Bolle und die Bolzplatzbande: Das Römergrab - Christina Bacher - E-Book

Bolle und die Bolzplatzbande: Das Römergrab E-Book

Christina Bacher

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Beschreibung

Für Laura geht ein Traum in Erfüllung, als sie in den Ferien auf den Hund ihrer Nachbarin aufpassen darf. Der kleine Pudel entpuppt sich als der perfekte Spürhund – und stößt auf einer Baustelle am Eigelstein auf ein leeres Römergrab. Doch was bedeutet das Graffiti das jemand an die Wand gesprayt hat: CAVE CANEM – Warnung vor dem Hunde? Ihr neues Abenteuer führt die Bolzplatzbande zurück in die Zeit des alten Rom – und in so manche brenzlige Situation ...

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Christina Bacher, Jahrgang 1973, gründete vor einigen Jahren »Bachers Büro«– eine Schmiede für Texte aller Art. Seither arbeitet sie als Chefredakteurin des Kölner Straßenmagazins »DRAUSSENSEITER« und schreibt Jugendbücher, Kriminalromane und Ratekrimis fürs Radio. Im Jahr 2013/2014 wurde sie sowohl mit dem Stipendium des Kölner Kulturamts in Zusammenarbeit mit der Antoniterkirche als auch mit dem »Tatort Töwerland«-Stipendium ausgezeichnet. Nach Stationen in Kaiserslautern, Marburg, Bonn, Montpellier und Prag lebt sie heute mit ihrer Familie in Köln.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig. Die Idee einer Krimireihe um die Figuren Bolle und die Bolzplatzbande wurde ursprünglich gemeinsam von Christina Bacher und Ulrich Noller für eine Ratekrimi-Serie des Hessischen Rundfunks und schließlich für diese Buchreihe entwickelt.

© 2017 Emons Verlag GmbH Alle Rechte vorbehalten Umschlagmotive: fotolia.com/JiSign, shutterstock.com/advent/MPFphotography/Tajuan Umschlaggestaltung: Nina Schäfer Lektorat: Hilla Czinczoll eBook-Erstellung: CPI books GmbH, LeckISBN 978-3-96041-191-8 Köln Krimi für Pänz Originalausgabe

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Für Rose und Lennard

Ich blieb wie angewurzelt stehen: Unter mir tat sich plötzlich ein Abgrund auf, und ich hatte die einmalige Möglichkeit, auf eine 2000-jährige Zeitreise zu gehen.

Josef Gens, Finder des Poblicius-Grabmals

Donnerstag, 6.Oktober

15Uhr, Weidengasse

Überall nur Baustellen, wo sie auch langläuft. Schon seit Wochen gleicht Lauras Schulweg einem Spießrutenlauf: Heute muss sie wegen eines riesigen Lochs im Asphalt zuerst auf die linke Straßenseite ausweichen, dann zwingt sie ein rot-weißer Bauzaun auf den rechten Bürgersteig. Als sie dabei auch noch fast von einem Auto erfasst wird, hat sie die Nase von Baustellen wieder mal voll. Wofür gibt es die eigentlich? Um Leute zu ärgern. Klar.

Die ganze Kölner Nordstadt ist eine einzige Baugrube. Laura seufzt. Okay, wenn ab jetzt nichts Unvorhergesehenes mehr passiert, ist sie in fünf Minuten zu Hause. Dann wäre das Mittagessen, das ihre Mutter für gewöhnlich unter einer Warmhalteglocke für sie bereitstellt, wenigstens noch lauwarm.

Plötzlich schießt mit Vollkaracho ein braunes, langhaariges Etwas auf Laura zu, dreht zwei Runden um den Mülleimer und bremst schließlich direkt vor dem Mädchen ab. Freudig springt ein kleiner Pudel mit wedelndem Stummelschwanz an ihr hoch. Das Wollknäuel, Laura weiß das, heißt Conchita und ist vor Kurzem an den Eigelstein gezogen, irgendwo in Lauras Nachbarschaft.

»Na, du. Hast du mich gleich wiedererkannt?« Laura bückt sich und streichelt zärtlich das weiche Fell des Tieres. Wenn doch nur ihr größter Wunsch in Erfüllung ginge und sie genauso einen Hund bekäme. Sie würde sich nie wieder etwas anderes wünschen. Schade, dass ihre Eltern nicht für ein Haustier zu begeistern sind. Schon gar nicht, seit ihre kleine Schwester Systra auf die Welt gekommen ist.

»Conchita!« Eine schrille Stimme ertönt, und Stöckelschuhe tauchen in Lauras Blickfeld auf. Ihr Blick wandert an langen, dünnen Beinen in Netzstrumpfhosen hoch. Sie bemerkt einen sehr kurzen Minirock und landet in einem übertrieben geschminkten Frauengesicht. Die dünnen Lippen mit dem dick aufgetragenen roten Lippenstift verziehen sich zu einer Fratze. »Bei Fuß!«

Laura hat die Frau in letzter Zeit häufiger hier gesehen. Sie wird von allen die »Tussi vom Eigelstein« genannt, aber mit ihr gesprochen hat noch niemand, den Laura kennt. Über was denn auch? Sie scheint sich eh nur für Make-up und schräge Outfits zu interessieren. Kein Wunder, dass der Pudel sich so freut, wenn er mal einem normalen Menschen begegnet.

»Mein Hündchen scheint dich ja sehr zu mögen.« Die Frau klappert mit den langen Wimpern und legt behutsam die Leine um den Hals ihres Schützlings. »Sie ist sonst nicht so zutraulich bei Fremden!«

Conchitas rosa Zunge hängt fast bis zum Boden, sie hechelt zufrieden und schaut Laura verliebt an.

»Wir mögen uns. Nicht wahr?« Laura lächelt glückselig.

Conchita bellt dreimal. Das heißt wohl: Ja.

»Hm. Das bringt mich gerade auf einen verrückten Gedanken«, sagt der rote Mund jetzt, und eine Parfumwolke wabert herüber, als sich die Frau mit der Hand durch die Haare fährt. »Eine ganz vorzüglich-crazy-lustige und zudem unglaublich praktische Idee.«

Offenbar hat sie tatsächlich einen kleinen Knall, überlegt Laura. Denn jetzt tänzelt die »Tussi vom Eigelstein« mit kleinen Schritten vor ihr herum, als wollte sie bei »Let’s Dance« antreten.

»Also, ich muss dann mal heim«, versucht sich Laura möglichst höflich zurückzuziehen. Und sie muss sich ja tatsächlich beeilen. Ihr Magen knurrt schon vor Hunger.

»Stopp!«, schreit da die Frau, sodass sich nicht nur die kleine Conchita erschreckt, sondern auch eine Passantin herumfährt und sich nach der Lärmquelle umschaut.

»Willst du sie haben?« Ein Grinsen, blutrot, gerissen, schrill. »Ich meine, nicht für immer, aber: Willst du auf Conchita eine Weile aufpassen? Ich habe nämlich eine Reise gebucht und kann sie nicht mitnehmen.«

Laura glaubt zuerst, sich verhört zu haben. Kann diese seltsame Frau Gedanken lesen? Oder Träume erraten?

Laura muss ungläubig geguckt haben, weshalb die Frau ihr Angebot noch einmal bestätigt: »Doch, ich meine es ernst. Ich fliege spontan für sechs Tage nach Italien und würde dir mein Hündchen anvertrauen. Ich spüre da good vibrations, really. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass sie bei dir gut aufgehoben ist. Und?« Die Frau streckt ihr die Hand entgegen, als wolle sie einen Deal besiegeln.

Nichts lieber als das, denkt Laura und sagt: »Ich muss noch mit meinen Eltern sprechen.«

»Selbstverständlich, Kleine. Mach das.« Da dreht sich die Frau ganz überraschend um die eigene Achse und zieht ihren Pudel hinter sich her– in Richtung Ebertplatz. Mit der rechten freien Hand winkt sie noch mal in die Luft. »Ich melde mich dann. Bye-bye, Kleine!«

Laura starrt dem seltsamen Duo hinterher, als hätte sie das gerade eben nur geträumt. Wie heißt die Frau eigentlich? Und wie wird sie sie erreichen können? In dem Moment setzen auch schon wieder die Presslufthämmer am Eigelstein ein. Die Bauarbeiter haben also ihre Mittagspause schon hinter sich. Im Gegensatz zu ihr, Laura mit dem knurrenden Magen!

18Uhr, Gereonswall

Laura kann es gar nicht abwarten, bis ihre Mutter heute mit der kleinen Systra vom Babymassage-Kurs nach Hause kommt. Seit ihre kleine Schwester auf der Welt ist, hat sie Freiheiten, von denen sie zuvor immer geträumt hat: viel freie Zeit, kein Gemecker mehr wegen des unaufgeräumten Zimmers und in der Woche so oft Fernsehschauen wie sonst nur am Wochenende. Dafür sieht sie ihre Mutter meist nur im Doppelpack mit der Schwester: Auch jetzt ist erst einmal Geschrei aus dem bunten Tragetuch angesagt, das seit Wochen wie bei einer Känguru-Mutter vorn festgewachsen scheint, obwohl die Kleine sicher inzwischen schon ganz schön schwer geworden ist.

»Laurinchen, grüß dich«, sagt Renate Pauli, als sie die Vier-Zimmer-Wohnung am Gereonswall betritt.

Systra hat mit dem Geschrei aufgehört, schaut aber noch unglaublich trotzig aus einer Stoffspalte des Tragetuchs hervor, und man sieht sofort, dass sie sich gerade erst verausgabt hat. Sie ist knallrot im Gesicht. Sieht mir nicht sonderlich ähnlich, findet Laura schon von Anfang an.

»Mama, ich muss dir was sagen!« Laura ist total aufgeregt, sie kann es gar nicht abwarten, die sensationellen Neuigkeiten zu erzählen. Nämlich, dass sie die neue Nachbarin auf der Straße kennengelernt und Conchita als Pflegehund angeboten bekommen hat.

Doch Renate Pauli ist schon im Nachbarzimmer verschwunden. »Wir reden nachher darüber, okay? Ich stille und wickele die Kleine erst mal und bringe sie dann gleich ins Bettchen. Wenn Papa dann kommt, gibt es leckere Tortellini. Mit selbst gemachtem Pesto. Und Salat.« Damit lässt sie ihre große Tochter ungehört im Wohnzimmer zurück.

Toll. Hauptsache, die Nahrungsaufnahme und -verarbeitung fluppt, denkt Laura enttäuscht. Alles andere ist offenbar egal. Es geht um nichts anderes mehr als Trinken, Verdauen, Trinken, Verdauen. Phhh.

Da klingelt irgendwo in der Ferne ihr Handy. Wo hat sie das Ding am Nachmittag noch mal versteckt? Unter dem Haufen Jeans oder zur Sicherheit in der Holzkiste unter dem Bett? Da nämlich kommt Systra mit Sicherheit nicht drauf. Für ihr Alter ist die Kleine schon ganz schön pfiffig und versucht neuerdings krabbelnd, alles aufzuspüren, was Laura ans Herz gewachsen ist: Radiergummis, CDs oder eben ihr Handy. Da hat das Klingeln schon aufgehört. Bestimmt springt jetzt die Mailbox an. Egal. Wer um diese Uhrzeit anruft, versucht es sicher später noch mal.

Endlich steht das Essen auf dem Tisch. Die Mutter hat nicht zu viel versprochen: Die Tortellini riechen köstlich, eine Schale Reibekäse steht daneben– Lauras Lieblingsessen. Herrlich!

Und nebenan schläft Systra selig in ihrem Gitterbettchen. Laura liebt ihre kleine Schwester über alles. Auch und vor allem, wenn das Baby schläft und sie ihre Eltern mal ein paar Minuten für sich allein hat.

»Ich muss euch was erzählen«, setzt Laura an. Sie muss sich konzentrieren, um die richtigen Worte für ihr Anliegen zu finden. In keinem Fall darf sie ihre Eltern mit der Idee, einen Hund aufzunehmen, unter Druck setzen. Am besten wäre es ja, die beiden würden denken, dass sie selbst auf die Idee mit dem Ferienhund gekommen sind. Aber wie stellt man das an?

Ihre Mutter rührt mit einer Nudel in der leckeren Soße herum und steckt sie genüsslich in den Mund. Ihr Vater hat sich die Tageszeitung geschnappt und liest während des Essens den Leitartikel auf der ersten Seite. Laura weiß, dass ihre Mutter es hasst, wenn man sich beim Essen nicht von Alltagsdingen lösen kann: Auch wenn heute mal alle ihre Smartphones zur Seite gelegt haben, scheint sich der Herr des Hauses gerade mehr für die Zeitung als für ihr mühevoll zubereitetes Essen zu interessieren.

»Tststs, das gibt es ja gar nicht«, murmelt Carlo Pauli. »Krieg, Zerstörung, Diebstahl– wo man hinhört. Es sind schlimme Zeiten, in denen wir da leben.«

Lauras Stichwort– sie könnte Conchita als Wachhund ins Feld führen! »Genau, man sollte sich heutzutage besser schützen. Meine Freundin Irma zum Beispiel…«

Da klingelt erneut das Handy aus dem Nachbarraum. Verflixt, ausgerechnet jetzt. Vielleicht ist es ja doch dringend.

»Das wird wieder dieser Wladi sein.« Die Mutter schaut sie eindringlich an. »Er hat es vorhin schon auf dem Festnetz probiert.«

»Wladi hat angerufen? Warum sagst du das erst jetzt?«

Laura spürt ganz plötzlich eine lange nicht da gewesene Aufregung: Eigentlich hat sie mit dem Jungen aus Tadschikistan ja immer nur zu tun, wenn es einen neuen Fall zu lösen gibt. Wladi, Kevin, Sema und Laura gehören– sehr zum Leidwesen ihrer Eltern– einer Detektivbande an, die schon so manchen Dieb geschnappt hat. Sogar einen Immobilienskandal haben sie auffliegen lassen.

Obwohl die vier Kinder nach der Grundschulzeit von ihren Eltern zum Teil auf unterschiedlichen Schulen angemeldet wurden, haben sie immer Kontakt gehalten. Detektivarbeit verbindet eben!

»Ich soll dir sagen, dass die Ferien gerettet sind«, sagt die Mutter noch. Das gedämpfte Klingeln des Handys wird immer lauter. Die Sockenkiste! Genau! Dort hatte sie es am Nachmittag ausnahmsweise reingesteckt.

»Ihr habt doch hoffentlich nicht wieder was ausgefressen?«, ruft Renate Pauli ihrer Tochter hinterher, als diese in ihrem Zimmer verschwindet, um den Anruf anzunehmen. Eine Anspielung auf die Polizei, die nicht nur ein Mal vor der Tür stand, weil Laura in einen aktuellen Fall verwickelt war.

Freitag, 7.Oktober

6.30Uhr, Gereonswall

»Schon abmarschbereit?«

Dass Laura am letzten Schultag vor den Ferien eine Stunde früher als sonst aus dem Haus gehen will, scheint ihrer Mutter gar nicht zu gefallen. Das kann Laura schon an ihrem Unterton hören.

Auf die Frage der Mutter, ob Wladis gestriger Anruf hinter ihrem ungewöhnlichen Eifer stecke, antwortet sie lieber nicht und tut so, als hätte sie das gar nicht gehört. Natürlich hat Renate Pauli damit ins Schwarze getroffen. Umso mehr ärgert sich Laura darüber, was ihre Mutter immer alles von ihr wissen will. Dabei könnte sie doch einfach froh sein, dass es heute mal keinen Stau im Badezimmer und kein Gemotze am Frühstückstisch geben wird. Stattdessen immer diese nervigen Fragen, die sie ja– selbst wenn sie wollte– gar nicht beantworten kann!

Warum Wladi sie heute so dringend sprechen möchte, ist Laura nämlich selbst ein Rätsel. Er hat nur etwas von einer »voll geheimen Mission« gesagt und auch, dass Bolle, der Straßenkehrer, heute früh um sieben Uhr mit ihnen sprechen wolle. In seiner Werkstatt. »Höchste Geheimhaltungsstufe!«

Erstaunlich, findet Laura, welche komplizierten Vokabeln der tadschikische Junge inzwischen auf Deutsch draufhat! Immerhin lebt er noch kein ganzes Jahr in Köln. Detektivarbeit ist manchmal besser als Schule, wenn man eine Fremdsprache von der Pike auf lernen will, hat Laura festgestellt. Und Wladi ist eben ein Naturtalent im Lernen von Sprachen. So viel ist klar. Deshalb hat sie ihm gestern auch noch das Wort »Geheimniskrämer« beigebracht. Das ist jemand, der nie mit der Sprache rausrückt und alles für sich behält. Weil sie erst recht davon genervt ist, dass er sie so unnötig auf die Folter spannt.

»Ich auch nix wissen Details«, hatte er daraufhin beleidigt gesagt, »hab auch nur mitten in Nacht SMS von Bolle bekommen«, und aufgelegt.

Laura nimmt jetzt zwei Treppenstufen auf einmal, weil sie es besonders eilig hat. Einerseits freut sie sich, ihre alten Freunde wiederzusehen, und andererseits ist sie auch ein bisschen angespannt, denn Detektivarbeit ist kein Spaziergang.

Unten angekommen, staunt Laura nicht schlecht: Da sitzt ein kleiner brauner Pudel, der ihr sehr bekannt vorkommt: Conchita! Eine mit bunten Strass-Steinen besetzte Leine führt von dem Hundehals zu dem bunten Kinderwagen, dort hat offenbar jemand den Hund festgebunden. Das aber hindert ihn nicht, mit dem kleinen Stummelschwanz zu wedeln und freudig an Laura hochzuspringen.

»Was machst du denn hier in unserem Treppenhaus? Und wo ist überhaupt dein Frauchen?« Laura schaut sich um, und ihr Blick fällt auf einen pinkfarbenen Koffer, an dessen Griff ein Zettel befestigt ist. In einer schönen geschwungenen Handschrift steht da: »Musste nun doch schon früher los. Viel Spaß euch beiden!«

6.50Uhr, Alte Feuerwache

Laura hat es jetzt ganz schön eilig, wenn sie pünktlich am Treffpunkt sein will. Dennoch verstaut sie den Koffer voller wertvoller Tonschalen und außergewöhnlicher Hundenäpfe, Bio-Hunde-Leckerlis, unzähliger verschiedenfarbiger Schleifchen und der gemütlichen Hundedecke noch rasch im Keller hinter den Fahrrädern, bevor sie mit Conchita das Haus verlässt.

Es fühlt sich gut an, mit einem kleinen Hund unterwegs zu sein. Wie sehr hat sie sich das immer gewünscht. Jetzt hat sie also die Verantwortung für das kleine Tier. Eigentlich müsste sie sich freuen, wenn es nicht ein unüberwindbares Problem gäbe: Ihre Eltern wissen von dem Feriengast noch gar nichts. Es gibt also noch keine offizielle Erlaubnis, aber der Gast ist schon da!

»Wir müssen es ihnen schonend beibringen, Conchita«, redet Laura sich die Sache schön. »Weißt du, sie sind schon etwas älter und mögen keine plötzlichen Überraschungen.«

Auf Höhe des Ebertplatzes, dort, wo vor einigen Monaten eine Kunstgalerie eröffnet hat, hebt der kleine Pudel begeistert sein Beinchen und geht einem wichtigen Hunde-Bedürfnis nach: einen besonderen Ort mit eigener Duftnote markieren. Sie würden so was von zu spät kommen, Mist!

Das Gelände der Alten Feuerwache liegt um diese Uhrzeit noch friedlich und menschenleer im Herzen des sonst so trubeligen Agnesviertels. Noch hat die Kita nicht geöffnet, und auch das Café ist noch geschlossen.

Laura liebt die Alte Feuerwache, wo der Straßenkehrer Bolle seit vielen Jahren eine Werkstatt betreibt. Schon von Weitem sieht Laura, dass die Tür zur Werkstatt nur angelehnt ist– ungewöhnlich. Das kann ja nur heißen, dass Bolle und Wladi schon vor Ort sind!

Das Mädchen quetscht sich, ohne ein Geräusch zu machen, durch den engen Türspalt in den dunklen Raum, in dem alles wie Kraut und Rüben durcheinandersteht. Conchita springt ihr hinterher. Auch sie scheint Abenteuer zu mögen. Begeistert schnuppert sie an einem Fahrradschlauch, der im Weg liegt, und hüpft über eine Kiste Eistee. Dann beginnt sie mit ihren kleinen, schnellen Pfötchen in einer Ecke zu graben, so als wollte sie einen Schatz bergen.

»Ist da wer?«

Lauras Augen gewöhnen sich langsam an die Dunkelheit. Was für ein Chaos! Der alte Sessel umgekippt, ein Schreibtisch voller Papiere, Kisten mit Schräubchen und allerlei Werkzeug liegen auf dem Boden. Nur die Kehrbesen hängen fein säuberlich an der Wand– allen voran der Turbobesen, mit dem sich Bolle seinen Ruhm als »Turbo-Bolle« verdient hat– keiner in Köln kehrt so schnell und so sauber wie er.

Ein Poltern lässt Laura aufhorchen. »Hallo?«

»Bin hier!« Wladis dünne Stimme dringt aus dem Metallschrank, in dem der Straßenkehrer eigentlich die Putzmittel, seine Arbeitsklamotten und den guten Anzug aufbewahrt. Mit einem lauten Knarzen schwingt die klapprige Metalltür auf, und der Junge steht vor ihr: kreidebleich und am ganzen Körper zitternd. Seine Haare sind in den letzten Wochen richtig lang geworden und stehen wirr vom Kopf ab. Er sieht aus, als hätte er ein Gespenst gesehen. Nein: Er sieht aus, als wäre er selbst das Gespenst.

»Laura! Du bist es«, sagt er erleichtert und steigt aus seinem Versteck. Er riecht nach Scheuermittel und Blumenduft-Seife, findet Laura, die sich ein Grinsen nicht verkneifen kann.

»Darf ich fragen, was du in dem Schrank treibst?«

»Habe Geräusch gehört und dachte, du bist Einbrecher.« Wladi klopft seine Hose ab, die voller Spinnenfäden hängt. Ein bisschen Mottenkugel-Duft mischt sich jetzt in das Putzschrank-Parfum.

»Einbrecher, klar!« Laura tippt sich mit dem Zeigefinger an den Kopf. »Du hast mich doch zu so früher Stunde hierherbestellt. Wer soll es also sonst sein?«

»Heute Nacht jemand ist hier gewesen. Türschloss ist aufgebrochen und alles hier durchwühlt.« Laura hat Wladi noch nie so aufgeregt gesehen. »Absolutes Chaos! Da stimmt was nix.«

Laura lässt den Blick durch den Raum schweifen. Tatsächlich: Es liegt nicht nur Werkzeug auf dem Boden verstreut, auch die Schubladen vom Schreibtisch stehen auf. Das ist ihr zuvor gar nicht aufgefallen. Plötzlich läuft es ihr eiskalt über den Nacken. »Und wo ist Bolle?«

»Das weiß ich nicht«, sagt Wladi, und aus seiner Stimme klingt Verzweiflung. »Er mir nur in SMS geschrieben, dass er ist in heiße Sache verwickelt, dass er wichtige Entdeckung gemacht hat. Etwas, das nicht ihm gehört. Und dass wir ihm können vielleicht helfen.«

»Er hat etwas, das ihm nicht gehört? Warum bringt er es dann nicht zum Fundbüro?« Laura kommt die ganze Sache mehr als unheimlich vor. Vor allem, weil der sonst so zuverlässige Straßenkehrer wie vom Erdboden verschluckt zu sein scheint. Ob ihn die Einbrecher vielleicht mitgenommen haben? Bolle– entführt? Oder ist er vor ihnen geflohen?

Die Kinder hören plötzlich ein Geräusch, das sie beide aufschrecken lässt. Ein Rascheln und Knurren. Glas, das zerspringt, und ein Hecheln, das Laura irgendwie bekannt vorkommt. Conchita kommt unter einem Berg Decken hervor– mit wedelndem Schwanz. Sie hat offenbar richtig viel Spaß auf ihrer Entdeckungstour.

»Da!« Wladi springt panisch auf den Sessel. Entsetzt zeigt er auf Conchita. »Da… ist… ein Hund!«

Schon hat er sich eine Wolldecke über beide Ohren gezogen. Laura fragt sich wirklich, was mit dem Jungen los ist, der sonst doch immer die Ruhe selbst ist. »Ein Hund! Hilfe!«, wimmert Wladi unter seinem Schutzwall.

»Wuff! Wuff. Wuff.« Bellend und schwanzwedelnd wartet Conchita jetzt offenbar nur darauf, von Wladi gestreichelt zu werden. Wie kann man vor so einem freundlichen Hund Angst haben?

»Ist er noch da?«, wimmert es jetzt unter der Decke hervor.

»Klar. Conchita ist aber ganz lieb«, versucht Laura ihren Freund zu beruhigen. »Wo ist dein Problem, Mann?«

Wladis Hand taucht unter der Decke auf. Der zitternde Zeigefinger deutet auf die Wand hinter Laura, die sich daraufhin langsam herumdreht. Auch Conchita folgt ihrem Blick, sie ist eben gut erzogen und tut, was man ihr befiehlt. »Da«, sagt Wladi unter der Decke, »lies!«

Laura starrt auf die graue Mauer hinter sich. Keiner hat sich in all den Jahren mal die Mühe gemacht, ihr einen Anstrich zu verpassen. Doch heute sieht sie verändert aus. Mit schwarzer Farbe hat da jemand eine Botschaft an die Wand geschmiert. Riesengroße Buchstaben tanzen vor Lauras Nase herum, es dauert eine Weile, bis sich ihr Blick einen Fokus gesucht hat. Jetzt liest sie langsam und laut vor, was da steht:

CAVE CANEM

Wenn sie nicht alles täuscht, handelt es sich um eine Botschaft auf Latein. Aber Laura hat sich in der Schule für Französisch entschieden, was sie gerade bereut. »›Cave Canem‹. Was bedeutet das?«

Wladi blinzelt unter der Decke hervor und lässt dabei den Pudel nicht aus den Augen. »Heißt: Warnung vor dem Hund.«

Jetzt dämmert es Laura. Wladi ist erschrocken, weil er geglaubt hat, dass die kleine Conchita irgendetwas mit dieser Warnung zu tun hat! Ausgerechnet Conchita. Der liebste, bravste, süßeste Hund auf dieser Welt!

»Vor meinem Hund brauchst du dich nicht fürchten, Wladi. Er kann uns vielleicht sogar beschützen.«

Auch wenn das mit der Warnung vor dem Hund absoluter Quatsch ist, beschleicht jetzt auch Laura das Gefühl, dass mit diesen Einbrechern nicht gut Kirschen essen ist. Die verstehen keinen Spaß, so viel steht fest.

»Aber stell dir vor, Wladi, die Typen haben nicht das gefunden, was sie hier gesucht haben. Dann kommen sie wieder!«

Sie wirft einen kurzen Blick auf ihre Uhr. Gleich fängt der Englischunterricht an, der letzte vor den Ferien. Sie sollte sich also besser beeilen. Und wenn sie ehrlich ist, will sie hier einfach nur weg. »Also, ich muss jetzt in die Schule. Und dann sollten wir uns genau überlegen, was wir mit diesem Tatort hier weiter anfangen. Und zwar gemeinsam mit Kevin und Sema.« Laura dreht sich auf der Stelle um und geht in Richtung Ausgang. Sie hat Angst, ja, große Angst. »Komm schon, Wladi.«

Doch der Junge bleibt sitzen und schaut sie nur ungläubig an. »Schule? Heute ohne mich! Einer muss bleiben. Tatortsicherung. Fingerabdrücke sicher machen, auf Bolle warten.«

Verschwunden ist der Wladi, der sich eben noch vor einem kleinen Pudel versteckt hat. Jetzt kommt der Abenteurer in ihm durch, der Junge, der sich von Duschanbe nach Köln durchgeschlagen hat. So hat Laura ihn vor einem Jahr kennengelernt: mutig und bestimmt.

Jetzt grinst er über das ganze Gesicht, und sein ganz spezieller Wladi-Humor tritt zutage. »Vielleicht du kannst Hund hierlassen, Laura. Ist zwar nicht perfekter Wachhund, weil zu klein und süß. Aber besser als gar nix Schutz, oder?«

Laura fällt ein Stein vom Herzen. Unmöglich hätte sie Conchita mit in die Schule nehmen können, wo Haustiere streng verboten sind. »Danke, Wladi. Wir sehen uns also nachher.«

An der Tür überlegt Laura kurz, ob sie die beiden wirklich allein lassen kann. Ein Mann ist verschwunden, ein Einbruch verübt und eine Warnung ausgesprochen worden. Sicher wären sie besser beraten, wenn sie einfach Kommissar Sieberbeck Bescheid sagen würden. Aber das, das hat ihr Wladi schon gestern am Telefon unmissverständlich klargemacht, kommt gar nicht in die Tüte.

8.20Uhr, Gesamtschule Agnesstein

Mit einer deutlichen Verspätung platzt Laura in den Unterricht. Frau Meisenberg, die alle heimlich Frau Titmouse-Hill nennen, tut so, als bemerkte sie das gar nicht.

Die engagierte junge Lehrerin hat sich offenbar noch nicht entschieden, ob sie den Schülern heute noch mal eine Dosis englische Grammatik verpassen oder vor den Ferien lieber mit ihrem Lieblingsthema eine ruhige Kugel schieben soll: die Römer am Rhein. Richtig angefangen haben sie jedenfalls noch nicht mit dem Unterricht.

Laura lässt sich auf ihren Platz plumpsen und erntet von ihrer Freundin Sema einen strafenden Blick. »Auch schon da?«, zischt sie ihr ins Ohr. »Wo warst du? Du wolltest mir doch noch vor der Stunde bei den Hausaufgaben helfen.«

Ups, das hat Laura ganz vergessen. »Erzähl ich dir nachher!«, flüstert sie, weil die Lehrerin gerade schon einen strafenden Blick in ihre Richtung geschickt hat. Meisenberg hasst es, wenn die Kinder miteinander flüstern.

Laura blättert eifrig in ihrem Englischbuch auf die Seite21, die auch Sema aufgeschlagen hat. Puh! Es geht also um Vergangenheitsformen im Englischen. Da wäre es ihr doch lieber, Frau Meisenberg würde wieder von ihrem Idol, dem Feldherrn Poblicius, erzählen, der im Jahr40 nach Christus in Köln gelebt haben soll. Obwohl: immer diese alten Kamellen. Das Ganze ist fast zweitausend Jahre her!

Die Gegenwart, findet Laura, ist da ungleich spannender: Die Ereignisse in der Werkstatt gehen ihr einfach nicht aus dem Kopf. Wenn Bolle tatsächlich etwas entdeckt und behalten hat, das nicht ihm gehört, ist er genau genommen ein Dieb. Er muss seine Gründe haben, dass er die Sache nicht zum Fundbüro gebracht oder die Polizei alarmiert hat. Sicher hängt dieser Fund mit dem Einbruch bei ihm zusammen.

»Cave Canem«. Warnung vor dem Hund. Sicher haben die Typen gefunden, was sie suchten, aber wer sollte dann noch gewarnt werden? Und vor welchem Hund?

»Autsch!« Semas Stoß mit dem Ellbogen holt Laura wieder in die Wirklichkeit zurück.

»Schnell, du musst dich auch melden! Oder willst du Englisch pauken?«

»Hä?« Laura sieht erst jetzt, dass alle im Raum die Finger recken. Alle außer Freddy, dem Streber. Auch sie hebt jetzt folgsam die rechte Hand.

Sema rollt mit den Augen. »Wir stimmen ab: entweder weiter Unterricht oder Film gucken.«

»Last chance«, sagt jetzt Titmouse-Hill und lächelt verschmitzt. »…you can choose between a new English lesson or a film about the Romans along the Rhein. So, hands up now!«

Die junge Frau ist immer darauf bedacht, ihrem Ruf als strengste und ehrgeizigste Englischlehrerin an der Schule gerecht zu werden. Doch nach dem Vokabeltest am Montag und dem gestrigen Ausflug in ein englisches Theaterstück hat jetzt wohl auch sie kapiert, dass man Sechstklässlern am letzten Schultag vor den Herbstferien nicht mehr mit Übungen zum Unterschied von Simple Past und Present Perfect kommen kann.

Selten, dass die6a gemeinsam an einem Strang zieht, denkt Laura. Der Klassenzusammenhalt ist nämlich nicht der beste. Aber jetzt scheint es zu klappen– mal von dem lieben Freddy abgesehen, der lieber das nächste Kapitel im Buch angefangen hätte. Der ist jetzt aber überstimmt. Gut so.