Stille Gefahr - Shiloh Walker - E-Book

Stille Gefahr E-Book

Shiloh Walker

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Beschreibung

Vom Opfer zur Täterin - wem kann sie überhaupt noch trauen?

Hope Carson hofft, in der Kleinstadt Ash endlich zur Ruhe zu kommen. Jahrelang wurde sie von ihrem gewalttätigen Ehemann misshandelt. Doch auch hier lässt sie das Unheil nicht los, als sie plötzlich in einen Mordfall verwickelt wird. Der Polizei traut sie nicht - genauso wenig dem gutaussehenden Staatsanwalt Remy Jennings. Aber er ist der Einzige, der zu ihr steht, als sie im Strudel der Ereignisse unterzugehen droht.

Atemlose Spannung und eine prickelnde Liebesgeschichte - eine der besten Romantic-Thrill-Reihen.

Für Leserinnen und Leser von Sandra Brown und Christy Reece.

Band 1: Blinde Wahrheit
Band 3: Tödliche Nähe

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.




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Inhalt

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

1

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5

6

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Anmerkungen der Autorin

Danksagung

Weitere Titel der Autorin

Ash-Trilogie:

1. Blinde Wahrheit

2. Stille Gefahr

3. Tödliche Nähe

Teile der Lust de LYX-Reihe:

Lust de LYX – Geheime Wünsche

Lust de LYX – Nur eine Nacht mit dir

Über dieses Buch

Vom Opfer zur Täterin – wem kann sie überhaupt noch trauen?

Hope Carson hofft, in der Kleinstadt Ash endlich zur Ruhe zu kommen. Jahrelang wurde sie von ihrem gewalttätigen Ehemann misshandelt. Doch auch hier lässt sie das Unheil nicht los, als sie plötzlich in einen Mordfall verwickelt wird. Der Polizei traut sie nicht – genauso wenig dem gutaussehenden Staatsanwalt Remy Jennings. Aber er ist der Einzige, der zu ihr steht, als sie im Strudel der Ereignisse unterzugehen droht.

eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.

Über die Autorin

Shiloh Walker wurde in Kentucky geboren und hegt seit ihrer Kindheit eine besondere Vorliebe für das Schreiben. 2004 begann sie ihre Karriere als Autorin von Romantic Fantasy, Romantic Suspense und erotischer Geschichten. Sie lebt mit ihrer Familie im mittleren Westen der USA.

SHILOH WALKER

Stille Gefahr

Aus dem amerikanischen Englisch von Heide Franck

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2012 by Shiloh Walker, Inc.

Published in agreement with the author, c/o THE KNIGHT AGENCY INC., 232 West Washington Street, MADISON, GA 30650 USA

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »If you see her«

Originalverlag: Ballantine Books, an imprint of The Random House Publishing Group, a division of Random House, Inc., New York, USA

Dieses Werk wurde durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover, vermittelt.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2013/2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Die MedienAkteure, Hamburg

Covergestaltung: Guter Punkt GmbH Co. KG unter Verwendung von Motiven von © Photodisc / Getty Images; dejankrsmanovic / iStock / Getty Images Plus

eBook-Erstellung: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-7517-1577-5

be-ebooks.de

lesejury.de

Wie immer … für meine Familie. Jeden einzelnen Tag meines Lebens danke ich Gott für euch, und das ist noch nicht oft genug. Diese Widmung habe ich inzwischen an die sechzig Mal geschrieben. Und auch das ist noch zu wenig. Ihr seid mein Ein und Alles. Ich liebe euch!

1

»Die Frau ist krank, fürchte ich.«

Remington Jennings rieb sich die Nasenwurzel und versuchte, nicht an Hope Carsons traurige grüne Augen und ihr seidiges braunes Haar zu denken. »Was meinen Sie mit ›krank‹? Können Sie mir nicht ein bisschen weiterhelfen, Detective Carson?«

Der Mann am anderen Ende der Leitung seufzte. »Tja, eigentlich nur ungern. Sehen Sie, wenn alles in bester Ordnung wäre, hätte ich wohl kaum einen Staatsanwalt an der Strippe, der mich wegen meiner Frau ausquetscht. Ich will sie nicht in Schwierigkeiten bringen.«

»Sie ist Ihre Exfrau, und sie steckt bereits in Schwierigkeiten. Sie möchten doch sicher auch, dass ihr geholfen wird, oder?«, fragte Remy, wobei seine Stimme einen scharfen Unterton bekam. Verdammt, man musste nicht Psychologie studiert haben, um zu sehen, dass diese Frau keiner Fliege etwas zuleide tun könnte, es sei denn, sie geriet in Bedrängnis …

»Sie wollen ihr also helfen, Jennings, ja?« Der Detective lachte, doch es klang ganz und gar nicht fröhlich, sondern traurig und bitter.

»Sonst hätte ich Sie wohl kaum angerufen. Ich will sie ja nicht einsperren und den Schlüssel wegwerfen. Kommen Sie, helfen Sie mir, Detective.« Verflucht, Carson, stellen Sie sich nicht so an.

»Ich soll Ihnen helfen? Sie meinen, Ihnen dabei helfen, Hope zu helfen.« Wieder seufzte Joseph Carson. Er war Hopes Exmann, ein Bulle irgendwo im Westen. Außerdem stellte er sich gerade als absolutes Arschloch heraus.

Im Hintergrund hörte Remy ein leises Knarren. »Mr Jennings, lassen Sie es mich mal ganz deutlich sagen: Sie können Hope nicht helfen, weil sie keine Hilfe will, verdammt noch mal. Die Frau ist ziemlich durcheinander. Sie … Scheiße, das kommt mir wirklich schwer über die Lippen, aber kurz nach unserer Hochzeit wurde bei ihr eine Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Sie ist manipulativ, ein regelrechtes Chamäleon. Was auch immer die Leute in ihr sehen wollen, sie gaukelt es ihnen vor. Sie glauben vielleicht, vor einer Frau zu stehen, der Sie helfen können – wenn sie es nur zulässt. Aber so ist es nicht. Ihr Bild von ihr entspricht lediglich dem, das Sie haben sollen.«

Remy presste die Zähne aufeinander und ballte die Faust so fest um seinen Bleistift, dass er zerbrach.

Scheiße – das … Nein. Das stimmte nicht. Alles in ihm sträubte sich gegen diese Vorstellung. Sie kam ihm so verkehrt vor. Das konnte einfach nicht wahr sein.

Doch seine Stimme klang kühl und gefasst, als er nachfragte: »Borderline, sagten Sie? Ist sie in der Vergangenheit jemals gewalttätig geworden?«

Es gab einen langen, unangenehmen Moment des Schweigens, bis Carson schließlich antwortete. »Ja, schon. Allerdings nur gegen sich selbst … und gegen mich. Ich habe es für mich behalten, weil ich nicht wollte, dass die Leute schlecht von ihr denken. Und was mich angeht … na ja, ich habe mich geschämt – für sie, für mich, für uns beide. Als es dann aber richtig schlimm wurde, konnte ich es nicht mehr verbergen.«

»Wollen Sie damit sagen, dass sie Ihnen Gewalt angetan hat?« Remy wusste, eigentlich hätte er sich Notizen machen sollen, mit dieser Information arbeiten müssen.

Doch er konnte nicht, er konnte es einfach nicht glauben, es nicht einmal verstehen. Diese Frau sollte jemanden geschlagen haben?

Nein. Das ergab für ihn einfach kein stimmiges Bild.

»Genau das.« Wieder seufzte Carson.

»Sie sagen also, dass sie tatsächlich gewalttätig war?«

»Verdammt, habe ich Ihnen das nicht gerade erklärt?«, knurrte der Detective.

Remy umfasste den Hörer so fest, dass das Plastik eigentlich hätte knacken müssen. Diese ganze Sache stank – stank zum Himmel, und er wusste es, spürte es instinktiv.

Sie ist manipulativ, ein regelrechtes Chamäleon. Was auch immer die Leute in ihr sehen wollen, sie gaukelt es ihnen vor. Sie glauben vielleicht, vor einer Frau zu stehen, der Sie helfen können – wenn sie es nur zulässt. Aber so ist es nicht. Ihr Bild von ihr entspricht lediglich dem, das Sie haben sollen.

Verflucht noch mal, ließ er sich die ganze Zeit von ihr an der Nase herumführen?

Im Augenblick war er sich da wirklich nicht sicher.

Er holte einmal tief Luft und konzentrierte sich wieder auf das Telefongespräch. »Können Sie mir einige Beispiele nennen? Beschreiben, was passiert ist?«

»Beispiele, Herrgott.« Carson fluchte. »Warum sollte ich Ihnen das überhaupt erzählen? Verraten Sie mir das mal«, forderte er dann.

»Sollte sie psychisch gestört sein, braucht sie wirklich Hilfe. Und dann würde ich ihr lieber diese Hilfe verschaffen, als sie einzusperren. Sie kennen sie sicherlich besser als jeder andere. Wenn sie Ihnen also am Herzen liegt, helfen Sie mir, ihr zu helfen. Kommen Sie, Detective. Als Polizist sind sie dazu verpflichtet, das Gesetz zu achten und Menschen zu beschützen. Wenn sich Ihre Frau als gefährlich erweisen sollte …«

»Ihr beschissenen Anwälte wisst immer genau, was ihr sagen müsst«, brummte Carson. Doch in seiner Stimme schwang keinerlei Wut oder Groll mit, lediglich Ermüdung. »Ja, man könnte sagen, sie hat eine aggressive Ader. Und es kam vor, dass sie gewalttätig geworden ist. Sie ist sehr manipulativ, und der Hang zur Gewalt nimmt zu, wenn sie ihren Willen nicht bekommt. Dann wird sie labil und unberechenbar. Schwer zu sagen, was sie einem Menschen antun könnte, von dem sie meint, dass er ihr im Weg steht.«

Unvermittelt verschwand der ruhige, sachliche Tonfall aus seiner Stimme, und Carson knurrte: »Bitte, jetzt habe ich Ihnen all die schmutzigen Details geliefert, die Sie hören wollten. Erzählen Sie mir nicht, Sie könnten damit nichts anfangen. Bei Gott, ich hasse mich selbst dafür, auch wenn ich weiß, dass sie Hilfe braucht. Und jetzt verraten Sie mir, was zur Hölle eigentlich los ist!«

Remy stieß einen Seufzer aus. »Momentan liegt sie im Krankenhaus – versuchter Selbstmord. Außerdem gab es einen Übergriff auf einen Freund von ihr. Wie’s aussieht, könnte sie es gewesen sein.«

»Scheiße.« Carsons Stimme klang barsch, Zorn und Kummer schwangen darin mit. »Sie hat schon früher versucht, sich umzubringen. Auch wenn ich das jetzt ungern höre, überrascht es mich kaum. Aber dieser Freund … Sie meinten, ein Freund von ihr wurde angegriffen?«

»Ja.« Remy starrte finster ins Leere. »Vielleicht sagt Ihnen sein Name etwas – anscheinend kennen die beiden sich schon ziemlich lange. Er heißt Law Reilly.«

»Reilly.« Carson ächzte. »Ja, ich kenne Law. Ich würde ja gern behaupten, es wundere mich, dass sie auf ihn losgeht, aber Hope hat sich schon immer gegen diejenigen gewendet, die ihr helfen wollten. Die sie gernhaben.«

Remy schloss die Augen.

Verflucht, hatte der Kerl irgendetwas zu sagen, das ihm irgendwie die Entscheidung, wie er mit Hope umgehen sollte, erleichtern würde?

Hätte er sie wegsperren wollen, dann wären ihm diese Neuigkeiten natürlich wie gelegen gekommen.

So wie die Sache lag, konnte er beinahe schon die Zellentür hinter ihr ins Schloss fallen hören, und bei der Vorstellung drehte sich Remy der Magen um. »Sie glauben also, sie könnte Mr Reilly etwas antun?«

»Bei Hope kann man es einfach nie wissen. Was ich weiß, ist, dass sie zu so ziemlich allem fähig ist. Und ich wünschte, ich könnte ihr helfen. Himmel, wie gern würde ich glauben, Sie könnten das. Aber ich bin machtlos, und ich glaube kaum, dass Sie etwas erreichen werden. Hope will keine Hilfe, sie sieht nicht ein, dass sie welche braucht. Hören Sie, wenn ich irgendwas tun kann, dann sagen Sie es nur. Auch wenn ich ihr keinen Ärger machen will, soll sie Hilfe bekommen, bevor es zu spät ist.«

Den Rest des Gesprächs bekam Remy kaum noch mit. Er hatte sich endlich eingestanden, dass er im Prinzip gerade die Beweise bekommen hatte, die er brauchte.

Hope Carsons Fingerabdrücke waren überall auf der Waffe gefunden worden, mit der Law Reilly zusammengeschlagen worden war.

Sie hatte sich die Pulsadern aufgeschlitzt.

Sie war bereits früher gewalttätig geworden.

War bereits früher auf Menschen losgegangen, die sie gernhatten.

Ihrem Exmann zufolge – der sie ebenfalls gernzuhaben schien – war sie manipulativ und neigte dazu, ihren Willen durchzusetzen, koste es, was es wolle.

Scheiße, Scheiße, Oberscheiße.

Statt sich zufrieden seine nächsten Schritte zu überlegen, ertappte er sich dabei, wie er an diese traurigen, traurigen grünen Augen dachte …

Scheiße.

Als Nia Hollister am Blue Grass Airport in der Nähe von Lexington landete, konnte sie vor Müdigkeit kaum noch die Augen offen halten, ihr Herz war schwer vor Trauer und am liebsten hätte sie sich in eine dunkle, stille Ecke gekauert und einfach nur … geheult.

Eigentlich war sie nicht der Typ, der einfach losweinte, aber diesmal war die Versuchung groß, beinahe überwältigend. Ab und zu spürte sie, dass die Tränen ihr wie ein dicker Kloß im Hals steckten. Und ein Schrei – ihrer Kehle drohte sich ein Schrei zu entringen.

Sie unterdrückte ihn mit purer Willenskraft.

Jetzt war nicht der Zeitpunkt, um zu schreien oder zu flennen.

Tief im Herzen wollte sie immer noch glauben, dass sie sich irrten.

Sie alle.

Joely war nicht tot. Das konnte einfach nicht sein. Sie waren doch wie Schwestern, standen sich fast sogar noch näher.

Die beiden stritten sich so gut wie nie. Sie waren beste Freundinnen, ein Herz und eine Seele. Auch wenn Nia sich die Hälfte des Jahres am anderen Ende des Landes aufhielt – oder außer Landes …

Sie konnten sich irren. Sie alle – Bryson, Joelys Verlobter, der Nia nicht einmal begleiten wollte, um die Leiche zu identifizieren, die Polizei, die darauf beharrte, dass es sich um Joely handelte … alle. Sie alle konnten sich irren.

Vielleicht war es nicht Joely.

Aber wenn die tote Frau in dem Leichenschauhaus in Ash, Kentucky, nicht ihre Cousine war, wo steckte diese dann?

Ihr Verlobter hatte sie schon seit über einem Monat nicht gesehen.

Sie ging nicht ans Handy, beantwortete keine E-Mails.

Sie war wie vom Erdboden verschluckt.

Nein … sie ist nicht vom Erdboden verschluckt worden. Während du im Ausland warst, lag sie die ganze Zeit tot im Kühlraum des Leichenschauhauses, du egoistisches Miststück.

Niemand war dort gewesen, weil die Polizei sich immer erst an die Familie wandte. Obwohl Bryson eigentlich auch darauf hätte bestehen sollen, hinzufahren, vor allem da man Nia nicht hatte erreichen können. Nicht im Lande – verflucht.

Sie war nicht da gewesen, während man ihre Cousine entführt hatte, war nicht da gewesen, während sie ermordet wurde, sie war die ganze Zeit über nicht da gewesen, und deswegen hatte man Joely wie ein Stück Dreck behandelt.

Nia war nicht da gewesen. Oh Gott … Tränen brannten ihr in den Augen. Fast drei Wochen lang hatte niemand sie erreichen können. Joely kannte ihre Telefonnummer, aber sie hatte sie wohl nicht an ihren Verlobten weitergegeben.

Erschöpfung und Trauer nahmen Nias Schritten das Tempo, während sie ihren kleinen Trolley durch den Flughafen hinter sich herzerrte. Wer wie sie seit Jahren aus dem Koffer lebte, reiste nur noch mit leichtem Gepäck und so hatte sie nichts Größeres aufgegeben. Ihre restlichen Sachen würden per Post in ihrer Wohnung in Williamsburg eintreffen.

Sie musste dringend einen Waschsalon ausfindig machen, aber dieses Problem konnte warten.

Im Augenblick brauchte sie erst einmal einen Leihwagen. Also: Wagen leihen! Dann musste sie …

Vor einem Werbeplakat in fröhlichen Farben blieb sie stehen, es zeigte ein fuchsfarbenes Pferd, das über eine grüne Wiese galoppierte. Wie betäubt starrte sie für einen langen Moment darauf, ehe sie sich wieder in Bewegung setzte.

Leihwagen. Ash, Kentucky. Dort musste sie hin. Sie musste …

»Kann ich Ihnen helfen?«

Nia zuckte zusammen. Da erst merkte sie, dass sie einen der Sicherheitsleute mit leerem Blick angestarrt hatte. Blinzelnd sah sie sich um. Sie wusste weder, wo sie war, noch, wie sie hierhergekommen war.

Der Wachmann musterte sie, seine Miene spiegelte eine merkwürdige Mischung aus Besorgnis und Misstrauen wider. »Geht es Ihnen gut?«

Nia schluckte trocken. Dieser Kloß in ihrem Hals schwoll zu einer gewaltigen Größe an, und plötzlich stand sie wieder kurz davor, in Tränen auszubrechen. »Ich … hatte ein paar anstrengende Tage.«

»Sieht ganz so aus.« Er deutete mit dem Kopf zur Seite. »Sie haben geschlagene fünf Minuten mitten in der Halle gestanden. Wo möchten Sie denn hin? Vielleicht kann ich Ihnen weiterhelfen.«

Nia presste sich die Handballen gegen die Schläfen. Verflucht.

Der Schmerz in ihrer Brust wurde schlimmer.

Ash – sie musste nach Ash, wo auch immer das lag.

Aber wenn sie schon wie ein Zombie auf dem Flughafen herumstand, dann sollte sie sich vielleicht besser nicht hinter das Steuer eines Wagens setzen. Bei der Erkenntnis lief Nia ein kalter Schauer die Wirbelsäule hinunter, und sie seufzte. »Ich brauche ein Taxi zu meinem Hotel«, antwortete sie schließlich.

Ash musste bis zum nächsten Morgen warten.

Der Gedanke missfiel ihr zwar, aber selbst im Zustand der Trauer überwog ihr Pragmatismus. Ausgelaugt wie sie war, wäre es der reinste Selbstmord, Auto zu fahren. Auch wenn sie dringend nach Ash wollte, gegen sich selbst kam sie nicht an.

Und vielleicht hatte sie ja noch Glück … und würde beim Aufwachen feststellen, dass das Ganze nur ein schrecklicher Albtraum gewesen war.

Das Gespräch mit Detective Joseph Carson beschäftigte ihn immer noch, als Remy sich Stunden später im Bett wälzte und versuchte einzuschlafen.

Doch er war einfach zu aufgewühlt. Erst weit nach Mitternacht fielen ihm endlich die Augen zu.

In manchen Nächten brauchte er sich nur hinzulegen und schlief kurz darauf schon wie ein Stein. Als einer von zwei Staatsanwälten im Bezirk Carrington, Kentucky, hatte er bereits Methdealer, ein paar Kinderschänder und Vergewaltiger, ziemlich viele betrunkene Autofahrer und einige gewalttätige Ehemänner hinter Gitter gebracht. Gelegenheitsdiebe kamen ihm außerdem ständig unter.

Selbst in seinem kleinen, ziemlich ländlichen Bezirk waren Verbrechen keine Ausnahme.

Und er mochte seinen Job.

Aber heute Abend hatte er Mühe, Schlaf zu finden. Verdammt, von wegen Mühe – es gelang ihm überhaupt nicht.

Jedes Mal, wenn Remy die Augen schloss, dachte er an eine grünäugige Brünette und daran, was er am nächsten Morgen zu erledigen hatte.

Am liebsten wollte er es gar nicht tun.

Er gäbe sonst etwas darum, es nicht tun zu müssen.

Aber er hatte seinen Beruf schließlich nicht gewählt, um sich dann vor den schwierigen Aufgaben zu drücken.

Alle Fakten deuteten darauf hin, dass Hope Carson eine gewalttätige, psychisch kranke Frau war.

Scheiß auf die Fakten, sagte sein Instinkt. Aber er durfte nicht ignorieren, was sich klar abzeichnete, durfte weder die Beweislage außer Acht lassen noch das, was er inzwischen erfahren hatte.

Es war eindeutig, worin seine Aufgabe jetzt bestand.

Er hatte eben manchmal einen total miesen Job.

Weit nach Mitternacht fiel Remy schließlich in einen unruhigen Schlaf mit ebenso unruhigen Träumen.

Mit Albträumen.

Solchen, in denen er sie so sah wie in jener Nacht in der Notaufnahme: über und über mit Blut bedeckt.

Bleich.

Eine Stimme flüsterte: Das hast du dir selbst angetan …

»Nein, habe ich nicht. Nein, habe ich nicht«, widersprach Hope zittrig, aber im Brustton der Überzeugung.

Voller Entsetzen stand Remy daneben. Am liebsten hätte er sie in den Arm genommen, sie weggebracht, fort von all diesem Grauen. Doch dann tauchte Sheriff Nielson auf und hielt ihm ein Paar Handschellen hin.

»Sie soll verhaftet werden? Schön. Machen Sie es selbst.«

Doch das war nicht Remys Job – er war kein verdammter Bulle. Er verhaftete niemanden. Er besorgte die Haftbefehle und vertrat die Anklage.

»Schon klar, wir sollen uns die Hände schmutzig machen. Wenn Sie sie einsperren wollen, dann machen Sie es doch selbst.«

Und genau das tat er. Remy legte Handschellen um Handgelenke, die zu schmal, zu zerbrechlich schienen, um derartig belastet zu werden.

Remy war derjenige, der Hope zu einer Zelle führte.

Er öffnete die Tür, woraufhin sie zwar schweigend hineinging, doch er las es von ihren Augen ab.

Ich habe das nicht getan.

Als er sich wegdrehte, setzten die Schreie ein. Endlose, schmerzerfüllte Schreie. Doch er wusste nicht, ob sie von ihr kamen … oder von ihm selbst.

So erwachte er schließlich.

Mit dem Echo dieses Geschreis im Ohr.

»Verdammt«, keuchte er, fuhr im Bett auf und kämpfte sich aus den Laken, in denen er sich verheddert hatte wie zwischen Seilen.

Sein Atem ging stoßweise, während er auf der Bettkante saß und ins Leere starrte. Er hatte ein elendes Gefühl im Magen, und sein Kopf wummerte wie schon seit Collegezeiten nicht mehr. Damals hatte er geglaubt, kurze Nickerchen und Koffein allein würden ihn durch den Tag bringen.

In wenigen Stunden sollte er sich mit dem Sheriff im Krankenhaus treffen.

Heute würde Hope Carson verhaftet werden, und Remy war machtlos dagegen. Diese Frau konnte ihn nur mit ihren Blicken in eine Salzsäule verwandeln. So war es ihm noch nie zuvor ergangen. Bei keiner. Scheiße, was für ein Schlamassel.

Natürlich ahnte sie nichts davon.

Gott sei Dank wusste niemand davon.

Er hatte seine Gefühle geheim gehalten, wenigstens das war ihm gelungen.

Aber verflucht noch mal, er musste sich zusammenreißen.

Er musste sich konzentrieren, in die Gänge kommen, musste … etwas unternehmen.

Ächzend stand Remy auf und schlurfte nackt in Richtung Badezimmer. Vielleicht würde es helfen, wenn er lange genug heiß duschte und dann genug Koffein in sich hineinpumpte … vielleicht.

Vielleicht, vielleicht …

Er machte das Licht an, doch als es seine müden Augen mit der Wucht eines Vorschlaghammers traf, schaltete er es stöhnend wieder aus.

Kein Licht. Noch nicht.

Erst eine Dusche. Anschließend Kaffee.

Dann Licht.

Eventuell.

Eigentlich brauchte er ja auch gar kein Licht, nicht zum Duschen … und auch nicht zum Anziehen. Im Dunkeln musste er nicht fürchten, seinem Spiegelbild zu begegnen, oder?

Das Letzte, worauf er jetzt Lust hatte, war, sich selbst in die Augen zu schauen.

Egal, wie die Beweislage aussah, egal, was die logische Schlussfolgerung aus dem Ganzen war, es fühlte sich einfach falsch an.

Grundfalsch.

Es gab Tage, an denen Hope Carson sich wünschte, sie wäre einfach durch Ash hindurchgefahren. Statt in der Kleinstadt in Kentucky Halt zu machen, um wie versprochen ihren besten Freund zu besuchen, hätte sie einfach weiter Gas geben sollen.

So sehr sie Law auch liebte und als Freund an ihrer Seite vermisst hatte – an manchen Tagen wünschte sie sich, sie hätte ihr Versprechen gebrochen und wäre nicht aus dem Auto gestiegen.

Vielleicht hätte sie einfach an die Küste fahren sollen.

Hope war noch nie dort gewesen.

Sie hatte eine Hochzeitsreise ans Meer machen wollen, Joey … ihr ungeliebter Exmann aber nicht.

Alle fahren ans Meer. Lass uns lieber was anderes machen.

Stattdessen hatten sie die Flitterwochen in den Bergen verbracht.

Skifahren in Aspen.

Nur dass Hope sich nicht gut auf Skiern hielt. Und sie hasste die Kälte … die ging ihr bis in die Knochen. Ständig war sie hingefallen und schließlich am ganzen Körper von blauen Flecken übersät gewesen.

»Ich hätte einfach weiterfahren sollen«, brummte sie, während sie den Stimmen vor ihrer Tür lauschte.

Es wäre klüger gewesen, so viel stand fest.

Traurig starrte sie aus dem Fenster und fragte sich, ob sie dort, wo sie als Nächstes hingebracht wurde, wohl ein eigenes Zimmer haben würde.

Ging es wohl in ein anderes Krankenhaus?

Oder ins Gefängnis?

Sie wusste es nicht.

Wahrscheinlich wird es eine andere Klinik. Eine mit schweren Türen und hohen Mauern.

Schwarze Punkte tanzten ihr bedrohlich vor Augen.

Angst schnürte ihr die Kehle zu. Eingesperrt … gefangen …

Nur mit Mühe unterdrückte sie ein Stöhnen.

Als die Tür aufging, gelang es ihr gerade noch, sich ein Wimmern zu verkneifen.

Doch es war nur einer der Pflegehelfer – dieses Mal.

Aber bald … bald würden die Deputies in Uniform kommen. Sie wusste es.

Sie hörte die leisen, gedämpften Schritte auf dem Linoleum, starrte aus dem Fenster und versuchte, nicht an das zu denken, was ihr bevorstand.

Trotz allem musste sie für eine Sache dankbar sein.

Sie saß nicht mehr bei ihrem Ehemann in diesem Haus in Oklahoma fest, und sie steckte nicht in jenem Krankenhaus, in dem er die völlige Kontrolle über sie gehabt hatte.

Eher würde sie freiwillig für ein Verbrechen, das sie nicht begangen hatte, ins Gefängnis gehen, als sich wieder zurück in diese Hölle zu begeben.

Wenigstens befand sich Joey nicht in der Nähe.

Wenigstens war sie ihm hier nicht ausgeliefert, in keinster Weise.

Das war schon verdammt viel wert.

Doch es genügte nicht. Je länger sie die tristen, weißen Wände des kleinen Krankenzimmers anstarrte, desto mehr ähnelten sie denen einer Zelle. Also starrte sie stattdessen aus dem Fenster. Es war eines mit Sicherheitsglas, das man nicht öffnen konnte – wobei sie es auch gar nicht erst versucht hatte.

Allerdings war die Krankenschwester nur allzu gern mit dieser Information herausgeplatzt, nachdem sie Hopes Blutdruck gemessen und ihr die medikamentöse Behandlung angeboten hatte – diesmal war es nur ein Angebot gewesen.

Niemand hatte erneut versucht, ihr die Spritze zwangsweise zu verabreichen.

Nicht seit Remy …

Sie schluckte und versuchte, nicht daran zu denken, nicht an ihn zu denken, denn es würde ihr überhaupt nicht guttun. So demütigend es auch gewesen war, dass er sie in dieser Lage gesehen hatte, das Ganze schien Wunder gewirkt zu haben. Ob er nun mit einem der Ärzte gesprochen hatte, nachdem er gegangen war, oder den Krankenschwestern einfach nur eine Heidenangst eingejagt hatte … jedenfalls war ihr seitdem nichts mehr aufgezwungen worden.

Keine Neuroleptika, keine Beruhigungsmittel, nichts. Wahrscheinlich lag es daran, dass er ein Juraexamen besaß. Genau wusste Hope es freilich nicht, und solange ihr keiner mehr irgendwelche Drogen verabreichte, die sie nicht brauchte, war es ihr auch egal.

Sie hatte einen klaren Kopf. Dafür sollte sie dankbar sein.

Und genau das wollte sie auch versuchen.

Irgendetwas sagte ihr allerdings, dass sie Remy Jennings nicht zum letzten Mal gesehen hatte, und wenn sie sich das nächste Mal gegenüberstanden, würde es nicht um irgendwelche Medikamente gehen, die ihr die Pfleger verabreichen wollten.

Nein, dann würde es um die erst wenige Tage zurückliegende Nacht gehen, in der man sie bewusstlos aufgefunden hatte, mit aufgeschlitzten Pulsadern, und um ihre Fingerabdrücke auf dem Baseballschläger, mit dem ein Mann fast zu Tode geprügelt worden war.

Und zwar ihr bester Freund – die Leute hier dachten tatsächlich, sie sei dazu fähig.

Und sie wollten sie dafür ins Gefängnis wandern sehen.

Hope schloss die Augen, ließ den Kopf aufs Kissen sinken und seufzte. Es würde nicht mehr lange dauern. Das hatte sie in den Augen des Arztes gelesen, als er sie tags zuvor untersucht hatte.

Mitgefühl, Wissen … und grimmige Zustimmung. Sie brauchte die medizinische Versorgung nicht mehr, die ihr im Krankenhaus zuteilwurde. Und sie würden sie nicht einfach irgendwo hinspazieren lassen, wo sie sie nicht im Auge behalten konnten.

In deren Augen hatte sie etwas Schreckliches getan, und es war an der Zeit, dass sie dafür büßte.

Aber ich habe nichts getan.

Ein trauriges, verzweifeltes Wimmern drohte sich Bahn zu brechen, doch sie schluckte es hinunter, fraß es in sich hinein. Auf keinen Fall würde sie sich kleinlaut deren Plänen fügen, aber die Hände ringen und jammern wollte sie auch nicht mehr.

Jetzt musste sie nur noch herausfinden, was sie stattdessen unternehmen sollte …

2

Borderline-Persönlichkeitsstörung.

Selbstmordgefährdet.

Bereits früher gewalttätig.

Manipulativ.

»Was auch immer die Leute in ihr sehen wollen, sie gaukelt es ihnen vor.«

Himmel, da musste etwas Wahres dran sein, denn irgendwie glaubte Remy felsenfest, dass sie nicht das war, was die Fakten über sie aussagten.

»Die Frau ist ziemlich durcheinander.«

Durcheinander.

Ja, dass Hope Carson ziemlich verwirrt sein musste, konnte er sich vorstellen.

Sie hatte sich die verfluchten Pulsadern aufgeschnitten, und anscheinend war das nicht der erste Selbstmordversuch gewesen.

»Sie hat schon früher versucht, sich umzubringen …«

»… Hope will keine Hilfe, sie sieht nicht ein, dass sie welche braucht.«

Sie hatte sich schon einmal das Leben nehmen wollen. Bei dem Gedanken drehte sich ihm der Magen um, und er wurde wütend.

Verflucht noch mal, zerbrich dir darüber nicht den Kopf, sondern mach einfach deine Arbeit.

Diese Worte gingen Remington Jennings immer wieder durch den Kopf, während er den langen Flur hinunterlief. Seine Schritte hallten durch den hell erleuchteten Gang, wobei die Geräusche von den Wänden zurückgeworfen wurden.

Es klang schrecklich einsam, fand er.

Sheriff Dwight Nielson und Sergeant Keith Jennings begleiteten ihn, ebenso zwei weitere Deputies. Doch eigenartigerweise fühlte sich Remy in diesem Augenblick jämmerlich allein.

Was zur Hölle tat er hier eigentlich?

Vor ihm lief der Sheriff mit strammen, bedachten Schritten. Der Mann machte keine überflüssige Bewegung und verschwendete keine unnötigen Worte.

Nicht einmal in dieser Situation.

Wozu auch?

Remy konnte sich jede verdammte Silbe denken, die dem Mann durch den Kopf ging.

Es dürfte so ziemlich Wort für Wort dasselbe sein, was Law Reilly ihm vierundzwanzig Stunden zuvor am Telefon erzählt hatte.

Die beiden waren einer Meinung – Hope Carson gehörte wegen des Angriffs auf Law nicht hinter Gitter, und die Beweise deuteten nicht darauf hin, dass sie Earl Prather umgebracht hatte. Dafür konnte man sie also nicht wegsperren.

Remys Bauchgefühl sagte ihm dasselbe – hier passte einfach nichts zusammen.

Was für ein verdammtes Pech, dass er sich nicht auf sein Bauchgefühl verlassen durfte.

Er musste sich an die Fakten halten … und die ergaben ein sehr düsteres Bild von Hopes Vergangenheit und ein äußerst beunruhigendes Persönlichkeitsbild.

Fakt war auch, dass sich ihre Fingerabdrücke auf der Waffe befanden, mit der Reilly fast zu Tode geprügelt worden war, und dass sie anschließend versucht hatte, sich umzubringen.

Und zwar nicht zum ersten Mal.

Nein … sie gehörte nicht hinter Schloss und Riegel, aber sie brauchte Hilfe.

»Man könnte sagen, sie hat eine aggressive Ader. Sie ist sehr manipulativ. Wenn sie ihren Willen nicht bekommt, wird sie labil und unberechenbar. Schwer zu sagen, was sie einem Menschen antun könnte, von dem sie meint, dass er ihr im Weg steht.«

Remy musste daran denken, wie Prather gestorben war.

Es war hässlich gewesen.

Eine Riesenschweinerei.

Und schmerzhaft noch dazu.

Hatte Prather ihr im Weg gestanden?

Remy dachte an jenen Tag auf dem Marktplatz zurück. Irgendjemand hatte sie angerempelt und sie war gestolpert, gegen einen Pflanzenkübel gestoßen und hatte den halb vertrockneten Ficus darin umgeworfen. Dann hatte Prather sie gestreift. Da war sie ausgeflippt – offenbar hatte sie ein Problem mit Menschen in Uniform, das war nicht zu übersehen.

Zur Rekonstruktion des Tathergangs lagen Lena Riddles Aussage und die Quittungen von ihrem gemeinsamen Einkaufsbummel vor. Zeitlich haute es nicht hin. Laut Lena war Hope fast den ganzen Tag mit ihr zusammen unterwegs gewesen, dennoch … irgendetwas stimmte hier nicht, und er musste herausfinden, was das war.

Neugierig fragte er an Nielsons Hinterkopf gewandt: »Wie verhält sie sich in Ihrer Gegenwart?«

»Ruhig.« Der Sheriff sah kurz über die Schulter nach hinten. »Sie sagt fast nichts. Selbst wenn ihr Pflichtverteidiger da ist, will sie nicht reden. Nur während Lenas Krankenbesuchen macht sie wirklich den Mund auf – sie fragt viel nach Law, aber außer Lena erzählt ihr keiner was von ihm.« Der Sheriff seufzte.

Keith, einer von Remys zahllosen Cousins, warf ihm einen betrübten Blick zu. »Anscheinend mag sie keine Uniformen. Sie schaut mir nicht mal in die Augen – genauso wenig wie den anderen. Bei King ist sie auch ziemlich still, aber das ist wohl einfach ihre Art. In seiner Gegenwart scheint sie nicht so nervös zu sein wie in meiner.«

»Nervös?«, fragte Remy stirnrunzelnd. Er wusste bereits, dass Leute in Uniform ihr Angst einjagten – vor allem die Jungs in Blau und auch jene in hellbrauner Dienstkleidung, etwa die Bezirksdeputies. Aber er wollte Nielsons und Keith’ Meinung hören.

»Mensch, Remy, du weißt genau, was ich meine.« Keith zuckte mit den Schultern. »Du hast mit Sicherheit schon gemerkt, wie zappelig sie wird, wenn jemand in Uniform da ist. Da erzähl ich dir doch nichts Neues.«

Remy schaute den Gang hinunter. Keine sechs Meter entfernt stand ein uniformierter Officer vor Hopes Zimmertür.

Hope. Verdammt. Für ihn war sie schon nur noch Hope, nichts anderes.

Nicht die Verdächtige.

Nicht Miss Carson.

Nur Hope … mit den meergrünen Augen und langen, seidigen, braunen Haaren.

Hope.

Scheiße.

Scheiße.

Scheiße.

Er durfte sie in Gedanken nicht weiter Hope nennen. Die Frau wurde der gefährlichen Körperverletzung verdächtigt, und sie war schon früher psychisch labil gewesen. Doch er schaffte es einfach nicht, sie als Verdächtige zu betrachten.

Außerdem – auch wenn es zeitlich nicht passte, konnte er nicht ausschließen, dass sie Earl Prather umgebracht hatte oder zumindest irgendwie an dem Mord beteiligt gewesen war.

Sie stellte eine Gefahr dar, das musste er im Hinterkopf behalten.

Vielleicht war er hier der psychisch Labile.

Wäre er allein gewesen, hätte er kurz innegehalten, um sich im Stillen zu ohrfeigen und es sich noch einmal ganz fest vorzunehmen: Er durfte nicht über Hope Carson nachdenken, weder über ihr langes, seidiges Haar noch über ihre großen, traurigen Augen oder darüber, wie gern er sie an sich ziehen und ihr versprechen wollte, dass … was auch immer. Alles würde er ihr versprechen …

Tatverdächtig, rief er sich in Erinnerung.

Schlechtes Timing, meldete sich sein Sexualtrieb zu Wort – und da regte sich noch etwas in ihm … etwas, dem er lieber nicht auf den Grund ging. Sie war nicht in der Stadt, als Prather gestorben ist, schon vergessen? Sie hat ein Alibi.

Sicher, es war kein absolut wasserdichtes Alibi, aber es reichte auf jeden Fall, um Zweifel aufkommen zu lassen.

Und glaubst du wirklich, dass sie Reilly Schaden zufügen könnte? Sie himmelt ihn an, als wäre er eine Art Gott.

Sein gesunder Menschenverstand, der Anwalt und allerlei andere kontrollsüchtige Instanzen in ihm hielten dagegen: Schön, na und? Selbst wenn sie Prather nicht umgebracht haben sollte, ist sie mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit auf Reilly losgegangen. Ja, sie betet ihn an wie einen Gott. Was passiert also, wenn sie merkt, dass er gar nicht so anbetungswürdig ist – wenn er sie enttäuscht? Dann wird sie sauer.

Finde dich damit ab, Mann. Du kannst nicht scharf auf eine Frau sein, die nicht ganz richtig tickt.

Verflucht noch mal.

Gesunder Menschenverstand konnte einem ganz schön auf die Nerven gehen.

Remy glaubte fest an die Stimme der Vernunft. Er mochte sie. Er hörte auf sie. Wenn mehr Menschen auf die Stimme der Vernunft hören würden statt auf ihre Triebe, ihre Gier, ihre Dummheit … tja, dann hätte er vermutlich nicht so viel zu tun. Das war eben sein Schicksal. Anwälte verdienten ihr Geld aufgrund der Unvernunft anderer Leute.

Jetzt riet ihm sein Verstand, in Hope Carson nicht die hübsche junge Frau mit den traurigen grünen Augen zu sehen. Er durfte einzig und allein daran denken, dass sie unter einem Dach mit einem Toten und einem Mann, dessen Leben nur noch am seidenen Faden gehangen hatte, aufgefunden worden war.

Und es konnte nicht schaden, sich in Erinnerung zu rufen, was für eine verkorkste Vergangenheit sie hatte – derartige Probleme konnte er wirklich nicht gebrauchen. Große grüne Augen, dieses lange braune Haar, ein trauriges Lächeln, unwiderstehliche Schönheit – nichts davon war den Ärger wert, den sie mit sich brachte.

Etwas an ihr weckte in ihm zugleich das Bedürfnis, sie an sich zu ziehen, sie zu beschützen und sie zu vögeln … Doch, nein, das sollte er lieber vergessen und auf seinen Verstand hören.

Ja. Genau das war das Gebot der Stunde.

Aus irgendeinem seltsamen Grund sagte ihm sein Verstand jedoch etwas völlig anderes als sein Instinkt. Wenn er auf seinen Verstand hörte, sollte er – wie nicht anders zu erwarten – den sicheren Weg wählen und sich wie ein Anwalt benehmen. Schließlich war Hope eine Verdächtige.

Aber sein Instinkt …

Aus einem Bauchgefühl heraus betrachtete Remy die anderen Männer genauer, vor allem Nielson. Obwohl der Sheriff nichts in dieser Richtung geäußert hatte, war sein Widerwille der ganzen Sache gegenüber beinahe greifbar.

»Warum halten Sie sie für unschuldig?«, fragte Remy leise.

Nielson hob eine Augenbraue. »Wer behauptet, dass ich sie für unschuldig halte?«

»Ich kann eben eins und eins zusammenzählen.«

Der Sheriff verzog den Mund zu einem Grinsen, und obwohl er nicht ein einziges Wort sagte, war die Botschaft klar. Sie haben die Verhaftung doch angeordnet …

Verdammt. Was hatte er denn für eine Wahl?

Sie mochte Prather nicht getötet haben, aber er konnte nicht die Beweise ignorieren, denen zufolge sie in den Überfall auf Reilly verwickelt war.

Seit Jahren hatte sie psychische Probleme, und so gern er glauben wollte, dass in ihren traurigen grünen Augen die Wahrheit lag, wusste Remy auch, dass psychisch labile Menschen ziemlich überzeugend sein konnten, und er würde sich nicht verarschen lassen.

»Jennings.«

Er konnte die tiefe, heisere Stimme nicht auf Anhieb zuordnen und sah über die Schulter.

Dann blinzelte er. Langsam drehte er sich ganz um und beobachtete, wie Law Reilly Schritt für Schritt aus dem Aufzug humpelte. Hinter ihm schloss sich die Fahrstuhltür.

Der Mann war leichenblass – verflucht, er konnte von Glück sagen, dass er am Leben war. Vor weniger als zweiundsiebzig Stunden hatte er noch im Koma gelegen, und die Ärzte waren nicht sicher gewesen, ob er wieder aufwachen würde.

Eigentlich sollte er noch längst nicht wieder auf den Beinen sein, was unter anderem daran deutlich wurde, dass er beinahe zu Boden ging, ehe er das Geländer an der Wand zu fassen bekam und sich mit einer Hand daran festklammerte.

Die haselnussbraunen Augen funkelten besorgniserregend hell in seinem Gesicht, und seine Haut besaß diesen hässlichen, käsigen Grauton.

Um seinen Mund lag jedoch ein grimmig entschlossener Zug. Wenn Law es schon zu Remy in den Flur geschafft hatte, war anzunehmen, dass er es vielleicht auch auf einen Versuch ankommen lassen würde, ihm eine reinzuhauen.

Remy seufzte tief. »Verflucht, Reilly, Sie sollten sich in der Horizontalen befinden.«

»Wenn Sie einen meiner Anrufe entgegengenommen hätten, dann würde ich das jetzt auch tun«, blaffte Law zurück.

»Wir haben doch gestern miteinander gesprochen.«

»Ja, und dann erfahre ich, dass Sie heute hier auftauchen würden.« Law grinste ihn höhnisch an. »Na, so was, warum wohl?«

»Darüber sollten Sie sich erst mal keine Gedanken machen. Sie müssen sich erholen. Gesund werden. Ich wollte morgen mit Ihnen sprechen«, antwortete Remy. Wenn er das Unvermeidliche hinter sich gebracht hätte.

Großer Gott, der Kerl war doch erst seit zwei Tagen wach. Um diese Angelegenheit sollte er sich nun wirklich nicht kümmern, sondern sich lieber darauf konzentrieren, wieder ganz auf die Beine zu kommen.

»Morgen.« Law kräuselte die Lippen. »Morgen. WennSie meine beste Freundin längst verhaftet haben, weil sie mich angeblich halb tot geprügelt hat. Wenn Sie mich fragen, ist das völliger Unsinn, bloß eine Verschwendung von Steuergeldern.«

Ungeduldig trommelte Remy auf seiner Aktentasche herum. Das lief nicht gerade wie geplant. Er wollte es endlich hinter sich bringen und fertig.

Er wollte nicht mehr über Hope nachdenken müssen, über all die Probleme, die sie mit sich herumschleppte … und die sie noch erwarteten. Und auch nicht über ihr Verhältnis zu Law. Himmel, im Grunde wäre es für ihn das Beste, sie einfach zu vergessen.

»Hören Sie, Reilly, mir ist klar, dass Sie sauer sind … aber ich muss meine Arbeit erledigen. Wir haben Beweise …«

»Einen Scheißdreck haben Sie«, unterbrach Law ihn. »Einen Scheiß. Sie stand vor mir, verdammt. Begreifen Sie das? Sie stand vor mir, als mich jemand von hinten niedergeschlagen hat. Ich habe Prathers Leiche drei Meter hinter ihr auf dem Boden liegen sehen, und dann hat mir jemand von hinten eins übergezogen. Hope ist eine kluge Frau, und ich hab sie schon immer für was Besonderes gehalten, aber auch sie kann nicht an zwei Orten gleichzeitig sein, Jennings.«

Der Mann ballte wütend die Faust und starrte Remy an, als würde er sie ihm am liebsten ins Gesicht rammen. Wenn er nicht knapp davor gewesen wäre, zusammenzubrechen, hätte er es wohl auch versucht.

Laws Version klang seltsam, und ja, sie gab Remy auf jeden Fall zu denken, aber Reilly würde vermutlich alles tun, um Hope zu beschützen. Schlichtweg alles.

Seufzend erwiderte Remy: »Hören Sie, ich weiß, dass Sie Miss Carson mögen und ihr helfen wollen, aber Fakten sind Fakten, und die lassen nun mal nur den Schluss zu, dass …«

Remys Handy klingelte. Geistesabwesend zog er es aus der Tasche und wollte es gerade abschalten, als er die Nummer auf dem Display sah.

Es war das Labor.

Stirnrunzelnd machte er eine entschuldigende Geste und nahm den Anruf an.

Sie hörte ihre Stimmen, schwach und undeutlich, aber sie erkannte sie trotzdem.

Remy und Nielson auszumachen, war nicht schwer.

Ein Schaudern überkam sie. Hope zog die Knie an den Körper und ermahnte sich selbst – nicht weinen, nicht weinen, nicht weinen …

Als ihre Zimmertür aufging, zuckte sie unwillkürlich zusammen, obwohl sie die Arme immer noch fest um den Körper geschlungen hielt. Sie hatte es kommen sehen. Hatte gewusst, dass …

Der Sheriff.

Das war bestimmt der Sheriff.

Er kam, um sie zu verhaften, auch wenn sie seltsamerweise das Gefühl hatte, dass er ihr sogar glaubte.

Doch er war es nicht.

Jemand anderes betrat den Raum – auf wackligen Beinen, mit wirrem Haar, einem ungepflegten Bart und Augen, die viel zu alt wirkten. Er trug einen Gips am rechten Unterarm – und Hope war überzeugt, sobald er nicht mehr so große Schmerzen hätte, würde es ihm tierisch auf die Nerven gehen, derartig in seinen Bewegungen eingeschränkt zu sein. Falls es ihm nicht schon längst auf die Nerven ging.

Doch der Arm war nicht das Schlimmste.

Sein Gesicht, zerschrammt und zerschunden, sah viel übler aus. Die ihr so vertrauten Züge …

»Oh Gott«, flüsterte sie und schlug sich die Hand vor den Mund.

Law.

Sie wollte aus dem Bett klettern, doch die Fessel um einen ihrer Knöchel hinderte sie daran. Fluchend starrte Hope ihren Freund einfach nur an. »Law«, flüsterte sie.

Daraufhin schenkte er ihr ein unsicheres Grinsen, schleppte sich ans Bett und sank auf die Matratze. »Hallo Kleines«, sagte er völlig außer Atem.

Sie streckte die Hände nach ihm aus, und als er ihr seinen gesunden Arm um die Schultern legte, fing sie an zu weinen. Oh Mann. Sie hatte solche Angst gehabt. Solche Angst.

Sie schluchzte immer heftiger, bis sie beinahe daran erstickte.

»Schscht …« Law strich ihr über den Hinterkopf und murmelte mit sanfter Stimme beruhigende Worte. »Ist ja gut, Süße. Es wird alles wieder gut.«

Das nahm sie ihm nicht ganz ab, aber immerhin konnte sie jetzt daran glauben, dass es ihm wieder gut gehen würde.

Fürs Erste reichte ihr das.

»Bist du sicher?«

Dotti Coltrane musterte ihn über den Rand ihrer Lesebrille hinweg, und leichte Verärgerung lag in ihrem Blick. »Hör mal, Süßer, hätte ich dich vielleicht angerufen, wenn ich nicht sicher wäre?« Sie seufzte – unverwechselbar und mit der klaren Botschaft: Ich bin umgeben von Trotteln –, wobei sieihm die Laborergebnisse hinschob.

Mit einem in grellem Neongrün lackierten Fingernagel tippte sie auf den Papierstapel und fügte hinzu: »Der Großteil der Proben ist vom Typ AB, das ist Hope Carsons Blutgruppe. Aber eben nicht alle. Es gab auch welche vom Typ 0. Das war nicht ganz leicht rauszukriegen, wir sind hier ja schließlich nicht das FBI. Wenn diese ganze Sache nicht so absurd wäre, hätten wir wahrscheinlich gar nicht so genau hingeschaut. Auf den ersten Blick scheint es ziemlich simpel – sie schlitzt sich die Pulsadern auf, fällt hin, schlägt sich den Kopf an. Kein Wunder also, dass sie Blut im Haar hat. Wir haben allerdings nicht nur Blut gefunden.« Sie holte einen kleinen Objektträger hervor. »Es war auch Körpergewebe dabei. Was ich nicht verstehe, ist, wie sie sich den Kopf anschlagen kann und dann noch Gewebezellen einer anderen Person in ihr Haar gelangen sollen, Remy. Das überzeugt mich nicht. Demnach müsste sie es irgendwie geschafft haben, sich mit demselben Baseballschläger, mit dem sie ihren Freund verprügelt hat, selbst auf den Hinterkopf zu hauen – das passt doch hinten und vorne nicht zusammen.«

Remy rieb sich den Nacken.

Nein, ihn überzeugte das auch nicht. »Und ich muss wohl nicht nachfragen, ob du sicher bist, dass das Gewebe nicht von ihr stammt?«

Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

»Also gut.« Er stieß einen Seufzer aus, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte vor sich hin, spielte im Geiste mögliche Szenarien durch und verwarf sie gleich wieder. »Bleibt die Frage: Was geht hier überhaupt vor sich?«

Dotti sah ihn über die Brille hinweg scharf an, Aufregung spiegelte sich in ihrem Blick. »Ich glaube, wir haben es mit einem Täuschungsmanöver zu tun, Remy. Ohne Witz.«

»Glaubst du.« Er schaute sie mit schmalen Augen an, dann las er den Bericht erneut. Während der Anwalt in ihm bildlich gesprochen fluchend und krakeelend auf und ab hüpfte, verschwand das flaue Gefühl im Magen allmählich.

So klang das alles für ihn sehr viel sinnvoller.

So hatte er nicht länger den Eindruck, dass er versuchte, einen dicken, eckigen Bolzen durch ein kleines rundes Loch zu pressen.

So kam es ihm nicht vor, als würde er eine unschuldige Frau mies behandeln.

Sie hatte es nicht getan.

Innerlich stieß er vor Erleichterung hundert stumme Schreie aus. Er schenkte Dotti ein Lächeln. »Danke«, murmelte er und nahm den Bericht. »Kann ich den haben?«

»Jepp.« Sie schob die Brille auf ihrer Nase höher und wandte sich dem Bildschirm vor ihr zu. »Weißt du, ich mag Reilly. Er ist ein komischer Kauz – ziemlich verschlossen und so, aber ich mag ihn. Mir scheint, dass er eine gute Menschenkenntnis besitzt. Der lässt sich nicht mit einer Verrückten ein, Rem. Der nicht.«

Remy ließ das so stehen.

Ob Hope Carson Reilly nun angegriffen hatte oder nicht, so oder so gab es in ihrer Vergangenheit einige ungewöhnliche Vorkommnisse. Der Gedanke, sie nicht auf die Anklagebank zerren zu müssen – denn jetzt hatte er genug in der Hand, um das vermeiden zu können – linderte den Schmerz in seiner Brust. Doch er verschwand nicht völlig.

Allein ihr Anblick weckte Bedürfnisse in ihm, die er gar nicht mehr gekannt hatte. Doch solche Gefühle für sie konnte er sich nicht erlauben.

Mit einem Seufzen verstaute er den Bericht in seiner Aktentasche.

Er musste mit dem Sheriff sprechen, sich um den Papierkram kümmern und Hope Carson mitteilen, dass es ihr freistand zu gehen.

Vielleicht würde sie sich dazu entschließen, die Stadt zu verlassen.

Das wäre das Beste, ging es ihm durch den Kopf.

Für alle Beteiligten.

Ja.

Verlass die Stadt, Hope … fahr einfach wieder weg.

Wenngleich der Gedanke, nie wieder in diese traurigen grünen Augen zu schauen, seinem Herzen einen Stich versetzte.

3

Diese Frau gehörte nicht hierher.

Er beobachtete, wie sie mit einem schlichten, zweckmäßigen Wagen in die Stadt fuhr. Auch ohne das Schild am Kofferraum roch man zehn Meilen gegen den Wind, dass es sich um einen Mietwagen handelte. Oder um eine Zivilstreife.

Aber Bullen erkannte er auf den ersten Blick, und sie war keiner.

Das dunkelblaue Auto wirkte langweilig und schlicht, es schien zu sagen: Vergiss, dass du mich je gesehen hast. Damit passte es überhaupt nicht zu der Frau, die aus dem Wagen stieg. Sie war alles andere als langweilig, und sie gehörte auch nicht zu der Sorte, die man schnell wieder vergaß.

Sie war … ziemlich hübsch, fand er. Groß und schlank, ihr Teint hatte die Farbe von Milchkaffee, das Haar trug sie kürzer, als er es mochte, aber es stand ihr. Ihre Schultern und Hüften waren ein bisschen zu breit, aber auch das passte einfach. Sie sah … stark aus. Und dennoch wirkte sie sehr, sehr weiblich mit ihren endlos langen Beinen, den üppigen Brüsten und einem super Hintern.

Er fragte sich, wie sie wohl hieß und was sie hierher geführt hatte.

Seltsamerweise trug sie keine Handtasche, anders als die meisten Frauen. Sie strahlte eine Stärke aus, die ihn faszinierte. Doch als sie auf die Polizeiwache zuging, schien sie verunsichert, wurde langsamer und blieb schließlich stehen. Sie ließ die kräftigen Schultern sinken, als trüge sie eine furchtbare Last. Dann, keine fünfzehn Sekunden später, hob sie den Kopf, nahm Haltung an und starrte auf das Gebäude.

Wer bist du?, fragte er sich.

Nur zu gern hätte er ihren Namen erfahren.

Dann setzte sie sich wieder in Bewegung, langsam, aber zielstrebig. Einen Schritt nach dem anderen.

Einen Schritt nach dem anderen, Nia, sagte sie sich.

So wurde man mit so einer Scheiße fertig: Indem man es einfach hinter sich brachte – Schritt für Schritt.

Sie verspürte eine seltsame Leere im Magen, und ihre Augen waren merkwürdig trocken.

Ihr war klar, was man ihr da drinnen sagen würde.

An diesem Morgen hatte sie in einem langweiligen, nichtssagenden Hotelzimmer die Augen aufgemacht und gewusst, dass ihre Cousine tot war.

Joely war tot.

Und zwar schon seit knapp zwei Wochen. Obwohl der Sheriff nichts Genaues gesagt hatte, wusste Nia, dass Joely kein leichtes Ende beschieden gewesen war.

Innerhalb der nächsten Minuten würde Nia nun die Einzelheiten erfahren. Gleich sollte sie ihre Cousine wiedersehen, und irgendwie ahnte sie, dass dies eine Narbe hinterlassen würde – auf ihrem Herzen, auf ihrer Seele.

Geh einfach weiter, Nia. Einen Schritt nach dem anderen …

Schneller, als es ihr lieb war, erreichte sie die Eingangstür und ging hinein. Kühle Luft schlug ihr entgegen, und sie erschauerte. Natürlich wusste sie, dass es draußen höllisch heiß war – sie hatte schon des Öfteren erlebt, wie anstrengend das Wetter in Kentucky sein konnte, oft stieg das Thermometer auf über zweiunddreißig Grad und dazu herrschte eine absurd hohe Luftfeuchtigkeit. Dennoch war ihr zurzeit immer kalt. Auch jetzt fror sie, während der Schweiß auf ihrer Haut trocknete und die Klimaanlage auf sie einpustete.

Einen Schritt nach dem anderen … und noch einen.

Weiter vorn sah sie eine kleine ältere Frau mit einem Helm aus grauen Haaren und unglaublich hellen Augen.

Ihre Blicke trafen sich, und Nia wich instinktiv in das nächste offene Zimmer aus.

Als sie im Türrahmen stehen blieb, fiel ihr das Schild mit der Aufschrift Sheriff Dwight Nielson an der matten Glastür ins Auge.

Muss mein Glückstag sein, dachte sie düster.

Sie schluckte trocken und sagte: »Sheriff Nielson?«

Ein Schockzustand war eigentlich nicht das Schlechteste, dachte Nia zusammenhangslos.

Sie schloss die Augen, und die Tränen, die darin gebrannt hatten, quollen unter ihren Lidern hervor und kullerten ihr über die Wangen. Sie wollte nicht hier sein, wollte nicht neben ihrer Cousine stehen und auf deren geschundenen Körper starren.

Joely war geschlagen worden und fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt.

Ihre Haare, diese schönen rotbraunen Haare, sollten nicht so aussehen – sie waren zu kurz. Warum hast du sie abgeschnitten, Süße?, fragte sich Nia hohl, und sie strich Joely mit zitternder Hand über den Kopf.

So sollte es nicht sein. Nichts hier sollte so sein, nicht Joelys verquollenes Gesicht, nicht das kurze Haar.

Nia erkannte sie kaum wieder.

Sie schluckte, hob den Kopf und flüsterte: »Ich glaube, sie ist es. Aber … kann …« Sie stockte und holte tief Luft. »Ich muss ihre Schulter sehen, ihr rechtes Schulterblatt.«

Der Sheriff und der Gerichtsmediziner sahen einander an, dann rollten sie die Leiche gemeinsam auf die Seite.

Der Anblick dieses fröhlich bunten Tattoos auf Joelys blasser Haut traf Nia wie ein Dolch ins Herz. Sie wollte schreien, wollte auf irgendetwas einschlagen – irgendetwas kaputtmachen. Sie hätte gern geweint … doch sie wusste, sie würde zusammenbrechen, wenn sie sich das gestattete.

Flach atmend wandte sie den Blick ab.

Joely. Es war Joely … sie erkannte zwar das misshandelte, blutunterlaufene Gesicht nicht wieder, und auch die Frisur stimmte nicht. Aber dieses Schmetterlingstattoo war unverkennbar.

Nia hatte genau das gleiche. Joelys prangte auf der rechten Schulter, Nias auf ihrer linken. Sie hatten sie sich in den Frühjahrsferien stechen lassen, während ihres letzten Jahrs an der Highschool … und dann zwei Wochen Hausarrest dafür gekriegt.

Mit zitternder Hand berührte sie den Schmetterling.

Als sie Joelys kalte Haut unter ihren Fingerspitzen spürte, durchfuhr es Nia wie ein Schock.

So sollte sich kein menschlicher Körper anfühlen.

Niemals.

Joely …

Bevor sich ein Schluchzer ihrer Kehle entringen konnte, biss sie sich so heftig in die Wange, dass sie Blut schmeckte.

Dann drehte sie sich zum Sheriff und zum Gerichtsmediziner, die sie abwartend ansahen. »Es ist meine Cousine. Jolene Hollister. Joely.«

Der Sheriff legte ihr mitfühlend eine Hand auf die Schulter. »Es tut mir schrecklich leid, Miss Hollister.«

Nia nickte. Sie presste die Lippen zusammen und fuhr sich gedankenverloren über den Hals. »Sie … ähm, sie trug eine Kette. Jeden Tag. Die hat sie nie abgenommen – sie gehörte ihrer Mutter. Eine Goldkette mit einem Herzanhänger …?«

»Eine Kette hatte sie nicht um, den Verlobungsring allerdings schon. Wir haben ihn verwahrt – darum kümmern wir uns noch, bevor Sie fahren.«

»Okay.« Ihre Stimme war lediglich ein schwaches Flüstern. Sie räusperte sich und versuchte, all ihre Kraft zusammenzunehmen. Joely …

Tränen brannten ihr in den Augen. Doch sie blinzelte sie fort, konzentrierte sich auf einen Punkt an der Wand, bis sie sicher war, dass sie nicht losweinen würde, wenn sie den Mund aufmachte. Die Schreie wollten, mussten hinaus, aber sie würde sie nicht herauslassen – noch nicht. Nicht hier.

Unmittelbar unter ihrer Trauer verbarg sich heiße, brennende Wut. Und darin fand sie die Kraft, die sie brauchte. Sie konzentrierte sich auf ihre Wut, gab sich ihr hin.

Wut war so viel einfacher als Trauer, viel einfacher zu zügeln, einfacher zu kanalisieren.

»Welches Schwein war das?«

»Muss hart gewesen sein.«

Nielson sah auf, und Keith verzog das Gesicht, als er den Ausdruck in den Augen des Sheriffs sah. »Hart?«, wiederholte Nielson. »Nein. Einem Mann mitteilen zu müssen, dass sein preisgekrönter Jagdhund überfahren wurde, ist hart. Das hier war überaus grausam.«

Beide beobachteten, wie Nia Hollister in ihren Mietwagen stieg.

»Sie hat fast gar nicht geweint«, bemerkte Nielson, während sie die Tür zuschlug. »Kaum eine Träne.«

Jennings atmete hörbar aus. »Schwer zu sagen, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist. Weinende Angehörige sind nicht gerade meine Lieblingsfälle, aber alles in sich reinzufressen, tut den Leuten auch nicht gut.«

»Ich habe die ganze Zeit darauf gewartet, dass sie zusammenbricht. Ist aber nicht passiert.« Nielson rieb sich über den kahlen Schädel und schüttelte den Kopf. »Das war mit das Schlimmste, was ich je tun musste.«

Er hatte sich dafür gewappnet, ihr beizustehen und so gut wie möglich zu helfen, falls sie die Nerven verlieren sollte. Doch dann war ihm nichts anderes übrig geblieben als zuzusehen, wie sie diesen Kummer tief in sich vergraben und ihre Wut die Oberhand hatte gewinnen lassen. Das war nicht gut. Manchmal half der Zorn einem Menschen zwar, die schiere Hölle durchzustehen, aber dieses Funkeln in ihren Augen hatte ihn beunruhigt.

Es konnte gut sein, dass sie noch für Schwierigkeiten sorgen würde. Für ernsthafte Schwierigkeiten.

Und noch mehr Ärger konnte er im Moment herzlich wenig gebrauchen.

Doch für den Moment war sie erst einmal im Begriff, wegzufahren. Nia Hollister musste eine Cousine beerdigen, und dafür würde sie ihre ganze Kraft brauchen.

Ohne sich noch einmal umzudrehen, startete sie den Motor. Er sah zu, wie sie ausparkte und sich in den Verkehr einfädelte, der über den kleinen Marktplatz floss. Diese Frau hatte einen sehr schweren Tag.

Und so bald würde es für sie bestimmt auch nicht unbedingt einfacher werden.

Es gab nichts, was er ihr hätte sagen können.

Keine neuen Entwicklungen.

Keine Hinweise.

Keine Verdächtigen.

Dabei war das Erste, was er für Nia Hollister tun musste, ihrer Cousine Gerechtigkeit zu verschaffen. »Kommen Sie, Jennings. Wir haben einen Fall aufzuklären.«

Sie gingen in sein Büro, wo das kleine Team wartete, das er zusammengestellt hatte. Nielson wünschte, er hätte genug Männer für eine richtige Spezialeinheit gehabt, aber im Bezirk Carrington passierte nicht oft ein Mord. Und wenn es nach ihm ging, konnte es offen gestanden bei diesem einen bleiben.

Als er und Jennings das Büro betraten, verstummten die drei Deputies.

»Halten wir’s so kurz wie möglich«, begann Nielson und schaute jeden von ihnen nacheinander an. Dann setzte er sich hinter seinen Schreibtisch, holte einen Ordner hervor und legte ein Bild von Jolene Hollister vor sich hin.

Es ging auf sieben Uhr zu, und er war hundemüde. Er wollte nach Hause, ein kaltes Bier trinken, ein Sandwich essen und sich mit etwas anderem als einem hübschen toten Mädchen beschäftigen.

Bloß ging ihm das hübsche tote Mädchen nicht mehr aus dem Sinn.

Er starrte auf ihr Gesicht, seufzte und sah auf. Nielson musterte seine Leute. Keiner von ihnen besaß die notwendige Ausbildung für so etwas. Himmel, die hatte nicht einmal er. Ihm waren schon einige Todesfälle untergekommen, aber so etwas noch nie. Er hatte sich mit betrunkenen Autofahrern herumschlagen müssen, mit Unfallflucht, eifersüchtigen Ehemännern, ausrastenden Angestellten und Ähnlichem.

Er starrte auf das Hochglanzfoto auf seinem Tisch, doch es wurde von dem Bild der toten Jolene Hollister überlagert.

Was man dieser Frau angetan hatte, war … niederträchtig.

Und höchstwahrscheinlich ging es auf das Konto von jemandem aus seiner Stadt.

Das machte ihn echt stinksauer.

»Sie sieht so jung aus.«

Nielson schaute auf und begegnete dem Blick von Deputy Ethan Sheffield. Der war zwar einer seiner jüngsten und unerfahrensten Mitarbeiter, doch er besaß einen scharfen Verstand. Nielson hoffte bloß, dass er sich nicht in dem Mann täuschte. »Ihrem Mörder war ihr Alter egal«, erwiderte der Sheriff leise. »Ihm war egal, dass ihr ganzes Leben noch vor ihr lag. Er wollte sie, alles andere kümmerte ihn nicht.«

»Warum?«

Nielson sah stirnrunzelnd zu Keith. »Warum?«

»Ja. Warum wollte er sie?« Keith beugte sich vor und tippte auf das Foto. »Wir haben hier keine topmoderne Ausrüstung, keine Profiler, nicht die Ausbildung wie die Jungs von der State Police oder vom FBI. Also können wir nur unserem Instinkt folgen, dem nachgehen, was wir wissen. Wir müssen herausfinden, warum er sie wollte.«

Nielson lehnte sich lächelnd zurück. »Ja, genau das müssen wir klären.« Er fuhr sich übers Kinn und murmelte: »Wir haben vielleicht keine moderne Ausstattung, keine Profiler-Abteilung und keine teure Ausbildung, aber wir brauchen auch keinen Elite-Abschluss, um unsere Gehirnzellen zu benutzen. Niemand von Ihnen ist auf den Kopf gefallen. Deswegen sind Sie hier. Wir müssen herausfinden, warum er es auf dieses Mädchen abgesehen hatte.«

Dann beugte er sich vor und betrachtete die Züge der jungen Frau.

Irgendetwas an ihrem Gesicht kam ihm seltsam vor – und zwar schon seit er das Führerscheinfoto von ihr zum ersten Mal gesehen hatte. Vor einigen Tagen hatte er allerdings eine viel bessere Aufnahme bekommen, eine neuere, weniger gestellte – und bei dem Anblick waren ihm kalte Schauer den Rücken hinuntergelaufen.

Ihre Augen waren haselnussbraun, und auf dem Bild trug sie eine Brille mit Drahtgestell, doch das Gesicht …

Er stieß einen Seufzer aus und blätterte die Mappen auf seinem Tisch durch, bis er die richtige fand. Darin lag ein anderes Foto. Die Frau darauf war einige Jahre älter, auch wenn man es ihr kaum ansah.

Sie hatten denselben zarten, blassen Teint und ähnliche Gesichtszüge. Selbst die Haarfarbe, ein ungewöhnlicher Farbton, stimmte fast überein. Das Opfer trug das lange Haar auf dem Bild hochgesteckt. Als sie sie gefunden hatten, war es viel kürzer gewesen, aber das musste nichts heißen.

Er zupfte an seiner Unterlippe, während er den Bericht überflog, bis er auf die Informationen stieß, die er brauchte.

Die Größe war fast genau gleich, das Gewicht lag nur wenige Kilo darunter.

Er nahm das Foto aus der Mappe, drehte es herum und legte es neben jenes Bild von Jolene Hollister, das er kürzlich erhalten hatte. Dann sah er seine Männer an.

»Was fällt Ihnen auf?«

Ein kleines bisschen Gold sollte eigentlich nicht so viel wiegen.

Seufzend saß Ezra King auf der Bettkante und starrte auf das Goldkreuz. Er hatte es vor ein paar Wochen halb verbuddelt im Schlamm gefunden, ungefähr zehn Meter von seinem Haus entfernt – das zu diesem Zeitpunkt in Flammen gestanden hatte.

»Erzählst du mir, was dich so bedrückt?« Eine weiche, starke Hand strich ihm zärtlich über den Rücken, und er sah genau rechtzeitig über die Schulter, um einen Blick auf Lenas nackten Körper zu erhaschen, bevor sie sich an ihn kuschelte.

Er lächelte, als sie die Arme um ihn schlang. »Hey, ich bin gerade neben einer wunderschönen Frau aufgewacht. Was sollte mich da bedrücken?«

»Ezra.« Sie schmiegte ihre Wange an seine und wartete ab.

Es war fast unheimlich, wie gut sie ihn bereits kannte.

Sie waren erst seit wenigen Wochen zusammen und kannten sich gerade mal ein paar Monate. Vor gut einem Jahr hatte er noch bei der State Police in Lexington gearbeitet.

Da von seinem Haus nur noch ein Häufchen Asche übrig war, wohnte er seit einigen Tagen bei ihr, und ehrlich gesagt fiel es ihm schwer, sich noch ein Leben ohne Lena Riddle vorzustellen.

Er dachte schon an so verrückte Dinge wie Verlobungsringe und Hochzeitsfeiern, stellte sich vor, für den Rest seines Lebens neben ihr aufzuwachen. Ezra liebte sie – war bis über beide Ohren in sie verschossen und wollte sie nie wieder gehen lassen.

Er hatte sich schnell und heftig in sie verknallt, und seine Gefühle wurden mit jedem Tag stärker.

Weil sie es bestimmt wissen wollen würde und weil er im umgekehrten Fall jede ihrer Lasten mit ihr hätte teilen wollen, konnte er das hier nicht vor ihr geheim halten. Die Sache lag ihm zu schwer auf dem Herzen.

Seufzend streichelte er ihr über den Arm. »Brody Jennings.«

»Was ist mit ihm?« Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Brody ist einfach ein armer, verwirrter Junge, mein Hübscher.«

Ezra schnitt eine Grimasse. Ein armer, verwirrter Junge – ja, das war eine ganz gute Beschreibung von Brody Jennings. Bloß geriet dieser arme Junge allmählich außer Kontrolle. Und zwar völlig. Ezra betrachtete das Goldkreuz. Er war felsenfest davon überzeugt, dass es dasselbe war.

»Ich habe ihn letzte Woche, an dem Tag, als Law wiederkam, in der Stadt gesehen«, erzählte er leise. »Da bist du mit Hope über den Markt gelaufen. Remy war bei ihm und wollte mit mir reden. Er meinte, wenn ich Zeit hätte, würde er Brody zu mir schicken, damit der Junge den Schaden in meinem Vorgarten beseitigt.«

Ezra rieb sich übers Gesicht. »Scheiße. Von wegen Schaden. Die paar verwüsteten Blumenbeete sind derzeit wohl das geringste Problem, was? Wenn der Junge nicht gerade Bauunternehmer ist, wird er auf dem Grundstück nicht viel ausrichten können.«

Wegen des Feuers war das Haus, das er von seiner Großmutter geerbt hatte, ruiniert. Für Ezra war nicht viel zu retten gewesen, denn was die Flammen nicht zerstört hatten, war dem Rauch oder dem Löschwasser zum Opfer gefallen.

Lena schlang die Arme fester um seinen Oberkörper. »Worauf willst du hinaus? Ich kann dir nicht ganz folgen.«

»Brody hatte eine Kette um, ein goldenes Kreuz.« Er fuhr mit der Fingerspitze über das fein geschmiedete Metall und starrte ins Leere.