Bluffs á la carte - Bert Seemann - E-Book

Bluffs á la carte E-Book

Bert Seemann

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Beschreibung

Vom Taunus - Krimi, wie er im Buche steht, gibt es nun den Teil 2. Eine promovierte Chemikerin und der wissbegierige Laborassistent können beide nicht mehr nur auf berufliche Erfolge zurückblicken, sondern leider auch auf verwerfliche Ergebnisse eines Irrweges, der beide unwiederbringlich in den Abgrund zieht. Ihre hervorragenden Fähigkeiten nützen sie immer mehr dazu aus, raffinierte Methoden zur persönlichen Bereicherung zu ersinnen, wobei sie skrupellos rauben und morden. Seltsame und gleichermaßen seltene physikalische Effekte und technische Besonderheiten vervollständigen Karls Repertoire ausgeklügelter Tricks in nie erwarteter Vollkommenheit. Das waghalsige und abenteuerliche Spiel, das sie aus einer absurden Laune heraus begonnen haben, wird zum vorherrschenden Schwerpunkt ihres Alltags. Modernste digitale Hilfen perfektionieren ihr Vorgehen. Es scheint ihnen eine Befriedigung zu sein, einen ganzen Polizeiapparat wiederholt aufs Neue in ein mentales Nirwana zu führen. Unerschrocken und siegesgewiss bluffen sie Polizei und Justiz. Der spitzfindige und geschickte Karl hat sich an seine Seite einen erfahrenen und listigen Anwalt genommen, der ihn in seiner Überzeugung bekräftigt, alle acht der ihm vorgeworfenen Delikte zu entkräften. Seine intelligente und schlagfertige Partnerin ist ihm geistig überlegen und kalkuliert Auswege aus den zu erwartenden Misserfolgen. Plötzlich ist sie verschwunden und lässt ihn ahnungslos zurück. Treibt sie der Egoismus oder will sie für beide nach überstandener Strafe die Basis für ein neues Leben schaffen? Oberkommissar Wulff ist ratlos und sein Team kurz davor, die Hoffnung aufzugeben, die Kunsträuber jemals zu finden, da wendet sich das Blatt. Spannend und dennoch humorvoll geschrieben.

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Dr. Berthold W. Seemann nennt sich in seiner Funktion als Autor nur Bert Seemann. Er ist 1937 geboren und hat an der Universität Rostock und an der Humboldt-Universität Berlin studiert. Seemann ist Diplom-Physiker, Ing. für Elektronik und Ing. für Biophysik. An der Universität Rostock promovierte er zum Dr.-Ing. In seiner 58-jährigen beruflichen Tätigkeit auf verschiedenen technischen Gebieten und in der Medizin sammelte er einen großen Fundus an Erfahrungen und praktischem Wissen. So bindet der Autor gern physikalische und technische Raffinessen in seine Kriminalgeschichten ein. Er ist verheiratet mit einer inzwischen pensionierten Lehrerin, hat fünf Kinder und wohnt in der Nordheide. Mit dem Ende seines Berufslebens wechselte er in ein gänzlich neues und für ihn fremdes Metier der Schriftstellerei. Für die ersten Romane benutzte er noch das Pseudonym Pit Saylor. Nun aber setzt er den Klarnamen auf die Cover seiner Bücher.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 1

Heute ist Freitag, der 7. August 2020. Auf der Polizeistation Bad Homburg auf der Höhe (a.d.H.) ist eine äußerst gespannte Atmosphäre zu spüren. Der Leiter dieser Dienststelle, der 52-jährige Oberkommissar Rolf Wulff, ist merklich verunsichert und ruft seine Mitarbeiter, die zur SOKO ‚Marc‘ gehören, in den kleinen Konferenzraum. Die gesamte Polizeistation befindet sich im ersten Stockwerk des Hauptgebäudes der Polizeidirektion. Für kleine Zusammenkünfte ist der Konferenzraum gut geeignet. In kluger Voraussicht hat sich Rolf hier einen Zweitapparat seines Festnetzanschlusses aufstellen lassen. So hat seine Sekretärin, Frau Annette Linde, die Möglichkeit, dringende Telefongespräche umzuleiten.

Rolf begrüßt zu diesem Meeting der SOKO seine Kommissarin Christine Engel. Sie ist 36 Jahre alt und die dienstälteste Mitarbeiterin. Christine ist verheiratet, hat eine zehnjährige Tochter mit dem Namen Lucia. Ihr Ehepartner respektiert die Arbeit seiner Frau und toleriert, wenn sie aus dienstlichen Gründen später nach Hause kommt. Sie ist korrekt, gewissenhaft und sagt, was sie denkt. Christine ist absolut zuverlässig und eine geschätzte und liebenswerte Kollegin.

Aus gutem Grund ist sie meist gemeinsam mit Kommissar Klaus Kunze unterwegs. Dieser ist 34 Jahre alt und gilt als ein hervorragender Polizist, immer korrekt und hilfsbereit. Mit seinen Urteilen ist er etwas zurückhaltend und bedenkt auch Aspekte, die nicht offenkundig sind. So passt er sehr zu Christine, da sich beide gut ergänzen.

Weiter heißt Rolf seine beiden ‚Jungkommissare‘ Jürgen Kröger und Fritz Becken herzlich willkommen.

Fritz Becken ist 26 Jahre alt. Er besitzt eine abgeschlossene Lehre als Elektriker, der die Ausbildung auf der Polizeischule folgte. Seit einem Jahr untersteht er Oberkommissar Rolf Wulff. Fritz Becken ist ein Mann der Praxis, der sich vor langen Diskussionen scheut und daher schnell zum Ziel kommt. Gelegentliche kleine Flüchtigkeitsfehler korrigiert er problemlos.

Jürgen Kröger ist 29 Jahre alt und ein gutes Gegenstück zu Fritz. Er ist gewissenhaft und jede Entscheidung bedarf bei ihm einer gewissen Zeit. Zusammen mit Fritz Becken sind sie ein gutes Team, die sich hervorragend gegenseitig ergänzen.

Nach dieser einleitenden Begrüßung und Vorstellung kommt der Oberkommissar gleich zu dem aktuellen Thema und betont, dass sie sich leider mit einer kuriosen Situation abfinden müssen. Bei einem erneuten Verbrechen wurde die gleiche DNA gefunden, die auch bei Karl Bergmann entdeckt wurde, der aber zurzeit in Bad Homburg in Untersuchungshaft sitzt. Rolf erklärt seinem Team, dass ihn diese missliche Lage seit gestern Abend bewegt, als er das erfuhr und er sich immer wieder die Frage stellt, wie so etwas möglich sein kann. Bevor Rolf aber näher darauf eingehen möchte, fasst er noch einmal den Tatbestand zusammen.

Am gestrigen Donnerstag, den 6. August, wurden sie nach Oberursel in die Mozartstraße 97 gerufen, weil dort ein Überfall mit schwerer Körperverletzung und Kunstraub stattgefunden hat. Welche Gegenstände gestohlen wurden, ist noch nicht genau bekannt, weil Frau Ludmilla Raikowsky durch Gewalteinwirkung bewusstlos vorgefunden wurde. Ein Rettungswagen brachte sie in das ‚Krankenhaus Station Altkönig‘ in Oberursel. Unter ihren Fingernägeln fand man Blut- und Hautreste, woraus eine DNA ermittelt werden konnte, die mit der von Karl Bergmann identisch ist.

Rolf will sich mit seinem Team eine Strategie überlegen, wie sie vorgehen sollten, um Licht in das dunkle Wirrwarr zu bringen. Nun fragt er in die Runde, wer sich dazu äußern möchte.

Christine Engel meldet sich zu Wort und sagt, dass nach ihrer Kenntnis die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Menschen eine identische DNA besitzen, nur 1:10 Milliarden beträgt. Eine Ausnahme kann vorkommen, wenn diese beiden Personen eineiige Zwillinge sind. Da aber Karl kein Zwillingskind ist, kommt nur er als Täter infrage.

Fritz Becken hakt ein und fragt Christine, wie sie dazu kommt, dass Karl kein Zwillingskind ist. Sie könne lediglich behaupten, dass es ihnen nicht bekannt ist, aber auszuschließen ist es nicht. Klaus Kunze kommt auf den Punkt:

„Also, diese Vermutung, dass er ein Zwilling ist, beträgt demnach 1:10 Milliarden. Das ist mir zu unwahrscheinlich. Wichtiger ist die Frage, ob Karl ununterbrochen in Untersuchungshaft gesessen hat. Ist das so, Rolf?“

Rolf hatte die gleichen Zweifel und hat sich gestern Abend noch erkundigt, ob Karl tatsächlich nicht aus dem Gefängnis gekommen ist. Leider bekam er daraufhin die bedrückende Antwort: ‚Ja! ‘Sein Anwalt, Herr Dr. Heinrich Höhne hatte den Antrag auf Freigang am Donnerstag gestellt und begründete das mit dem § 112 StPO, weil er sich selbst gemeldet hatte und daher keine Flucht- oder Verdunkelungsgefahr besteht. Dr. Heinrich Höhne hat sich ausgewiesen als der bestellte Anwalt von Karl Bergmann.

Höhne ist 62 Jahre alt, besitzt leicht angegrautes Haar und ist von stattlicher Größe. Seine Honorare liegen im oberen Bereich, was für seinen opulenten Lebensstil notwendig ist. In Fachkreisen ist er als hartnäckiger Kämpfer bekannt. Bei Gerichtsprozessen sorgt er für sachliche und korrekte Abwicklung, aber immer im Interesse seiner Klienten.

Karl war in der Tat zwei Stunden außer Haus und ohne Begleitung, da ihm ja Freigang und nicht nur Ausgang zugebilligt worden war.

Jürgen Kröger will nun genau wissen, wo denn Karl Bergmann in dieser Zeit gewesen ist und stellt Rolf ebendiese Frage. Doch er erwidert, dass man Karl nicht zwingen kann, das zu beantworten, da er Freigang hatte. Aber für Christine ist es klar, dass er natürlich die Frage beantworten wird, denn andernfalls würde er sich verdächtig machen und so blöd ist Bergmann auf keinen Fall. Sie charakterisiert ihn so:

„Dieser Mann ist ein eiskalter, berechnender Zeitgenosse, der noch einen großen Sack zu knackender Nüsse für uns bereithält, das könnt ihr mir glauben!“

Fritz Becken wird konkret und fragt Rolf, wer sie daran hindert, Karl Bergmann hier herzuholen und ihm diese Frage zu stellen. Rolf empfindet die Idee als gut, gibt Fritz recht und ruft seine Sekretärin an und bittet sie, dafür zu sorgen, dass Karl Bergmann zu einer Vernehmung in den kleinen Konferenzraum gebracht wird. Nach einiger Zeit bringen zwei Polizeibeamte Karl Bergmann herein und Rolf bietet ihm einen Platz an der Stirnseite des langen Tisches an, ihm direkt gegenüber. Bevor sich Karl setzt, sagt er:

„Guten Morgen, die Dame und guten Morgen, die Herren!“

Rolf wendet sich an Fritz und bittet ihn, die alle interessierende Frage zu stellen:

„Herr Bergmann, Sie befinden sich zurzeit in Untersuchungshaft, doch für den gestrigen Donnerstagabend hatte man Ihnen einen Freigang gewährt. Würden Sie uns bitte sagen, was sie während dieser Zeit unternommen haben?“

„Das tue ich gern, Herr Kommissar. Ich war zuerst in meiner Wohnung, habe sie aber nicht betreten, weil sie mit einem Polizeisiegel gesichert war. Ich wollte lediglich sehen, ob meine Freundin Alina dort ist. Da ich es für unwahrscheinlich halte, dass sie sich hinter einer versiegelten Tür aufhält, habe ich das Haus wieder verlassen. Anschließend war ich in einer Bierstube in der Nachbarschaft und habe es mir dort gut gehen lassen. Nach dem zweiten Weizenbier bin ich wieder zurückgekommen in die Polizeistation und habe mich hingelegt.“

Jürgen Kröger hat sich das alles angehört und dankt Bergmann mit einem leicht ironischen Unterton für die ausführliche Beschreibung seines Freiganges. Dann schließt er die Frage an, ob er zu Fuß gegangen ist oder ein öffentliches Verkehrsmittel benützt hat.

Bergmann erklärt dazu, dass er es bewusst vermieden hat, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benutzen. Sein Bild ist bereits einige Male in Zeitungen erschienen und so bestand die Gefahr, dass ihn jemand erkennt und möglicherweise Selbstjustiz ausführen will. Das möchte er den offiziellen Vollzugsorganen überlassen. Er habe sich ein Taxi genommen.

Rolf nimmt die klare Antwort von Bergmann zur Kenntnis. Bevor er ihn wieder in seine Zelle bringen lässt, fragt er seine Kollegen, ob noch jemand eine Frage an ihn hat. Wenn das nicht der Fall ist, dann kann Herr Bergmann in seine Zelle zurückgebracht werden. Rolf legt die weitere Vorgehensweise fest.

1. Christine nimmt Verbindung mit dem Taxiunternehmen auf.

2. Jürgen stellt fest, in welcher Bierstube Karl war und wie lange er sich dort aufgehalten hat.

3. Klaus fährt in das Krankenhaus und erkundigt sich nach dem Zustand von Frau Raykowsky und ob sie schon vernehmungsfähig ist.

Nachdem Rolf diese Zusammenkunft beendete hat, greift Christine zum Telefon, um herauszufinden, wer Karl Bergmann gestern Abend gefahren hat. Bei dem dritten Taxibetrieb hat sie Erfolg und den Dispatcher an der Strippe. Sie stellt sich kurz vor und fragt dann konkret, wer gestern Abend für einen Herrn Bergmann ein Taxi gerufen hat. Sofort erhält sie die Auskunft, dass ein Herr Bergmann angerufen und ein Taxi bestellt hat, aber es sollte das von Paul sein. Ein anderes wollte er nicht, sonst würde er später noch einmal anrufen, falls er momentan unterwegs ist. Aber Paul war gerade frei und hat die Fahrten übernommen. Christine fällt auf, dass die Mitarbeiterin des Taxibetriebes nicht von einer Fahrt, sondern von Fahrten spricht und möchte es genauer wissen, ob es denn mehrere Touren waren. Da sagt man ihr:

„Es war zwar nur eine große Tour, aber mit Unterbrechungen und das rechnen wir anders ab.“

„Bitte bestellen Sie diesem Paul, dass er sich Montag, den 10. August früh um 9:00 Uhr in der Polizeistation bei einer Kommissarin Engel melden soll. Auf wiederhören.“

In der Zwischenzeit hat Jürgen ein ausführliches Gespräch mit dem Inhaber der Bierstube ‚Zur Krone‘ geführt. Dabei konnte er erfahren, dass Karl dort gewesen ist. Der Kommissar brauchte keine genaue Beschreibung abzugeben, denn Karl ist dem Gastwirt gut bekannt, weil er öfter dort gegessen und abends auch zusammen mit seiner Alina ein Bier getrunken hatte. Gestern blieb es aber bei einem kleinen Essen und zwei Weizenbieren. Dann verschwand er wieder. Der Gastwirt berichtete auch, dass er gemeinsam mit einem anderen Mann hier war und mitbekommen hatte, dass Karl ihn Paul nannte. Mehr war aber nicht zu erfragen.

Nun bleibt offen, was Karl in der restlichen Zeit gemacht hat, denn die genehmigten zwei Stunden Freigang hat er laut Eintragung im Ausgangsbuch korrekt eingehalten.

Klaus kommt gerade wieder zurück aus dem Krankenhaus und meldet sich bei Rolf und berichtet, dass er Gelegenheit hatte, mit Frau Raikowsky zu sprechen. Sie war wach und dank der verabreichten Schmerztabletten in der Lage ein Gespräch zu führen.

Frau Ludmilla Raikowsky ist emeritierte Professorin für Kunst des späten Mittelalters. Sie ist Kunstliebhaberin und hat viel Geld in wertvolle Gemälde investiert. Über sie erschien kürzlich ein langer ausführlicher Bericht in einem Kunstjournal, wobei auch ein Einblick in ihre wertvolle Gemäldesammlung gegeben wurde. Sie berichtete, dass sie am Vorabend bei einem Glas Rotwein in dem Wohnzimmer saß und eine kleine wissenschaftliche Abhandlung per Hand schrieb. Da hörte sie von der Terrasse her ein kratzendes Geräusch und ein mittelgroßer Mann mit schwarzer Maske kam auf sie zu. Er machte eine übliche Handbewegung, die heißen sollte: „Still sein“, denn er hielt seinen Zeigefinger vor seinen Mund. Er ging an ihr wortlos vorbei und gerade auf das Wandbild ‚Rembrandt mit Saskia‘ zu. Es ist zwar kein Original, aber eine kostbare Kopie mit einem Wert von 80.000 EUR. Als er das Gemälde wortlos von der Wand nehmen wollte, schrie sieh ihn an, biss ihn in die Hand und zerkratzte sie so sehr, dass sie anfing zu bluten. Dann griff er nach einer schweren Holzschale, die auf dem Tisch stand und schlug sie ihr auf den Kopf. Von diesem Augenblick an wusste sie nichts mehr.

Nachdem sie dieses Geschehen berichtet hatte, atmete sie tief durch und meinte, dass sie wieder ein wenig schlafen müsste.

Rolf hatte das alles aufmerksam in sich aufgenommen und dankt Klaus für seine gute Beschreibung des Tatherganges. Nun ist klar, dass dieser Diebstahl kein Zufall war, sondern ein gezielter Raub. Rolf hat sich aus der Beschreibung jedoch etwas ganz genau gemerkt und weiß, dass er bei jeder Begegnung mit Karl darauf achten wird, ob er den Zeigefinger vor den Mund hält. Er dankt Klaus noch einmal und sagt, dass er jetzt seiner regulären Arbeit nachgehen könne. Rolf will nämlich ein wenig allein sein.

Er greift zum Telefon und bittet Christine zu sich. Kurz darauf tritt sie in sein Büro und fragt, warum Rolf sie sprechen möchte.

Rolf holt wieder einmal etwas weiter aus und lobt sie für die bisher geleistete hervorragende Arbeit. Er bittet sie, die eigenen Ermittlungsergebnisse, besonders im akuten Fall Bergmann zu notieren. Er weiß zwar, dass sie nicht gern viel schreibt und sich dafür lieber Gedanken macht. Aber dennoch möge sie alles zusammentragen, denn ihr Scharfsinn kann einem Tatverdächtigen gefährlich werden. Rolf betont, dass es immer eine Freude ist, ihr zuzuhören, wenn sie einen Verdächtigen vernimmt. Er möchte, dass sie weiter so gewissenhaft arbeitet und er ist stolz, eine so tüchtige Kollegin an seiner Seite zu haben.

Das war’s, was er ihr noch einmal sagen wollte. Zum Abschluss dieses Lobgesanges wünscht er ihr ein angenehmes Wochenende und am Montag sehen sie sich in alter Frische wieder.

Kurz vor 16:00 Uhr steht an diesem Freitag im Büro von ‚Taxi-Homburg‘ ein älterer Herr am Tresen und wartet darauf, von einer Mitarbeiterin, die gerade am PC beschäftigt ist, angesprochen zu werden.

Die Dame steht auf, stellt sich an den Tresen und fragt:

„Mein Herr, was wünschen Sie?“

„Ich bin Dr. Höhne und Anwalt des Herrn Karl Bergmann. Dieser Herr wurde gestern Abend mit einem Taxi von ihnen befördert. Ich hätte gern die Aufzeichnung der Strecke, die er gestern gefahren wurde.“

„Es werden zwar für betriebliche Belange alle Strecken aufgezeichnet, doch nur für internen Gebrauch.“

Dr. Höhne betont, dass es ihm einleuchtet, aber es wäre sehr im Interesse seines Mandanten, wenn er für seinen Unschuldsbeweis einen Streckenplan vorweisen könnte. Noch einmal bittet er sie, so freundlich zu sein und ihm zu helfen und damit ebenso ihrem Kunden Bergmann.

Die Dame ist nett und kopiert den Streckenplan, aus dem alle Zwischenaufenthalte mit Uhrzeit und Ort hervorgehen. Sie überreicht Dr. Höhne diesen Plan und er sagt:

„Meine Dame, ich danke Ihnen und damit ist der geschäftliche Teil abgeschlossen. Als Privatperson, die ich jetzt bin, überreiche ich Ihnen mit bestem Dank von meinem Klienten diesen kleinen Pralinenkasten. Auf Wiedersehen! Es wäre gut, wenn Sie der Polizei nichts von meinem Besuch erzählen würden.“

Wieder begibt sich Dr. Höhne zur Haftanstalt und beantragt beim Haftrichter für seinen Mandanten für Sonnabend, den 8. August und Sonntag, den 9. August Freigang.

Dem Antrag wird stattgegeben und Dr. Höhne informiert Karl Bergmann.

***

Es ist Sonnabend. Bereits um 8:30 Uhr verlässt Karl Bergmann zu Fuß die Haftanstalt. An der übernächsten Haltestelle wartet er auf einen Bus, der nach Oberursel fährt.

Wenige Minuten später kommt ein Bus, Karl steigt ein und bezahlt eine Fahrt nach Oberursel. In der Nähe der Kfz-Werkstatt Lohme steigt er aus und geht dorthin. Da am Sonnabend die Werkstatt eigentlich geschlossen ist, schaut Karl um die Ecke und sieht, dass sich jemand in der Halle befindet. Er geht durch das halb geöffnete Tor und betritt sogleich das Werkstattgebäude. Hinten in der Ecke der großen Werkhalle entdeckt er seinen FORD. Schon spricht ihn eine Männerstimme an und sagt:

„Heute ist geschlossen oder haben Sie einen Unfall?“

„Nein, Herr Lohme, ich will zu Ihnen. Erkennen Sie mich denn nicht?“

„Ach, Bergmann, Sie hier? Ich denke, Sie sind sicher untergebracht.“

„Im Prinzip haben Sie recht, aber ich habe auch Zeit und Gelegenheit, mich frei zu bewegen und nach dem Rechten zu sehen. Und ebendarum besuche ich Sie heute und auch nicht nur Sie allein, sondern auch das, was mir gehört und einmal in meinem Pritschenwagen steckte. Was können Sie mir dazu erzählen, Partner Lohme?“

„Partner? Was wollen Sie damit andeuten?“

„Aber Herr Lohme, Sie haben doch sicher kein schlechtes Gedächtnis oder muss ich vielleicht etwas nachhelfen. Vielleicht brauchten Sie dann aber dazu einen Stahlhelm, denn dann wären Sie plötzlich der Mann mit goldenem Helm.‘“

„Ach so, ja, da hatte ich gerade nicht daran gedacht.“

„Ein Gemälde mit einem Wert von einigen Millionen Euro vergisst man nicht einfach so. Veralbern Sie mich nicht, das könnte teuer werden. Also, wo ist das edle Stück?“

„Sie ahnen doch nicht, wie schwer so etwas zu verkaufen ist?“

„Wenn Sie es noch nicht verkauft haben, dann möchte ich mein Bild jetzt sofort sehen, Herr Lohme.“

„Das geht nicht so schnell, Herr Bergmann!“

„Es muss nicht schnell gehen, ich habe Zeit bis heute Abend.“

„Ich habe in der Größe des Gemäldes einen Behälter aus Blech zusammengeschweißt, es hineingepackt, den Deckel darauf gelegt und vorsichtig zugeschweißt.“

„Das haben Sie ja gut gemacht. Wo ist der Blechkasten jetzt?“

„Ich habe ihn abgesenkt in den Altöltank, der sich unter dem Hallenboden in der Erde befindet. Darin sammeln wir das Altöl und in gewissen Zeitabständen wird es abgepumpt und abgeholt. So kann die Blechkiste nicht entdeckt werden und an verrosten ist auch nicht zu denken, da sie immer im Öl liegt.“

„Gut zu wissen. Ich hoffe in Ihrem Sinne, dass alles stimmt. Eine Lüge wäre Ihr sicherer Tod. Auf Wiedersehen.“

Damit verabschiedet sich Karl und geht mit ruhigem Schritt wieder zur Bushaltestelle, um in ein Restaurant in Stadtmitte zu fahren.

Den Rest des Tages verbringt er in einer Nachmittagsvorstellung im Kino, geht danach in ein gutes Café und bummelt schließlich zu einer Haltestelle eines Omnibusses der Linie H wie Haftanstalt.

Kapitel 2

Es ist Montag und bereits 8:10 Uhr. Rolf ist verwundert, dass Christine noch nicht in ihrem Büro ist. Da geht er zu Klaus, klopft an, tritt ein und fragt:

„Sag mal Klaus, weißt du, weshalb Christine noch nicht da ist? Sie hat im Kalender für 9:00 Uhr einen Termin mit ‚Paul-Taxi‘ eingetragen.“

Klaus antwortet achselzuckend:

„Bedaure, Rolf, aber das ist mir auch nicht bekannt. Ich rufe sie einfach einmal kurz an. Vielleicht geht es ihr nicht gut?“

Rolf bleibt bei Klaus stehen, während er versucht, Christine ans Telefon zu bekommen. Doch es ertönt immer nur das Freizeichen. Klaus legt wieder auf und meint, dass er doch ihren Mann anrufen könnte, vielleicht weiß der etwas. Ihm ist aus Gesprächen mit seiner Kollegin bekannt, dass Christines Mann Dr. Kurt Engel heißt und in der Software-Schmiede ‚SES’ arbeitet. Die ruft er jetzt an:

„Hallo, hier ist ihre Software-Schmiede SES. Sie sprechen mit Anita Krause. Was kann ich für Sie tun?“

„Guten Morgen. Hier spricht Kommissar Kunze und hätte gern Herrn Dr. Engel gesprochen!“

„Sorry, Dr. Engel ist momentan nicht an seinem Arbeitsplatz. Bitte versuchen Sie es später noch einmal. Auf Wiederhören!“

Klaus wählt erneut und hört den Willkommensgruß:

„Frau Krause, Sie haben von sich aus das Gespräch beendet. Ich führe eine polizeiliche Ermittlung durch. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis. Den Hörer einfach aufzulegen ist ein absolutes ‚No Go!‘ damit das klar ist. Also wann ist Dr. Engel zu sprechen?“

„Herr Kommissar, das darf ich Ihnen nicht sagen, wegen des Datenschutzes! Außerdem weiß ich ja überhaupt nicht, ob Sie wirklich von der Polizei sind, das kann jeder sagen!“

„Wir sind in zehn Minuten bei Ihnen, dann werden Sie erkennen, dass wir von der Polizei sind! Auf Wiedersehen!“

Rolf hat das Gespräch verfolgt und sagt, dass Klaus zusammen mit Fritz Becken dort hinfahren soll. Anschließend könnten sie dann zu Christine fahren, falls sie noch nicht hier angekommen sein sollte.

Klaus und Fritz steigen in ihren Dienstwagen ein und fahren mit Sondersignal zu der Software-Schmiede SES. Schnell sind sie in der Anmeldung, stehen Frau Anita Krause gegenüber, stellen sich vor und bitten darum, dass sie die Kommissare unverzüglich zu Dr. Kurt Engel bringt.

Anita Krause windet sich und erklärt den Herren, dass es da ein kleines Problem gibt, denn Dr. Engel ist noch nicht zum Dienst erschienen und über sein Festnetztelefon konnte sie ihn nicht erreichen. Da habe sie ihn kurzerhand auf seinem Handy angerufen, obwohl er ihr das schon vor langer Zeit untersagt hatte. Doch was sollte sie denn sonst machen? Als sie ihn endlich hatte, schrie er sie durch sein Smartphone an und sagte:

„Ihr könnt uns alle mal gestohlen bleiben, ihr seht uns nie wieder. Lebe wohl Krause!"

Kommissar Becken sagt:

„Das hört sich ja ziemlich fest entschlossen an. Aber was meint er mit uns?“

„Na ja, ich will ja nicht tratschen. Aber Engel ist ein toller Mann und die 21-jährige Lilo, diese eingebildete Zicke, hatte sich in ihn verknallt. Nun sieht es so aus, als wären sie beide abgehauen.“

„Frau Krause, das mag sich jetzt herzlos anhören, doch was Dr. Engel macht, ist seine Angelegenheit, solange er nicht gegen Recht und Gesetz verstößt. Wir verabschieden uns von Ihnen und bitten Sie, uns zu informieren, falls es Neuigkeiten gibt. Auf Wiedersehen!“

Die beiden Kommissare verlassen die Firma wieder und fahren zur Wohnung von Christine. Dort angekommen, klingeln sie, aber erhalten kein Echo. Da Christine im ersten Stock wohnt, gibt es auch keine Möglichkeit, durch ein Fenster in die Wohnung zu sehen. Weil keiner öffnet, rufen sie Rolf an und fragen, was sie in diesem Fall unternehmen sollen. Rolf antwortet in seiner natürlichen Art:

„Meine Güte, nun fragt nicht so ängstlich, sondern tretet die Tür ein. Ihr seid doch Polizisten und keine Weicheier!“

Das lassen sie sich nicht zweimal sagen und schon wirft sich Fritz wie ein wilder Büffel gegen die Tür, dass sie sofort aufspringt und weit geöffnet hängen bleibt. Beide betreten die Küche, aber niemand ist anwesend. Dann gehen sie ins Wohnzimmer und sehen, dass auf dem Tisch noch das Abendbrot steht. Da reißt Klaus die Tür zum Schlafzimmer auf und bleibt vor Schreck stehen. Da liegt, Christine auf dem Bett und die geöffneten Augen sind starr gegen die Decke gerichtet.

Mit zitternder Hand ruft Klaus jetzt Rolf an und sagt nur:

„Rolf, kommt her, sie ist tot, liegt auf ihrem Bett. Bitte schnell, es ist ein quälender Anblick, sie so zu sehen!“

Rolf ist erschüttert, schlägt Alarm und ruft die KTU an.

Im nächsten Moment rasen zwei Streifenwagen und der hellgraue Kleinbus der KTU mit Blaulicht zum Tatort. Aus dem fahrenden Auto heraus gibt Jürgen eine Suchmeldung nach Dr. Kurt Engel heraus. Zuvor telefoniert er mit der Zulassungsstelle, da er unbedingt das Kennzeichen seines Wagens haben muss für die Fahndung.

Schnell treffen alle Fahrzeuge am Tatort ein und sperren weiträumig ab. Das Bestattungsfahrzeug wird ebenfalls aus dem Auto heraus bestellt. Die Kollegen der KTU ziehen ihre Schutzanzüge an und betreten gemeinsam mit Jürgen, dem Kriminalisten, die Wohnung. Rolf ist entsetzt über den Anblick, den er erdulden muss. Seine dienstälteste Kollegin und treue Mitarbeiterin in einer solchen Verfassung zu sehen, ist nachhaltig erschütternd.

Der Gerichtsmediziner, Dr. Linde, tritt an das Opfer heran und stellt fest, dass der Tod schon vor einigen Stunden eingetreten sein muss. Sie wurde erdrosselt. Schnell findet ein Mitarbeiter unter dem Bett eine mittelgroße Folientüte, die offensichtlich ihr über den Kopf gezogen worden war, um sie zu ersticken.

Die Kriminalkommissare Fritz Becken und Jürgen Kröger bleiben hier und Klaus Kunze fährt gemeinsam mit Rolf zurück auf die Polizeistation.

Sie stellen weder Einbruchsspuren fest noch andere Auffälligkeiten in der Wohnung. Auch Christines privater PC ist nicht angerührt worden. Es hat alles den Anschein, als käme der Ehemann in Verdacht.

Auf der Polizeistation wartet noch immer seit 9:00 Uhr der Taxifahrer Paul Krenz. Klaus begrüßt ihn, entschuldigt sich wegen der Verspätung und nimmt ihn mit in sein Büro. Klaus wendet sich nun direkt an den Fahrer und bittet ihn, genau zu sagen, welche Strecken er gestern mit Herrn Bergmann gefahren ist:

„Also, das wird jetzt schwierig, weil wir den ganzen Abend unterwegs waren. Zuerst fuhren wir zu seiner Wohnung, weil er nachsehen wollte, ob seine Freundin da ist. Dann sind wir zu dem Restaurant ‚Bierstuben‘ gefahren und haben für eine halbe Stunde gehalten. Danach sollte ich ihn nach Schmitten fahren. Dort ist er ausgestiegen und ich habe für die Zwischenzeit die Augen zugemacht, weil ich nicht wusste, wie lange er sich aufhalten wollte. Als er wiederkam, sind wir zurückgefahren und ich habe ihn hier vor dem Gebäude der JVA abgesetzt.“

„Wenn ich Sie richtig verstehe, haben Sie sonst keine anderen Punkte angesteuert. Ist das richtig?“

„Ja, das ist richtig.“

Klaus dankt dem Fahrer, dass er gekommen ist. Aber er ist so durcheinander, dass es ihm sichtlich schwerfällt, jetzt noch weitere Fragen zu stellen, die eigentlich von Christine gekommen wären. Also lässt er es dabei und Paul Krenz darf gehen.

Um 13:00 Uhr versammeln sich alle Kollegen der Polizeistation und werden von Rolf von dem tragischen Ereignis informiert. In einer Schweigeminute gedenken alle der liebenswerten Kollegin und Freundin Christine.

Dann gehen sie wieder zurück an ihre Arbeitsplätze, aber es bleibt diese dunkle Stille und allen sieht man das Mitgefühl an.

Inzwischen erkundigt sich Rolf bei dem Haftrichter, ob Karl Bergmann auch am Wochenende Freigang gehabt hat. Ihm wird das mit einem deutlichen ‚JA‘ bestätigt.

Das bewirkt bei Rolf wieder diese zermalmende Ungewissheit, ob vielleicht doch dieser Karl versucht haben könnte, die strenge und hartnäckige Kommissarin aus dem Weg zu räumen. Aber wie soll man das herausfinden? Zeit hätte er ausreichend gehabt und Möglichkeiten auch. Kannte Bergmann eventuell den Ehemann von Christine und steckt er mit ihm unter einer Decke?

Musste es ausgerechnet die fachlich ausgezeichnete und menschlich prächtige junge Kollegin erwischen? Wie soll diese Frau ersetzt werden?

Dieser Montag war ein schlimmer Wochenanfang für Rolf und auch für die gesamte Belegschaft. Aber das Leben muss weitergehen und die Strafverfolgung erst recht.

Mitten in diese Gedankenspiele hinein klingelt das Telefon und Rolfs Vorgesetzter ist am Apparat. Zuerst bekundet dieser sein Beileid, aber bereits im nächsten Satz geht es um die Nachfolge.

Rolf bekommt eine junge Kommissarin, die gerade vor zwei Monaten ihre Ausbildung absolviert hat. Sie heißt Miriam Brügge und ist 24 Jahre alt, unverheiratet und kinderlos. Ihm ist sofort klar, dass hier eine ausgedehnte Arbeit geleistet werden muss, um die neue Kollegin in die besondere Atmosphäre in seinem Team einzubinden. Aber er sieht sich zu Recht als der geduldige Lehrer.

Miriam kann kommen.

Für morgen hat Rolf das gesamte Team zu einer Besprechung eingeladen, bei der die neue Mitarbeiterin vorgestellt werden soll.

Es ist Dienstag und genau 9:00 Uhr. Rolf kommt dazu, bringt eine junge Frau mit und sagt:

„Liebe Kollegen, auch wenn wir alle noch lange um unsere liebe Christine trauern werden, müssen das Leben und unsere Arbeit weitergehen. Ab heute bekommen wir Unterstützung durch diese junge Kollegin, die ich euch vorstellen möchte. Miriam Brügge, ist gerade 24 Jahre alt, unverheiratet und kinderlos. Die Polizeischule hat sie mit der Note ‚sehr gut‘ abgeschlossen.“

Dafür erntet Miriam einen gehörigen und gut tuenden Beifall. Aber Rolf setzt seine Rede fort:

„Liebe Miriam, ich heiße dich in unserem Team herzlich willkommen. Wie du hörst, ist es bei uns so, wie es in einer Familie sein soll, wir duzen uns alle!“

„Lieber Rolf und liebe Kollegen, ich danke euch für die freundliche Aufnahme und werde alles tun, um euren Erwartungen gerecht zu werden. Damit ihr mich schon jetzt gut kennenlernt, kann jeder an mich seine Fragen stellen!“

Klaus Kunze zögert nicht und hat an die neue Kollegin die erste Frage, wie ein junges und hübsches Mädchen auf die Idee kommt, Polizistin zu werden?

Miriam dankt Klaus für die Frage, die ihr schon oft gestellt wurde und sagt treffend:

„Ich bin zwischen Rosen aufgewachsen, habe aber nur die Dornen gespürt. Soll ich das wirklich erzählen?“

Wie im Chor sagen alle:

„Ja, bitte!“

Miriam beginnt:

„Mein Vater war erwerbslos, weil er nicht mehr fähig war, zu arbeiten. Drogen und Alkohol hatten sein Gehirn aufgefressen. Meine Mutter war nicht viel besser. Als ich fünf Jahre alt war, wurde ich durch das Jugendamt aus meinem Elternhaus entfernt und kam in ein Heim. Wir waren dort 13 Mädchen und 7 Jungen, alle im Alter von 5 bis 15 Jahren. Wir lebten abseits von der Welt auf einem kleinen Gehöft, immer zu dritt in einem Zimmer, besser gesagt Raum. Das Personal bestand aus einer rücksichtslosen, hässlichen Frau, ihrem kräftigen, rüpelhaften Ehemann und einem Helfer, der nur stottern konnte und das kleine Einmaleins sein gesamtes Wissen umfasste. Am ersten Freitag erlebte ich, dass ein achtjähriges Mädchen schon am Nachmittag weinte und schluchzte. Ich fragte die anderen, was mit ihr los ist. Da sagten sie zu mir, dass sie heute dran ist. Ich fragte:

„Womit?“

Da sagten sie mir wie aus einem Munde.

„Heute muss sie mit dem alten Bock ins Bett!“

Ich erschrak und sagte:

„Die ist doch erst acht Jahre alt!“

Die älteste nahm mich an die Hand und sagte:

„Du kommst auch dran oder denkst du, der wartet, bist du acht Jahre alt bist?“

Sie hatten recht. Am nächsten Wochenende zerrte er mich in sein Bett. Ich habe fürchterlich geschrien und er lachte dabei, als er sich rücksichtslos an mir verging.

Jede Woche war ein Mädchen oder ein Junge dran. Er drohte uns mit Schlägen und Schmerzen, wenn wir irgendwo etwas sagen würden. Aus Angst schwiegen wir selbst in der Schule. Dieses Martyrium hielt ich aus bis zu meinem 7. Lebensjahr. Ich sagte den anderen, dass es nicht so weitergehen kann. Als er an diesem Freitag wieder eine 9-Jährige in seine Kammer gezerrt hatte, stürmten wir in sein Zimmer und schlugen mit Stöcken und Knüppeln auf ihn ein und ich sorgte dafür, dass er es nie wieder machen kann. Ich bin ausgerissen und habe mich über 20 Kilometer durch Felder und Wälder geschlagen und kam auf einem Bauernhof an. Ich schlief entkräftet neben einem Strohhaufen ein. Die Bauersleute entdeckten mich und nahmen mich auf. Sie wurden meine neuen Eltern, die ich wahnsinnig liebe. Mein neuer Vater erstattete Anzeige gegen die Besitzer dieses Jugendheimes und ich schwor mir, immer dafür zu sorgen, dass solche Menschen bestraft werden. Deshalb wurde ich Polizistin. Ich habe in der harten Schule alles Böse erlebt und gelernt, wie man lügt, wie man stiehlt und wie man betrügt. Weil ich es kenne, hasse ich es und werde es nie mehr dulden.“

Für eine Weile war es still in dem Konferenzzimmer, denn alle sind ergriffen und ihnen ist klar, dass die Neue die Richtige ist.

Rolf durchbricht die Stille:

„Danke Miriam, dass du den Mut hattest, uns von deiner Vergangenheit zu erzählen. Wir freuen uns auf die gemeinsame Zusammenarbeit.“

Dabei kommt Rolf schon zu den nächsten Aufgaben.

Jürgen, bleibt in Kontakt mit den Kollegen des Streifendienstes, damit er sofort erfährt, wann und wo das Fahrzeug von Dr. Engel gesichtet wird.

Der Taxifahrer hatte berichtet, dass er Karl Bergmann am Donnerstag, dem 6. August nach Schmitten gebracht hat. Er selbst hat die Augen zugemacht und etwas geschlafen. Deshalb konnte er sich nicht äußern, wohin Bergmann gegangen war. Vielleicht hat er aus dem Kofferraum das gestohlene Gemälde genommen und es im Wohnhaus oder in der Scheune versteckt. Es ist naheliegend, dass man dieser Vermutung nachgeht. Um das rechtlich abzusichern, muss Rolf einen Durchsuchungsbeschluss beantragen. Möglichen Einwänden von Karl vorzubeugen, bittet Rolf seinen Anwalt hierher. Seine Aufgabe besteht darin, Karl klarzumachen, dass er einer Durchsuchung zustimmt und so nicht in Verdacht gerät. Es ist besser für Karl, dieses Dokument zu unterschreiben.

Rolf will sofort mit dem Staatsanwalt sprechen und begründen, warum wir den Beschluss dringend benötigen.

Für die Aufklärung des akuten Falles ‚Christine‘ bittet er Fritz, bei der KTU nachzufragen, ob in ihrer Wohnung irgendwelche Spuren oder Hinweise gefunden wurden. Ebenso soll er sich auch nach Telefonaten oder gespeicherten Daten auf den Smartphones erkundigen. Gerade dieser Fall einer ehemaligen Kollegin verlangt ein äußerst gewissenhaftes Vorgehen. Klaus, der ja meistens gemeinsam mit Christine tätig war, erhält von Rolf den Auftrag, nachzusehen, was sie für die Beweissicherung der sieben Delikte noch vorbereiten müssen. Es ist sinnvoll, wenn er das zusammen mit Miriam macht.

Miriam stellt gleich zu Beginn zu ihrem besseren Verständnis die Frage, was denn dieser Karl Bergmann für ein Mensch ist.

Klaus erklärt seiner neuen Kollegin das gern und vermittelt ihr dieses Bild von Karl Bergmann:

„Er ist 34 Jahre alt und ein fleißiger und wissbegieriger Laborassistent. Bergmann ist zielstrebig, hartnäckig und in seinem Metier und zufrieden, doch in vielerlei Hinsicht geistig seiner Partnerin Alina unterlegen. Sie leben zusammen.

Miriam dankt, denn nun kann sie ihn einordnen.“

Rolf beendet das kleine Meeting und alle wenden sich wieder den anliegenden Aufgaben zu.

Bereits nach einer Stunde liegt der Durchsuchungsbeschluss vor und Rolf bittet einen Vollzugsbeamten, dass Karl um 11:00 Uhr in den Vernehmungsraum gebracht wird. Sein Anwalt wird davon in Kenntnis gesetzt.

Zwischenzeitlich teilt Jürgen Rolf mit, dass die Fahndung nach Dr. Engel bis jetzt erfolglos blieb.

Kapitel 3

Im Vernehmungsraum nehmen die Kommissarin Miriam Brügge, die Kommissare Fritz Becken, Klaus Kunze und Jürgen Kröger Platz. Der Anwalt Dr. Höhne erscheint und zeitgleich mit ihm wird Karl hereingeführt. Rolf ist auch zugegen und eröffnet das Gespräch:

„Herr Bergmann, wir haben von dem Taxifahrer erfahren, dass er Sie am Donnerstagabend nach Schmitten gefahren hat. Was haben Sie dort gemacht?“

„Ich habe Tante Trude besucht.“

„Herr Bergmann, weil wir das doch etwas genauer wissen möchten, habe ich hier einen Durchsuchungsbeschluss für Wohnhaus und Scheune in Schmitten vorliegen.“

Dr. Höhne:

„Aber Herr Oberkommissar, wie wollen Sie begründen, dass Sie das Wohnhaus durchsuchen wollen, obwohl Herr Bergmann dort gar nicht wohnt?“

Kommissarin Miriam Brügge:

„Herr Bergmann, war Ihnen das, was Ihr Anwalt eben sagte, bekannt? Wussten Sie, dass wir das Wohnhaus von Ihrer Tante Trude nicht durchsuchen dürfen?“

„Meine Dame, selbstverständlich wusste ich das und ich kenne meine Rechte.“

„Herr Bergmann, es ist gut, dass Sie Ihre Rechte kennen.

Aber ebenso, sollten Sie auch die Gepflogenheiten bei polizeilichen Dienststellen kennen. Ich bin nicht „Ihre Dame“, sondern Kommissarin Brügge und dementsprechend lautet die Anrede: Frau Kommissarin oder Kommissarin Brügge. Habe ich mich da klar ausgedrückt?“

„Ja, Frau Kommissarin, das haben Sie!“

„Da Ihnen dieser Umstand bekannt war, dass das Wohnhaus von Tante Trude nicht durchsucht werden darf, lag es für Sie nahe, das entwendete Gemälde im Wohnhaus zu verstecken. Haben Sie das auch getan?“

„Nein, Frau Kommissarin, das habe ich nicht getan, zumal ich nicht im Besitz des besagten Gemäldes bin. Doch ich gestatte Ihnen ausdrücklich, eine Durchsuchung im Wohnhaus von Tante Trude durchzuführen, solange sie keinen Einwand dagegen hat.“

Dr. Höhne:

„Aus der Erwiderung meines Mandanten geht doch klar hervor, dass er unschuldig ist. Selbstverständlich stimmen wir der Durchsuchung zu.“

Rolf:

„Dann lege ich fest, dass wir uns heute um 13:30 Uhr in Schmitten treffen, um die Durchsuchung durchzuführen. Damit beende ich diese kurze Zusammenkunft.“

Pünktlich um 13:00 erscheinen die Kommissarin Miriam Brügge, Oberkommissar Rolf Wulff und der Anwalt Dr. Heinrich Höhne in Schmitten vor dem Wohnhaus von Tante Trude.

Sie werden bereits von Tante Trude erwartet und sie gestattet den Beamten und Bevollmächtigten den Zutritt, nachdem der Oberkommissar sich ausgewiesen und den Durchsuchungsbeschluss vorgezeigt hat.

Einige erlaubte Bereiche des Wohnhauses und die gesamte Scheune werden nun durchsucht. Obwohl sich die Beamten größte Mühe geben, können sie nichts Belastendes und schon gar nicht das dort vermutete Gemälde entdecken.

Damit ist die Durchsuchung beendet und das gesamte Team verlässt Schmitten und es kehrt dort wieder die gewohnte Ruhe ein.

Somit liegen keine hinreichenden Verdachtsmomente vor, die Karl Bergmann belasten könnten. Er hat weder ein Motiv, noch wurde das Diebesgut gefunden.

Weshalb jedoch die DNA von Karl Bergmann am Tatort sichergestellt werden konnte, obwohl dieser ein sicheres Alibi hat, bleibt weiterhin unklar.

Oberkommissar Wulff legt fest, dass die Beweissicherung der ursprünglich aufgeführten Verdächtigungen fortgesetzt wird. Damit auch die neu hinzugekommene Kollegin weiß, worum es geht, listet Rolf diese Delikte nochmals auf:

Herrn Karl Bergmann werden folgende Straftaten zur Last gelegt:

1. Ihm wird vorgeworfen, in das Haus der Eheleute Schmidt eingedrungen zu sein und Herrn Alois Schmidt mit einem Feuerhaken erschlagen zu haben.

2. Ferner wird ihm vorgeworfen, Frau Maria Schmidt mit einem Kopfkissen erstickt zu haben.

3. Ihm wird vorgeworfen, diverse Schmuckstücke und Diamanten entwendet zu haben.

4. Ihm wird vorgeworfen, das Ölgemälde „Das Dorf“ von Chagall bei Familie Schmidt entwendet zu haben. Derzeitiger Wert: 5.000.000 EUR.

5. Ihm wird vorgeworfen, in das Haus der Eheleute Langenhagen eingedrungen zu sein und das Gemälde von Franz Marc: Die großen blauen Pferde entwendet zu haben. Wert: 13 Mio. EUR

6. Ihm wird vorgeworfen, in das Haus der Eheleute Rieckmann eingedrungen zu sein und aus dem Tresor 600.000 EUR, wertvollen Schmuck und Edelsteine und ein weiteres Gemälde entwendet zu haben.

7. Ihm wird vorgeworfen, Inge Müller heimtückisch ermordet zu haben.

8. Nun kommt noch die schwere Körperverletzung der Professorin Ludmilla Raykowsky und der Kunstraub des Gemäldes ‚Rembrandt mit Saskia‘ hinzu.

Rolf geht, wie es für seine gewissenhafte Art typisch ist, chronologisch vor und beginnt mit der Sicherung des Vorwurfs unter Punkt 1 und fragt:

„Wie kann zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass Karl Bergmann es war, der in das Haus eingedrungen ist?“

Klaus Kunze erinnert sich, dass am Sicherheitsschloss der Hauseingangstür ein Blutfleck entdeckt wurde. Daraus konnte die KTU eine DNA erstellen und sie unter dem Kennwort ‚Doppelmord‘ in der Datenbank ablegen. Dass Karl Bergmann die gleiche DNA hat, belastet ihn einerseits sehr stark, doch durch sein Alibi wird er diesbezüglich wieder entlastet. Das stimmt sehr nachdenklich und bleibt weiterhin mysteriös.

Jürgen Kröger stellt außerdem fest, dass an der Terrassentür Holzsplitter gefunden wurden und das vermeintliche Tatwerkzeug unweit davon entfernt im Garten sichergestellt werden konnte. Es ist ein Schraubendreher mit rotem Griff. Er gehörte einem gewissen Max Wolf, der ihn aber auf einem Flohmarkt an einen ihn unbekannten Mann verkauft hat.

Dieser Schraubendreher konnte jedoch bei der Hausdurchsuchung in Schmitten nicht entdeckt werden. Demzufolge wird Bergmann dadurch nicht belastet.

Klaus ergänzt, dass sie am gesamten Tatort keine relevanten Fingerabdrücke feststellen konnten, woraus sie schließen, dass der oder die Täter Handschuhe getragen haben müssen.

Miriam ist überzeugt, dass die Täter durchweg Handschuhe getragen haben. Dadurch erwecken sie den Eindruck von professionellen Dieben. Warum lassen sie im Garten offensichtlich das Einbruchswerkzeug liegen? Wenn aber am Türschloss ein Blutfleck zu finden ist, sind sie sehr wahrscheinlich auch durch diese Tür in das Haus gekommen. Warum sollten sie dann noch die Terrassentür aufhebeln? Das erscheint als eine bewusst irreführend gelegte Fährte.

Und was gibt es sonst noch? Der Punkt 2 hinsichtlich Kopfkissen bringt nicht den geringsten Hinweis auf den Täter“.

Klaus gibt seiner Kollegin Miriam recht. Also sollen sie sich nun dem Punkt 3 zuwenden. Darin wird Bergmann vorgeworfen, Diamanten gestohlen zu haben. Es ergibt sich sofort die Frage, wo sie sind. Sie wurden weder in seiner Wohnung noch in Schmitten gefunden. Also bleibt nur die letzte Möglichkeit, dass er sie veräußert hat. Aber an wen?

Fritz Becken meint dazu nur, dass er es auf keinen Fall bei Ebay versuchen wird. Es ist gewiss nicht einfach, mal so eben ein paar Diamanten zu verkaufen. Wenn er sie hatte und es ihm gelungen ist, sie zu verkaufen, dann muss er schon im Vorfeld entsprechende Kanäle gekannt haben, denn es geht um enorme Werte.

Jürgen erinnert sich:

„Wir wissen doch, dass Bergmann mit seinem Pritschenauto einen Verkehrsunfall hatte. Dieser ereignete sich in der Nähe von Orscholz. Dieser Ort ist von seinem Wohnort 236 km entfernt. Aber von dem Unfallort bis zur Grenze nach Luxemburg sind es 14 km. War Bergmann vielleicht auf dem Wege nach Luxemburg, um dort seine Diamanten zu verkaufen?“

Miriam ergänzt:

„Guter Denkansatz, Jürgen. Doch wenn ich mich auf die Reise mache, mit ein paar Diamanten im Gepäck, dann fahre ich nicht einfach aufs Geratewohl irgendwohin. Er müsste also schon eine gewisse Zeit zuvor einen sicheren und absolut zuverlässigen Käufer kennengelernt haben. Hier sollten wir anfangen!“

Klaus erzählt Miriam, dass Karl Bergmann zusammengelebt hat mit der Chemikerin Dr. Alina Miller. Das letzte Mal wurde sie einen Tag vor Bergmanns Unfall in ihrem Institut gesehen. Alina war die Leiterin des Forschungsinstitutes der HypnoPharm. Ihre Sekretärin sagte ihnen damals, dass sich Karl Bergmann in Quarantäne begeben hat, weil ein Schnelltest ergab, dass er positiv war. Dr. Alina Miller hatte daraufhin kurz das Institut verlassen, weil sie sich um ihren Freund Karl kümmern und sich selbst testen wollte. Keiner von beiden wurde seitdem wieder gesehen.

Miriam fragt nach, ob diese Alina denn auch in dem Auto saß, als der Unfall passierte. Klaus erzählt ihr, dass die Kollegen der Verkehrspolizei Dillingen, die den Unfall aufgenommen hatten, nur von einer Person sprachen, nämlich dem Fahrer Karl Bergmann. Miriam lässt das keine Ruhe, wenn sie im Ungewissen bleibt. Also fragt sie, ob es keine Möglichkeit gibt, herauszubekommen, welches sein Fahrziel war. Fritz wir wieder ironisch und sagt, dass er bezweifelt, dass in seinem FORD, Baujahr 1938 ein Navigationsgerät mit Routenspeicherung eingebaut war.