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Als Markus Metz und Georg Seeßlen 2011 ihrer Generalinventur der damaligen Gegenwart den Titel Blödmaschinen gaben, leuchtete das furchtbar ein. Sie zeigten eindrücklich, wie Um- und Innenwelten fabriziert werden, in denen kluge Worte oder Taten nicht mehr möglich sind. Und das nicht primär aus Dummheit oder Unbedarftheit, sondern durch das Ineinandergreifen von konzertiertem Blöd-sein-Sollen und geflissentlichem Blöd-sein-Wollen.
Wo aber nur noch unterkomplexe Optionen bestehen, verdichtet sich Verblödung schnell zu Wut und drängt zur Macht. Höchste Zeit, den fortgeschrittenen Stand der Blödmaschinen zu inspizieren und sich dabei auf ihre derzeit destruktivste Produktionsfrontlinie zu konzentrieren: die Politik der Paranoia, wie der Populismus sie als Industrie der Regression global betreibt.
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Seitenzahl: 497
Veröffentlichungsjahr: 2025
3Markus Metz/Georg Seeßlen
Blödmaschinen II
Die Fabrikation der politischen Paranoia
Suhrkamp
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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2025
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe der edition suhrkamp 2846.
© Suhrkamp Verlag GmbH, Berlin, 2025
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Umschlaggestaltung nach einem Konzept von Willy Fleckhaus: Rolf Staudt
eISBN 978-3-518-78276-7
www.suhrkamp.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Informationen zum Buch
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
VORNEWEG Kritik auf verlorenem Posten?
PROLOG Anarchie und Albtraum
Das Recht auf Dummheit und das Unrecht der Verblödung
Von politischer Blödheit zur Erlösungsgewalt
Radikalisierung und Normalisierung: Der Bruch mit Demokratie und Liberalismus
Latenter Faschismus und rechte Explosion
1. KAPITEL Propaganda, Psychose und Metapolitik
Was wir wissen wollen
Bruchlinien, oder Warum der Staat seinen Bürger verliert und die Bürgerin ihren Staat
Soziophobie als Volkssport, oder Die Übergangserzählung von Chaos und Verlust
Systemverlust – Systembruch: Ein Regelwerk und seine Auflösung
Retromanie und andere Fluchtwege aus der Systemfalle
Die Ausgeschlossenen und die Eingeschlossenen: Gebrochene Versprechen, geplatzte Träume
Vorfeld des Rechtsextremismus: Metapolitik
Was wir wissen können
2. KAPITEL Bad Religion: Rechtsextremismus als Erlösungsversprechen
Was wir wissen wollen
Die große Idee und die Religion
Hexenverbrennung und Heuschreckengrillen: Die Codes gegen die erzwungene Toleranz
Der rechte Mythos und seine Wissenschaft
Die (unendliche) Geschichte von Logos und Mythos, oder Der Angriff der Blödmaschinen auf die Wirklichkeit
Die liberale Gesellschaft als rechtes Hassbild
Was wir wissen können
3. KAPITEL Von der Umvolkung zur Endschlacht: Die Große Erzählung der Rechten
Was wir wissen wollen
Basic Speech und Bilderstory: Sprache, Demokratie und Populismus
Medienkrieg
Hate Speech, oder Die entgrenzte Sprache
Sprache als Waffe; Gewalt als Sprache
Achtung, Ästhetik von rechts
Was weg muss und was man sich zurückholen soll
Die Erzählung und der Kult
Das Zentrum: Die Verschwörung
Die allgemeine und die spezielle Verschwörung: Die Wege zum Antisemitismus
Was wir wissen können
EPILOG Blödmaschinen Reverse. Was man wissen kann und was wir hoffen dürfen
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VORNEWEG
Die Sache mit Demokratie und Liberalismus, Humanismus und Aufklärung ist derzeit, so scheint's, gelaufen. Eine mächtige Verbindung von Dummheit (oder ›Blödheit‹), Politik (oder ›Ideologie‹), Paranoia (oder ›Wahn/Vorstellung‹) und Gewalt (oder ›Terror‹) bringt in Italien eine ›post-faschistische‹ Regierung an die Macht, macht einen Donald Trump wieder zum amerikanischen Präsidenten, lässt die AfD zur wählerstärksten Partei in Teilen Deutschlands werden, beschert Frankreich demnächst eine rechte Präsidentin und setzt überall im Westen nationalistische, sexistische, rassistische und terroristische Kräfte frei. Es ist mehr als ein politischer Trend. Man mag Zeuge werden, wie die bürgerliche Rationalität und die öffentliche Moral wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Was hatte man für Mühe, es zu errichten!
Dieses Jahrhundert, das nun schon wieder zu einem Viertel vorbei ist, steht im Zeichen einer neuen Barbarei. Dabei galt es zu Beginn als ausgemacht, dass jetzt global das nächste Kapitel einer fortschrittlichen Zivilisationsgeschichte aufgeschlagen wird. Eine tolerante, friedfertige, ökologiebewusste, achtsame und gerechte Lebensweise würde entstehen, das Modell Demokratie plus geregelte Marktwirtschaft würde früher oder später noch die letzten Konservativen und Autokraten überzeugen, eine allseits wissende und informierte Gesellschaft würde neue Wege des freien Miteinander finden, nach und nach würden auch die finsteren Ecken der bürgerlichen Gesellschaft verschwinden. Die Ideen, das Material, die ›Voraussetzungen‹ für all das waren schließlich vorhanden, oder? Aber es kam anders. Es begann eine fast unaufhaltsam scheinende Bewegung nach rechts, ein 8›Kulturkampf‹, in dem sich Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, Konservative und erstaunlich ›besorgte‹ Bürger*innen miteinander gegen die ›grünlinksversifften Genderwahnsinnigen‹, die ›selbsternannten Eliten‹, die ›Migrantenströme‹ und die ›Volksverdünner‹ verbanden, bis dahin, dass die Vorstellung von ›bürgerkriegsähnlichen Zuständen‹ nicht mehr abwegig erscheint. Es herrscht eine merkwürdige Stimmung zwischen Erregung, Lähmung, Verzweiflung, Wegschauen, Trotz und klammheimlicher Freude am Untergang. Traditionell linke Milieus reagieren darauf mit dem Rückzug in eigene Blasen und Szenen, monothematischen Eifer, Resignation, Zerfall und hilflose Wut. Das Erstaunlichste an der reaktionären Schubumkehr im einst so wegweisenden und selbstsicheren Westen ist die Leichtigkeit, mit der es den neuen Volkstribunen und den rechten Scharlatanen, den halbfaschistischen Netzwerken und den neu-rechten Organisationen gelungen ist, zur hegemonialen Bewegung in allen Bereichen des Lebens zu werden. Uns fällt zu alledem kein anderes Wort ein als: ›blöde‹. Und wie ein semantisches, psychologisches, ökonomisches und kulturelles Räderwerk scheint die Verblödung abzuschnurren und dabei neben Hass und Missgunst immer noch bizarrere Phantasmen und ›Anschauungen‹ hervorzubringen, immer neue Knoten von Unvernunft und Niedertracht, immer neue Phantasmen von Identität und Verschwörung. Die rechten Blödmaschinen wummern, in den Medien, in den Öffentlichkeiten, in den Köpfen und den Eingeweiden. Was kann, was soll da noch Kritik?
Die Frage, was da geschieht, und auch die, wie es geschieht, treibt Wissenschaft, Kunst und Journalismus vonseiten der ›demokratischen Zivilgesellschaft‹ seit geraumer Zeit um. Es gibt gute und nicht ganz so gute Antworten darauf, ganz nahe, aus der unmittelbaren Auseinandersetzung, und recht distanzierte, dafür oft umfassend recherchierte und theoretisch fundierte Versuche. Alle diese Beschreibungen sind bemerkenswert folgenlos geblieben. Dass Menschen, die sich für ein Welt- und Menschenbild jenseits der zivilisatorischen Verabredungen von Demokratie, Liberalismus und Aufklärung entschieden haben, 9von argumentativen Verpflichtungen auf die Vernunft oder die bloße Erinnerung an eine Welt der Tatsachen nicht mehr zu erreichen sind, ist abzusehen – nicht umsonst nennt man solche Welt-Bilder ›geschlossen‹. Nicht ganz so absehbar und daher schmerzhafter scheint hingegen die mitunter geradezu kindsköpfige Beratungsresistenz der politischen, kulturellen und administrativen Systeme im demokratischen Staat und in der liberalen Gesellschaft. Von dem Soziologen Wilhelm Heitmeyer stammt ein Satz, der uns später noch beschäftigen wird: »Wir haben immer wieder neue Zahlen veröffentlicht, aber entscheidende Teile der etablierten Politik haben sich nicht darum gekümmert, denn das tangierte bis dahin nicht die Mandate.«[1] Eine ganze Gesellschaft (genauer gesagt: mehrere Gesellschaften des Westens, jede auf ihre Weise) scheint in einem Transformationsprozess zu stecken, weg von der parlamentarischen Demokratie und der liberalen Gesellschaft, hin zu autokratischen Systemen mit völkisch-nationalistischer Ideologie, und entscheidende Teile der Politik, der Kultur, der Wissenschaft und der Wirtschaft, vor allem aber der Bevölkerung machen sich nichts daraus. Solange die Geschäfte und Routinen laufen, macht man einfach weiter, zwischen ein paar nichtssagenden Mahnworten vielleicht.
Die Ablehnung des ›Rechtsrucks‹ in den Gesellschaften des einst goldenen Westens scheint formelhaft, halbherzig, taktierend, widersprüchlich (hier ›Brandmauer‹, dort ›Sorgen ernstnehmen‹), und es fällt uns auch hierzu kein treffenderes Wort ein als: ›blöde‹. Denn wie blöde muss eine Kultur sein, die sich angesichts drohender ökologischer Katastrophen auch noch soziale und politische Katastrophen leistet, nur um ein ökonomisches System zu stützen, das sich feudal aller Kontrolle und Kritik entziehen will? Als wäre man an allzu vielen Stellen entschlossen, im Dienste des ›Weiter-so‹ und im Geflecht von poli10tisch-ökonomischen Interessen, Abhängigkeiten und Rückkopplungen, eine Aufklärung der sozialen, politischen und kulturellen Bewegung in der eigenen Gesellschaft zu verhindern. Kritische Wissenschaft, engagierter Journalismus, horizonterweiternde Kultur, humanistische Pädagogik – all jene, die seit geraumer Zeit Symptome diagnostizieren, Warnsignale deuten, Entwicklungen aufspüren, Narrative kenntlich machen, formale und informelle Organisationsweisen beobachten, Semantiken analysieren – sie konnten möglicherweise dazu beitragen, eine anti-faschistische Gegenbewegung der demokratischen Zivilgesellschaft zu (in)formieren. Doch drangen sie damit gerade dort nicht hin, wo die Rechte mit ihren offenen Beziehungen von militantem Konservatismus, Rechtspopulismus und neuem Rechtsextremismus zunehmend Fuß fasst: in die Mitte der Gesellschaft, wie man so sagt.
Wenn man also den anscheinend unaufhaltsamen Aufstieg der anti-demokratischen Rechten in Europa und in den amerikanischen Ländern, im Norden wie im Süden, beschreiben will, kann man die Augen nicht vor der Unfähigkeit und dem Unwillen größerer Teile der demokratischen Staaten und der liberalen Kultur verschließen, sich der absehbaren Transformation in populistische Autokratien und illiberale Tyranneien zu widersetzen. Sollen wir also von Lähmung sprechen? Von kampfloser Selbstaufgabe? Oder gar, zumindest hier und da, von stillem Einverständnis und vorauseilendem Opportunismus? Und was zum Teufel könnte Kritik da noch ausrichten, wo sie einer Mehrheit lästiger scheint als Aufmärsche und Besetzungen der Rechten, die sich längst nicht mehr scheut, Symbole, Riten, Strategien und Lügen des historischen Faschismus wiederzubeleben? Ist etwa, neben dem Projekt einer Demokratie mit sozial eingehegtem Kapitalismus, auch die Erinnerung an die Katastrophen und Verbrechen des vorigen Jahrhunderts verloren gegangen?
Kritik besteht, unserer bescheidenen Meinung nach, aus drei miteinander verbundenen, aber gelegentlich auseinanderstrebenden Elementen: Sie enthält einen Anteil an Theorie (das Wissen, das man in die Form von Modellen und Beziehungen brin11gen kann und das darauf wartet, von der Praxis bestätigt oder widerlegt zu werden), einen Anteil an Polemik (Streit und Widerspruch, nicht ohne Leidenschaft und Parteilichkeit, verbunden mit der Hoffnung, anders als in der Theorie, die Dinge nicht nur verstehen, sondern auch verändern zu können) und einen Anteil an Fantasie (ins Offene und Unerwartete hinein, wohin weder Theorie noch Polemik sich bewegen können, Gedanken und Ideen, die noch nicht ›ausprobiert‹ und noch nicht ›abgesegnet‹ sind; die Kritik der Kritik nennt das gern abfällig ›Spekulation‹). Dieses kritische Dreieck kann die unterschiedlichsten Formen und Größen annehmen; immer aber bestimmt jedes Eck die beiden anderen mit, immer bewegt sich etwas zwischen ihnen, immer lässt sich etwas, wenn man sich mit der Kritik bewegt, anders und neu sehen. Kritik hat, mit anderen Worten, immer auch Aspekte des Experiments. Man weiß, was man wissen möchte, man weiß, wen man erreichen möchte, man weiß vielleicht sogar, worauf man hinauswill, aber all das verändert sich auch beständig. Kritik bezeichnet weder eine Form noch einen Inhalt, sondern eine Bewegung von Gedanken. Sie ist stets work in progress.
Implizit enthält diese Definition auch schon eine Antwort auf die Frage, ob es so etwas wie sinnlose Kritik geben kann, etwa dann, wenn sie nur auf ›taube Ohren‹ und ›blöde Blicke‹ trifft. Wäre Kritik nämlich nur auf zwei der drei Elemente reduziert, sagen wir: auf Theorie und Polemik, geriete sie rasch in Verdacht, ohnehin nur die zu erreichen, die zuvor schon ›kritisch eingestellt‹ waren (so müsste, durchaus ehrenvoll, die Kritik Menschen mit Argumenten und Materialien versorgen, die im Großen und Ganzen als ›verbündet‹ gelten). Wäre man andererseits nur auf Polemik und Fantasie (etwas zwischen Utopie, Spekulation und ›Vorschlag‹) bezogen, so fehlte mit der Theorie der Anschluss an Denksysteme und Semantiken, die tiefer hinein und weiter voraus reichen; und wären schließlich nur Theorie und Fantasie verbunden, wäre keine Spitze in die materielle und sinnliche (im Zweifelsfall auch persönliche) Praxis vorhanden. In der Dreiecksform von Kritik gibt es immer etwas, wo12hin ›Überzeugungen‹, Gewissheiten, Meinungen oder Erkenntnisse allein nicht hingelangen können. Die geheime Lust der Kritik ist es, über sich selbst hinauszureichen.
Damit ist auch gesagt, dass Kritik nie einfach ein ›Instrument‹ sein kann, oder gar eine ›Waffe‹. Natürlich hätten wir gern eine Welt ohne AfD, Putin, Trump, Fratelli d'Italia, Viktor Orbán, FPÖ et cetera – und erst recht eine Welt ohne das, was sich in deren Schatten an Gewalt und Verbrechen tut. Ob unsere Kritik der Blödmaschinen dabei hilft? Der kritische Impuls kommt immer aus dem Prinzip Hoffnung, und die Polemik darin sagt: Man kann Ursachen finden, Schuldige benennen und immer, unter allen Umständen, Entscheidungen fällen. Und die Theorie kann einem dabei helfen, weiter zurück und weiter nach vorn zu sehen. Das Wesen von Kritik ist die Doppelung von Befreiung und Belastung: Sie soll befreien von Propaganda, Lüge und Illusion, von ›Blödheit‹ mithin. Aber damit ist auch eine Verpflichtung verbunden, denn diese Freiheit bedeutet auch Verantwortung. Kritik ist das Medium des selbstbestimmten und verantwortungsvollen Menschen, der stetig daran arbeitet, die Beziehung zwischen Freiheit und Verantwortung zu erkennen. (Was wäre Freiheit ohne Verantwortung? Vielleicht genau das, was Trumpisten und andere Anarchokapitalisten dafür halten? Und was wäre Verantwortung ohne Freiheit? Vielleicht genau das, was man angesichts identitätspolitischer Dogmen gelegentlich zu fürchten lernt?) Der Adressat unserer Kritik ist der Mensch in der Mitte dieser Gesellschaft und in der Mitte des politischen Geschehens, der nicht auf die Seite der anti-demokratischen Rechten wechseln will, aber noch nicht zum Widerstand gegen sie entschlossen ist. Und die vielen, die weitermachen wollen, als geschähe nichts, vielleicht sogar einige von denen, die meinen, man müsse den Rechten nur etwas entgegenkommen oder ihre Narrative übernehmen, ›um Schlimmeres zu verhindern‹. Sie sollen wenigstens nicht wieder ›nachher‹ sagen dürfen, sie hätten ja von nichts gewusst. Die Zeiten, als ›von nichts gewusst‹ zu haben noch geholfen hat, sind und waren immer schon vorbei.
13Dass es geschieht und wie es geschieht, diese allfällige Bewegung vom Ressentiment über den Populismus zum Rechtsextremismus, ist erschreckend, beinahe noch erschreckender aber die Reaktion der ›alten‹ Institutionen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Wir stellen uns allerdings eine womöglich noch heiklere Frage, nämlich die, warum es geschieht. Neben die Länge (die Historie des Rechtsextremismus in Europa) und die Breite (die Vernetzung der diversen rechtsextremen Organisationen, Bewegungen und ›Kulte‹) tritt also die Dimension der Tiefe (psychische, soziale und ›religiöse‹ Dispositionen von Personen und Milieus, die die rechten Projektionen, Legenden und Begriffe als ›Erlösung‹ erleben). Es ist uns klar, dass Kritik, die so tief ins Wurzelwerk hineinreicht, auf etliche der gebräuchlichen Sicherheitsvorkehrungen verzichten muss, es geht schließlich um Mythen, Fantasien, Psyche und Traum, oder, um es noch allgemeiner zu sagen, um die ›Vorstellungen‹ in der rechten Politik. Was muss geschehen, bevor jemand einem Björn Höcke zujubelt? Und kann Kritik etwa in einen Kopf hineinschauen? Was sie kann, auch wenn es einen Haufen Arbeit macht, ist, die gesellschaftliche, kulturelle und semantische Fabrikation der Fantasien und Phantasmen zu beschreiben, die natürlich immer noch mit einem biografischen ›Einzelfall‹ verbunden ist. Ich kann erzählen, wie Onkel Ernst ein Nazi geworden ist, und ich kann dokumentieren, welche ›Wählerwanderungen‹ zur AfD stattgefunden haben. Aber in das, was zwischen beidem, dem Einzelfall und der Statistik, der kleinen Geschichte und der großen, geschieht, kommt man nur mit dieser eigenwilligen Mischung von theoretischer Methode, Beobachtung und polemischer Anteilnahme, genannt Kritik. Der rechtsextreme Mensch unserer Tage wird nicht nur durch sich selbst und durch die Führer und Verführer der rechten ›Bewegungen‹, sondern auch durch die Gesellschaft geformt, in der er aufwächst, ohne in sie hineinzuwachsen.
Gegenstand der Kritik sind daher nicht so sehr einzelne Menschen (um die kümmern sich Medizin, Psychoanalyse, Kunst und vor allem reale Mitmenschen im besten Fall viel wirksa14mer), sondern die Verhältnisse, in denen sie leben: soziale Maschinen, die sie denken und träumen machen, Strukturen, die ihnen Wege und Positionen zuweisen, und nicht zuletzt Erzählungen, Bilder, Begriffe, ›Informationen‹, Gesten, Riten. Je mehr man von Verhältnissen, Mechanismen und Strukturen weiß, und je weniger man sie als selbstverständlich oder gar ›natürlich‹ ansieht, desto größer die Freiheit des Einzelnen darin. Wir kritisieren die Verhältnisse zwischen der ›Mitte der Gesellschaft‹ und der anti-demokratischen Rechten nicht, um Menschen zu entlasten, die rechte Gesinnung und rechten Terror ignorieren oder gutheißen, sondern umgekehrt gerade, um das Maß an persönlicher Verantwortung zu erhöhen. Es soll kein ›Oh, das hab ich aber wirklich nicht gewollt‹ mehr geben. Zwar sind Menschen, die zur extremen Rechten gehen, womöglich keiner Kritik mehr zugänglich, doch die Verhältnisse, die ihnen das nahelegten und erlaubten, sind es durchaus. Denn für sie sind viel mehr Menschen und Institutionen zuständig als die rechten Täter und Mitläufer selbst. Deshalb beschreiben wir die Blödmaschinerie der rechten Propaganda, der Kulte, Erzählungen, Bilder und Rituale nicht als etwas, das von außen oder oben kommt, sondern in ihrem Keimen aus der Mitte der Gesellschaft. Und die Kritik daran kann daher gar nicht anders sein als ›radikal‹ im Sinn von: an die Wurzeln gehend. Denn eine Kritik der Rechten bleibt verkürzt ohne eine Kritik der Gesellschaft, die sie ermöglicht und befördert.
Kann Kritik das Schlimmste abwenden? Falsche Frage. Das Schlimmste tritt ein, wenn die Kritik abgewendet werden kann. Solange es Kritik gibt, gibt es Hoffnung.
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PROLOG
»Wir leben nicht nur in einem Zeitalter der Kriege, Diktaturen und Covids, sondern werden auch von einer tödlichen Epidemie der Dummheit heimgesucht«, behauptet der russische Schriftsteller und Dissident Viktor Jerofejew.[2] Und jeder verzweifelte Post-Aufklärer, jede verzweifelte Demokratin, jede*r Intellektuelle wird melancholisch zustimmen. Ach ja, die Dummheit. Welcher kluge Mensch erregt oder amüsiert sich nicht über den allfälligen Schwachsinn seiner Mitmenschen? Von zwei Dingen, die unendlich seien, sprach Albert Einstein einst: dem Universum und der menschlichen Dummheit, wobei er sich beim Universum nicht ganz sicher war. Allerdings heißt das nur, etwas Unerfindliches in einem hübschen Allgemeinplatz zu entsorgen. Denn das Universum und die menschliche Dummheit ähneln einander auch in der Dialektik von Erkennbarkeit und Unberechenbarkeit. (Und auch hier könnte man anmerken: Beim Universum sind wir uns da weniger sicher.) Dumm sind erst mal immer nur die anderen. Oder nicht doch auch, unheimlich genug, etwas Anderes in einem selbst? Ja, wir dürfen und müssen es sagen: Wir haben nicht nur Angst vor dem Ressentiment um uns, sondern auch vor dem in uns. Ob von Natur aus oder aus eigener Schuld, ob selbst erzeugt oder durch soziale Maschinen – die Weigerung, Humanität und kritische Vernunft zum 16Leitmotiv für die Beziehung zwischen Person und Welt zu machen, muss, wenn nicht an allem, so doch an ziemlich vielem schuld sein. Die Menschheit muss einfach vom Virus der Blödheit befallen sein, sonst wäre sie nicht da, wo sie augenblicklich steht. Am Abgrund. Wieder einmal.
Die erzeugte Blödheit, wie wir sie in unserem Kompendium »Blödmaschinen« allgemein beschrieben haben, ist, wenn sie politisch wird, nicht automatisch ›rechts‹. Es gibt auch eine politische Blödheit, die von links kommt. Und es gibt, besonders ausgeprägt, auch eine politische Blödheit im Liberalismus, in dem es sogar ein (wenn auch nicht grenzenloses) Recht auf Dummheit gibt. Mark Twain hat es einst postuliert: »Das Recht auf Dummheit gehört zur Garantie der freien Entfaltung der Persönlichkeit«, und der deutsche Ex-Bundespräsident Roman Herzog verlangte sogar ein »Grundrecht auf Dummheit«.[3] Wir vermuten: Die Dummheit wird dann zum Problem, wenn sie vom tolerierten Störfall zum systemischen Prozess gerät; und sie wird zur tödlichen Gefahr, wo sie selber zum System wird. Es gibt, nicht nur bei Bergwanderungen und in Atomkraftwerken, Situationen, in denen das Recht auf Dummheit und das Recht auf Überleben sich tödlich duellieren.
Doch ob sie von rechts oder links oder ›aus der Mitte‹ kommt, am Ende führt die politische Dummheit zu den immer gleichen Vorstellungen und Mechaniken in den Köpfen und im Rest der Welt. Politische Dummheit ist die Strafe dafür, dass nicht jedes Sehen auch zur Klarheit führt. Nicht-dumm-sein-Wollen ist nicht nur recht anstrengend, sondern auch mit großem Verzicht verbunden: Es gibt keine endgültige und umfassende Wahrheit. Die äußere wie die innere Welt bleibt rätselhaft – was durchaus interessant und produktiv wäre, wenn, ja wenn man in einer Kultur leben könnte, die einen entspannten und freundlichen Umgang mit der Widersprüchlichkeit und Offenheit des Weltganzen pflegte, anstatt unentwegt nach Status und Identität zu 17fragen. Was zum Wesen einer aufgeklärten, humanistischen und liberalen Gesellschaft gehört, ist eine persönliche wie kollektive Instanz, die am Ende so wenig ›handfest‹ ist wie, sagen wir, die seelischen Instanzen der Psychoanalyse. Man nennt es das Bewusstsein, und vielleicht kann man es sich vorstellen als ein Instrument des Menschen, das ihm über sich selbst, seine Bedürfnisse, Anschauungen und Traditionen hinauszusehen erlaubt. Etwas, das neben einem steht und so viele schlaue Bemerkungen über das Große und Ganze macht, dass es einem bisweilen auf die Nerven gehen kann. Meistens hilft es dabei, sich in einer komplexen, das heißt nicht restlos erklär-, berechen- und kontrollierbaren Welt zurechtzufinden. Bewusstsein ist jene Instanz, die persönliche Freiheit und Verantwortung für das Ganze zusammendenkt. Bewusstsein ›gibt‹ es nicht, es wird erzeugt, und zwar durch eine weitere, nicht weniger komplexe Instanz. Diese nennen wir ›Kultur‹. Defekte Kultur führt zu mangelndem Bewusstsein, wie auch umgekehrt. Und was geschieht, wenn diese dialektische Beziehung von der einen oder der anderen Seite her in Frage gestellt oder gar abgebrochen wird? Es ist exakt das, was wir gerade erleben müssen. Kulturkampf und Bewusst(seins)losigkeit.
Überzeugung muss her, wo die Grenzen der Erkenntnis eng geworden sind. Denn ein Kopf kann nur ein bestimmtes Maß an Chaos aushalten. Wenn es zu viel wird, muss er in sich aufräumen. Oder es wird in ihm aufgeräumt. Ein Recht auf Dummheit wäre da vielleicht nichts anderes als das Recht auf Fortbestehen in der endlos suggestiven und chaotischen Welt; ein Recht auf Blödheit ist damit indes nicht gegeben, denn die Blödheit (die sich nur allzu gern mit Schlauheit paart) spricht beidem, dem Klugen wie dem Dummen, das Recht ab, die Welt ›richtig‹ zu sehen: Politische Blödheit will sich die Welt untertan machen im Namen von etwas oder jemand Großem Anderen; sie schafft die Kultur als Medium des Bewusstseins ab und ersetzt es durch Riten der Identitätsfixierung. In der Blödheit wird das Dumme nicht bloß zum Dogma, sondern strebt auch nach terroristischer Macht. Ist in einer blöden Welt der Blödeste König? Oder ist es 18der, der dem selbstverzapften Blödsinn selbst nicht auf den Leim geht? Wie dem auch sei: Es geht hier nicht nur um die Machenschaften von ein paar rechten Scharlatanen nebst der Dummheit derer, die ihren falschen Versprechungen aufsitzen und ihre falschen Anschuldigungen übernehmen. Wie die Knotenpunkte der rechten Propaganda-Netzwerke – das Casa Pound in Italien, das Institut für Staatskunde in Deutschland, Les Identitaires in Frankreich – funktionieren, wie bestimmte Organisationen, etwa die rechten Burschenschaften hierzulande, ›konservative‹ und rechtsextreme Impulse zusammendenken und zu einem ›Lebensbund‹ mit Karriere-Unterstützungen werden, wie Parteien von der AfD bis zu den Fratelli d'Italia hinter der offiziellen Fassade mit dem rechten Untergrund paktieren, all das ist für alle, die es wissen wollen, gut dokumentiert. Aber warum kann es so reibungslos geschehen, warum ist es gerade für junge Menschen so attraktiv? Mit der Cleverness der anti-demokratischen Netzwerke und der Blödheit, die sich der (neo-)liberale Kapitalismus selbst gern einschenkt, ist das allein nicht zu erklären.
Die rechte Erzählung, die wir uns im Folgenden näher ansehen wollen, erfasst nicht nur den harten Kern der ideologisch verblendeten Bösewichte und die Entourage von ›Verführten‹ und ›Mitläufern‹ (wie sie ›hinterher‹ gern heißen), sondern alle Gesellschaften, alle Staaten, alle Sinn- und Wissenssysteme hier und anderswo – und damit stets auch die, die sich dagegen wenden. Wie viel kulturelle, ästhetische und wissenschaftliche Arbeit muss liegenbleiben, weil sich Menschen, die sich der Zivilisation, ihrem Erhalt und ihrer Humanisierung verpflichtet fühlen, auf den Kampf gegen eine Rechte konzentrieren müssen, die keinen Hehl daraus macht, dass sie sich um Humanität, Toleranz und Mitmenschlichkeit einen Dreck scheren wird, wenn sie ihr Machtziel erst einmal erreicht hat. Und wie allein gelassen ist eine antifaschistische Kultur, wenn Staat, Wirtschaft und Medien beharrlich weiter um Mandate, Boni, Posten und Renditen kämpfen. An die Wurzeln dessen zu gehen, was da geschieht, scheint allzu geschäftsschädigend und ruhestörend.
Auf die Verblödung folgen hier wie dort Rohheit und Igno19ranz, und alsbald sind die Grundlagen gelegt, die Alarmglocken abgestellt, die Wege frei für zuerst populistische, dann autokratische, schließlich diktatorische und am Ende terroristische Regimes. Und überall war es ›das Volk‹, das es so wollte (lange Zeit nannten Linke es auch gern ›die Massen‹). Christine, Peter und Franz – und ja, auch Bill, José, Chantal und Igor – werden von nichts gewusst haben, werden geblendet, manipuliert, verführt worden sein. Was können Menschen denn gegen das Volk (und seine Führer) ausrichten? Weltlos, in einem furchtbaren Foltergefängnis aufgewachsen, wird der Superschurke Bane in den Kosmos von Batman und Gotham City entlassen, denn er hat, wie seine Peiniger und Herren erkannt haben, mit dem Verlust sozialer und moralischer Rückkopplungen die Fähigkeit erworben, die Massen zu begeistern. Sein Trick ist einfach: »Bane erklärt den Menschen, sie könnten tun und lassen, was sie wollten – er nötigt ihnen keine eigene Ordnung auf«, erkennt Slavoj Žižek.[4] Und genau daraus entsteht seine Herrschaft. Aus Angst vor der eigenen regellosen Macht tun die Menschen, was er, was ein Bane will, der ja schon im Namen nichts anderes ist als der Fluch (der politischen Verblödung). Der Stoff, aus dem die Energie für seinen permanenten Aufstand gegen Gesellschaft und Zivilisation gewonnen wird, ist Angst. Es gibt keine Blödheit ohne Angst. Deshalb hätte dieses Buch durchaus auch »Angstmaschinen« heißen können.
Auch in der Geschichte der politischen Blödheit gibt es sowohl Punkte der Entscheidung als auch längerfristige Entwicklungen, und zumal in der Geschichte der Medien, die ›politische Öffentlichkeit‹ erzeugen und bewahren sollen. So war es ein Grundgedanke der demokratischen Staaten nach dem Krieg, sich einerseits aus der öffentlichen Meinungsbildung weitgehend herauszuhalten, also weder Zensur auszuüben noch einen Propagandaapparat zu unterhalten, andererseits Gesetze zu pflegen, die eine faire und neutrale Information aller Bürgerinnen und Bürger ermöglichen sollten. In den USA stand dafür, nur 20zum Beispiel, eine »Fairness Doctrine«, die Rundfunk und Fernsehen dazu verpflichtete, alle Seiten des politischen Spektrums (solange sie innerhalb des Verfassungsrahmens agieren) zu Wort kommen zu lassen. Die Regierung von Ronald Reagan kippte dieses Gesetz mit dem Argument, man könne bei der neuen Vielfalt durch die Kabelsender ohnehin nicht mehr kontrollieren, wie fair und ausgewogen eine Nachrichtensendung sei. Der Effekt war durchschlagend, denn genau das, was zu verhindern war, trat nun ein. Es entstanden Hetz- und Propaganda-Sender wie Fox News, zugleich schrie immer irgendwer nach Zensur der ›Lügenpresse‹ oder von ›linken Sendern‹. Doch in diesem Bruch eines grundsätzlichen Medienvertrages, den so oder in ›softeren‹ Versionen viele westliche Länder im Strukturwandel der Mediennutzungen erlebten (auch von Helmut Kohls »geistig-moralischer Wende« war nie mehr zu sehen als die Entfesselung der Blödheit im Privatfernsehen), steckte auch ein tiefgreifender Wandel der Vorstellung von Presse- und Meinungsfreiheit. Wurde zuvor das Recht der Adressaten, der Zeitungsleserinnen, Fernsehzuschauer und Netznutzer*innen auf eine faktenbasierte, halbwegs neutrale und allgemein zugängliche Information, neben der Kommentare als solche gekennzeichnet blieben, als Grundlage von Meinungsfreiheit angesehen, so wird nun unter Meinungsfreiheit das Recht der Kanal-Eigner (vom Hassprediger im Talk Radio über Robert Murdochs Senderkette bis hin zu Plattform-Korsaren wie Elon Musk) angesehen, die Welt mit allem zu überschwemmen, was ihnen genehm ist, und jedes Widerwort zu überbrüllen oder stummzustellen. Die ›Meinungsfreiheit‹ ist vom Empfänger auf den Sender, und das heißt auch von der Gesellschaft auf die ökonomische Macht übergegangen. »X« profitiert von den Versendern von Hassbotschaften und ist zugleich das Medienvehikel für einen Zusammenschluss von Politik und Ökonomie, der um der Demokratie willen gerade zu verhindern wäre. Anstelle des Prinzips von checks and balances ist das der ungehemmten Komplizenschaft getreten: Taktische Oligarchen-Ehen wie die von Trump und Musk können an demokratischen Strukturen gar 21nicht mehr interessiert sein. Die Meinungsfreiheit ist ›privatisiert‹, wie es der Neoliberalismus nun mal vorsieht. So konnte aus einer komplex austarierten Konsens-Maschine eine mediale Mechanik der Spaltungen werden: Die Massenmedien wurden zu jenen ›Echokammern‹, in denen sich Erzählungen und Stimmungen nur noch verstärken. Konservative und Liberale haben nicht nur verschiedene ›Meinungen‹, sie leben in verschiedenen Bild- und Sprachwelten. Und aus den Buzzwords und Behauptungen der globalisierten Reaktion, die sich dabei zugleich habituell normalisiert und suchtdynamisch radikalisiert haben, formte sich so eine zwar im Einzelnen volatile und konfuse, im Ganzen aber stählerne rechte Welterzählung. Kaum etwas an Kultur, Pop oder Information, was noch außerhalb des Sogs der rechten ›Blase‹ geschähe. Und alles andere ist aus deren Innenperspektive nicht mehr ›weit weg‹ oder ›nebendran‹, sondern undenkbar, unvorstellbar, feindlich. Der Angriff auf meine Blase ist ein Angriff auf meine Wirklichkeit ist ein Angriff auf mein Leben.
Ein Buch wie dieses wäre der Mühe nicht wert, wenn politische Blödheit nicht gefährlich wäre. Sie schafft das Feld, auf dem erst Schwachsinn, dann Paranoia und schließlich Gewalt gedeiht. Zerstörung ist die Fortsetzung der Blödheit mit anderen Mitteln. Diese abschüssige Bahn, auf der ein Land nach dem anderen derzeit hinabzugleiten droht, bildet das Leitmotiv dieser Versuche über eine mediale, rhetorische und ikonografische Maschinerie, die vielleicht schon mehr von der politischen Kultur gefressen hat, als die westlichen Gesellschaften sich eingestehen wollen. Es geht längst nicht mehr nur darum, ob populistische Politikerinnen und Politiker bei Wahlen reüssieren, ob sie hier an die Macht kommen, dort gerade noch verhindert werden und hier oder dort sogar wieder aus dem politischen Zentrum verjagt werden können, sondern auch darum, was dabei im Inneren der Gesellschaften, in ihren juristischen, semantischen, medialen Subsystemen und nicht zuletzt im Inneren der Köpfe angestellt wurde; und zwar sowohl in denen, die sich willentlich in die politische Blödmaschinerie begeben, um sich 22transformieren zu lassen (vom Bürger zum Volk, von der Kritikerin zur Gläubigen, ja generell vom denkenden zum ›überzeugten‹ Menschen), als auch in denen, die ratlos entsetzt davorstehen und es nicht schaffen, ihre Hoffnungen würdevoll zu begraben. Politische Blödheit macht nicht nur ihre Protagonisten, sondern auch ihr Umfeld, schließlich sogar ihre Gegner irre. Sich von ihr zu befreien, ist ein hartes Stück Arbeit. Wir versuchen einen Anfang. Nicht mehr und nicht weniger.
Wie gesagt geht es hier nicht um jene genuine Dummheit, mit der die Schöpfung alle Menschen (wenn auch sehr ungerecht) bedenkt und gegen die bekanntlich selbst Göttinnen und Götter machtlos sind, sondern um den Schwachsinn, der in sozialen, semantischen und schließlich politischen Systemen fabriziert wird. Sein Perpetuum mobile ist eine mentale Regressionsdynamik, die sich mit Wahnideen und Ängsten, mit magischen und ›religiösen‹ Vorstellungen befeuert, um zu einer mehr oder weniger geschlossenen Welterzählung auszuhärten, an der jede geistige und sittliche Vernunft fortan zerschellt. Unsere Definition von ›politischer Blödheit‹ wäre mithin: Dummheit aus angstgetriebener, selbstverordneter Unmündigkeit bei gleichzeitiger Schläue im Abwehren besseren Wissens oder Einsehens – als rotierende Bewegung mit Fliehkräften in Richtung Wahn, Hysterie und Fanatismus. Historisch beschreiben wir so einen komplexen Transformationsprozess: Aus einem Zerwürfnis zwischen einem (menschlichen) Subjekt und einem (sozialen) System in einem (semantischen, kulturellen) Milieu entsteht eine Trennungsgeschichte (man trennt sich von der Demokratie, dem Liberalismus, der Bürgerlichkeit, der Moderne, dem ›wissenschaftlichen Weltbild‹, der Mitmenschlichkeit, dem kooperativen Staat, oder man wurde von alldem getrennt, oder es war einem gar nicht erst möglich, in all das hineinzuwachsen, wie die große Zahl an Rechtsextremen gerade unter westlichen Jugendlichen oder ge23nerell in den Bevölkerungen autoritärer Staaten zeigt). Darauf folgt das Eintauchen in eine Große Erzählung, die verspricht, nach den gescheiterten und/oder sündhaften Verheißungen des Fortschritts in eine strahlende, ewige Vergangenheit zurückzuführen. In dieser anderen Wirklichkeit, in der sich Materie und Symbole neu sortieren, mehr noch im Sinne einer finsteren Erlösungsreligion denn als politische Ideologie, gelten andere Codes und Hierarchien als in der Welt, die man abgetan hat oder von der man sich abgetan wähnt. In der Engführung politischer Blödheit auf die rechten Prediger und ihre Gefolgschaft glauben wir jedoch zudem eine besondere Form erkennen zu können: die Erlösungsblödheit. In der Bibel wird Erlösung definiert als Heilung unseres verwundeten Menschseins (Römer 8,23); machen wir's einfacher und sprechen von einer Hoffnung auf Heilung der zerbrochenen oder unvollständigen bürgerlichen Person. Wenn getan wird, was die Prediger verlangen, wenn die Opfer vollbracht und die Schwächen überwunden sind, wenn das fremde Gift und die Weichheit, die Vermischung und die Grenzenlosigkeit besiegt ist, wenn wir vernichtet haben, was uns von uns selbst entfernt hat, dann ist das Reich wieder groß und das Ich darin ›identisch‹. Saul Friedländer hat vom »Erlösungsantisemitismus«[5] gesprochen. Die abstrakte Vorstellung vom ›Juden, der an allem schuld ist‹, von dessen Joch man sich aber dadurch befreien kann, dass man Juden konkret malträtiert, scheint uns für den Betrieb von Blödmaschinen grundlegend, ja auf perverse Art universell. Unsere Ausgangsthese ist, dass die rechte Welterzählung, die derzeit auf den politischen Marktplätzen in verschiedenen Variationen verbreitet wird, im Kern eine Erlösungsgeschichte ist; und dass sie, wenn man die Maschine einfach weiter rasen lässt, schließlich in Erlösungsgewalt und Erlösungsdisruptionen münden muss (wobei Economy Class und Business Class zumeist in ganz verschiedenen Paradiesen landen).
24Diese Erlösung soll mit dem Wegtun des ›Anderen‹ kommen, als Abschiebung hier, und dort auch als Mord. Spätestens damit ist eine Analogie zwischen der Konstruktion eines alternativen, weder vom Faktischen noch vom traditionell Moralischen gedeckten Weltbildes und einer gefährlichen Paranoia unverkennbar. Auch die Disposition von Tätern und Mitläufern im historischen Faschismus hat man in einem Dreieck zu erklären versucht: als Religionsersatz, als ideologisches Weltbild und als Wahn (mit Unterformen wie dem ›Rassenwahn‹). Und auch da war nur zu deutlich, wie variabel sich in diesem Dreieck persönliches Verbrechen, Bereicherung, Opportunismus und Korruption verteilen ließen. Immer gilt es beides zu beachten: das Verbrechen des (politischen wie semantischen) Systems und die Verbrechen, die Einzelnen darin möglich werden.
Als die ›Maschine‹, die das Werk der politischen Verblödung leistet, verstehen wir keineswegs nur die, natürlich durchaus hier und da raffinierte, meistens aber vor allem derbe und obszöne Propaganda und Manipulation durch die populistische und extreme Rechte, sondern eine umfassendere ›soziale Maschine‹, die sich aus dem speist, was in Köpfen und in ›Seelen‹ von Menschen, in Kommunikationen und Organisationen von sozialen Subsystemen und in den Konstruktionen von Erklärungen, Bildern und Erzählungen geschieht, wenn sie in die Netze medialer Verstärkungen geraten. Denn ohne die latente Bereitschaft in den Köpfen von Christine, Peter und Franz wären die Rechten nichts als eine politische Randburleske; und ohne die Verdichtung durch die Organisationen und Medien der Rechten wäre umgekehrt das, was in den Köpfen von Christine, Peter und Franz vor sich geht, auch nicht viel mehr als eine mehr oder weniger verbreitete Angststörung mit unsympathischen Leitmotiven und skurrilen Sündenbock-Fixierungen, die sich in schlechter Laune und Genörgel vor dem Fernseher ausdrücken oder schlimmstenfalls den vielbeschworenen Einzeltäter hervorbringen würde. Umso mehr muss es hier darum gehen, das wechselseitige Spiegelverhältnis zu erkennen.
Die kognitive Beschränkung ist nicht bloße Regression, nicht 25nur Kapitulation vor den komplexen Herausforderungen der Gegenwart und Flucht in eine fabulierte Vergangenheit, es ist auch eine Neuschaffung, ein Umbau der Ich- und Weltbilder entlang scheinbar abstrakter Begriffe wie ›Volk‹, ›Nation‹, ›Rasse‹ oder ›Kultur‹. Es gibt einen Bruch, den Wählerinnen und Wähler der AfD, der Fratelli d'Italia, der Wahren Finnen, der FPÖ, der PVV et cetera vollziehen, einen Bruch, der mit den neuen Volkstribunen à la Trump oder Meloni besiegelt wird, einen Bruch mit den Tugenden und Codes des ›guten Bürgers‹, einen Bruch, nicht zuletzt, mit der Geschichte des Westens im letzten halben Jahrhundert. (Wie märchenhaft sich das doch schon alles anhört!) Natürlich gibt es auf der anderen Seite ebenfalls einen Bruch, der durch Post-Kolonialismus, Wokeness oder Identitätspolitik vollzogen wird – auch von Menschen, die unter dem Motto der Befreiung losziehen und im Zeichen des Terrors ankommen (wie es einem Teil der ›pro-palästinensischen Linken‹ zu geschehen scheint). Auch sie entfernen sich vom Bild der liberalen, rationalen und universalistischen Bürgerinnen und Bürger, die die Demokratie geschaffen haben und sich nicht zum ersten Mal in ihrer Geschichte einem Erosions- und Spaltungsprozess ausgesetzt sehen, der ihre Seelen und Hoffnungen zerreißt. Es ist der bürgerliche Mensch (eigentlich keine große Sache, kein Held und kein Opfer), der wieder einmal auf der Kippe steht. Aus seinem eigenen Zentrum geschleudert, sucht er nach anderer ›Identität‹ und ›Heimat‹, denn im Dreieck von demokratischem Staat, liberaler Gesellschaft und kapitalistischer Wirtschaft findet er all das nicht mehr.
Der bürgerliche Mensch sollte ›ehrbar‹ sein, das heißt anständig, vernünftig, bescheiden, ein bisschen tolerant und ein bisschen autoritär, kommunikativ und sozial, moderat und moderiert. Der Mensch der Mitte. (Und ja, diese ›Mitte‹ wird zum großen Totem, zu dem, auf das alles hinweist und vor dessen Verlust man sich nie genügend fürchten kann. Die Mitte, dieser heilige, leere Ort, ist das Einzige, was Christine, Peter und Franz verlässlich orientierte, bevor man sie ihnen wegnahm. Wo ist die Mitte, wenn man sie braucht?) Nach dem Bruch, der womög26lich einsam in einer Wahlkabine vollzogen wird, vielleicht auf der Straße, inmitten einer Masse, die aus dem modernen Durcheinander ein einheitliches Volk entstehen lassen will, oder auch in den Echokammern der digitalen Netzwerke, ist alles anders. Die Protagonisten der neuen Rechten sind offensichtlich und performativ alles andere als anständig, vernünftig und bescheiden; sie scheren sich einen Dreck um Toleranz und soziale Empathie; Wissenschaft ist ihnen nur ein News-Ticker, den man likt, wenn eine Meldung eigenen Zielen dient, und ignoriert oder verdammt, wenn sie von ›den anderen‹ kommt. Und an die Stelle des bürgerlichen Common Sense setzen sie Mythen, Lügen und Hassprojektionen in einer seltsamen Gleichförmigkeit und wie unter Wiederholungs- und Steigerungszwang – freilich nicht ohne dabei immerzu auf ihren ›Common Sense‹ zu pochen. Die verschiedensten Spinner, Hasspredigerinnen oder Volkstribune all over the world erreichen sehr spezifische Milieus und Gruppierungen, doch im Kern erzählen und versprechen sie alle das Gleiche.
Aber wie geht man damit um? Ist man nicht schon dadurch, dass man versucht, sich auf diesen Bruch einen Reim zu machen, auf ›der anderen Seite‹, Teil der ›Eliten‹, die gar nicht verstehen, was ›im Volk‹ passiert, das endlich ›seinen Willen‹ haben will? Oder ist umgekehrt nicht jede Analyse dessen, was da vor sich geht, gefährlich, insofern daraus immer leicht eine Botschaft des (Ein-)Verständnisses herauszulesen wäre? Wenn ich Ursachen und Impulse für eine AfD-Wahlentscheidung aufzeige, habe ich sie da nicht schon halb verziehen? Aber nein, Lutz, Larry und Lisa werden aus der Verantwortung nicht entlassen, wenn es Umstände und Kräfte gibt, die ihren Bruch mit der ›guten Bürgerlichkeit‹ und mit der liberalen, demokratischen Kultur des Westens begleiten. Politische Blödheit und Paranoia als Angstreaktion werden vor der Geschichte nicht als Entlastungsargumente für die ethische Selbstabschaffung anerkannt. In vielen sozialen und psychologischen Theorien geht es darum, wie sich Menschen, Klassen oder Milieus, die sich ausgegrenzt, gekränkt, verlassen oder missverstanden fühlen, von den Verhältnissen in 27der kapitalistischen Demokratie abwenden; ganz zu schweigen von den Beschreibungen der Tricks, der Regelbrüche, der Betrugsmaschen und der Semantik der populistischen Führer*innen und ihrer willigen Helfer*innen. Doch nicht einmal beides zusammengenommen – eine soziale ›Krankheit‹ und eine politische Kraft, die rasche Therapie verspricht – erklärt den Erfolg des rechten Populismus derzeit und ›bei uns‹ (wo so etwas lange unvorstellbar schien). Es muss noch etwas anderes stattfinden, im Inneren dieses sozialen Malstroms, und eben im Inneren der Blödmaschinen, was aus Unmut, Langeweile, Angst und Gier den Wunsch erzeugt, ein anti-demokratischer Mensch in einer anti-demokratischen Welt zu werden. In dieses Innere muss man hinein, im Bewusstsein der Risiken, die damit verbunden sind. Denn natürlich birgt so ein ›Hineinkriechen‹ die Gefahr der Pathologisierung: Sind sie nicht einfach krank, die da hetzen, grölen und morden? Oder die Gesellschaft, die sie hervorbringt? Wir wollen die Analogien zwischen individueller Seelenkrankheit und sozialem Fehlverhalten mit gebotener Vorsicht betrachten. Die objektive Diagnose, die ärztliche Autorität gibt es nicht. Daher aber auch keine Schweigepflicht. Wir sind mittendrin, Bewohner derselben Welt, Nutzer derselben Sprache (langue), haben dieselben Grenzen in Zeit und Raum, sind Opfer derselben Blödheit. Das ›Wir und die anderen‹, das zum Schlachtruf der post-demokratischen Politik geworden ist, machen wir zunächst einmal nicht mit. Vor dem Gewächs untersuchen wir den Mist, auf dem es wuchs.
Bevor man zu analysieren und differenzieren beginnt, wie man es nun mal in der bürgerlichen Elite gelernt hat (wobei einem gar nicht klar ist, was daran so elitär sein soll, das Lohnniveau jedenfalls nicht, bestelltes Lügen ist lukrativer), bevor also eine kritische Position gefunden werden kann, ist wohl ein Schritt 28nötig, der nicht ganz einfach ist, nämlich das Eingeständnis eines dreifachen Bruchs: des Systembruchs mit der Demokratie, des sozialen Bruchs mit der liberalen, progressiven oder auch maßvoll konservativen Gesellschaft (im eigenen Land wie in der Welt) und schließlich des Bruchs mit der bürgerlichen Individualität, der eigenen Biografie oder mit einem biografischen Ideal. Einst schlug Enrico Berlinguer einen historischen Kompromiss zwischen den Linken und den Mainstream-Demokraten vor, um die Gefahr einer Machtübernahme des neuen Faschismus zu bannen; heute schlagen die Rechten einen historischen Bruch vor, dem sich Menschen bis in die alte ›Mitte‹ hinein anschließen sollen, um der Gefahr von ›Umvolkung‹ und ›Genderwahn‹ zu begegnen. Der Kompromiss wurde von den ›Konservativen‹ abgelehnt, zumindest erscheint ihnen heute eine Zusammenarbeit mit ›den Linken‹, mögen diese noch so strikt im konstitutionellen Rahmen agieren, kategorisch ausgeschlossen, während eine Zusammenarbeit mit erklärt anti-konstitutionellen Rechten durchaus vorstellbar erscheint, natürlich erst nur fallweise und aus ›purem Sachzwang‹, aber …
Wenn man die drei Felder des Unbehagens – Staat, Gesellschaft und Biografie – miteinander in Beziehung setzt, entsteht statt der einen alles erklärenden Bruchlinie eine Vielzahl von teils bewusst inszenierten und teils chaotischen Brüchen. Doch alle miteinander besorgen sie ein Projekt: die Bewirtschaftung und Forcierung des Auseinanderfallens einer gewachsenen, komplizierten und in sich widersprüchlichen, aber integrativen Gesellschaft als Medium zwischen Biografie und Regierung mit dem Ziel einer Transformation der Dreiheit von Staat, Gesellschaft und Subjekt hin zu einer neuen Trias von Nation, Volk und ›Identität‹. Diese brachiale und in sich knirschende Doppelbewegung wollen wir als soziale ›Maschine‹ beschreiben, die offensichtlich, einmal angeworfen, nicht so leicht zu stoppen ist. Sie ist eine spezifische Form dessen, was wir allgemein als ›Blödmaschinen‹ definiert haben. Sie benötigt Menschen, die auf die eine oder andere Weise empfänglich geworden sind für mutwillige Dummheit. In ihnen bewirkt sie einen Bruch im Denken, 29Empfinden, Sprechen und Handeln. Aus dem Rohstoff des unzufriedenen Bürgers wird der retromanische Nationalist, der die Geschichte zurückdrehen will und nur weiß, dass irgendwas ›weg muss‹, damit etwas anderes ›zurückgeholt‹ und ›wieder groß‹ werden kann. Aber wenn die politische Blödmaschine aus Paranoia Politik erzeugt, stellt sich die Frage: Was erzeugt die Paranoia? Sind es die ›primären‹, die unspezifischen Blödmaschinen, die ›Verhältnisse‹ in Wirtschaft und Kultur, oder gesellschaftliche Bewegungen, in denen viel mehr Chaotisches, Verborgenes, Widersprüchliches rumort, als in deren bisherigem Selbstverständnis vorkommt? Können Gesellschaften, Sprachen, Systeme so ›irre‹ werden, wie es mit menschlichen Individuen geschehen kann? Politische Paranoia, das ist einerseits die Übertragung persönlicher Störungen und ›Komplexe‹ in den Raum der öffentlichen Diskurse und der Machtfragen, es ist andererseits auch eine ›kranke‹ Störung der Systeme und Diskurse selber. Kranke Menschen machen kranke Politik, und kranke Politik macht kranke Menschen. Das physische Ergebnis solcher Krankheit sind Zerstörung und Selbstzerstörung. Denn schließlich bleibt, wenn man sich noch einmal kurz ans sichere Ufer der Tatsachen begeben will, eines klar: Die reale Politik des Populismus, wie man sie aus dessen Parteiprogrammen und Regierungshandeln erkennen kann, steht in offenem Widerspruch zu den objektiven ökonomischen und sozialen Interessen fast aller ihrer Unterstützer*innen. Weder Donald Trump noch Jair Bolsonaro, weder Giorgia Meloni noch Viktor Orbán, weder der Brexit noch der Binnenrassismus der Lega in Italien haben die Lebensumstände ihrer Unterstützerinnen und Unterstützer verbessert (sieht man von direkten Vasallen und mafiösen Nutznießern ab). Selbst die einfachsten Versprechungen (und sei's, wie in Italien, eine Steuerreduktion für Energie) wurden gebrochen. Ferner haben die geheime, schurkische Zentralmacht, die woke-jüdische ›Eliten‹-Verschwörung, der ›tiefe Staat‹ und überhaupt all ›die‹, die ›uns‹ an der Nase herumgeführt haben, bis die Volksretter ihnen endlich das Handwerk legten, offenkundig nirgends existiert – denn wie wären die Retter sonst je 30an die Macht gekommen? Aber einmal dort, setzen sie, statt Politik im Interesse der Bevölkerung zu machen, einfach ihren Kulturkampf fort, während bestehende Macht- und Geld-Eliten nicht etwa abgeschafft, sondern bloß mit eigenen Parteigängern besetzt werden. In Italien wurde die Mafia wieder mächtiger, ausbeuterische Arbeit häufiger, das Wohnen für ›normale Menschen‹ noch teurer. Stets bleibt die erhoffte soziale Erlösung aus, während der Glaube daran immer fester wird. Entsprechend naiv die Hoffnung auf ›Entzauberung‹, denn zwar verschlechtern sich unter rechtspopulistischen bis rechtsextremen Regierungen die realen Verhältnisse, doch dafür darf der Hass nur desto ungenierter walten. Die Beziehung zwischen dem ›rechten Volk‹ und seinen Propagandamaschinen ist im Kern verrückt. Die weitere Verschlechterung der materiellen Situation wird mit der Aufwertung der ›Zugehörigen‹ in den symbolischen Ordnungen kompensiert. Peter und Pedro haben weniger Geld in der Lohntüte, dürfen sich aber wieder als Herr im Haus und Pfeiler nationaler Größe fühlen.
Allerdings: Es gibt noch eine andere Erklärung, nämlich die eines mythischen Deckmantels über der Entfesselung bürgerlicher Un-Tugenden wie Mordlust, Beutegier und sozialer Sadismus. Dies freilich kennen wir aus den ›gewöhnlichen‹ Blödmaschinen, dass Gewalt und Blödheit eng verwandt sind und die Blödheit oft eine Ausrede für schlichte Gemeinheit ist. Aber vielleicht sind ja auch beide Impulse, die Flucht in die Irrationalität und die Übermalung der Gemeinheit, voneinander nicht so weit entfernt. Und natürlich geht es auch hier nicht um die Zeigefinger-Übung. Die rohe Blödheit kann einzelne Menschen befallen (und in der Tat heißt es dann eher, sich von ihnen fernzuhalten, auch wenn sie einmal nahe waren), sie befällt aber vor allem Milieus, Klassen, Arbeitsfelder, Kommunikationswege, Sprechweisen und so weiter. Also immer auch uns selbst, bis in familiäre und freundschaftliche Beziehungen hinein. Kaum jemand, der nicht erleben musste, wie sich Menschen aus der nächsten Umgebung während der Corona-Epidemie so fanatisch einem Trotzkult anschlossen, dass man meinte, sie nicht wieder31zuerkennen. Kaum jemand, der nicht ein ›Abdriften‹ einst freundlicher Nachbarn und Zeitgenossinnen in Verschwörungsphantasmen und ins ›rechte Milieu‹ beobachten musste. Und seitdem das Rechtsextreme so zäh in die besagte Mitte gesickert ist, bleiben auch bürgerliche Familien vor Bruch und Drama aus ›politischen‹ Gründen nicht verschont. Schließlich kann einen die Blödheit auf ganz verschiedene Weisen ereilen. Eine davon ist, sie leichthin von sich zu weisen.
Aber all das kam ja nicht über Nacht, und nicht von außen. »Die Veränderungen in den Denkweisen, den Glaubensinhalten, den Meinungen treten nicht durch rasche, simultane und verallgemeinerte ›Explosionen‹ ein«, meinte Antonio Gramsci, »sie treten fast immer durch ›sukzessive Kombinationen‹ nach äußerst disparaten und ›qua Autorität‹ nicht kontrollierbaren ›Formeln‹ ein. Die ›explosive‹ Illusion entsteht aus Mangel an kritischem Geist.«[6] Dem widerspricht in gewisser Weise Jurij M. Lotman, wenn er »semiotische Explosionen«[7] diagnostiziert, wie sie auch die Entwicklung der neuen rechten Erzählung prägen. Nehmen wir also eine Form der Latenz an (die rechte Erzählung ›schläft‹ im kollektiven Unbewussten oder im sozialen Gedächtnis), die etwa durch äußere Krisen verdichtet und dann zur Entladung gebracht wird. Was man als ›Rechtsruck‹ in den Staaten und Gesellschaften des Westens bezeichnet hat, und was wir als Blödmaschine begreifen, ist demnach in zwei Formen zu beschreiben: jener der »sukzessiven Kombinationen« und jener der »Explosion«. Das eine bedingt das andere, und möglicherweise 32finden beide Prozesse zur gleichen Zeit an verschiedenen Orten und am gleichen Ort zu verschiedenen Zeiten statt.
Auch in ihrer spezifisch politischen Spielart sind die Blödmaschinen nicht ohne ihre beiden emotionalen Transmissionsriemen zu verstehen: Angst und Lust. Nach dem Bruch genießt das ex-bürgerliche Subjekt sie jedenfalls anscheinend über alle Maßen. Es berauscht sich an Dingen, die ›eigentlich‹ verboten oder widerlegt sind (es darf an die ›Entfesselung‹ der wilden Lust in Gotham City durch Bane erinnert werden, die seinem Terrorregime vorangeht; die bigotte Rechte ›liebt‹ in einem wie Donald Trump immer auch und gerade seine verschlagene Niedertracht und infantile Unbelehrbarkeit). Nach dem Bruch ist anscheinend alles erlaubt, solange es dem gemeinsamen Märchen, der geteilten Lüge dient. Sind es letzthin nicht gerade die Vertreter ›konservativer‹ Kräfte, die sich durch besonders vulgäre und obszöne Sprache und krasse Geschmacklosigkeit hervortun? Dieses Nebeneinander von sentimentalem Moralismus, Lust an Gewalt(-Fantasien) und sexueller Drastik kennen wir aus der Geschichte der populären Kultur. Nach Henri Lefebvre[8] ist die Verbindung sogar essenziell für ›Unterhaltung‹. Bigotterie und Obszönität sind in den rechten Hasspredigten immer ganz nah beieinander. Ob es die Bosheit war, die die Blödheit zu Hilfe rief, oder ob es die Blödheit war, die sich die Bosheit schuf – ein gutes Drittel aller Menschen hat die »rigoristische Ethik des bürgerlichen Rationalismus«, von der Max Weber sprach,[9] offenbar satt. Stattdessen hungert man nach ›Gemeinschaft‹ (wir gegen die anderen), ›Ordnung‹ im Reich der Geschlechter und in der Kulinarik (kein Fleisch-Verbot und keine Insektennahrung!) und nach ›Wahrheit‹, sprich hier: Leugnung (Klimakrise gibt es nicht, Migration kann man mit Grenzen stoppen, fossile Energie ist geil, und der Holocaust war in der deutschen Geschichte nur ein »Vogelschiss«). Je näher man 33sich diese scheinbar so klaren Rhetorik-Mantras freilich ansieht, desto mehr offenbart sich in ihnen ein emotionales und moralisches Chaos, eine Form ideologischer Heuchelei über einem Durcheinander von verbotenen oder verdrängten Impulsen. Die rechten Blödmaschinen schaffen keine Ordnung in der symbolischen Welt, sie normalisieren nur die Verwirrtheit einer zerfallenden bürgerlichen Klasse und eines untergehenden bürgerlichen Subjekts. Sie verwandeln es in einen semiotischen Rausch-Zustand. Der Bruch, mitsamt seinen möglichen negativen Folgen in Gesellschaft, Wirtschaft und Privatleben, kann nur aus einem Grund vollzogen werden: Man fühlt sich nachher besser. (Wir erinnern uns an »Fascism makes you feel good« und Susan Sontags »Fascinating Fascism«:[10] Wenn man die Beziehung zwischen Blödheit und Gemeinheit in der rechten Erzählung betrachtet, darf man weder die Soma- noch die Speed-Wirkung vergessen.) ›Nachher‹ gibt es kein Zurück; ›nachher‹ ist die Erinnerung ans Vorher auszumerzen; ›nachher‹ ist aus einem problematischen, schwachen ICH ein unaufhaltsames, ›Identität‹ verheißendes WIR geworden.
Aber all das kann nur gelingen, wenn zugleich die Subjekte dieses Verlangens nach Gewalt, Autorität, Grenze und Terror sich einzeln und gegenseitig umformen. Aus dem bürgerlich-demokratischen soll das rechtspopulistisch-autoritäre Subjekt werden. Dieser Subjektumbau (nicht der erste in der Geschichte) hat viele Produktionswege; zum Rechtsextremismus kann man von unten, aus der Mitte oder auch von oben kommen, zur Auswahl gibt es gebildeten und bildungsfernen, urbanen oder ländlichen, alten und auch jungen, echten wie geheuchelten, verkniffenen wie prallen, kontrollierten wie entfesselten Rechtsextremismus. In Wahrheit ist das, was wir »rechtspopulistisch« oder »rechtsextrem« nennen, eine synkretistische Bricolage aus Mythen und Emotionen, die gleichwohl viel rigider wirkt als die bürgerliche Rationalität. Umberto Eco nennt das die »ge34ordnete Verwirrung« oder eine »strukturierte Konfusion« des »ewigen Faschismus«.[11]
Doch immer ist das beteiligt, was wir Blödheit nennen: »Dummheit plus ›Benommenheit‹«[12] . Der Weg vom bürgerlichen zum rechtsextremen Subjekt, der augenblicklich so bequem und erfolgversprechend scheint, ist nicht denkbar ohne dieses mentale Dispositiv, ohne die tiefe Sehnsucht danach, in die vor-aufklärerische Ur-Dummheit zurücksinken zu dürfen. In der rechten Propaganda wird diese Blödheit zur maschinellen Waffe geschmiedet, und gewiss glauben einige der neuen Volkstribune, sie hätten diese unter Kontrolle. Doch in den Echokammern der politischen Verblödung gibt es keinen sicheren Ort, keine klare Grammatik (geschweige denn verbindliche Ethik) zwischen Lügnern und Belogenen. (Wie viele Propheten und ›Kinder‹, wie viele ihrer ›Väter‹ und ›Mütter‹ hat die Konservative Revolution schon jetzt gefressen?[13] Wie viele Wegbereiter*innen wurden von ihren Nachfolger*innen überrannt? Wie viele ihrer einstigen Unterstützer wird der neue rechte Staat aus dem Verkehr ziehen? Wen trifft der Terror, der nie enden darf und der, wenn die externen Opfer ausgehen, intern weitertobt?) Die politische Verblödung reißt letztlich alle mit sich fort, Verblöder wie Verblödete.
In der selbstauferlegten Verblödung steckt die Sehnsucht nach unschuldiger Ur-Dummheit, so wie in jeder Art des Rechtsextremismus eine Sehnsucht nach dem Ur-Faschismus steckt. Es ist der unmögliche Zustand des Bourgeois, der nur zur Ruhe kommen kann, wenn er alles abtötet, was ihn so ängstlich wie geschäftig macht. Die Ur-Dummheit ist die Sehnsucht nach Stillstand, die fundamentale Leugnung der vielfältigen, veränderlichen und vertrackten Welt. Es geht dabei, mit einem Wort, um 35eine interne Faschisierung inmitten einer demokratischen oder auch post-demokratischen Gesellschaft, die mit der Übernahme des Staates und seiner Institutionen durch vereinte Kräfte der Rechten enden kann, wie derzeit vielfach zu beobachten. Was dabei entsteht, sind nicht unbedingt gleich ›lupenreine‹ faschistische Staaten und Gesellschaften (dagegen mögen die neoliberale, globale Produktion und die mediale Vernetzung sprechen) als vielmehr rechtspopulistische Anti-Demokratien, die sich auf den Trümmern entleerter und erschöpfter Post-Demokratien bilden. In diesen rechten Anti-Demokratien wird die politische Blödheit zunächst hegemonial und dann mehr und mehr zum Code und informellen Gesetz.
Die Dummheit, die Jerofejew als Zeitkrankheit ausgemacht hat und die sich nur aus einer wilden Mischung aus Nicht-Wissen, Falsch-Wissen, Nicht-wissen-Wollen, Einbildung, Verblendung, Neurose und tausend anderen Störungen ergeben könnte, taugt allenfalls zur alltäglichen Distanzierung. Aber was tun, wo die Blödheit sich moralisch zu enthemmen und in materielle Gewalt zu münden droht? Teil der Verzweiflung der demokratischen Zivilgesellschaft und ihrer Medien ist es ja, dass den Rechten weder mit Argumenten noch mit Fakten, weder mit Moral noch mit Vernunft beizukommen ist. Donald Trump redet bizarren Schwachsinn mit dem Selbstgenuss eines verzogenen Siebenjährigen – und begeistert damit seine Anhänger*innen, weil er so deren Haltlosigkeit spiegelt. Die unvollständigen Sätze, das ›kindische‹ Wiederholen, das absurde Spiel mit halluzinierten Zahlen, das psychotische Kreisen um Fantasien von Sexualität und Macht, all das spricht zu Menschen, die in der eigenen Kulturgeschichte nicht mehr zu Hause sind. Was haben sich Vertreterinnen und Vertreter der anti-demokratischen Rechten nicht alles geleistet an Lügen, Korruption, persönlichen Verfehlungen, Dummheit, Ignoranz, Brutalität und jedweden Verstößen gegen alles, was man einst (und sei es nur pro forma) als bürgerlichen Anstand hochhielt – doch nichts davon hat ihnen bei ihrer Klientel geschadet. Keine »besoffene G'schicht« mit einer vorgeblichen russischen Waffenhändlerin, kein »Pus36sygrabbing« als Privileg des mächtigen weißen Mannes, kein Zensur-Übergriff beim öffentlichen Rundfunk, kein hartnäckiges Leugnen evidenter medizinischer, ökologischer oder kriminalstatistischer Tatsachen, keine Spionagetätigkeit für ausländische Dienste, kein Verstoß gegen Verfassung und Gesetz, keine offensichtliche Lobbytätigkeit für fremde, anti-demokratische Regimes, keine inhumane Hetze, keine groteske Verschwendung, keine noch so peinliche Eitelkeit, keine rekordverdächtigen Lügen-Einheiten in kurzer Rede, keine Unterschlagung von Geldern der eigenen Partei, keine öffentlich bekundete Bereitschaft, auf Hunde, Kinder oder überhaupt auf alles zu schießen, um die eigene ›Härte‹ zu beweisen, nicht der Besitz oder die Verbreitung von verbotener Pornografie (sonst der Ächtungsgrund schlechthin), auf Sex-Seiten geäußerte Mordfantasien, nichts von alledem mag einem echten Rechten die Sympathie seiner Anhänger*innen kosten. Donald Trump hat einmal behauptet, er könne mitten auf einer belebten Straße irgendjemanden erschießen, und die Leute würden ihn trotzdem lieben und verehren. Wir fürchten, er hat recht.
Die Ignoranz des rechten Weltbildes gegenüber zivilisatorischen Mindeststandards bringt uns dazu, dieses für einmal anders denn als ›grobe Vereinfachung‹ in einer überfordernd komplexen Welt und regressive Reaktion gegenüber Abstiegsängsten und Status-Verlust anzusehen, vom Ausdruck bloßer ›Unzufriedenheit‹ oder eines ›Protests‹ ganz zu schweigen. Wir werden versuchen, die Bilder, Begriffe und Erzählungen der anti-demokratischen Rechten auf ihren tieferen Gehalt zu untersuchen. Was bedeuten die auf den ersten Blick nur niederträchtig dummen Vorstellungen? Und warum sind sie über Kontinente, Religionen, Kulturen, Sprachen, Generationen und politische Systeme hinweg einander so ähnlich, diese Mixturen aus Opfergejammer und Allmachtsfantasien, diese Geschichten vom ›guten Volk‹ und den ›bösen Eliten‹, von Weltverschwörungen und ›Umvolkung‹, Vergiftung und Entmännlichung, von heiligen Zeichen und ihrer befürchteten Schändung? Ob wir all das, was in den diversen Milieus der militanten anti-demokratischen 37Rechten als Ideologem und schließlich als soziale und politische Gewalt auftaucht, nun ›rechtspopulistisch‹, ›rechtsextrem‹, ›post-faschistisch‹, ›neo-faschistisch‹, ›rechtsautoritär‹ oder ›rechtslibertär‹ nennen, ist für diesen Diskurs eher zweitrangig. Zwischen einer Ur-Dummheit und einem Ur-Faschismus werden wir uns einer Ur-Rechten und ihrer Erzählung zu nähern versuchen. Entscheidend ist vielmehr, dass die Schemata im Kern immer die gleichen sind, auch wenn es ›softere‹ und ›härtere‹ Varianten gibt, auch wenn sich an einem Ende ›besorgte Bürger‹ und Vertreter einer Konservativen Revolution und am anderen Ende bekennende Hitler-Verehrer und nationalsozialistische Terroristen finden, auch wenn sich amerikanische Neo-Cons und europäische Vertreter der Neuen Rechten habituell und rhetorisch unterscheiden mögen und Skinheads und Burschenschaftler außer ein paar Biersprüchen wenig gemein haben. Offensichtlich wirkt das Gift der rechten Blödheit gerade dadurch, dass es nicht nur von der bürgerlichen Rationalität und Moral trennt, sondern umgekehrt auch die eklatantesten sozialen und kulturellen Widersprüche rauschhaft miteinander kurzschließt. Rechts-Sein soll alles wieder vereinen, was die Demokratie und der ›fremde‹ Kapitalismus getrennt haben; im Rechts-Sein verbündet sich der Milliardär mit dem Arbeiter, der Rocker mit dem Richter. Das einzige Gemeinsame in ihrer sozialen Realität ist deren geflissentliche Leugnung. Und das schafft derzeit keine andere Erzählung, schon gar nicht die ›alte‹ von der liberalen Gesellschaft im demokratischen Kapitalismus.
Die demokratische Zivilgesellschaft sieht all das mit Schrecken. Die politische Klasse reagiert indes zumindest in unserem Land und mehrheitlich noch mit der teils heuchlerischen, teils durchaus ernst gemeinten, aber perspektivisch durchweg ohnmächtigen Rede von ›Brandmauern gegen rechts‹; und auch die traditionellen Leitmedien, sofern sie noch kulturelle und politische Verantwortung wahrnehmen, distanzieren sich meist klar vom Unflat aus den rechten Kreisen. Schon problematischer wird es, wenn es darum geht, nicht auf die Aufmerksamkeitsökonomie der anti-demokratischen Rechten hereinzufallen, in38