Blinder Hass - Steffan Witsch - E-Book

Blinder Hass E-Book

Steffan Witsch

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Beschreibung

Eine Autobombe tötet die schöne Ehefrau des Privatdetektives Steven B. Welden. Eigentlich sollte das Attentat ihm gelten. Bei dem vergeblichen Versuch, seine Frau aus dem brennenden Wagen zu retten, riskiert Welden das eigene Leben und wird schwer verletzt. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus startet Steven B. Welden einen mörderischen Rachezug gegen die Hintermänner des tödlichen Anschlags. Aber sein blinder Hass lässt ihn beinahe die Grenze überschreiten, die Gut und Böse trennt. Einzig sein Freund und Partner Jeck Born kann Weldens Amoklauf stoppen.

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Seitenzahl: 212

Veröffentlichungsjahr: 2016

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„Rekonstruieren wir also“, sagte der Staatsanwalt mit kühler Stimme, „Der Angeklagte Mr. Rick de Sallab eilte in der Nacht zum 27. Januar 1965, um ca. 23 Uhr in das Sheraton Hotel am Kings Highway in Brooklyn. Laut der vereidigten Aussage des Nachtportiers Henry Wonda war der Angeklagte äußerst erregt. Ohne ihn, den Portier, eines Blickes zu würdigen, rannte De Sallab über die Treppen zu seinem Appartement in der ersten Etage.“

Der Staatsanwalt blickte kurz von der Anklageschrift hoch, die er in den Händen hielt und musterte eindringlich die angespannten Gesichter der Geschworenen. Dann las er weiter: „Gleich darauf hörte der Zeuge aus den offenen Räumen die zornige Stimme De Sallabs, dazwischen die weinerliche Stimme einer Frau. Es folgte ein heftiges Wortgefecht, begleitet von Körperschlägen und Schmerzwinseln der geprügelten Frau. Laut und deutlich hörte der Zeuge Wonda wie der Angeklagte schrie: „Du wirst mir nie wieder Hörner aufsetzten, du gottverdammte Hure!“ Jählings verstummte das Gejammer der Frau und eine Minute später stürmte De Sallab konfus an der Hotelrezeption vorbei. Impulsiv duckte sich der Zeuge unter das Pult. Aber er hatte noch gesehen, wie sich der Angeklagte ein Taschentuch an die blutende Wange presste.

Sofort als De Sallab aus dem Hotel geflüchtet war, schlich der Portier in das Apartment des Gastes. Die Zimmertür stand sperrangelweit auf. Dann die grausame Entdeckung. Auf dem Teppichboden eine Frau in schwarzer Unterwäsche. Um ihren Hals war ein schwarzer Nylonstrumpf geschlungen.

Der Zeuge verständigte Polizei und Notarzt. Der Arzt konnte nur noch den Tod der Frau durch Erdrosseln diagnostizieren. Das Gesicht der Leiche war von Schlägen schwer gezeichnet, die Schläfen und Wangenhaut blutig angeschwollen, die Lippen gespalten, das rechte Ohrläppchen eingerissen.

Die Polizei identifizierte die Erwürgte als Rosanna de Sallab, die Ehegattin des Angeklagten.

Bei der Obduktion fand der Arzt winzige Hautpartikel unter den Fingernägel der Toten. Sie stammten zweifelsfrei aus dem Gesicht ihres Mannes. Im Todeskampf zerkratzte Rosanna seine Wangen. Rick de Sallab leugnete im Verhör keinesfalls den lautstarken Streit mit seiner Gemahlin. Auch nicht, dass er sie mit Fäusten traktierte und sie zu Boden schlug. Nur den brutalen Mord bestritt er vehement.

Nun zur Person: Rick de Sallab, 56 Jahre alt, Besitzer einschlägig bekannter Nachtlokale. Mehrmals vorbestraft wegen Drogenhandel, illegaler Karten - und Glücksspiele, Prostitution, schwere Körperverletzung. Zweimal verheiratet. Die erste Ehe mit Lisbeth Kuskea wurde nach 20 Jahren geschieden. Laila, die 17 jährige Tochter lebt bei ihrer Mutter, hält aber Kontakt zum Vater. Vor zwei Jahren ehelichte Rick de Sallab die Stripteasetänzerin Rosanna Lose. Beide nahmen es mit der Treue nicht so genau. Beide unterhielten Beziehungen mit anderen Partnern.

Als Rosanna jedoch ein Verhältnis mit Casper de Sallab begann, dem Bruder des Angeklagten, eskalierte das Geschehen. Eines Nachts wurde Casper auf offener Straße von einem Unbekannten niedergeschossen. Er überlebte den hinterhältigen Anschlag. Aber er ist seitdem querschnittgelähmt. Noch in der gleichen Nacht verhaftete die Polizei den verdächtigten Rick. Aber sie musste ihn aus Mangel an Beweisen freilassen. Der wahre Täter konnte nie ermittelt werden.-Doch den Mord an seiner Frau können wir Rick de Sallab lückenlos nachweisen. Es besteht kein Zweifel, der Angeklagte tötete aus niedrigen Beweggründen seine Gattin. Für diese feige Tat gibt es nur ein Urteil: Tod auf den elektrischen Stuhl!“

Der Mann hinter der Anklagebank hatte sich während des Plädoyers des Anwaltes keinen Millimeter bewegt. Das kantige Gesicht schien aus Stein gemeißelt. Die rauchgrauen Augen blickten starr geradeaus. Rick de Sallab trug einen dunkelblauen Anzug und eine zitronengelbe Krawatte. Langsam wandte er den Kopf und sah über die Zuschauerreihen hinweg. Sein Blick stoppte bei einem jungen, schwarzhaarigen Mädchen, das ihn fortwährend beobachtete. In den rehbraunen Augen glänzten Tränen, aber sie lächelte tapfer und zuversichtlich.

Er erwidere ihr Lächeln nicht. Er tat, als würde er Laila, seine Tochter nicht erkennen. Die Enttäuschung über sein Verhalten war groß. Sie hielt die Hände vor das Gesicht und weinte.

Neben Laila, am Ende der Bankreihe, saß ein stiernackiger Mann im Rollstuhl. Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Angeklagten war nicht zu leugnen. Das gleiche markante Antlitz, dieselben kalten Augen. Casper de Sallab verfolgte jede Bewegung seines Bruders.

Der weißhaarige Richter sagte: „Die Geschworenen ziehen sich zur Beratung zurück. Die Zuschauer werden gebeten den Gerichtssaal bis zur Urteilsverkündung zu verlassen.“

Casper de Sallab fuhr im Rollstuhl mit dem drängelnden Publikum zum Saalausgang. Dicht hinter ihm seine Nichte Laila.

Als beide unter freiem Himmel standen, fragte ihn das Mädchen:

„Was meinst du? Werden sie Papa verurteilen?“

Er knetete die Handknöchel. „Woher soll ich das wissen?“ antwortete er mürrisch. „Ich bin kein Geschworener.“

„Aber Papa ist unschuldig! Er hat Rosanna geliebt. Was man liebt tötet man nicht!“

Hart sagte er: „Rosanna war eine Hure. Alle wussten das. Nur Rick begriff das nicht. Er glaubte immer, sie würde sich ändern. Doch er machte sich zum Narren. Rosanna schlief mit jedem, der einen steifen Schwanz hatte.“

„Du bist vulgär, Onkel!“ erregte sie sich.

„Ja, ja, mag sein. Ich vernaschte auch einmal deine Stiefmutter und es machte nicht viel Spaß. Sie war ausgesprochen langweilig im Bett. Ich fickte schon bessere Weiber. Rick hätte sie nicht töten müssen!“

Ungläubig sah Laila auf ihn herunter: „Onkel Casper, du glaubst doch nicht wirklich, dass Papa ein Mörder ist? Er ist dein Bruder! Es fließt das gleiche Blut in euren Adern!“

„Rede nicht so überspitzt daher“, sagte er eisig. „Wenn ich das schon höre, das selbe Blut in den Adern. Sentimentales Geschwätz. Ich weiß, er wickelte Rosanna den Strumpf um die Kehle. Genauso wie ich weiß, die Kugel, die mich in diesen verfluchten Stuhl schickte, wurde von einem Killer abgefeuert, den dein Vater bezahlte. Er rächte sich dafür, dass ich Rosanna flachlegte!“

„Versündige dich nicht!“ kam es entsetzt über Lailas Lippen. „Du bist sein Bruder. Niemals würde dir Papa Schaden zufügen. Niemals!“

Unvermittelt hob der Querschnittgelähmte den Kopf. Er blickte ihr direkt in die verwässerten Augen. Und sein Blick war erbarmungslos. Er ballte in ohnmächtiger Wut die Hände zu Fäusten und bodenloser Hass schwang in seiner Stimme: „Sieh mich an, Kleines! Sieh mich genau an! Ich war einmal ein vollwertiger Mann, der es stundenlang mit jeder Frau treiben konnte. Dann zerstörte eine heimtückische Kugel mein Rückenmark. Jetzt bin ich ein Krüppel, der seinen Schwanz nicht mehr hochbringt, den die Frauen auslachen oder bemitleiden. Je nach Belieben. Und das verdanke ich allein deinem Vater. Ich schwöre dir bei Gott, wenn es einen gibt, Rick wird die gerechte Strafe bekommen. Ob er Rosanna tötete oder nicht, ist mir scheißegal. Er muss büßen für das, was er mir angetan hat. Ich hoffe und bete, er landet auf dem elektrischen Stuhl und wenn sie einen brauchen, der den Strom einschaltet, werde ich es tun...“

Laila de Sallab stierte ihn an, als wäre er ein Ungeheuer. Sie wollte antworten, aber sie fand nicht die richtigen Worte. Mühsam schluckte sie und wischte die Tränen von den Wangen. Sie konnte nicht glauben was sie gehört hatte.

Einige Minuten schwiegen beide.

Schließlich sagte sie so ruhig wie möglich: „Warum wurde Roberto Calluzzi nicht in den Zeugenstand gerufen? Er war Rosannas letzter Liebhaber, auch soll er am Mordabend bei ihr gewesen sein.- Vielleicht ist er wieder zurückgegangen?“

„Calluzzi besaß ein bombensicheres Alibi zur angeblichen Tatzeit“, sagte De Sallab barsch. „Außerdem hätte ihn der Nachtportier sehen müssen.“

„Vielleicht verließ Wonda für ein paar Minuten seinen Platz und Calluzzi gelang es unbemerkt sich in Lailas Zimmer zu schleichen?“

„Unsinn, Calluzzi war zur Mordzeit in seinem Lokal. Dafür gibt es zwanzig Gäste als Zeugen. Ricks Anwalt fiel mit dieser These auch auf die Schnauze.“

Verächtlich sagte Laila: „Nick Collins war sein Geld als Strafverteidiger nicht wert!“

Er nickte voller Hohn: „Da muss ich dir recht geben, Kleines. Aber bedenke, dein Vater suchte sich den Anwalt selber aus. Doch so oder so, Rick kommt auf den elektrischen Stuhl. Ich stelle mich daneben und sehe zu, wie 8000 Volt in seinen Körper fackeln...“

„Du bist eine wahnsinnige Bestie!“ schrie sie und rastete aus. Sie schlug ihm die Hand ins Gesicht, drehte sich um und rannte davon.

Hart blickte ihr Casper de Sallab hinterher. Seine Wange rötete sich langsam. Aber kein Muskel zuckte. Er setzte sein Gefährt in Fahrt.

***

Einen Tag später, am 3. Juli 1965, druckte die New York Times eine kurze Mitteilung auf der vorletzten Seite: Der Nachtclubbesitzer Rick de Sallab wurde zum Tode verurteilt. Die Geschworenen sahen es als bewiesen an, dass er seine Ehefrau Rosanna in der Nacht zum 27. Januar 1965 mit einem Strumpf so lange strangulierte, bis sie zu Tode erstickte.

***

Am Abend des gleichen Tages veranstaltete New Yorks Bürgermeisterkanditat Walter Douglas eine rauschende Party in seiner Luxusvilla in Greenwich Village.

Alles was Rang und Namen innehatte und die politische Einstellung des Gastgebers vertrat, tummelte sich auf der Fete. Bekannte Filmstars, weniger bekannte Starletts, Sänger, erfolgreiche Sportler, Klatschreporter, politische Freunde, Wahlhelfer und Finanzmanager.

Unter den Gästen amüsierten sich auch zwei Privatdetektive, die sich in den letzten Jahren einen guten Ruf im Stadtteil Bronx erarbeitet hatten.

Steven B. Welden tanzte mit einer rassigen Dunkelhäutigen, deren tief ausgeschnittenes, goldlameiertes Latexkleid, wie eine zweite Haut an ihren wohlgeformten Körper klebte.

In gespielter Verzweiflung stöhnte Welden: „Oh Honey, dein Sex-Appeal raubt mir den Verstand.“

„Wir könnten ja schnell in einem Schlafzimmer verschwinden“, gurrte das Vollblutweib. „Dort zeige ich dir noch ein bisschen mehr von mir!“

Er lächelte sein charmantestes Lächeln. Steven Boy Welden war knapp 30Jahre jung, 180 cm groß, schlank und durchtrainiert. Die hellen Augen funkelten wie Gletschereis. Eine leicht schiefe Nase, an der rechten Wange eine kleine Messerschnittnarbe. Dunkle, fast schwarze Haare, eine Spur zu lang. Welden war nicht unbedingt ein schöner Mann, eher wirkte er wie ein Pirat aus einem alten Hollywoodfilm. Aber die Frauen mochten sein draufgängerisches und offenes Wesen.

„He, Steven, was sagst du zu meinem Angebot?“ fragte Carol Lovers. Sie war eine berühmte Blues- und Jazzsängerin. Ganz eng drückte sie ihren üppigen Busen an ihn. „Oder versprichst du mehr, als du halten kannst?“

Schelmisch sagte er: „Ich würde schon gerne wollen. Nur - wie erkläre ich das meiner Frau? Machst du das?“

Lachend warf sie den Kopf mit der wilden Löwenmähne nach hinten. „Der Himmel bewahre mich. Dein Engelsweib kratzt mir die Augen aus. Ich verzichte. Schade, du wärst mir eine Sünde wert gewesen.“

„Na,na, falle nur nicht in Depression!“ Er küsste sie leicht auf den Erdbeermund. „Ich bin doch der Leidtragende. Mir entgeht doch dein sündhafter Körper.- Komm Carol, lass uns Champagner schlürfen und gemeinsam trauern.“

Welden nahm ihren nackten Oberarm und führte sie von der übervollen Tanzfläche.

Einem herumstehendem Ober schnappte er zwei Sektgläser vom Tablett, reichte eines Carrol und stieß mit ihr an. „Cheers Baby!“

Ein hagerer, dunkelblonder Mann, elegant gekleidet, schwarze Hose, schneeweißes Jackett, wollte sich an ihnen vorbeischlängeln.

„He, Jeck!“ stoppte ihn Welden.

Jeck Born, auch Privatdetektiv, Partner und Weldens bester Freund, blieb neben ihnen stehen. Sein Habichtgesicht, lange Hakennase, braune Augen, buschiger Oberlippenbart, wirkte schlitzohrig und clever.

Welden machte Carol den Freund bekannt. „Carol, dieser smarte Bursche heißt Jeck Born und ist einer der letzten eisernen Junggesellen New Yorks. - Jeck, dieses Vollblutweib ist Carrol Lovers, du weißt schon, die Carol Lovers.“

Aus Borns Antlitz sprang ehrliche Begeisterung und seine Stimme überschlug sich beinahe. „Carol Lovers? Das glaub ich nicht...“

Spontan ergriff er ihre Hand und küsste jeden einzelnen Finger. „Ein Traum erfüllt sich endlich. Ich, Jeck Born, der kleine, unbekannte Detektiv, darf den bestaussehenden, den bestrickenden weiblichen Superstar unseres Jahrhunderts die zarten Finger küssen. Mann, o Mann, das glaubt mir niemand. Carol Lovers, das Traumgirl von Millionen Männer, gestattet mir, ihre Hände zu berühren. Oh Gott, lass mich nie aus diesem Traum erwachen.“

„Das ist kein Traum, mein lieber Jeck!“ hauchte die dunkle Schönheit.

Welden musste sich abwenden, um nicht lauthals loszulachen, ob Jecks übertriebener Schwärmerei. Nur mit letzter Mühe gelang ihm dies und er entfernte sich unauffällig von den beiden Turteltauben.

„Eine großartige Party, finden Sie nicht auch?“ prostete ihm ein hochaufgeschossener, zaundürrer Mann im schlechtsitzenden Smoking mit erhobenem Sektglas zu. „Mein Name ist Sack Emath, Reporter der New York Times und Sie sind... Sagen Sie es nicht, lassen Sie mich raten. Sie sind ein berühmter Schauspieler. Errol Flynn! Richtig?“

Freundlich korrigierte ihn Welden: „Ich muss Sie enttäuschen. Ich bin nicht Errol Flynn, ich bin Steven B. Welden und betreibe eine Ermittlungsdetektei.“

„Mann, das war doch nur ein Witz“, lachte der Zeitungsmann. „Flynn ist doch 1959 frühzeitig verstorben!“ Er musterte den Detektiv von oben bis unten. „Ein Schnüffler? Steven B. Welden? Noch nie gehört den Namen. Wie kommen Sie zu einer Einladung?“

Freundlich konterte Welden: „Wie war Ihr Name? Sack Emath? Schreiben Sie nicht über die Rinderzucht Arizonas?“

„Eins zu null für Sie!“ lachte Emath respektvoll. „Eine gute Retourkutsche. Waffenstillstand?“

„Hätten wir Krieg, wären Sie schon tot!“ sagte Welden und zeigte dem Zeitungsmann seinen Rücken.

Ein kleiner, silberhaariger Mann winkte Welden zu.

„Hallo, Steven“, begrüßte ihn Walter Douglas, der Gastgeber. „Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl. Tun Sie, als wären Sie hier zu Hause.“

„Vielen Dank, Mr. Douglas!“ Mit dem Zeigefinger fuhr Welden hinter Hemdkragen und Hals. „Ich werde es versuchen. Aber ihre Welt ist nicht meine Welt. Zu formell!“

New Yorks distinguierter Bürgermeister freute sich. „Erfrischend, ihr ehrlicher Stil. Ich weiß zu schätzen, dass Sie meiner Einladung Folge leisten. Ich nehme an, dies habe ich hauptsächlich Ihrer charmanten Gattin zu verdanken. Eine wunderbare Person. Sie sind ein Glückspilz, Steven.“

„Ja, ich weiß“, nickte Welden.

Kameradschaftlich klopfte ihm Douglas auf die Schulter: „Gönnen Sie sich einfach ein bisschen Spaß. Probieren Sie es! Wir sehen uns wieder. Und denken Sie an mein Angebot. Es steht bis Montag.“

Der Politiker wurde von anderen Gästen in Beschlag genommen.

Währenddessen suchte Welden unter den ausgelassenen Gästen nach seiner Frau Grazia. Er konnte sie allerdings nicht ausfindig machen.

Um Mitternacht steuerte das Fest dem Höhepunkt entgegen. Die ersten Partyteilnehmer ließen bereits die Hüllen fallen und sprangen in Badekleidung in den riesengroßen beheizten Swimmingpool, dessen klares Wasser von einer Vielzahl über den Becken hängenden Lampions angestrahlt wurde und die glänzende Oberfläche in ein Meer von funkelnden Lichtfarben verwandelte.

Welden trat zur erleuchteten Terrasse hinaus. Er hockte sich in einen der grün lackierten Plastikstühle und beobachtete das bunte Treiben rund um das Schwimmbassin. Die Nacht war sternenklar und warm. Weit streckte er die Beine aus und zündete eine Zigarette an. Urplötzlich versank er in tiefe Melancholie. Das Gekreische und Gelächter der Badenden entfernte sich mehr und mehr, wurde immer leiser, bis ihn totale Stille einhüllte...

Vor gut einem halben Jahr halfen Steven B. Welden und Jeck Born dem Kommunalpolitiker Walter Douglas aus einer peinlichen Erpressergeschichte. Ihnen gelang es, die Angelegenheit so zu regeln, dass der aufstrebende Abgeordnete eine reine Weste behielt und der Fall nicht an die Öffentlichkeit reichte. Das war der Anfang der Karriere der Welden & Born Detektei. Douglas schanzte ihnen gutbezahlte Aufträge zu. Das erfolgreiche Duo wurde zum Insidertip.

Aber jetzt unterbreitete ihm Douglas ein Wahsinnsangebot. Er sollte sein persönlicher Beschützer und Chef der Leibwächtergarde werden. Mit einem Monatsgehalt, das Weldens Jahreseinkommen als Privatdetektiv weit übertraf.

Wenn er wollte, dann war es vorbei. Das aufreibende, unstete Leben. Vorbei die Jagd nach Betrügern und Räubern. Vorbei die Prügeleien in dunklen Spelunken, vorbei das stundenlange Beine in den Bauch stehen, bei Regen und Kälte in irgendeiner finsteren Gasse, um einen betrügerischen Ehemann in Flagrante zu erwischen.

Ein leichteres Leben winkte. Wollte er das?

Er erinnerte sich, wie alles begann. Als er, Jeck Born und Fred Bever vor Jahren die Detektivlizenzen erwarben und in einem schäbigen Hinterhof der Bronx ihr Büro eröffneten. Wochenlang klingelte kein Telefon, war kein Auftrag in Sicht. Sie lebten von der Hand in den Mund, wussten oft nicht wie sie Miete und Strom bezahlen sollten.

Damit es weiterging, nahmen sie Nebenjobs an. Welden fuhr kurzzeitig Taxi, Born arbeitete als Türsteher einer Nachtbar und Bever als Wagenwäscher.

Allmählich häuften sich die Aufträge. Wie davongelaufene Söhne und Töchter wieder zurückzubringen, fremdgehende Ehefrauen zu beschatten, kleinere Versicherungsdelikte aufzudecken. Die Zeiten besserten sich.

Trotzdem, das große Geld war nicht zu verdienen. Der lebenslustige Fred Bever, dessen Geldknappheit notorisch war, kapitulierte. Er wechselte den Beruf und stieg aus.

Doch Steven B. Welden und Jeck Born blieben hartnäckig. Sie wollten ihren Traumberuf nicht hinschmeißen.

Und es ging immer weiter aufwärts. Immer öfters wurde ihr Name genannt, wenn es um loyale und vertrauliche Ermittlungen ging. Jetzt hatten sie es geschafft. Sie waren einigermaßen gut im Geschäft.

Das sollte er aufgeben. Die Freiheit, die berufliche Unabhängigkeit. Nur um Angestellter eines reichen Mannes zu werden, dessen zweiter Schatten zu sein. In zu beschützen, immer zu Diensten zu sein, nach Urlaub zu fragen. Die eigene Identität zu verleugnen, ein Arschkriecher zu sein. Das alles wegen mehr Geld?

Er fasste eine Entscheidung. Laut sagte er: „Nein, niemals!“

„Aber Darling...“, holte Welden eine weiche Frauenstimme in die Gegenwart zurück und der akut eintretende Lärm traf ihn wie ein Schlag. „Du kannst als Ehrengast doch kein Schläfchen machen und dabei Selbstgespräche führen.“

Er blickte auf. Vor ihm stand eine wunderschöne, gertenschlanke Frau in einem rubinroten Partykleid. Schulterlanges, weizenblondes Haar, himmelblaue Augen, sinnliche Lippen, gerade Nase, wenig Make up. Ihr Charme und ihre Weiblichkeit verschlugen jeden Mann den Atem.

Verwirrt dachte er: ‘Verdammt, wieso liebt dieses herrliche Geschöpf ausgerechnet mich? Sie könnte alle reichen Männer dieser Welt besitzen. Aber sie wählte mich. Mich, den spröden, manchmal übelgelaunten Privatdetektiv, den sie zärtlich Boy nannte. Mich, den rauen, trinkfesten Kerl, der nicht immer seine Gefühle zeigte, der stets zu wenig Dollars verdiente. Mich liebte sie.’

Etwas ungelenk erhob er sich, zertrat den Glimmstengel, legte die Arme um ihre Wespentaille und küsste sie mitten auf den Mund.

„Oh, Mr. Welden“, rang Grazia nach Luft und strich eine widerspenstige Locke aus der Stirn. „Du küsst deine eigene Frau. Was werden die wildfremden Leute darüber denken?“

„Seit wann kümmert uns das Geschwätz Anderer?“ Begehrlich küsste er sie erneut. „Komm, Liebling, wir verschwinden. Ich will dich jetzt!“

Verschämt kicherte sie: „Du bist verrückt, Boy! Was machst du, wenn ich dich beim Wort nehme. Kneifst du dann?“ Sie rieb ihren Körper an den Seinen.

Stark erregt raunte er in ihr Ohr: „Du schamloses Biest! Komm mit und ich beweise dir, dass ich nicht kneife.“

„Angeber“, hauchte Grazia, nicht minder erregt wie er. Eine bezaubernde Röte erhitzte ihre Wangen. „Du traust dich nicht oder doch?“

Da stemmte er sie einfach hoch und trug sie an den verschmitzt lächelnden Gästen vorüber in das große Wohnzimmer zurück. Grazia strampelte mit den wohlgeformten Beinen und verlor einen hochhakigen Pumps.

Gerade trabte Jeck Born von der Tanzfläche, bei ihm eingehängt die heißblütige Carol Lovers.

Hilfsbereit bückte sich diese nach den gefallenen Schuh, dabei befürchtete Welden ihr draller Busen purzelte aus ihrem gewagten Dekolleté. Ungeniert hob sie den Schuh auf und reichte ihn Grazia.

Die erotische Spannung war wie weggeblasen. Die Realität gewann die Überhand.

Anerkennend sagte Carol: „Schätzchen, ich gratuliere dir zu diesen Mann. Ich wäre ganz scharf auf ihn. Aber ich konnte nicht bei ihm landen.“

„Das verstehe ich nicht“, wunderte sich Grazia. Sie hielt sich an Weldens Schulter fest und streifte den Stöckelschuh über. „Bei diesem raffinierten Kleid muss doch jeder Mann den Verstand verlieren.“ Grinsend fragte Welden: „Was meint ihr zwei Hübschen? Soll ich uns an der Bar einen explosiven Cocktail mixen?“

Zu viert steuerten sie die Theke an. Welden stellte sich dahinter, holte verschiedene Flaschen aus dem Regal, warf Eiswürfeln in den Shaker und mischte einen Trink zusammen.

In diesen Moment übertönte ein schriller Entsetzensschrei die Geräuschkulisse: „Zu Hilfe! Zu Hilfe! Einen Doktor, mein Gott, Jane verblutet! Hilfe...!“

Steven B. Welden reagierte am schnellsten. Er stellte die Whiskyflasche und den Handmixer auf den Tresen und eilte, dicht gefolgt von Jeck Born, zur Terrasse, von dort kam der Schrei und entstand unverständlicher Tumult.

Blitzartig verstummten alle Partystimmen. Nur aus den Lautsprecherboxen sang Elvis Presley, Love me Tender.

Energisch rempelte Welden die neugierig gaffenden Gäste beiseite. Und dann bot sich ihm ein grauenvoller Anblick. Am Schwimmbeckenrand lag eine hingestreckte, weibliche Gestalt. Unter ihrem Leib bildete sich eine immer größer werdende Blutlache. Aus dem Rücken ragte der Griff eines Messers.

Daneben kniete eine Frau. Das Gesicht vor Schrecken verzerrt. Hilfesuchend sah sie zu Welden auf.

Elvis Presley schmachtete weiter: Love me tender, love me thru…

Verärgert fauchte Welden: „Zum Teufel, vielleicht schaltet jemand die Musik ab!“

Er kniete sich nieder und wendete den Kopf der am Boden liegenden Frau. Gläserne Augen, weit aufgerissener Mund, wachsbleiche, eingefallene Wangen.

Welden legte zwei Finger an die Halsschlagader und fühlte keinen Puls schlagen. Die Frau war tot. Hier kam jede Hilfe zu spät. Er kannte die Frau. Sie hieß Jane Clairland und war eine berühmt-berüchtigte Klatschkolumnistin einer auflagenstarken Boulevardillustrierten. Sie wurde in der oberen Gesellschaftsschicht, der sogenannten High Society, wegen ihrer scharfen Zunge nicht von allen geliebt.

Der Lautsprecher knackte vernehmlich, als jemand den Plattenspieler abstellte. Lediglich das stoßweise Wimmern der Frau, die neben der Toten weilte, bohrte an den Nerven.

Fast unbemerkt trat Walter Douglas an Weldens Seite und sagte befehlsgewohnt: „Rufen Sie die Polizei, Steven. Das ist ja eine schöne Schweinerei. Ein Mord auf meiner Gesellschaft fehlte mir noch so kurz vor dem Wahlkampf. Sie beginnen sofort mit den Ermittlungen und werden die Geschichte aus der Welt schaffen.“

Ruhig erwiderte Welden: „Mr. Douglas, ich bin nicht Ihr Laufbursche und stehe auch nicht auf Ihrer Gehaltsliste.“

„Jetzt können Sie beweisen, ob Sie das Geld wert sind, das ich gewillt bin für Sie zu zahlen. Zeigen Sie wie gut Sie sind, Steven! Klären Sie den Mord auf!“

Welden schlüpfte aus seinem dunklen Blazer und bedeckte damit das Gesicht der Toten. Beinahe bedrohlich spürte er die sensationslüsternen auf ihn gerichteten Blicke der Anwesenden, die einen Halbkreis um den Tatort bildeten.

Deutlich sagte er in die spannungsgeladene Stille: „Es ist wohl klar, dass niemand das Haus verlassen darf, bis die Cops eintreffen und die Untersuchung einleiten.“

Honigsüß meldete sich der Zeitungsmann Sack Emath aus dem Kreis der Gäste: „Was werden Sie unternehmen, Mr. Welden?“ Er zückte einen Bleistift und einen Notizblock. „Ermitteln Sie auf eigene Faust?“

„Auf keinen Fall werde ich das tun“, sagte Welden beherrscht. „Das ist ausschließlich die Angelegenheit der Polizei. Sie ist für Mord zuständig.“

Ein schmieriges Lächeln begleitete Emaths Worte: „Aber Mr. Welden! Ein Mord im Hause des designierten Bürgermeisters Walter Douglas, der Ihnen den Fall überträgt, und Sie verweigern sich, brüskieren den Gastgeber! Können Sie sich diese Arroganz überhaupt leisten? Dank dem Bürgermeister sind sie beruflich hochgestiegen.

Aber wer hoch fliegt, fällt sehr tief.“

Nun verlor Welden seine mühsam gehaltene Ruhe. Grob sagte er:

„Verschonen Sie mich mit Ihrem albernen Geschwätz, Emath. Kümmern Sie sich gefälligst um Ihren eigenen Mist, Sie scheinheiliger Pharisäer!“

„Darf ich Ihre Rede für meine Leser wörtlich zitieren?“

Bevor Welden antworten konnte, flüsterte Douglas scharf hinter ihm: „Sind Sie vorsichtig mit dem was Sie sagen, Steven. Sie schaden Ihrer Karriere. Ich kann mir keinen Presseskandal leisten. Ich warne Sie, verbauen Sie nicht Ihre und meine Zukunft!“

Zorn wallte in Welden hoch: „Ich bin nicht Ihr Leibeigener...!“

„Was bedeutet dieser geschmacklose Streit?“ unterbrach die neben der Leiche aufgestanden Frau die Debatte. Mit dem Taschentuch trocknete sie die Tränen, verschmierte dabei den violetten Lidschatten. „Mein Gott, Jane ist mitten unter uns ermordet worden, direkt vor unseren Augen. Das ist doch schrecklich und keiner unternimmt etwas. Sie müssen was tun, Mr. Welden!“

Der Angesprochene zuckte nur mit der Achsel. „Ich muss überhaupt nichts tun, Verehrteste. Ich warte, wie sie alle, auf die Polizei. Sie allein wird die Untersuchung führen. Ich kann nur jeden empfehlen, genau zu überlegen, was er den Bullen erzählt. Tatsache ist nun mal, dass der Mörder unter uns weilt. Und weiter glaube ich, es ist fast unmöglich die Tat zu begehen, ohne beobachtet zu werden. Der Killer muss hinter Jane Clairland gestanden haben, als er ihr den Dolch in den Rücken rammte. Haben Sie wirklich nichts gesehen, Miss Tyler? Sie entdeckten die Erstochene als erste. Wo standen Sie, als es passierte?“

Rachel Tyler, eine bekannte Theaterschauspielerin, groß und schlank, das kastanienbraune Haar zur modischen Farah Diba Frisur hochtoupiert, viel Rouge auf dem Teint, aber nicht unsympathisch, sagte mit weinerlicher Stimme: „Ich beobachtete nur, wie Jane am Terrassenpfeiler lehnte, plötzlich taumelte sie ein paar Schritte vor und stürzte vor mir auf den Kachelboden. Zuerst dachte ich, sie wäre nur gestolpert. Doch dann waren da das Messer und das viele Blut! Schrecklich!“

„Und sonst?“ hakte Welden nach. „Wer stand bei Jane an der Säule? Unterhielt sie sich mit jemandem? Was ist Ihnen aufgefallen?“

Angstvoll starrte ihn Rachel Tyler an: „Glauben Sie mir, Mr. Welden, ich habe nichts bemerkt. Niemand weilte bei Jane in der Nähe. Ganz sicher bin ich mir allerdings auch nicht.“

„Demnach muss der Mörder hinter der Betonsäule gelauert haben“, folgerte Welden laut. „Als Jane sich anlehnte, erstach er sie von hinten, tauchte in der feiernden Menge unter und spielt nun wie alle anderen den Betroffenen. Schwer zu glauben, dass Sie nicht mehr beobachtet haben, Miss Tyler. Hoffentlich glaubt dies der Täter auch.“

Ihre Augen vergrößerten sich: „Was wollen Sie damit andeuten, Mr. Welden? Sie machen mir Angst oder? Sie vermuten doch nicht...“

„Eventuell denkt der Mörder, Sie haben ihn erkannt und verraten ihn an die Polizei. Sie könnten das nächste Opfer sein, Miss Tyler. Er wird keinen Zeugen am Leben lassen.“

Entsetzt schlug sie die Hände vor das Gesicht und jammerte: „Das ist nicht wahr! Oh, Gott stehe mir bei. Ich verschweige nichts. Ich habe weder etwas Auffälliges gehört noch etwas gesehen. Das ist die Wahrheit!“

Schneidend sagte Walter Douglas: „Ich denke das reicht, Steven! Wie können Sie die arme Frau so unter Druck setzen. Sie ist Zeugin eines Mordes geworden. Sie steht unter Schock. Mäßigen Sie Ihre Anschuldigungen!“