Der Fluch der KI - Bert Seemann - E-Book

Der Fluch der KI E-Book

Bert Seemann

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Beschreibung

Der Bundespräsident lobt einen Wettbewerb für 1 Million EUR aus, für eine innovative Problemlösung von globaler ökologischer Bedeutung. Die Bewerber kommen aus zwei Lagern, deren Interessen nicht unterschiedlicher sein könnten, mit der klassischen Physik und Technik auf der einen Seite und die Chancenvielfalt der Künstlichen Intelligenz auf der anderen Seite. Dabei schrecken die Verfechter ihrer Ideen vor Morden und irreführenden Manipulationen nicht zurück, die Erotik wird als Mittel der Wahl missbraucht, um selbst gesteckte Ziele zu erreichen und zu überbieten. Aber auch die raffiniertesten Gedanken und die geistige Schöpferkraft sind nicht vor hinterhältigen Machenschaften gefeit. Immer wieder zeigt sich, dass dem Einsatz polizeilicher Mittel oft humane Erwägungen und gesetzliche Hürden im Wege stehen. Mit allen Mitteln versucht einer der beiden Rivalen seinen Gegenspieler mundtot zu machen und scheut vor einem Mord nicht zurück. Ein anspruchsvoller Kriminalroman, der dem aufmerksamen Leser ein hohes Maß an kriminalistischem Einfühlungsvermögen abverlangt.

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Dr. Berthold W. Seemann nennt sich in seiner Funktion als Autor nur Bert Seemann. Er ist 1937 geboren und hat an der Universität Rostock und an der Humboldt-Universität Berlin studiert. Er ist Diplom-Physiker, Ing. für Elektronik und Ing. für Biophysik. An der Universität Rostock promovierte er zum Dr.-Ing. In seiner 58-jährigen beruflichen Tätigkeit auf verschiedenen technischen Gebieten und in der Medizin sammelte er einen großen Fundus an Erfahrungen und praktischem Wissen. So bindet der Autor gern physikalische und technische Raffinessen in seine Kriminalgeschichten ein. Er ist verheiratet mit einer inzwischen pensionierten Lehrerin, hat fünf Kinder und wohnt in der Nordheide. Mit dem Ende seines Berufslebens wechselte er in ein gänzlich neues und für ihn fremdes Metier der Schriftstellerei. Für die ersten Romane benutzte er noch das Pseudonym Pit Saylor. Nun aber setzt er den Klarnamen auf die Cover seiner Bücher.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3 (Rückblick)

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 1

Es ist Mittwoch, der 8. März 2020. Inzwischen ist alles ruhig in der Polizeistation Raschplatz in Hannover. Für den heutigen Tag hatte Oberkommissar Gerald Fleischer seinen Kommissar Benno Rossmann für den Telefondienst eingeteilt. Er ordnet an seinem Arbeitsplatz noch einige Papiere, damit sie in den richtigen Ordner kommen, denn Unordnung und langes Suchen ist für Gerald Fleischer ein rotes Tuch. Für diese Systematik zu sorgen, ist genau die Aufgabe, für die Benno geeignet erscheint. Schließlich hat er von seinem Chef nicht umsonst den speziellen Auftrag erhalten, stets für die korrekte Beschriftung aller Ordner und Aktenmappen verantwortlich zu sein. Nebenbei kontrolliert er nahezu stündlich sein E-Mail-Postfach.

In diese Gelassenheit eines Beamten hinein schrillt um 20:47 Uhr das rote Telefon, auf das alle Notrufe eingehen, die über 110 abgesetzt werden. Er nimmt ab und meldet sich in vorgegebener Form:

„Hier Polizeistation Hannover-Raschplatz, Kommissar Grossmann am Apparat. Worum geht es?“

„Hier spricht Prof. Bernd Weissacker, ich muss einen Todesfall melden. Es betrifft meine Ehefrau Elise Weissacker. Tatort ist Misburger Str. 112 A. Wahrscheinlich geht es um einen Mord.“

„Bitte bleiben Sie am Tatort, die Kollegen treffen in Kürze ein. Behalten Sie Ruhe und verändern Sie nichts!“

Nun beginnt der mehrfach praktizierte Ablauf, wenn ein solcher Notruf eingeht. Die diensthabenden Kommissare, Christiane Euler, Klaus Kuhn und Jürgen Kranz werden informiert. Ebenso geht eine Meldung an die KTU und den Gerichtsmediziner Dr. Werner Wunder. Wenige Sekunden später saust der hellgraue Kleinbus der KTU mit Sondersignal vom Parkplatz der Polizeistation, in dem auch Dr. Wunder Platz gefunden hat und fährt in östliche Richtung.

Kurz darauf folgt ein Streifenwagen mit den drei Kommissaren, der sich gleichfalls mit Blaulicht und Martinshorn dem Gebäude nähert. Dieses besteht aus einem modernen Wohnhaus, das durch einen verglasten Korridor mit dem Institutsgebäude verbunden ist. Der Eingang für beide Häuser befindet sich in der Mitte des Glaskorridors. Um in den Institutsbau zu gelangen, muss man jedoch an einem Pförtner vorbei und kann auch dann nur mit einem speziellen Schlüssel den Eingang betreten. Dieses Haus trägt die Nummer 112 B, während das Wohnhaus des Professors und seiner Familie die Hausnummer 112 A erhalten hatte.

Hier steht auch schon der Professor, hält die Tür auf und führt die Kommissare in das Wohnzimmer. Zwischen der Couch und dem Tisch liegt in leicht gekrümmter Haltung eine junge Frau mit langen blonden Haaren. Unter ihrem Kopf hat siche eine Blutlache gebildet. Daneben liegt ein vergoldetes Teil, das später noch näher beschrieben wird. Es ist etwa 20 cm hoch.

Kommissar Kranz fotografiert die Leiche und auch die gesamte Umgebung, um später eine bessere Zuordnung zu erkennen.

Die Mitarbeiter der KTU haben sich gleichfalls wie Dr. Wunder ihre weißen Schutzanzüge übergezogen und nehmen diverse Spuren auf. Der Gerichtsmediziner beugt sich über die Leiche und kann zunächst nur den Tod feststellen. Dann misst er die Körpertemperatur und registriert die Raumtemperatur. Zum Glück ist da eine kleine Kombination von Thermometer und Luftdruckmesser an einer Mittelwand des Raumes angebracht. Diese beiden Temperaturwerte erlauben Dr.Wunnder den Todeszeitpunkt auf etwa 19:30 bis 20:15 festzulegen. Die Todesursache ist zweifelsfrei eine Schädelfraktur, hervorgerufen durch den Schlag mit einem scharfkantigen Gegenstand. Dabei blickt und zeigt er auf das Gebilde, was bereits ein Mitarbeiter der KTU vom Fußboden aufgehoben und auf den Tisch gestellt hat. Das metallene Gebilde besteht aus einer Kupferlegierung, die anschließend einen Goldüberzug erhalten hatte. Auf einer quadratischen Grundplatte von 8 × 8 cm ruht eine 18 cm hohe Säule, die sich leicht konisch nach oben verjüngt. Den Abschluss bildet ein auf der Spitze stehender Würfel mit einer Kantenlänge. Auf die Flächen sind die verschiedenen Erdteile mit einem Lasergerät eingraviert. Auf dem Sockel des Gebildes ist das Datum 12. Juni 2014 zu lesen. Kommissarin Euler wendet sich an den Ehemann:

„Herr Professor ist es möglich, dass Sie mir jetzt bereits einige Fragen beantworten können?“

„Ja, ich habe mich bereits gefangen, fragen Sie nur!“

„Bitte schildern Sie uns mit allen Details, welcher Anblick sich Ihren Augen bot, als sie das Zimmer betreten haben.“

„Ich hatte gegen 20:30 Uhr meine Untersuchungen im Physik-Labor abgeschlossen und erlaubte meiner Sekretärin, Frau Schmidke, jetzt endlich Feierabend zu machen. Die drei Mitarbeiter aus dem Labor waren schon vor zehn Minuten gegangen. Als dann auch meine Sekretärin das Büro verlassen hatte, schloss ich ab und ging in meine Wohnung. Das war etwa um 20:40 Uhr. Als ich unsere Wohnungstür mit dem Schlüssel geöffnet hatte, rief ich meiner Frau zu: ‚Liebling, ich bin endlich fertig‘, aber mich erreichte kein Echo. Also ging ich weiter durch die offen stehende Tür in unser Wohnzimmer und erblickte meine am Boden liegende Ehefrau. Ich stand plötzlich wie versteinert da, fasste mit meinem Zeige- und Mittelfinger an ihre Halsschlagader und spürte keinen Puls mehr. Sofort griff ich zum Telefon, wählte 110 und meldete, dass meine Frau wahrscheinlich tot sei. Dann setzte ich mich auf einen Stuhl und schaute auf den leblosen Körper. Als ich das Sondersignal hörte, ging ich hinunter, um Sie hereinzulassen.“

„Danke, Herr Professor für die ausführliche Darstellung, dennoch habe ich einige Fragen: Was bedeutet das Datum, das unten auf dem Sockel eingraviert ist?“

„Das ist der Tag, als ich mein Institut FUTUR für physikalisch-technische Innovationen eröffnet habe.“

„Wie viel Mitarbeiter sind hier beschäftigt?“

„Momentan sind 26.“

„Haben Sie heute Abend zwischen 19:00 Uhr und ihrem Büroschluss um 20:40 Ihr Institut kurzzeitig verlassen?“

„Nein, das habe ich nicht!“

„Wer kann das bezeugen?“

„Ganz einfach, meine Sekretärin!“

„Waren Sie denn ununterbrochen in Ihrem Büro oder sind Sie einmal kurz im Labor gewesen, um dort nach dem Fortgang der Arbeiten zu sehen?“

„Ja, das kann schon sein, denn ich sitze natürlich nicht nur vor meinem PC und rühre mich nicht von der Stelle. Doch führe ich auch nicht Buch darüber, wohin mich meine Schritte lenken, das Buch wäre schnell gefüllt!“

„Leider benötigen wir von Ihnen oder von Ihrer Sekretärin eine schriftliche Aufstellung aller in Ihrem Institut beschäftigten Personen, einschließlich Wohnadresse und Telefonnummer.“

„Wer lebt in Ihrem Haus noch, außer Ihnen und Ihrer verstorbenen Frau? Haben Sie Kinder?“

„Ja, wir haben eine gemeinsame Tochter, Baila Weissacker. Sie ist 18 Jahre alt und schließt das Gymnasium in diesem Jahr mit dem Abitur ab.“

„Können Sie mir sagen, wo sie sich zurzeit aufhält, da ich sie bis jetzt noch nicht gesehen habe?“

„Wahrscheinlich ist sie bei ihrem Freund, Gabriel Neumüller. Er ist 19 Jahre alt und der Sohn eines ehemaligen Mitarbeiters.“

„Halten Sie es nicht für angebracht, Ihre Tochter von dem Tod ihrer Mutter zu informieren?“

„Aber natürlich, daran hatte ich noch nicht gedacht, aber ich werde es sofort erledigen, nachdem Sie gegangen sind.“

„Nein, bitte erledigen Sie es sofort und rufen Sie sie jetzt an!“

Mit hochgezogener Stirn greift er nach seinem Smartphone, ruft seine Tochter an und bittet sie, unverzüglich nach Hause zu kommen, da sich etwas Schlimmes zugetragen hat. Sie sagt, dass sie in Kürze aufkreuzen wird, wie sie es wörtlich formulierte.

Nach wenigen Minuten hält vor dem Haus ein Mercedes-AMG GT und eine junge Frau und ein junger Mann steigen aus und eilen in das Haus.

Allerdings hatte zwischenzeitlich Dr.Wunder den Bestattungsdienst informiert, der den Leichnam bereits abgeholt und in die Gerichtsmedizin gebracht hat.

Die jungen Leute betreten das Wohnzimmer und Baila spricht ihren Vater an:

„Bernd, wo ist meine Mutter? Was hast du mit ihr gemacht?“

Jetzt fragt Gabriel:

„Na, wo ist ihre Mutter denn hin?“

Mit leicht gesenktem Kopf antwortet der Professor:

„Baila, es tut mir leid, es dir sagen zu müssen, aber deine Mutter ist tot!“

Sie dreht sich um und wirft sich dem regungslos dastehenden Gabriel an den Hals und beide verlassen wortlos das Zimmer, gehen hinaus und ein aufheulender Motor lässt erahnen, dass sie abgefahren sind.

Kommissar Jürgen Kranz erklärt dem Professor, dass ihrerseits und auch von der KTU alle Spuren gesichert und alles momentan Erforderliche erledigt ist, sodass sie den Tatort verlassen können. Leider muss die Wohnung noch für etwa drei Tage unzugänglich bleiben und versiegelt werden, falls noch Untersuchen erfolgen, die augenblicklich nicht absehbar sind. Daher wird dem Professor angeraten, sich für diese kurze Zeit in einem Hotel ein Zimmer zu nehmen.

Nachdem alle gegangen und die Hauseingangstür versiegelt wurde, wird es hier wieder still.

*

Gleich nach Dienstbeginn am 9. März bittet Oberkommissar Gerald Fleischer seine Kommissare unverzüglich in das Konferenzzimmer.

„Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es dürfte sich bereits herumgesprochen haben, dass wir gestern am späten Abend zu einem Mord gerufen wurden. Er betrifft die Ehefrau des Leiters eines Forschungsinstitutes mit dem Namen ‚FUTUR‘. Da ich eine umfangreiche Ermittlungstätigkeit auf uns alle zukommen sehe, bilde ich eine Sonderermittlungsgruppe mit dem passenden Namen‘ SOKO ‚Futur‘. Folgende Kommissare bitte ich um Teilnahme in dieser SOKO:

Kommissarin Christiane Euler

Kommissar Klaus Kuhn

Kommissar Fritz Boehme und

Kommissar Benno Witte

Zunächst liegen folgende Aufgaben an.

Christiane, du kontaktierst bitte Dr. Wunder, damit wir noch Details aus Sicht der Gerichtsmedizin erfahren.

Klaus, du sprichst die Kollegen der KTU an, was sie uns zu den ausgewerteten Spuren zu sagen haben

Fritz, deine Aufgabe ist es, die Arbeitsstelle der Getöteten herauszufinden und dann mit ihrem ehemaligen Vorgesetzten ein Gespräch zu führen.

Benno, du wirst die vom Professor ins Feld geführten Alibis auf Echtheit überprüfen.

Wir treffen uns als SOKO ‚Futur‘ morgen früh um 8:00 Uhr an gleicher Stelle wieder. Solltet ihr es aus irgendeinem Grund für erforderlich halten, könnt ihr mich auch zu einem früheren Zeitpunkt informieren. Damit beende ich das heutige Meeting. Danke!“

Die Kommissarin Christiane Euler ist bereits seit dem Jahr 2012 in dieser Polizeistation in Hannover angestellt. Es ist auch ihre erste Dienststelle nach Abschluss ihres Studiums. Gleich nach dem Abitur drängten ihre Eltern darauf, dass sie zumindest für einen begrenzten Zeitraum in einem praktischen Beruf tätig sein sollte. Also begann sie hier in Hannover eine Lehre als Bankkauffrau in der TARGOBANK. Nach erfolgreichem Abschluss verfügt sie nicht nur über ein gutes fachliches Basiswissen, sondern hat auch ausreichend Erfahrungen im Umgang mit Menschen sammeln können.

Mit Bestehen des dualen Studiums, das 3 Jahre dauerte und der verkürzten Laufbahnausbildung, die 2 Jahre in Anspruch nahm, wurde Christiane zur Kriminalkommissarin auf Probe ernannt. Die Probezeit dauerte drei Jahre. Da sie auch diese Phase mit Bravour gemeistert hat, wurde im Anschluss daran ihr Beamtenverhältnis auf Lebenszeit umgewandelt. Damit hat sie sich mit 32 Jahren eine sichere, materielle Basis geschaffen. Inzwischen ist sie verheiratet. Mit ihrem Mechatroniker Fred Euler hat sie eine kleine Tochter, die mittlerweile auch schon zwei Jahre alt geworden ist.

Christiane ist einen ruhige, besonnene, aber durchsetzungsstarke Polizistin, die ihren Beruf liebt.

Jetzt meldet sie sich telefonisch in der Gerichtsmedizin bei Dr. Wunder an:

„Hallo, hier spricht Christiane Euler. Darf ich Sie kurz besuchen kommen, weil ich etwas über Ihre Untersuchungsergebnisse von Frau Elise Weissacker erfahren möchte? Passt es Ihnen schon in fünf Minuten?“

„Aber ja, Frau Kommissarin, ich erwarte sie im Seziersaal. Dann bis bald.“

Da sie den Weg schon öfter gegangen ist, kommt sie schnell beim Pathologen an.

Ohne lange Vorrede beginnt Dr. Wunder seinen Bericht über die getötete Frau Elise Weissacker:

„Wie ich schon am Tatort festgestellt hatte, erlitt sie infolge des harten Schlages einen Schädelbruch, der zu massiven zerebralen Schäden und hohem Blutverlust geführt hat.

Von ihrer Konstitution her ist sie kerngesund, hat einen kräftigen Knochenbau und der Zustand ihrer Muskeln verrät eine regelmäßige, sportliche Betätigung. Sie ist nicht schwanger und hatte auch in den letzten Stunden vor dem Mord keinen Geschlechtsverkehr. Weiterhin sind auch keinerlei Abwehrspuren erkennbar. Offensichtlich muss sie ihren Mörder gekannt haben und wurde von der Tötung überrascht. Der tödliche Schlag wurde aber von hinten ausgeführt. Es ist wahrscheinlich, dass sie sich von der Person aus einem unbekannten Grund abgewandt hat und dann erfolgte der Schlag.

Den Todeszeitpunkt kann ich nunmehr einschränken auf eine Zeit zwischen 19:50 und 20:10 Uhr.

So, liebe Kollegin, mehr kann ich dazu nicht sagen. Alles, was Sie jetzt von mir erfahren haben, gebe ich Ihrem Chef noch schriftlich, so wie es seit Jahren üblich ist. Danach kann ich die Leiche freigeben.“

Christiane dankt und geht zurück in ihr Büro.

Fritz ist auch bereits erfolgreich und hat herausgefunden, dass Frau Elise Weissacker als Managerin bei einer Außenstelle des Konzerns ‚Dior‘ von LVHM tätig war. Er hat für 10:30 Uhr mit ihrem ehemaligen Vorgesetzten einen Gesprächstermin vereinbart.

Wie er es auch nicht anders erwartet hat, steht er plötzlich in einem gläsernen Foyer und spricht die akkurat geschminkte junge Frau an:

„Kommissar Boehme, ich hätte gern Frau Weissacker gesprochen. Wo finde ich sie?“

„Es tut mir leid, aber die Managerin Weissacker ist heute noch nicht anwesend.“

„Dann müsste ich dringend ihren Vorgesetzten sprechen!“

„In welcher Angelegenheit, wenn ich fragen darf?“

„Sie dürfen gern fragen, junge Frau, aber ich darf nicht antworten. Also, wo finde ich den Chef?“

„Bitte, Herr Kommissar, nehmen Sie Platz, ich werde Dr. von Laak informieren, dass Sie ihn hier erwarten.“

Fritz nimmt in einem weißen Korbsessel Platz und ohne Aufforderung, wird ihm ein Glas Mineralwasser an den Tisch gebracht. Wenig später kommt ein Herr im dunkelblauen Anzug auf ihn zu und fragt:

„Darf ich mich zu Ihnen setzen? Ich vermute, Sie sind der Kommissar, der mich sprechen möchte.“

„Ja, das ist korrekt und mein Name ist Boehme. Ich wollte Sie zu Frau Weissacker befragen. Wie würden Sie sie kurz beschreiben?“

„Frau Weissacker ist korrekt, sympathisch und bewahrt ihre Persönlichkeit. Leider ist sie heute noch nicht im Hause, was für Sie untypisch ist.“

„Herr Dr. von Laak, leider muss ich Ihnen eine betrübliche Mitteilung machen. Frau Weißacker wurde gestern Abend in ihrer eigenen Wohnung tot aufgefunden.“

Dr. van Laak unterbricht den Kommissar:

„Entschuldigung, was sagen Sie da? Unsere Kollegin Weissacker ist tot? Wie kann denn soetwas geschehen, sie war doch kerngesund?“

„Herr van Laak, wir sind auch verwundert und nehmen unseres Aufgabe ernst, diesen Vorfall lückenlos aufzuklären, benötigen aber dafür jeden denkbaren Hinweis. Hatte sie einen persönlichen Laptop oder war er Eigentum des Unternehmens?“

„Frau Weissacker hatte es abgelehnt, ein firmeneigenes Gerät zu erhalten und bestand darauf, ihr eigenes benutzen zu dürfen.“

„Ist Ihnen denn aufgefallen, dass sie sich in letzter Zeit in ihrem Verhalten verändert hatte? Wirkte sie mehr froh gelaunt als zuvor oder erweckte sie den Eindruck, bedrückt zu sein?“

„Eigentlich muss ich diese Frage mit ‚weder noch‘ beantworten.“

„Hatte außer ihr jemand Zugang zu ihrem Laptop oder kannten sie den Zugangscode?“

„Auch hier muss ich Ihnen zwei Antworten geben, nämlich ‚ja‘ und ‚nein‘. Weil sie ihren Laptop auch für betriebliche Belange benutzte, kenne ich das Passwort „Elise1989dior“. Doch ihr persönlicher Bereich ist durch ein weiteres, allen anderen unbekanntes Codewort geschützt.“

„Ich danke Ihnen für das ausführliche Gespräch, muss aber leider darauf bestehen, den Laptop der Frau Weissacker zu konfiszieren.“

„Dafür habe ich Verständnis und lasse ihn sofort bringen. Ich selbst verabschiede mich und bitte darum, mich zu informieren, wenn nähere Umstände ihres Todes bekannt sind, insbesondere wann die Trauerfeier stattfinden wird. Selbstverständlich werde ich unsere Mitarbeiter über den traurigen Verlust in Kenntnis setzen, dass uns eine nette Kollegin so unerwartet verlassen musste. Auf Wiedersehen!“

Kommissar Boehme wurde der Laptop gegen Unterschrift übergeben und er fährt damit zurück in die Polizeistation. Dort wendet er sich an die Kollegen der KTU mit der Bitte, das persönliche Passwort herauszufinden und es den Kommissaren mitzuteilen, damit sie sich die verschiedenen Inhalte ansehen können. Er erkundigte sich aber auch, ob es ihnen schon gelungen ist, von Professor Weissackers das Passwort von seinem Laptop zu erfahren. Diese Frage können sie mit ‚Ja‘ beantworten und nennen den Zugangscode: ‚fut#112TurBo‘.

Damit hat Fritz seinen Dienstauftrag erfüllt. Auch er ist schon einige Jahre unter Oberkommissar Gerald Fleischer tätig und hat sich als zuverlässiger Polizist einen guten Namen erarbeitet.

Fritz hatte gerade die KTU verlassen, da kommt ihm Klaus entgegen und meint, dass er jetzt zu Dr. Zanker geht, um zu erfahren, wieweit seine Mitarbeiter mit der Auswertung der Spuren gekommen sind und spricht ihn an:

„Herr Dr. Zanker, ich hätte gern gewusst, welche Hinweise sie uns aufgrund er gefundenen Spuren geben können.“

„Auf diesem speziellen ‚Obelisk mit Würfel‘ fanden wir Fingerabdrücke sowohl von der rechten als auch von der linken Hand, die wir eindeutig Prof. Dr. Weissacker zuordnen können. Es sind aber noch ältere, verwaschene Abdrücke vorhanden, die von der Ehefrau stammen. Leider konnten wir an der Leiche keine fremden DNA-Spuren finden. Das war es schon, was wir an relevanten Spuren sichern konnten.“

Mit diesen Informationen geht Klaus zurück in sein Büro.

Kommissar Benno Witte hat sich in seinen Dienstwagen gesetzt und fährt in die Misburger Straße zu dem Institut ‚Futur‘. Hier muss er sich erst einmal bei einem diensteifrigen Pförtner ausweisen, der gleich Frau Schmidke im Sekretariat verständigt und den Kommissar Grossmann ankündigt. Benno darf nun passieren und klopft an die Tür, die mit einem Schild gekennzeichnet ist mit der Beschriftung ‚Prof. Dr. Bernd Weissacker, Institutsdirektor‘. Darunter steht noch Chefsekretariat Bettina Schmidke. Nach einem ‚Herein‘ betritt er ein helles Zimmer, das für ein Sekretariat eine beachtliche Größe besitzt. Hinter einem Schreibtisch sitzt Frau Schmidke auf einem eleganten, elektrisch höhenverstellbaren Bürostuhl. Sie erhebt sich, kommt auf Benno zu und reicht ihm die Hand:

„Guten Tag, ich bin Bettina Schmidke und wer sind Sie?“

„Kommissar Benno Witte, Polizeistation Hannover-Raschplatz. Frau Schmidke, ich habe einige Fragen, die Sie mir bitte beantworten möchten.“

Sie führt den Kommissar zu einer Sitzgarnitur, bietet ihm einen Platz an, setzt sich dann auch hin und er fragt:

„Frau Schmidke, wann haben Sie gestern Abend dieses Büro verlassen?“

„Das dürfte gegen 20:35 Uhr gewesen sein!“

„Diese Uhrzeit ist für einen Dienstschluss reichlich spät. Bitte erklären Sie mir das?“

„Herr Kommissar, wir arbeiten momentan an einem hochbrisanten Projekt und dann schaut keiner der gesamten Belegschaft auf die Uhr. Später können wir diese Überstunden ausgleichen.“

„Hat der Professor gestern Abend sein Büro in der Zeit zwischen 19 und 20 Uhr einmal für eine kurze Zeit verlassen?“

„Ja, er ist mehrmals in das Physik-Labor gegangen, weil dort interessante Versuche ablaufen, die er natürlich nicht verpassen will.“

„Welche Mitarbeiter sind in diesem Labor beschäftigt?“

„Dort arbeitet die Laborantin Evelyn Kluge, dann Herr Max Mergel, Herr Sommer und Herr Sheng Han. Früher war da auch noch der nette Moritz Mergel. Es ist der Zwillingsbruder von unserem Max. Aber das war zu der Zeit als noch Dr. Neumüller bei uns im ‚KI-Office tätig war.“

„Und wo ist dieser Dr. Neumüller jetzt?“

„Es gab da kleine Differenzen zwischen dem Prof und Dr. Neumüller und da bat letzterer um die Auflösung seiner Arbeitsvertrages. Daraufhin gründete er ein eigenes Unternehmen, das sich nur mit KI beschäftigt. Neumüller nahm aber seinen besten Mitarbeiter, den Moritz Mergel, gleich mit.“

„Frau Schmidke, ich würde gern die Laborantin, Evelyn Kluge, unter vier Augen sprechen. Wo ist das möglich?“

„Herr Kommissar, da gehen Sie gleich in die Kantine. Die ist zwar noch nicht geöffnet, doch ich schließe Ihnen die Tür auf und verständige auch Frau Kluge, dass sie zu Ihnen dorthin kommt.“

Benno findet schnell den Weg und setzt sich in der Kantine an einen Tisch, der am Fenster steht und wartet auf

Frau Kluge. Es dauert nicht lange, da erscheint eine etwa 23 -25 Jahre alte schlanke Blondine, geht auf den Tisch am Fenster zu und stellt sich vor:

„Guten Tag, ich bin Evelyn Kluge, Laborantin im Physik-Labor.“

„Ich bin Kommissar Benno Witte und habe ein paar Fragen an Sie, Frau Kluge.

Wie lange sind Sie schon in diesem Institut tätig?“

„Das ist jetzt erst das zweite Jahr, nachdem ich angefangen habe.“

„Wie sind Sie zu dieser Arbeitsstelle gekommen?“

„Ich nahm im Rahmen einer Fortbildung an einigen Vorlesungen teil, die der Prof. Dr. Weissacker an der Hochschule gehalten hat. Schon nach der zweiten Vorlesung sprach er mich nach dem Ende an und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, in seinem Institut zu arbeiten. Natürlich sagte ich sofort ja, denn das war eine irre gute Chance für mich.“

„Nun möchte ich eine ehrliche Antwort auf eine etwas indiskrete Frage: Fühlen Sie sich als Frau zu dem Prof hingezogen?“

„Also, ich verlasse mich darauf, dass das wirklich unter uns bleibt, was ich Ihnen hier erzähle. - Es ist schon so, dass ich ihn ganz toll finde und mich hingezogen fühle. Das Schöne daran ist aber auch, dass es ihm genau so geht. Schließlich sind wir uns dann auch einmal näher gekommen und den Rest können Sie sich denken. Er hat mir auch im Vertrauen erzählt, dass sein Verhältnis zu seiner Ehefrau sich sehr stark abgekühlt hat. Er erklärte es mir auch wissenschaftlich, dass ein Mann erotische Impulse braucht, um schöpferisch wirken zu können. Das habe ich auch gemerkt, dass sich dann in ihm immer eine ungeheure geistige Kraft entfaltet hat.“

„Das glaube ich Ihnen gern, denn Sie sind eine höchst attraktive junge und gut aussehende Frau. War denn gestern Abend auch eine solche Situation entstanden, in der Sie seine Schöpferkraft gefördert haben?“

„Naja, der große Test war doch fertig und der Prof kam und sagte den anderen, dass sie Feierabend machen könnten. Wir hatten leider nur wenig Zeit, denn dann musste Bernd auch gehen.“

„Das war dann schon halb neun und vorher ging er auch noch einmal in sein Büro, sagte er mir zumindest.“

„Danke Frau Kluge, Sie haben mir sehr geholfen. Sie können jetzt gehen. Auf Wiedersehen!“

Nachdem sich Benno auch im Sekretariat verabschiedet hat, verlässt er das Institut, ohne den Professor gesehen zuhaben. Er zieht daraus, was er von beiden Frauen gehört hat, den Schluss, dass der Professor für die Zeit zwischen 19:00 und 20:35 Uhr kein Alibi vorweisen kann.

Kapitel 2

Um 8:00 Uhr findet sich das Team der SOKO ‚Futur‘ im Konferenzzimmer ein. Jetzt erscheint auch Gerald und nimmt, wie gewohnt, an der Stirnseite des Tisches Platz. Nach einem freundlichen 'Guten Morgen’ bittet er Christiane um ihren Bericht. Sie beginnt:

„Der gerichtsmedizinische Befund der Toten lässt sich in kurze Worte fassen. Der Körper weist außer der Fraktur des rückseitigen Schädelknochens keine Zeichen von Gewalteinwirkung auf. Dieser Schlag wurde mit einem scharfkantigen Gegenstand von hinten ausgeführt. Es kam zu schwerwiegenden zerebralen Schäden und einem beachtlichen Blutverlust, in dessen Folge der Tod in der Zeit zwischen 19:50 und 20:10 Uhr eintrat.

Es sind auch keine Einstichstellen vorhanden, die auf einen Drogenkonsum hätten hinweisen können.

Frau Weissacker hatte in den vergangenen 12 Stunden keinen Geschlechtsverkehr und es gibt auch keine Anzeichen einer Schwangerschaft.

Von ihrer Konstitution her ist sie kerngesund, hat einen kräftigen Knochenbau und der Zustand ihrer Muskeln verrät eine regelmäßige, sportliche Betätigung.

Weitere Aussagen können nicht gemacht werden.“

„Danke Christiane und jetzt bis du dran Klaus. Was kannst du uns berichten?“

„Von den Kollegen der KTU habe ich erfahren, dass sie von dem Gebilde, das sie zur besseren Verständigung als Obelisk bezeichnen, nur die Fingerabdrücke sowohl der rechten als auch der linken Hand vom Prof sichern konnten. Darunter waren aber noch Reste älterer Abdrücke, die sie der Frau Weissacker zuordnen. An der Leiche sind keine fremden DNA-Spuren zu finden. Die Mitarbeiter besitzen inzwischen die Passwörter der Laptops von Frau Weissacker und vom Professor. Es nimmt alles den Anschein, als hätten sich die beiden Eheleute nur per E-Mail verständigt. Wahrscheinlich saß sie in einem Großraumbüro und da hätte jeder mithören können. Beim Prof wären es nur die Ohren seiner Sekretärin gewesen, die jedes Wort gespeichert hätten.

Einige dieser Chats haben die KTU-Kollegen schon gelesen und konnten mir versichern, dass darin allerhand brisanter Zündstoff verborgen ist, der den Prof schwer belastet.

Ich werde mir den gesamten Chatverlauf von beiden vornehmen und danach euch das Wesentliche mitteilen.“

„So, Fritz, erzähle uns, was der ehemalige Chef über seine Managerin zu sagen hatte!“

„Kurz gesagt, nur das Beste. Sie war sympathisch, teamfähig, zuverlässig und hat immer ihre Persönlichkeit bewahrt. Jetzt kann sich jeder etwas anderes darunter vorstellen, aber nur Positives.“ „Benno, jetzt wirst du uns berichten, wie sicher die Alibis von Prof. Dr. Weissacker sind.“

„Damit bin ich schnell durch, denn er hat keine. In seinem Büro, neben seiner Sekretärin war er nicht ständig, sondern ist mehrmals in das Physik-Labor gegangen. Dort hatte er aber ziemlich früh die drei männlichen Mitarbeiter in den Feierabend geschickt und blieb mit seiner Laborantin, mit der er sehr vertraut ist, für eine kleine Zeit allein. Dann ist er aber auch dort wieder verschwunden.

Insgesamt sieht die Situation hinsichtlich der Alibis recht mager aus.“

„Liebe Christiane, liebe Kollegen, ich danke euch für die prompte und zuverlässige Zuarbeit. Nachdem, was wir somit wissen, kommen wir nicht umhin, den Professor unter den Anfangsverdacht eines Mordes zu stellen. Ich glaube nicht, dass der Richter es bei einem Totschlag belässt, zumal der Schlag von hinten ausgeführt wurde. Doch das wird nicht hier, sondern vor und vom Gericht bewertet.

Ich entscheide Folgendes: Klaus und Benno, ihr fahrt in das Unternehmen ‚Futur‘ und nehmt den Professor Weissacker fest, wegen des Anfangsverdachts, seine Ehefrau Elise Weissacker umgebracht zu haben und bringt ihn hierher. Morgen wird er dem Haftrichter vorgeführt, der ihn mit Sicherheit in Untersuchungshaft nimmt. Damit beende ich die heutige Sitzung der SOKO ‚Futur.“

Um 10:30 hält ein Streifenwagen vor dem Gebäudekomplex Misburger Straße 112. Die beiden Kommissare Klaus Kuhn und Benno Witte steigen aus, betreten das Gebäude, weisen sich beim Pförtner aus und klopfen an die Tür des Sekretariats. Sie öffnen, ohne eine Antwort abzuwarten und fragen die Sekretärin, wo sie Professor Dr. Weissacker finden können. Die erschrockene Frau Schmidke erhebt sich, klopft kurz an die Tür des Chefbüros und öffnet sie. Der Professor begrüßt die Polizisten, doch Klaus erklärt ihm:

„Herr Professor Weissacker, wir nehmen Sie fest, weil Sie gem. § 152 Abs. 2 StPO unter dem Anfangsverdacht stehen, Ihre Ehefrau umgebracht zu haben. Wir geben Ihnen noch die Gelegenheit, Anweisungen zu erteilen, was in Ihrer Abwesenheit zu erfolgen hat.“

Der Professor lächelt und sagt höhnisch:

„Da haben Sie sich wohl in der Adresse geirrt. Ich wüsste nicht, wie Sie dazu kommen, mich plötzlich für den Mörder meiner Frau zu halten. Bevor ich einen Schritt mit Ihnen gehe, möchte ich meinen Anwalt sprechen. Bitte nehmen Sie Platz, solange ich telefoniere!“

Die verwunderten Polizisten gehen einen Schritt zur Seite, aber sie setzen sich nicht. Indessen ruft Prof. Dr. Weissacker seinen Anwalt an und erklärt ihm in Kürze den Sachverhalt. Der Anwalt, Dr. Udo Littig empfiehlt ihm, sich zunächst von den Polizisten abführen zu lassen. Er wird sich unverzüglich bei ihm auf der Polizeistation einfinden, um sich mit ihm persönlich und in Ruhe zu unterhalten. Diese Information gibt er nun auch den Polizisten. Dann sagt er:

„Frau Schmidke, bitte informieren Sie Herrn Dr. Kremp, dass er für die Dauer meiner Abwesenheit sämtliche dienstliche Obliegenheiten wahrzunehmen und mich zu vertreten hat.

Ferner informieren Sie bitte, Frau Kluge aus dem Physik-Labor, dass sie, sobald das möglich ist, mit mir Kontakt aufnimmt.

Frau Schmidke, ich bitte Sie, auch die an mich persönlich gerichtete Post zu öffnen und entsprechend darauf zu reagieren. Grüßen Sie das gesamte Team von mir und halten Sie alle durch.

Meine Herren Kommissare, damit habe ich alles erledigt und wir können jetzt gehen.“

Ohne Handschellen führen Sie den Professor hinaus und lassen ihn in den Streifenwagen einsteigen. Es entsteht nicht der Anschein einer vollzogenen Verhaftung. Dann fahren sie ab zur Polizeistation.

Es dauert nicht lange, dann kommen sie auf der Polizeistation Raschplatz an und führen den Professor in ein Vernehmungszimmer. Dort wartet er jetzt auf Dr. Udo Littig, der auch in kurzer Zeit hier erscheint und den Professor begrüßt:

„Es ist natürlich nicht die angenehmste Atmosphäre für ein freundschaftliches Gespräch, doch zunächst müssen wir uns fügen. Erzählen Sie mir bitte, unter welchen Vorwand man Sie hierher gebracht hat und was man Ihnen vorwirft!“

Nach einem längeren Gespräch muss der Anwalt leider zugeben, dass die Situation für den Professor momentan sehr ernst ist. Kein Alibi vorweisen zu können und Fingerabdrücke auf der Mordwaffe hinterlassen zu haben, lassen auch einem gut gesinnten Haftrichter keine andere Wahl, als ihn in Untersuchungshaft zu nehmen. Dann aber haben der Anwalt und der Professor genügend Zeit, eine passende Strategie auszuarbeiten und die Beweislage ins Wanken zu bringen.

Damit verabschiedet sich zunächst Dr. Littig von dem Professor.

Am Folgetag bringen zwei Justizbeamte den Professor Weissacker in das kleine Sitzungszimmer, in dem bereits die Kommissarin Christiane Euler und Kommissar Klaus Kuhn Platz genommen haben. Wenig später kommt der Haftrichter Erhard Winter hinzu und nimmt ebenfalls am Tisch Platz.

Er beginnt, ohne zu zögern:

„Herr Prof. Dr. Weissacker, Sie stehen gemäß § 152 Abs. 2 StPO unter dem Anfangsverdacht, Ihre Ehefrau Elise Weissacker umgebracht zu haben. Entsprechende Beweismittel liegen vor und werden im weiteren Verlauf einer genauen Bewertung unterzogen. Während dieser Zeit kommen Sie gem. §§ 112 ff. StPO in Untersuchungshaft, die jedoch auf maximal 6 Monate begrenzt ist.“

Der Angeklagte wird abgeführt und die Sitzung ist damit beendet.

Kapitel 3 (Rückblick)

Wir schreiben Sonnabend, den 5. Dezember 2020. In der Küche im Hause Weissacker herrscht reges Treiben, denn für den morgigen Tag ist noch einiges vorzubereiten. Der Professor hat seinen Stellvertreter, Dr. Martin Neumüller; mit seiner Familie zu einem Adventskaffee eingeladen.

Wenngleich Elise Weissacker voll berufstätig ist, bemüht sie sich nach wie vor um ein harmonisches Familienleben. Dabei muss aber erwähnt werden, dass sie noch vor einem Jahr mit ihrer Tochter Baila einige Probleme hatte, die mit dem kritischen Alter von 17 Jahren zusammenhängen. Öfter empfand Baila ihre Mutter als ‚peinlich‘ und schimpfte oft ohne erkennbaren Grund herum. Aber Mama hat das als gegeben und als einen vorübergehenden Zustand angesehen und solchen zickigen Bemerkungen keine Beachtung geschenkt. Jedoch einmal musste sie mit aller Härte eingreifen, als Baila zu ihr sagte: „Ich hasse dich!“ Plötzlich lernte Tochter Baila eine andere Mutter kennen, die ihr befahl:

„Bitte setz dich hin! Du kannst mit mir über alles sprechen, aber deine Beschimpfungen und Hasstiraden haben in unserer Familie keinen Platz. Überlege dir gut jedes Wort, ganz gleich wem du es sagst. Du darfst dich durch eine bösartige Wortwahl nicht selbst bestrafen, indem du dich als primitives Girl präsentierst.

Das musste ich dir sagen, weil ich die lieb habe und in dir eine freundliche und anständige Tochter sehen möchte. Jetzt darfst du aufstehen, in dein Zimmer gehen und darüber nachdenken, was ich dir gesagt habe.“

Inzwischen ist Baila 18 Jahre und die Wogen haben sich geglättet.

Vater Bernd gibt sich auch zu Hause als ruhiger und besonnener Familienvater. In die Erziehung seiner Tochter mischt er sich nicht ein, denn es würde gewiss in vielerlei Hinsicht Meinungsunterschiede geben. Er fände es überhaupt nicht gut, wenn Baila von diesen Differenzen erfahren würde. Auch in anderer Beziehung bevorzugt er den familiären Frieden gegenüber unsinnigen Diskussionen über Angelegenheiten von geringer Bedeutung. Allerdings ist damit nicht gesagt, dass sich Bernd in alles fügen würde, was ihm widerfährt. Wenn es jedoch nur um unterschiedliche Auffassungen zwischen ihm und Elise geht, gelingt es ihnen fast immer, einen Kompromiss zu finden.

Eine nicht unwesentliche Ausnahme gibt es dennoch. Bernd hat sich bei der Partnerwahl nicht nur für einen intelligenten und charakterfesten Menschen entschieden, sondern auch für eine ausgesprochen schöne Frau. Beides ist ihm auch mit Elise gelungen. Die Kehrseite dieser Partnerwahl ist in der großen Eifersucht zu finden, die ihn immer dann überkommt, wenn ein attraktiver Mann in näheren Kontakt zu ihr kommt. Er hatte ihr schon einmal eingestanden, dass er dann auch handgreiflich werden könnte, wenn ein von ihm empfundenes Maß überschritten wird.

Elise weiß das und empfindet seine Eifersucht als einen Ausdruck seiner großen Liebe. Fraglich bleibt, ob er es genauso sieht.

Nach dem Abendbrot möchte Baila gern aufstehen, was Bernd nicht übersieht, daher sagt er:

„Meine Lieben, wie ihr wisst, haben wir die Familie Dr. Neumüller für morgen zu einem Adventskaffee eingeladen. Obwohl Herr Neumüller einer meiner Mitarbeiter ist und darüber hinaus auch noch mein Vertreter, möchte ich gern, dass wir am morgigen Tag jegliche Gespräche, die sich auf den Firmenalltag beziehen, unterlassen. Es wäre schön, wenn durch den Besuch von Dr. Neumüller, seiner Frau und seinem Sohn ein privates Klima entstehen könnte, so wie es in dem Unternehmen bereits der Fall ist.“

Baila fragt:

„Papa, bitte erzähl doch mal, wie der Vater von Gabriel so ist. Es ist bestimmt so, dass Gabiman ihn anders sieht, als du oder als ich ihn sehen würde!“

Bernd:

„Baila, entschuldige, aber wer ist Gabiman?“

„Ach, Papa, das ist kompliziert. Denn als wir uns kennenlernten, sagte er nicht Baila zu mir, sondern dachte sich den irren Spitznamen ‚Gudbai‘ aus. Ich fand das lustig und auch gut und so blieben wir dabei. Aber ich konnte natürlich nicht nachstehen und wollte auch nicht ‚Gabi‘ zu ihm sagen. Da überlegte ich kurz und schon war der naheliegende Nickname ‚Gabiman‘ geboren. Natürlich haben das unsere Mitschüler auch geschnallt und alle benützen fortan diese Nicknames, ich meine diese Koseformen.“

Elise:

„Mädel, das finde ich witzig, aber es ist geistvoll und daher gefallen mir eure Nicknames.“

Bernd:

„Baila, nun will ich zu deiner Frage kommen. Martin, so lautet der Vorname von Dr. Neumüller, und es ist kein Nickname, ist ein höflicher und äußerst intelligenter Mann. Er zeigt auch seinen Mitarbeitern und den Kollegen im Labor, dass er sie sowohl als Mensch als auch als Fachkräfte schätzt. Allerdings ist mir aufgefallen, dass er gegenüber von Frau Bettina Schmidke etwas mehr als freundlich ist, was auch bei ihr nicht immer gut ankommt. Martin ist das, was man in dem Gymnasium als Streber bezeichnen würde. Wenn ich ihn beobachte und er mit anderen Kollegen im Gespräch ist, kann ich mir gut vorstellen, dass er als Gymnasiast gelegentlich die Ellenbogen gezeigt hat. Demnach glaube ich, dass er seinen Sohn an einer ziemlich kurzen Leine hält. Was Martin sag, das wird gemacht. Das gilt aber nicht nur für Martin, sondern auch für seine Britta.“

Elise:

„Bernd, weil du ihren Namen eben erwähnt hast, wäre es doch schön, wenn wir auch ein wenig über seine Frau erfahren könnten. Kennst du sie denn näher?“

„Nein, Elise, nicht näher als 30 cm, denn in einem geringeren Abstand haben wir uns noch nicht gegenübergestanden. Aber ich weiß, dass du die Frage anders gemeint hast und ich kann dir auch dazu nur sagen, dass ich von seiner Bettina nur so viel weiß, was Martin mir von ihr erzählt hat. Deshalb ist alles, was ich über sie sagen kann, ein wenig aus der Sicht von Martin geschildert.

Nun aber zu Britta: Sie wirkt auf mich recht sympathisch und ich finde, dass man ihr den eigenen Beruf ansieht, denn sie ist Kosmetikerin. Über sie hatte Martin einmal gesagt, dass seine Frau die für sie richtige Berufswahl getroffen hat, so weiß sie wenigstens, wo sie noch etwas aufbessern muss. Ich empfand diese Bemerkung als taktlos, doch er hat damit nicht seine Frau in ein schlechtes Licht gestellt, sondern eher sich. Elise, du bist eine sehr attraktive Frau und ich bin stolz, eine solche Frau zu haben. Aber selbst, wenn du anders wärst, käme eine Äußerung, wie die von Martin nicht über meine Lippen. Ich kann mir es auch gut vorstellen, dass er im Haus die Pantoffeln anhat und sie hat das zu tun, was ihm gefällt. Als wir eines Abends einmal bei einer betrieblichen Feier beisammen saßen, und der Alkoholgehalt unseres Blutes schon im dunkelroten Bereich war, lockerte sich seine Zunge noch mehr. Da fing er an, aus dem Schlafzimmer zu plaudern. Ich kann verstehen, dass er sich sein Liebesleben anders vorgestellt hat, doch solche Dinge müssen unter der (Zu)Decke bleiben und dürfen auch einem engen Freund nicht erzählt werden. Von diesem Tag an habe ich ihn mit anderen Augen gesehen. Er hat auch öfter anklingen lassen, dass er nicht nur von seinem Sohn, sondern auch von seiner Frau ein gewisses Maß an Respekt erwartet, schließlich habe sie ‚Kosmetikerin' nur gelernt und nicht studiert.“

„Oha, das kann bestimmt lustig werden“, meint Elise.

„Ich sage es immer wieder, fast zu oft, aber durch sein Verhalten und Auftreten gibt man eine ‚papierlose‘ Visitenkarte ab, ohne sich dessen bewusst zu werden. Daran sollte man immer denken und insbesondere, am morgigen Tag, wenn wir Besuch bekommen. So, meine Lieben, es war schön, zusammen zu plaudern, denn wir sind eine Familie und können gern zeigen, dass wir die gleichen Wurzeln haben.“

Weil es an diesem Abend im Fernsehen noch einen romantischen Film gibt, der auch reichlich Passagen zum Schmunzeln hat wie die Vorschau andeutet, bleiben alle zusammen und lassen den Tag familiär ausklingen. Es ist für Baila auch einmal eine nette Erfahrung.

Am Ende des Films, von dem man dem Zuschauer wahrlich nicht zu viel versprochen hatte, waren alle Elises Meinung: „Ich bin doch mächtig gespannt, was das morgen für eine Party wird!“

Es ist genau fünf Minuten vor 15 Uhr, da ertönt ein Summen und Baila weiß, dass es nur der angekündigte Besuch sein kann. Sie geht zur Tür und öffnet. Von draußen hält eine Frau den Türdrücker in der Hand und lässt ihren Mann und Sohn eintreten. Dann kommt auch sie und schließt hinter sich die Tür. Schon kommt ihnen der Professor entgegen und gibt zuerst Frau Neumüller die Hand und heißt sie herzlich willkommen. Dann begrüßt er auch seinen Kollegen und dessen Sohn. Herr Dr. Neumüller sieht sich suchend um, denn er möchte der Hausherrin gern einen Blumenstrauß überreichen. Nun erscheint auch Elise, die sich bis jetzt etwas im Hintergrund gehalten hat. Sie wendet sich an die Gäste und sagt:

„Herzlich willkommen bei Familie Weissacker zu einem gemütlichen Adventskaffee.“

Das ist der geeignete Moment für Martin, um der Dame des Hauses, wie er sich auszudrücken pflegt, einen kleinen Blumengruß zu überbringen. Damit ist der Willkommensakt beendet und Elise bittet alle an den vorweihnachtlich gedeckten Kaffeetisch. Nach den ersten Bissen lobt Martin den vorzüglich schmeckenden Christstollen und stellt die eine Frage, die auch nur von dem Charmeur kommen kann:

„Frau Weissacker, von welchem Konditor bekommen

Sie nur diesen köstlichen Weihnachtsstollen?“

Baila denkt:

„Dieser Schleimer weiß doch sicher, dass Mama den Stollen natürlich selbst gebacken hat, denn das kann sie wirklich gut und ich möchte es von ihr lernen.“

Es kann nicht anders sein, denn nun will Bernd etwas geraderücken:

„Also, das möchte ich doch noch bemerken: Neben vielen anderen Vorzügen, die meine Frau mit in die Ehe gebracht hat, ist es die Fähigkeit, ausgezeichnet gut kochen und backen zu können. Der appetitliche Beweis liegt zur Verkostung bereit.“

Wieder Baila:

„Lass es gut sein, Papa, inzwischen wissen wir alle, dass Mama kochen und backen kann. Sie hat sogar den duftenden Kaffee bereitet. Ist das nicht toll?“

Elise:

„Jetzt ist aber wirklich Schluss mit dem Gesäusel, sonst werde ich morgen heiliggesprochen. Lasst es euch schmecken. Punkt!“

Ganz bescheiden und mit leichter Zurückhaltung möchte nun Britta etwas sagen:

„Leider kann ich solche Fähigkeiten nicht aufweisen, zumal meine Mutter nie selbst gekocht hat und im Selbstversuch hat es auch nicht geklappt.“

Schnippisch, wie nicht anders zu erwarten war, fügt Martin hinzu:

„Offensichtlich hat dieser misslungene Selbstversuch deine gesamte voreheliche Epoche in Anspruch genommen!“

Bernd:

„Also das, was wir an einigen Tagen in unserer Kantine zu essen bekommen, kommt schließlich auch nicht aus einem Gourmet-Restaurant. Das könnte Britta mit Sicherheit auch.“

Martin:

„Nein, Bernd, das bezweifle ich. Mein Schatz lässt sogar das Kaffeewasser anbrennen. Stimmt’s Liebling?“

Gabriel:

„Papa, geht’s noch? Sei du mal ganz still. Wenn Mama dir nicht jeden Morgen die Socken auf die Schuhe legen würde, kämst du nur mit Schuhen in die Firma.“

Martin:

„Gabriel, das passt also wirklich nicht hierher. Nur weil ich an einem einzigen Tag im Jahr, so sehr von einem innovativen Gedanken gefesselt war, hatte ich die Socken übersehen. Außerdem besaßen diese die gleiche Farbe wie der Teppichboden im Schlafzimmer, da kann es schon mal zu einem solchen Fehlverhalten kommen!“

Dieser Gesprächsverlauf ist nun ganz und gar nicht im Sinne des feinfühlenden Bernd Weissacker und er versucht, wieder eine freundliche Atmosphäre zu schaffen:

„Nachdem wir uns nun gegenseitig alle Nettigkeiten an den Kopf geworfen haben, sollten wir zu einem respektvollen Ton zurückfinden.“

Martin reißt sein Ruder herum und sagt:

„Meine liebe Britta, ich weiß, dass du dich sehr für Briefmarken interessierst. Mir ist aber auch bekannt, dass unser Professor eine beachtliche Sammlung besitzt, die er dir gewiss gern einmal zeigt.“

Britta:

„Würden Sie das tun? Es wäre eine unerwartete Bereicherung für mich.“

Ohne Frage nickt Bernd und erhebt sich, um aus dem mittleren Fach des Wohnzimmerschrankes zwei dicke Bände eines Briefmarkenalbums hervorzuholen. Er geht damit an den kleinen, in der Ecke stehenden runden Couchtisch und legt beide Alben darauf. Dann bittet er Britta, zu ihm auf die Couch zu kommen, um sich in aller Ruhe und genüsslich die wertvollen Schätze anzusehen.

Baila wendet sich an ihre Mama:

„Ich gehe einmal mit Gabiman nach oben, denn ich möchte ihm mein Zimmer zeigen.“

Allmählich macht sich die von Bernd erhoffte Stimmung breit und völlig unerwartet hilft Martin beim Abdecken des Tisches und trägt sogar das Tablett in die Küche zu Bettina. Dass man ihr hilft, ist sie gewohnt, dass es aber ein geladener Gast übernimmt, verblüfft sie sehr.

Die nächste Überraschung folgt auf dem Fuße, als Martin sie anspricht und sagt: