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Es klebt Blut an seinen Händen – und an seinem Geld … Mit der Aufklärung einer aufsehenerregenden Mordserie in der Tasche geht Nicholas Mellers Anwaltskarriere steil bergauf – doch die Machenschaften seiner zahlungskräftigen Mandanten werfen finstere Schatten: Während er gerade dabei ist, für einen Baron die Befreiung eines Freundes aus russischer Haft zu verhandeln, steht auf einmal die Polizei in Mellers neuer Kanzlei. Ein Postbote wurde brutal ermordet und nur eine Sendung fehlt: ein Päckchen, adressiert an Meller selbst. Hat ein einflussreicher Klient blutige Fäden gesponnen? Treibt die russische Mafia alte Schulden ein? Mit seiner Partnerin Nina folgt Meller der Spur des schmutzigen Geldes immer tiefer in die Abgründe der Kölner High Society … Noch mehr atemlose Psychospannung in Band 2 der »Nicholas Meller«-Reihe – Fans von Sebastian Fitzek und John Grisham werden mitfiebern!
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Seitenzahl: 377
Veröffentlichungsjahr: 2025
Über dieses Buch:
Mit der Aufklärung einer aufsehenerregenden Mordserie in der Tasche geht Nicholas Mellers Anwaltskarriere steil bergauf – doch die Machenschaften seiner zahlungskräftigen Mandanten werfen finstere Schatten: Während er gerade dabei ist, für einen Baron die Befreiung eines Freundes aus russischer Haft zu verhandeln, steht auf einmal die Polizei in Mellers neuer Kanzlei. Ein Postbote wurde brutal ermordet und nur eine Sendung fehlt: ein Päckchen, adressiert an Meller selbst. Hat ein einflussreicher Klient blutige Fäden gesponnen? Treibt die russische Mafia alte Schulden ein? Mit seiner Partnerin Nina folgt Meller der Spur des schmutzigen Geldes immer tiefer in die Abgründe der Kölner High Society …
Über den Autor:
Lorenz Stassen ist ein ausgebildeter Chemielaborant aus Solingen, den es in die Filmbranche und 1992 auch nach Köln verschlagen hat, wo er bis heute lebt und schreibt. Er bewies sein Gespür für atemberaubende Spannung als Drehbuchautor für »Alarm für Cobra 11«, »Soko Stuttgart« und andere Fernsehformate sowie den international erfolgreichen Horrorfilm »The Pool«.
Die Website des Autors: lorenzstassen.de
Der Autor bei Facebook: www.facebook.com/lorenzstassen
Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine Thriller-Reihe um Anwalt Nicholas Meller mit den Titeln »Blutacker« und »Opferfluss«.
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eBook-Neuausgabe Juni 2025
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Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Olga_C, U-Design, Nataly Fox und AdobeStock/Rawpixel.com
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (lj)
ISBN 978-3-98952-963-2
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Lorenz Stassen
Blutacker
Thriller
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Nachwort
Danksagung
Lesetipps
Ein Rumpeln im Bauch des Flugzeuges verriet den Piloten, dass das Fahrwerk ausgefahren war, noch bevor die grünen Lämpchen im Cockpit aufleuchteten. Der Luftwiderstand ließ den Rumpf des dreistrahligen Großraumflugzeugs vibrieren. Regentropfen schossen wie dünne Fäden im Licht der Scheinwerfer vorbei. Weder die Anflugbefeuerung, geschweige denn eine Landebahn waren zu erkennen.
»Flaps fünfunddreißig«, verlangte der Kapitän.
»Flaps fünfunddreißig«, wiederholte der Co-Pilot und überprüfte vorsorglich die Geschwindigkeit.
»Landing Checklist«, bot er dem Kapitän an, nachdem sich die Klappen in Fünfunddreißig-Grad-Position befanden. Die einzelnen Punkte der Liste wurden abgehakt, als eine Computerstimme ertönte: »One Thousand.«
»Checked«, erwiderte der Kapitän.
Wegen des sich ändernden Windes nahm er ein wenig den Vorhaltewinkel raus. Hinter den Fenstern war es immer noch pechschwarz. Dann aber, von einer Sekunde auf die nächste, rissen die Wolken auf und das Lichtermeer der Großstadt breitete sich vor ihnen wie ein bunter Teppich aus. Die Landebahn, eine weiße Perlenkette mit zwei roten Lichtstreifen rechts und links, war deutlich zu erkennen. Der Co-Pilot betätigte die Mikrofontaste. »MD-11 is on short final.«
Aus den Kopfhörern ertönte eine Frauenstimme. Die Lotsin im Tower gab ihnen Windgeschwindigkeit und die Landebahn durch.
»Cleared to land, MD-11«, funkte der Co-Pilot zurück.
Die Triebwerke lieferten nur noch die Hälfte ihrer Leistung. Mit einer Geschwindigkeit von hundertdreißig Knoten schwebte das voll beladene Flugzeug ein. Bei fünfzig Fuß zog der Kapitän die Hebel in Richtung Leerlauf, nahm die Nase um zwei Grad höher und brach damit den Abwärtstrend des Flugzeugs. Dreihundert Meter nach Beginn der Landebahn ging ein Ruck durch das Flugzeug, die Maschine setzte etwas härter auf, was bei nasser Bahn auch so gewollt war. Bugrad absetzen, Umkehrschub entriegeln. Das automatische Bremssystem setzte ein.
Sie bogen von der Landebahn ab und fuhren über den Rollweg auf das Frachtterminal zu. Der hell erleuchtete Schriftzug Köln Bonn Airport ließ die Windböen sichtbar werden, die den Regen durch die Luft peitschten. Vor dem Gebäude wartete bereits der Einweiser, der mit zwei Leuchtstäben signalisierte, wann die Parkposition erreicht war.
Die zwei Turbinen drehten noch aus, als der Rumpf des Flugzeugs schon geöffnet wurde. Zwei Maschinen, die längst in der Luft hätten sein sollen, wurden gerade erst geschlossen. Drei Männer und eine Frau in leuchtend gelben Warnwesten liefen im strömenden Regen umher und sorgten dafür, dass die tonnenschweren Flugcontainer mit Spezialfahrzeugen in die Halle verfrachtet wurden. Dort begann die Vorsortierung der Pakete. Anderthalb Stunden später traf ein Lkw nach dem anderen im Verteilerzentrum Frechen, am Rande des Autobahnkreuzes, ein. Die Pakete wurden auf Bandanlagen sortiert.
Barcodes, von Computern im Bruchteil einer Sekunde erfasst, steuerten die pneumatischen Weichen, die mit lautem Zischen dafür sorgten, dass jedes Paket den Weg zum richtigen Wagen fand, um vom richtigen Fahrer an die richtige Adresse gebracht zu werden.
An Rampe siebenunddreißig belud Marco Bennitz seinen Wagen, sortierte die Pakete in die Regale. Er hatte sein eigenes System, um jede Sendung am Bestimmungsort schnell wiederzufinden. Die Barcodes ermöglichten eine lückenlose, digitale Kontrolle, aber für die Paketboten war die Auslieferung ein analoger Vorgang. Jede Sendung trug einen Namen, am Ende der Lieferkette stand ein Mensch, der sich über die Sendung freute – oder auch nicht. Hauptsache, der Empfang wurde bestätigt. Einen Knopfdruck später waren die Daten vom Großrechner erfasst, und wieder war ein Auftrag erledigt.
Marco gähnte. Seine Gedanken schweiften ab. Er dachte an Jenny, seine Freundin. Sie war drei Jahre jünger als er und verhielt sich leider oft wie ein alberner Teenager. Die Beziehung machte keinen Spaß mehr, und Marco zweifelte an der Entscheidung, dass sie so schnell zusammengezogen waren.
Zu spät. Die neue Küche war bestellt. Viel zu teuer. Sein Leben bestand aus einer Reihe von Fehlentscheidungen. Zumindest in wichtigen Dingen. Er ließ sich leicht beeinflussen, konnte schlecht »Nein« sagen, eigentlich gar nicht, warfen ihm seine Freunde vor – und nutzten ihn bei nächster Gelegenheit aus.
Kurz bevor Marco die Türen seines Transporters schloss, sah er noch mal im Auffangkorb am Ende der Metallrutsche nach, ob er auch nichts übersehen hatte. Doch. Ein schmales Packset hatte sich versteckt. Größe XS. Maximalgewicht tausend Gramm. Aber dies hier war so leicht, dass es höchstens ein oder zwei DVDs enthielt. Er schaute auf die Adresse, um es an die richtige Stelle im Regal zu legen. Dann setzte er sich hinters Lenkrad und fuhr los. Die Morgensonne färbte die Wolken am Himmel hellrot. Es hatte zum Glück aufgehört zu regnen.
Marco lag gut in der Zeit, als er in die Fußgängerzone am Kaiser-Wilhelm-Ring einbog. Ein etwa hundert Meter langer, schmaler Brunnen, gesäumt von Bäumen und Parkbänken, trennte die Hauptverkehrsstraße von der Flaniermeile mit Geschäften, Büros und Kinos. Um diese Zeit bestimmten nicht Passanten das Straßenbild, sondern Lieferwagen. Marco parkte seinen Wagen nah an einer Hauswand, um genug Platz zu lassen für andere Lieferanten. Er ging nach hinten in den Laderaum und öffnete von innen die Hecktür. Das Sonnenlicht fiel herein. Marco wusste, dass er für diese Straße zu viele Sendungen hatte, um es in einem Durchgang zu schaffen. Er fing an, die Sendungen auf zwei Stapel zu verteilen, um sie danach auf die Sackkarre zu laden.
Da ließ ihn eine Bewegung herumfahren. Marco sah zur geöffneten Tür. Gegen das Licht der Sonne war nur eine Silhouette zu erkennen. Und schon knallte die Hecktür zu. Marco erstarrte, was wollte der Mann? Ihn überkam Panik, er griff nach dem Hebel, um die Seitentür aufzuschieben.
»Stopp«, fuhr der Fremde ihn an. »Mein Kollege, der draußen steht, kann sehr unangenehm werden.«
Der Eindringling hatte einen osteuropäischen Akzent, war schmächtig, aber drahtig. Er trug eine dunkelgraue Arbeitshose mit Seitentaschen, eine schwarze Jack-Wolfskin-Regenjacke. Auf seinem Kopf eine Basecap, eine Sonnenbrille verdeckte seine Augenpartie. Marco fühlte sich wie in einem Käfig. Zusammen mit einem Raubtier. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn und rann herunter. Er wischte ihn weg.
»Was ... was wollen Sie?«, fragte er mit zittriger Stimme.
Im fahlen Licht, das durch das Dachfenster hereinfiel, sah Marco den Anflug eines Lächelns über das Gesicht des Mannes huschen. Er hielt einen Zettel hoch. »Ein Paket, was sonst? Diese Adresse.«
Marco streckte langsam den Arm aus, um seine Bereitschaft zu signalisieren. Der Mann gab ihm den Zettel, Marco schaute drauf und wusste sofort, wo er suchen musste. Er hob beschwichtigend die Hände und trat einen Schritt zurück, ließ den Mann dabei keine Sekunde aus den Augen. Marco griff neben sich ins Regal und holte zwei Päckchen und einen Großbrief hervor, sah vorsichtshalber noch mal auf die Adressfelder, bevor er die Sendungen seinem Gegenüber reichte. Der Mann nahm sie, schaute drauf, legte den Großbrief und das andere Päckchen auf das Regal, behielt nur das Packset XS in Händen. Es war das Päckchen, das Marco beinahe vergessen hätte. Der Mann schien gefunden zu haben, wonach er suchte. Trotzdem, das Gefühl der Beruhigung währte nur einen kurzen Moment, genau so lange, bis der Mann hinter sich an den Gürtel griff und plötzlich ein Messer in der Hand hielt. Die kleine, schwarze Klinge sah man kaum. Ein Kampfmesser.
Adrenalin schoss durch Marcos Adern. Die Panik vernebelte seine Sinne. Ohne nachzudenken, stürzte er auf die Seitentür zu, hatte den Griff bereits in der Hand, als der Mann auch schon bei ihm war. Er riss Marco herum, schleuderte ihn gegen das Regal mit den Paketen. Marco schlug in Panik wild um sich, ballte die rechte Faust und schlug mit aller Kraft zu. Da spürte er den Schmerz, wo die Haut zerschnitten wurde. Die Klinge des Messers hatte sich durch Marcos Faust bis in die Handwurzel gebohrt. Blut quoll hervor. Zwei seiner Finger fielen auf den Boden, der kleine baumelte nur noch an einer Sehne. Marcos Verstand realisierte nicht, was geschehen war. Er sah das Blut, die Finger auf dem Boden. Der Mann zog die Klinge mit einem Ruck heraus, was einen noch größeren Schmerz verursachte. Marco stieß einen Schrei aus, im selben Moment blieb ihm die Luft weg. Er spürte ein Kribbeln, im Nacken beginnend, das an der Wirbelsäule abwärts wanderte. Marco sah sein Gesicht in der Spiegelung der Sonnenbrille, er folgte dem Blick des Mannes nach unten. Die Klinge kam zum Vorschein. Marco fasste an seinen Bauch und spürte, wie warmes Blut aus der Wunde strömte. Was ging hier vor? Das konnte nicht wahr sein. Er machte doch nur seinen Job. Jenny. Die Küche. Viel zu teuer. Marco sackte auf die Knie. Ihm wurde schwindelig. Sie wollten heiraten. Ihm wurde kalt. Eiskalt. In dem Moment verblassten seine Gedanken, wurden von der Gewissheit verdrängt, dass die Zukunft für ihn aufgehört hatte zu existieren. Wie im Gebet kniete er auf dem Metallboden des Transporters, die Hände vor dem Bauch gefaltet. Seine Pupillen verdrehten sich, bevor er mit dem Gesicht nach vorne aufschlug.
Der Mann machte ohne Hektik einen Schritt zur Seite, darauf bedacht, die Schuhe nicht zu beschmutzen. Die Blutlache war nicht sehr groß. Er wischte die Klinge an Marcos Kleidung ab, dann zerschnitt er das braune Klebeband, mit dem das Päckchen verschlossen war.
Dazu hatte er das Messer hervorgeholt.
Im Park spielten Kinder. Ihr Gekreische drang bis zu mir hinauf, ebenso der Lärm der Straße. Der Preis dafür, wenn man mitten in der Großstadt wohnte. Die Sonne spiegelte sich auf der Wasseroberfläche und glitzerte zwischen den Blättern der Bäume hindurch, die die Sicht auf den Rhein etwas verdeckten. Es war April und der Frühling zeigte sich von seiner schönsten Seite. Die Vegetation blühte auf.
Meine Kaffeetasse war leer. Ich zog zum letzten Mal an der Zigarette, bevor ich sie ausdrückte. Auch wenn ich mir das Rauchen abgewöhnen wollte, die eine am Morgen musste sein. Dann trat ich in die Wohnung, schloss die Balkontür hinter mir und ließ den Lärm der Straße draußen.
Unser Wohnbereich erstreckte sich über die ganze Etage ohne eine einzige Trennwand. Lediglich ein paar Stützpfeiler hatten die Statiker eingefordert. Der Boden war mit Bambusparkett ausgelegt, und es hallte immer noch ein wenig, weil Nina und ich uns bewusst für wenig Möbel entschieden hatten. Obwohl wir schon im Januar eingezogen waren, standen noch einige Kartons unausgepackt herum.
Ich sah auf die Uhr. Nina ließ sich heute Zeit. Oder schaffte sie es nicht, aus dem Bett zu kommen? Das sah ihr gar nicht ähnlich. Da hörte ich oben eine Tür knallen, und während ich mir mit der Maschine einen frischen Kaffee aufbrühte, kam Nina die Wendeltreppe heruntergestapft. Sie hatte noch ihren Pyjama an und brachte ein verschlafenes »Guten Morgen« heraus, das ich mit einem Kuss erwiderte. Ich begab mich an den Frühstückstisch, während sie sich einen Orangensaft presste. Mit der Maschine. Das edle Teil hatte was gekostet, aber man konnte sie mit ganzen Orangen füllen, und unten kam der frische Saft heraus.
Nina brauchte so etwas.
Sie brauchte es wirklich, denn sie hatte nur einen Arm. Der rechte fehlte ihr seit der Geburt.
Unser gemeinsames Frühstück war ein Ritual. Nina müsste nicht aufstehen, sie hatte keine Termine, aber oft sahen wir uns für den Rest des Tages nicht mehr.
»Ich fühle mich wie gerädert«, stöhnte sie.
»Wieder geträumt?«
Sie nickte. »Bestimmt zehnmal aufgewacht, hast du nichts gemerkt?«
»Nein. Wann hast du deine nächste Sitzung?«
»Erst am Freitag.« Nina war in psychologischer Behandlung, seit fast einem Jahr. Ich hatte das Gefühl, sie machte wieder Rückschritte. Die Albträume kehrten mit konstanter Regelmäßigkeit zurück. Ihre Therapeutin meinte, wir müssten Geduld haben. Nina war vor einem Jahr in die Gewalt eines Mörders geraten und hatte um ihr Leben fürchten müssen. Die Therapie war wichtig für sie. Und trotzdem. Manchmal beschlich mich die Befürchtung, Nina könnte beeinflusst werden und eines Morgens zu der Erkenntnis gelangen, dass ich der »Mann ihrer Träume« sei – ihrer Albträume.
»Und was steht bei dir heute an?«, fragte sie, während ich ihr ein Brötchen aufschnitt. Den Rest machte Nina selbst, die Butter stand bei uns nie im Kühlschrank und war jetzt, da es wärmer wurde, fast so weich, dass man sie mit einem Milchkännchen hätte auftragen können. Den Rand vom Käse hatte ich schon abgeschnitten und Salami ließ sich mit einer Hand aufs Brötchen legen.
»Heute kommen endlich die Möbel für den Eingangsbereich. Und zwischendrin habe ich noch ein halbes Dutzend Termine.«
Nina sah mich mit verschlafenen Augen an.
»Was?«, fragte ich.
»Lohnt sich der Stress?«
»Man muss die Segel setzen, wenn der Wind weht.«
»Aber muss es gleich ein Dreimaster sein?«
Ich grinste, zuckte mit den Schultern. »Was hätte ich machen sollen? In meinem alten Büro bleiben, die Hälfte der Mandanten ablehnen?« Ich deutete auf unsere Wohnung. »Dann könnten wir uns all das hier nicht leisten.«
»Wäre das so schlimm?«
Diese Diskussion hatten wir schon gehabt. Mehr als einmal. »Ich habe mich entschieden.« Ich stellte die Kaffeetasse etwas zu fest auf dem Tisch ab.
»Schon gut.« Nina hob beschwichtigend die Hand. »Ich mache mir nur manchmal Sorgen um deinen Blutdruck, sorry.«
»Danke. Aber ich pass auf mich auf.« Ich trank noch einen Schluck. »Du kannst ja bald mit einsteigen und mich etwas entlasten.«
»Zuerst das Examen. Dann sehen wir weiter.«
Nina haderte mit sich selbst, ihre berufliche Zukunft war ungewiss. Sie hatte Jura studiert, ein eher schlechtes erstes Staatsexamen gemacht und war während ihres Referendariats bei mir in meiner alten Kanzlei gelandet. Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als ich meinen ersten Mordfall hatte. Mir war es gelungen, meinen Mandanten damals zu entlasten, ich aber war ins Visier des wahren Täters geraten. Dieser Fall hatte Nina und mich aus der gewohnten Umlaufbahn katapultiert. Mich in den Himmel, sie in die Hölle. Ihre Probleme waren also auch meine.
Nach den Vorfällen hatte Nina eine Zwangspause eingelegt. Aus gesundheitlichen Gründen gewährte man ihr bis zu einem Jahr Aufschub, bevor sie sich zum zweiten Staatsexamen anmelden musste. Offiziell war sie wieder in meiner Kanzlei als Referendarin, aber sie musste nicht arbeiten, sondern lernte lieber zu Hause.
Mein Handy vibrierte, ich sah aufs Display, meine Kollegin Julie Tewes rief an. Sie arbeitete seit einem halben Jahr in Festanstellung für mich und spezialisierte sich auf Steuer- und Wirtschaftsrecht. Durch Julie wollte ich das Spektrum meiner Kanzlei erweitern. Sie hatte am Wochenende das Notfallhandy bei sich gehabt.
»Julie, was gibt’s?«
»Morgen. Ich wollte dich vorwarnen. Da ruft gleich ein neuer Mandant an, der ausschließlich mit dir reden wollte. Ich habe ihm deine Nummer gegeben.«
Ich wurde wütend. »Das sollst du doch nicht. Gib nie meine Privatnummer raus, egal an wen.«
»Ich weiß, ich weiß, aber hör mir zu. Es handelt sich um einen Baron. Georg Freiherr von Westendorff. Alter Adel. Und steinreich. Schau ihn dir mal im Internet an. Er wollte, wie gesagt, nur mit dir reden. Hätte ich auflegen sollen?«
»Was will er denn?«
»Keine Ahnung, hat er mir nicht gesagt, ich bin ja nur deine Angestellte. Aber es scheint sehr dringend zu sein.«
Mein Handy vibrierte erneut. »Julie, ich glaube, er ist dran. Wir telefonieren später weiter.«
Ich beendete das Telefonat, nahm den Anruf entgegen. »Nicholas Meller.«
»Guten Tag«, ertönte eine sonore Stimme. »Von Westendorff. Ich habe die Nummer von Ihrer Mitarbeiterin. Können wir uns sehen?«
»Stecken Sie in Schwierigkeiten? Wurden Sie verhaftet?«
»Nein. Ich erfreue mich bester Gesundheit und bin bei mir auf dem Land, in Lindlar. Es ist sehr wichtig, dass Sie vorbeikommen.«
»Um was geht es denn?«
»Das werde ich Ihnen erklären. Wann könnten Sie es einrichten?«
Mandanten, die mich wie Leibeigene behandelten, mochte ich schon mal gar nicht, egal wie sie hießen – alter Adel hin oder her. Wäre ich nicht so neugierig gewesen, was er von mir wollte, hätte ich womöglich aufgelegt. Stattdessen überlegte ich, wie lange ich bis Lindlar brauchen würde. Vielleicht eine Dreiviertelstunde reine Fahrzeit, je nach Verkehr.
»Geben Sie mir anderthalb Stunden«, sagte ich.
»Na gut.« Er klang enttäuscht, weil er wohl erwartet hatte, dass ich sofort alles stehen und liegen ließ. »Ich sende Ihnen die Adresse per SMS. In anderthalb Stunden dann. Vielen Dank.«
Das Gespräch war beendet, und ich bereute schon fast, dass ich zugesagt hatte.
Nina sah mich fragend an, als ich das Handy auf den Tisch legte.
»Schau mal bitte im Internet nach, ob du was über einen Baron Georg Freiherr von Westendorff findest.«
»Und was machst du?«
»Ich versuche, mir eine Krawatte zu binden.«
Es hatte nur drei Versuche gebraucht, bis der doppelte Windsorknoten saß und die Krawatte auch von der Länge her passte. Die Spitze hatte die Gürtelschnalle gerade zu berühren. Anzüge mochte ich, aber ohne den Strick um den Hals. Ich steckte meinen rechten Zeigefinger zwischen Hals und Hemdkragen und zerrte daran, um mir Luft zu verschaffen. Eine innere Stimme hatte mir geflüstert, dass es besser wäre, mich für diesen Termin etwas herauszuputzen. Ein dunkelgrauer Anzug, meine besten Halbschuhe passend zum schwarzen Gürtel, sowie eine himmelblaue Krawatte auf weißem Hemd. Heute durfte noch nicht mal das Einstecktuch fehlen.
Nina hatte im Internet recherchiert und einige Bilder gefunden, auf denen der Baron mit Prominenz aus Politik und Wirtschaft abgelichtet war. Seit einem Jahr gehörten zahlungskräftige Mandanten durchaus zu meiner Klientel, aber ein Baron hatte sich noch nicht zu mir verirrt. Ein Kontakt in Adelskreisen könnte mir weitere Türen öffnen. Hoffte ich.
Nach meinem ersten Mordfall, der mir landesweit Publicity verschaffte, hatte mein Telefon nicht mehr aufgehört zu klingeln. Ich stand damals vor einer schweren Entscheidung: Sollte ich mich wie bisher als Einzelkämpfer durchschlagen und dem Großteil der neuen Mandanten absagen oder eine richtige Kanzlei gründen? Ich entschied mich für Letzteres. Ein Freund half mir, den Businessplan zu erstellen, und gleich drei Banken hielten mich für kreditwürdig. Mit zweihunderttausend Euro Kontokorrentkredit ging ich an den Start und überredete Julie Tewes, eine Freundin aus dem Studium, bei mir mitzumachen. Außerdem suchte ich mir eine fähige Rechtsanwaltsfachangestellte, die die Leitung des Büros übernahm. Mein Ziel war es, mittelfristig auch Steuerhinterzieher als Mandanten zu bekommen. Auf dem Türschild stand nur mein Name, und das sollte auch so bleiben. Neben dem neuen Büro, zwei Angestellten, anständigen Klamotten und einer schicken Wohnung in der Kölner Südstadt gehörte auch ein passendes Auto zu meinem neuen Image. Die meisten erfolgreichen Anwälte fuhren Mercedes oder Jaguar, beide Marken passten nicht zu einem wie mir. Ich war jahrelang der Underdog gewesen, ein bisschen sollte davon erhalten bleiben. Eine Mitgliedschaft im Golfclub käme für mich auch nicht infrage, aber ein Aston Martin Vantage S mit V8-Motor. Dank eines ehemaligen Mandanten war ich günstig an den Wagen gekommen. In Schwarz, gebraucht, aber er sah aus wie neu.
Erfolg war auch eine Frage der inneren Einstellung. Manch anderer hätte sich vielleicht in Bescheidenheit geübt und abgewartet. Aber warum? Luxusartikel waren wie Werbeplakate. Viele Mandanten fühlten sich besser aufgehoben bei einem Anwalt, der eine teure Uhr am Handgelenk trug. Früher musste ich froh sein über jeden Klienten, der den Weg zu mir fand. Selbst die dümmsten und aussichtslosesten Fälle hatte ich annehmen müssen, um die Miete zahlen zu können. Aber damit war jetzt Schluss. Hoffte ich zumindest.
Ich trat das Gaspedal durch, sofern keine Hindernisse vor mir waren, die nicht ausweichen konnten.
Das Telefon piepte. Astrid Zollinger, meine Büroleiterin, rief an.
»Herr Meller, wo sind Sie?« Aus den Boxen der Freisprecheinrichtung klang ihre Stimme, als wäre sie der Chef und nicht ich. In gewisser Hinsicht war sie es auch. Wenn ich mich in die Organisation der Kanzlei einmischte, endete das immer im Chaos.
»Auf dem Weg nach Lindlar«, antwortete ich.
»Lindlar?« Ich stellte mir vor, wie sie in ihrem Terminkalender nachschaute und rote Flecken am Hals bekam. »Lebe ich in der falschen Woche?«
»Nein, ein neuer Mandant. Sagen Sie die Termine für heute ab. Ich weiß noch nicht, wie lange es dauert.«
Ihr Tonfall änderte sich, jetzt klang sie wie meine Mathelehrerin. »Zu Ihrer Information, Herr Meller. Hier wartet ein junger Kollege, ein Herr Probst, den Sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen haben. Um zehn Uhr dreißig, um genau zu sein.«
»Oh, habe ich vergessen.« Jetzt wurde ich kleinlaut. »Machen Sie bitte einen neuen Termin mit ihm aus.«
»Wir haben den Termin bereits zweimal verschoben«, ermahnte sie mich.
»Dann soll Julie mit ihm reden.«
»Die hat einen Gerichtstermin, falls Sie es vergessen haben sollten.«
»Sagen Sie Herrn Probst, dass es mir sehr, sehr leidtut. Wirklich. Aber ich kann nichts dran ändern. Ich melde mich wieder, wenn ich aus Lindlar zurück bin.«
»Darum würde ich sehr bitten. Viel Erfolg.«
Sie beendete das Telefonat. Astrid Zollinger durfte so mit mir reden. Sie war ein wahrer Glücksgriff. Als der Tsunami von Mandanten über mich hereinbrach, brauchte ich dringender als alles andere eine Büroleiterin. Zollinger war die beste. Sie hatte alles unter Kontrolle – nur mich nicht.
Dreißig Minuten später befand ich mich einen Kilometer vor dem Ortseingang von Lindlar, eine Zwanzigtausend-Seelen-Gemeinde im Oberbergischen Kreis. Mein Navigationsgerät wies mich auf die unscheinbare Abzweigung hin, die ich nehmen musste, und so gelangte ich auf einen schmalen Privatweg. Ich erreichte die eingegebene Adresse, war aber noch nicht am Ziel. Die elektronische Stimme meines Navis teilte mir mit, dass ich mich abseits einer regulären Straße befände. Der Privatweg war gepflastert und führte durch ein Waldstück, bis meine Fahrt vor einem kunstvoll geschmiedeten Tor endete. In dem Torgitter war das Familienwappen des Freiherrn von Westendorff verewigt. Ich sah nichts, was auf eine Klingel hindeutete, auch die Kameras waren gut versteckt. Während ich noch überlegte, was ich tun sollte, öffnete sich das Tor vor mir, und ich fuhr weiter. Nach ein paar Hundert Metern endete der Wald, und vor mir lag ein herrschaftlich anmutendes, weißes Haus inmitten eines weitläufigen Parks. Nicht übertrieben protzig, aber auch keineswegs bescheiden. Vor dem Haus wurde der Weg zu einem kreisförmigen Wendeplatz mit einer Statue in der Mitte. Ich fuhr bis direkt vor die Stufen, die zum Eingang führten, und ging das Risiko ein, dass der Butler des Hauses mich zurechtweisen könnte. Es gab keinen Butler. Als ich ausstieg und meinen Aktenkoffer vom Beifahrersitz nahm, kam mir der Hausherr persönlich entgegen. Er war etwa Mitte fünfzig, und zu meiner Verwunderung trug er Jeans und ein grünes Tweed-Jackett mit abgewetzten Ellbogenschonern. Dazu ein himmelblaues Hemd und keine Krawatte. Ich hätte mir meine am liebsten vom Hals gerissen.
»Guten Tag, Herr Meller. Von Westendorff.« Der Baron begrüßte mich mit einem sanften Händedruck.
»Guten Tag, Herr Baron«, sagte ich.
Er lächelte. »Von Westendorff reicht.«
Leicht verunsichert sah ich ihn an. »Ich muss gestehen, dass ich noch nicht oft mit Adeligen zu tun gehabt habe.«
»So furchtbar viele von uns gibt es ja auch nicht mehr. Herr Baron heiße ich ausschließlich bei meinen Leuten, also den Hausangestellten. Und ein Hausangestellter sind Sie ja nicht.«
Kaum dass er die Angestellten erwähnte, trat ein junger Mann in schwarzem Anzug, weißem Hemd und Fliege aus dem Haus. Hinter ihm folgte ein älterer Herr, der eindeutig noch mehr Wert auf seine Garderobe legte als ich. Sein grauer, fein karierter Anzug saß perfekt, wahrscheinlich maßgeschneidert, ohne jede Knitterfalte. Er war ein hagerer Typ mit ausgeprägtem Adamsapfel und erinnerte mich auf die Entfernung ein wenig an Prinz Charles. Er hielt eine Pfeife in der rechten Hand und ließ den Rauch aus seinem Mund quellen, während er am oberen Ende der Freitreppe wartete. Der junge Mann hingegen kam geradewegs auf mich zu und streckte die Hand aus. Nicht zum Gruß, wie ich nach dem Händeschütteln erfuhr, sondern weil er meinen Autoschlüssel wollte, um den Wagen in die Garage zu fahren. Der Baron ging mit einem Lächeln über meinen Fauxpas hinweg.
»Ähm, wissen Sie, wie das geht mit dem Schlüssel?«, fragte ich den jungen Mann. Der Aston Martin hatte ein spezielles System zum Starten des Motors.
Der Hausangestellte nickte stumm, ohne eine Miene zu verziehen.
»Er kennt jedes Automodell, das Sie sich vorstellen können«, sagte der Baron, und es klang eine Spur überheblich.
Wir gingen die Stufen zum Eingang hinauf. Dabei fielen mir die Löcher in der Fassade auf. An mehreren Stellen war ein Stück weggemeißelt worden, und obwohl man dies leicht hätte überputzen können, war anscheinend darauf verzichtet worden.
Ich ahnte, warum. Ich hatte im Lokalfernsehen einen Beitrag über die Geschichte einiger Häuser in Köln gesehen, an denen früher Hakenkreuze als Verzierungen gedient hatten.
»Gehörte das Haus früher mal einem Nazi?«
»Ja. Es war der Jagdsitz eines SS-Obergruppenführers. Er hatte hier bis zum bitteren Ende verweilt. Als die Amerikaner durchs Tor kamen, schoss er sich mit seiner Mauser in den Kopf. So wie es sich für einen deutschen Offizier damals gehörte.«
»Wenigstens besaß er genug Anstand, seine Frau und seine Kinder zu verschonen«, fügte der ältere Herr hinzu. »Anders als Goebbels.«
»Goebbels war ja auch kein Offizier«, erwiderte ich. Mein Gegenüber nickte zustimmend.
Die Fähigkeit zur gepflegten Konversation gehörte zu meinem neuen Image. Passende Worte an richtiger Stelle konnten manchmal mehr wert sein als die Rolex am Handgelenk.
»Darf ich vorstellen?« Von Westendorff deutete auf seinen Gast. »Dr. Eberhard Reinicken ... Nicholas Meller.«
Wir gaben uns die Hand, und ich wusste, woher mir dieses Gesicht bekannt vorkam. Reinicken war im Anwalts-Journalpraktisch omnipräsent. Ihm gehörte eine kleine, sehr renommierte Kanzlei in Bonn. Er beschäftigte nur zwei Kollegen, aber dieses Trio heizte seinen Prozessgegnern mächtig ein. Ich würde gar nicht erst versuchen, mich mit ihm messen zu wollen. Er war eine Koryphäe, aber anscheinend nicht im Strafrecht. Sonst wäre ich jetzt nicht hier.
»Dr. Reinicken ist nicht nur mein Hausanwalt, Eberhard gehört zu meinen besten Freunden.« Von Westendorff sah zu ihm. »Nett, dass du vorbeischauen konntest.«
Reinicken wollte an seiner Pfeife ziehen, ließ es. Er hatte den Satz richtig verstanden: Du kannst gehen!
Der Baron setzte gönnerhaft nach. »Ich habe schon viel zu viel deiner wertvollen Zeit in Anspruch genommen.«
»Nicht schlimm. Ich habe keine Termine.«
Von Westendorff ging nicht darauf ein. Er lächelte nur und sah Reinicken erwartungsvoll an.
Ich musste mir das Lachen verkneifen und wandte den Blick ab. Auf so eine Art war ich noch nie von einem »besten Freund« hinauskomplimentiert worden. Die Situation drohte peinlich zu werden, denn es schien dem Kollegen gar nicht recht zu sein, mich mit dem Baron allein zu lassen. Doch Reinicken behielt die Contenance und verabschiedete sich von mir.
Ich folgte dem Baron ins Haus, während der Kollege Pfeife rauchend auf den Hausangestellten wartete, der ihm das Auto holte.
Mit meinen Ledersohlen musste ich aufpassen, auf dem blanken Marmorboden nicht auszurutschen. Im Eingangsbereich führte linker Hand von uns eine breite Treppe aus Eichenholz in einem Dreiviertelkreis auf die obere Etage, ausgelegt mit dunkelrotem Teppich. Die Wände um uns herum waren halbhoch mit dunklem Holz vertäfelt und darüber weiß gestrichen. Überall prangten Hirschgeweihe und exotische Jagdtrophäen. In dem Wissen, dass diesmal das Haus eines Nazis war, stellte ich mir vor, wie Parteibonzen und Offiziere nach einer erfolgreichen Jagd – auf Wildschweine und Rehe – in arischer Manier über den Endsieg schwadronierten. Männer in strammen Uniformen mit Blut an den Händen.
»Das Haus gehörte einst meiner Großmutter, wir mussten es bei Ausbruch des Krieges hergeben. Eine komplizierte Geschichte. Erst vor zehn Jahren habe ich es zurückerworben und das meiste so belassen, wie es war. Abgesehen vom Farbanstrich. Das Waldgebiet habe ich nach Blindgängern absuchen lassen. Zur Sicherheit.«
»Und? Was gefunden?«
Der Baron nickte. »Granaten, Karabiner, Munition. Sogar eine Fliegerbombe. Heute können Sie gefahrlos im Wald spazieren gehen.«
Das hatten wir hoffentlich nicht vor, denn ich hasste es, Schuhe zu putzen. Im Gegensatz zum Baron musste ich das selbst machen.
Das schwere Treppengeländer über uns wurde gestützt von zwei prächtig geschnitzten Holzpfeilern. Wir gingen zwischen ihnen hindurch auf eine große, zweiflügelige Tür zu. Von Westendorff geleitete mich in den großen Salon, von wo aus man einen fantastischen Blick auf das Bergische Land hatte. Ich wusste, dass diese Region nicht wegen ihrer Topografie so hieß, sondern den Namen einem anderen Adeligen verdankte, dem Grafen von Berg. Das Haus war nach Südwesten ausgerichtet, die Sonne würde erst in ein paar Stunden die Terrasse aus Naturstein erhellen. An den Wänden hingen altmeisterliche Gemälde in vergoldeten Rahmen. Porträts, Landschaften, Stillleben. Die Möbel wirkten antik. Mein Blick wanderte zu einem alten Barockschrank, bei dem eine Tür offen war, und ich sah, dass darin eine Schrotflinte stand.
Der Baron war meinem Blick gefolgt und lächelte.
»Ich merke, ganz der Strafrechtler. Ihnen entgeht nicht, dass Waffen heutzutage anders verwahrt werden müssen.« Er zuckte mit den Schultern. »In manchen Dingen bin ich altmodisch.«
Von Westendorff deutete auf ein rotbraunes Ledersofa in der Mitte des Raumes. »Bitte, nehmen Sie Platz.« Er setzte sich in einen schweren Ohrensessel mir gegenüber.
Ich fragte mich, ob der Baron hier wohnte oder ob dies nur eine Zweitresidenz war. Wie er so dasaß, die Beine übereinandergeschlagen, wirkte er leicht feminin. Er hatte ein schmales Handgelenk und lange Finger. Die Nägel manikürt. Schwer vorstellbar, dass solch zarte Hände eine Schrotflinte abfeuerten, aber ich konnte mich auch irren. Eine Frau betrat den Salon. Ich schätzte sie auf Ende dreißig. Sie trug ein schwarzes, mittellanges Kleid, das die Knie bedeckte. Darüber eine weiße, mit Spitzen verzierte Servierschürze. Ihr Gesicht wirkte blass, wie es so von ihren schwarzen, halblangen Haaren eingerahmt wurde.
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte von Westendorff.
»Einen Kaffee, bitte.«
Die Frau nickte und ging wieder. Der Kaffee wurde wenig später in edelstem Porzellan serviert. Der Baron bekam ein großes Glas Wasser, in dem Eiswürfel und Minze schwammen.
»Kommen wir zum Grund meines Anrufs.«
Ich hatte mich bis jetzt bequem zurückgelehnt. Jetzt richtete ich mich auf, um meine Aufmerksamkeit zu signalisieren, holte einen Notizblock und Kugelschreiber aus dem Aktenkoffer, der neben mir auf dem Boden stand.
»Ein Freund von mir steckt in Schwierigkeiten.«
»Welche Art von Schwierigkeiten?«, fragte ich.
»Er sitzt im Gefängnis. Aber nicht hier, sondern in Moskau.«
Jetzt wusste ich, warum der Baron mich herbestellt hatte. Meine Vita als Russlanddeutscher. Ich wurde in Tomsk geboren, in Westsibirien. Erst im Alter von neun Jahren war ich nach Deutschland gekommen.
»Was wird ihm vorgeworfen?«
»Er ist sexuell beiden Geschlechtern zugeneigt.«
Ich kannte mich nur wenig mit russischen Gesetzen aus, wusste aber, dass Homosexualität an sich kein Straftatbestand war. Nicht mal in Russland kam man dafür ins Gefängnis. Es musste mehr dahinterstecken.
»Seit wann sitzt er in Haft?«
»Gestern gab es eine Razzia in einem Club. Martin war dort auf einer Party.«
»Hatte er Drogen dabei?«
»Soweit ich weiß, nicht«, erwiderte von Westendorff. »Davon war bis jetzt nicht die Rede, aber wer weiß, was denen in Moskau noch so einfällt.« Er gab mir zu verstehen, was er über die russische Justiz dachte. Dasselbe wie ich.
»Was für Maßnahmen wurden bereits ergriffen?«
»Wir haben über die deutsche Botschaft einen russischen Anwalt eingeschaltet, aber ...« Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Sie trauen diesen Leuten nicht?«
Jetzt lächelte er. »Ihnen muss ich das wohl nicht erklären.«
»Zuerst möchte ich darauf hinweisen, dass ich mich mit den russischen Gesetzen nicht auskenne. Ich habe in Deutschland studiert, deutsches Recht.«
»Aber mit der Mentalität dieser Leute kennen Sie sich aus. Und Sie sprechen Russisch.«
Wir taxierten uns. Keiner wollte das, worum es in diesem Gespräch ging, zuerst aussprechen. Da ich der Anwalt war, ließ er mir den Vortritt.
»Je nachdem, wie wir vorgehen wollen, könnte die deutsche Botschaft eher hinderlich sein«, sagte ich.
»Wie meinen Sie das?«
Er wusste genau, was ich meinte. Auch er dachte an Bestechung. Einen Richter, einen Staatsanwalt ... Das kam darauf an, was in Moskau vor sich ging. Um es herauszufinden und die richtigen Mittel anzuwenden, hatte der Baron mich ins Auge gefasst. Reguläre Methoden hätte auch sein Freund Eberhard Reinicken in die Wege leiten können.
»Die Mühlen der Justiz arbeiten in Moskau langsam«, sagte ich schließlich. »Sehr langsam.«
»Was schlagen Sie vor?«
»Ich würde mich erst mal mit dem russischen Kollegen in Verbindung setzen. Die Möglichkeiten sondieren. Womöglich sollte man den Anwalt, den die Botschaft ins Spiel gebracht hat, nicht weiter beschäftigen.«
»Kennen Sie einen Anwalt in Moskau?«
»Ich nicht. Aber ich kenne einen, der viele kennt.«
Ich beugte mich vor und nahm einen Schluck von meinem Kaffee. Ich war kein großer Freund von Filterkaffee, aber der hier schmeckte wirklich ausgezeichnet.
»Das klingt doch für den Anfang ganz gut«, sagte der Baron.
Ich setzte die Tasse ab. »Ich kann Ihnen keine Versprechungen machen.«
»Ich weiß.« Er hob beschwichtigend die Hand. »Das erwartet auch niemand von Ihnen.«
Die Intonation seines Satzes verlangte ein Nachhaken. »Und was genau erwarten Sie?«
»Dass Martin so schnell wie möglich wieder freikommt und Moskau verlassen darf.«
»Was war der Grund seiner Reise?«
»Spielt das eine Rolle?«
»Vielleicht.« Ich musste es wissen. Wenn er etwas mit Drogen zu tun hatte und sei es nur als Konsument, könnte ein Bestechungsversuch in einem scheinbar harmlos wirkenden Bagatellfall schnell zum Rohrkrepierer werden.
»Martin Steinke. Den Namen schon mal gehört?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Er ist Künstler.« Mit einem leicht herablassenden Grinsen gab der Baron zu verstehen, was er von der Kunst seines Freundes hielt. »Contemporary Art. Vor allem Videoinstallationen. Nicht ganz meine Welt. Aber in der Szene hat er einen Namen. Wie auch immer, in seiner Eigenschaft als Künstler ist er jedenfalls oft auf Reisen.«
Ich verstand. Mit Videoinstallationen Geld zu verdienen war bestimmt nicht leicht, und der brotlose Künstler hatte in dem Baron einen Mäzen gefunden. Welche Art von Freundschaft die beiden pflegten, hatte mich nicht zu interessieren. »Gab es in der Vergangenheit mal Probleme mit der russischen Justiz oder den Zollbehörden?«
»Nein. Martin hat ein Zwölf-Monats-Visum und war schon zweimal in Moskau. Es gab nie Probleme.« Der Baron trank einen Schluck von seinem Wasser, sah in sein Glas und schaute wieder zu mir. »Es darf Geld kosten, ihn da rauszuholen. Ihr Honorar setzen Sie selbst fest.«
»Ist er drogenabhängig?«
»Wirklich abhängig wohl nicht.«
Ich hakte nach. »Wovon reden wir? Kokain?«
»Ja, er nimmt manchmal Kokain, soweit ich weiß.«
»Darauf beziehen sich die Anschuldigungen aber nicht?«
»Nein. Der Anklagepunkt nennt sich«, er überlegte kurz, »homosexuelle Propaganda« oder so ähnlich. Darauf stehen wohl fünfzehn Tage Arrest. Der russische Anwalt meinte, wir sollten schnell reagieren.«
Ich atmete innerlich auf. Es ging nur um Arrest. Das würde die Sache vereinfachen, was ich meinem Mandanten natürlich nicht sagte. Säbelrasseln gehörte zum Geschäft. »Homosexuelle Propaganda«, oder wie man es auch immer nannte, war mit Sicherheit ein dehnbarer Begriff und diente der russischen Justiz dazu, unliebsame Gäste einzuschüchtern.
»Hat der russische Anwalt diese Vorgehensweise ins Spiel gebracht?«
»Was für eine Vorgehensweise?«
»Bestimmte Überredungskünste anzuwenden, die den juristischen Vorgang beschleunigen könnten.«
Der Baron räusperte sich. »Das weiß ich nicht, wieso?«
»Ein sehr riskantes Spiel. Auch in Russland.« Ich musste nachlegen, um den Erfolg als meine Leistung zu verkaufen. Im Kopf hatte ich längst einen Plan, wie ich die Sache angehen würde.
»Gerade weil es riskant ist, möchte ich mich nicht auf diese Leute verlassen«, betonte der Baron. »Ich will, dass Sie das in die Hand nehmen und Martin da rausholen. Um jeden Preis.«
Ich nickte.
Der Baron sah mir in die Augen. »Hätten Sie ein Problem damit, einen Richter zu ... überreden?«
Er mied geflissentlich das Wort »Bestechung«.
»Wenn es ein deutscher Richter wäre – ja. Sogar ein großes Problem.«
»Wenn es ein deutscher Richter wäre«, wiederholte er gewichtig.
Ich nickte. »Homosexualität ist natürlich keine Straftat. Wegen seiner geschlechtlichen Orientierung sollte niemand im Gefängnis sitzen. Nirgendwo auf der Welt.«
Der Baron lächelte und reichte mir die Hand.
Ich schlug ein.
Jetzt lag es an mir zu liefern.
Pjotr Iowanowitsch liebte Frauen. Er liebte Luxus. Er konnte sich vieles leisten, obwohl er faul war wie ein Pandabär. Er war gerissen, intelligent, ein Zyniker. Freundschaft, für ihn ein Fremdwort, Liebe eine Illusion. Aber ich konnte mich hundertprozentig auf ihn verlassen. Denn Pjotr war eins: berechenbar. Ich musste ihn nur bei seinem Ego packen.
Meinen Aston Martin parkte ich hinter seinem weißen Mercedes SL 65 AMG, ein Cabriolet. Pjotr stand bereits in der Tür und wartete. Er wohnte in einem zweigeschossigen Neubau zur Miete. Für Immobilien als Kapitalanlage hatte er nichts übrig, denn Pjotr wollte stets in der Lage sein, von einem Tag auf den anderen verschwinden zu können, obwohl er seit fünf Jahren den Wohnort nicht gewechselt hatte. Er liebte Bargeld, teure Autos, Platin, Diamanten und – seltene Erden. Mit diesen Rohstoffen handelte er, und das Geschäft schien gut zu laufen.
Der Wohnraum verfügte über eine große Fensterfront, durch die man in den Garten sah. Alles war tadellos in Schuss, und es herrschte eine fast schon ungewöhnliche Ordnung. Umso mehr fiel daher ein herumliegender roter Slip ins Auge, den Pjotr mit dem Fuß lässig wegfegte. Zugegeben, Pjotr sah ganz gut aus – für einen Russen zumindest. Seine Gesichtszüge waren nicht so markant wie bei einigen seiner Landleute, trotz der ausgeprägten, hohen Wangenknochen. Und im Gegensatz zu vielen Russen hatte er tadellos sanierte Zähne. Die Frauen standen auf ihn, obwohl jede von ihnen wissen musste, dass sein Herz nur eine organische Pumpe war und keinerlei Gefühle beherbergte.
Pjotrs Einrichtungsstil schwankte zwischen modern und traditionell-russisch. Er hatte keinen Geschmack, er hatte nur Geld. Es passte kein Möbelstück zum anderen, geschweige denn zu den Ölschinken an der Wand. Eins der Gemälde hätte gut im Haus des Barons hängen können. Direkt darunter stand ein Flipper aus den achtziger Jahren. Der Schriftzug »Star Wars« prangte an der Glasscheibe des Kopfteils. Man sah Luke Skywalker mit seinem Lichtschwert.
Es knirschte laut, als ich auf dem beigen Ledersofa Platz nahm, das angeblich exakt denselben Farbton hatte wie das Leder in seinem Mercedes. Zumindest behauptete Pjotr das, und er schien sehr stolz darauf zu sein. Zwischen uns beiden befand sich, auf einem hässlichen Brokatteppich mit eingewebten Gold- und Silberfäden, ein Glastisch, darauf die obligatorische Flasche Champagner im Eiskübel. Pjotr trank zu jeder Tages- und Nachtzeit Champagner. Er schenkte mir ungefragt ein Glas ein.
»Ich habe eine Fünfzig-Gramm-Dose Zarenkaviar im Kühlschrank, wie wär’s?«
»Beluga?« Ich schüttelte den Kopf. »Hängt mir langsam zum Hals raus.«
»Keinen scheiß Beluga. Hörst du mir nicht zu?« Pjotr war wütend über so viel Unwissenheit. »Weißer Almas. Die Körnung weniger als zwei Millimeter.«
»Was kostet die Dose?« Denn nur darauf kam es an.
»Das sage ich dir nicht, du bist mein Gast. Also?«
Ich nickte. »Da bin ich dabei.«
Pjotr stand auf und ging in die Küche. Ich hätte mich auch mit Thunfisch aus der Dose zufriedengegeben, aber das durfte ich mir nicht anmerken lassen. Pjotr mochte keine Gäste, die nicht wählerisch waren. Nach kurzer Zeit kam er mit einem Tablett zurück, die Fünfzig-Gramm-Dose auf gestoßenem Eis, den Deckel mit der Aufschrift gut sichtbar daneben liegend. Es fehlte nur das Preisschild. Ich kalkulierte den Imbiss auf zweihundertfünfzig Euro. Eigentlich hatte ich es eilig, in die Kanzlei zu kommen, aber bevor wir übers Geschäft reden konnten, musste ich mir die Zeit nehmen für Baguettebrot mit Almas und Champagner zum Nachspülen. Nach meinem ersten Bissen sah er mich erwartungsvoll an.
»Fantastisch«, sagte ich.
»Hast du was anderes erwartet?« Er lachte und schob sich eine ganze Scheibe Brot auf einmal rein. »Was gibt’s?«, fragte er mit vollem Mund.
»Ich muss jemanden bestechen. In Moskau.«
»Weshalb?«
»Der Freund eines Mandanten sitzt in Arrest. Wegen homosexueller Propaganda.«
Pjotr zeigte mir den Mittelfinger. »Zwei Wochen Haft, na und? Vielleicht findet die Schwulette ein paar neue Freunde.«
Seine Reaktion überraschte mich nicht. Pjotr ließ keine Gelegenheit aus, um über Schwule herzuziehen. Mich überraschte seine Kenntnis darüber, wie hoch das Strafmaß für die sogenannte »homosexuelle Propaganda« war.
»Kennst du jemanden in Moskau?«, fragte ich.
»Was soll die Frage?« Pjotr hatte sich gerade das zweite Brot reingestopft. Ihm fielen beim Sprechen ein paar weiße Körner Almas aus dem Mund. »Natürlich. Wer ist dein Mandant?«
»Der, um den es geht, heißt Martin Steinke. Ein Videokünstler. Mein Auftraggeber ist Baron von Westendorff.«
Jetzt hustete Pjotr und hielt sich die Hand vor den Mund, bis er wieder reden konnte. »Der rote Baron?«
»Roter Baron?«
»Ja. Er hat eine kleine Ferrari-Sammlung. Aber vom Feinsten, sage ich dir. Den hast du als Mandanten?«
Ich lehnte mich zurück, machte ein demonstrativ unbekümmertes Gesicht und genoss den Kaviar vom Albino-Stör. Besser hätte das Gespräch nicht laufen können, ich hatte Pjotr am Haken. »Sind wir im Geschäft?«
»Klar.« Er tat den letzten Löffel Kaviar aufs Brot, reichte es mir.
Ich hatte Pjotr einmal verteidigt. Er schmuggelte exklusive Rohstoffe zwischen Ost und West. Ohne Zoll, ohne Steuern. Mit Drogen und Menschenhandel hatte er nichts am Hut, das versicherte er mir. Dieses Geschäft überließ er der Mafia, zu der er zwar Kontakte hatte, die ihn aber in Ruhe ließ.
Ich sah Pjotr fragend an. »Was weißt du über den Baron?«
»Nicht viel. Seine Großmutter hat in irgendeine Chemiefirma eingeheiratet, schon vor dem Ersten Weltkrieg. Daher kommt das Vermögen. Er macht nebenher in Immobilien und sammelt wie gesagt Autos.« Pjotr machte große Augen. »Und der hat einen schwulen Freund? Das darf aber keiner wissen, oder?«
»Ich habe keine Ahnung, ob der Baron schwul ist oder nicht, die können auch ganz normale Freunde sein, so wie wir. Ich rate dir jedenfalls, nichts in dieser Art rumzuerzählen.«
»Hey, du kennst mich.«
»Eben drum. Ich brauche jemanden, der zum Richter geht und die Sache klärt. Mit dem Anwalt in Moskau, der sich bis jetzt darum gekümmert hat, habe ich auf dem Weg hierher telefoniert.«
»Schmeiß ihn raus«, fiel Pjotr mir ins Wort. »Ich arbeite nur mit meinen Leuten zusammen.«
»Ich habe ihm das Mandat bereits gekündigt. Der Kerl schien mir nicht vertrauenswürdig.«
»Es gibt keinen, dem du trauen kannst. Weder in Moskau noch hier. Es sei denn, er steht auf deiner Gehaltsliste. Wie viel darf es kosten?«
»So wenig wie möglich, so viel wie nötig. Ich verlasse mich darauf, dass du dein Honorar nicht überziehst.«
»Zwischen fünf und sieben Tausend solltest du rechnen.
Dollar.«
»Kein Problem.«
»Und wie viel stellst du dem Baron in Rechnung?«
»Das weiß ich noch nicht. Ich hoffe, ihn längerfristig als Mandanten gewinnen zu können.«
In Pjotrs Kopf arbeitete es. Seine Pupillen zuckten hin und her. »Was springt für mich dabei raus?«
»Eine Provision.«
»Was, wenn ich auf die Provision verzichte und du mich mit dem Baron zusammenbringst.«
»Was willst du von ihm?«
»Autos.«
»Verarsch mich nicht. Du brauchst doch nicht seine Hilfe, um an einen Ferrari heranzukommen.«
»Nicht irgendeinen. Ich suche ein bestimmtes Modell. Das kannst du nicht einfach so kaufen. Für so eine Karre musst du dich würdig erweisen.«
Pjotrs Wortwahl sagte alles: Wenn er ein so einmaliges Auto als Karre bezeichnete, war er auch nicht würdig, es zu besitzen.
»Und was willst du damit?«
»Ich kenne einen Scheich, der sucht danach. Und wenn der Deal klappt, verbringe ich sechs Monate in seinem Harem. Du darfst natürlich mitkommen, wenn du willst.«
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