Bomben Geschäfte - James Douglas - E-Book

Bomben Geschäfte E-Book

James Douglas

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Beschreibung

Im Central Park von New York wird die grausam verstümmelte Leiche einer jungen Frau entdeckt. Was und wer steckt hinter dem Verbrechen? Ein Racheakt gegenüber dem Vater der Toten, einem namhaften Banker? Es ist der Ausgangspunkt einer weltweiten Verschwörung, die mit rasanter Dynamik sichtbar wird, mit Schauplätzen in Zürich, Zypern, Armenien und dem Iran. Spannung pur!

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James Douglas

Bomben Geschäfte

JAMES DOUGLAS

BOMBEN GESCHÄFTE

THRILLER

Besuchen Sie uns im Internet unterwww.universitas-verlag.de

© 2009 by Universitas Verlag in derAmalthea Signum Verlag GmbH, WienAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: [email protected]: akg-images, BerlinVorsatzkarten: Eckehard Radehose, SchlierseeHerstellung und Satz: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger& Karl Schaumann GmbH, HeimstettenDruck und Bindung: CPI Moravia Books GmbHPrinted in the EUISBN 978-3-8004-1486-4eISBN: 978-3-902862-20-4

Prolog

 

Teheran

Air Force-General Hassan Nassiri drückte seinen Rücken in den harten Sitz des unbequemen postsowjetischen Kommandofahrzeugs, stemmte die Beine gegen die Bodenplatte, um die Schlaglöcher der holprigen Zufahrtsstraße aufzufangen. Sein missmutiger Blick wanderte über die vorbeiziehenden Rohre und bauchigen Tanks der großen Raffinerie, blieb auf dem überlebensgroßen Khomeini-Porträt am bombastisch gewölbten Eingangstor haften. Nassiris Gedanken drehten sich an diesem Nachmittag allerdings nicht um den bärtigen, längst verblichenen Großayatollah – General Nassiri dachte an die Zukunft. Sein Land stand an der Schwelle zur regionalen Atommacht. In einer halben Stunde würde er in der entscheidenden Konferenz mehr erfahren.

Der Fahrer im Range eines Stabsfeldwebels schaltete ruppig in den höheren Gang, als er auf das asphaltierte, breite Straßenstück gelangte. Zügig fuhr er am Parkfeld der Raffinerie vorbei, ohne den streng dreinblickenden Revolutionsführer auf dem Porträt auch nur wahrzunehmen. Gut gelaunt hielt der General die Hand zur Wange, Daumen und kleinen Finger symbolisch als Telefonhörer gespreizt. »Sag mal, Ali, hast du auch eins?«

Der Fahrer schaute herüber. »Ein Mobiltelefon? Sicher, General.«

»Ich meine, eins von den neuen?«

Ali bog in eine Betonpiste ab, gab Gas, während er sich ernsthaft mit dieser zurzeit heiklen Frage befasste. Wollte der General ihn etwa aufs Glatteis führen? Er war dem Luftwaffenchef, der ihn stets korrekt behandelte, nun schon seit vier Jahren als Stabsfahrer zugeteilt. Der hohe Offizier war fordernd, musste er ja sein, jedoch auch gütig. Er kümmerte sich um Alis Familie, was ihm der Fahrer hoch anrechnete. Sie redeten auf längeren Dienstfahrten über alles Mögliche, inklusive den Kommissalltag und brennende Anliegen der Truppe. Nie hatte Ali den Eindruck gehabt, der hohe Militär sei politisch engagiert. Einmal hatte jener die Bemerkung fallen gelassen, Politik habe Vorrang vor dem Militär, es sei aber bestimmt nicht an ihm, den Mullahs den Bart zu streicheln.

»Nun, ja oder nein?«

Ali schaute herüber, nickte mehrmals eifrig. »Jawohl, General, hab ich … ich …«

»Schon gut, Ali.« Grinsend zog der General das silbern schimmernde Corpus Delicti aus der Brusttasche. »Was hältst du davon?«

Ali blieb vorsichtig neutral. »Die Dinger sind überall aus der Luft abgeworfen worden. Letzte Satellitentechnologie. Wer wohl dahintersteckt?«

»Sicher die Amerikaner«, lachte der General, »die bösen Ameisen.«

Mit einem abfälligen Schlenker wischte er den Handrücken über die Zeitung auf seinen Knien. Keyhan, das konservative Blatt, wetterte gegen Lumpen und Schurken, die, von fremden Mächten aufgehetzt, das Volk betrügen. Das Informationsministerium dementierte das Eindringen von unbekannten Flugzeugen in den iranischen Luftraum. »Wer sonst? Das Teufelsding bringt Stimmung in die Bude, Ali, was sagst du?«

Eine Allee grün-weiß-roter Flaggen markierte die Einfahrt zum Luftwaffenstützpunkt. Ali schaltete zurück, um fünfundzwanzig zu beachten – die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit. »Man schlägt sich durch, Herr General. Hauptsache ist, wir sind gesund. Man arrangiert sich. Es ist halt schade für die Jets. Uns fehlen die Ersatzteile. Viele Maschinen sitzen am Boden fest. Das sollte sich ändern.«

Er suchte den Augenkontakt seines Generals, manövrierte den Jeep behutsam über die Schwellen, die den Verkehr verlangsamten, zirkelte um autobombenresistente Betonblöcke herum. Die Kupplung ruckelte.

»Für diese Kiste kriegen wir auch keine Teile mehr. Sie sollten den neuen Querfeldein von Toyota beantragen, Herr General.«

Der General grimassierte bedauernd. »Ich weiß.«

Ali fühlte sich in seinen Ansichten bestärkt. »Wir sind isoliert. Der Boykott ist schlimm. Wenn wir eine offene Gesellschaft wären, ich meine …«

»Ich weiß, was du meinst, Ali. Pass auf, der Checkpoint.«

Das IRIAF-Gelände kam voll in Sicht. Die Landebahn flimmerte, die scharfen Konturen der Kommandogebäude stachen aus der Ebene empor. Der General entspannte sich, legte die verschrammte Aktenmappe auf die Knie. Er kramte ein Blatt hervor, überflog die illustren Namen der Teilnehmer. Im Geist ging er seine Rede durch, formulierte die Kernsätze, mit denen er die Lagebesprechung eröffnen wollte. Dabei spürte der alte Fuchs bereits, dass es anders laufen könnte. Wie im Krieg. Schon beim ersten Schuss ist der schönste Angriffsplan nur noch graue und grausame Theorie …

Der Iran, meine Herren, befindet sich auf dem Weg zur regionalen Vormacht, murmelte er, Ali im Blickwinkel, der, diszipliniert verschwiegen nach vorne schauend, konzentriert die Hindernisse umschiffte. Es genügt nicht, meine Herren, nur eine potenzielle Atommacht zu sein. Zwar können wir heute in kürzester Zeit ohne ausländische Hilfe Atombomben herstellen – eine Pause, ich mustere eindringlich die Zuhörer – Hab ich recht, Oberst … Wie-ist-sein-Name? – Eben, so wie heute Japan oder Deutschland dazu in der Lage sind. Vom Weg zur Nuklearmacht darf sich der Iran nicht mehr abbringen lassen. Ich bin Militär. Ich weiß, dass es unseren Streitkräften bessergehen wird, wenn die erste iranische A-Explosion die Welt verblüfft, erschreckt … in Panik versetzt? … Heute gehen wir einen Schritt weiter, ein Schritt, der mit attraktivem Prestige- und Machtgewinn verbunden ist. Wenn uns die internationale Gemeinschaft wieder ernst nimmt, weil wir die Atombombe besitzen, dann wird der Handelsboykott fallen wie … wie denn? Er ertappte sich bei einem lustigen Vergleich. Wie diese Mobiltelefone vom Himmel … Ich ziehe es effektvoll aus der Brusttasche … Nein, besser nicht, der Gag könnte ins Auge gehen … Aber alles steht und fällt mit der Atombombe. Sie ist der Schlüssel, mit ihr wird alles in Bewegung geraten. Wieder fiel ihm der Vergleich mit den Mobiltelefonen ein. Wie die Mobiltelefone wird unsere A-Bombe die offene Gesellschaft herbeiführen … Auch das sage ich besser nicht … Wir werden unsere Luftwaffe erneuern können, die Streitkräfte modernisieren. Länder wie – ich nenne nur Frankreich – wie Frankreich, werden sich um Aufträge reißen, alles wird besser …

Die sowjetische Variante eines Jeeps kam nach erfolgreich gemeistertem Slalomlauf vor der massiven Zugangsschranke zum Stehen. Die schneidigen, leicht bewaffneten Luftwaffensoldaten am massiven Tor erkannten ihren Chef. Hektik kam auf, das Tor bewegte sich, ein Offizier erschien auf der Bildfläche, salutierte stramm, brüllte Befehle.

Sie winkten das hohe Tier ehrfürchtig durch, Ali ruckte los, nach wenigen Metern senkte sich die Nase des Geländewagens, rollte die Rampe hinunter zu einem zweiten stählernen Tor, das sich rechtzeitig quietschend zur Seite schob.

Der General fuhr in die Empfangsbucht ein, stieg würdevoll aus, erwiderte den Gruß der heraneilenden Besatzungen mit zackigem Handheben. Er durchmaß energischen Schritts das geräumige Logistikdock, schenkte dem Gefreiten, der mit glühendem Blick und gerecktem Kopf der Drehtür Schwung verlieh, sein charismatisches Lächeln. Er trat in den Lift, betrat Sekunden später zwei Etagen tiefer das Führungszentrum der Islamic Republic of Iran Air Force …

I

Sonoma County, nördlich von San Francisco

Golden leuchtet die Nachmittagssonne auf die Küstenlandschaft von Sonoma, die malerischen Hügel um Glen Ellen, ein paar Meilen gen Westen die endlose, glitzernde Weite des Pazifiks. Der trotz seines Alters stämmige Mann mit der halblangen weißen Mähne, den viele mächtige Leute als Cosmo kennen, hängt leger hinterm Lenkrad seines komfortablen Hybriden. Er genießt den weiten Nordblick auf die Landseite der Küstenhügel, erfreut sich des Lichts, das auf den Speerspitzenblättern der Eukalyptusbäume glänzt, lässt das Gesicht vom sanften Fahrtwind streicheln. Die kleine, drahtige Jack-Russell-Hündin mit den smart glitzernden Äuglein sitzt mit stolz gewölbter Brust neben ihrem Herrchen. Sie hört, fühlt, riecht – alles gehört ihr, weil sie mit ihrem Gönner und Meister spazieren fahren darf. Versonnen krault Cosmos rechte Pranke den kleinen Hundekopf.

»Na, Feedback, ein schöner Tag, was?«

Zur Antwort drückt das Tier den Kopf gegen Cosmos Hand.

»Du und ich«, fährt der Mann fort, »wir sind eben …«

Hinter ihnen blitzt es gelb auf, ein kurzer, schneidender Sirenenlaut, noch einer – der schwere, verstaubte Highway Patrol Cruiser sitzt den beiden fast schon auf der hinteren Stoßstange. Cosmo lenkt an den Straßenrand, stoppt. Ein paar Herzschläge lang geschieht nichts. In die Stille des Nachmittags rascheln die riesigen alten Bäume am Straßenrand. Feedback gibt einen kleinen, Kampfbereitschaft andeutenden Laut von sich. Cosmo lächelt beschwichtigend, schaut dem Officer im Seitenspiegel zu, wie er langsam aus der Karre steigt, den breiten Dienstgürtel mit den Ellbogen hochhievt, sich steifbeinig in Bewegung setzt.

Cosmo muss jetzt geradezu grinsen: Der Mann ist allein, was gegen die Regeln verstößt, auch etwas schläfrig sieht er aus. Hat wohl in der Sandstraße dahinten ein bisschen gedöst. Gelassen blickt er hoch in das junge Gesicht. »Yessir, officer. Stimmt was nicht?«

»Das kann man sagen. Fahren sie immer so langsam?«

Cosmo kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Langsam? Ich bin zu langsam gefahren?«

»Allerdings, Sir. Auf dieser Straße ist bei unbehinderter Fahrt die Mindestgeschwindigkeit von fünfundzwanzig Meilen vorgeschrieben. Sie fuhren unter zwanzig.«

»Tut mir zutiefst leid.«

»Mir auch. Ihr Hund hat keine Marke, sehe ich.«

»Richtig.«

»Richtig? Ihre Driver License, bitte.«

Cosmo klaubt gelassen die Lizenz aus der Tasche, hält sie dem Officer hin.

»Nehmen Sie die bitte aus der Hülle, Sir.«

Cosmo zieht die Lizenz aus dem Plastiktäschchen, reicht sie dem Beamten. Der liest betont lange, wiederholt den Namen.

»Jack A-bram-ian.«

»Allerdings«, grinst Cosmo.

»Amerikaner?«

»So amerikanisch wie Apfelstrudel, Sir. Mit ’ner Handvoll armenischer Sonnenblumenkerne.«

»Witzbold, was?«

Offenbar irritiert macht der Beamte kehrt, marschiert jetzt stramm an sein Auto. Er fällt auf den Fahrersitz, drückt auf eine Taste, gibt die Daten des Führerscheins durch. Es dauert nicht mehr als zehn Sekunden, dann kommt die Stimme des Einsatzleiters zurück.

»Chip, bist du verrückt? Weißt du, wen du da krallst? Das ist Jack Abramian.«

Der Ton des Kollegen lässt Chip stutzen. »Abramian. Jaaa. Und?«

»Und, und? Jack Abramian gehört gut die halbe Gegend hier in der County – plus ein Viertel vom Staat Nevada. Dein Scheißauto steht auf seinem Land und Boden. Wenn der hustet, bist du deinen Job los, sonst noch was?«

»Ich verstehe …«

»Höre ich noch was von dir«, krächzt die Stimme, »bist du noch auf Hörweite?«

Chip ist schon im Eilschritt bei Cosmos SUV, reicht die Lizenz durchs Fenster. »Tut mir leid, Mr. Abramian, Sir, mein Fehler, ich bin neu, habe erst vorige Woche angefangen. Habe Sie nicht gleich erkannt, Sir, da im Schatten …«

»Schon gut, mein Junge«, klingt es gütig zurück, »du bist nicht der Erste, dem das passiert.«

»Have a nice day, Sir.«

»Du auch«, lächelt Cosmo und lässt an. Der Hybrid zieht durch, Sand und Steinchen schlagen gegen Chips Beine. Im letzten Augenblick stößt Feedback noch ihr gefürchtetes Kampfgeheul aus. Abramian lächelt amüsiert.

Drei Minuten später lenkt er den Wagen in die schmale, von kalifornischen Eichen gesäumte Allee, an deren Ende das eher bescheidene rustikale Anwesen auf ihn wartet. Er lehnt sich über den Sitz, stößt die Tür auf, Feedback springt hinaus. Noch im Flug beginnt der Hund zu rennen, ist schon zehn, fünfzehn Meter voraus, als der Wagen mit dem Fahrer ihn kurz vor dem Ziel doch noch einholt.

Cosmo

Im dezent beige und braun dekorierten Arbeitsraum, von gedämpft leuchtendem kalifornischem Abendlicht in ein geradezu romantisches Habitat verwandelt, kraulten Jack Abramians Finger im seidenweichen Fell von Feedback, der treuen Hündin. »Na, meine Kleine, was sagst du nun zu unserem neuen Präsidenten?«

Feedback blickte aus glitzernden Äuglein auf, verstand die Frage recht gut, immerhin sprach er viel und vertraulich mit ihr. Auch wusste sie, dass Menschen den Mund bewegen, wenn sie sprechen – also mahlte sie niedlich die schwarzen Lippen aneinander. Der Effekt war verblüffend – die kleine Jack-Russell-Terrierin sah tatsächlich aus, als spräche sie. Und Abramian hatte offenbar kein Problem, ihre imaginären Worte zu verstehen. Also wiederholte er sie laut. »Der? Ach da warten wir lieber ab. Anfangserfolge zählen nicht viel in der Politik. Ein bisschen desorientiert wäre er schon, falls er zum globalen Rückzug blasen will. Alles dreht sich um Iran. Dort liegt der Neuanfang.«

Jack Abramians blaue Augen unter der weißen Mähne blickten geradeaus, sein Kinn war leicht angehoben. Feedback rieb die Schnauze am seidenweißen Ärmel ihres Herrn. »Du glaubst mir nicht, was?«

Er lachte. »Doch, doch. Nur, was Iran anbelangt, werden wir dem Charismatiker im Weißen Haus die Show stehlen, verlass dich drauf.« Er schaute zur hohen Decke mit dem aus Elfenbein und rotem Holz kostbar eingelegten Wahrzeichen Orbis Unum. »Was sagst du jetzt, du Schwerenöter?«

Eine Mischung aus Winseln und Aufjaulen war die Antwort des gespannt auf seinem Schoß ruhenden Rassetieres, dem er befriedigt über den Nacken strich. Abramians Stimme klang selbstsicher, sonor, als er jetzt laut »Andy!« rief.

Die schlaksige Gestalt stand bereits im Raum, bevor der Ruf verklungen war. Der junge krausköpfige Mann bewegte sich, als sei er nur so auf Impuls hereingekommen, um mit dem Boss über Belangloses zu plaudern. Feedback sprang in hohem Bogen von Abramians Schoß herunter, dann mit zwei weiteren Sprüngen hektisch an Andy hoch.

»Sie ist in dich verliebt, Andy. Aber jetzt, bitte, unser Mann in Zürich!«

»Sure, Jack.«

Mit einer Hand den Hund abwehrend, zauberte er mit der anderen ein schmales Gerät aus der Hosentasche, gab behände eine Zahlensequenz ein. Abramian stoppte ihn mit einer Geste. »Augenblick. Sag’ mal, Andy, ich frage mich manchmal, was du eigentlich machst, wenn du nicht hier bei mir herumhängst und Feedback verrückt machst?«

Andy grinste vieldeutig. »Wie meinen Sie, Boss?«

»Nun, etwas, das dir fehlt … dir Freude macht … da ist doch sicher ein alter Wagen, an dem du herumfummelst, ja? Gehst du denn nicht mit Kumpeln nach San Francisco zum Baseball bei den Giants, grölst dich heiser? Deine Freundin, die … die … Kim? Ist es Kim?«

Andy grinste noch breiter. »Kim ist nach L.A. zurück. Sie will sich wieder mehr ihrer Filmkarriere widmen. Ich hab mir jetzt ’nen Papagei besorgt. Der ist fast so gut.«

Cosmos Lachen erfüllte den Raum. »Ein Papagei – wie der von Churchill? Erinnerst du dich? Nein, nein, natürlich nicht – dazu bist du zu jung. ›Fuck Hitler …‹ pflegte Churchills Alter Ego draufloszuplappern. Was sagt denn deiner?«

Andy rollte unschuldsvoll die Augen. »Der krächzt: ›Shit, schon wieder der Boss‹.«

Der mächtige Mann winkte amüsiert ab. »Schon gut, ich verstehe. Du hast’s gut, Andy.«

»Ja, Sir, ich habe den perfekten Boss.«

»Hör auf! Du hast deine kleinen Freudchen. Das zählt im Leben, Andy. Was habe ich denn, außer Feedback?« Er senkte den Kopf zum Hund, der begonnen hatte, sich zu beruhigen.

Andy erlaubte seinem lässigen Rahmen in eine neue, wenn möglich noch legerere Wartestellung zu fließen. »Sie haben doch alles, Mr. Abramian, alles, was ein Mann sich wünschen könnte auf der Welt.«

»Geld und Macht?«

»Reichlich von beidem, Sir. Einen Familienclan in Armenien. Und sie haben eine Mission. E pluribus unum.«

Abramian blickte nachdenklich zur Decke, schüttelte plötzlich den Kopf. »Andy, du ziehst mich auf.«

»Na ja, Sir, mein Latein ist ziemlich begrenzt – stammt vom Wahlspruch auf den Dollarscheinen.«

Abramian riss die Augen auf, brach in lautes Gelächter aus. Kopfschüttelnd klopfte er sich mit den Handflächen auf die Knie. Was würde er ohne dieses Kid machen, das ihn jederzeit mit ein paar Worten auf den Teppich zurückholen konnte! »Andy, my boy, du bist jeden Dollar wert, den du bei mir verdienst. Wenn du mich nicht bald um mehr Geld bittest, werde ich es dir ungebeten geben müssen. E pluribus unum – mein blanker Hintern. Da oben steht Orbis Unum. Eine geeinte Welt. Das hast du hundert Mal gelesen, du Komiker.«

Andys Miene hatte etwas Unverfrorenes. »Würde auch auf die Dollarscheine passen, Jack. Und die könnten wir dann sogar selber drucken. Falls uns das Spaß machen sollte.«

Abramian lächelte gönnerhaft anerkennend. »Ich wüsste da was Besseres als Dollarscheine, etwas, das mir richtig Spaß machen würde.«

»Ja, Sir?«

»Nun, gewissen Leuten mal so richtig den Marsch blasen. Unsern Nachbarn in Armenien. Diesen bärtigen Mullahs.« Er grinste bubenhaft, als wäre ihm gerade ein Streich gelungen. Andy hob die langen Arme, reckte sich, gähnte ungeniert.

Sein Boss kicherte vergnügt. »Mädchen lieben Puppen, Andy. Und Männer überall auf der Welt können sich vor Muschis nicht retten, haha … Nie können sie voneinander lassen. Die Mädchen nicht, die Buben nicht. Sie flirten, telefonieren, machen ab, schicken sich SMS. Das ist der geniale Streich, Andy. Was ich doziere, ist historisch wertvoll. Mein Archiv wird die Geschichte neu schreiben.«

Er spricht wieder in Rätseln. Muschis und Puppen, Geschichte – na was soll’s.

»Genau wie die Präsidenten mit ihren Bibliotheken, Sir.«

»Ja, die Präsidenten«, lächelte Cosmo versonnen, »was wären wir ohne sie. Und sie ohne mich!«

Ein Drahtloses summte.

»Der Mann aus Zürich«, informierte Andy leise, plötzlich trotz seines T-Shirts mit der Aufschrift California Dreamin in der Rolle eines beflissenen Angestellten. Er reichte seinem Arbeitgeber den Hörer.

»Ja? Hallo? Shuky, mein Freund, wie geht es …«, hörte er den Alten noch dröhnen, als er auf leisen Sohlen leichtfüßig das Zimmer verließ.

Abramian ließ Feedback vom Schoß gleiten. Das Tier setzte sich artig auf die langen Hinterpfoten, während die Stimme aus Zürich informierte: »Der Infiltrationsschutz funktioniert.« Nachmann sprach die weiträumige Geländeüberwachung durch die israelische Firma an.

»Gut, Shuky.«

»Auge und Ohr in jedem hintersten Winkel«, orientierte der Mann aus Zürich.

»Ich weiß, ich habe Augen im Kopf«, unterbrach Cosmo und berührte mit dem Zeigefinger ein in die Tischplatte eingelassenes Symbol. Augenblicklich leuchtete an der Wand eine topografische Weltkarte auf.

»Armenien«, befahl Cosmo. Sogleich schrumpfte der Globus im Zeitraffertempo auf das Land zwischen Aserbaidschan und der Türkei zusammen, während die Jalousien der breiten Fenster das goldene Abendlicht auf den Küstenbergen geräuschlos abschirmten.

»Straßenkarte!« In kurzer Folge legten sich Routen und Siedlungen mit Bezeichnungen wie von Geisterhand hingestreut auf die Topografie des im Süden zum Iran hin gebirgigen Landes. Ein Spinnennetz von Verkehrsadern bedeckte die Hauptstadt Eriwan in der zentralen Ebene – weiter im Norden deutete sich die Grenze zu Georgien an.

»Wir machen noch Testläufe. Die zweite Tranche der Zahlung ist fällig«, suggerierte Zürich aus dem in der Tischplatte verborgenen Lautsprecher.

Die Landkarte zeigte jetzt einen Streifen im Südwesten, nahe einem Fluss. Das vorprogrammierte Zoom näherte sich einem stadtähnlichen, weit ins bräunliche Land auslaufenden Industriekomplex, holte eine Vielzahl ausgerichteter, langer Gebäude am Rand eines breiten Flugplatzes heran. Große Helikopter und bauchige Transporter standen seitlich auf dem Rollfeld vor einer Reihe von Hangars. Cosmo hieb auf die Stummtaste. »Zürich? Noch dran? Ich blicke gerade auf die neue Landepiste meines Technoparks.«

Die Stimme aus dem Alpenland tönte klar und deutlich in den Raum: »Die ist konstant als fixe Operationsbasis überwacht. Da kommt keiner rein, wie die Russen in Georgien.«

»Ach, das georgische Experiment war doch nur eine kleine Hauptprobe gewesen. Vorspiel gewissermaßen. Die Fieberkurve sollte etwas angehoben werden. Die Russen sind in die Falle getrampelt.« Er lachte gelassen. »Was ist das Schönste am Vorspiel, Shuky?«

Der Kontakt in Zürich blieb stumm. »Hör mal, alter Knabe, alles ist Vorspiel, weil alle unsere Handlungen nur auf das eine gerichtet sind.« Ein bellendes Lachen folgte. Feedback spitzte die Ohren. Der Kommentar aus Zürich blieb aus. Andy materialisierte sich lächelnd, einen Fressnapf in der Hand.

»Das Öl, die Pipelines, das Erdgas, die Rohstoffe – die Schlüsselstelle für Armeniens Zukunft …«, hörte er seinen Boss dozieren. »Was stört, sind die bärtigen Dickschädel in Teheran.« Er setzte den Napf zu Boden. Sprach Abramian zum Hund oder mit Zürich? Besser jetzt nicht stören!

»Okay, Shuky, wir bleiben dran. Halt die Augen offen. Bin nach wie vor am Kauf der Bank in Zürich interessiert. Sehe ich dich auf der Konferenz in Eriwan?«

Der Partner in Zürich verneinte. »Jack, treffen wir uns doch am Tag danach in deinem Technopark.«

»Okay, Shuky.« Cosmo brach ab, stieß den Hörer von sich. Wie vor einem militärischen Angriff schrie er in den Vorraum hinaus: »Andy! Schluss mit deinen kalifornischen Träumen! Jetzt geht’s los. Wir fliegen ein wenig.«

Schockiert blickte Feedback von ihrem Stroganov auf.

Wärme strömte mit dem Licht in den Raum, als die Fensterverschläge auf der Westseite des Annexes aufklappten und den Blick auf den Helikopterlandeplatz freigaben. Dahinter rollten die Hügel hin zum sanft wogenden Pazifik.

In zehn Minuten sind wir in Santa Rosa, überlegte Cosmo. Er schmunzelte beim Gedanken an seine Flugmannschaft, die nach Andys Anruf auf den Flugplatz gespurtet sein musste, wo die schöne Gulfstream der neuesten Generation auf ihn wartete. Die Route würde über Nevada und Kanada zum Nordpol, dann weiter nach Nordeuropa und von dort über die Ukraine nach Armenien führen. Nach Armenien einfach – nach Hause. Was konnte es Schöneres geben, als in zwei Welten zu Hause zu sein!

Zürich, Bahnhofstraße

Seine Rohtabakhandelsfirma an der Zürcher Bahnhofstraße hätte vom Namen Trinexint AG eher auf Insektenvertilgung schließen lassen und schon gar nicht darauf, dass unter der Tarnkappe des florierenden Handelsunternehmens hochkarätige Rüstungskontrakte verhandelt wurden. Nachmann, der sich vor Jahren das vibrierende Zürich als seine internationale Drehscheibe ausgesucht hatte, stammte aus Israel, war hoch dekorierter Veteran eines der vielen Kriege dort unten, und blickte von seinem antiken Pult im Eckzimmer auf den Säuleneingang der Großbank. Ein blauer Tramzug dröhnte vorbei, Leute hielten inne, schauten besorgt auf eine Reihe von Monitoren mit Börsenkursen, Tendenz fallend.

Nachmann, der rechtzeitig in Gold und Cash investiert hatte, schien es in seiner Fantasie, als verformten sich die wankenden Säulen des Bankgebäudes zu Krücken. In sich hineinlächelnd schaute er weg, zum kleinen Monitor mit der wandernden Nachrichtenzeile … Immer mehr Deutsche wohnen und arbeiten in der Schweiz, hoher Verdienst, tiefe Steuern locken … Pentagon bestätigt Truppenabzug aus Deutschland …

Sein Assistent Tabah trat räuspernd ein. »Die Hornbachs sind da, Shuky, sie kommen im Lift hoch.«

Der kräftig gebaute, breitschultrige Allrounder nickte. Das bevorstehende Treffen war, milde ausgedrückt, ziemlich brisant. Sein Netzwerk hatte ihm die erforderlichen Informationen beschafft. Die Schweizer Justiz hatte, gestützt auf ein Rechtshilfegesuch der USA, ein Verfahren gegen die Gebrüder Hornbach eröffnet. Knast drohte. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Polizei zugriff. Sein geschulter Personenschützer hatte die prominenten Ingenieure abgeholt und im Wagen direkt unten in die Parkgarage gebracht. Doch der alte Fuchs machte sich keine Illusionen, dass man in Geheimdienstkreisen eher früher als später herausbringen würde, dass ihm die heiß gesuchten Konstruktionspläne an der Bahnhofstraße übergeben wurden. Eile war geboten.

»Bring sie rein!«

»Nehmen Sie doch Platz, wir können Deutsch sprechen.«

Die beiden Ingenieure, die sich nervös lächelnd setzten, waren die führenden Spezialisten in Nukleartechnik, Schweizer, die seit einiger Zeit in Washington und Tel Aviv für helle Aufregung sorgten. Der Grund lag im Material, das sie in den beiden, mit einer Stahlkette am Handgelenk gesicherten Koffern hüteten wie ihre Augäpfel.

»Rabbi Shmuel lässt grüßen«, eröffnete der mit dem Vornamen Ruppert servil die Verhandlung, hielt den Aluminiumbehälter auf den Knien fest. Zu seiner blanken Stirnglatze trug er eine hellrote Krawatte, die nicht zur olivgrünen Sportjacke passte. Sein Bruder Roland, mit dickrandiger Hornbrille, legte den schwarzen Koffer sorgfältig auf die Tischplatte.

Nachmann erschrak ob so viel Dummheit. »Sie haben dem Rabbi erzählt, dass Sie mich besuchen? Wo haben Sie sonst noch herumgeplaudert?«

Die Hornbach-Brüder machten einen sichtlich betretenen Eindruck, hoben abwehrend die freie Hand zum Protest. »Er wird bestimmt nichts verraten, ein Mann Gottes.«

Aus halb zugekniffenen Augen gab sich Nachmann Rechenschaft, wen er vor sich hatte. Roland musste das Genie sein, der Tüftler und Erfinder, Ruppert posierte als Geschäftsmann. Eben löste er die Sicherungskette seines Behälters und öffnete mit wichtiger Miene den Deckel. »Hier sind die Pläne in Papierform.«

Sein Bruder entnahm seinem Koffer einen schwarzen Computer und schob ihn theatralisch dem verärgert dreinblickenden Hausherrn zu. »Und hier sind alle Daten auf der Festplatte abgespeichert.«

Der Israeli ließ sich seine Ungeduld nicht anmerken. »Sind dies die einzigen Exemplare?«, fragte er rhetorisch.

Die Angesprochenen nickten energisch: »Es gibt keine Duplikate.«

Nachmann fummelte am goldenen Schreibstift. Gewohnheitsgemäß glaubte er kein Wort.

»Sie bekommen die kompletten Pläne, wie abgemacht, Herr Nachmann. Damit kann Israel morgen mit dem Bau der Sprengköpfe beginnen«, prustete Roland. »Alles fix und fertig.« Er fuchtelte mit beiden Händen durch die Luft. »Sehen Sie, die beiden subkritischen Massen von angereichertem Uran-238 lassen wir aufeinanderprallen. Dabei müssen wir die eine Masse wahnsinnig rasant beschleunigen …«

Nachmann runzelte missbilligend die Stirne. »Was soll da neu dran sein? Jeder Physikstudent kann heutzutage eine Atombombe herstellen.«

Der Angesprochene hob intervenierend den Zeigefinger: »Neu ist zum Beispiel die Methode, mit der wir die Beschleunigung der Massen kompakt und energieeffizient erzeugen können. Nicht viel größer als ein Taschenrechner, absolute Spitze der Nanotechnologie!«

»Wir werden es überprüfen. Was ist sonst noch auf den Plänen?«

»Die Materialformel, die den schlanken, leichten Bau erst ermöglicht.« Der Mann kicherte tatsächlich – wie ein Kind beim Lego. »Und der Zündmechanismus natürlich. Auch hier – die Anwendung miniaturisierter Bausätze reduziert unser Paradestück zur Größe eines Sechserpacks, der Sprengkopf der Bombe ist winzig, nicht viel größer, als der Raum für die subkritischen Massen beansprucht. Im Ganzen gesehen hat unser Produkt etwa die halbe Größe der bisherigen, veralteten Modelle, aber die doppelte Sprengkraft, weil wir viel mehr Stoff verpacken können. Etwa so groß wie, wie …« Er starrte auf Nachmanns breiten Schädel. »Wie eine Melone.« Kichernd kramte er im Koffer und begann, die scharf gefalteten Pläne auf dem Tisch auszulegen.

Nachmanns Gesicht blieb ausdruckslos. »Gut. Ich gehe davon aus, dass alles, was auf dem Papier steht, vollständig auf dem Computer gespeichert ist.« Er holte mit dem Arm aus und zog das Gerät herüber, öffnete die Klappe.

»Genau, wie Sie es wollten. Die Daten sind vektorisiert, das heißt …«

»Ich weiß. Die Datenmenge hat problemlos auf dem Mikrochip Platz.«

»Ein USB-Stick oder eine CD geht auch«, bestätigte Roland, über den Rand der Hornbrille spähend.

»Und wo ist die Sicherungskopie?«

Beide hielten in ihren Verrichtungen abrupt inne, schauten verdutzt drein. »Schauen Sie, Herr Nachmann, zu unserem eigenen Schutz wollen wir nichts mehr bei uns haben«, kam der Bruder zu Hilfe. »Sie wissen ja, dass man hinter uns her ist. Wenn die Geheimdienstler uns ausquetschen, lehnen wir uns einfach gelassen zurück.« Er warf einen Blick auf das behagliche Sofa im Vorzimmer. »Sie verstehen? Wenn wir nichts haben, haben wir eben nichts.« Er holte mit den Armen aus, als suche er nach einem schlagenden Argument. »Der Lügendetektor macht dann keinen Pieps.«

»Außer, dass Sie verkauft haben«, knurrte Nachmann und beugte sich über das schwarze, kantige Notebook, auf dessen grauem Bildschirm die farbigen Icons der Dokumentenordner aufleuchteten. Sorgfältig steckte er das eine Ende eines gelben Spezialkabels in den schwarzen Laptop, während Tabah nähertrat und das andere Ende mit dem Büroserver verband.

Die randlose Brille prekär auf dem Nasenrücken, bewegte Nachmann behutsam die Maus, klickte darauf herum. Die brisanten Baupläne, wofür jeder Geheimdienst auf dem Planeten erpresst, Millionen hingeblättert, sogar gemordet hätte, begannen sich zu verschieben – angezeigt durch ein blaues Fließband, das dem Ende seines Gehäuses zustrebte.

»Wer weiß sonst noch, dass Sie hier sind?« Es war eine sinnlose Frage.

Für einen Augenblick war das Knistern der Planpausen, die Tabah am Boden ausbreitete, das einzige Geräusch im Raum.

Roland rieb mit dem Krawattenzipfel seine Hornbrillengläser. Ruppert stocherte mit einem Stift in seinem Handballen.

»Sie sind die verrückten Wissenschaftler, ich kümmere mich um die Sicherheit, also?«

»Niemand sonst, Herr Nachmann. Das Geschäft ist uns heilig!«

»Und der alte Herr?«

Verlegen schauten sie sich an, Roland errötete und begann zu stammeln. »Nun, eh, die Familie … Friedrich, unser Paps … Der ist ja mit von der Partie.« Er rieb zur Erklärung Daumen und Zeigefinger gegeneinander.

Nachmann tat gut daran, misstrauisch zu sein. Friedrich Hornbach hatte für den Pakistaner Khan gearbeitet, sich mit den Libyern eingelassen, und man munkelte in der Branche, dass er auf die Seite der CIA gewechselt hatte. Wenn der Alte trickste, warum sollten die Söhne Engelchen sein.

»Aha, also doch«, murrte Nachmann. Die Sache gefiel ihm ganz und gar nicht. Mit einem Blick überzeugte er sich, dass der Datenfluss beendet war.

»Alles heruntergeladen?«, fragte Tabah, sah seinen Boss stumm nicken.

Roland erhob sich und trat jungenhaft leichtfüßig ans Fenster. Mit kurzem Blick auf die Bahnhofstraße sagte er wie beiläufig: »Würden Sie jetzt bitte die Überweisung veranlassen, Herr Nachmann?« Sein Bruder strahlte voll kindischer Freude, doch der Israeli war keineswegs zum Strahlen aufgelegt. Sein Blick hatte sich verdüstert. »Ich zahle, wenn alles in Ordnung ist. Das ist der Deal, meine Herren.«

Sie folgten seiner Einladung ins Konferenzzimmer, wo der Assistent auf dem langen Tisch die Pläne hingelegt hatte, und machten sich an die Arbeit. Während gut einer Stunde überprüften sie die Originalpläne auf Übereinstimmung mit den elektronischen Daten, Blatt um Blatt, schön lückenlos der Nummerierung folgend. Die Gebrüder Hornbach hatten ihre Jacken abgelegt, die Ärmel hochgekrempelt, sparten nicht mit technischen Erläuterungen, Hinweisen auf Zusammenhänge. Es war ihr Baby, das sie gegen gutes Geld übergaben, und sie steigerten sich in eine euphorische Aktivität, die Nachmann keineswegs missfiel. Irgendwie war ihre Hingabe der Beweis, dass die Ingenieure nicht mit gezinkten Karten spielten. Ihre Haltung signalisierte: Das Material ist zweifelsohne echt.

Nachmann zweifelte am Schluss auch nicht daran, dass er die Pläne vollständig, korrekt und in ausführbarer Form erwerben würde. Trotzdem nagte ein Zweifel im Hinterkopf. Es war ihr Benehmen ganz am Anfang gewesen, als sie eintraten, dann die verschwörerischen Blicke, die sie sich gelegentlich zuwarfen, die dem erfahrenen Unterhändler eine Unsicherheit verrieten, die ihm nicht gefiel. Er brauchte noch etwas Zeit.

»Es war abgemacht, dass Sie die Pläne sofort durch den Wolf drehen und die Schnitzel verbrennen«, erinnerte der ältere Hornbach, als Nachmanns Assistent am Ende ein Tablett mit Wasser hereinbrachte und die Gläser füllte.

»Werden wir auch. Sie können dabei sein.«

»Die Pläne sind der einzige Beweis. Wenn sie zerstört sind, kann man uns nichts mehr nachweisen.«

Nachmann gab sich leger. »Keine Sorge. Ihr Problem scheint mir, dass Sie sich zügig aus dem Staub machen sollten. Die Amerikaner, die Russen, auch die Schweizer sind hinter Ihnen her. Hier werden sie nichts finden.«

Wie zum Beweis seiner Aussage begann der Reißwolf in der Zimmerecke hinter Tabahs gebeugtem Rücken zu rasseln.

Ruppert stand auf, sammelte ein paar Pläne ein. »Auch die Atomenergiebehörde in Wien hat Druck auf uns gemacht.«

Nachmann schien das Gehörte abzuwägen. Während sie gemeinsam die brisanten Anleitungen für den Bau der neuartigen Atomsprengköpfe dem Wolf ins reißende Maul schoben, warnte Nachmann seine Intuition, dass noch etwas anderes lief. Die Hornbachs hatten einen zweiten Pfeil im Köcher.

»Ich habe den Scheck für die Anzahlung bereit, kommen Sie«, sagte er, als das Rattern verstummte und Tabah den Schnipselkorb aus dem Gerät nahm.

Unruhe ergriff Nachmann. Plötzlich stand er in der Schusslinie! Die brisanten Daten lagen ungeschützt in seinem Büro. Der Schweizer Inlandsgeheimdienst war nicht auf den Kopf gefallen. Möglicherweise hatten sie diese verschrobenen Käuze beschattet und wussten, wo sie fündig werden. Er musste die Hornbachs so rasch wie möglich loswerden. Neunzehneinhalb Millionen Dollar waren kein schlechter Preis, aber zahlen kann man immer.

Drüben im Arbeitszimmer setzten sich die Hornbach-Brüder wieder an ihre Plätze. »Bringen wir’s hinter uns«, sagte der mit der Hornbrille freudig erregt.

Nachmann hatte den delikaten Transfer mit der Zürcher Handelsbank vorbereitet. Die Eigentümer des konservativ geführten Instituts blickten auf eine lange Tradition in der schweizerischen Rüstungsproduktion zurück. Ihre Bank diente ursprünglich einem Maschinenkonzern, bevor sie sich für private Kunden öffnete. Die Geschäftsleitung setzte auf produktive Firmen, die Mehrwerte schufen, investierte selber in eine Flugzeugfabrik. Nicht erst in der globalen Finanzkrise hatte Nachmann an diesem seriösen Geschäftsmodell Gefallen gefunden. Seinen Banker, dessen Nummer er eben gewählt hatte, kannte er seit Jahren als verlässlichen Felsen in jeder Brandung, was immer die Sturmstärke sein mochte.

Die Hornbachs saßen reglos in ihren Stühlen, schauten auf den Scheck über eine halbe Million. Die Beine übereinandergeschlagen, machten sie Gesichter wie sieben Tage Regenwetter. Tabah stand mit einer Zigarette schräg im Mundwinkel unter der Tür und schaute angespannt auf Nachmann, der das schnurlose Telefon wartend ans Ohr hielt.

»Providenciales«, las er laut von einem gelben Zettel ab. »Turks-and-Caicos-Inseln. Wusste nicht, dass Tiefseefischen Ihr Hobby ist.« Die beiden lächelten wie auf Kommando, plötzlich mit seltsam glänzenden Augen. »Wir haben ein Boot gekauft. Wir können Sie auf der Insel herumschippern.«

Nachmann blieb geschäftsmäßig. »Das Geld geht also auf diesen Trust, korrekt?«

Die beiden nickten leicht enttäuscht, bestätigten dann die Überweisungsdaten, die ihnen dieses Pokerface eines Israeli zur Sicherheit nochmals vorlas.

»Wir haben nämlich eine Aufenthaltsbewilligung auf der Insel«, verriet der mit der roten Krawatte, in ebenso selbstgefälligem Ton der andere: »Einen schönen Bungalow am Strand.«

»Bretscher!«, meldete sich die Bank. Nachmanns Züge entspannten sich zu einem warmen Lächeln. Der herzlichen Begrüßung folgte die präzise Durchgabe des internationalen Zahlungsauftrags über neunzehn Millionen Dollar. Der Banker quittierte und bestätigte unhörbar für den Raum, dass er über die Details des Vorgangs im Bild sei.

»So. Das hätten wir!«

Dankend gestikulierend kamen die Hornbachs steif auf die Beine. Auf dem Weg zur Tür tat Ruppert sich umständlich. »Wie gesagt, Herr Nachmann, wenn jemand unsere Pläne besitzen soll, dann nur Israel. Sie sind unser Garant, dass alles wie besprochen abläuft.«

Nachmann schulterte die Hornbachs wortlos und nachdrücklich hinaus. Was war abgesprochen? Die beiden Käuze hatten sich ganz ordentlich in die Nesseln gesetzt. Für Nachmann und seine Auftraggeber war die Sache geritzt. Sie wollten Gutes tun für Israel, hatten sie ihm versichert. Aber vermutlich ging es diesen bunten Eiern nicht um den Weltfrieden, sondern einfach ums Geld … Genau hier setzte Nachmanns Skepsis ein. Deshalb hatte er sich mit seinem Bankier abgesprochen. Einen Kater braucht man das Mausen nicht lehren.

»Was würden wohl die Ayatollahs in Teheran dafür geben, um diese Pläne zu besitzen«, lachte Nachmann, als ihm Tabah seinen Drink brachte.

»Wahrscheinlich laut auf den Propheten pfeifen«, grinste sein Assistent.

Nachmann wiegte den Kopf neutral in Richtung Arbeitstisch. »Komm, wir sollten loslegen.« Es ging darum, die Geheimdaten auf eine Mikro-CD zu transferieren. Tabah zog eine Grimasse. »Mein Bauch sagt mir, Shuky, da läuft noch was anderes nebenbei.«

Als alter Fuchs im Geschäft kletterte Nachmann selten auf morsche Äste. Auch diesmal überließ er nichts dem Zufall. »Ich habe meine Vorkehrungen getroffen.« Er nahm einen kräftigen Schluck vom golden glänzenden Scotch. »Den kann ich jetzt gebrauchen.«

Anschließend stiegen sie in die Wohnung hinauf, die nur über eine Wendeltreppe im hinteren Büro zu erreichen war. Keuchend oben angekommen fiel Shuky in die Couch vor dem Kamin. Der Whiskey belebte seine Geister. Angeregt ächzend fingerte er am Mobiltelefon herum, entdeckte die Nachricht: Verpasster Anruf: Sophie Kramer. Eine angenehme Regung wogte warm durch seinen massigen, stets mit Übergewicht ringenden Körper. Oh, Sophie … If you lose your sexual drive, you lose your daring, your energy, your imagination, murmelte er sein Lieblingszitat, leerte das Glas, ging ein paar Schritte hinauf in ein Atelier.

Wie immer warf er auch diesmal einen wehmütigen Blick auf die Fotografie, die an der Wand über den paar Stufen hing. Innerlich seufzend sah er einen wagemutigen, schneidigen Shuky in der Gefechtsuniform eines Majors, kurz vor einem Einsatz. Wie die Zeit vergeht … Was mach ich eigentlich noch in diesem Drecksgeschäft mit den vielen Jahren auf dem Buckel? Den Weltfrieden sichern? Ja, vielleicht … Er blieb stehen, blickte zurück, auf das große, blauweiße Triptychon mit den sich am Himmel tummelnden fliegenden Objekten. Chaos und Ordnung.

Sophie Kramer ging ihm nicht aus dem Sinn. Ein paar Herzschläge lang dünkte ihn, sein Leben rinne davon … Sie anrufen, zu etwas einladen? Abschalten, der Sache den Lauf lassen? Wie hieß es doch so schön: Im Zweifelsfall, tu was! Ordnung statt Chaos.

»Okay, Tabah«, rief er, sich entschlossen selbst aktivierend, »an die Arbeit, du alter Faulpelz!«

Auf dem Flug nach London

Nach ihrem Treffen mit Nachmann waren die Hornbachs noch am gleichen Abend im City-Flyer der British Airways nach London abgeflogen. Es war vorgesehen, die Reise am nächsten Morgen mit dem Flug BA0207 ab Heathrow fortzusetzen. Die beiden Vielflieger kannten die gute Verbindung von früher und freuten sich auf ihre bequemen Plätze in der Ersten Klasse der aufgepeppten Boeing 747 Jumbojet, mit der British Airways die Überseedestination täglich bediente. Die Maschine würde am Nachmittag einen Stopover in Miami einlegen, dann kurz nach acht Uhr auf dem Flughafen des britischen Protektorats auf den Turks und Caicosinseln aufsetzen.

Die Crew hatte nach Erreichen der Reiseflughöhe über Frankreich eben das Abendessen serviert. Banker auf Jacht von russischem Milliardär … Ruppert schob gähnend das Boulevardblatt zur Seite, stocherte mit der Gabel in dem ausgesuchten, jedoch lauwarmen Roastbeef, nahm einen Schluck Rotwein. Nebenan studierte Roland mit hochgeschobener Hornbrille ein Hochglanzmagazin, kaute geistesabwesend an einem Würstchen, schob Brot nach und überlegte, ob er vom Flight Shop Zigarren, Schokolade oder eher die Schweizer Luxusuhr mitnehmen sollte.

Ruppert brachte das Essen rasch hinter sich, schob Geschirr und Klapptisch von sich, lehnte sich zurück. Müde von den Strapazen der anstrengenden Verhandlungen schloss er die Augen. Wieder liefen die Bilder ab, die ihn in regelmäßigen Abständen heimsuchten. Im einschläfernden Summen der Triebwerke schweiften seine Gedanken ab, ließen sein Leben, das mit dem doppelten Verkauf der geheimen Atomwaffenpläne einen neuen Höhepunkt erreicht hatte, Revue passieren. Am Anfang stand Friedrich, die dominante Vaterfigur, das Vorbild – der Gute, nein, der Beste, der seinen Söhnen alles ermöglicht hatte …

… Ingenieur Friedrich Hornbach, ganz der nüchterne Schweizer, hatte Sohn Ruppert stets geraten, die sichere Seite zu wählen. »Mach gemeinsame Sache mit den Amerikanern, mein Sohn«, lautete die Devise, die er ihm an einem feuchtheißen Tag im Juni auf der Strandterrasse des luxuriösen Hotel The Chedi in Muskat erläutert hatte.

Tiefblau dehnte sich der Indische Ozean vor ihnen, irgendwo schräg gegenüber lag die endlos lange Küste des Iran.

»Wir können eine ganze Menge Geld mit den Libyern machen, aber sei vorsichtig. Lass die Amis es diskret wissen. Das ist deine Rückversicherung.«

Friedrich Hornbachs weiße Mähne wallte im plötzlichen Windstoß, zeichnete sich für den Bruchteil einer Sekunde auf dem schwarzen Gewand einer lautlos vorbeiwandelnden schlanken Omanin ab.

»Das kann ich nicht, Vater«, hatte Ruppert widersprochen, als sie später über den weiten hellgrauen Strand spazierten. »Der Khan zahlt uns fürstlich, das weißt du. Es ist nicht recht oder gut, ihn zu bescheißen.«

Ruppert Hornbachs Karriere hatte unter der strengen Fuchtel des legendären Atomwissenschaftler A. Q. Khan ihren Anfang genommen. Das war eine aufregende Zeit im chaotischen Islamabad gewesen – eine völlig neue Welt. Nach kurzem Einarbeiten hatte der talentierte Schweizer Ingenieur als Bereichsleiter der pakistanischen Organisation den heimlichen Bau der Zentrifugen überwacht, später dann die kompletten Anlagen mitsamt Schulung und Vollservice auf dem Schwarzmarkt angeboten.

»Du arbeitest auf dem Schwarzmarkt des Schreckens«, hatte ihn der Vater am Strand von Muskat gewarnt. Er war stehen geblieben, hatte ihm die Worte nahegelegt. »Wir sind die Spezialisten für Vakuumtechnik und Atomwaffenbau. Wir lassen uns das Geschäft nicht durch allzu viele Skrupel kaputt machen.«

»Ich kann aber nicht zwei Herren dienen«, hatte Ruppert beharrt und erregt eine Handvoll Kieselsteine aufgelesen.

Der alte Friedrich war stumm geblieben, hatte sich durch die üppigen Haare gestrichen. Als sie kehrtmachten, um sich für das Abendessen umzuziehen, hob er den gebräunten Arm gegen das leicht bewegte Wasser des Ozeans. »Dort drüben im Iran, da liegt vielleicht unsere nächste Goldgrube.«

Ruppert starrte ihn ungläubig an. Die Mullahs? Natürlich! Nach allen Gerüchten, die nach Islamabad in Khans Labor vordrangen, arbeiteten die Iraner pausenlos daran, die Bombe zu bauen.

Während sie wortlos über den festen Sand schritten, schnippte Ruppert aus dem Handgelenk die Kiesel weg – einen nach dem andern …

… Es waren dann die Franzosen gewesen, die den Ausschlag für seinen Sinneswandel gegeben hatten, indem sie ihm nach einem perfiden Kalkül das Strafverfahren anhängten, weil er angeblich Raketen französischen Ursprungs ohne die erforderlichen Genehmigungen in den Irak vermitteln wollte. Der Vorwurf stimmte nur zur Hälfte, doch die im Waffengeschäft mit allen Wassern gewaschenen Franzosen ließen die Felle nicht davonschwimmen. Fehlte gerade noch, dass ein kleiner Sennenknabe aus der Schweiz ihnen die Suppe versalzte. Aber sie täuschten sich – der mächtigste Geheimdienst der Welt kam dem biederen Ruppert zu Hilfe …

… Vor seinen halb geschlossenen Augen sah sich Ruppert, Jahre zurück, vor das pompöse Hotel in Dubai kurven, den blitzblank polierten Porsche nonchalant einem der Jungs überlassen, die für das Parken zuständig waren, sich in der Bar im Schatten eines großen Schirms in einen bequemen Sessel werfen.

»Mister Hornbach?«, flötete eine Frauenstimme in seinem Rücken. Die prickelnde Illusion, sein Kontakt könnte sich als weiblich und abenteuerlich herausstellen, verflog allerdings rasch, als die attraktive Frau, die sich ihm als Syrerin zu erkennen gab, zwar in eine dunkle Ecke der Bar voranging (was Rupperts erotische Fantasie weiter beflügelte), ihn dort aber einem Hünen von Kerl überließ, der aus dem Lederfauteuil zu voller Größe aufstieg und ihm die Hand schüttelte. »Ich bin Jim Kidman.«

Es war 1999. Der CIA-Agent hatte an diesem schwülen, die Sinne erregenden Nachmittag einen voll ausgearbeiteten Vorschlag in der Tasche. Nach einem lapidaren Wortwechsel, in dessen Verlauf er seinen CIA-Badge auf den Tisch legte, verkündete er wie beiläufig: »Die Franzosen werden das Verfahren gegen Sie einstellen. Ich kann Sie voll rehabilitieren.«

Ruppert rutschte unruhig hin und her. Sein Hemd klebte trotz der leistungsfähigen Klimaanlage klatschnass am Leib. »Tönt gut«, meinte er kleinlaut. Ihm fehlten die Worte – auf einen CIA-Agenten zu stoßen, hatte er nicht erwartet. Man hatte von einem der üblichen Verdächtigen gesprochen, die sich eventuell für Khans Dienstleistungen interessierten. Solche ersten Kontakte fanden immer in einem konspirativen Rahmen statt, also war Ruppert recht locker zum vertraulichen Treffen gefahren, bei dem es nach seiner Meinung zunächst nur darum ging, die Gegenpartei auszuhorchen.

Jetzt fingerte er nervös an Kidmans Dienstausweis mit dem CIA-Emblem herum. »Was erwarten Sie dafür von mir? Ihr Verein ist ja nicht gerade als Organisation der Nächstenliebe bekannt.«

Jim Kidman grinste breit, schlürfte an seinem Daiquiri. »Keine Angst. Die Agency bleibt im Hintergrund. Sie arbeiten mit der Dyna Corporation. Die gehört zu uns.«

»Ich will mir keine Schwierigkeiten einhandeln«, fasste sich Ruppert, bestellte vom Kellner, der plötzlich neben ihm stand, ein Bier.

»Das haben Sie schon, Ruppert. Die Franzosen setzen Sie auf die Fahndungsliste der Interpol, dann stecken Sie bis zum Hals richtig in der Patsche. Mein Angebot ist fair.«

Ruppert hob erwartungsvoll die Brauen.

»Als kleine Gegenleistung arbeiten Sie von jetzt an mit mir zusammen. Ich bin Jim für Sie.« Er hob seinen Drink. »Trinken wir auf unsere Zusammenarbeit.«

Der junge Kellner stellte ein Bier mit Schaumkrone auf den Tisch. Ruppert griff zögernd nach dem appetitlich glänzenden Glas. »Sie wissen, wo ich arbeite, Jim, oder nicht? Eben. Ich bin loyal, die Pakistanis zahlen sehr gut, und …«

Er brach ab, als Kidman einen Wisch auf den Tisch knallte, ihn missbilligend anstarrend.

Ruppert beherrschte Französisch wie seine Muttersprache. Er erkannte das Dokument auf den ersten Blick: Mandat d’Arrêt.

»Der Haftbefehl aus Paris«, salbte Kidman. »Wenn wir uns einig werden, hat es ihn nie gegeben. Sie verstehen, Ruppert? Ein Gespräch mit Paris genügt.« Er schaute ostentativ auf seine Armbanduhr. »Übrigens, wir mögen die Schweizer«, meinte er, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich habe lange in Bern gearbeitet. Das hat für uns Tradition. Die Schweizer sind verlässlich neutral. Sie sind es gewohnt, sich mit allen Seiten zu arrangieren.«

Eine halbe Stunde später war der Deal mit der CIA perfekt.

Was Jim ihm locker, als gehe es um eine Luncheinladung, vorschlug, war im Grunde kein Angebot, es war Erpressung gewesen, gab sich Ruppert Hornbach später Rechenschaft. Aber die Bedingungen stimmten – und wie hatte Vater gesagt? Durch allzu viele Skrupel lassen wir uns das Geschäft nicht kaputt machen …

London, City Airport

Ich habe es nie bereut, sinnierte Ruppert, als er über dem Ärmelkanal ins weiche Kissen des Fauteuils zurücksank und ein Erfrischungstuch auf den kahlen Vorderschädel legte. »Du hast mir stets vertraut, Roland, und du bist gut gefahren. Auch diesmal wird alles gut gehen. Schließlich haben wir Erfahrung als Doppelagenten.« Er kicherte.

»Wie meinst du?«

»Du hast Nachmann versichert, niemand sonst habe Zugriff auf unsere Geheimpläne. Das stimmt. Den Russen haben wir eine Abfuhr erteilt. Die sind bestimmt stocksauer.«

Die Russen fielen durch, weil ihnen der Sympathiebonus abging, was vor allem mit ihrer Sprache zusammenhing, deren zungenbrecherisches Raspeln den konservativen Hornbachs noch mehr gegen den Strich ging als die kommunistische Herkunft dieser Neureichen. Erfolglos hatte sie der milliardenschwere Oligarch und Syndikatsboss Oleg Nedjew auf seine Luxusjacht gelockt, sie mit unanständigen Angeboten geködert; sie widerstanden tapfer wie weiland ihre Vorfahren am Morgarten. Hätten die Schlaumeier von Schweizern freilich auch nur geahnt, dass sie der noch schlauere Nedjew seit einiger Zeit beschatten ließ, um mit seinen unzimperlichen Methoden an die Geheimpläne zu gelangen, wären ihnen kalte Schauer die Rücken hinuntergerieselt. Auch das Lachen wäre ihnen vergangen. Ruppert kaute munter. »Wenn einer stocksauer wird, dann Jim, wenn er davon Wind bekommt.«

»Kidman? Den lassen wir ein wenig zappeln.« Die Hornbachs hatten freilich nicht die Absicht, die befreundete CIA nach all den gemeinsamen, lukrativen Aktionen der Vergangenheit im Stich zu lassen.

Roland plusterte sich auf. »Verträge sind einzuhalten – pacta sunt servanda!«

Beide kicherten übermütig – Ruppert hob sein Glas, Roland richtete die Sitzlehne auf. »Die Familie hat immer zusammengehalten«, beschied er. Das stimmte schon. Die drei Hornbachs hatten sich der Faszination der Technik mit allen Fasern hingegeben, die Vakuumtechnik zum Bau der Zentrifugen zur Perfektion entwickelt. Um zur Anreicherung von Uran in einem geschlossenen Kreislauf zu gelangen, führte kein Weg an ihnen vorbei. Alle wussten es. Auch die CIA.

»Wir haben die islamische Bombe verhindert, das zählt«, flüsterte Ruppert, als müsse er sein Gewissen beruhigen. »Was wir kassieren, ist voll in Ordnung.« Der schon immer zu doktrinären Meinungen neigende Roland fragte leicht gereizt: »Warum islamisch? Ist die amerikanische Bombe etwa eine christliche Bombe? Die israelische eine jüdische? Die chinesische etwa von Konfuzius?«

Ruppert starrte ihn entgeistert an, lachte laut heraus. »Easy, Boy! Keine Politik, bitte. Wie Vater immer sagt, wir sind neutral.«

Roland zuckte die Achseln, Ruppert fingerte an seinem Blackberry herum. Die Zusammenarbeit mit den Amerikanern war nach Jim Kidmans Anwerbung in Dubai sehr intensiv verlaufen. Die Hornbachs hielten sich an den Vertrag und gaben der CIA weiter, was sie in Erfahrung brachten. Daran würde sich auch nach dem Besuch in Zürich nichts ändern.

»Weißt du noch …?«, wollte Ruppert seinen Bruder an den letzten gemeinsamen Weihnachtsabend im appenzellischen Ferienhaus erinnern, aber Roland war eingenickt.

»Der deutsche Frachter lag im Hafen von Tarent vor Anker«, hörte Ruppert seinen Vater erzählen, als sei es gestern gewesen …

»Alles an Bord war mit deutscher Gründlichkeit sortiert und abgepackt. Um harmlose Kleiderlieferungen vorzutäuschen, stand GOOD LOOKS TAILOR, ISLAMABAD auf den Kisten und Tüten. Das ganze Schiff war vollgepackt mit Kahns Gasultrazentrifugen, einem Baukasten für den Bau einer Bombe und der übrigen Ware, die wir kennen. Es war ungefähr drei Uhr nachmittags …«

Roland hatte gestaunt. »Du bist an Bord gewesen? Du persönlich?«

»Nur kurz, ich wollte mich überzeugen, dass alles seine Ordnung hatte. Ich arbeitete ja für die Pakistanis, hatte einen Auftrag, dann ging ich unter einem Vorwand zum Hafenmeister, es war wie im Film …«

… Drückende Hitze lag über der antiken Altstadt von Tarent, die auf einer kleinen Insel im Nordwesten der Stadt liegt. Die italienische Flagge hing schlaff am Mast auf dem bauchigen Gemäuer der Festung, die den Zugang zum Hafen beherrscht. Friedrich Hornbach rückte seine Schirmmütze ins Gesicht, trat in den Schatten einer Palme. Er hob den kleinen Feldstecher an die Augen. Der Frachter lag im neuen Hafen unter einem Gewirr von Kranauslegern vertäut. BC China informierte der weiße Schriftzug am schwarzen Heck. Die Schiffssirene ertönte dumpf zwei Mal. An Deck herrschte Geschäftigkeit. Dahinter zog sich das Meer tiefblau in weite Ferne, wie schon vor Jahrtausenden, als die Griechen ihre Tempel an dieser Küste entlang errichteten. Ein kleiner Schlepper zog zügig unter der Festung vorbei, umspült von einem Kranz weißer Wellen im blauschwarzen Wasser.

Dann war es mit der beschaulichen Ruhe vorbei. Schnellboote prellten wie aus dem Nichts heran. Ihre jaulenden Sirenen vermischten sich mit denen der Polizeifahrzeuge, die auf den Kai hinausrasten. »Carabinieri«, murmelte Friedrich, den Feldstecher in Richtung Schiffsaufbauten schwenkend. Die Männer an Deck der BC China schienen zu erstarren.

Die Guardia-Finanza-Boote mit den aufgebauten Schnellfeuerkanonen hatten den Hafenausgang blockiert. Eine Schar dunkler Gestalten preschte Furcht erregend den Landungssteg hoch auf das Deck des deutschen Schiffs – ihnen folgten Kommandogruppen in kompakter Formation. Nach ihrer Ausrüstung zu schließen, waren das Anti-Terror-Einheiten. Friedrich war beeindruckt, wie sie mit Präzision und Wucht den Kahn in Kürze übernahmen.

Keine Gegenwehr. Die Überraschung war vollkommen gelungen. Er zog sein Mobiltelefon aus der Hosentasche, tippte rasch eine Nummer. Erst jetzt merkte er, wie ihm der Schweiß am Körper herunterlief.

»Wir können nicht auslaufen. Die Polizei inspiziert das Schiff«, gab er lakonisch an den Anrufbeantworter irgendwo in Islamabad, schritt dann zur Bar, wo die Aircondition funktionierte. Er bestellte einen Espresso. Niemand nahm von ihm Notiz. Alle fragten sich, was zum Teufel im Hafen los war. Später fuhr Friedrich auf der Autobahn durch Apulien in Richtung Bari.

Mit der gestoppten Ladung für Libyen waren Gaddafis Hegemoniepläne am Ende.

»Gut so, auch mein Verdienst«, nickte sich Friedrich im Rückspiegel zu – entsetzlich, wie alt und müde sein unrasiertes Gesicht aussah, fand er …

… Der City-Flyer setzte um Viertel nach acht pünktlich auf der regennassen Piste des City Airport auf, Ruppert brummte befriedigt, als er feststellte, dass sein Mobiltelefon wieder mit dem Netz verbunden war. In Vorfreude auf den wohlverdienten Schlummerbecher in der Hotelbar lächelte er in sich hinein. Sie hatten in der Nähe der Oxford Street im Travistock ein Doppelzimmer gebucht.

Während sie in der Halle auf die Gepäckausgabe warteten, tippte Ruppert auf seinem Blackberry herum. Wie insgeheim erhofft, erschien die Anzeige für eine neue E-Mail. Sie stammte von der Meridian Trust Bank, wohin der Israeli ihre Millionen überwiesen hatte. Freudig belebt öffnete er den Briefkasten, stutzte.

»Dein Koffer«, rief ihm Roland zu, doch Ruppert stierte nur auf das kleine Display.

Roland hatte die Gepäckstücke vom Band runtergeholt, stand jetzt ungeduldig neben dem Bruder. »Was ist?«

Ruppert hob eine zitternde Hand. »Da, schau, ich glaube, wir sind verarscht worden.«

Roland murrte, starrte verdutzt auf den winzigen Bildschirm, den Ruppert ihm unter die Nase hielt.

»Die Bank auf Provo … Keith hat geantwortet … Er sagt …«

»Was sagt er? Bestätigt er Nachmanns Überweisung? Ist der Zaster einge…« Roland brach ab. Das aschfahle Antlitz des Bruders sprach Bände.

»Nachmann, der verdammte Wichser … Statt neunzehn Millionen hat er … neunzehn Dollar überwiesen, neunzehn, Punkt.«

Ein Faustschlag ins Gesicht wäre ihnen wie sanftes Streicheln vorgekommen. Wortlos schleppten sie ihre Koffer zum Ausgang. Hilflos schauten sie sich um. Vom Schock gelähmt lechzten sie nach Mitleid und Geborgenheit, hätten sich dankbar in die Arme irgendeines Unbekannten geworfen, wäre da jemand erschienen, der sich ihres Kummers angenommen hätte.

Die beiden Männer, die in der Ankunftshalle aus der Reihe der Limousinenchauffeure hervortraten und mit freundlichem Lächeln auf die Hornbachs zugingen, hatten leichteres Spiel, als sie in ihren optimistischsten Erwartungen angenommen hatten. Der Ältere hob höflich seine Schildmütze.

»Mister Hornbach?«

Die eben Angekommenen nickten verwirrt.

»Willkommen in London. Wir fahren Sie zum Hotel.« Ruppert starrte immer noch ununterbrochen auf das Gerät in seiner Hand, ganz als entpuppe sich alles als Fehlanzeige. Der jüngere Chauffeur nahm ihm den Koffer ab. »Das erste Mal in der City?«

Ruppert verneinte, gab willig sein Gepäck aus der Hand. »Travistock Hotel, nicht wahr?«

»Yessir, die Fahrt dauert nicht lange.« Der Ältere drückte Roland einen Stadtplan in die Hand. »Für alle Fälle. Bleiben Sie lange in London?«

Ruppert schüttelte den Kopf, er konnte es immer noch nicht fassen. Als Letzter drängte er sich durch die Drehtür hinaus. Mit gesenktem Blick folgte er den anderen zu den an der Auffahrt geparkten Wagen.

Zu Rolands Erstaunen schritten die Männer auf einen schweren schwarzen Range Rover zu, der ihm für ein Zweisterne-Hotel ziemlich überdimensioniert schien. Hätte ihn Argwohn beschlichen, wäre es ohnehin zu spät gewesen.

Die Hintertür öffnete sich, die Männer vom Empfang bugsierten die Schweizer auf die Rückbank, die Tür klackte zu. Als Ruppert den Blick auf die Gestalt richtete, die in der gegenüberliegenden Ecke saß, starrte er in den schwarzen Lauf einer schweren Pistole.

»Welcome to London«, grüßte der Bewaffnete nicht unhöflich, während der Mann auf dem Beifahrersitz sich herumwuchtete, einen Ausweis vor seinem rundlichen Kopf hochhielt: »New Scotland Yard, Sirs, Sie sind verhaftet!«

Der Wagen fuhr an. Von zwei unmarkierten Polizeifahrzeugen verfolgt, fädelte er weiter vorne in den regen Cityverkehr ein. Die diskrete Festnahme von Ruppert und Roland Hornbach mitten in Londons Innenstadt hatte knapp zehn Minuten gedauert. Schockiert wie er war, konnte Ruppert trotzdem nicht umhin, den britischen Kriminalbeamten ein anerkennendes Lächeln zu zollen. Diese Leute hatten Stil! Nein, korrigierte er sich rasch. Diese Leute haben Klasse. Hätte er das Land seiner Verhaftung je wählen können, wäre nur England infragegekommen. Da wird selbst ein Serienkiller noch nach allen Regeln des Rechtsstaats fair behandelt.

Zürich, Bahnhofstraße

Ein Dunstschleier strich sanft über den See, die letzten Strahlen der Sonne badeten die abgeschirmte Dachterrasse in goldenes Licht, als die drei Männer mit ihren Drinks ins Esszimmer traten und am schlicht gedeckten Tisch Platz nahmen. Das unterdrückt genussvolle Gemurmel setzte sich angenehm fort, begleitet vom leise klappernden Klingen des silbernen Bestecks.

Diese Männer hatten sich im Kampf für ihr Land gefunden, das eiserne Band der Waffenbruderschaft geschmiedet. Lange lag die Zeit zurück, doch die Entbehrungen, der Überlebenskampf, die sich abverlangte Disziplin und Ausdauer, das Wissen, dass auf den andern Verlass war, wenn Todesgefahr drohte, schweißte sie zusammen.

Das legendäre Dreiergespann hieß Shuky Nachmann, Nir Barak und Mendi Meron.

Bis zur heutigen Stunde bedeutete ihnen ihre Schicksalsgemeinschaft alles, auch wenn sie sich nüchtern, betont gelassen gaben, sie ließen nichts auf den andern kommen. Später kamen kühne Unternehmungen dazu, geschäftliche Interessen verstärkten die innigen Bande – durch alles und bei allem hielten sie ihre Herzensfreundschaft hoch.

Nachmann hob die Flasche Beychevelle ins Licht, stellte fest, dass sie fast leer war. Er winkte seinem Assistenten, dem kräftigen, etwas dürr wirkenden Tabah, eine zweite zu bringen.

Mendi Meron trat vom Fenster, fuhr mit der Hand durch seine kurz geschnittenen grauen Haare. »Du willst uns wohl untern Tisch saufen, was?«

»Ach wo – dazu reicht bei euch die Zeit nicht. Und wir sind doch alle alt genug, einen guten Wein zu schätzen.«

»Stimmt«, grinste Barak. »Mir wird auch nicht jeden Tag Château Beychevelle angeboten.«

Meron senkte die Stimme. »Wir machen also weiter?«

Nachmann begutachtete die Flasche, die ihm Tabah wie ein geübter Kellermeister zur Inspektion präsentiert hatte. »Worauf wollen wir trinken? Auf den großen Coup? Oder auf den großen Mist? Nein, auf die alten Tage. Auf Wagemut und Fantasie – die vermisse ich am meisten beim Nachwuchs.«

»Darauf stoß’ ich gerne an«, lachte der etwas jüngere Barak. »Aber zurück zu Tel Aviv und den Hornbachs.«

»Wir müssen es riskieren, wir sind schon zu weit gegangen«, meinte Nachmann. Er nahm eine Gabel voll Trockenfleisch in den Mund, kaute schmatzend. Nir Barak gestikulierte mit dem Messer. »War vielleicht ein Fehler, mit den Hornbachs mitten in Zürich zu verhandeln.«

»Wer nichts wagt, verliert nichts.«

»Die Sache ist dumm gelaufen, Shuky. Alle Welt hat zugeschaut, wie die Hornbachs bei dir einmarschiert sind.«

»Zum Teufel, Nir, hast du noch alle Tassen im Schrank? Wir hatten doch alles durchgesprochen. Dein Boss, der Premierminister, war einverstanden. Diese neuen Nuklearsprengköpfe gehören den Israelis, niemandem sonst. Da waren wir uns einig.«

»Trotzdem war’s falsch. Die Russen sind dahintergekommen. Jetzt sind diese alten Puschkins gekränkt.« Er kicherte. »Lieber den Tod als der Ehre Verlust – das ist ein sibirisches Sprichwort.«

»Das kann nicht so ehrfürchtig sein, wie’s sich anhört. Was ist los, Nir?«

»Die Tochter von Bernoff ist in New York brutal ermordet worden.«

»Mad Bernoff? Der Börsenmakler?

»Seine hübsche Tochter war eine von uns.«

»Sie arbeitete für den Mossad?«

Auf Baraks Stirn erschien eine Furche. »Nur sporadisch. Von meinem Kontakt in New York habe ich eine Tatortaufnahme erhalten.«

»Lass sehen!«

»Du willst wohl den Drink samt Oliven rauskotzen? Es ist wirklich nicht attraktiv.«

Barak schwenkte die Schwarz-Weiß-Aufnahme im Format eines Briefbogens in der Hand.

»Oleg Borisowitsch Nedjew steckt dahinter, wenn du uns fragst. Der Killer hat das Emblem des Kranichs unter ihrem Nabel in die Haut geritzt. Schau!«

Er hielt ihm das Bild vor die Augen. Shuky warf einen raschen Blick darauf, wandte sich ab. Die Serviette gegen den Mund gedrückt, schaute er nochmals hin. Die junge Frau, die ihn verzerrt anstarrte, hätte vom Alter her auch seine Tochter sein können.

»Das Emblem? Der stilisierte Kranich? Bist du sicher?«

»Absolut, wir kennen den Burschen genau, nicht nur Kragenweite und sexuelle Perversionen. Wir sitzen ihm im Nacken, seit er in Eilat seine opulente Party geschmissen hat.«

Nachmann tippte mit dem Finger auf das Foto. »Warum in New York?«

Barak hob die Brauen. »Brutale Vergeltung für Finanzverluste, die er Bernoff anlastet. Schauderhaft. Wer eine Tote nackt mitten im Central Park einfach so hinhaut, ist zu allem fähig. Oder sonst wo auf der Welt. Das ist die Botschaft.«

»Du glaubst, das ist nur der Anfang?«

Barak nickte. »Du hättest uns einbeziehen sollen.«

»Da wären die Hornbachs nie drauf eingestiegen. Sie wollten das Geschäft in Zürich machen. Mit mir und niemand anderem, Nir.«

»Wir hätten die Brüder aus dem Verkehr gezogen – die Russen wären völlig ahnungslos gewesen. So wie es lief, hättest du die Sache gleich an die große Glocke hängen können. Schau, selbst die Österreicher haben herausgefunden, was läuft. Dieser Russengangster weiß jetzt, wo er ansetzen muss. Er wird alles tun, um an die Pläne zu kommen. Ich meine alles.« Barak schaute sich skeptisch um, hielt die Aufnahme mit der ermordeten Frau in die Höhe.

»Du spinnst doch, Nir.«

»Und die Erde ist platt, Shuky. Plane immer für den schlimmsten Fall. Ist dein militärisches Denken eingerostet? Hast du eine Abreibung Drill nötig – oder was?«

Gelächter belohnte seine raue Frontaloffensive. Nachmann versank in Gedanken. Der Kranich blieb das beherrschende Thema. Barak, der zu Hause in seinem Land jahrelang mit den Russen zu tun hatte, holte weit aus …

»Als die Sowjetunion implodierte und die Volkswirtschaften in den Randstaaten ins totale Chaos verfielen, sah die Zukunft nicht gerade rosig aus. In Moskau blühte der Gangsterkapitalismus auf. In den Randgebieten der einstigen Supermacht, vor allem im Kaukasus, herrschte das Faustrecht der Verbrecherbanden. Die Leute wagten sich kaum noch auf die Straße. Wenn du was kaufen wolltest, musstest du Spießrutenlaufen – zwischen Gangstern die auf einanderschossen. Oder auf dich …

… Die Tschetschenen, die Georgier und vor allem die Armenier gehörten mit ihrer Eigenständigkeit und der Neigung zum Rebellischen sowieso nie zum Kern der russischen Bevölkerung. Im Zwielicht an der Peripherie der Sowjetmacht entwickelten diese Gemeinschaften das legendäre Talent, im täglichen Elend der Mangelwirtschaft auf schlaue Art zu überleben. Wie von Radio Eriwan immer wieder parodiert, überwanden sie trickreich die bürokratischen Hemmnisse, organisierten heimlich die gefragten Waren. Sie beschafften jedes erdenkliche Material, die raffiniertesten Werkzeuge. Mit der Zeit entwickelten sie eine eigene florierende Schattenwirtschaft. Man nannte sie tolkachi, diese gerissenen Geschäftemacher – Schlitzohren und Schlawiner, für die es nichts gab, was sie in diesen harten Zeiten nicht organisieren konnten.

In einem System, das jede Regung von persönlicher Initiative abmurkste, bewiesen die tolkachi eine unglaublich unternehmerische Fantasie. Dagegen tappte der lange Arm der zentralen Sowjetbürokratie aus Moskau nur tollpatschig daneben, wenn er überhaupt je in den rauen Kaukasus hinunter gereicht hatte.

Die Winkel und Ritzen, in denen wirtschaftliche Initiative gedieh, hatten rasch den Nährboden für kriminelle Banden geschaffen, die ihre Erfahrungen später auf der Achterbahn der postkommunistischen Wirtschaft Russlands mit Erfolg einsetzen sollten. So war es denn auch kein Zufall, dass viele der mächtigen Oligarchen und Gangsterbosse sinnigerweise aus Georgien, Armenien und Tschetschenien stammten, wo sie als tolkachi ihr Handwerk von Grund auf gelernt hatten. Und viele von ihnen waren jüdisch.«

Barak hielt inne, goss sich ausnahmsweise ein Glas Wasser ein. Während er trank, schweifte sein prüfender Blick in die Runde. Er empfand eine gewisse Genugtuung, die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Freunde zu haben – nicht, dass die mit dem Inhalt seiner Ausführungen nicht genauso vertraut waren wie er selbst. Barak kam sich etwas vor wie der Geschäftsführer einer kleinen, erfolgreichen Firma, der in seiner Festrede an die ebenso bescheidenen wie turbulenten Anfänge des Geschäfts erinnert. Von den paar Schlucken Wasser gestärkt, fuhr er zielbewusst fort.

»Die Juden der früheren Sowjetunion kamen 1989 unerhofft in den Genuss eines einmaligen Privilegs – plötzlich hatten sie Anspruch auf Einbürgerung in Israel. So rasch sie konnten packten Tausende, Zehntausende ihre Sachen im Kaukasus, in Weißrussland, Sibirien, wo auch immer, holten den begehrten Pass ab und zogen weg, ohne dass Fragen gestellt wurden – ein Massenexodus. Aus Tausenden wurden Hunderttausende. Knapp zehn Jahre später lebte eine Million russischer Juden in Israel – mehr als fünfzehn Prozent der Bevölkerung.

Für den gläubigen Juden bedeutete die Auswanderung aliyah