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Victory Storm

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Blutige Verlockung

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Victory Storm

Blutige verlockung

Inhaltsverzeichnis

BLUTIGE VERLOCKUNG

PROLOG

ERSTER TEIL

BESUCH

VERÄNDERUNGEN

DAS TREFFEN

DER PAKT

DER SCHUTZ

ZWEITER TEIL

FREUNDE

GEFAHR

ISOLATION

OVERCLOCK

ERKLÄRUNGEN

ERKLÄRUNG

DRITTER TEIL

FAMILIE

RETTUNG

WEIHNACHTEN

ERBE

FLUCHT

BLUTIGE VERLOCKUNG

Victory Storm

Copyright: ©2020 Victory Storm

Übersetzer: Cornelia Mercuri

Verlag: Tektime

Coverbilder: Alessia Casale – AC Graphics

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Buches darf ohne Erlaubnis des Autors auf irgendeine Weise, durch Fotokopien, Mikrofilm oder auf andere Weise reproduziert oder verbreitet werden. Dieses Buch ist eine Fiktion. Die genannten Charaktere und Orte sind Erfindungen des Autors und sollen der Erzählung Wahrhaftigkeit verleihen. Jede Analogie zu lebenden, toten oder toten Tatsachen, Orten und Menschen ist absolut zufällig.

BLUTIGE VERLOCKUNG

BLUTSAGA

Wenn alle deine Gewissheiten zusammenbrechen und du nicht mehr weißt, wer du bist, bleibt dir nur noch die Flucht. Die Flucht vor ihnen und ihrer Blutgier... nach deinem Blut!

Vera hat gerade die Existenz von Vampiren entdeckt und muss nun flüchten. Auf einer Flucht zwischen Dublin und London wird Vera zur Beute einer blutigen und wilden Spezies, denn in ihrem Blut verbirgt sich die Waffe, um alle Vampire zu vernichten. Blake, einer der ältesten und stärksten Vampire der Welt, ist ihr auf der Spur, aber ihnen steht ein seltsames Schicksal bevor. Was ein Kampf zwischen Gut und Böse sein sollte, ist in Wirklichkeit eine seltsame und überwältigende Anziehungskraft, die ihr Leben verändern und Geheimnisse enthüllen wird, die in ihrer beider der Vergangenheit verborgen waren.

PROLOG

16. November 2018

„ Vera Campbell“

Ich nickte.

„ Siebzehn Jahre alt. Braune Haare und Augen, bleiches Gesicht, nicht besonders groß, fast schon zu zierlich … Kurz gesagt, gewöhnlich“ bemerkte die Mutter Oberin geringschätzig und lies ihren Blick über meinen gesamten Körper schweifen, während ich wie eine Violinsaite gespannt vor ihr stand.

Eine weitere Spitze gegen mein eher mittelmäßiges Aussehen. Ich wusste es schon, aber wenn man es so direkt gesagt bekam, wurde die Sache noch offensichtlicher und brutal.

„ Aus den Noten deines letzten Zeugnisses kann ich sehen, dass es auch in Bezug auf die Leistungen kaum etwas Bemerkenswertes gibt“ fuhr die Schwester mit strenger und boshafter Stimme fort, wobei sie durch die Seiten meiner persönlichen Akte blätterte, die ihren mächtigen Schreibtisch bedeckte.

„ Ich hatte in Wahrheit noch nie eine mangelhafte Note in meinem Zeugnis gehabt und versuche, mich zu bemühen …“ protestierte ich. Es genügte schon, dass ich hässlich war, aber dumm - nein!

Außerdem war es ja nicht meine Schuld, dass ich aufgrund meiner schlechten Gesundheit viele Stunden versäumt hatte.

„ Habe ich dir vielleicht erlaubt, zu reden?“ donnerte die Frau voller Abscheu.

Ich fühlte, wie meine Kräfte schwanden. Ich stand schon seit fast zwanzig Minuten in strammer Haltung vor der Leiterin des katholischen Internats, in dem ich sicherlich zumindest die nächsten beiden Monate verbringen würde, weit weg von meiner Tante Cecilia, meiner einzigen wahren Bezugsperson. Ganz zu schweigen von dem, was ich in den letzten Tagen durchgemacht hatte und was der wahre Grund für meinen erzwungenen Aufenthalt war!

„ Mutter gestorben. Vater unbekannt. Cecilia Campbell, einer Nonne anvertraut, die aus dem Orden ausgetreten ist, um sich um ihre Nicht zu kümmern. Mmh… Hier steht auch, dass du krank bist … Eine sehr seltene Form der Anämie“ las die Mutter Oberin mit einem missbilligenden Ton auf einer anderen Seite.

Es kam mir vor, als hätte ich eine Ohrfeige bekommen. Ich war es nicht gewohnt, Abscheu zu erregen, wenn von meiner Gesundheit gesprochen wurde. Normalerweise wurde ich von Zuneigung und Verständnis umringt.

„ Es gibt sogar eine Anweisung für deine Ernährung. Reich an Proteinen und viel Schweine- oder Rindfleisch, fast roh. Kein Geflügel“ kommentierte die Frau, so als ob sie eine starke Übelkeit niederringen müsse.

Ich konnte kaum noch nicken. Es kam mir vor, als ob mich diese grauen Augen schonungslos ins Visier nehmen würden, um mich wie Dolche zu durchbohren.

„ Als wenn das noch nicht genug wäre steht hier auch noch, dass du ein Mal im Monat mindestens 50 cl Flüssigkeit aus dem arterio-venösen System von Schweinen oder Rindern trinken musst … das ist ungeheuerlich! Du musst Tierblut trinken? Das ist abscheulich!“ explodierte die Leiterin, die vor Ekel hochrot im Gesicht war und weiter in meiner Akte las, in der sich jemand ganz offenbar die Mühe gemacht hatte, wirklich alles über mich und mein Leben niederzuschreiben.

Ich hätte gerne vorgebracht, dass dies die einzige Möglichkeit gewesen war, mich am Leben zu erhalten und dass meine Tante tausend Opfer gebracht hatte, um mich zu retten, nachdem ich ihr nach dem Tod meiner Mutter, die kurz nach meiner Geburt starb, anvertraut wurde.

Außerdem sagte meine Tante immer, dass das Trinken von Blut gar nicht so schockierend sei, denn in einigen Ländern des Ostens war es üblich, heißes Schlangenblut gegen Rheuma zu trinken. So seltsam war es also gar nicht.

„ Weiß dein Arzt nicht, dass es heutzutage Transfusionen gibt?“

„ Doch, aber leider hat sich herausgestellt, dass mein Körper besser reagiert, wenn auch das Verdauungssystem beteiligt ist, um einen unmittelbareren und länger anhaltenden Nutzen zu haben“, flüsterte ich, wobei ich über die Worte stolperte. Selbst ich hatte nie wirklich verstanden, warum Transfusionen mich nicht so sehr belebten, wie das Trinken meiner „Hämodose“, wie meine Tante und ich es nannten.

Manchmal konnte mich meine Anämie so sehr schwächen, dass ich das Bewusstsein verlor.

Alles, was ich brauchte, war meine „Medizin“ und ich erlangte sofort mein perfektes Gehör und Sehvermögen zurück und das Gefühl der Müdigkeit, das ich davor empfand, verschwand völlig.

Die Mutter Oberin seufzte tief und ließ sich in den harten, schwarzen Sessel sinken, auf dem sie saß, während mir noch nicht einmal ein Stuhl angeboten wurde.

„ Du bist nur hier, weil Kardinal Siringer selbst mich darum gebeten hat, aber ich möchte, dass dir klar ist, dass dies keine Zufluchtsstätte für Außenseiter ist, sondern ein angesehenes Internat, das dem Willen des Herrn folgt und achtet".

Pater Dominick hatte mir bereits von diesem erlauchten Internat erzählt, dem alten Schloss von Melmore, das auf den heiligen Ruinen von Melmore Abbey errichtet worden war, einer der ältesten Abteien, die den verschiedenen Kriegen Irlands standgehalten hatte. Ich wusste, dass ich dort sicher sein würde, aber jetzt kam ich mir vor wie in einem dunklen, kalten Gefängnis. Selbst das Klima war gegen mich. Der Winter stand vor der Tür und ich wusste, dass ich die Sonne jetzt länger nicht mehr zu Gesicht bekommen würde.

Außerdem war dieses Gebiet berühmt für seine Regenfälle und Nebelbänke.

Wenn ich überleben wollte, musste ich mir etwas Schönes suchen, sonst wäre ich verrückt geworden.

„ Gut. Du kannst gehen. Schwester Agatha wird dich zu deinem Zimmer führen, wo du zwei Uniformen vorfinden wirst, die du immer tragen musst, einen Trainingsanzug und den Stundenplan, den du ab morgen früh einzuhalten hast. Du hast eine Stunde Zeit, um deine Sachen auszupacken und dich einzurichten. Dann ist es Zeit für die Messe in der Kirche. Sei pünktlich“, die Mutter Oberin entließ mich mit einem frostigen Nicken.

Ich fühlte mich, als ob ich Wurzeln geschlagen hätte und schaffte es nur mit Mühe, meine Füße zu bewegen.

Ich sagte nichts. Ich drehte mich um, öffnete die schwere Tür und ging hinaus.

Kaum trat ich aus der Tür des Büros, als eine Nonne mittleren Alters nervös zu mir kam, die die ganze Zeit draußen in einem Stuhl aus dunklen Nussbaumholz auf mich gewartet hatte.

„ Ich bin Schwester Agatha. Du musst Vera Campbell sein, die Neue. Komm. Ich bringe dich in dein neues Zimmer, das du mit Maria Kelson teilen wirst, einem Mädchen in deinem Alter. Sie ist ein wenig schüchtern, aber dem Herrn sehr ergeben... Ich wäre nicht überrascht, wenn sie sich irgendwann entscheiden würde, ihre Gelübde abzulegen“, erklärte die Nonne, in Gedanken versunken.

Vor mir lagen kalte, feuchte Gänge und Treppen aus Stein. Die Stille, die an diesem Ort herrschte, war eisig.

Ich konnte nur den Klang unserer Schritte hören.

Es kam mir vor, als ob ich plötzlich in eine andere Ära katapultiert worden wäre.

Ich hatte ehrlich gesagt nicht geglaubt, dass solche Orte noch bewohnt oder gar als Internat für Jugendliche genutzt werden könnten.

Ich sah mich immer wieder ehrfürchtig um.

Auf der rechten Seite gab es viele hohe, schmale, gotisch anmutende Fenster, die die Atmosphäre noch unheimlicher machten. Ich war so von der Strenge des Ortes beeindruckt, dass ich kaum auf die Worte der Nonne hörte, die unentwegt weiter plapperte: „Nach den neuen Integrationsgesetzen musste sich auch unser Internat anpassen, so dass diese Einrichtung jetzt sowohl für Männer als auch für Frauen offen ist. Im Erdgeschoss befinden sich die Klassenzimmer, die Turnhalle und die Kantine, während sich im zweiten Stock der Schlafsaal befindet. Der Westflügel ist für die Jungen und der Ostflügel für die Mädchen reserviert. Im dritten Stock befinden sich, wie du ja gesehen hast, die verschiedenen Büros und die Privaträume der Lehrerinnen, sowie eine riesige Bibliothek, zu der du nur mit der Erlaubnis von Schwester Elizabeth Zugang hast. Die Kapelle liegt direkt gegenüber der Gärten und Ställe und nimmt den gesamten Nordflügel ein. Du musst, um dahin zu gelangen, nach draußen und dann um das Internat herumgehen.“

Schwester Agatha sprach weiterhin in ihrem flachen, aber schnellen Tonfall. Auch sie schien nicht besonders freundlich oder warmherzig zu sein. Wie war es möglich, dass niemand ein wenig Mitgefühl für die Neuankömmlinge zeigte?

„ Ich möchte dich auch darauf hinweisen, dass in den Gängen nicht geschrien und gerannt wird und dass du die Uhrzeiten einhalten musst. Um sieben wird gefrühstückt, Mittagessen ist um zwölf und Abendessen gibt es um sieben Uhr abends nach der Messe um sechs. Denk daran, immer deine Schuluniform zu tragen, wenn du dein Zimmer verlässt, und lass deine Sachen nicht in deinem Zimmer herumliegen, sonst werden sie beschlagnahmt und weggeworfen.“

Das war ja schlimmer als in einem Gefängnis!

Wir gingen die Treppe hinunter, liefen einen langen Gang entlang und bogen dann nach links in einen weiteren finsteren, feuchten Korridor mit dunklen Wänden ab.

Ich fühlte, wie die Feuchtigkeit in meine Knochen eindrang und ein Geruch von Schimmel meine Lungen füllte, so dass mir übel wurde.

„ Das ist der Schlafsaal. Dein Zimmer ist die dritte Tür rechts. Ganz hinten ist das Badezimmer. Mach dich fertig, in fünfzig Minuten geht es zum Gebet“, schloss die Nonne, bevor sie ging.

„ Danke“ flüsterte ich, aber es kam nur ein schwacher, kaum vernehmbarer Hauch aus meinem Mund.

Ich ging die letzten paar Meter alleine und öffnete diese schreckliche dunkle Holztür mit der schwarzen Klinke, die mein Zimmer verbarg.

Mir genügte ein kurzer Blick: zwei Betten, zwei Nachttische, zwei Schränke für das Notwendigste, zwei kleine Tische mit zwei Stühlen und ein riesiges Kruzifix in der Mitte.

Auf dem Bett links lag mein Koffer und einige Kleider, während auf dem Stuhl neben dem Bett rechts ein Mädchen saß, das das Buch „In den Händen Gottes“ las.

„ Hallo, ich bin Vera Campbell, deine neue Mitbewohnerin. Du musst Maria sein?“ versuchte ich, ein Gespräch zu beginnen.

Das Mädchen hob den Blick von dem Buch und nickte lächelnd.

Ihr Gesicht war rund und sommersprossig. Ihr hellbraunes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst und ihre grünen Augen sahen freundlich aus.

Sie trug die Uniform, die ich auch bald tragen sollte: ein schlicht geschnittenes, blaues Kostüm, auf dessen Brusttasche das Abzeichen der Abtei gestickt war, und ein weißes Hemd.

Mein erster Gedanke war: Blau steht mir nicht, aber ich war zu müde, um mir darüber den Kopf zu zerbrechen.

Ich öffnete langsam die Tasche. Sie enthielt nur das Nötigste, das ich hatte zusammenpacken können, bevor ich plötzlich verzweifelt fliehen musste.

Ganz oben auf den Kleiderstapel hatte ich auch ein Bild von mir und Tante Cecilia gelegt, auf dem wir uns vor dem Hoftor umarmten.

Das Bild trieb mir die Tränen in die Augen.

Wie sehr sie mir fehlte!

Ich wünschte, sie wäre hier bei mir!

Sicherlich hätte sie niemals erlaubt, dass jemand so mit mir sprechen würde, wie es die Mutter Oberin gerade getan hatte.

Ich stellte das Bild auf den Nachttisch. Ich wollte sie so nah wie möglich bei mir haben.

„ Entschuldige, aber das Foto solltest du besser in der Schublade des Nachttisches aufbewahren, sonst wird es morgen weggeworfen“, warnte mich Maria, als sie auf mich zukam.

„ Aber ich…“.

„ Ja, ich weiß, ich weiß. Das ist mir auch passiert... und am nächsten Morgen war das Bild meiner Großmutter weg. Hör auf mich“, ermutigte sie mich freundlich.

Mit einem traurigen Seufzer legte ich das Bild weg. Es war zu wertvoll, um von irgendjemanden in den Müll geworfen zu werden.

Ich räumte meine Kleider und persönlichen Sachen ein.

Ich war gerade dabei, den Koffer wegzuräumen, als ich merkte, dass etwas fehlte.

Der Schminkkasten!

„ Mein Lippenstift, meine Wimperntusche, mein Lidschatten... sie sind nicht mehr da!“, rief ich empört.

Ich sah Maria an.

Sie zuckte nur mit den Schultern und erklärte: „Weg! Wahrscheinlich haben die Nonnen deine Tasche kontrolliert, wie sie es bei den Neuen immer machen und das, was du hier nicht brauchst, haben sie weggenommen.“

Ich hätte schreien können! Nicht so sehr wegen der weggeworfenen Kosmetika, sondern weil ich es hasste, wenn Leute in meine privaten Angelegenheiten herumschnüffelten!

Nun, am Ende meiner Kräfte, zog ich mich vor Marias verlegenem Blick um, die sich wieder auf den Stuhl gesetzt und ihre Lektüre wiederaufgenommen hatte.

Und ich hatte Recht: Blau stand mir nicht besonders gut!

Ich schaute auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten bis zur Messe. Ich warf einen letzten Blick auf das Zimmer.

Die Wände waren grau und die Möbel aus dunklem Nussbaumholz.

Einfach deprimierend. Wie alles andere auch.

Ich warf den Koffer auf den Boden und lies mich auf das Bett fallen.

Ich wollte einfach nur vergessen. Ich schloss meine Augen.

Sofort sah ich das Bild zweier eisfarbener Augen in meinem Geist, die mich durchbohrten.

Ein Schauer lief mir über den Rücken.

Voller Angst sprang ich auf.

Schon wieder er! Es war die reinste Qual. Es war seine Schuld, dass ich hier war.

Ich war so erschöpft! Ich hätte so gerne die Stimme meiner Tante Cecilia vernommen, die mich beruhigte, wie sie es immer tat, wenn etwas schief ging.

Ich versuchte, an sie zu denken und mir ihr lächelndes Gesicht vor meine Augen zu rufen, aber ich konnte diese schrecklichen blauen Augen einfach nicht abschütteln.

Schließlich, ohne es zu merken, schlief ich ein.

Ich war erschöpft und unfähig, mir meine Zukunft vorzustellen.

Mein Leben war erst einen Monat zuvor in Stücke gegangen und nun wusste ich nicht mehr, wer ich war und wohin ich gehen sollte.

Alles hatte sich geändert.

ERSTER TEIL

VIERZIG TAGE VORHER

BESUCH

4. Oktober 2018

Vier in Biologie.

Diese schlechte Note konnte ich Tante Cecilia nicht zeigen.

Ich hatte ihr einen Monat lang gesagt, dass ich mein Versagen vom letzten Mal wiedergutmachen würde...

Ich wusste, dass sie mir nicht böse sein würde, aber ich wollte ihr keinen Kummer bereiten, weil sie mir dabei geholfen hatte, mich auf die Klassenarbeit vorzubereiten.

Der Bus hielt vor dem Bauernhof, kurz vor dem Ende der Viale delle Quattro Croci, die vor dem dichten Kiefernwald von Landskare endete.

„ Endstation“ rief mir Joshua, der Fahrer vom Fahrersitz aus zu und lenkte mich von meinen Sorgen ab.

„ Danke. Bis morgen“ grüßte ich ihn zerstreut.

„ Bis morgen Vera.“

Nach ein paar Metern ging ich durch das Hoftor.

Ich sah Ahmed, unseren alten tunesischen Helfer, der gerade dabei war, die Hühner in den Hühnerstall zu treiben.

„ Hallo Ahmed! Wie ist es heute gelaufen?", fragte ich ihn höflich.

Der Mann grunzte.

„ Feuchte Kälte und Rückenschmerzen.“ antwortete Ahmed.

Er war schon immer wortkarg gewesen. Nach zehn Jahren des Zusammenlebens hatte ich jedoch begriffen, dass er wirklich gerne mit mir und meiner Tante zusammen war, aber das regnerische irische Klima hasste, das ihm oft lästige Knochenschmerzen bereitete.

„ Komm, ich sage meiner Tante, sie soll dir die übliche Kompresse machen, dann wird es dir gleich besser gehen", tröstete ich ihn.

Ahmed lächelte mir dankbar zu.

Ohne noch etwas hinzuzufügen tratich durch die Vordertür ins Haus.

Es roch nach Apfelkuchen. Mein Lieblingskuchen.

Das bedeutete zweierlei: Zum einen konnte ich meiner Tante nichts von meiner schlechten Note sagen, um ihr nicht den Tag zu verderben, und zum anderen musste Pater Dominick, der sympathischste und großzügigste Pfarrer der Welt, im Haus sein.

Auch er liebte Apfelkuchen, so dass Tante Cecilia ihn immer backte, wenn er zu Besuch kam.

Ich zog meine Schuhe aus und legte sie zusammen mit meiner Jacke und meinen Rucksack in der Halle ab. Dann ging ins Wohnzimmer, wo Tante Cecilia und Pater Dominick sich nett unterhielten.

„ Hallo.“

„ Vera, mein Schatz, komm herein. Wir haben mit dem Tee auf dich gewartet", lud meine Tante mich mit ihrer sanften, angenehmen Stimme ein, bei der sich immer alle gleich wohl fühlten.

„ Hallo Vera. Es ist erst einen Monat her, aber ich habe das Gefühl, dass du schon wieder größer geworden bist", begrüßte mich der Pfarrer.

„ Wäre ich jedes Mal, wenn du mir das sagst, auch nur einen Zentimeter gewachsen, wäre ich jetzt drei Meter groß.“ entgegnete ich lachend.

Auch Dominick brach in lautes Lachen aus.

Er war nie über meine Witze beleidigt und meine Tante beachtete sie schon gar nicht mehr.

Dann gab es Kuchen. Tante servierte Tee und Apfelkuchen.

Als ich in den duftenden Kuchen biss, fühlte ich mich gleich besser, zumindest so lange, bis meine Tante mich nach der Klassenarbeit fragte und ich mich verschluckte.

„ Wie war es in der Schule?“ fragte sie mich.

„ Gut.“

„ Hat Professor Hupper dir deine Biologiearbeit zurückgegeben?"

Wie war es möglich, dass meine Tante nie etwas vergaß?

Wie machte sie das nur, dass sie immer alles unter Kontrolle hatte?

„ Nein“, log ich und versuchte, mich auf das Aroma des Tees zu konzentrieren.

Wir aßen gerade unseren Kuchen, als das Telefon klingelte.

„ Ich gehe. Wahrscheinlich ist es Duncan McDowell wegen der Sache mit dem Vieh, das ich vorgestern gekauft habe", dachte Tante laut.

Als meine Tante fort war (es war Duncan McDowell am Telefon), schenkte mir Pater Dominick seine volle Aufmerksamkeit.

„ Also, wie geht es dir?“, fragte er mich mit ernstem Blick.

„ Gut.“

„ Hast du darüber nachgedacht, was ich das letzte Mal über Gottes Liebe gesagt habe?"

„ Ja, aber ich habe dir bereits gesagt, dass ich Zweifel an der Gerechtigkeit des Herrn habe. Auf dieser Welt gehen passieren einfach zu viele schreckliche Dinge. Ich kann all diese Liebe, von der du sprichst, nicht sehen.“

„ Sie ist in uns drin.“

„ Ja, aber warum sündigen dann so viele Menschen? „Ganz zu schweigen davon, dass die, die es am wenigsten verdient haben, oft das meiste Glück haben“, erboste ich mich.

Der Priester schüttelte geschlagen den Kopf. Seit Monaten erzählte er mir von Liebe, Barmherzigkeit und göttlicher Gerechtigkeit und ich sprach immer wieder von Episoden täglicher Ungerechtigkeit oder Kriege.

„ Begehst du nie irgendwelche Sünden?“

Jetzt war die Zeit für die Beichte gekommen.

„ Nein, niemals“, forderte ich ihn heraus.

„ Es ist eine Sünde, so etwas überhaupt zu sagen“, warf er mir vor.

„ Ja, das ist es. Wenigstens kann ich jetzt sagen, dass ich gelogen habe. Ich habe also gesündigt." hänselte ich ihn.

Der Pfarrer sah mich einen Moment lang verwirrt an.

„ Ist das alles?“

„ In Wirklichkeit habe ich meiner Tante sogar Geld gestohlen, um Zigaretten zu kaufen, dann habe ich eine meiner Klassenkameradinnen verprügelt und sogar die Biologiearbeit abgeschrieben", schloss ich amüsiert, als ich den schockierten Gesichtsausdruck von Dominick sah.

Ich konnte es mir nicht verkneifen, in ein lautes Lachen auszubrechen, was den alten Pfarrer einigermaßen beruhigte.

„ Hast du das wirklich alles gemacht?“, murmelte er unsicher.

„ Glaubst du wirklich, dass ich bei all den Problemen, die ich wegen meiner Anämie habe, rauchen kann? Außerdem könnte ich meiner Tante niemals Geld stehlen, die bereits tausend Opfer bringt, um uns durchzubringen. Ihr monatliches Einkommen reicht kaum für uns und wir sind zwei Wochen mit Ahmeds Lohn im Verzug“, stellte ich mit fester Stimme klar.

„ Aber hast du wirklich eine deiner Klassenkameradinnen verprügelt?“

„ Natürlich nicht, obwohl ich zugeben muss, dass ich es furchtbar gern tun würde. Patty Shue ist die ekelhafteste Person der Welt. „Nur weil sie hübsch und witzig ist, hält sie sich für total cool“, regte ich mich auf.

„ Ich habe dir schon gesagt, du musst das Mädchen ignorieren.“

„ Ja, aber ich schaffe es nicht, weil sie sich immer über mich lustig macht. Sie sagt, ich sähe aus wie eine Leiche. Du kannst dir die Jungen in meiner Klasse vorstellen, wenn sie mich mit ihr zusammen sehen. Ein Geist würde besser aussehen!"

„ Beachte sie einfach nicht.“

Ich schnaubte verärgert. Es genügte, über Patty Shue zu reden, um mich in schlechte Laune zu versetzen.

„ Sag mir lieber, ob du bei der Klassenarbeit wirklich abgeschrieben hast,“, fragte er mich und versuchte das Thema zu wechseln.

„ Nein, daher habe ich auch eine Vier bekommen“, gestand ich traurig.

„ Weiß deine Tante das?“

„ Ich weiß nicht, wie ich es ihr sagen soll. Ich glaube, diesmal tue ich so, als ob nichts wäre“, überlegte ich.

„ Vera“ ermahnte er mich mit vorwurfsvollem Blick.

„ Ich mache ja nur Spaß.“

„ Hast du vielleicht irgendwas anderes angestellt?“

„ In der Tat, ja.“ flüsterte ich.

„ Was?“

„ Vorgestern habe ich heimlich eine Hämodose genommen.“

Pater Dominick war vor Schreck wie versteinert.

„ Reicht dir eine Dosis alle 20 Tage nicht mehr?“ fragte er mich sehr besorgt.

„ Doch, aber in letzter Zeit habe ich meinen Körper zu stark beansprucht, so dass ich alle Energien verbraucht hatte. In der Schule hatten wir einen Aushilfslehrer für Motorik, der nichts von meinem Problem weiß und so musste ich viele anstrengende Übungen machen".

„ Aber warum hast du es ihm nicht gesagt?“

„ Das wollte ich ja, aber dann fing diese blöde Kuh Patty Shue an, auf den Lehrer einzureden und sagte ihm, dass die 'Kranke', also ich, dies und jenes nicht tun könnte. Da wurde ich wütend. Ich wollte beweisen, dass ich es doch tun kann!“

„ Du hast etwas sehr Dummes getan!“

„ Das verstehst du nicht! Ich bin selber Schuld an meiner Schwäche, denn vorgestern hatte ich den Bus verpasst. Da meine Tante bereits mit Ahmed zum Hof der McDowells gefahren war, um Rinder zu kaufen, bin ich etwa fünf Kilometer gelaufen. Ich kam eine Stunde zu spät zur Schule, aber sie haben mir keine Schwierigkeiten gemacht, weil ich erzählt habe, dass ich mich unterwegs nicht wohlgefühlt hätte.

„ Deine Tante weiß wohl nichts von all dem“, mutmaßte der Pfarrer bekümmert.

„ Nein. Nur Ahmed weiß es, weil er gesehen hat, dass es mir nicht gut ging und ich ihm erzählt habe, was mir passiert ist.“ endete ich.

Gleichzeitig kehrte meine Tante ins Wohnzimmer zurück, mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht.

„ Worüber habt ihr gesprochen?“

„ Nichts“, antworteten wir wie im Chor.

„ Nun, dagegen habe ich wunderbare Neuigkeiten für Vera. Als ich mit Mr. McDowell sprach, habe ich erfahren, dass sein Sohn Ron sehr gut in Naturwissenschaften ist, also fragte ich ihn, ob er dir Nachhilfe geben würde“, freute sich meine Tante.

„ Was hast du gemacht?“ Ich war wütend. Es stimmte, Ron war ein Genie in Mathematik und Naturwissenschaften, aber er war hochnäsig und wegen seines Atems, der nach toten Mäusen roch, war es besser, ihm nicht zu nahe zu kommen.

„ Du hast richtig gehört, und anscheinend hast du es auch dringend nötig, denn er hat mir gesagt, dass du nach der Klassenarbeit von gestern jetzt einen Durchschnitt von dreieinhalb Punkten hast“, zischte meine Tante.

Dieser eingebildete Verräter! Verdammter Kerl.

Wie konnte er es wagen, meiner Tante von meiner Note zu erzählen?

Ich war ja auch nicht zu seinem Vater gelaufen, um ihm zu sagen, dass sein Sohn dringend Pfefferminzbonbons brauchen würde.

Ich war stocksauer.

„ Wann wolltest du mir sagen, dass die letzte Klassenarbeit auch schief gegangen ist?"

„ Ich weiß nicht. Vielleicht in einem anderen Leben.“ versuchte ich zu scherzen, aber Tante schien überhaupt keinen Sinn für Humor zu haben.

Ich konnte nicht umhin, Pater Dominick anzuschauen, der sich mit dem typischen „Ich hab's-dir-ja-gesagt“ -Ausdruck ins Fäustchen lachte.

Mir wurde klar, dass es Zeit für den Rückzug war.

„ Dann gehe ich jetzt mal lernen." verabschiedete ich mich schüchtern.

„ Ja, das scheint mir angebracht.“ zischte meine Tante bedrohlich.

„ Gut. Also, auf Wiedersehen und viel Spaß ohne mich.“ wandte ich mich an Dominick.

„ Dann bis zum nächsten Mal. Tschüss, Vera“, der Pfarrer umarmte mich.

Ich nahm meinen Rucksack und ein weiteres Stück Kuchen und ging dann nach oben in mein Zimmer, um nachzudenken.

Ich stellte die Tasche auf den leeren Schreibtisch.

Ich hätte so gerne einen Computer darauf gestellt, aber den konnten wir uns leider nicht leisten.

Ich zog mich um, wobei ich versuchte, die kaputte Schranktür vorsichtig zu öffnen, in der Hoffnung, dass Ahmed sie irgendwann reparieren würde. Dann setzte ich mich nachdenklich auf das Bett und aß die letzten Krümel des Kuchens.

Der Aufsatz in Geschichte für den nächsten Tag konnte warten. Ich musste jetzt unbedingt einen Weg finden, um Ron loszuwerden. Ich wäre lieber gestorben, als eine Stunde Biologie mit ihm zu machen.

Ich könnte ihm sagen, dass meine Krankheit ansteckend sei.

Sicherlich hätte ich ihn mit so etwas ganz schnell wieder verscheucht.

Ich legte mich auf mein Bett und fing an, mir tausend Wege auszudenken, wie ich Ron ausweichen und, da ich schon mal dabei war, diese Hexe Patty vernichten könnte.

Irgendwann schlief ich ein und dachte an nichts mehr.

Als ich wieder aufwachte, war es fast Zeit zum Abendbrot.

Meine Kehle brannte, also beschloss ich, in die Küche zu gehen und etwas von dem Grapefruitsaft zu trinken, den ich morgens zum Frühstück geöffnet hatte.

Ich ging die Treppe hinunter, als ich Pater Dominicks Stimme hörte.

„… Hämodose?“.

„ Ja, das wusste ich. Ahmed hat es mir erzählt. Es ging ihr einfach nicht gut, aber ich glaube nicht, dass es etwas Ernstes ist. Kam sie dir verändert vor?“, fragte Tante.

„ Nein, keineswegs, aber der Orden ist jetzt hinter ihr her. Sie wollen immer wieder Berichte und noch mehr Berichte, und oft kommt jemand vorbei, um zu sehen, wie es läuft. Anscheinend geben sie sich in ihrer Schule manchmal auch als Vertretungslehrer aus. Es ist eine Schande!“

„ Das Wichtigste ist, dass Vera nichts merkt! Sie muss ihr Leben hier mit mir weiterleben. Ein ruhiges Leben“, murmelte Tante Cecilia mit gebrochener Stimme.

„ Nun beruhige dich doch! Solange Kardinal Montagnard lebt, wird ihr nichts geschehen. Trotz des Drängens von Kardinal Siringer kann der Orden ohne einen Befehl von Montagnard nichts tun, und er würde nie zulassen, dass Vera etwas geschieht“, beruhigte Pater Dominick sie.

„ Ja.“

Sie schwiegen.

Schließlich verabschiedeten sie sich voneinander und der Pfarrer ging.

Ich stand wie angewurzelt oben auf der Treppe.

Ich hörte das erste Mal von Kardinälen und diesem Orden. Wer waren sie? Was wollten sie?

Was noch wichtiger war, warum waren sie an mir interessiert?

Ich hätte gerne meine Tante um Erklärungen gebeten, aber ich wusste, dass ich es diesmal für mich behalten musste.

Niemand musste wissen, dass ich dieses Gespräch belauscht hatte. Weder meine Tante, noch Ahmed oder Pater Dominick.

Am folgenden Morgen kam ich nur mit Mühe aus dem Bett. Ich hatte bis zwei Uhr morgens an dem Geschichtsaufsatz gearbeitet und konnte dann wegen des Gesprächs, das ich zwischen Tante und Pater Dominick gehört hatte, kein Auge zutun.

Zum x-ten Mal war ich zu spät und musste auf das Frühstück verzichten. Ich stürzte trotz der Ermahnungen meiner Tante, mich nicht zu überanstrengen, aus dem Haus und erwischte gerade noch den Bus.

Ich hatte noch keinen Fuß in die Klasse gesetzt, als sofort Patty Shue auf mich zukam, gefolgt von ihren beiden Freundinnen, Claire und Martha, wobei sie ihre sinnlichen Hüften wiegte, die durch einen atemberaubenden Minirock noch betont wurden, und ihre dicken, scharlachroten Lippen zu einem schelmischen und gehässigen Schmollmund verzog.

„ Vera, sag, wie geht es dir heute? Erwartest du irgendwelche Ohnmachtsanfälle? Nun, falls du ohnmächtig werden solltest, wissen wir, wen wir rufen müssen. Ich bin sicher, Ron würde nicht zögern, dir mit einer Mund-zu-Mund-Beatmung zu helfen! Vor allem nach seinem Nachhilfeunterricht, dann wirst du es sicher dringend brauchen", grinste die Hexe.

Das mit Ron und mir hatte sich also bereits herumgesprochen.

Wer anders als er hätte mich vor allen anderen so erniedrigen können?

Zum Glück hatte ich gerade eine Hämodose zu mir genommen, so dass ich ausgezeichnet sehen konnte.

Blitzschnell suchte mein vernichtender Blick den Schuldigen.

Da war er!

Ron saß ruhig an seinem Schreibtisch und kopierte Zeichnungen auf ein Blatt Papier.

Ich ging zu ihm.

„ Ron“ sagte ich mit meinem eisigsten Tonfall.

„ Hallo Vera. Sieh mal einer an, ich habe gerade an dich gedacht.“

„ Oh, ja?“

Natürlich, nach dem, was er angerichtet hatte!

„ Ja, ich habe gerade einige einfache Übungen für dich auf dieses Blatt geschrieben. So können wir sie, wenn wir uns das erste Mal treffen, miteinander durchsehen. Auch morgen, wenn du willst. Hier musst du zum Beispiel aufschreiben, wie die verschiedenen Körperteile heißen, die ich für dich gezeichnet habe“, er war ganz aufgeregt und zeigte mir das Blatt.

Ich war fassungslos. War es möglich, dass er gar nicht merkte, was er angerichtet hatte?

Vor diesem Abend hätte jeder gedacht, dass Ron, der den Spitznamen „Fauler Atem“ hatte, und ich zusammen waren.

Ohne Zweifel konnte ich mich für all das bei Patty bedanken.

Ich wusste nicht, wann und wie, aber nach dem Unterricht am Morgen versammelten sich alle in der Cafeteria, wo großer Lärm herrschte.

Am Nachmittag begannen die ersten Blicke und das Grinsen.

Im Bus nach Hause war ich den umlaufenden Gerüchten zufolge bereits seit einem Monat mit Ron verlobt.

Noch ein bisschen länger und sie würden Plakate aufhängen: „Die Love Story zwischen der blassen Vera und Fauler Atem."

Ich war angewidert.

Als ich nach Hause kam, traf ich auf Tante Cecilia, die ihre Haare in einen weichen goldenen Zopf gebunden hatte und eine riesige grüne Schürze trug, da sie vorhatte, Tomatensauce für den Winter einzumachen.

Ich schleuderte ärgerlich die Schuhe von meinen Füßen und warf den Rucksack auf den Boden, bevor ich zu meiner Tante lief und sie mit meinen Problemen überschüttete.

„ Da muss erst einmal Brot mit Honig her“, meinte sie, als sie merkte, wie viel Hass in meiner Stimme war, als ich von Patty und Ron berichtete.

„ Du glaubst doch wohl nicht, dass ich mir von diesem Idioten Nachhilfeunterricht geben lasse?“ platzte ich heraus.

In der Zwischenzeit bereitete meine Tante mir das Brot zu.

„ Iss, dann beruhigst du dich“ sie reichte mir das Stück Brot und ignorierte meine Worte.

Ich schlang das Brot hinunter, wobei es weiter aus mir hervorsprudelte und ich hier und dort ein paar Krümel ausspuckte. Trotzdem beruhigte ich mich am Ende. Das war der Honig. Der Geschmack des Honigs hatte schon immer eine beruhigende Wirkung auf mich ausgeübt, wenn ich unruhig oder ärgerlich war.

„ Danke“ murmelte ich zum Schluss.

„ Gut, a du jetzt also einen kleinen Imbiss zu dir genommen hast und dich ausgesprochen hast empfehle ich dir, in dein Zimmer zu gehen und Biologie zu lernen, wenn du willst, dass ich es mir wegen der Nachhilfestunden mit Ron anders überlege,“ bestimmte Tante Cecilia.

„ Oh, danke!“

Ich umarmte sie stürmisch. Ich wusste, dass sie mich verstanden hätte!

„ Du bist meine Lieblingstante!“ fügte ich hinzu.

„ Natürlich, ich bin ja auch deine einzige Tante“.

Wir brachen beide in Lachen aus und danach beeilte ich mich, mit dem Lernen anzufangen.

Ich nahm mir fest vor, meinen Durchschnitt in den wissenschaftlichen Fächern zu verbessern. Drei Tage lang büffelte ich ununterbrochen und meldete mich dann zum Abfragen.

Sieben.

Diese Note reichte, um meine Tante davon zu überzeugen, den Nachhilfeunterricht bei Ron wieder abzusagen.

Ich war im siebten Himmel.

Es war mir egal, ob Ron deshalb beleidigt war, weil er sich abgewiesen vorkam. Als wenn wir wirklich zusammen wären.

Auch Patty war es nicht recht, weil meine Love-Story mit Fauler Atem immer uninteressanter wurde und am Ende völlig zum Erliegen kam.

Eines Tages, als ich aus der Schule kam, lief ich wie üblich durch das Tor, das seit einigen Tagen mehr als üblich quietschte, und schritt auf das Haus zu.

„ Ich muss es ölen“, sagte mir Ahmed, wobei er das Tor meinte, während er nicht weit von mir ein Stück Zaun reparierte.

„ Hallo Ahmed. Wie geht es?“, fragte ich ihn.

„ Heute scheint die Sonne, also geht es mir gut,“ antwortete er mir.

Ich lächelte ihm verständnisvoll zu.

„ Ich mache das Stück hier eben fertig und gehe dann Besorgungen machen,“ fügte er hinzu.

„ Kann ich mitkommen?“

Wenn die Sonne schien konnte man einfach nicht zu Hause bleiben und lernen.

„ Lieber nicht. Pater August ist eben gekommen und ich glaube, er möchte dich sehen,“ antwortete er mir und entfernte sich mit ein paar Brettern in der Hand.

Pater August, dieser alte verkrüppelte Zwerg mit dem bösen Blick.

Weder ich noch meine Tante mochten ihn, trotzdem kam er uns einmal im Monat besuchen.

Tante Cecilia erklärte mir, dass Pater August eigentlich ein netter Mensch war und ihr sehr geholfen hatte, als ich klein war.

Er ihr bei den entstandenen Arztkosten geholfen, als bei mir diese schreckliche Anämie diagnostiziert wurde, so dass er hier immer willkommen war, obwohl er für mich wie eine schleimige und verachtenswerte Kreatur aussah.

Widerwillig betrat ich das Haus.

Meine Tante und Pater August saßen im Wohnzimmer auf dem Sofa und tranken Kaffee.

„ Liebling, da bist du ja,“ begrüßte mich meine Tante so freundlich wie immer, obwohl ich sofort die Nervosität in ihrer Stimme spürte.

„ Hallo Tante. Guten Tag Pater August.“

„ Vera, wie geht es dir?“, fragte er mich misstrauisch, während er mich von Kopf bis Fuß musterte, als wenn er nach einem Zeichen einer möglichen Verschlechterung meines Gesundheitszustandes oder nach etwas anderem suchen würde.

Bei ihm hatte ich immer Eindruck, als wenn irgendetwas nicht bei mir stimmen würde, auch wenn er versuchte, es vor mir zu verbergen.

Obwohl wir uns schon so viele Jahre kannten, hatte er mir jedoch noch niemals irgendeine Zuneigung gezeigt, so wie Pater Dominick.

„ Gut, danke.“

„ Deine Tante erzählte mir, dass du deine Hämodose immer noch alle drei Wochen nimmst."

„ Ja, gewiss.“

„ Das ist gut. Du musst immer tun, was deine Tante dir sagt und wenn es dir nicht gut geht, musst du es sofort dagen.“

„ Das werde ich.“

„ Gut. Du nimmst immer noch an den Katechismuskursen von Pater Dominick teil, nicht wahr?"

Ich seufzte. Das Verhör machte mich langsam ärgerlich.

Jedes Mal dasselbe.

Ich hasste es, wenn meine Gesundheit zu einer Staatsaffäre wurde.

„ Sieh mal, ich mache mir doch nur Sorgen um dich.“

„ Ja, ich weiß. Aber es geht mir doch gut, deshalb verstehe ich den Grund all dieser Fragen nicht.“ brach es ärgerlich aus mir heraus.

Der Priester runzelte die Strin.

„ Viele Leute sorgen sich um dich und unternehmen alles, damit du am Leben bleibst. Viele wichtige Leute kümmern sich um deine Gesundheit, wie die Kardinäle Montagnard und Siringer. Du müsstest ein wenig freundlicher sein und das anerkennen!“ flüsterte er mahnend.

Montagnard und Siringer? Schon wieder diese Namen.

So eine Gelegenheit durfte ich mir nicht entgehen lassen.

„ Bitte entschuldigen Sie. Ich wusste nicht, dass ich die Aufmerksamkeit so wichtiger Leute auf mich gezogen habe aber… wer sind die Kardinäle Montagnard und Siringer?“ versuchte ich, mit unschuldiger Stimme zu fragen.

Tante Cecilia hatte ein ganz blasses und angespanntes Gesicht, aber schließlich gelang es ihr, mir zu antworten.

„ Das ist meine Schuld. Sieh mal Vera, in Wirklichkeit habe ich dir eines nie erzählt. Als meine Cousine Annie, also deine Mutter, zu mir kam, war sie schon in den letzten Monaten ihrer Schwangerschaft. Ich war zu der Zeit leider in einem Kloster in Portugal und wusste nichts von ihr. Wir hatten schon viele Jahre nichts mehr voneinander gehört. Es war Kardinal Montagnard, der dann den Kontakt zu uns hergestellt hat, und er war es auch, der sich um dich gekümmert hat, als du geboren wurdest, bevor ich nach Irland zurückkehrte. Leider war deine Mutter bereits begraben worden, als ich in der Klinik ankam, in der ihr ward. Niemand hat jemals den Namen deines Vaters in Erfahrung gebracht, trotz der Nachforschungen von Kardinal Siringer", erklärte Tante Cecilia schwser atmend.

Ich war bestürzt.

„ Warum hast du mir das nie gesagt?“, fragte ich flüsternd.

„ Bitte entschuldige, ich wollte dir nicht noch mehr Schmerz bereiten, Kleines,“ murmelte meine Tante, während ihre Augen sich mit Tränen füllten.

Ich merkte, dass das Thema sie traurig stimmte.

Ich umarmte sie fest und lächelte ihr zu.

„ Mach dir keine Sorgen.“

Pater August trank in der Zwischenzeit seinen Kaffee aus.

Er war nervös. Wahrscheinlich hatte er gemerkt, dass er zu viel gesagt hatte und beschloss, zu gehen. Vor allem auch, um weitere Fragen zu vermeiden.

Ohne noch etwas hinzuzufügen näherte er sich der Tür.

„ Es ist spät geworden. Ich muss gehen.“ verabschiedete er sich von uns.

Wir erwiderten seinen Gruß und begannen, das Abendessen vorzubereiten, ohne das Thema meiner Mutter und meiner Geburt noch einmal zu berühren, obgleich meine Tante von ihren Enthüllungen noch immer ziemlich erschüttert schien.

Eine Woche verging ohne besondere Neuigkeiten.

Es war ein eisiger Wind aufgekommen und alle blieben lieber zu Hause.

Auch Patty schien sich beruhigt zu haben.

Und ich hatte eine weitere gute Note in Biologie bekommen.

Am Wochenende legte sich der Wind und die herbstliche Sonne kam wieder hervor.

Ich verbrachte den ganzen Samstag damit, Ahmed bei den übliche Hofarbeiten zu helfen. Ich war eigentlich eher sein Hilfsarbeiter.

Wir ölten das Tor, reparierten meine Schranktür und beendeten die Reparatur des Zauns.

„ Kommst du mit, das Hühnerfutter von Kevin zu holen?“ fragte mich Ahmed, der mich ärgern wollte.

Er wusste, dass ich schrecklich in Kevin Moore verknallt war, den Lehrling, der bei John McKaine's Agricenter arbeitete.

Blond, blaue Augen, ein strahlendes und intelligentes Lächeln. Er sah einfach umwerfend gut aus.

Er war sechs Jahre älter als ich und auch verlobt und war seiner schönen Clara Shue treu, Pattys nicht ganz so unausstehlichen Schwester.

Und das sollte die Gerechtigkeit der Welt sein?

Aber trotzdem lief ich ihm nach, in der Hoffnung, dass er mich irgendwann bemerken würde.

Und für ihn wollte ich meinen ersten Kuss aufbewahren. Ich wusste, wie lächerlich das war, aber ich konnte nicht anders.

Ich war gerade dabei, mit Ahmed ins Auto zu steigen, als Pater Dominick aus dem Bus stieg.

Er stieg mühsam aus den Fahrzeug und kam schaukelnd auf uns zu.

Ich musste lächeln. Wenn er ging, sah er aus wie ein Pinguin.

„ Guten Tag. „Wo wollt ihr denn hin?“ fragte er uns mit funkelnden Augen.

„ Hühnerfutter kaufen.“ antwortete ich sofort.

„ Ich kann mir vorstellen, dass dieser Wunsch, zum Agricenter zu fahren, auf der Tatsache beruht, dass du an das Wohlergehen deiner Tiere denkst und nicht an einen gewissen Schönling namens Kevin.“

Ich wurde rot bis an die Haarwurzeln.

Weshalb nur hatte ich ihm davon erzählt? Wieso konnte ich vor den anderen keine Geheimnisse haben?

„ Anstatt dich mit diesen Dingen zu befassen, weshalb gehst du nicht lieber ins Haus und leistest Tante Cecilia Gesellschaft, die Konserven macht, während wir in den Ort fahren? Sag Tante, dass wir gleich wieder da sind, ok?“

„ Übrigens, wie geht es deiner Tante? Sie klang so merkwürdig am Telefon, als sie mich bat, zu kommen.“

„ Eben. Sie hat sich noch nicht richtig wieder von dem Gespräch mit Pater August erholt.“

„ Pater August?“

„ Ja. Diese ganze Geschichte meiner Geburt und der Kardinäle Siringer und Montagnard“ schnitt ich ab, um so schnell wie möglich loszukommen

Bei diesen Worten erblasste Pater Dominick zusehends. Ich konnte ihn gar nicht fragen, ob es ihm gut ging, weil er bereits eilig auf das Haus zustrebte.

Ich wusste nicht, ob ich ihm folgen oder zu Kevin gehen sollte.

Ich entschied mich für die zweite Möglichkeit und nahm mir vor, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen um zu verstehen, was da vor sich ging.

Eine Viertelstunde Fahrt und da war er, nur ein paar Schritte von mir entfernt, während er einige Bündel Pressholz in den Lastwagen eines alten Mannes lud.

Ich stieg aus dem Auto und näherte mich ihm mit meinem strahlendsten Lächeln.

„ Hallo Kevin,“ rief ich mit einer Stimme, die bestimmt eine Oktave höher war als üblich.

„ Vera, wie schön! Wie geht es dir?“ begrüßte er mich und schaute mich mit seinen blauen Augen an, die mein ganzes Nervensystem durcheinander brachten.

Wie süß! Er war immer so freundlich!

„ Gut, und du?“ fragte ich mit der üblichen Euphorie, die mein Herz erfüllte, wenn ich in seiner Nähe war.

„ Großartig. Ich habe großartige Neuigkeiten, und ich möchte, dass du sie als Erste erfährst, weil du mir eine liebe Freundin bist“, antwortete er mir, während er mir durch die Haare fuhr, so wie er es tat, als ich zehn Jahre alt war. Er war immer so warmherzig zu mir gewesen, weshalb ich nur noch stärker in ihn verliebt war.

Er kam noch näher an mich heran und flüsterte in mein Ohr, was mir einen angenehmen Schauer über den Rücken jagte: „Herr McKaine hat mir gestern gesagt, dass er sehr zufrieden mit meiner Arbeit ist. Ich arbeite jetzt ja schon fünf Jahre für ihn. Da hat er mich gefragt, ob ich im Mai, am Ende meiner Lehrzeit, sein Partner werden möchte. Auf diese Weise könnte ich sehr viel mehr verdienen und ernsthaft beginnen, Pläne für die Zukunft zu schmieden. Weißt du, ein Haus, eine Familie…“.

„ Aber das ist doch großartig!“ .

„ Genau... Und jetzt kommt die zweite und noch wichtigere Bombennachricht...“.

Ich war so aufgeregt und glücklich für ihn, ich konnte es kaum erwarten!

„… Ich habe Clara gefragt, ob sie mich heiraten möchte!“

Mehr als eine Bombe fühlte es sich eher wie eine Landmine an, auf die ich gerade getreten war.

Die leichte Rötung, die meine Wangen in seiner Gegenwart färbte, entwich, und ich spürte, wie meine Mundwinkel nach unten sanken.

„ Geht es dir gut? Du bist ja ganz blass geworden,“ fragte er sofort ganz besorgt.

„ Ach, es ist nur meine Anemie. Du sagtest gerade, dass du heiraten willst?“ brachte trotz meiner Atemnot hervor.

„ Ja, aber natürlich nicht vor Mai! Clara sagt, Anfang Juni wäre der perfekte Zeitpunkt, mit all den blühenden Bäumen und der ersten heißen Sonne, die uns wärmt", schwärmte er.

In diesem Moment wünschte ich ihr nur ein Gewitter mit Blitz und Donner. Er hatte soeben meinen Traum zerstört!

Und außerdem schien es, dass es niemand bemerkt hatte.

Ich versuchte, ihn anzulächeln, brachte es aber nur zu einer Art Grimasse.

„ Kevin, wo hast du die Säcke mit Hafer hingestellt, die heute Morgen angekommen sind?“ schrie John McKaine neben mir mit seiner üblichen Baritonstimme.

In diesem Augenblick hasste ich auch ihn.

Wenn er nicht angeboten hätte, Partner zu werden, hätte Kevin diesen Wahnsinn nie begangen!

Ich war so in meine düsteren Gedanken versunken, dass ich nicht einmal bemerkte, dass Kevin sich zusammen mit seinem Arbeitgeber entfernte.

„ Tschüs Vera. Komm uns bald mal wieder besuchen.“

„ Tschüs Kevin.“

Addio.

Ich stand lange Zeit da und blickte auf seinen sich entfernenden Rücken, bis Ahmed mich aufforderte, nach Hause zu gehen.

„ Vera. Nach Hause.“

„ Ja, ich komme.“

Ich ging zum Auto und stieg ein, wobei ich auf den Agricenter starrte.

Als wir weiter weg waren, hatte ich das Gefühl, wieder zu atmen als traurig zu seufzen.

„ Er heiratet, nicht wahr?“ bemerkte Ahmed.

Wie schön, dass ich es als erste erfahren musste.

Ich beobachtete Ahmed auf der Suche nach einem Hinweis auf eine mögliche Telepathie.

„ McKaine.“

McKaine hatte es ihm gesagt.

Nun fühlte ich mich auch noch von Kevin auf den Arm genommen, aber ich hoffte immer noch auf eine Veränderung.

„ Ja, aber bis Mai kann sich noch viel ändern“, stellte ich in Aussicht.

„ Sie werden heiraten“, prophezeite er überzeugt.

„ Wir werden sehen.“

Ahmed schüttelte den Kopf und machte den Mund erst wieder auf, als wir nach Hause kamen.

Auf den letzten Kilometern dachte ich über tausend Dinge nach, die in sechs Monaten noch passieren konnten.

Währenddessen wartete meine Tante zu Hause mit einem schönen dampfenden Tee und zwei großen Scheiben Apfelkuchen auf uns.

Im Haus herrschte ein Geruch von Kuchen und Äpfeln, der den ganzen Raum erfüllte.

Auf dem Sofa im Wohnzimmer saß Pater Dominic, der immer noch mit seinem Stück Kuchen beschäftigt war. Es war bestimmt schon das zweite oder dritte Stück. Er war ein echtes Leckermaul.

„ Ist alles gut gelaufen“, fragte Tante, die sich über den Einkauf und meinen düsteren Ausdruck Sorgen machte.

„ Futter geholt. Kevin heiratet Clara", fasste Ahmed zusammen, bevor ich überhaupt den Mund aufmachen konnte.

„ Im Mai und bis dahin kann noch vieles passieren", stellte ich klar.

„ Vera, so etwas darfst du nicht sagen! Es ist offensichtlich, dass Kevin sehr verliebt ist", ermahnte mich meine Tante sofort und freute sich über die zukünftige Vereinigung der beiden jungen Leute.

„ Das ist mir egal! Zuerst Patty und jetzt ihre Schwester! Diese beiden existieren nur, um mein Leben zu ruinieren", brach es aus mir hervor.

„ Möchtest du lieber etwas Brot und Honig statt Kuchen?", schlug mir meine Tante freundlich vor, da sie wusste, wie sehr es mich beruhigte, aber ich wollte mich nicht bestechen lassen.

„ Ich will gar nichts!" explodierte ich, bevor ich in mein Zimmer rannte und die Tür zuschlug, während mir zwei große Tränen über die Wangen rollten.

Ich war verzweifelt! Mein schöner Traum von der Liebe war zerbrochen! Ich wollte diejenige sein, die Kevin im Mai heiraten würde.

Warum musste das Leben so ungerecht sein?

VERÄNDERUNGEN

Ich verbrachte zwei höllische Wochen.

In meinem Inneren wirbelten Gefühle wie Wut, Frustration, Trauer und Rache durcheinander, während ich äußerlich apathisch war und dem Selbstmord nahe schien.

Ich aß nichts, redete nicht mehr und schlief auch nicht mehr.

Ich wurde zusehends schwächer, und als ich mich weigerte, eine Hämodose zu nehmen, wurde Tante Cecilia so besorgt, dass sie Pater Dominick anrief.

„ Wie lange willst du noch so weitermachen?" fragte mich Dominick, als er mein Schweigen nicht mehr ertragen konnte.

„ Für immer" flüsterte ich.

„ Dann bist du eine Närrin. Natürlich hat Kevin auch Schuld, denn er hat dich mit seinen zärtlichen und freundlichen Gesten getäuscht, aber du bist diejenige, die sich ein Luftschloss gebaut hat. Er hat nie gesagt, dass er dich liebt, geschweige denn, dass er mit dir zusammen sein will. Wenn du also eine kindliche Verliebtheit mit Liebe verwechselt hast, liegt die Verantwortung ganz bei dir. Werden endlich erwachsen, denn Liebe ist etwas anderes", brach es aus Dominick hervor.

Es war das erste Mal, dass er so mit mir sprach, und ich hatte es einfach nicht erwartet.

Ich sah ihn überrascht an.

„ Also sag du mir, was Liebe ist!" forderte ich ihn sauer heraus.

„ Es ist ein viel tieferes Gefühl, das sich mit der Zeit aufbaut, und das Zusammensein mit dem anderen in freudigen und schwierigen Momenten. Wenn du Kevin wirklich lieben würdest, wärst du mit seiner Wahl glücklich, denn du würdest nur sein Glück und Wohlergehen wollen. Wahre Liebe ist kein egoistischer Wunsch, wie deiner".

Ich dachte oft an diese so harten und klaren Worte.

Schließlich wurde mir klar, dass Pater Dominick Recht hatte. Außerdem, was wusste ich wirklich über Kevin, außer dass er immer nett zu den Kunden war?

Um ehrlich zu sein, wusste ich gar nichts über ihn.

Ich wusste nicht, was sein Lieblingsgericht war, welche Art von Musik er hörte, was er in seiner Freizeit gerne tat, abgesehen davon, dass er mit Clara zusammen war, ob er unordentlich oder pingelig war...

Trotzdem konnte ich all diese Jahre nicht vergessen, die ich damit verbracht hatte, über ihn und unsere mögliche Liebesgeschichte zu fantasieren.

Innerhalb weniger Tage begann ich wieder zu essen, zu schlafen und zu reden.

Tante Cecilia war ungeheuer erleichtert, mich wieder fit zu sehen, vor allem nach der Einnahme meiner Hämodose, und so gesprächig wie zuvor. Seit Tagen hatte sie versucht, mich zum Essen zu bewegen, indem sie mir alles Mögliche zubereitete, aber ich hatte allem widerstanden. Selbst meine fortgesetzte Weigerung, mit ihr zu sprechen, hatte sie in den Wahnsinn getrieben.

Am Ende war auch ich froh, wieder der Vera von einst zu sein.

Eines Tages, gegen Abend, klingelte das Telefon.

Ich war in einen der vielen Liebesfilme vertieft, so dass ich nicht darauf geachtet hatte. Also ging meine Tante ans Telefon.

Ich konnte nicht verstehen, was meine Tante sagte, aber mir wurde klar, dass etwas Ernstes passiert sein musste, als sich ihr Tonfall änderte und sie sehr besorgt wurde.

Es war ein sehr kurzes Telefonat.

„ Alles in Ordnung?“ fragte ich sie, als sie aus der Küche zurückkam, in der unser Telefon stand.

„ Kardinal Montagnard ist leider plötzlich gestorben, er hat einen Herzinfarkt gehabt.“

„ Das tut mir leid. Kanntest du ihn gut?"

„ Ja, ich hing sehr an ihm und schätzte ihn sowohl als Mann als auch als Geistlichen", erklärte mir meine Tante mit Tränen in den Augen.

Es war das erste Mal, dass ich meine Tante traurig über den Verlust von jemandem sah. Ich hatte nicht gedacht, dass sie so leiden könnte.

Tagelang blieb sie aufgrund ihrer quälenden Trauer apathisch und schweigsam.

Schließlich beschloss ich, bis Montag der folgenden Woche zu warten.

In der Schule hatten sie einen Streik gegen das Gesetz zur Lehrerverringerung ausgerufen, so dass ich den ganzen Tag frei haben würde, und ich war entschlossen, mit meiner Tante in die Innenstadt zum Einkaufen zu fahren.

Obwohl mein Budget aufgrund meines mageren Taschengeldes nicht sonderlich groß war, hatte ich mir dennoch vorgenommen, meine gesamten Ersparnisse auszugeben, um ihr ein Geschenk zu machen.

Ich wollte mit ihr in die Geschäfte gehen und ihr ein Parfüm, einen Pullover oder ein Buch kaufen.

Alles, um ihr wieder ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

Zu meinem Glück kam verging die Zeit bis zum Montag schnell.

Ich stand zur gewohnten Zeit auf und ging, nachdem ich mich gewaschen und sorgfältig angezogen hatte, in aller Ruhe zum Frühstück hinunter.

„ Vera, es ist schon spät! Du verpasst bestimmt den Bus", ermahnte mich meine Tante, als ich die Küche betrat.

„ Ich muss heute gar nicht in die Schule! Es wird gestreikt", erklärte ich ihr mit einem breiten Lächeln.

„ Ach, ja. Vielleicht hattest du es mir auch gesagt... Ich erinnere mich nicht", antwortete mir meine Tante mit abwesender Stimme.

„ Genau. Außerdem habe ich beschlossen, in die Stadt zu fahren, weil ich ein Buch für die Schule kaufen muss. Kannst du mich bitte begleiten?" log ich. Ich wusste, wenn ich meiner Tante sagen würde, ich wolle mit ihr einkaufen gehen, würde sie niemals zustimmen, aber wenn es sich um Schulsachen handelte, würde sie sofort mitkommen.

„ Sicher, aber nicht jetzt. Ich habe Ahmed versprochen, dass wir über das neue Vieh sprechen würden, das am späten Vormittag ankommen wird, aber ich kann dich bestimmt heute Nachmittag in den Buchladen bringen", erinnerte sie mich.

Also verschob ich mein Projekt.

Ich hasste es, meine Pläne zu ändern, weil dann grundsätzlich noch etwas anderes passierte, um meine Pläne über den Haufen zu werfen.

Ich hätte es ihr am Tag zuvor sagen sollen.

So kam es, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte.