Blutige Nächte in Chicago - Dale Cooper - E-Book

Blutige Nächte in Chicago E-Book

Dale Cooper

4,9

Beschreibung

Vanessa Valpecca arbeitet als Privatdetektivin in Chicago. Bei ihren spektakulären Fällen geht es um Entführung, Drogen und Mord. Sie wurde vor über hundert Jahren in einen Vampir verwandelt und verliebt sich zum ersten Mal in einen Menschen. Sie lernt das Leben an der Seite eines Sterblichen zu schätzen. Sollte sie den großen Schritt wagen und ihrem Liebhaber ihre Existenz als Vampir offenbaren? Und zukünftig von seinem Blut trinken? Probleme bereitet Vanessa die Königin der Finsternis, wie sich das Oberhaupt aller Vampire nennt. Insbesondere der Ausschluss aus der führenden Organisation der Vampire - der sogenannten Vampirliga - macht ihr schwer zu schaffen. Sie erhält aber die einmalige Chance in den erlauchten Kreis der Vampire zurückzukehren, falls es ihr gelingt, den Täter einer brutalen Mordserie aufzuspüren.

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Vanessa Valpecca arbeitet als Privatdetektivin in Chicago. Bei ihren spektakulären Fällen geht es um Entführung, Drogen und Mord. Sie wurde vor über hundert Jahren in einen Vampir verwandelt. Zum ersten Mal in ihrem Vampirleben verliebt sie sich in einen Menschen und lernt das Leben an der Seite eines Sterblichen zu schätzen. Sollte sie den großen Schritt wagen und ihrem Liebhaber ihre Existenz als Vampir offenbaren? Und zukünftig von seinem Blut trinken?

Probleme bereitet Vanessa die Königin der Finsternis, wie sich das Oberhaupt aller Vampire nennt. Insbesondere der Ausschluss aus der führenden Organisation der Vampire – der sogenannten Vampirliga – macht ihr schwer zu schaffen. Vanessa erhält aber die einmalige Chance in den erlauchten Kreis der Vampire zurückzukehren, sollte es ihr gelingen den Täter einer Mordserie aufzuspüren.

Ein Krimi der bissigen Art!!!

Der Autor wurde 1967 in Hildesheim geboren und publiziert unter dem Pseudonym Dale Cooper Romane. Sein erster Roman „Der Vampir und die Polizistin“ wurde 2013 veröffentlicht. Außerdem hat er eine Reihe von Fachbüchern publiziert. Er lebt und schreibt in München.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

3. Februar

4. Februar

5. Februar

6. Februar

7. Februar

8. Februar

9. Februar

10. Februar

11. Februar

12. Februar

13. Februar

14. Februar

15. Februar

16. Februar

23. Februar

24. Februar

25. Februar

26. Februar

27. Februar

28. Februar

1. März

2. März

3. März

4. März

5. März

6. März

7. März

8. März

9. März

10. März

11. März

Der Vampir und die Polizistin

Catherine

Audrey

Vorwort

Die zentrale Figur des vorliegenden Romans, der weibliche Vampir Vanessa Valpecca, hatte ihren ersten Auftritt in meinem Buch Audrey: Der Vampir und die Polizistin 3. Dort spielte Vanessa bereits eine wichtige Nebenrolle. Einige Vampire – wie beispielsweise Catherine, Juan oder Johnny – haben in den drei Bänden der Buch-Reihe Der Vampir und die Polizistin zum Teil tragende Rollen gespielt. Im vorliegenden Roman sind sie nur als Nebenfiguren vertreten.

Blutige Nächte in Chicago lässt sich lesen ohne den Inhalt der oben genannten Buchreihe zu kennen. Die nachfolgende Story startet einige Monate nach dem Ende von Audrey: Der Vampir und die Polizistin 3.

Der in der folgenden Story enthaltene Zeitraum vom 3.Februar bis zum 16.Februar wurde bereits als eigenständiges Buch unter dem Titel Privatdetektivin mit Biss veröffentlicht.

München, im November 2015

Dale Cooper

3. Februar

„Wer bist du?“

Vanessa lächelte den großen, kräftig gebauten, schwarzen Burschen mit ihrem unschuldigsten Lächeln an und erwiderte boshaft: „Ich bin dein allerschlimmster Albtraum, du Mistkerl.“

Anschließend trat sie ihm mit ihren schweren Stiefeln kräftig in die Weichteile und streckte den Torkelnden mit zwei gekonnten Faustschlägen zu Boden. Neben den Schmerzen konnte man puren Unglauben in seinen blutunterlaufenen Augen erkennen. Aus seiner Sicht war Vanessa nichts anderes als eine junge, attraktive weiße Frau, vor der sich ein Muskelprotz nun wirklich nicht in Acht nehmen musste. Er konnte ja nicht wissen, dass sie vor über hundert Jahren in einen Vampir verwandelt worden war und somit über gewaltige Kräfte verfügte. Dies ermöglichte es ihr, jedem Menschen kräftig in den Hintern zu treten, wenn ihr gerade danach war. Wie groß und stark dieser auch sein möge.

Vanessa kehrte erst vor wenigen Monaten nach Chicago zurück, um wieder als Privatdetektivin aktiv zu sein. Bereits in den 1990er-Jahren arbeitete sie in der Windy City, wie Chicago auch häufig genannt wurde, mit einigem Erfolg als Ermittlerin, bevor es sie wieder in andere Regionen verschlagen hatte. Zuletzt verbrachte Vanessa den Großteil ihrer Zeit in Transsilvanien und Großbritannien. Dort hatte sie einen wichtigen Auftrag für die Königin der Finsternis, wie das Oberhaupt aller Vampire bezeichnet wurde, übernommen. Das Zusammentreffen mit der Königin stand für Vanessa aber unter keinem guten Stern. Es führte letztendlich sogar zu ihrer Verbannung aus der Vampirliga.

Die Bezeichnung Windy City wurde unter anderem auf die extrem hohe Korruption und die historisch bedingte Verbreitung von organisierter Kriminalität zurückgeführt. Ihr gefiel Chicago nicht zuletzt wegen der hohen Kriminalitätsrate außerordentlich gut. Denn so konnte der unstillbare Drang nach menschlichem Blut an denen ausgelebt werden, die anderen Sterblichen Schaden zugefügt hatten. Oder eventuell selbst zum Mordopfer geworden waren und sich nicht mehr wehren konnten! Vanessa war beileibe kein Unschuldsengel, sie tat Menschen in der Regel aber nur richtig weh, wenn es die Situation erforderte. Töten kam für sie sogar nur in absoluten Notfällen in Frage. Bisher hatte Vanessa in über hundert Jahren erst drei Menschen ermordet. Dies war deutlich weniger, als einige Bandenmitglieder in Chicago auf dem Kerbholz hatten, bevor sie achtzehn Jahre alt geworden waren; wenn sie denn überhaupt dieses Alter erreichten und nicht selbst vorher getötet wurden.

Der Vampir wandte sich wieder dem aktuellen Opfer zu. Der Mann gehörte einer berüchtigten Gang namens Black Dragon an und nannte sich selbst großspurig Big Joe. Ob der Spitzname mit seiner Körpergröße im Allgemeinen oder mit der Länge eines bestimmten Körperteils zusammenhing, wusste Vanessa nicht. Es war ihr aber auch egal.

Das Revier der Gang befand sich in South Side am äußeren Rand von Chicago und galt als eines der schlimmsten Problemviertel der Stadt.

„Also, Little Joe! Ich gebe dir eine allerletzte Chance mir zu sagen, wo sich Rufus in diesem Moment aufhält. Ansonsten werde ich dir höllische Schmerzen zufügen, wie du sie ganz sicher nicht erleben möchtest!“

Um den Worten weiteren Nachdruck zu verleihen, zog sie ihren 38er-Revolver mit Perlmuttgriff aus der Handtasche. Damit dirigierte sie Big Joe in einen dunklen Hinterhof, der von der Hauptstraße nicht einsehbar war. Eigentlich benötigte der Vampir die Waffe gar nicht, sie diente mehr der Show als irgendetwas anderem. Vanessa könnte Joe auch ohne Revolver auseinander nehmen und würde dabei noch nicht einmal ins Schwitzen geraten. Wobei Vampire ohnehin nicht schwitzten. Aber dieser Ausbruch an Gewalt wäre nicht einfach zu erklären. Sollte denn jemand beobachten, wie eine schlanke Frau einen zwei Zentner schweren Schlägertyp so ohne weiteres zermalmte. Daher setzte sie ihre phänomenalen Vampirkräfte in der Regel nur dann ein, wenn sie absolut sicher sein konnte, dass es keine menschlichen Zeugen gab. Und sie sich außerdem nicht im Blickfeld von Überwachungskameras befand. Letztere waren zu einem richtigen Ärgernis geworden. In den Großstädten der USA wurden nach dem 11.September 2001 noch einmal Tausende von Kameras installiert. Es war immer schwieriger geworden, sich fernab der Kameras zu bewegen. Was für einen unbescholtenen Bürger meistens nur ärgerlich war, konnte für die Existenz der Vampire gefährlich sein, wenn ihre blutigen Taten auf Video gebannt wurden.

Vanessa feuerte einen gezielten Schuss Richtung Joe ab, verfehlte ihn aber ganz bewusst um Haaresbreite. Sie konnte sehr gut mit einer Pistole umgehen, obwohl diese nicht zu den bevorzugten Waffen der Vampire gehörte. Dies waren eher Schwerter und Messer, wenn sie denn überhaupt Waffen verwendeten.

Vereinzelte Schüsse waren in den Randbezirken von Chicago an der Tagesordnung und wurden der Polizei gar nicht mehr gemeldet. In den Vierteln lebten hauptsächlich Gangmitglieder und ihre Familien. Höchstens, wenn jemand schwer verletzt oder getötet wurde, rief jemand die Polizei an. Aber selbst dann nicht immer!

„Verdammte Scheiße“, schrie das Bandenmitglied völlig überrascht und schockiert. Mit dem Schuss hatte Joe überhaupt nicht gerechnet.

„Willst du mich umbringen, du weiße Schlampe? Du bist doch irre!“ Sein Blick verriet nackte Angst.

„Das liegt ganz bei dir, mein Großer. Die nächste Kugel wird dir das Gehirn wegpusten, wenn du mir nicht endlich sagst, wo sich Rufus heute Nacht aufhält. Meine Geduld ist langsam am Ende und ich werde gleich richtig böse.“ Ein diabolisches Lächeln unterstrich die Aussage. Joe hielt sie mit Sicherheit für eine Wahnsinnige. Dies spielte ihr in die Karten, wenn dadurch der Widerstand des Widerlings schneller gebrochen wurde.

„Ok, ok, ich sage es dir ja. Aber bitte steck den Revolver ein und erzähle meinem Boss nicht, dass ich ihn verpfiffen habe. Er würde mich sonst umbringen.“

„Das lässt sich einrichten. Wo kann ich den Parasiten denn nun finden?“

„Er bekommt heute Nacht eine neue Ladung Heroin. Die Drogen werden in den Szeneclub Black Widow geliefert. Der Laden gehört einem Kumpel des Polizeichefs. Daher gibt es dort nur selten eine unangekündigte Razzia. Selbst größere Deals werden relativ gefahrlos abgewickelt.“

„Wann soll das Heroin geliefert werden?“

„Gegen drei Uhr. Also in einer knappen Stunde. Aber ich würde dir nicht raten dort aufzutauchen, Bitch. Rufus hat mindestens drei Bodyguards bei sich. Es handelt sich nämlich um Ware im Wert von mehr als einhunderttausend Dollar, die heute über den Tisch gehen soll.“

„Lass das mal meine Sorge sein“, erwiderte Vanessa, schlug Big Joe noch zwei Zähne aus und beförderte ihn mit weiteren gezielten Schlägen vorübergehend ins Land der Träume. Sie als Bitch zu bezeichnen, hatte noch keinem Menschen gutgetan. Vanessa konnte es überhaupt nicht leiden, wenn sie mit obszönen Schimpfworten bedacht wurde. Da war dieser verdammte Hurenbock Big Joe mit zwei ausgeschlagenen Zähnen noch gut bedient. Sie blickte sich im Hinterhof nochmals sorgfältig um, konnte aber niemanden entdecken, der sie beobachtete.

Ein süßer Schmerz durchfuhr ihren Kiefer, als sie die Fangzähne ausfuhr und Big Joe biss. Jeder einzelne Tropfen Blut gab ihr immer wieder das Gefühl, quicklebendig zu sein. Stark, furchtlos und mächtig! Vanessa erinnerte sich nicht einmal ansatzweise an die Gesichter aller Sterblichen, von denen sie in der Vergangenheit getrunken hatte; so viele waren es im Laufe der letzten hundert Jahre gewesen. Sie nährte sich von Joes Blut und injizierte ihm anschließend mit seiner eigenen Spritze etwas Heroin. Dann rüttelte sie ihn wieder wach, um ihm die Erinnerung an ihr Zusammentreffen nehmen zu können. Er sollte schließlich keine Möglichkeit bekommen, Rufus zu warnen oder Vanessa bei einem zukünftigen Treffen wieder zu erkennen. Seine ausgeschlagenen Zähne würde er sich am nächsten Morgen nicht erklären können. Aber wahrscheinlich passierte dies nicht zum ersten Mal, dass er sich an die Geschehnisse der letzten Nacht kaum noch erinnern könnte. Joe hatte ja ganz offensichtlich ein ziemlich schweres Drogenproblem, wenn man seine große Anzahl an Einstichstellen betrachtete. Die Bissspuren, die sie hinterließ, würden somit auch nicht weiter auffallen. Und Gedächtnislücken stellten nichts wirklich Außergewöhnliches bei Junkies dar.

Vanessa fühlte sich nicht im Mindesten schuldig, weil sie das Blut des Gangsters trank. Sie war schließlich ein Vampir. Aber als Monster fühlte sie sich deshalb noch lange nicht. Menschenblut war nun einmal das, was sie zu einem anständigen Leben brauchte.

Die eisige Nacht hatte äußerst vielversprechend für die Untote begonnen. Etwas Action und frisches Menschenblut. Was könnte es denn Besseres für einen durstigen Vampir geben? Nun hieß es aber für Vanessa Richtung Black Widow aufzubrechen und sich um Rufus zu kümmern. Dieser war das eigentliche Ziel ihres aktuellen Auftrages, für den sie sehr gut bezahlt wurde. Denn Geld verdienen musste sie natürlich auch. Die Rechnungen bezahlten sich ja schließlich nicht von allein.

In Chicago florierte das Gang-Leben. Mittlerweile gab es mehr als sechshundert Splittergruppen mit rund siebzigtausend Mitgliedern, denen vielleicht fünfzehntausend Polizisten auf Patrouille gegenüberstanden. Und selbst die Jüngsten wurden in die Machenschaften hineingezogen. Kinder im Alter von neun oder zehn Jahren wollten ihren coolen Brüdern und Onkeln nacheifern. Auch in der Nacht zuvor starben wieder Kinder und Jugendliche durch Schüsse. So schlimm dies auch für die Betroffenen war, bot dieser Umstand Vanessa häufig die Gelegenheit das Blut von sehr jungen Leuten zu trinken. Ohne dass sie selbst Hand anlegen musste; zumindest solange die Minderjährigen lebten. Denn in den meisten Fällen wartete niemand von den Beteiligten bis die Polizei eintraf. Daher wurden die Ermordeten häufig einige Zeit allein gelassen. Vanessa hörte den Polizeifunk ab und streifte nachts normalerweise durch besonders üble Gegenden der Stadt. So erreichte sie gelegentlich noch vor den Polizisten die Opfer, um ihren Blutdurst zu stillen. Unmittelbar nach Eintritt des Todes schmeckte das Blut der Sterblichen besonders gut. Insbesondere das von jüngeren Menschen. Vanessa würde niemals Hand an lebende Kinder oder Teenager legen, aber wen störte es denn, wenn sie sich von toten Jugendlichen nährte? Sie waren ja schließlich nicht mehr am Leben und spürten nichts, wenn ihnen die rote Flüssigkeit aus dem Körper gesaugt wurde. Vanessa war nun mal ein Blutsauger und trank den roten Lebenssaft so oft wie möglich, idealerweise jede Nacht. Es gab für sie kein geileres Gefühl, als sich menschliches Blut einzuverleiben. Im Gegensatz zu den meisten anderen – insbesondere den männlichen – Vampiren gab ihr das Töten von Sterblichen keinen zusätzlichen Kick. Wer weiß, ob Vanessa ansonsten nicht auch viel mehr Menschen unter die Erde gebracht hätte. Sie machte den Vampiren, die regelmäßig ihre Nahrungsspender umbrachten, aber keinen allzu großen Vorwurf. Diese hatten sich häufig nicht unter Kontrolle und konnten wenig dagegen tun, wenn sie von einem Blutrausch übermannt wurden. Das Töten gehörte nur nicht zu ihrem ureigenen Lifestyle. Meist redete sie sich ein, dass ihr moralischer Kompass höher lag als bei anderen Vampiren. Doch wahrscheinlich machte sie sich da etwas vor. Einige Monate zuvor tötete Vanessa einen Polizisten namens George Hunter in London. Sie wollte damit verhindern, dass die Existenz von Vampiren bekannt würde. Ihr war es damals zwar unendlich schwer gefallen, den Mann zu töten. Sie tat es aber trotzdem, um ihre Spezies zu schützen und würde es wohl wieder tun. Außerdem verblasste die Abscheu gegenüber dieser mörderischen Tat von Nacht zu Nacht ein bisschen mehr. Sie wandte seit der Rückkehr nach Chicago deutlich mehr Gewalt gegenüber Menschen an, als dies in früheren Zeiten der Fall gewesen ist. Bisher zwar nur gegenüber Ganoven, aber sie musste höllisch aufpassen, dass ihre Hemmschwelle nicht noch weiter sank. Ansonsten wäre es sicher nur eine Frage der Zeit, wann Vanessa einen Sterblichen töten würde, ohne es wirklich zu wollen.

Viele der Gangs in Chicago kontrollierten nur einen oder zwei Häuserblocks, in denen sie ihre Drogen vertrieben. Die Bande Black Dragon, die Vanessas Zielperson Rufus seit einigen Jahren anführte, gehörte zu den Big Playern unter ihnen. Sie verkauften Drogen nicht nur auf der Straße an Junkies, sondern auch in großem Stil an andere Straßengangs. Bei Bedarf auch an diverse Drogendealer in besseren Gegenden, die den Leuten aus der Upper Class vertrauensvoller erschienen. Die weißen Junkies aus gutem Haus kauften den Stoff lieber von Gleichgestellten als von den schwarzen Bandenmitgliedern aus den heruntergekommenen Vierteln.

Solange die Drogen nur in den Gebieten, die die jeweilige Gang beanspruchte, verkauft wurden, lief das Geschäft nahezu reibungslos. Probleme gab es immer dann, wenn sich jemand ein neues Territorium sichern wollte und dabei jemanden auf die Füße trat. Dies führte dann meist zu heftigen Schusswechseln zwischen konkurrierenden Banden. Rufus und seine Gang hielten sich klugerweise meist im Hintergrund, so dass nur vergleichsweise selten jemand von ihnen verhaftet und vor Gericht gestellt wurde. In kleinere Schießereien wurden aber auch von ihnen ab und zu Mitglieder verwickelt. Einen Toten gab es bei den schwarzen Drachen immerhin schon seit zwei Jahren nicht mehr. Für eine Bande mit so vielen Mitgliedern war dies in Chicago ungewöhnlich.

Rufus selbst hatte bisher nur zwei kleinere Jugendstrafen aufzuweisen und noch kein Gefängnis für Erwachsene von innen gesehen. Immerhin lebte er schon neunundzwanzig Jahre in South Side. In dem Alter saßen viele führende Bandenmitglieder anderer Gangs bereits längere Zeit hinter schwedischen Gardinen oder hatten im schlimmsten Fall das Zeitliche gesegnet. Die Lebenserwartung eines Bandenchefs hielt sich in Chicago in sehr überschaubaren Grenzen. Von daher musste man Rufus in dieser Hinsicht wohl ein großes Lob zollen. Dumm war er nicht! Vielleicht hatte er auch nur die richtigen Polizisten geschmiert oder besaß einen gewieften Strafverteidiger. Das wusste Vanessa nicht so genau.

Die Detektivin machte noch einen kleinen Abstecher in ihre Wohnung um geeignetere Kleidung anzuziehen. Ihre Unterkunft lag zum Glück nicht allzu weit vom Black Widow entfernt. In schwarzer Lederjacke und Kampfstiefeln würde sie sicher nicht in den Club eingelassen. Vanessa zog ein glitzerndes schwarzes Kleid mit tiefem Ausschnitt, welcher ihren spektakulären Busen besonders zum Tragen brachte, an. Dazu trug sie passende High Heels. Ihre langen, schwarzen Haare trug sie in dieser Nacht offen. Ihr war bewusst, dass sie in dem Outfit viele bewundernde Blicke auf sich ziehen würde. Dies erleichterte ihr hoffentlich den Job, dachte Vanessa. Wer würde denn schon denken, dass sie eine Privatdetektivin und zusätzlich sogar noch ein Blutsauger wäre? Und in dieser Nacht einen gefährlichen Bandenchef in sein Unglück stoßen wollte? Manchmal half es ihr, einen nahezu makellosen Körper einer einundzwanzigjährigen Frau zu besitzen. So alt war Vanessa nämlich gewesen, als sie in Rom am Ende des neunzehnten Jahrhunderts zum Vampir verwandelt wurde. Und dieses Aussehen konnte sie sich in den letzten Jahrzehnten zum Glück bewahren. Das hieß, sie sah immer noch genauso jung und verführerisch aus wie bei der Verwandlung. Im Nachhinein war sie froh, dass sie schon in jungen Jahren verwandelt worden war. Nicht auszudenken, wenn sie jahrhundertelang die äußerliche Hülle einer älteren Frau inne gehabt hätte. Auch wenn sie ein Vampir war, genoss sie es, wenn männliche Wesen, ob nun Mensch oder Vampir, sie begehrten. Sie liebte ihren Körper.

Vor dem Eingang des Black Widow wurde Vanessa von einem der Türsteher am ganzen Körper abgetastet. Dies machte dem Burschen offenkundig riesigen Spaß und er ließ seine Hände an bestimmten Stellen ihres anbetungsvollen Körpers ein bisschen länger als notwendig verweilen. Die drei Türsteher arbeiteten vorher für den Secret Service, zum Schutz des Präsidenten der USA. Nach der ersten Amtszeit des schwarzen Präsidenten, verließen sie Washington und erledigten nun deutlich besserbezahlte Jobs für den Polizeichef in Chicago. Der Präsident hatte ein gutes Wort für die ehemaligen Agenten eingelegt, denn der Polizeichef war ein enger Freund des Präsidenten, der ja selbst längere Zeit in Chicago gelebt hatte.

Als der Türsteher einen Blick in die Handtasche werfen wollte, schaute der Vampir ihm hypnotisch in die Augen und brachte ihn dazu, auf die Durchsuchung zu verzichten. Es wäre nicht so gut gekommen, wenn er die 38er in der Tasche gefunden hätte! Neben einer enormen körperlichen Stärke besaß Vanessa noch die hilfreiche Fähigkeit die Gedanken von Menschen zu manipulieren. Dies bewahrte sie regelmäßig vor größerem Ärger. Sie gab dem Türsteher zum Dank ein Küsschen auf die Wange und stieg dann die Treppe zum Club herunter. Das Black Widow war auch um drei Uhr morgens noch sehr gut besucht. Den Club hatte es vor zwanzig Jahren schon gegeben. Auf den ersten Blick konnte Vanessa – seit ihrem letzten Besuch – nicht viele räumliche Veränderungen erkennen. Nur das Publikum schien in den letzten zwei Jahrzehnten noch einen Tick jünger und wohlhabender geworden zu sein; wenn man den teuren Fummel und die Klunker als Maßstab nahm, den die jungen Frauen am Leibe trugen. Es war einer dieser Läden, in denen sich sowohl Gangsterbosse als auch Größen beliebiger legaler Branchen vergnügten. Daher fiel den Türstehern eine besonders wichtige Aufgabe zu. Von den Gangstern, die sich gerade auf freiem Fuß befanden oder noch nicht in den Bau eingefahren waren, durften immer nur die Leute rein, die auf einer speziellen Liste standen. Diese wechselte nahezu täglich. Bosse konkurrierender Gangs und ihr Anhang wurden niemals zeitgleich in den Club gelassen. Der Clubbesitzer kannte den Polizeichef von Jugend auf und erhielt immer die neuesten Informationen. In seinem Club verhielten sich auch die Gangster gesittet. Sie genossen es, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Fast jeder männliche Besucher des Black Widow versuchte den anderen zu demonstrieren, dass er der Größte seiner Zunft wäre. Sei es mit teuren Uhren, Gratisrunden oder einfach nur mit den schönsten und bestgekleideten Mädels als Begleitung an seiner Seite. Vanessa passte mit ihrem Outfit und jugendlichem Aussehen daher perfekt ins Black Widow und würde nicht verdächtig erscheinen. Der Club pulsierte vor Leben. Die Tanzfläche war gut besucht, und das rhythmische Dröhnen der Bässe schien einem ins Blut zu kriechen. Vanessa ging auf die Tanzfläche und begann sich zu der Musik zu bewegen. Langsam, geschmeidig, wie ein Raubtier! Es dauerte nicht lange und sie hatte einige Männer durch ihre grazilen Bewegungen auf der Tanzfläche auf sich aufmerksam gemacht. Sie schaute sich unauffällig um und sah Rufus an einem Tisch mit drei Leuten aus seiner Gang sitzen. Sie tranken Whisky. Seine Blicke wanderten nur scheinbar ziellos umher. Er wartete offensichtlich auf jemanden. Der Drogendeal schien unmittelbar bevorzustehen. Kurze Zeit später gab der Barkeeper Rufus ein Zeichen. Der Bandenchef und seine drei Begleiter standen auf und stiegen die Stufen einer Treppe hinauf, welche zum VIP-Bereich führte. Nun müsste es Vanessa nur noch gelingen, selbst unauffällig in den Bereich vorzudringen. Ihr Ziel war es, Rufus die Drogen nach der Geldübergabe abzunehmen. Dies war nämlich der Auftrag, den sie auszuführen hatte. Und das für schlappe einhunderttausend Dollar Honorar. Einen solch lukrativen Auftrag hatte sie vorher noch nicht erhalten.

Der steinreiche Auftraggeber Marcus Cavello, ein Casinobesitzer aus Las Vegas, scheute keine Kosten und Mühen Rufus das Leben zur Hölle zu machen. Vor einigen Wochen war seine Tochter Alison an einer Überdosis Heroin gestorben. Sie hatte in Chicago begonnen, Kunstgeschichte zu studieren. Alison erhielt die offenbar verunreinigten Drogen direkt von Rufus, wie Vanessa mit detektivischem Spürsinn ermittelte. Daher sann Cavello auf Rache. Er traute der Chicagoer Polizei nicht über den Weg und nahm die Sache deshalb selbst in die Hand. Völlig zu Recht, wenn man Vanessa fragte. Ihr Vertrauen in die Polizei von Chicago hielt sich auch in sehr engen Grenzen. Vor zwanzig Jahren geriet sie mehrmals in den Clinch mit den Uniformierten auf der Straße und den Anzugträgern von der Kriminalpolizei. Die Korruption bei den Bullen kannte in Chicago ohnehin keine Grenzen.

Trotz seiner Rachegelüste wollte Cavello Rufus nicht töten lassen, sondern nur dessen kleines Imperium zu Fall bringen. Da zeigte sich wieder einmal die Doppelmoral bei den Menschen. Solange niemand aus dem eigenen Umfeld durch Drogen zu größerem Schaden kam, wurde der Gebrauch stillschweigend toleriert. Sobald aber etwas Schlimmes passierte und jemand starb, richtete sich der Zorn gegen die Drogendealer. Vanessa hatte nie verstanden, warum es illegal sein sollte, bestimmte Drogen zu vertreiben oder zu konsumieren. Alkohol wurde schließlich auch legal verkauft und getrunken. Jeder sollte selbst entscheiden, was er mit seinem Leben anfing. Ihre eigene Droge war das menschliche Blut. Überleben konnten Vampire notfalls auch durch den Verzehr von Tierblut oder des synthetischen Blutes, welches seit einigen Jahren in großen Mengen hergestellt wurde. Aber dieses Gesöff lieferte ihr keine wirkliche Befriedigung. Es diente nur als Nahrung, wenn sie gerade nicht auf frisches Menschenblut zugreifen konnte.

Sie wurde von Cavello engagiert, um Rufus den ersten deftigen Schuss vor den Bug zu geben, in dem sie ihm eine größere Menge Heroin abnahm. Dies gehörte eigentlich nicht unbedingt zum Job einer Privatdetektivin, aber Vanessa übernahm praktisch jeden Auftrag, der genügend Geld und ein bisschen Abwechslung versprach. Wer würde nicht gerne einem der größten Drogendealer der Stadt ins Handwerk pfuschen und dabei noch eine Stange Geld verdienen? Etwas klassische Detektivarbeit fiel nebenbei auch noch an. Dabei kam heraus, dass Rufus eine sexuelle Beziehung zu Alison unterhalten und ihr die Drogen geschenkt hatte. Diese Information behielt die Privatdetektivin erst einmal für sich. Ansonsten würde Marcus Cavello den Gangsterboss sicher nicht mehr lange leben lassen und seine Tochter nicht in so guter Erinnerung halten können. Ein Vater wollte nach dem Tod seiner Tochter nicht erfahren, dass diese eine engere Verbindung mit dem Anführer einer Bande schwarzer Verbrecher aus South Sideeingegangen war. Das hätte Vanessa eigentlich egal sein sollen, aber sie wollte nicht, dass Marcus Cavello zum Mörder würde. Sollte sie auf ihre alten Tage tatsächlich sentimental geworden sein? Ganz sicher war sie sich über die Beweggründe ihres eigenen Handelns nicht. Früher hatte sie sich viel weniger Gedanken über ihre Taten gemacht. Seit der Zeit, die sie mit Audrey Weaver verbrachte, war sie aber deutlich nachdenklicher geworden. Dies machte das Leben nicht unbedingt einfacher. Vielleicht wollte sie nur vermeiden, dass Cavello ins Gefängnis käme und sie das Honorar unter Umständen nicht mehr erhalten würde? Oder sie mochte einfach nur den Bandenchef vor dem Tod bewahren. Denn dieser hatte nach ihren Informationen auch noch niemanden bewusst getötet. Sie war überzeugt davon, dass der Tod von Cavellos Tochter ein Unfall gewesen und nicht geplant war.

Vanessa erkannte im Black Widow einen flüchtigen Bekannten – zum Glück ohne weibliche Begleitung – an der Theke einen Drink in sich hineinschütten und setzte sich in Bewegung. Sie täuschte ein tölpelhaftes Stolpern vor und landete sanft in den kräftigen Armen von Richard Saunders. Dieser gehörte früher einmal zu den erfolgreichsten und bekanntesten Anwälten der Stadt; mit sehr engen Kontakten zu Rufus und seinen Leuten.

„Hey, Kleine. Pass doch auf.“

„Danke, Richie, dass du mich aufgefangen hast. Du bist der Beste!“

Die Privatdetektivin vermittelte den Eindruck, dass sie schon einige alkoholische Getränke zu sich genommen hatte und sich nach körperlicher Nähe sehnte. So wollte Vanessa Richard dazu bewegen, sie mit in den VIP-Bereich zu nehmen. Der Anwalt konnte sich selbst kaum noch auf den Beinen halten. Er schien bereits eine Menge intus zu haben; er vertrug entweder nicht allzu viel Alkohol oder härtere Drogen waren in seine Blutbahn gelangt.

„Na, wie ist es, Vanessa? Du siehst heute richtig geil aus. Wollen wir nach oben gehen und es uns in einem der VIP-Räume mal so richtig gemütlich machen?“, fragte Richard Saunders mit lüsternen Blick. Normalerweise müsste er für Frauen mit Vanessas jugendlichem Aussehen viel Geld auf den Tisch legen, damit sie mit ihm in die Kiste stiegen. Schließlich war er zweiundfünfzig Jahre alt und körperlich nicht mehr in allerbester Verfassung. Er hatte in den letzten Jahren einiges an Gewicht zugelegt und dem Alkohol ein bisschen zu viel zugesprochen. Als Frauenschwarm ging er mit Sicherheit nicht mehr durch.

Das klappte ja noch besser als erhofft, dachte Vanessa und küsste den Anwalt auf den Mund, was Richard zu Recht als Ja deutete. Er betatschte ihren Hintern und führte sie zur Treppe, über die man zum VIP-Bereich nach oben gelangte. Dort zeigte er zwei muskulösen Anzugträgern seine Platincard. Diese berechtigte dazu, den exklusiveren Bereich des Black Widow zu betreten.

In diesem Bereich befanden sich fünf Räume unterschiedlicher Größe, die alle schallisoliert waren. So sollte die Privatsphäre der VIPs gewährleistet werden, wenn es denn einmal lauter wurde. Neben einem Zimmer, das nicht viel mehr enthielt als ein gigantisches Wasserbett, gab es Räume, in denen auch geschäftliche Transaktionen von einer größeren Anzahl an Personen abgewickelt werden konnten. Oder es wurden einfach nur private Feiern in den Räumen abgehalten, die nicht selten zu Orgien mit extensivem Drogenkonsum ausarteten. Vanessa hatte selbst an einer dieser ausschweifenden Feiern vor zwanzig Jahren teilgenommen. Allerdings stand auf ihrer Feier damals menschliches Blut auf der Speisekarte. Von daher hatte sie den VIP-Bereich in guter Erinnerung behalten.

Im Hauptbereich des Clubs wurde dagegen peinlich genau darauf geachtet, dass keine illegalen Drogen konsumiert wurden oder über den Tisch gingen. Der Schein eines seriösen Clubs sollte natürlich aufrecht erhalten bleiben. Insbesondere für die wohlhabenden Touristen, die als gern gesehene Gäste im Black Widow galten und eine Stange Geld zurück ließen.

Einen Durchsuchungsbefehl für den VIP-Bereich hatte noch kein Richter ausgestellt. Dies führte dazu, dass dort immer häufiger zwielichtige Geschäfte abgewickelt wurden. Auch Rufus nutzte für seine Geschäfte den VIP-Bereich des Clubs regelmäßig.

Richard wollte natürlich in das Zimmer mit dem Bett, um sich mit Vanessa zu vergnügen. Diese erlaubte ihm das auch. Denn Rufus befand sich immer noch im Meeting mit dem Drogenlieferanten aus Kolumbien. Die Bodyguards bewachten die Tür, hinter der sich der Boss aufhielt. Sie warfen nur einen kurzen Blick auf die beiden offenbar betrunkenen und eng aneinander geschmiegten Turteltauben, so dass sie Vanessa nicht ohne weiteres wieder erkennen würden. Um keinen Verdacht zu erregen ging die Detektivin mit dem Anwalt ins Zimmer. Nachdem Richard die Tür geschlossen und sich ausgezogen hatte, nahm sie ihn solange in den Schwitzkasten, bis er bewusstlos war. Anschließend öffnete Vanessa die Tür wieder einen winzigen Spalt breit, um hören zu können, was sich auf dem Flur tat. Wenige Minuten später vernahm sie das laute Lachen von Rufus, als er den Lieferanten des Heroins verabschiedete. Der Deal schien erfolgreich abgeschlossen worden zu sein. Rufus rief seinen Stellvertreter zu sich ins Zimmer. Die anderen beiden Gangmitglieder hielten weiter die Tür und die Treppe im Auge. Allerdings nicht den dunklen Flur, von dort erwarteten sie keine Gefahr. Vanessa begab sich auf den Flur, ohne das leiseste Geräusch zu verursachen. Die Detektivin bewegte sich blitzschnell auf die Gangster zu, um sie dann mit gezielten Schlägen auszuknocken. Die Schläger hatten ihr den Rücken zugedreht, so dass sie nicht erkennen konnten, wer sie in ins Land der Träume beförderte. Sie waren ohne Chance geblieben zu reagieren. Dafür hatte der Vampir zu schnell gehandelt.

Anschließend schleppte die Detektivin die beiden in das Zimmer, in dem Richard regungslos auf dem Bett lag. Bisher lief alles reibungslos. Nun kam allerdings der schwierige Teil der Arbeit. Vanessa musste Rufus das Heroin abnehmen, ohne dabei jemanden zu töten. Freiwillig würden Rufus und sein Stellvertreter ihr die Drogen aber wohl kaum überlassen. Ganz ohne Gewalt dürfte es also nicht funktionieren. Der Flur war nun menschenleer und sie schritt zu dem Zimmer, in dem sich Rufus und sein Stellvertreter Mighty Mike aufhielten. Sie hämmerte heftig gegen die verschlossene Tür, an der ein Guckloch angebracht war. Rufus sah aus dem Inneren des Raumes, wer da wie wahnsinnig an die Tür klopfte. Er öffnete die Tür, um der jungen Frau, die er für total betrunken und ungefährlich hielt, kräftig die Leviten zu lesen. Dazu kam es allerdings nicht. Vanessa schubste ihn brutal in den Raum und schloss die Tür hinter sich. Mighty Mike reagierte erstaunlich schnell und feuerte fast sofort. Aber der Schuss war nicht gut genug gezielt und ging einen halben Meter über Vanessa hinweg. Sie hatte solch eine Reaktion erwartet, zog die 38er aus ihrer Handtasche und einen Sekundenbruchteil später krachte erneut ein Schuss. Die Kugel fuhr Mike in den rechten Arm. Er schrie auf vor Schmerz, versuchte noch einmal die Waffe hochzureißen, aber der Arm gehorchte ihm nicht mehr. Die Waffe fiel krachend zu Boden, während Blut durch seinen edlen Zwirn sickerte. Rufus redete nun mit weit aufgerissenen Augen auf den Störenfried ein:

„Was fällt dir ein, du Fotze? Weißt du denn nicht, mit wem du es hier zu tun hast? Ich werde dir die Haut vom Leib ziehen und dir das Herz rausreißen.“

Rufus schien unbewaffnet, zumindest machte er keine sichtbaren Anstalten nach einer Waffe zu greifen. Vielleicht handelte es sich bei ihm nur um einen Maulhelden, dachte Vanessa. Oder er war nicht lebensmüde. Sie sagte kein einziges Wort, sondern drückte stattdessen wieder den Abzug des Revolvers und verpasste Rufus eine Kugel in die Schulter. Sie hasste es wirklich, Beleidigungen zu ertragen! Und als Fotze wollte sie schon gar nicht bezeichnet werden. Also waren die Schmerzen, welche Rufus erleiden musste, in ihren Augen absolut gerechtfertigt. Der Koffer mit dem Heroin lag auf dem Tisch. Bevor Vanessa nach ihm griff, löschte sie noch die Erinnerungen der beiden Gangster und schickte sie ins Land der Träume.

Sie verlor fast die Kontrolle, als ihr der Geruch von dem Blut der Verletzten in die Nase stieg und sofort ihre Gedanken zu beherrschen drohte. Sie stellte sich vor, wie süß der rote Lebenssaft auf ihrer Zunge schmecken würde. Nur gut, dass sie in dieser Nacht bereits von Big Joe reichlich getrunken hatte. So brachte sie sich mit größter Willenskraft wieder unter Kontrolle und fiel nicht über die beiden schwarzen Drachen her, um diese auszusaugen.

Vanessa lief zurück in das Zimmer, in dem sie Richard und die beiden Bodyguards bewusstlos zurückgelassen hatte. Dort öffnete sie das Fenster und sah in einen Hinterhof; kletterte herunter und deponierte den Koffer mit dem Heroin an einer nur schwer einsehbaren Stelle hinter einem riesigen Müllcontainer. Dies sollte als Versteck für die nächsten Minuten ausreichen. Der dunkle Hinterhof lud nicht gerade dazu ein, sich dort aufzuhalten. Außerdem war es in dieser Nacht klirrend kalt. Der Vampir setzte zu einem gewaltigen Sprung an, um wieder ins Zimmer zu gelangen. Vanessa zerrte die Bodyguards vor den Raum, in dem sich Rufus aufhielt und legte sich dann zu Richard ins Bett. Vorher entledigte sie sich noch all ihrer Kleider. Sie weckte dann den Anwalt ganz sanft, schaute ihm hypnotisch in die Augen und suggerierte ihm ein wohliges Gefühl.

„Möchtest du noch eine Nummer schieben? Du bist so ein toller Liebhaber. Der Beste, den ich jemals hatte!“

Richard schaute erst verdutzt um sich und versuchte sich an die letzte halbe Stunde zu erinnern. Er betrachtete ausgiebig den nackten Körper seiner schönen Gespielin. Sie hatte langes schwarzes Haar, das wunderbar glänzte. Perfekte Rundungen und kein Gramm Fett, wo es nicht hingehörte. Ihre Augen strahlten in einem hellen Blau und ihre sinnlichen Lippen waren tiefrot geschminkt. Voller Begierde zog Richard Saunders die Detektivin auf sich und erwiderte grinsend: „Aber sicher, Baby! Dafür sind wir doch hier.“

An den folgenden Teil der Nacht würde sich der Anwalt noch lange lustvoll erinnern. Ihr perfekter Körper machte es wirklich einfach, Männer zu verführen, dachte Vanessa zum wahrscheinlich hundertsten Mal. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass es jemals einen Menschen gegeben hätte, der nicht bereit gewesen war, mit ihr zu schlafen.

Die Bodyguards Eddie und Jerome wachten kurze Zeit später auf und stürmten in das Zimmer, in dem Mighty Mike und Rufus noch bewusstlos und blutend am Boden lagen. Eddie griff sofort zum Telefon und rief in der Notaufnahme des Mercy Hospital and Medical Centre an, um zwei Opfer mit Schusswunden anzukündigen. Eddie hatte die Nummer des Krankenhauses auf Kurzwahl. Es kam ja ständig vor, dass jemand von ihnen sich eine Kugel einfing. Ihn selbst hatte es auch schon zweimal erwischt. Zum Glück jedoch nur Fleischwunden, die keine bleibenden Schäden hinterlassen hatten. Die angrenzenden VIP-Räume waren unbesetzt gewesen, so dass Rufus und Mighty Mike – ohne größeres Aufsehen zu erregen – abtransportiert werden konnten. Der VIP-Bereich hatte einen separaten Ausgang, der von drei schwer bewaffneten Sicherheitskräften bewacht wurde. Allerdings standen sie draußen vor der Tür, so dass sie nicht verfolgen konnten, was sich im VIP-Bereich abgespielt hatte. Den Gästen im unteren Bereich war auch nichts Verdächtiges aufgefallen.

Auf dem Weg ins nahegelegene Krankenhaus kamen die beiden Angeschossenen langsam wieder zu Bewusstsein.

Rufus fasste sich an die Schulter und fragte mit schmerzverzerrten Gesicht: „Was ist passiert?“

Eddie und Jerome schauten sich ungläubig an, bevor Eddie erwiderte: „Wir wurden bewusstlos geschlagen. Anschließend hat jemand auf euch geschossen und das Heroin geklaut.“

Rufus blickte entgeistert drein und konnte kaum glauben, was Eddie ihm da für eine abstruse Geschichte auftischte. Er selbst hatte überhaupt keine Erinnerung an das, was im Black Widow passierte, nachdem der Kolumbianer gegangen war.

„Wer hat uns in den Arsch getreten, Eddie?“

„Wir wurden von hinten attackiert, haben die Täter also nicht gesehen. Es waren sicher mindestens zwei, wenn nicht noch mehr. Sonst hätten Sie Jerome und mich nicht überwältigen können. Ihr müsst sie doch ins Zimmer reingelassen haben und wissen, wer es gewesen ist, Boss. An der Tür gab es nämlich überhaupt keine Spuren von Gewalteinwirkung.“

Rufus und Mighty Mike schüttelten vehement den Kopf und sagten, dass sie keinerlei Erinnerung an das Geschehene aufwiesen. Kurze Zeit später erreichten sie die Notaufnahme des Krankenhauses, wo man sich um die Angeschossenen kümmerte. Die beiden Gangster waren in dieser Nacht nicht die ersten Patienten, welche mit Schusswunden eingeliefert wurden. Es schien eine ganz normale Nacht für die Notaufnahme eines Chicagoer Krankenhauses zu werden. Erfreulicherweise gab es bisher zumindest noch keine Toten. Im Gegensatz zu der Nacht zuvor, in der es drei Jugendliche erwischt hatte und jede Hilfe zu spät kam.

Zur gleichen Zeit verließen Richard und Vanessa den VIP-Bereich des Black Widow und gingen in den Hauptbereich des Clubs herunter. Richard hatte nichts von der Schießerei mitbekommen und fühlte sich nach dem großartigsten Sex seines Lebens weiter in Partylaune. Noch dazu hatte er nicht einmal für die Zeit mit Vanessa bezahlen müssen. Er bestellte sich einen weiteren Drink, während die Detektivin dem Anwalt einen letzten Kuss gab und sich dann von ihm verabschiedete. Sie trat auf die Straße hinaus und schritt schnell zu dem Hinterhof, wo sie den Koffer mit dem Heroin deponiert hatte. Es war noch alles da. Vanessa fuhr anschließend mit den Drogen in ihre Wohnung, um dort die Zeit bis zum nächsten Sonnenuntergang in einem geschützten Raum zu verbringen.

Krankenhäuser waren dazu verpflichtet es der Polizei zu melden, wenn jemand mit einer Schussverletzung eingeliefert wurde. Gegen Mittag erschien Officer Aaron Reese vom Chicago Police Department, um Rufus und Mighty Mike zu befragen. Eine Krankenschwester führte ihn in das Zimmer, in dem die beiden Gangster zusammen untergebracht waren. Der Polizist grinste, als er in den Raum trat und den riesigen Verband an der Schulter von Rufus erblickte.

„Was gibt es zu grinsen, Bulle?“

Rufus gefiel es überhaupt nicht von der Polizei befragt zu werden und schon gar nicht von Aaron Reese. Er würde ihm einige Lügen bezüglich seiner Schussverletzung auftischen müssen.

„Ich freue mich auch dich zu sehen, alter Knabe“, erwiderte Reese weiterhin grinsend. Der schwarze Polizist war gemeinsam mit dem Bandenchef in South Side aufgewachsen. Während Rufus – wie fast alle anderen aus der Gegend – auf die schiefe Bahn geraten war, gelang es Aaron Reese den Absprung aus dem Viertel rechtzeitig zu schaffen. Er arbeitete nun seit einigen Jahren für das Chicago Police Department. Aaron trug seine Uniform voller Stolz, der rauhe Alltag glich beinahe dem Kampf gegen Windmühlen. Zerrüttete Familien, Bandenkriege, Drogentote, Raubmorde. Für jeden Ganoven, den man überführte, schien ein anderer aufzutauchen. Und trotzdem tat er, was er tat, und gab auf, was er aufgeben musste. Sein Vater hatte ihm beigebracht, dass man immer einen Preis dafür zahlen musste, wenn man für die Dinge einstand, an die man glaubte. Aaron hatte fast alle Freunde verloren, als er sich entschied, ein Polizist zu werden und South Side zu verlassen. Trotzdem hatte er diesen Schritt niemals bereut. Viele seiner ehemaligen Kumpels versauerten entweder im Knast oder waren gar nicht mehr am Leben. Nur finanziell ging es dem Polizisten deutlich schlechter als den Anführern der Straßengangs. Diese schwammen teilweise richtig im Geld, während er mit seinem mickrigen Gehalt kaum über die Runden kam und an jedem Monatsende froh sein konnte, wenn er noch schwarze Zahlen schrieb und seine Miete bezahlen konnte.

„Erzählt doch mal, wie ihr euch die Kugeln eingefangen habt, Rufus. Wer hat euch in den Arsch gefickt?“

Der Anführer der schwarzen Drachen blickte seinen früheren Kumpel angewidert an. Er konnte nicht vergessen, dass es Aaron in der Vergangenheit mehrmals abgelehnt hatte, sich von Rufus schmieren zu lassen, um Beweise zu manipulieren. Reese schien zu den ganz wenigen Cops zu gehören, die nicht korrupt waren. Diesmal versuchte Rufus erst gar nicht einen Gefallen einzufordern, sondern tischte dem Polizisten eine Lüge nach der anderen auf.

„Einer unserer Soldaten hat seine 38er gereinigt, dabei haben sich zufällig zwei Schüsse gelöst. Mighty Mike und ich waren dummerweise in der Schussbahn. Shit happens!“

Als Soldaten wurden häufig die Gangmitglieder bezeichnet, die in erster Linie für den Schutz der anderen Mitglieder verantwortlich waren und sich weniger um den Vertrieb der Drogen kümmerten.

Officer Reese schüttelte verwundert den Kopf und erwiderte: „Das kann doch nicht dein Ernst sein, Rufus. Es handelte sich also bloß um einen unglücklichen Zufall?“

„Ganz genau, Aaron. Du kennst doch Jerome, der war schon immer ziemlich tollpatschig.“

Reese kannte Jerome ziemlich gut und hatte ihn nicht als Tölpel im Gedächtnis behalten. Eher als einen hervorragend trainierten Schläger, der in jungen Jahren als Boxer sogar einige Erfolge im Schwergewicht gefeiert hatte. Solange bis er in einen Wettskandal verwickelt worden war und seine Boxlizenz verlor. Erst danach kehrte er wieder nach South Side zurück und hatte sich der Gang von Rufus angeschlossen. Dort konnte er seine Aggressionen abbauen und Leute verprügeln. Und wurde dafür auch noch fürstlich entlohnt. Er war der Mann fürs Grobe. Rufus vertraute ihm offenbar blind. Ansonsten würde ihn der Bandenchef nicht als angeblichen Unglücksschützen nennen.

„Na gut, dann werde ich mich mal mit Jerome unterhalten und checken, ob er eure Geschichte bestätigen kann. Wir sehen uns sicher bald wieder. Ich soll dich übrigens von meiner kleinen Schwester Emilia grüßen, Rufus. Sie und Melissa waren mal wieder gemeinsam shoppen. Wundere dich also nicht, wenn deine Kreditkarten am Limit sind.“

Der Officer wusste natürlich, dass die Story, die ihm aufgetischt wurde, totaler Bullshit war. Aber es wäre reine Zeitverschwendung gewesen, zu versuchen, Rufus die Wahrheit zu entlocken. Daher machte sich Reese auf den Weg, um mit Jerome zu sprechen. Danach würde er die Schussverletzungen der Ganoven zu den Akten legen. Es gab wichtigere Fälle, dachte der Polizist. Außerdem wollte er seinem alten Kumpel Rufus keine unnötigen Schwierigkeiten bereiten. Sie waren schließlich einmal die besten Freunde gewesen, und er kannte dessen Frau Melissa ganz gut. Er wollte nicht derjenige sein, der den Bandenchef ins Gefängnis bringt und die Ehefrau zu einer alleinerziehenden Mutter machte. Aarons Mutter und seine jüngere Schwester Emilia lebten auch noch in der Nachbarschaft von Rufus und sollten nicht seinetwegen unnötig in Gefahr geraten. Solange der Anführer der Black Dragons nicht einen Mord beging, würde Aaron ihn in Ruhe lassen. Der Verkauf von Drogen gehörte seit Jahrzehnten zu der Gegend – wie das Amen in der Kirche – und wurde von den meisten Polizisten toleriert. Solange keine unnötige Gewalt angewendet wurde. Damit hatte auch Reese überhaupt kein Problem. Er selbst konsumierte keine illegalen Drogen, er beließ es bei alkoholischen Getränken. Davon nahm er allerdings reichlich zu sich. Ansonsten wäre das Leben eines Cops auch kaum zu ertragen! Auch wenn ihm der Job Spaß machte, musste er doch ziemlich viel Leid sehen und da half der Alkohol einige Bilder zu vergessen.

Kurz nach Sonnenuntergang rief Vanessa den Casinobesitzer an. „Hallo Mister Cavello, hier spricht Vanessa Valpecca“.

„Ah, Miss Valpecca. Ich hatte schon sehnsüchtig auf Ihren Anruf gewartet.“

„Ich habe die Ware bekommen. Wann möchten Sie die Päckchen in Empfang nehmen?“

„Wie haben Sie das nur geschafft? Meine Freunde bei der Polizei haben mir berichtet, dass Rufus und einer seiner Bodyguards leichte Schusswunden erlitten haben und im Krankenhaus liegen. Haben Sie Hilfe von Kollegen gehabt?“

„Berufsgeheimnis“, erwiderte sie frohgelaunt.

„Es ist wohl auch besser, wenn ich nicht zu viel von Ihrer Arbeitsweise erfahre. Hauptsache, Rufus hat Sie nicht erkannt und wird Sie nicht bis ans Ende Ihrer Tage jagen. Ganz ungefährlich scheinen mir die schwarzen Drachen nicht zu sein. Rufus erstattet wegen der Schießerei natürlich keine Anzeige gegen Unbekannt. Er faselte im Krankenhaus gegenüber der Polizei davon, dass es sich um einen Unfall gehandelt hat, als einer seiner Bodyguards die Waffen reinigte. Die Schüsse hätten sich dabei von selbst gelöst. Die Polizisten konnten noch nicht mal jemanden wegen illegalen Waffenbesitzes verhaften. Denn einer dieser Nigger besitzt tatsächlich einen Waffenschein. Ist das zu glauben? Wie kann denn ein Bandenmitglied in Chicago legal eine Waffe besitzen? Muss er erst jemanden erschießen? Den Verlust des Heroins konnte Rufus aus verständlichen Gründen auch nicht melden. Er wird bestimmt ziemlich angepisst sein. Ich hätte sein Gesicht gerne gesehen, als Sie ihm die Drogen abnahmen.“

Vanessa stellte sich das lächelnde Gesicht von Cavello vor und musste selbst grinsen, als sie sich an den verdutzten und verängstigten Gesichtsausdruck von Rufus in der letzten Nacht erinnerte.

„Dann lassen wir das mal so stehen, dass es sich um einen Unfall gehandelt hat.“ Ihr Grinsen wurde noch breiter. „Wo soll ich die Ware denn hinbringen, Mister Cavello?“

„Am besten Sie kommen ins Hilton auf der Michigan Avenue. Ich bewohne dort eine Suite, solange bis ich Chicago wieder Richtung Las Vegas verlasse. Passt Ihnen zweiundzwanzig Uhr für einen Besuch?“

„Ganz hervorragend. Bis später.“

Vanessa legte das Telefon zur Seite und freute sich über den größten Scheck in ihrer Laufbahn als Privatdetektivin, den sie hoffentlich bald in den Händen halten durfte. Damit könnte sie die unverschämt hohe Miete für die luxuriös eingerichtete Wohnung und die Kosten für ihre exklusiven Kleider bestreiten. Ihre Einstellung zu schöner und exklusiver Kleidung unterschied sich kaum von menschlichen Frauen. Vanessa liebte es einfach shoppen zu gehen. Und das tat sie auch sehr ausgiebig. Insbesondere in der dunklen Jahreszeit, da sie dann mehr Zeit in den Geschäften nach Sonnenuntergang verbringen konnte. Sie verstand die Frauen nicht, die online ihre Klamotten orderten und sich dem Spaß verweigerten durch die Boutiquen zu schlendern.

Wenige Minuten vor zehn schlenderte Vanessa auf dem Weg ins Hilton auf der Michigan Avenue und beobachtete den Menschenstrom, der sich auch um diese Zeit noch durch die Straßen zog. Als Heimat des Chicago Water Tower, dem Art Institute of Chicago, dem Millenium Park und dem High-End-Shopping auf der Magnificient Mile war die Michigan Avenue sowohl den Einheimischen als auch den Touristen ein Begriff. Im Hilton angekommen meldete sie ihr Erscheinen an der Rezeption. Eine der beiden Empfangsdamen rief in der Suite von Mister Cavello an, damit sie abgeholt würde. Nur drei Minuten später erschien Marcus Cavello persönlich und begrüßte die Privatdetektivin mit einem freundlichen Lächeln. Sie hatten sich zuvor erst einmal in ihrer Detektei getroffen. Im Vergleich zum letzten Treffen sah er diesmal wesentlich entspannter aus. Der Casinobesitzer schien den Tod seiner Tochter langsam verkraftet zu haben und strahlte eine gewisse Selbstzufriedenheit aus. Aber der äußere Eindruck täuschte auch häufig. Er trug einen dunkelblauen Anzug und eine rote Krawatte. Mit seinen breiten Schultern, kalten dunklen Augen und einer Körpergröße von mehr als eins-neunzig wirkte er fast ein bisschen einschüchternd. Ein Casino erfolgreich am Laufen zu halten, war sicher auch kein Zuckerschlecken. Da musste er Stärke zeigen.

„Hallo, Mister Cavello, schön Sie zu sehen“, begann die Detektivin das Gespräch.

„Ganz meinerseits, meine Liebe. Sie sehen einfach umwerfend aus. Lassen Sie uns in die Hotelbar gehen und auf Ihren phänomenalen Erfolg anstoßen. Ich nehme an, die Ware befindet sich in dem Koffer?“

Die beiden schlenderten in die nur halb gefüllte Hotelbar und setzten sich an einen Ecktisch, der sich etwas abseits von den anderen Tischen befand. So konnten sie sich ungestört unterhalten und niemand nahm daran Anstoß, dass Vanessa einen großen abgenutzten Koffer mit sich rumschleppte.

„Genau“, erwiderte sie und reichte Cavello den Koffer mit dem Heroin.

„Was werden Sie mit den Drogen machen, Mister Cavello?“

„Ich werde sie der Polizei übergeben, damit sie aus dem Verkehr gezogen werden. Was haben Sie denn gedacht, meine Liebe? Dachten Sie etwa, ich will das Heroin behalten und es mit nach Las Vegas nehmen? Ich bin doch kein Drogendealer.“

Innerlich schüttelte Vanessa verwundert den Kopf. Wenn sie Rufus aus dem Geschäft hinausdrängen wollte und an Cavellos Stelle gewesen wäre, hätte sie das Heroin sicher nicht einfach der Polizei übergeben. Stattdessen hätte sie es wohl einem Konkurrenten von Rufus in die Hand gedrückt oder selbst in Las Vegas unter die Leute gebracht. Mit dem Verkauf des Heroins hätte er auch das Geld wieder eingespielt, welches die Detektivin als Honorar von ihm erhalten sollte. Geldsorgen schien Cavello augenscheinlich nicht zu haben, wenn er die Drogen so einfach der Polizei überließ. Wahrscheinlich brachte ihm sein Casino riesige Gewinne ein. Aber das sollte nicht Vanessas Sorge sein. Sie hatte den Auftrag zur vollsten Zufriedenheit des Klienten erledigt und war damit um einhunderttausend Dollar reicher. So schnell kam man als Privatdetektivin nur selten an solch eine große Summe Geld.

„Besuchen Sie mich doch einmal in Las Vegas, wenn ich wieder dort bin. Für gute Privatdetektive habe ich immer einen lukrativen Job, der erledigt werden muss. Und nennen Sie mich bitte Marcus, liebe Vanessa.“

„Gute Idee. Ich komme sehr gerne nach Las Vegas. Ich bin tatsächlich noch niemals dort gewesen, Marcus.“

Las Vegas schlief nie – genau wie New York. Von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang glitzerte das grelle Neonlicht in der Wüstenlandschaft. Las Vegas pulsierte in seinem eigenen Rhythmus, sieben Tage die Woche, vierundzwanzig Stunden am Tag. Das Herz der Stadt hämmerte in harten Schlägen jeden neuen Morgen entgegen. Viele Einwohner der Stadt arbeiteten nachts: als Croupier im Bellagio, als Verkäufer im Laden an der Ecke, als Polizist oder als Tänzerin in einem der zahlreichen Striplokale abseits des berühmtem Boulevard „The Strip“.

Sie schüttelte Cavello zum Abschied die Hand und verließ das Hotel total zufrieden. So machte der Job als Privatdetektivin richtig Spaß.

4. Februar

Nachdem Vanessa das Heroin bei Marcus Cavello im Hilton abgeliefert hatte, fuhr sie wieder nach Hause, um die Nacht ruhig ausklingen zu lassen. Es waren noch einige Flaschen synthetischen Blutes im Kühlschrank, so dass in dieser Nacht kein frisches Blut besorgt werden musste.

Plötzlich klingelte das Haustelefon. Frank Moreno, der Nachtportier des Gebäudes, teilte ihr mit, dass ein gewisser Johnny sie sehen wollte. Frank wunderte sich mittlerweile nicht mehr darüber, dass sie nachts Männerbesuch bekam, und zwar ständig wechselnden. Wahrscheinlich hielt er sie für ein Luxus-Callgirl. Das Gegenteil war allerdings der Fall. Vanessa lud sich regelmäßig Callboys im Alter von achtzehn bis fünfundzwanzig Jahren ein, um Spaß zu haben und sich anschließend von ihnen zu nähren. So musste keine Gewalt auf der Straße angewendet werden, um an den roten Lebenssaft zu kommen. Gleichzeitig konnte sie sich auch noch ein bisschen vergnügen. Außerdem baute sie keinen engeren Kontakt zu einzelnen Menschen auf. Das wäre mit unnötigem Stress und einer Reihe von Lügen verbunden, um ihre Existenz als Vampir nicht zu verraten. Darauf konnte sie getrost verzichten und so zahlte sie eben regelmäßig für Sex. Sie fand daran nichts Anstößiges.

Ein breites Lächeln umspielte ihre blutroten Lippen, als sie Johnny vom Fahrstuhl abholte und in die Wohnung führte. Er trug einen ultralangen Mantel aus schwarzem Wildleder, schwarze Jeans und einen schwarzen Rolli. Sein pechschwarzes Haar reichte ihm fast zu den Hüften. Johnny war nur wenige Jahre vor Vanessa von Sangus zum Vampir verwandelt worden. Sangus war bis vor wenigen Monaten der König der Finsternis und der älteste noch lebende Vampir gewesen, bevor er von Catherine Drake enthauptet wurde. Die beiden Untoten liefen sich in den letzten hundert Jahren gelegentlich über den Weg, aber es überraschte Vanessa doch, dass Johnny sie in ihrer Wohnung unangekündigt aufsuchte. So eng war ihre Beziehung bisher nicht gewesen. Aber sie hatte natürlich schon wesentlich unangenehmere Überraschungen erlebt.

„Süßer Johnny“, wisperte sie und beugte sich zu ihm vor. Ihre zarten Lippen streiften seine Wange. Er trat einen Schritt vor und gab sich dem Duft nach Limone und Ingwer hin. Sein Verlangen war entfesselt. Er wollte sie. Sofort! Seine Lippen fanden ihre, er küsste sie hungrig und seufzte voller Wollust. Sie umarmten sich innig und gingen voller Begierde ins Schlafzimmer. Johnny wurde seinem Ruf als Sexgott mehr als gerecht und Vanessa lieferte ihren Teil dazu, so dass sie beide Spaß hatten. Das hatte Vanessa gebraucht. Seit fast drei Monaten war sie mit keinem Vampir mehr in der Kiste gewesen. Erst danach stellte sie die Frage, welche ihr schon die ganze Zeit auf den Lippen lag.

„Was führt dich nach Chicago, Johnny?“

„Ich brauche deine Hilfe, Vanessa.“

Sie schaute ihn fragend an, ohne den geringsten Schimmer zu haben, wie sie einem mächtigen Vampir wie Johnny behilflich sein könnte.

„Ich habe Gerüchte gehört, dass Catherine sowohl Sangus als auch Cole töten ließ. Ich möchte, dass sie dafür zur Verantwortung gezogen wird und ich in die Vampirliga zurückkehren kann. Allein werde ich die Beweise nicht beschaffen können, um sie ans Kreuz zu nageln. Willst du mir helfen?“

Die Vampirliga stellte seit vielen Jahrhunderten die führende weltweite Organisation der Vampire dar und Catherine stand als erster weiblicher Vampir seit einigen Monaten an der Spitze.

Vanessa staunte nicht schlecht und starrte Johnny verständnislos an. Er wollte beweisen, dass das Oberhaupt aller Vampire zwei der größten Rivalen aus dem Weg geräumt hatte. Das grenzte schon fast an Größenwahn.

„Hast du noch alle Tassen im Schrank? Ich stehe tief in Catherines Schuld und habe versprochen, dass ich mich von anderen Vampiren fernhalte und aus ihrem Blickfeld verschwinde. Bei dem kleinsten Aufsehen, welches ich errege, hätte meine letzte Stunde geschlagen, Johnny. Ich kann dir also nicht helfen. Das Risiko gehe ich nicht ein. Ich möchte nicht einen Kopf kürzer gemacht werden. Ich habe schließlich nur einen. Du solltest auch nicht in meiner Nähe gesehen werden. Das könnte dir schaden.“

„Verdammt, du warst meine letzte Hoffnung. Ich weiß nicht, an wen ich mich sonst noch wenden könnte.“

„Mensch, Johnny. Bleib cool! Sie ist trotz allem, was vorgefallen ist, immer noch deine große Schwester. Ich bin mir sicher, sie hat dir mittlerweile längst vergeben, dass du sie im Stich gelassen und dich aus dem Staub gemacht hast. Es wäre das Beste für dich, wenn du nach Transsilvanien reist und dich mit ihr versöhnst. Sangus und Cole waren ja schließlich auch keine Waisenknaben und hatten den endgültigen Tod sicher mehr als verdient. Ich weine den beiden zumindest keine einzige Träne nach. Und so geht es vielen anderen Vampiren auch. Ich musste selbst einige Nächte mit Sangus in seinem Schloss verbringen und du kannst mir glauben, dass diese zu den schlimmsten Nächten meines langen Daseins gehörten. Er war ein Monster. Außerdem hat Catherine viele mächtige Vertraute, unter anderem deinen Bruder Juan. Den willst du sicher nicht gegen dich aufbringen, indem du Catherine verrätst.“

„Vielleicht hast du Recht. Ich habe es nämlich endgültig satt mich zu verstecken. Meinst du wirklich, Catherine würde meine Anwesenheit in Transsilvanien begrüßen und mich nicht für meine Feigheit bestrafen?“

„Davon bin ich felsenfest überzeugt. Ich bin sogar sicher, dass sie dir eine gehobene Stellung in der Vampirliga anbieten wird. Dein Bruder Juan ist schließlich das Oberhaupt der New Yorker Vampire. Dann hätte sie zwei mächtige Brüder an ihrer Seite, um die Herrschaft abzusichern. Außerdem liebt sie dich wie keinen zweiten Vampir. Aber bitte geh jetzt und lass mich allein.“

„Ok, Vanessa, danke für deinen Rat. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder.“

Johnny verließ die Wohnung und in Vanessa stieg wieder unbändiger Hass gegenüber Catherine Drake auf. Die Königin hatte sie aus der Vampirliga verbannt und den engeren Kontakt zu anderen Vampiren strikt verboten, so dass sie nun ein einsames und trauriges Dasein fristete; zumindest was den Kontakt zu Vampiren anging. Vielleicht hing mit ihrer Ausbootung auch der stärkere Hang zur Gewalt gegenüber den Menschen in der jüngeren Vergangenheit zusammen. Irgendwie musste ein Vampir seine Triebe ja ausleben und sich abreagieren. Aber der wieder erwachte Hass auf Catherine sollte ihr