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Kartoffel-Paul hat Geburtstag und den harten Kern der Hortensianer zum großen Fest eingeladen. Doch als er und Nele zum Angeln auf den kleinen See beim Schrebergarten hinausrudern, geht ihnen neben köstlichem Fisch auch eine frische Leiche ins Netz. Wer ist der Mann im Nadelstreifenanzug? Was macht er im See der Hortensianer? Und welche Rolle spielt das silberne Zigarettenetui dabei, das in seiner Jacketttasche steckt und auf dessen Außenseite ein mysteriöses Fragezeichen eingraviert ist? Während Nele und Erik ermitteln, geraten Kartoffel-Pauls Partygäste in tödliche Gefahr, denn der Mörder geht noch immer um und will seine Geheimnisse schützen.
Über die Serie:
Willkommen im Kleingartenverein Hortensia - Mord gedeiht hier prächtig!
Nele Blum wagt einen Neubeginn: Im Dörfchen Schönrath im Bergischen Land weckt sie das Gartenlokal "Stiefmütterchens Rast" aus dem Dornröschenschlaf. Der idyllische Garten ihrer Großeltern, an den sie wunderschöne Kindheitserinnerungen hat, erweist sich als die richtige Wahl: Von der ebenso liebenswerten wie schrulligen Stammbelegschaft der Hortensia wird sie mit offenen Armen empfangen. Und Nele entdeckt schnell, dass sie nicht nur ein unerwartetes Talent als Gastronomin, sondern auch als Detektivin hat. Erik Gertner freut’s - der einzige Polizist des Ortes ist zwar ein lieber Kerl (und gutaussehend), aber nicht unbedingt mit einer Spürnase gesegnet.
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Seitenzahl: 144
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Über diese Folge
Blut und Blümchen – Die Serie
Titel
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
In der nächsten Folge
Über den Autor
Weitere Titel des Autors
Impressum
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Kartoffel-Paul hat Geburtstag und den harten Kern der Hortensianer zum großen Fest eingeladen. Doch als er und Nele zum Angeln auf den kleinen See beim Schrebergarten hinausrudern, geht ihnen neben köstlichem Fisch auch eine frische Leiche ins Netz. Wer ist der Mann im Nadelstreifenanzug? Was macht er im See der Hortensianer? Und welche Rolle spielt das silberne Zigarettenetui dabei, das in seiner Jacketttasche steckt und auf dessen Außenseite ein mysteriöses Fragezeichen eingraviert ist? Während Nele und Erik ermitteln, geraten Kartoffel-Pauls Partygäste in tödliche Gefahr, denn der Mörder geht noch immer um und will seine Geheimnisse schützen.
Willkommen im Kleingartenverein Hortensia – Mord gedeiht hier prächtig!
Nele Blum wagt einen Neubeginn: Im Dörfchen Schönrath im Bergischen Land weckt sie das Gartenlokal »Stiefmütterchens Rast« aus dem Dornröschenschlaf. Der idyllische Garten ihrer Großeltern, an den sie wunderschöne Kindheitserinnerungen hat, erweist sich als die richtige Wahl: Von der ebenso liebenswerten wie schrulligen Stammbelegschaft der Hortensia wird sie mit offenen Armen empfangen. Und Nele entdeckt schnell, dass sie nicht nur ein unerwartetes Talent als Gastronomin, sondern auch als Detektivin hat. Erik Gertner freut’s – der einzige Polizist des Ortes ist zwar ein lieber Kerl (und gutaussehend), aber nicht unbedingt mit einer Spürnase gesegnet.
CHRISTIAN HUMBERG
EIN DICKER FISCH
Eine Leiche am Haken
»Den mach ich fertig!«, knurrte Kartoffel-Paul.
Verbissen hielt er die Angelrute umklammert und stand auf, um seine Macht über sie zu verbessern. Dabei gerieten das Boot und er ganz schön ins Schwanken.
»Na warte, du«, sagte er. »Mir entkommst du nicht, verstanden?«
Abermals zog er an der Rute. Oder die Rute an ihm? Pauls Oberkörper beugte sich vor, seine Augen wurden groß – und die Schnur, die von der Spitze der Angel aus ins dunkle Wasser ging, wurde schlaff.
»Nanu?«, murmelte Paul.
»Lass mich raten.« Nele Blum hatte Mühe, sich ein Grinsen zu verkneifen. »Er ist dir entkommen?«
»Das …« Paul legte die Stirn in Falten, zog das Angelseil ein. »Das ist unmöglich. Das kann gar nicht sein.«
Doch es war. Paul hatte die Angel kaum eingeholt, da sahen sie es schon: Der Köder hing nicht länger am Haken. Irgendjemand hatte sich an ihm gütlich getan, ohne dabei hängen zu bleiben.
»Du hättest mir gleich sagen können, dass wir Fische füttern gehen.« Neles Spott war freundschaftlich gemeint und klang auch so. »Dann wäre ich noch viel lieber mit dir gekommen als ohnehin.«
Paul sah vom Angelhaken zu ihr. Dann musste auch er lachen.
Es war früh am Tag, noch keine fünf Uhr morgens. Über dem breiten See, der an die Kleingartenanlage Hortensia grenzte, dämmerte der Sonnenaufgang. Doch in den Wäldern auf der anderen Uferseite hingen noch immer die Schatten der Nacht, und auf dem Wasser tanzten letzte Nebelschwaden, als wollten sie dem kleinen Ruderboot Gesellschaft leisten.
Nele schlug den Kragen ihrer dünnen Jacke hoch und schlang die Arme um den fröstelnden Oberkörper. Echt erstaunlich, wie kalt es im Sommer sein konnte, wenn man den Tag früh begann! Nachher kletterten die Temperaturen bestimmt wieder auf sechs-, vielleicht siebenundzwanzig Grad im Schatten. Doch zu dieser frühen Stunde fühlte sich die Einunddreißigjährige weit eher, als hätte sie wochenlang geschlafen und wäre kurzerhand im Herbst aufgewacht. Oder im Winter. Brr, war das frisch!
»Na, dann«, murmelte Kartoffel-Paul. Er griff in das Kästchen mit den Ködern und befestigte einen neuen am Angelhaken. »Versuchen wir das noch mal. Irgendwann muss doch einer anbeißen.«
Der Angelausflug war Pauls Idee gewesen. Der Siebzigjährige mit dem silbergrauen Haar und der Brille zählte zu den engagiertesten und alteingesessenen Mitgliedern des Kleingartenvereins. Außerdem feierte er heute am Abend seinen Geburtstag. Zu diesem Anlass hatte Paul – sein Nachname war Nele nicht bekannt und, wie sie insgeheim vermutete, auch den übrigen »Hortensianern« nicht – seine Gartenfreunde zu einem großen Fest auf seine Parzelle eingeladen. Zwischen Blumen und Beeten, Hecken und Rüben wollte er eine gusseiserne Pfanne im XXL-Format befeuern und in ihr die, wie er vollmundig versprochen hatte, »weltbesten Bratkartoffeln der Welt« zubereiten. Als zweite Komponente seines Festmenüs hatte er sich frischen Fisch aus dem See ausgedacht, und anders als die Kartoffeln konnte er diesen nicht einfach aus den heimischen Beeten beziehen. Fische musste man erst angeln, bevor man sie aß.
Aus diesem Grund waren sie nun hier, Paul und Nele selbst. Die junge Frau lebte erst seit wenigen Monaten auf der Hortensia, fühlte sich dort – und in der Gesellschaft ihrer schrullig-liebenswerten Gärtneroriginale – aber schon pudelwohl. Nele hatte das Vereinslokal Stiefmütterchens Rast übernommen. Früher hatte es ihren Großeltern gehört, und sie hatte dort als Kind viele unvergesslich schöne Sommer verbracht. Doch nach dem Tod der alten Betreiber war das Stiefmütterchen in einen Dornröschenschlaf gefallen. Erst Neles Entschluss, dem Leben in der Stadt den Rücken zu kehren und auf der Hortensia neu zu starten, hatte es reanimiert – und Nele gleich mit. Seit sie auf der Kleingartenanlage lebte, wo alle sie Blümchen riefen und mit offenen Armen empfingen, fühlte sie sich wie neugeboren.
Paul holte aus und ließ die Angel in hohem Bogen kreisen. Dann ließ er den Köder ins Wasser und setzte sich wieder. Sein Knie stieß leicht gegen den weißen Plastikeimer, den sie für ihren Fang mitgenommen hatte. Bislang war er so leer wie vor ihrem Aufbruch, doch Paul schien die Hoffnung auf eine »wundersame Fischvermehrung« noch immer nicht aufzugeben.
»So«, sagte er und seufzte wohlig. »Das wäre geschafft. Jetzt brauchen wir nur noch abzuwarten.«
»Was ja das Wichtigste beim Angeln ist«, betonte Nele und zwinkerte schelmisch.
»Du lachst«, tadelte er. »Aber das stimmt. Angeln ist Warten. Einfach hier zu sitzen, den Blick aufs Wasser gerichtet, während der Kopf immer entspannter wird, immer leerer … Das tut gut. Besser als jede Tablette und alles andere, was Ärzte dir verschreiben. Angeln ist heilsam und wohltuend.«
»Außer für die Fische«, entgegnete Nele.
»Na gut«, brummte ihr Begleiter. »Das stimmt. Aber ein bisschen Verlust ist immer.«
Er trug eine weite Cargohose zu Gummistiefeln und Karohemd. Während er die Angel mit der rechten Hand festhielt, griff seine linke in eine der vielen Hosentaschen und kam mit einem silbrig schimmernden Flachmann zurück.
»Was kommt denn jetzt?«, fragte Nele kritisch. »Schnaps um die Uhrzeit?«
»Auch das«, sagte Kartoffel-Paul, »ist immens wichtig beim Angeln. Ohne Zielwasser kein Treffer.«
Abermals ging die Linke auf Reisen. In einer anderen Tasche fand sie zwei silbrige Metallhütchen, die wohl als Gläser gedacht waren. Paul stellte sie neben sich auf die Bank und schenkte sie bis zum Rand aus seinem Flachmann voll. Der Geruch, den die klare Flüssigkeit verströmte, stieg Nele sofort in die Nase.
»Puh«, verzog sie das Gesicht. »Was ist das denn für ein Zeug? Batteriesäure?«
Paul lachte. »Kartoffelschnaps, natürlich. Selbstgebrannter.«
»Nee.« Nele schüttelte den Kopf. »Das kann nicht sein, Paul. Ich kenne deinen Selbstgebrannten. Der ist zwar auch bedenklich, aber er riecht nicht halb so übel wie das da.«
Der alte Kleingärtner lächelte nur und hob eines der Hütchen zum Mund. »Es gibt diverse Arten von Kartoffeln, Blümchen. Schon vergessen? Und jede schmeckt ein bisschen anders. Erst recht die Sorten, die ich selbst entwerfe.«
Es stimmte: Paul beherrschte Erdäpfel wie kein Zweiter auf der Hortensia. Niemand hatte größere Ernten als er, niemand schönere Knollen. In seinem »Labor« – womit er das kleine Gewächshaus neben seiner Laube meinte – züchtete er jahrein, jahraus an Eigenkreationen herum, kreuzte Sieglinde mit Finka, Charlotta mit Marabel und so weiter. Nicht selten kamen dabei erstaunlich schmackhafte Ergebnisse heraus: Kartoffeln, die den unbeständigen Sommern des Bergischen Landes die Stirn boten oder die zu Jahreszeiten reifen konnten, an denen ihre Vorväter und Beetnachbarn noch in der Erde schlummerten. Paul hatte Talent, wenn es um den Kartoffelanbau ging. Seine Künste als Schnapsbrenner ließen allerdings zu wünschen übrig.
»Auf die Knolle«, murmelte er seinen üblichen Trinkspruch, »fertig, los.«
Dann schloss er die Augen in genüsslicher Erwartung, setzte das Hütchen an die Lippen – und trank. Ein tiefer, wohliger Seufzer drang aus seiner Kehle, als der Schnaps dieselbe hinunterlief. Dann schloss sich ein Hustenanfall an, bei dem das Boot einmal mehr schwankte, als zöge ein Taifun am Horizont auf.
»Alles in Ordnung?«, fragte Nele.
Besorgt klopfte sie Paul auf den Rücken. Er hatte Tränen in den Augen und zitterte am ganzen Körper, während er japsend nach Atemluft schnappte.
»Alles«, keuchte er, »bestens.«
Nele hob eine Braue. »Sicher?«
»Todsicher«, behauptete er. Die Hustenschübe ebbten so schnell ab, wie sie gekommen waren, und das Zittern verging. Kartoffel-Paul wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln, zog die Nase hoch … und griff erneut nach dem Flachmann. »Der ist noch besser, als ich gedacht hatte, echt. Der reinigt dir die komplette Inneneinrichtung, Blümchen.«
»Mhm.« Sie rollte mit den Augen. »So hat sich’s auch angehört.«
»Nimm ruhig mal einen Schluck«, riet er ihr, während er sich das Hütchen ein zweites Mal vollgoss. »Das belebt die Glieder und den Geist. Und den brauchst du ja wach und munter, oder? Bei all den Mordfällen, die ihr so löst.«
Auch das war nicht ganz falsch: Seit Nele auf dem Gelände der Kleingärtner lebte und Tag für Tag das Lokal für sie öffnete, gaben sich die Mörder auf der Hortensia die Gartentorklinke in die Hand. Gefühlt alle zwei Wochen stieß irgendwer mit seinem Rechen an eine neue Leiche oder fuhr mit seiner Schubkarre über reglose Glieder. Die Hortensia schien Morde magisch anzuziehen.
Wenn dies geschah, wurde Nele aktiv. Gemeinsam mit Erik Gertner aus dem nahen Dorf Schönrath ermittelte sie den unbekannten Tätern hinterher. Gertner war der einzige Polizist im weiten Umkreis und mit großem Engagement bei der Sache. Der attraktive Mittdreißiger hatte aber nur bedingt ein Händchen für knifflige Rätsel und durchtriebenes Mörderpack. Nele hingegen fielen Rätsel erstaunlich leicht, und so hatte sie es sich angewöhnt, Gertner ein wenig zu unterstützen – eine Hilfe, die dieser nur zu gern annahm.
Außerdem: Das Leben bestand nicht nur aus Radieschen, Mulch und Primeln. Ein bisschen Nervenkitzel, so dann und wann, schadete niemandem.
»Danke«, sagte Nele. »Aber ich glaube, ich passe. Es ist mir einfach zu früh für derartige Experimente.«
»Jeder wie er will«, murmelte Paul. »Oder sie.«
Dann leerte er sein Hütchen in einem Zug und griff, noch bevor der nächste Hustenschwall beginnen konnte, nach Neles, um es gleich hinterher in seinen Hals zu kippen.
Der Husten wurde zum reinsten Vulkanausbruch! Sekundenlang röchelte, keuchte und schnaufte Kartoffel-Paul auf seiner Ruderbank. Seine Schultern zuckten wie ein Regenwurm bei Regen, und seine Lunge klang wie Karl Paschulkes altersschwache Motorsäge. Erst nach mehreren Fehlversuchen bekam sich der Alte wieder unter Kontrolle. Und er lächelte.
»Du ahnst ja gar nicht«, sagte er, die Worte durchzogen von heiserem Schniefen, »wie gut das tut.«
Er meinte es vollkommen ernst. Das sah Nele ihm an. Umso unglaublicher war es.
»Wenn du dich sehen könntest«, erwiderte sie, »würdest du nicht so reden. Ehrlich, Paul: Es ist erschreckend, was du alles verträgst. Nur das ständige Gewackel gibt mir zu denken. Noch so ein Glas, und du bringst uns zum Kentern. Dann können wir deine Forellen mit der bloßen Hand fangen, während wir zurück zum Ufer schwimmen.«
»Das ist keine so gute Idee«, fand er. »Immerhin kann ich gar nicht schwimmen.«
Nele blinzelte. Dann gleich nochmals. Doch der Mann, der diesen Irrsinn ausspuckte, saß noch immer vor ihr. Sie hatte ihn sich nicht ausgedacht.
»Machst du Witze?«, fragte sie daher. »Du kannst nicht schwimmen? Und das sagst du jetzt?«
Paul hob die Schultern. »Warum hätte ich es vorher sagen sollen?«
»Vielleicht, weil wir in einem Boot sitzen? Auf dem Wasser?«
»Na und? Wir sind ja nicht im Wasser.«
»Ja, noch nicht …«
Er lächelte. »Nur keine Angst, Blümchen. Ich bringe uns schon nicht zum Kentern. Im Gegenteil: Ich führe uns zum Erfolg. Die anderen werden Augen machen, wenn sie zu meiner Party kommen und ich ihnen einen Fisch nach dem nächsten brate. Frischer kann man gar nicht speisen.«
»Ich glaube mich zu erinnern, dass Renate gar keinen Fisch mag«, sagte Nele.
Abermals hob Paul die Schultern. »Selbst schuld. Die weiß eben nicht, was ihr entgeht. Genau wie du bei meinem Kartoffelschnaps.«
Nebel waberte an der Reling des Bootes entlang. Irgendwo in der Ferne bellte ein Hund, vermutlich am Waldrand drüben.
»Wie viele Gäste erwartest du eigentlich?«, wechselte Nele das Thema. »Den harten Kern oder noch mehr?«
»Ich habe jeden eingeladen, den ich finden konnte«, antwortete ihr Bootsgenosse. Seine Finger spielten gedankenverloren mit der Kurbel der Angelrute. »Je mehr, desto lustiger. Ich habe sogar einen Jungen aus Schönrath angeheuert. Der kommt später vorbei und hilft mir beim Aufbau. Aber zuerst …«
Er umfasste den Griff der Rute erneut fester. Im selben Moment zog etwas am anderen Ende der Leine. Und zwar fest!
»Was zum …?« Paul runzelte die Stirn. Die Angelleine gab nicht nach, spannte immer mehr an. »Ich glaub, da ist wieder einer. Blümchen, wir haben den nächsten Fisch! Hurra!«
Paul packte mit beiden Händen zu, zog und zog. Auch Nele stand nun auf, gepackt von seiner Aufregung, und half mit. Das war auch dringend nötig, denn Paul keuchte bereits.
»Möönsch, was für ein Brocken«, kommentierte er, die Lider hinter der Brille eng zusammengekniffen und der Tonfall kämpferisch. »Der muss mehr wiegen als jeder andere, den ich hier je herausgezogen habe. Lass bloß nicht los, Blümchen. Dem Kollegen zeigen wir, wer das Sagen hat. Mit vereinten Kräften, okay? Hauruck. Hauuuuruck!«
Sie gaben alles und vielleicht noch ein wenig mehr. Paul zog an der Rute, als hinge sein Leben davon ab. Nele mühte sich derweil, Paul festzuhalten, der erneut bedrohlich schwankte und auch das Boot wieder zum Wackeln brachte. Dann endlich brach der Fang durch die Oberfläche des Sees, gezogen von Pauls Angelhaken.
Und Nele keuchte. »Sind … Sind das Finger? Paul, kneif mich mal bitte. Siehst du das auch? Da … Da hängt ein Mensch an deiner Angel!«
Der Mann war vollschlank und leichenblass. Er hatte kastanienfarbenes Haar und einen stattlichen Vollbart, die ihm beide am klatschnassen Schädel klebten. Nass war auch der dunkle Nadelstreifenanzug, den er trug. Sein Hemd war schmutzig vom Wasser, musste aber einmal weiß gewesen sein, und die Krawatte hing merklich schief. Außerdem schien er eine Tonne zu wiegen.
»Das glaub ich jetzt nicht.« Kartoffel-Paul keuchte. Abermals packte er mit beiden Händen an. »Irgendwie muss der doch an Bord zu hieven sein.«
Sie hatten die Angel zur Seite gelegt. Nun kauerten sie beide an der Reling des Ruderbootes und versuchten mit aller Kraft, den Mann aus dem See an Bord zu holen. Dass der Kerl reg- und, wie Nele vermutete, leblos verharrte, anstatt bei seiner Bergung mitzuhelfen, machte ihre Mühen nicht leichter.
»Noch mal, Paul«, ächzte Nele. Mit der einen Hand hielt sie das Hosenbein des Fremden, mit der anderen zerrte sie an seinem nassen Handgelenk. »Mit aller Kraft.«
»Hauuuuuuu«, begann der Alte, »RUCK!«
Und das Wunder gelang. Das schmale Ruderboot bekam ordentlich Schlagseite, als Nele und Kartoffel-Paul ihren unerwarteten Fang an Bord holten. Ungelenk und schnaufend wuchteten sie ihn in ihre Mitte, ein gewaltiges – und gewaltig nasses – Häufchen Elend.
»Ist der tot?«, fragte Paul. Er stieß mit der Gummistiefelspitze vorsichtig gegen den Fremden. »Hallo! Sind Sie tot?«
»Falls ja, wird er wohl kaum antworten.«
Nele beugte sich vorsichtig über den Mann, horchte nach Atemzügen, tastete nach einem Puls. Doch sie fand nur Kälte.
»Lass uns an das Ufer rudern«, bat sie. »Schnell. Da können wir ihm eher helfen als hier draußen.«
Sie ahnte natürlich, dass jede Hilfe längst zu spät kam. Doch die Bitte erfüllte ihren Zweck: Paul griff sofort zu den Rudern und legte sich ordentlich ins Zeug.
Nach kurzer Strecke erreichten sie das Ufer. Paul befestigte das Boot mit einem Tau am Steg, dann kletterten sie von Bord. Abermals hatten sie einige Mühe, ihre Fracht zu tragen. Doch es ging. Nele ächzte, als sie den Fremden endlich ins Gras der Hortensia betten konnten.
»Kein Puls?«, fragte Paul. Hatte man ihm die drei Schnäpse vorhin noch halbwegs anmerken können, war er nun so nüchtern, wie er nur sein konnte. »Nichts?«
Einmal mehr beugte Nele sich über den Mann. Sie schüttelte den Kopf. »Absolut nichts.«
Ob sich Mund-zu-Mund-Beatmung noch lohnte? Sie bezweifelte es sehr. Der Mann wirkte nicht auf sie, als sei er eben erst in den See gefallen.
Zumal wir das gehört hätten, dachte sie. Ganz sicher.
»Bleib mal hier«, wandte sie sich an Paul. »Pass auf, dass keiner vorbeikommt und den anfasst oder so, ja?«
Kartoffel-Paul nickte unsicher. »U… Und was machst du?«
»Ich hole Hilfe.«