Bodensee-Bordeaux - Erich Schütz - E-Book

Bodensee-Bordeaux E-Book

Erich Schütz

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  • Herausgeber: GMEINER
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Weinpanscher wissen, wie sie ihren Wein, der für den chinesischen Markt bestimmt ist, an jeder Qualitätsprüfung vorbeischleusen. Trotzdem wird sich wohl kein Bodenseewinzer getrauen, seinen Rotwein als Bordeauxwein anzubieten. Doch bei den enormen Preisen, die für Bordeauxweine bezahlt werden, ist die Verführung groß. Bei den abenteuerlichen Einnahmen kommt es auf einen Toten mehr oder weniger auch nicht an, wobei es offiziell gar keinen Bodensee-Bordeaux gibt - oder doch?

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Seitenzahl: 360

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Erich Schütz

Bodensee-Bordeaux

Ein Wein-Krimi

Zum Buch

Bodensee-Geheimnisse Ein skurriles Bild bietet sich dem Kommissar: Da sitzt der bekannte Sternekoch Hanspeter Rapp tiefgefroren in seinem eignen Kühlraum, vor sich ein Glas sowie eine Flasche Rotwein. Bald wird bei ihm noch Rauschgift gefunden. Die Polizei vermutet einen Selbstmord, zumal Hanspeter Rapp gerade sein Stern aberkannt wurde. Der Gourmetjournalist Leon Dold riecht aber einen ganz anderen Braten. Hanspeter hatte ihm kurz vor seinem Tod gesteckt, dass der größte Winzer am See, Baron von Hohenfels, seinen Rotwein als Bordeauxwein nach China verkaufen will. Leon schleicht sich in den Weinkeller des Barons und wird Zeuge davon, wie von Hohenfels billigen Rotwein in teuren Bodensee-Bordeaux »verwandelt«. Weitere Recherchen führen den Journalisten auf die Spur eines skrupellosen Millionendeals. Als Leon Dold erfährt, dass die Chinesen das gesamte Weingut am Bodensee kaufen wollen, gerät er in die Fänge der chinesischen Triaden.

Erich Schütz, Jahrgang 1956, ist freier Journalist, Buchautor und Autor verschiedener Fernsehdokumentationen und Reiseberichte, zudem Herausgeber mehrerer Restaurantführer. Aufgewachsen im Schwarzwald, lange in Berlin und Stuttgart zu Hause, erfüllte er sich vor über zwanzig Jahren seinen Traum und zog an den Bodensee. Die verführerische, spannende Grenzregion übt auf den Gourmet und Autor einen besonderen Reiz aus, der sich in seinen Büchern niederschlägt. Erich Schütz’ Krimis und Kulturführer sind ein Muss für alle See- und Krimifreunde.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

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[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: ©Igor Normann / stock.adobe.com

ISBN 978-3-8392-7060-8

Vorweg

Mit einem Buch und einem Wein, ist der Mensch nie allein!

Deshalb ein Tipp des Autors: Der Leser sollte sich, vor dem Beginn des Lesens, mit den richtigen Weinen eindecken. Spätestens während des Lesens steigt bei jedem Weinfreund garantiert das Verlangen nach den feinsten Tropfen der Bodensee-Winzer.

Um die Basis des Krimis zu verstehen, sollte der Leser auf jeden Fall zuvor einen Bodensee Spätburgunder sowie einen guten Bordeaux genossen haben.

Vorneweg schwärmt der Protagonist in diesem Roman von einem

Auxerrois, des Weinguts Aufricht, Meersburg-Stetten,

sowie von einem

Müller-Thurgau, des Weinguts Kress, Überlingen.

Ebenso beschreibt der Autor die Vorzüge des

Muskateller trocken, Thomas Geiger, Meersburg und

Souvignier gris, Weingut Lanz, Nonnenhorn.

Mit diesen Weinen ausgestattet wird dieser Wein-Krimi eine genussvolle Unterhaltung bieten.

Bodensee-Bordeaux

Lebendig und richtig gesund sieht er aus, wie in den letzten Tagen seines Lebens eher selten. Als würde er friedlich ein Nickerchen halten, sitzt der 60-jährige Gourmet und Sternekoch Hanspeter Rapp in seinem vollgestopften kleinen Kühlraum. Sein dicklicher Bauch ist eingezwängt in seiner obligatorischen weißen Kochjacke. Darunter trägt er, wie eigentlich zu Lebzeiten immer, eine Pepitahose. Regungslos sitzt er in seiner Kochmontur auf einem braunen Holzstuhl mitten in dem kalten Raum.

Rapp ist tot. Seit wann er so dasitzt, weiß man nicht. Der Mann ist tiefgefroren.

Doch selbst leblos umspielen seine Mundwinkel noch immer ein schelmisches Lächeln. Eine hellrote Haarlocke hängt ihm verwegen in sein rundes Gesicht. Auf seinem ebenfalls rötlichen dicken Schnauzbart hat sich Raureif auf die Haarspitzen gelegt. Ein leichter Blauschimmer ziert seine rötliche Nasenspitze.

Auf dem Boden, neben seinen weißen Clogs vor dem Stuhl, stehen eine Weinflasche sowie ein leeres Weinglas mit einem winzigen Rest Rotwein.

Das Thermometer zeigt minus 18 Grad.

Ein Assistent, der Kriminaltechniker, hat die dick isolierte Tür des Kühlraums geöffnet und hält sie mit einem Metallkoffer, den er davor auf den Boden gestellt hat, offen. »Was hat denn ein Rotwein im Kühlhaus zu suchen?«, rätselt Kommissar Horst Sibold als Weinzahn süffisant und zwängt sich, mit Plastikhüllen über seine Schuhe gestülpt, in den engen, kalten Raum. Unschlüssig bleibt er stehen.

»Die Spuren jedenfalls dürften gut konserviert sein, aber ansonsten macht das doch alles keinen Sinn«, überlegt er. »Äußerlich sehe ich keine Gewaltanwendung. Aber warum, um Gottes willen, soll der Mann im Kühlhaus seinen Wein getrunken haben?« Und wie um seinen makabren Scherz nochmals deutlich zu machen, wiederholt er höhnisch: »Und dann noch einen Rotwein!«

»Den Todeszeitpunkt wird die Pathologie in dem starren Körper schwerlich bestimmen können«, überlegt der Kriminaltechniker. Sibold nickt ihm zu, schaut auf die Leiche des tiefgefrorenen Kochs und lässt seinen Blick über die vereisten Vorräte schweifen.

»Guck mal, was der Sternekoch alles tiefgekühlt hat«, spottet er bissig, »dabei hat er doch immer seine absolute Frischeküche gepriesen.« Sein Blick schweift über einige Kisten Pommes. Okay, denkt er, welcher Koch macht heute noch Pommes selbst? Aber darüber hängen fünf von der Kälte steif gefrorene Rehrücken, und Sibold erinnert sich daran, wie ihm der jetzt tote Sternekoch Rapp zu Lebzeiten garantiert hatte, dass er Reh auf keinen Fall als Tiefkühlkostware verarbeite, sondern das Wild, immer sofort von seinem Jäger aus der Decke geschlagen, in seiner Küche zerwirken, braten und frisch servieren würde.

Beim Thema Fisch zeigte sich der ausgezeichnete Bodenseekoch als Gourmet in seinem Element noch rigoroser. »Frisch! Nur frisch! Tagesfrisch!«, war sein Credo. Doch Sibolds Augen haben das Regal mit den vereisten Garnelentüten, Muscheln und verschiedenen Fischfilets schon erspäht. Schmunzelnd greift er in eine offene Styroporkiste und nimmt einen ganzen, ausgenommenen erstarrten Fisch heraus.

»Eine Forelle?«, rätselt der junge Kriminaltechniker vom Gang aus. Der Kommissar streift etwas Eis von der Fischhaut und grinst: »Ein Felchen, gefroren! Dabei hatte der Herr Sternekoch doch immer behauptet, Felchen könne man nicht einfrieren, das schmecke jeder Gast sofort!« Dann schaut er mit dem Felchen in der Hand überheblich lächelnd zu dem toten Koch und triumphiert: »Überführt!«

»Lassen Sie uns ein paar Aufnahmen machen«, unterbricht der Leiter der Spurensicherung die kulinarische Ermittlung des Kommissars. Er war mit voller Besatzung aus Friedrichshafen angerückt. »Sie dürfen dann sofort wieder in die Speisekammer Ihres Lieblingskochs«, lächelt er dem Kommissar ins Gesicht und fügt fast schon spöttisch hinzu: »Ich hätte Sie sowieso eher im Weinkeller vermutet.«

Es ist ein offenes Geheimnis, dass Horst Sibold gerne ein Glas Wein zu viel trinkt. Nach einer Alkoholfahrt wurde der 63-jährige Beamte sozusagen strafversetzt und schiebt seither Dienst als Kriminalkommissar in dem kleinen Polizeirevier Überlingen. Er ist froh, dass er nach der Alkoholfahrt mit einem blauen Auge, ohne Disziplinarverfahren, davongekommen war.

Überlingen ist ein kleines, geruhsames Städtchen. Kleindiebstähle, vielleicht auch mal ein Raub mit dem Straftatbestand der Nötigung, mehr kommt ihm hier nicht unter. Der Kommissar hakt die Strafversetzung als Beförderung in den Vorruhestand ab. Und jetzt ein Mord in Überlingen?

Der technische Assistent zeigt auf die dicken Wände des modernen Kühlraums. Der weiße Kasten wurde offensichtlich neu in den Flur des alten Gasthauses eingebaut. »Man kann die Tür auch von innen öffnen«, stellt er fest und verweist auf den reversiblen Verschluss. »Aus Versehen sitzt demnach der Herr Rapp hier drin nicht tiefgefroren fest. Hätte er sich frei bewegen können, wäre er leicht aus dem Raum gekommen.«

Ohne eine weitere Erklärung nimmt der Assistent seinen Metallkoffer von der Tür weg und schließt sie von außen.

Sofort öffnet sich die dicke Tür des Kühlraums wieder. »Was soll der Quatsch?«, raunzt ihn der Kommissar an. Schnell hatte er die Tür von innen aufgestoßen und flüchtet jetzt mit seinen Plastiktüten um die Füße aus dem kalten Kühlraum.

Der Leiter der Spurensicherung lacht: »Jetzt wissen wir auf jeden Fall, dass Herr Rapp, wenn er hätte wollen und noch fähig dazu gewesen wäre, sich leicht aus der misslichen Lage hätte befreien können.«

»Hätte, hätte, Fahrradkette«, knurrt der Kriminalkommissar, »machen Sie Ihren Job, und dann nichts wie in die Pathologie mit dem Mann! Dann sehen wir weiter.«

Nachdenklich betrachtet er den Magnetverschluss der Kühlraumtür und beäugt den toten Koch auf seinem Stuhl nochmals intensiv. »Den Rotwein wird er wohl kaum bei 20 Grad minus hier drinnen getrunken haben, die Frage ist nur: Hat er ihn überhaupt getrunken? Oder warum steht diese Flasche mit dem Weinglas neben ihm?«

Montag

Was für ein beschissener Wochenanfang. Gestern Abend hatte Leon seine Freundin Lena an den Bahnhof gebracht. Sie besucht für eine Woche ihre Schwester in Karlsruhe. Sein Freund, der Sternekoch Hanspeter Rapp, hatte sonntags geschlossen. Also ging er nach Hause und hatte sich ein Paar Lammbratwürste in die Pfanne gehauen, aus der Gefriertruhe ein kleines Glas Kalbsjus in heißes Wasser gestellt, aufgewärmt und dazu eine Flasche Auxerrois vom Weingut Manfred Aufricht aus Stetten bei Meersburg geöffnet.

Natürlich war die Reihenfolge umgekehrt, zuerst hatte Leon den Wein aufgemacht und probiert. Der Auxerrois zählt zu seinen Lieblingsweinen vom Bodensee. Er erinnert an Weißburgunder, ist im Vergleich zu ihm jedoch bukettreicher, fruchtiger und hat weniger Säure. Ein Weißwein genau nach seinem Geschmack!

Danach hatte er am Vorabend, noch mit sich im Reinen, auf eine ruhige Woche mit sich selbst angestoßen. Ohne Lenas ständige Verabredungen und Terminplanungen träumte er von einer Lockdown-Woche, wie ihn der Corona-Virus vor einem Jahr zweimal verordnet hatte.

Nach dem Abendessen hatte er sich zuerst in sein Fernschach vertieft. Seit einiger Zeit spielt er mit seinem Freund, dem Kommissar Horst Sibold, regelmäßig das königliche Spiel online. Meist sind die Partien ausgeglichen. Gott sei Dank! Denn Leon hasst es zu verlieren. Deshalb sucht er im Fernschach oft zu Beginn eines Spiels im Internet nach gewonnenen Partien von Großmeistern und spielt deren Eröffnungszüge frech nach.

Diesmal aber ist ihm die Führung schnell entglitten. Im aktuellen Spiel hat Horst Sibold, im Gegensatz zu Leon, noch seine Dame, einen Springer und einen Bauern. Leon dagegen hat keine Dame mehr und nur noch einen Turm und einen Springer sowie zwei Bauern. Somit führt sein Gegner nach dem Wert der Figuren eindeutig. Trotzdem gibt Leon nicht auf, er sieht noch eine letzte Chance.

Sibolds König steht auf der Grundlinie in der Ecke H8, seine Dame steht ebenfalls auf der Grundlinie auf D8. Leons Pferd könnte in die Mitte der beiden Figuren auf F7 springen, sodass er gleichzeitig seines Spielpartners König Schach bieten und zusätzlich seine Dame bedrohen würde. Dank der gefürchteten Springergabel könnte er sich somit im übernächsten Zug Sibolds Dame holen.

Im Weg steht aber noch das Pferd seines Gegenspielers, das ebenfalls das Feld F7 abdeckt. Leon muss für seine anvisierte Gabel deshalb jetzt seinen Turm opfern. Mit ihm schlägt er dessen Pferd, das von Sibolds letztem Bauern gedeckt ist, und bietet gleichzeitig Schach. Leon wird seinen wertvollen Turm verlieren, sein Gegner wird die Figur sicherlich schlagen, hofft er. Dann würde seine Springergabel funktionieren.

Mit dieser Aussicht gefällt ihm das Spiel wieder. Seinen Auxerrois hatte er ausgetrunken. Zufrieden mit sich und der Welt ging er gestern Abend ins Bett.

Und jetzt, heute Morgen, liest er das: Hanspeter ist tot!

Was für eine ungeheuerliche Nachricht!

Leon hatte noch mit Appetit zwei Spiegeleier mit Speck und Zwiebeln in die Pfanne gehauen, sich eine Tasse Kaffee auf den Tisch gestellt und seine Lokalzeitung aufgeschlagen. Den politischen Teil der Heimatzeitung legt er ungelesen zur Seite. Die politischen Nachrichten liest er meist schon früh im Bett digital in der Süddeutschen Zeitung, der taz und Spiegel-online. Im Heimatblatt interessiert ihn nur der Lokalteil.

Heute aber hätte er gerne darauf verzichtet. Die Meldung auf der ersten Überlinger Seite will er zunächst nicht glauben. Sein Freund Hanspeter lacht ihm fröhlich entgegen. Ein Bild, wie man ihn kennt. Daneben die Überschrift, die ihm seinen Appetit schnell verdirbt. Leon liest zweimal: »Hanspeter Rapp tot aufgefunden. Die Polizei vermutet Suizid. Die Leiche saß im Kühlraum auf einem Stuhl!«

Erst als die Spiegeleier schon fast verbrannt sind und stinkender dunkler Qualm aus der Pfanne durch die Küche wabert, springt Leon auf, reißt die Pfanne mit den jetzt fast schon schwarz verbratenen Eiern und Zwiebeln von der Gasflamme. Unachtsam stellt er sie irgendwohin auf den Tisch, nimmt einen großen Schluck aus seiner Kaffeetasse und steckt die Nase wieder in die Zeitung. Er will nicht glauben, was er da liest.

Wie benommen blättert er weiter. Da springt ihm auf der Landesseite der Name seines Freundes Hanspeter Rapp erneut ins Auge. In einem Artikel werden die neuen Sterneköche vorgestellt. Am Wochenende hatte die Michelin-Redaktion ihre neue Auszeichnungsliste veröffentlicht. Nach 20 Jahren haben die Michelin-Kritiker dieses Jahr Hanspeter Rapp nicht mehr mit seinem fast schon obligatorischen Stern ausgezeichnet. Makaber, diese beiden Nachrichten in einer Ausgabe, denkt Leon und wischt die Zeitung bestürzt vom Tisch.

Die Sterneverleihung, beziehungsweise in Hanspeters Fall die Aberkennung, fand in Berlin statt. Der Bericht darüber wurde im Gesamtblatt der Heimatzeitung in Konstanz gesetzt. Von dem schrecklichen Geschehen in Hanspeter Rapps Lokal in Überlingen hatte in der Zentralredaktion zu dieser Zeit wohl noch kein Redakteur etwas gewusst.

Aber jetzt, heute Morgen, dieser Hammer!

Leon stochert appetitlos mit der Gabel in der Pfanne herum. Er schabt das Eigelb aus dem verkohlten Eiweiß. Hanspeters Stern – was soll’s, denkt er, der ist seinem Freund jetzt tatsächlich gleichgültig. Aber dass er tot sein soll, will Leon nicht glauben und erst recht nicht, dass sich ein Typ wie Hanspeter selbst umgebracht haben soll.

Nie und nimmer!

Und dann noch wegen der Aberkennung des Michelin-Sterns?

»Restaurantkritiker sind wie Eunuchen. Sie wissen, wie es geht – aber sie können es nicht!«, war einer der ersten Sätze, den Hanspeter ihm als ein Zitat von Paul Bocuse an den Kopf geworfen hatte, nachdem Leon einmal kritisch über die Küche Hanspeters geschrieben hatte.

Später wurden sie Freunde. »Du bist der einzige Gourmetkritiker, den ich ernst nehme«, adelte ihn Hanspeter hinterhältig und lachte: »Weil du gar kein Kritiker bist, sondern einfach nur ein Fresssack, der darüber schreibt, was ihm schmeckt!«

Damit hatte Hanspeter den Nagel auf den Kopf getroffen. Leon nannte sich zwar selbst Gourmetkritiker, doch er verstand sich eher als Tippgeber.

Wer ist er denn, dass er die Tricks der Küchenprofis herauszuschmecken wüsste, wie sie zum Teil geschickt Convenience in ihre Gourmetgerichte verarbeiten, mit reinem Glutamat ihre Soßen perfektionieren oder wenn sie die fix und fertigen Gänseleberparfaits vom Rungis Express – dem exklusiven internationalen Spezialitätenimporteur – geliefert, nobel auf ihren hippen Tellern zu Türmchen mit Schäumchen angerichtet, servieren, als wäre alles hausgemacht. Dabei ist vieles von abgeklärten Profis in Großküchen zubereitet und wird dann stolz vom Maître vor Ort serviert – und das soll er herausschmecken?

Erst vor drei Tagen hatte Leon Dold von Hanspeter Rapp überraschend eine Mail erhalten. Hanspeter wollte ihn unbedingt treffen, »allein«, stand in der Mail unterstrichen und »dringend«. Am gleichen Abend noch hatte Leon versucht, seinen Freund in seinem Gasthaus anzurufen. »Mitten im Service«, hatte Koni Hengstler, der Restaurantleiter, ungewöhnlich unfreundlich in die Röhre genuschelt und frech wieder aufgelegt.

Wie sonst aber üblich, hatte Hanspeter später nicht zurückgerufen. Leon hatte den Verdacht, Koni hätte seinen Anruf nicht weitergegeben. So hat er es später auf Hanspeters Handy erneut versucht. Aber auch mobil nahm er nicht ab, und danach blieb der sonst immer garantierte Rückruf ebenso aus.

Fassungslos hebt Leon die eben in seiner Ratlosigkeit heruntergeworfene Zeitung vom Boden wieder auf und liest erneut die Meldung vom Tod seines Freundes. Er weiß nicht, ob er mehr von dem Tod geschockt ist oder von der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft. Ein Sprecher verweist dreist auf einen ähnlichen Suizidfall in der Sterneszene.

»Stern weg – Starkoch begeht Selbstmord«, war vor Jahren eine Schlagzeile in Frankreich. Damals hatte sich der französische Starkoch Bernard Loiseau mit einem Jagdgewehr eine Kugel in den Kopf geschossen, nachdem er erfahren hatte, dass der Guide Michelin ihm in einem Jahr einen seiner Sterne abgesprochen hatte.

Natürlich lastet auf allen Sterneköchen ein enormer Druck, dass die Schreiber der Feinschmeckerbibel jährlich die Qualität ihrer Küche auf ein Neues als herausragend bewerten. Ein Stern heißt für die Michelin-Gourmets: »Eine Küche voller Finesse – einen Besuch wert!« Für die Restaurants bedeutet der Stern zunächst meist einen Umsatzzuwachs von 30 Prozent. – Bei Aberkennung eben leider, meist gegenläufig, ein Minus desselben Prozentwerts.

Dabei gehen die Kritiker des roten Buchs offiziell völlig unabhängig vor. Gesponsert von dem Reifenkonzern Michelin sind sie frei in ihrer Wertung. Die Sterne vergeben sie ausschließlich nach ihrem eigenen Urteil. In einem Jahr verleihen sie dem einen Koch den begehrten Stern, ohne zu begründen, warum. Eine Erklärung gibt es auch nicht, wenn sie den gerade hochgelobten und geadelten Küchenchef im nächsten Jahr einfach ohne Worte übergehen. Dazu müssen sie nichts und niemandem etwas darlegen, keine bösen Urteile oder Verrisse. Die plötzliche Nichtbeachtung des bisherig gefeierten Sternekochs ist Strafe genug.

»Die können mich doch alle«, hatte Hanspeter Rapp gerade vor Kurzem getönt, als Leon ihn auf den möglichen Verlust seines Sterns angesprochen hatte. Leon glaubt keinem Koch, der ihm versichert, er mache sich nichts aus dem begehrten Michelin-Stern, aber Hanspeter hatte er geglaubt. »Wenn meine Gäste nun mal Wiener Schnitzel oder Zwiebelrostbraten mit Pommes bestellen, was soll ich da tun?«, echauffierte er sich. »Den Spaßvögeln von Michelin ist das nicht wertig genug. Aber was wertig ist, sagt mir am Abend allein meine Kasse!«

»Meine Werbung benötigt längst kein Stern mehr, auch auf Schreiberlinge wie dich, Leon, kann ich verzichten«, hatte Hanspeter gestichelt und ihm auf die Schulter geschlagen. »Ich habe lieber Stammgäste, die immer wieder kommen, gerne und gut essen und trinken und dann auch noch bar bezahlen. Nur das zählt!«

Hanspeter Rapp hatte das Traditionsgasthaus Adler in der sechsten Generation, in den Höhen über dem Überlinger See, dem nördlichen Finger des Bodensees, übernommen und den Ruf als Gourmet-Restaurant über die Jahre hinweg erfolgreich ausgebaut.

»Selbst dieser beschissene Corona-Virus hat uns kaum geschadet«, hatte Hanspeter nach den verschiedenen und überaus langen Lockdowns der Gastronomie trompetet. Vom Sterne-Gastgeber wurde er über Nacht zum Sterne-Caterer und verkaufte seine Gerichte in umweltfreundlichen Bambusschalen über die Straße. »Du glaubst es nicht«, hatte er ihm hinter vorgehaltener Hand stolz verraten, »ich hatte viel weniger Kosten, weniger Arbeit und am Ende des Jahres unterm Strich auch nicht viel weniger in der Kasse.«

Leon schüttet seinen Kaffee, der inzwischen kalt geworden ist, ohne Genuss in sich hinein. Auch die schwarzgebrutzelten Eier mag er nicht mehr. Durch seinen Kopf jagen fröhliche Szenen und schönste Erinnerungen, die er meist am Stammtisch oder in der Küche mit seinem Freund Hanspeter erlebt hat. Er hört ihn lachen und fluchen. Nein! Suizid? Hanspeter? Niemals! Da ist er sich absolut sicher!

Aber, verdammt, was hatte er nur von ihm gewollt? Warum hatte er ihn so dringend und allein sprechen wollen?

Leon Dold war vor drei Tagen, gleich nach dem Erhalt der Mails und den erfolglosen Telefonversuchen, zu Hanspeter gefahren. Wie immer fuhr er mit seinem alten Porsche direkt hinter das Gasthaus. Meist ging er durch den Personaleingang in die Küche. Auch an diesem Donnerstagmorgen in der vergangenen Woche.

Er wusste, es war Ruhetag in dem Gasthaus. Aber Hanspeter kannte keine Ruhetage, die Hintertür war nie verschlossen. Leon ging wie immer unbeschwert direkt in die Küche. Doch zu seiner Überraschung war sie verwaist, leer wie noch nie. Alle Posten waren blitzblank gescheuert, das Geschirr gespült und versorgt.

Leon rief laut nach seinem Freund, ging durch die Küche in den Gastraum. Die Ahorntische waren frisch gewienert, die Blumenvasen standen leer auf den Tischen, schließlich war Ruhetag.

Leon ging hinter der Küche in das Büro des Küchenchefs. Er grinste. Tohuwabohu wäre eine milde Beschreibung. Leon kennt die Hinterzimmer vieler Wirtsleute. Aber heute sah es bei seinem Freund doch besonders unaufgeräumt aus. Weinflaschen standen auf dem Schreibtisch, geöffnete Weinkartons auf dem Boden. Typisch Hanspeter, dachte Leon.

Seit seine Frau Isabel nicht mehr im Haus war, schien der Patron gelöster, auch freier und fröhlicher, aber Isabel war eindeutig die ordnungssorgende Hand des Gasthauses gewesen. Nach 25 Ehejahren zog sie einen Schlussstrich. »Wenigstens haben wir uns die Kosten der Silbernen Hochzeit gespart«, war der einzige Kommentar, den Hanspeter dazu öffentlich verlauten ließ.

Leon schaute sich neugierig die Weine an, die sein Freund offensichtlich in der vergangenen Nacht getrunken hatte. Sie alle waren vom Weingut Baron von Hohenfels, dem erfolgreichsten Weingut am Bodensee. Das Weingut, so wie auch Rapps Adler, standen in ihren Branchen für die feinsten und unverfälschtesten Bodenseegenüsse. Hanspeter Rapp und der Baron von Hohenfels wurden als die Bewahrer der kulinarischen Seetradition eingeschätzt. Sie waren beide kluge und erfolgreiche Geschäftsmänner und -partner und galten darüber hinaus auch als private Freunde.

Leon wunderte sich, warum Hanspeter mehrere Flaschen und Jahrgänge des Spätburgunders sowie das neue Rotwein Cuvée des Barons geöffnet, aber – ganz gegen seine Gewohnheit – keine der Flaschen leer getrunken hatte. Noch mehr hatte er sich über eine Rotweinflasche gewundert, die er als klassische Bordeaux-Flasche mit dicken Schultern und einer Erhöhung im Boden erkannte. Er wollte wissen, was es für ein Bordeaux war, und hatte nach einem Etikett gesucht, aber zu seiner Verwunderung auf der Flasche keines gefunden.

Auch nach mehreren Rufen durch das Haus blieb Hanspeter verschollen. Leon ging die Treppe in den privaten Teil des Gasthauses hinauf. Wie es aussah, mussten gerade die Putzfrauen durch die Räume gegangen sein. Seit Isabel weg war, hatte Hanspeter kaum noch in seiner privaten Küche gekocht, auch das Wohnzimmer war ordentlich aufgeräumt.

Ratlos ging Leon nochmals durch die Gasträume. Plötzlich schien ihm die absolute Ruhe in den alten Gemäuern unheimlich. Unsicher schaute er sich um und stieg dann unverrichteter Dinge wieder in seinen Porsche und fuhr nach Hause.

Und jetzt? Tot im Kühlraum! Ob Hanspeter schon tot war, als er durch das Gasthaus schlich? Aber wie hätte er auf die Idee kommen sollen, in dem Kühlraum nach ihm zu suchen?

Er will es nicht glauben und weiß gleichzeitig sicher: Hanspeter hat sich nicht umgebracht, großer Nonsens!

Aber was war tatsächlich passiert? Und vor allem, was hatte Hanspeter von ihm gewollt?

Sein Arbeitsplan für heute sieht vor, dass er nach der Bekanntgabe der neuen Michelin-Sterne seinem Job nachgeht und die Änderungen in der eigenen Rankingliste übernimmt. Doch der Tod von Hanspeter lässt ihm jetzt dafür keine Ruhe.

Leon war jahrelang der investigative Journalist und Polizeireporter des regionalen Fernsehsenders. Heute verdient er sein Geld als freier Gourmetkritiker. Er kennt die Michelin-Tester aus Karlsruhe, trifft sie, wenn sie am Bodensee sind. Seit einigen Jahren vergeben sie ihre Bewertungen im März. Dieses Jahr findet sich zum ersten Mal seit 20 Jahren Hanspeters Adler nicht mehr in den Top Charts der roten Gourmetbibel.

Er wollte ursprünglich die neue Michelin-Klassifizierungen in seiner Köcheliste aktualisieren. Aber es sträubt sich in ihm alles, unter Adler, Überlingen, Hans­peter Rapp, den Stern zu streichen. Leon sitzt vor seinem Computer, hat die Excel-Datei geöffnet, reißt sich schließlich zusammen und löscht das Gasthaus mitsamt dem Namen Hanspeter Rapp ganz. Hanspeter ist tot, den juckt jetzt tatsächlich auch kein fehlender Stern mehr!

Leon fühlt sich total von der Rolle. Er hat momentan absolut keinen Bock, die Auszeichnungen seiner Bodenseeköche nach den neuen Entscheidungen der Michelin-Tester weiter umzuschreiben.

Lena schickt ihn, wenn er miesepetrig ist, zum Laufen. Soll er sie anrufen? Mit ihr würde er jetzt gerne reden. Aber sie könnte ihm in seiner Ratlosigkeit auch nicht weiterhelfen. Also macht er, was sie ihm raten würde, und schnürt die Laufschuhe. Einfach losrennen ist immer die beste Therapie für ihn, behauptet Lena. Zumindest hat er deshalb, trotz seiner täglichen drei warmen Mahlzeiten, meist mit Alkohol, sowie gerne noch manch kleineren Snacks zwischendurch, noch eine ganz passable Figur.

Leon und Lena wohnen am Rande der kleinen Bodenseestadt Überlingen in einer alten Stadtvilla, die sie sich eigentlich gar nicht leisten könnten. Die Besitzerin, Helma Book, wollte ursprünglich auch gar nie Mieter in ihrer Altstadtvilla. Doch als Helma 80 wurde, bestand ihre Tochter, die in Berlin lebt, darauf, dass sie die Parterrewohnung frei machen muss. »Jemand muss nach dir und dem Garten schauen«, hatte sie ihre Mutter schließlich überredet.

Wenn auch Helma während des Vorstellungsgesprächs Leon deutlich machte, dass sie keinen Aufpasser benötige und auch nicht mit einem Gärtner, der einmal im Sommer ihren Rasen mähe und im Herbst die Rosen schneide, unter einem Dach leben müsse.

Doch Lena war mit Helmas Tochter längst schon handelseinig. Lena versprach ihr, immer einen Blick auf Helma zu werfen, und Leon hatte schon zuvor die Hecken im Garten geschnitten. Gemeinsam hatten sie entschieden, die Einsprüche der alten Dame zu überhören, und zogen trotz anfänglicher ablehnender Blicke von Helma in die herrschaftliche Wohnung ein.

Für Lena und Leon war es wie ein Lottogewinn. Die Mieten in Überlingen, und dann noch in dieser Lage, sind für kleine Journalisten in schwindelerregende Höhen gestiegen. Und Leon investiert nun mal sein Geld lieber in den Keller, genauer gesagt, in seinen Weinkeller.

Heute ist Helma bald 90, und Lena und Leon sind nicht nur Betreuerin und Gärtner. Helma hat Lena fast schon adoptiert, sie wurde schnell zu einer Art Freundin der manchmal noch immer schrulligen Lady.

Leon verdient seine Pluspunkte bei Helma als Hundeführer ihrer Sennenhündin Senta. Nur hin und wieder spielt Helma noch die unnahbare, strenge Hausherrin. Leider aber ist sie längst nicht mehr jeden Tag die Herrin ihrer eigenen Sinne.

»Und morgen treffen wir uns gestern,« zitiert Lena zurzeit oft eines der Bücher, die sie jüngst zum Thema Alzheimer-Demenz und Vergesslichkeit wälzte.

Leon stolpert fast über Senta, die auf dem Fußabstreifer vor seiner Wohnung lauert. Ihre Nase scheint eine besondere Begabung zu haben und wittert, wenn Leon laufen geht. In der Wohnung mag er eigentlich keine Tiere. Heute Morgen aber tätschelt er ihr liebevoll die Schnauze und spricht sogar zu ihr. Wie Leon sich selbst aber hört, bremst er sich auch schnell wieder und denkt: Was weißt du dummes Vieh schon von Hanspeter. Er fordert sie dennoch laut auf: »Komm mit!«, obwohl sie auch ohne seine Worte bis nach dem Lauf nicht mehr von seiner Seite weichen wird.

Gemeinsam laufen sie los. Anfangs zieht Leon immer schnell an, damit Senta nicht auf die Idee kommt, ihr Geschäft schon in dem Wohngebiet zu verrichten. Bei aller Tierliebe, aber nach Sentas Kacke will er sich nicht bücken müssen. Deshalb gibt er Gas am Salem College vorbei in das Spetzgarter Tobel. Dort im Wald kann Senta ihre Notdurft verrichten.

Danach läuft er zur Gletschermühle. Hier hat sich durch einen Wasserstrudel vor 10.000 Jahren ein Strudeltopf mit einem Durchmesser von 20 Metern geformt. Die Ablagerung der Meeresmolasse ist am Rand deutlich zu sehen. Auf diesen Schottern und Grobsanden entstanden Konglomerate und Grobsandsteine. Heute wachsen auf dem Terroir im Überlinger Felsengarten einige der besten Bodenseeweine.

Leon winkt Thomas Kress zu, der gerade nach dem Winterschnitt die zwei stehen gelassenen Fruchtruten je Stock, links und rechts in die Drahtrahmen bindet. Dabei muss er beim Krümmen der Ruten behutsam vorgehen, um ein Abbrechen zu vermeiden. Pro Rute darf der Winzer mit einer Flasche Wein rechnen. Das heißt: weniger Ruten, weniger Wein, aber eine viel höhere Qualität!

Leon bleibt kurz bei Thomas Kress stehen. »Ich bin so geschockt wie du«, stammelt Thomas, »der Hans­peter …«, schüttelt er ungläubig seinen Kopf. Auch er hat von der Selbstmordtheorie der Polizei in der Zeitung gelesen, aber auch er kann sich bei einem Kerl wie Hanspeter Suizid nicht vorstellen.

Thomas Kress zählt zu den Winzern, denen der Müller-Thurgau sein Comeback zu verdanken hat. Höchstens zwei, manchmal auch nur eine Rute hat er pro Weinstock stehen gelassen. Unzählige Ruten liegen abgeschnitten vor seinen Füßen auf dem Boden. Zusätzlich wird er noch einmal im frühen Sommer Trauben aus den Stöcken schneiden. »Nur mit radikalem Ausschnitt bietet der Müller-Thurgau seine vielschichtigen Aromen!«, ist Thomas’ Credo.

Großvater Walter Kress sah lange skeptisch zu, was sein Sohn da trieb. Ihm tat das Herz weh, wenn er sah, wie sein Junior Thomas die schönen Trauben aus dem Stock schnitt und einfach zu Boden fallen ließ. Doch Thomas Kress blieb seiner Philosophie treu. Heute steht der Enkel Johannes Kress dem Weingut vor. Er betreibt den Schnitt noch radikaler. »Die Kraft des Rebstocks gibt wenigen Trauben einfach mehr Geschmack als vielen«, stimmt er seinem Vater zu. »Jede Traube braucht Sonnenschein und Luft, um gesund zu reifen und sich zu entwickeln.«

Leon kann, durch seine regelmäßigen Läufe, das ganze Jahr über die Arbeitsschritte im Weinberg zusammenhängend verfolgen. Warum nur hatte ihm kein Berufsberater nach seiner Schulzeit von dem Beruf des Winzers erzählt. Heute würde er sich gerne in die Kunst der Wengerter und Kellermeister einarbeiten – und natürlich zugegeben auch eintrinken.

Mit Hanspeter hatte er die unterschiedlichsten Aromen der Weinwelten kennengelernt. Den ganzen Lauf über denkt Leon an ihn. Erst das immer lauter werdende Hecheln von Senta erdet ihn wieder. Länger als eine Stunde Lauf hält die alte Hündin kaum noch durch. Leon legt eine kurze Pause ein und lässt Senta am Bach des Spetzgart-Tobels Wasser schlabbern.

Dann trabt er langsam mit ihr zurück und entscheidet sich: Ich muss noch einmal in das Büro von Hans­peter! Ich will wissen, was Hanspeter vor seinem Tod bewegte, dass er mich so dringend treffen wollte. Ich muss abermals in den Adler, auch wenn die Türen von der Polizei sicher versiegelt sein werden.

Zu Hause füllt Leon Sentas Napf mit Wasser aus dem Gartenschlauch. »Wo wart ihr denn?«, ruft Helma von ihrem Balkon herunter. »Du hetzt den armen Hund noch zu Tode!«

Leon schaut zu Helma hoch und entdeckt sie im Morgenmantel auf dem Balkon. Auch auf die Entfernung sieht er ihr an, dass sie eigentlich böse schauen will. Doch Leon sieht in ihrem faltigen Gesicht immer ihr schelmisches Lächeln.

»Jeder Lauf mit mir hält deine Senta länger am Leben«, winkt er ab. »Hast du schon gefrühstückt?«, fragt er fürsorglich. Lena hatte ihm vor ihrer Abreise wiederholt ans Herz gelegt, sich um die alte Dame zu kümmern. Helma redet nach wie vor viel, meist mit sich selbst oder mit Senta, aber sie vergisst leider zunehmend, genügend zu trinken, und in letzter Zeit versäumt sie auch noch, regelmäßig zu essen.

Leon wartet noch kurz auf Helmas Antwort, dann winkt er ab und geht in die Küche. Er schält eine Zwiebel, brät sie in Butter glasig und schlägt dazu zwei Eier in die Pfanne. Er streut frisch geschnittenen wilden Schnittlauch darüber und verquirlt die Eier zu Rührei. Auf einem Teller mit einem Krug Apfelsaftschorle trägt er den kleinen Imbiss eine Etage höher in Helmas Wohnung.

»Wo ist Lena?«, fragt sie.

Sicher hat ihr Lena 100-mal gesagt, dass sie zu ihrer Schwester fährt. Aber Leon hat gelernt, der alten Dame ihre Fragen immer wieder geduldig aufs Neue zu beantworten.

»Was bekommst du heute zu essen?«, fragt er danach interessiert nach.

»Spargel«, antwortet sie wie aus der Pistole geschossen.

Leon nickt lächelnd. Erstens ist es erst März, da gibt es noch längst keinen Spargel, und zweitens serviert die Sozialstation ganz sicher das teure Edelgemüse so früh noch nicht. Seit Längerem hat Lena für Helma Essen auf Rädern bestellt. Nur so ist garantiert, dass sie jeden Tag auch wirklich ein warmes Essen vor sich stehen hat.

Trotzdem lässt sich Leon auf Helmas Behauptung ein und rät ihr frech: »Dann machst du am besten eine Sauce Hollandaise dazu, das kriegst du doch hin, oder?«

»Ich mache mir jeden Tag mein Essen selbst!«, schaut sie Leon erbost an. »Was denkst denn du? Mein Mann hat immer gesagt: Ich bin die beste Köchin!«

Über dem Küchentisch hängt der Speiseplan der Sozialstation. Leon liest: Montag, Kalbsgeschnetzeltes mit Reis, von wegen Spargel. Er sieht die alte Dame an ihrem Küchentisch sitzen und seine Rühreier essen. Dazu hatte er ihr ein weiches Toastbrot gelegt. Wichtig ist weich!, denkt er und schenkt sich jeden weiteren Kommentar.

Helma ist wahrlich keine arme Witwe, doch ihre Küche wurde in den 1960er-Jahren eingerichtet. Damals sicherlich modern und teuer, heute wirkt sie nur noch alt und schäbig. Über ihr hängt ein Foto aus vergangener Zeit. Helma ist darauf eine großgewachsene, stattliche Frau: dunkle Haare, Toupierfrisur wie Raquel Welch, straffer Büstenhalter, eng geschnürter Trenchcoat und ein Lächeln mit blendend weißen Zähnen.

Heute sieht Leon vor sich eine alte, gebrechliche Frau. Gebückt sitzt sie am Tisch und isst langsam ihre Eier. Ihre Haare sind nunmehr grau und kurz geschnitten. Helma trägt täglich ein einfaches, dunkles Kleid, wie sie wohl Mutter Beimer aus der Lindenstraße tragen würde. Ihre einst perlweißen Zähne sind noch ebenmäßig geformt, aber nur dank des künstlichen Gebisses.

Leon schiebt ihr die noch sprudelnde Apfelschorle hin: »Zu Spargel passt der Apfelwein perfekt.«

Helma nimmt einen Schluck, setzt ab und strahlt: »Willst du mich veräppeln?«, fragt sie im vollen Ernst. »Das ist doch Sekt!«

Leon lacht ihr verschwörerisch zu und weiß längst, das ist alles nicht mehr zum Lachen. Aber solang Helma sich in ihrer Wohnung selbst noch wacker auf ihren Beinen halten kann, wollen Helmas Tochter und auch Lena die alte Dame nicht in ein Heim stecken.

Schnell wechselt er das Thema und sagt, was ihn am meisten bedrückt: »Hanspeter Rapp ist tot, du erinnerst dich an den Wirt im Adler?«

»Tot?«, fragt Helma und winkt gelassen ab. »Naja, der war ja schon alt.«

Leon schluckt. »30 Jahre jünger als du!«

»Na hör mal, die Lisa ist viel älter als ich, die war schon aus der Schule, als ich erst reinkam.«

Wer Lisa jetzt ist, will Leon lieber nicht wissen. Er fragt sich, wie Lena sich täglich eine Stunde mit Helma unterhalten kann. Glücklicherweise kommt zweimal täglich vom Sozialdienst eine Pflegerin bei Helma vorbei, die der plötzlich schnell alternden Frau bei der Morgentoilette und beim Bettgang hilft.

»Ich muss noch etwas arbeiten«, lügt er und verschwindet.

Zurück in seiner Wohnung, greift Leon zuerst zu einem Bier, dann duscht er und trinkt ausnahmsweise noch ein zweites. Er weiß noch immer nicht, wie er mit dem Tod von Hanspeter umgehen soll. Er sitzt ratlos am Küchentisch und genehmigt sich, obwohl es heller Vormittag ist, auch noch ein drittes Bier. Dann legt er sich auf die Couch im Wohnzimmer und schläft leicht betrunken, aber unruhig ein.

Er träumt von Hanspeter, wie er sich im Bodensee ersäuft und sich mit einem Revolver in der Hand eine Kugel in den Kopf jagen will. Bevor der Schuss kracht, wacht er erschrocken auf. Ein Hilferuf bleibt ihm in der Kehle stecken, und gleichzeitig fasst er den Entschluss, sobald es dunkel wird, in den Adler zu fahren, um sich nochmals in Hanspeters Büro genauer umzusehen.

Um wieder fit zu werden, zieht er erneut seine Sportklamotten an und geht in den Garten. Er nimmt eine Harke und eine Schaufel und gräbt den Humushaufen ab, den er im vergangenen Jahr umgesetzt hatte. Jetzt verteilt er die neue frische Erde im Gemüsegarten. Danach setzt er den frisch angehäuften Kompostberg auf den Platz des eben abgetragenen Humushaufens, um wieder Platz für die neuen Gemüseabfälle zu schaffen. Dann schaut er auf die Uhr und weiß, es ist Zeit für sein nicht ganz legales Vorhaben. Er geht erneut duschen, fühlt sich jetzt wieder frisch und fährt los.

Fotografen reden von der »Blauen Stunde«. Die Sonne ist längst untergegangen, der See liegt wie eine große schwarze Pfütze unter ihm. Er fährt über die Bundesstraße von Überlingen Richtung Meersburg, an den Weinbergen des Markgrafen von Baden und der Wallfahrtskirche Birnau vorbei. Linker Hand steht der Adler, ein stattliches Gasthaus mit viel Fachwerk und von Reben umrankt.

So im Dunkeln liegend hat Leon seine Lieblingsgaststätte bei der Anfahrt noch nie gesehen. Sonst ist das Restaurant hell erleuchtet, außen strahlen Flutlichter den großen Ausleger an, ein schmiedeeisernes Kunstwerk von einem Doppeladler, der auf die vorderösterreichische Zeit und die Gründung des Adler im 16. Jahrhundert hinweist.

Unvermittelt macht Leon den leicht röhrenden Porsche-Motor aus und lässt seinen alten Wagen relativ geräuschlos auf den Parkplatz rollen, als könnte ihn jemand hören. Auch die Scheinwerfer schaltet er aus und steigt im Dunkeln aus seinem Auto. Unsicher schaut er sich um, geht langsam auf die Eingangstür des Gasthauses zu und sieht die Versiegelung der Polizei.

Vorsichtig wie ein Einbrecher schleicht er um den Gasthof herum. Auch die Hintertür ist versiegelt. Er geht ein Stück weiter zum Kellereingang. Die Bierkutscher, die Weinlieferanten und der Fahrer des wöchentlich liefernden Gastroservice wissen, wo der Schlüssel zum Souterrain liegt, und Leon weiß es auch.

Er greift in das Versteck, zieht den Kellerschlüssel heraus, öffnet die Tür und stapft zunächst unsicher die Treppenstufen in das alte Gewölbe hinunter.

Zuerst macht er nur die Taschenlampe seines Handys an, dann aber traut er sich doch, den Lichtschalter zu bedienen. Grell blitzen die Neonröhren auf. Leon sieht am hinteren Ende des Gewölbekellers die Treppe, die in das Gasthaus hochführt, sie endet an einer Falltür. Er drückt seinen Rücken dagegen und leuchtet mit der Handylampe über die abgenutzten Holzdielen in den Flur des alten Gebäudes.

Es ist absolut ruhig in dem normalerweise lauten Gasthaus.

Er öffnet die Falltür ganz und tritt in den Gang. Hier verlässt er sich weiterhin auf seine Taschenlampe. Beinahe wäre er an die offene Tür des Kühlraums gestoßen. Sie stand noch nie auf, jetzt leuchtet Leon neugierig hinein. Wenn das Hanspeter sehen würde, denkt er. Im Kühlraumtür liegen aufgetaute Lebensmittel, auf dem Boden steht das Tauwasser.

Inmitten des kleinen Raums steht ein Holzstuhl. Was der da zu suchen hat, fragt sich Leon und will nicht glauben, dass Hanspeter tot darauf gesessen hat, als ihn die Polizei fand. Und wenn doch, dann muss ihn jemand daraufgesetzt haben, ist sich Leon sicher. Für wie bescheuert hält die Polizei denn seinen Freund? Wer setzt sich schon in einen Kühlraum? Wenn er wirklich auf dem Stuhl gefunden wurde, spricht dies doch erst recht für Mord!

Er reißt sich von dem Anblick in dem abgetauten Kühlraum los, schleicht verunsichert durch die Stille in dem ansonsten umtriebigen Gasthaus in Richtung Küche. Im Lichtkegel seiner Lampe findet er leicht den Weg in das Büro.

Überrascht stellt er fest, dass in der Zwischenzeit jemand aufgeräumt hat. Die leeren Weingläser sind weg, aber die angefangenen Weinflaschen des Weinguts Baron von Hohenfels sind noch da, sie stehen jetzt auf dem Boden nach Größe an der Wand aufgereiht in Reih und Glied. Typisch Putzfrauen, urteilt Leon. Aber dadurch haben sie wenigstens die Bordeaux-Flaschen extra aufgereiht.

Leon ist aber nicht wegen der Weinflaschen, sondern wegen der Mails seines Freundes in das Haus eingestiegen. Deshalb schaltet er als Erstes den Computer an und erschrickt kurz, wie hell der Raum plötzlich erleuchtet ist. Trotzdem knipst er ungerührt zusätzlich die Schreibtischlampe an. Es scheint ihm unverdächtiger, wenn Licht im Inneren des Büros brennt, als wenn ein Passant von außen nur das blaue Computerlicht sieht.

Kaum ist der Rechner hochgefahren, verflixt, da fragt der Computer nach einem Passwort. Leon überlegt kurz. Hanspeter war in diesem Fall sicher nicht so kreativ wie in seiner Küche. Zunächst versucht er die Zahlenreihe eins bis vier. Pech. Noch zwei Versuche. Leon entscheidet sich für das Nächstliegende und schreibt »Adler«. Wieder nichts. Noch ein Versuch. Den Rechner hat Hans­peter schon lange, sicher hat er das Passwort nie geändert. Also tippt er »Isabel« ein. Bingo! Der Rechner fährt hoch.

Leon zieht einen Stick aus seiner Tasche und kopiert wahllos alle Dateien, die er erwischen kann. Dann fährt er den Rechner herunter, blickt abermals zu den Weinflaschen und packt alle in zwei danebenstehende Kartons ein. Warum, weiß er nicht genau, aber irgendwie scheint mit den halb ausgetrunkenen Flaschen etwas nicht zu stimmen.

Dann sieht er wieder die Bordeaux-Flaschen ohne Etikett an, was da wohl drin sein mag? Von der schon geöffneten nimmt er einen Schluck, ist aber zu aufgeregt, um ihn richtig zu kosten. Kurz entschlossen packt er auch diese Flaschen in einen leeren Weinkarton, stapelt die drei Kisten aufeinander und balanciert sie vor sich her, dass er aus dem für ihn unheimlichen, leeren und stillen Adler hinauskommt.

Zu Hause fährt Leon sofort seinen Rechner hoch und steckt den Stick in die Buchse. Zuerst schaut er sich den kopierten Emailverkehr an und findet unter »Gesendete« die Mails, die ihm Hanspeter geschickt hatte, und auch einen Mail-Dialog mit dem Baron von Hohenfels. Verwundert liest Leon, dass Hanspeter alle Bestellungen bei dem alteingesessenen Weingut storniert hatte und stattdessen in Zukunft seine Bodenseeweine von neuen, jungen Winzern beziehen will. Zusätzlich erklärt er dem Baron: »Du weißt, warum. Ich bedauere deine Entscheidung und finde, wir sollten unserer regionalen, authentischen Seephilosophie, bei allem unternehmerischen Interesse, immer treu bleiben.«

Was soll das jetzt heißen?, fragt sich Leon.

Seltsam, dass Hanspeter ihm von seiner weitreichenden Entscheidung nichts gesagt hatte. Wenn die Trennung der beiden Impresarios öffentlich wird, schlägt das hohe Wellen. Warum trennt sich der angesehene Bodenseekoch Rapp von dem angesehenen Weingut Baron von Hohenfels? Das ist eine Nachricht, als wollte sich das Konstanzer Münster von Konstanz trennen. Es klingt für Leon ebenso unglaublich wie die Nachricht, dass Hanspeter sich umgebracht haben soll.

Leon schaut die mitgebrachten Weine aus Hanspeters Büro an. Er holt sich ein Weinglas und greift zu einer der geöffneten Flaschen mit Spätburgunder. Hanspeter hatte den Korken kräftig in den Flaschenhals getrieben. Leon benötigt ein paar Umdrehungen, bis er locker wird und er ihn lösen kann. Dann hält er sich den Korken unter die Nase und riecht daran, schüttet sich Wein in das Glas und lässt ihn rotieren. Jetzt steckt er die Nase in das Glas und riecht die feine Würze, leichtes Barrique und etwas Vanille.

100-mal hat Leon mit Hanspeter seine Weine durchprobiert, die Abfolge ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Er genießt die ausgewogene Struktur des Spätburgunder und denkt: Der Baron von Hohenfels kann’s halt, warum nur wollte Hanspeter ihm kündigen?

Gespannt greift er als Nächstes zu der Bordeaux-Flasche, geht in die Küche, spült das Glas und seinen Mund aus. Dann schenkt er sich von dem umetikettierten Rotwein ein, riecht vollere Aromen, mehr Barrique, mehr Vanille und dunkle Beeren wie schwarze Johannisbeere, zudem Schokolade. Er hält das Glas gegen das Licht. Der Rotwein ist gegenüber dem Spätburgunder viel dunkler, hat ein kräftiges Rot, aber ein Bordeaux? Da muss Leon kapitulieren, wenn jetzt Hanspeter da wäre, vielleicht wüsste er das Rätsel zu lösen?

Vielleicht hatte er es gelöst?

Wurde er deshalb ermordet?

Die andere Frage ist: Von wem stammt der Wein in der Bordeaux-Flasche? Leon glaubt nicht, dass er in dem Weingut des Barons von Hohenfels abgefüllt wurde. Die Rotweine des Barons sind alle mit Spätburgunder ausgebaut und werden ausschließlich in den klassischen, traditionellen antikgrünen Burgunder-Flaschen abgefüllt. Auch sein neues Rotwein Cuvée, für das er Spätburgunder mit Merlot Trauben verschnitt, und das überschwänglich ein Kritiker als Bodensee-Bordeaux beschrieb, füllt der Baron von Hohenfels, wie es sich am Bodensee traditionell gehört, in Burgunder-Flaschen ab.

Was aber hat diese Bordeaux-Flasche zu bedeuten?, rätselt Leon, während er sich Schluck für Schluck in den unbekannten Roten eintrinkt.

Nebenbei knobelt er an dem sich neu gestellten Rätsel: Was haben der Rotwein des Barons und die mysteriöse Bordeaux-Flasche mit Hanspeters Tod zu tun? – Nichts? Das glaubt er nach diesem Weingelage in Hanspeters Büro auf keinen Fall!

Immer wieder kommt ihm die Kündigung Hanspeters als Kunde des Barons in den Sinn. Was sollten die plötzlichen Unstimmigkeiten zwischen den beiden Leitwölfen Rapp und von Hohenfels?

Leon entschließt sich, morgen das Weingut von Hohenfels zu besuchen. Er hatte dem Baron von Hohenfels schon länger eine größere Story über die Geschichte des erfolgreichsten Weinguts am See versprochen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, denkt er. Ein Termin im März, wenn die Winzer gerade wenig zu tun haben, klingt unverfänglich.

Leon setzt sich wieder an seinen Computer und fragt in dem Weingut von Hohenfels an, ob er kurzfristig einen Termin mit dem Baron bekommen könne. Das angesehene, österreichische Weinmagazin Falstaff habe ihn beauftragt, eine Story über das bekannteste Weingut am Bodensee zu schreiben. Ihm ist gerade ein Termin geplatzt, am liebsten käme er morgen, Dienstag, wann immer der Baron Zeit für ihn habe.

So hofft Leon, wird er schnell mehr über Hanspeters Streit mit dem Baron von Hohenfels erfahren. Vielleicht weiß der Baron auch Neues zu Hanspeters Tod?

Dienstag

Im Mittelalter war der gesamte Bodensee rundum mit Reben bepflanzt. Erst die Reblaus sorgte für ein Ende des Massenweins, sie hatte fast alle Reben vernichtet. Die wenigen Rebstöcke, die überlebt hatten, wurden ebenfalls herausgerissen, nur die besten Lagen wurden erst später wieder bepflanzt.