Monaten Beziehung.

Zwei halbernste Beziehungen also. Das war die Summe ihrer Erfahrungen mit Männern – das und ein paar belanglose Verabredungen … Und irgendwie hatte es ein Kerl, den sie exakt zwei Mal getroffen hatte und mit dem sie ein einziges Mal verabredet gewesen war, geschafft, ihre Schutzmechanismen außer Kraft zu setzen.

Unglaublich.

3

Wie zum Hohn lag ihre Nummer auch drei Wochen nach der Verabredung noch immer neben seinem Telefon.

Dabei hätte Ezra den kleinen Zettel längst nicht mehr gebraucht. Er kannte ihre Nummer mittlerweile auswendig.

Ein Dutzend Mal war er knapp davor gewesen, sie anzurufen.

Und hatte es sich in letzter Minute anders überlegt. Schließlich war er nach Ash gekommen, um einen klaren Kopf zu kriegen und um herauszufinden, was er in Zukunft anstellen sollte.

Ein einmaliges, harmloses Date sollte dem doch nicht im Weg stehen, oder?

Doch als Lena sich nach diesem einen innigen, feurigen Kuss von ihm gelöst hatte, hätte Ezra sie am liebsten wieder an sich herangezogen – nah. Ganz nah. Noch immer konnte er sie förmlich schmecken und ihr Lachen hören, so präsent war die Erinnerung an sie.

Und all dies zusammengenommen, löste weit mehr als nur das harmlose Gefühl der Zuneigung in ihm aus.

Angesichts des Chaos in seinem Kopf war jedoch nichts zuträglich, das über harmlos hinausging. Keine Nacht verging, ohne dass ihn Albträume quälten. Nur allzu oft schreckte er mit einem Schrei aus dem Schlaf hoch und rechnete damit, dass ihm warmes, glitschiges Blut an den Händen klebte. Ezra kroch sprichwörtlich auf dem Zahnfleisch – eine Zweierkiste war zurzeit folglich das Letzte, was er gebrauchen konnte.

Vor allem nach seiner letzten Beziehung …

Also rief er sie nicht an …

… warf ihre Nummer jedoch auch nicht weg.

Womöglich wollte er sich damit einfach nur selbst bestrafen.

Oder aber die Erinnerung an sie wachhalten.

Möglicherweise war es auch eine Mischung aus beidem. Er wusste es nicht.

Vielleicht brachte er es auch einfach nicht über sich, den Zettel wegzuwerfen.

»Wen kümmert’s schon, dass er nicht angerufen hat?«, brummelte Lena vor sich hin, nachdem sie ihren Anrufbeantworter abgehört hatte.

Sie lehnte am Tresen in ihrer Küche und trank aus einer Wasserflasche.

Puck tat es ihr gleich und schlabberte durstig aus seinem Napf, den sie ihm kurz zuvor aufgefüllt hatte. Gerade waren beide von einem ihrer Spaziergänge querfeldein zurückgekommen. Eigentlich hatte Lena erst den Pfad durch den Wald nehmen wollen, aber Puck hatte sich geweigert.

In letzter Zeit sträubte er sich immer wieder, auch wenn sie ihn meistens doch noch überzeugen konnte.

Doch an diesem Tag? An diesem Tag hatte er sich einfach wieder hingesetzt und sich nicht mehr vom Fleck gerührt.

Statt also im kühlen Schatten der Bäume spazieren zu gehen, waren sie bei knalliger Septembersonne durch die Felder gelaufen, sodass Lena schließlich verschwitzt und mit äußerst schlechter Laune wieder zu Hause ankam. Und das Letzte, worüber sie sich nun freute, waren Nachrichten auf ihrem Anrufbeantworter, die in ihr die Hoffnung weckten, Ezra könnte sich gemeldet haben.

Doch Fehlanzeige. Zwei Nachrichten stammten von Roz aus dem Inn, eine war von einer anderen Freundin, aber keine von dem Mann, der sie vor drei Wochen beinahe um den Verstand geküsst hatte.

Grummelig drückte sie noch einmal auf die Wiedergabetaste und hörte sich pflichtbewusst Roz’ Nachrichten an. Es gab Lieferprobleme bei einigen der Zutaten, die sie für das Menü an diesem Abend brauchte. Sie würde also umdisponieren müssen. Alles klar. Und dann hatte Roz wieder einmal eine Hochzeit eingestielt, und die Braut verlangte ein bestimmtes Gericht, das Roz später während der Arbeit mit Lena besprechen wollte.

Lena löschte die Mitteilungen und verließ die Küche. Sie brauchte nun dringend eine Dusche. Ihr war heiß, sie war verschwitzt, und wenn sie fertig sein wollte, bis Carter sie abholen kam, konnte sie nicht ewig in der Küche stehen bleiben und darüber nachgrübeln, warum Ezra King sich nicht bei ihr gemeldet hatte.

Wen kümmerte das schon?

Sie hatten eine einzige Verabredung gehabt.

Und dann einen absolut wunderbaren Kuss.

Das war nicht besonders viel.

Was sollte es also schon groß bedeuten, dass sie seitdem mehrmals von ihm geträumt hatte?

Was hatten ein paar Träume überhaupt zu bedeuten? Ein paar extrem heiße, erregende, eindrückliche Träume?

Träume.

Verflucht, Ezra hasste diese Träume. Sie wollten einfach nicht aufhören. Er hätte sie in Schnaps ertränken oder sie mit Medikamenten betäuben können.

Doch stattdessen hatte er beschlossen, mit ihnen zu leben. Vielleicht würde er es sich allerdings auch noch einmal anders überlegen … vorausgesetzt, er überlebte diese Nacht. Denn der Traum drohte ihn förmlich zu ersticken.

Er befand sich wieder in dieser Gasse. In jener Gasse, in der er herausgefunden hatte, dass seine Partnerin Mac Stover korrupt war.

Seine Partnerin, seine Freundin … seine Geliebte.

Alle hatten gewusst, dass an irgendeiner Stelle ein bestechlicher Cop sitzen musste, und das ganze Jahr über versucht, einen landesweiten Diebesring hochgehen zu lassen. Doch jedes Mal, wenn sie kurz vor dem Erfolg gestanden hatten, war irgendetwas schiefgelaufen. Da musste ein anderer Bulle dahinterstecken – das hatte Ezra sein Bauchgefühl gesagt.

Er hätte jedoch nie vermutet, dass sie es sein könnte. Hätte nie und nimmer Mac verdächtigt …

»Wir müssen damit aufhören. Früher oder später fliegen wir auf.«

Ezra verbarg sich im Schatten und lauschte. Es war furchtbar dunkel. Eigentlich hätte er doch etwas sehen müssen, oder? Irgendetwas. Zumindest erkennen. Zum Beispiel diese Stimme, die ihm irgendwie vertraut vorkam.

Wer war das?

Wer war diese Frau?

»Es läuft doch gerade wie geschmiert. Noch eine große Lieferung, Mac. Dann sind wir durch. Nur noch eine Nummer.«

Ein leiser, müder Seufzer war zu hören, dann ein heiseres Lachen. »Klar, nur noch eine – von wegen. Weißt du was? Ich hab die Schnauze gestrichen voll. Noch eine Nummer, dann bin ich raus. Nur noch eine einzige. Und das war’s dann.«

Eine ganze Flut von Erinnerungen schoss durch seinen Kopf. Er und seine Partnerin, Seite an Seite, auf unzähligen Straßen unterwegs.

»Komm schon, Mac. Nur noch einmal. Das kriegen wir hin.«

»So ein Quatsch, nur noch einmal. Wer’s glaubt, wird selig, Süßer! Noch einmal, und dann spendierst du mir ein Abendessen.«

Mac. Es war eindeutig Mac.

Raus … bloß raus hier! Ach was, scheiß drauf! Bring sie lieber zur Vernunft … Mac … verfluchter Mist …

Nein.

Hau ab! Auf der Stelle!

Doch es war, als könnte er die Beine nicht mehr bewegen. Verdammt! Als wären sie aus Blei. Und auch sein Hirn wollte nicht mehr so recht funktionieren. Mac … seine Partnerin. Seine beste Freundin. Seine Geliebte … Wie oft hatte er diese Frau im Arm gehalten? Wie viele Nächte hatten sie wach gelegen und sich miteinander unterhalten?

Mac … seine Partnerin.

Beste Freundin.

Geliebte.

Mörderin.

Denk nach, Mann, du musst nachdenken … Du musst abhauen …

Während seine kleine Welt in sich zusammenbrach, während Stimmen durch die Nacht gellten, konnte er nur noch eines denken.

Raus hier …

Ezra zwang sich, aus dem Albtraum aufzuwachen. Sein Atem ging stoßweise, ein Schrei blieb ihm im Halse stecken.

Er wollte sich mit den Händen übers Gesicht reiben, hatte jedoch Angst, dass sie mit Blut überzogen waren, mit Macs Blut.

»Licht«, murmelte er. »Ich brauche Licht, verdammt noch mal.« Er tastete nach der Lampe auf seinem Nachttisch, bis er sie erwischt hatte; dann schwang er die Beine über die Bettkante und starrte auf seine Hände.

Sie waren voller Schrammen, schwielig, aber sauber. Kein einziger Tropfen Blut klebte an ihnen.

Doch warum sah er es dann noch?

Seine Erinnerungen an jene Nacht waren lückenhaft. Verschwommen. Er kannte all das medizinische Geschwafel – Schädeltrauma, Blutverlust und eine ganze Menge Psychokram, mit dem er nichts anfangen konnte. Möglicherweise würde sein Gedächtnis mit der Zeit zurückkommen. Doch es konnte ebenso gut passieren, dass er irgendwann sterben würde, ohne zu wissen, was sich in jener Nacht genau ereignet hatte.

Das Wichtigste wusste er – Mac war tot, von ihm umgebracht worden, nachdem sie eine Pistole auf ihn gerichtet hatte. Ihr lebloser Körper war auf seinem gefunden worden, die Pistole hatte sie noch in der Hand gehalten.

Stundenlang waren die Ärzte damit beschäftigt gewesen, sein Bein zu retten. Eine der Kugeln hatte die Schlagader in seinem Oberschenkel gestreift, eine weitere war im Knochen steckengeblieben.

Er hätte sterben können. Hätte vielleicht besser sterben sollen.

Doch er war am Leben. Sie nicht.

Ezra kannte Mac gut genug, um zu wissen, dass er nun tot wäre, wenn sie gewollt hätte, dass er starb. Sie hätte ihn niemals verfehlt. Oder etwa doch? Hatte sie ihn absichtlich verschont? Und wenn ja, was für ein mieser Kerl war er dann? Schließlich hatte er sie auf dem Gewissen. Hatte mit der Pistole auf ihr Herz gezielt und ihrem Leben ein Ende bereitet, einfach so.

»Verflucht, hör auf zu grübeln«, sagte er zu sich selbst.

Schuld. Schuld konnte einem Mann die Luft zum Atmen nehmen.

»So lange«, flüsterte er vor sich hin. So lange hatte er es nicht gemerkt.

Bis er mit der Nase darauf gestoßen worden war und angefangen hatte, nachzudenken.

Er hatte es nicht wahrhaben wollen und sie verteidigt. War ihr deshalb schließlich auch gefolgt. Um ihre Unschuld zu beweisen.

Doch am Ende hatte er genau das Gegenteil erreicht … Mac getötet und wäre selbst beinahe dabei draufgegangen. Sie war seine beste Freundin gewesen, seine Geliebte … Und jetzt war sie tot.