Feuersturm - James Douglas - E-Book

Feuersturm E-Book

James Douglas

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Beschreibung

Jonathan Stauffacher, Sohn des Schweizer Bundespräsidenten, wird in Pjöngjang verhaftet. Geheime Staatssache: Nur Ken Cooper und sein Sohn Mike werden ins Vertrauen gezogen. Mike wird nach Nordkorea eingeschleust, als Mitglied einer Wandergruppe der Uni Bern. Dort lernt er die attraktive Michelle kennen, die ihn überredet, scheinbar hochgeheime Daten über Nordkoreas Rüstung, zu suchen. Währenddessen gerät Kim Jong-un wegen seiner Entspannungspolitik gegenüber den USA im Innern unter Druck. Die Hardliner um die gefürchtete Chefin der Staatssicherheit, Itara Katara, wollen die Macht der Kim-Dynastie zerschlagen. Welche Rolle spielt Stauffacher und welchen Plan B hat Michelle?

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Seitenzahl: 622

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www.langen-mueller-verlag.de

© für die Originalausgabe und das eBook: 2019 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel

Umschlagmotiv: shutterstock

eBook-Produktion: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten

ISBN 978-3-7844-8341-2

Wer die Zukunft lesen will, muss in der Vergangenheit blättern.

André Malraux

Personenverzeichnis

 

 

Schweiz

Walter Stauffacher

Bundespräsident der Schweiz

Cindy Berger

Assistentin des Bundespräsidenten

Jonathan Stauffacher

Sohn des Bundespräsidenten

Lee Stauffacher

Ehefrau von Jonathan Stauffacher

Bastien Bourgeois

Chef des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten, EDA

Rolf Bodenhart

Delegationsleiter, späterer Botschafter in Pjöngjang

Peter Wanner

Schweizer Botschafter in Washington D.C.

Jürgen Richter

Verbindungsoffizier der Schweizer Delegation

Der Shop

Privater Nachrichten- und Sicherheitsdienst, Zürich

Ken Cooper

Geschäftsführer des Shop

Michael Cooper

Chef der Operationen

Theo Vonalp

Pilot, Luftfahrttechniker

Bill Boner

Chef der Nachrichtensicherheit

Hans Bieri

IT-Verantwortlicher

Tom Grimm

Zuständiger für Spezialkräfte, Waffen und Sprengstoff

Mister So

Südkoreanischer Agent, Seoul

Exilkoreaner

Robert Lepong

Michelle La Porta

Gilbert Cavaliere, Anwalt

USA

POTUS

President of the United States

Justine Gray

CIA-Direktorin

Betty Frazer

Stellvertreterin des Stabchefs von POTUS

Pamela Bronson

Kommunikationschefin

Frank Campedo

US-Außenminister (Secretary of State)

Mark Kellermann

Nationaler Sicherheitsberater

Chuck Sterling

Stellvertreter des Nationalen Sicherheitsberaters

Rear Admiral Norton

Commander des Flugzeugträgers USS Ronald Reagan.

Mary Canfield

Direktorin des Bundessicherheitsdiensts NSA

Jack Braxton

Verteidigungsminister (Secretary of Defense)

Cha

Nordkoreaexperte im Weißen Haus

Caroline Lovelady

Maskenbildnerin

Jim Pariser

Detective of DC Metropolitan Police Department

John Parker

FBI-Agent

Tracy Wimmer

FBI-Agentin

Leutnant Harry Bush

Defense Intelligence Agency of the Pentagon

Major Nancy Nilon

Defense Intelligence Agency of the Pentagon

Mortimer

Secret Service Agent im Weißen Haus

Sergeant Miller

US Ranger Delta Force Team

Nordkorea

Kim Il-sung

Ewiger Führer (†)

Kim Yong-il

Geliebter Führer (†)

Kim Jong Un

Staatschef der DPRK

Ri Sol-ju

Ehefrau von Kim Jong Un

Yo Kong

Schwester von Kim Jong Un

Kim Jong-chol

Vizestaatschef

Nam Ju-yung

Graue Eminenz, Chef der »Neuen Patrioten«

Ri Son-gwon

Chef der Wiedervereinigung

Chong-lo

Enger Vertrauter

Choe Son Hui

Außenministerin der DPRK

Ri Su Yong

Ehemaliger Botschafter der DRPK in Bern

Brigadegeneral Karon Tak

Adjutant des Chefs der Volksarmee

General Khan

Generalstabschef

Kira

Sängerin, Begleiterin von Jonathan Stauffacher

Martin Lindt

Sternekoch aus Bern

Fritz Schwander alias Boxer Fritz

Kims Pate und Sportlehrer aus seiner Berner Zeit

Sook

Verstorbene Ehefrau von Fritz Schwander

Chan Schwander

Sohn von Fritz Schwander

General Cheng-li

»Hinkender General«, Chef der Operationen im Führungsstab

Wito

Cousin von Ri Sol-ju, Angestellter im Stahlwerk Namp’o

Widersacher von Kim Yong Un

Ira Katara

Chefin der Staatssicherheit SSD, »Rostige Lady«

Juna »Gucci«

Stabschefin von Ira Katara

Oberst Jak-on

Mitglied der SSD

Major Yungsum, später Oberst

Mitglied der SSD

Jong-Dong alias Jaekal

Vollstrecker der Chefin SSD

Chang Song Taek (†)

Onkel von Kim Jong-Un

Kim Haksil

Sohn von Chang Song Taek

Generalmajor Rong Tuan

Chef des Büros 225

Generaloberst Nodong

Verschwörer

General Ho-Kon

Verschwörer

General Handong

Kommandeur der 5. Brigade, Verschwörer

Stellv. Verteidigungsminister

Verschwörer

Chino

Auftragskiller

Dong Li

Triaden-Boss in Pjöngjang

Reisegruppe Hiking for Peace

Leutnant Gong

Fremdenführer

Heidi und Dave

Reiseleitung

Michael Cooper

Undercover-Agent

Michelle La Porta

Gefährtin von Michael Cooper

Mico

Taxifahrer

Hubertus

Umweltprofessor

Bannholz

Spengler

Ein Nationalrat mit Ehefrau, eine Hypnosetherapeutin, ein Schriftsteller

Abkürzungen

POTUS

President of the United States

OCD

Swiss Office for Cooperation and Development, Büro der Schweizer Aufbauhilfe für Nordkorea

OGD

Organization and Guidance Department (innerstes Machtgremium der DPRK)

DPRK

Democratic People’s Republic of Korea

KCTV

Korean Central Television

Bowibu

Geheime Staatspolizei

Erster Teil

1

Bern

Walter war ein Mann mittlerer Größe mit breiter Brust, Mitte fünfzig. Er strich sich über das grau strähnige Haar, das glatt nach hinten gebürstet und mit einer ansehnlichen Menge Gel fixiert war. Der Nadelstreifendoppelreiher passte perfekt zu seiner untersetzten Figur. Alle im Sitzungszimmer schauten gebannt auf sein Gesicht mit den tiefen Furchen und einer verblassenden Bräune. Walters Stimme klang gebieterisch. »Warum zum Teufel machen wir das?«

Die sechs anderen am breiten Tisch zuckten zusammen.

»Ich glaube nicht, dass ich Ihre Frage verstehe«, sagte die Frau.

Grelles Tageslicht ließ ihr Gesicht bleich, unsicher erscheinen.

»Sicher tun Sie das, außer Sie sind schwer von Begriff, aber ich weiß, dass Sie das nicht sind.« Walter sprach ruhig. Seine Gesichtszüge blieben trotz der scharfen Rhetorik unergründlich.

Die Justizministerin blinzelte, biss sich auf die Zunge, um dem Ärger nicht Luft zu machen. »Ich verstehe es so, dass Sie nichts mit Nordkorea am Hut haben wollen«, sagte sie.

Walter Stauffacher schaute in die Runde. »Ich hatte viel in meine Karriere investiert, lange bevor ich in die Landesregierung kam.«

Als er die Aufmerksamkeit aller spürte, fuhr er fort. »Ich hatte als Unternehmer eine Vielzahl internationaler Verhandlungen geführt. Mein Leitprinzip hieß Vertrauen. Wenn mir eine Gegenpartei nicht behagte, verließ ich den Tisch.«

Er schlug mit einer Hand auf die Tischplatte. »Als Bundespräsident gibt es für mich ein Primat, das ich stets hochhalte, wenn wir mit anderen Regierungen verhandeln. Ein elementarer Grundsatz. Worum geht’s?«

Erwartungsvoll blickte er zur Justizministerin, als erwartete er von ihr die Lösung der gestellten Frage.

»Absoluter Vorrang hat das Recht. Weil das die wirksamste Waffe eines Kleinstaates ist.« Er stand auf, drückte hinter sich an der Wand den Knopf für die Jalousie, die sich leise senkte. Als der Schattenwurf das Gesicht der Frau überzog, stoppte er den Vorgang, blieb aber stehen: »Unsere Prosperität beruht auf Innovation, Fleiß, Erfindergeist und klugen Verträgen.«

»Was Sie nicht sagen«, warf der Ältere, der für die Wirtschaft zuständig war, dazwischen.

Walter Stauffacher ignorierte den Zwischenruf, setzte sich, nahm einen Schluck Wasser aus dem Glas neben dem Aktenstoß. »Hunderte Abkommen garantieren, dass wir unsere Position als wichtigen Handelspartner überall in der Welt durchsetzen können. Ohne Recht, ohne die normative Kraft des Völkerrechts sind wir ein Niemand.« Er schaute erwartungsvoll in die Runde, doch kein Applaus brandete auf, keiner nickte zustimmend. Die Frau gähnte.

»Das führt mich zurück zu meiner früheren Frage«, dozierte Stauffacher unbeirrt weiter. »Warum machen wir das? Was zum Teufel haben wir in Nordkorea verloren?« Seine Augen glitten fordernd über die Köpfe der vier Männer und verharrten etwas länger auf den verdutzten Gesichtern der beiden Frauen.

Wie sehr das politische System auf Ausgleich und Kompromiss ausgelegt war, spiegelte sich auch in der Regierung, dem Bundesrat, der eigentlich eine Behörde ist: Das Land wird von sieben gleichberechtigten Bundesräten geführt, die sich zusammenraufen müssen, denn keiner kann hier durchregieren. Der Bundespräsident wechselt als Primus inter Pares im jährlichen Turnus, leitet die Sitzungen, hält Ansprachen an nationalen Feiertagen und übt bloß repräsentative Funktionen aus. Stauffacher wusste, dass er keine Macht besaß, außer in Sitzungen, wenn er wie heute dem Verhandlungsgang den Stempel aufdrücken konnte, sofern er es geschickt anstellte.

Bastien Bourgeois räusperte sich. Der junge Welsche führte das Außendepartement. Stauffacher hielt ihn für durchaus brauchbar. Während seine Kollegen im Raum in gestylten Anzügen steckten, trug der Außenminister modische Khakihosen, ausgetragene Turnschuhe, ein blaues Zwilchhemd mit brauner zugeknöpfter Weste. Er passte eher auf ein Rockalbum als in das Bundesratszimmer. Interessanterweise kam der Dandy auf dem diplomatischen Parkett dennoch sehr gut an.

»Herr Präsident, Nordkorea darf nicht länger unterschätzt werden. Nordkorea ist speziell«, begann er mit einer Festigkeit in der Stimme, die man ihm nicht zutraute. »Wenn wir die Avance ihres Botschafters ablehnen, sind wir auf Jahrzehnte weg vom Fenster, ohne Chance, unsere Interessen gewinnbringend zu vertreten.«

»Eine Absage wäre fatal. Ein guter Diplomat sagt nie nein«, murmelte der Wirtschaftsminister.

»QueDieu vous entend, Johann, du siehst das absolut richtig«, freute sich Bourgeois. »Die Initiative des Botschafters kommt mir vor wie Moses, der mit den zehn Geboten den Berg hinabsteigt.« Er hob vielsagend die Hand wie zum Schwur. »Etwas Großes steckt dahinter. Für unser Land gibt es keine bessere Gelegenheit, daraus Kapital zu schlagen. Es genügt nicht mehr, dass unsere Armeeoffiziere seit über sechzig Jahren die demilitarisierte Zone bewachen.«

»Zusammen mit den Schweden leisten wir schon lange unseren Beitrag zum Frieden«, erinnerte Stauffacher daran mit finsterem Blick.

»Die Schweden sind nicht im Spiel, Herr Präsident. Nordkorea will uns. Nur in uns hat das Regime noch Vertrauen. Wir sind so ziemlich die Einzigen, die für eine Vermittlung infrage kommen. Die verstärkte Präsenz der Schweiz auf der koreanischen Halbinsel hat großes wirtschaftliches Potenzial. Wir machen daraus ein politisches Meisterstück, da können Sie sicher sein.«

Seine Stimme klang ein wenig matt, aber der Unterton war scharf. Er schaute nicht mehr zum Präsidenten.

»Wissen Sie, Bourgeois«, sagte er, »was das Problem mit diesen aufgeblasenen Projekten aus Ihrem Außendepartement ist? Nein? Auf die Begeisterung am Morgen folgt der Kater am Nachmittag. Auf Enthusiasmus die Ernüchterung. Wir lechzen nach Anerkennung auf der internationalen Bühne, verfallen der Illusion, dass die kleine Schweiz gefragt ist und dabei noch lukrative Geschäfte an Land zieht.«

Er suchte Zustimmung in der Runde, fuhr fort: »Dann, meine Damen und Herren, werden wir von diesem Pop-Diktator durch den Kakao gezogen, den wir am Ende auch noch trinken müssen. Nicht zu reden von hundert Millionen, die wir für das Abenteuer in den Sand setzen, um irgendwo in einem verdammten Winkel dieser Welt eine Rolle zu spielen.«

Charmant lächelte er der Justizministerin zu, um gleich engagiert seinen Standpunkt zu vertiefen.

»Am Anfang sind wir die Könige, nicht lange danach greifen wir in die Scheiße … Pardon … Das internationale Recht hat für den kleinen Diktator in Pjöngjang null Bedeutung. Also nochmals, was zum Teufel haben wir in Nordkorea verloren?«

Der Finanzminister hatte gerade fünfundfünfzig Jahre erreicht. Mit mürrischem Ausdruck drehte er einen Bleistift in seinen Händen. Ihn interessierten nur die Kosten. Die Sache eilte nicht. Wahrscheinlich werden die USA ohnehin die guten Dienste ablehnen, sagte er sich, weil ihnen die Zeit davonläuft. »Wir brauchen ein Budget, vorher will ich mich nicht äußern«, sagte er mehrmals nickend.

Die Justizministerin war um die sechzig, trug ein elegantes knallrotes Kleid mit einem U-Boot-Ausschnitt, die brünetten Haare trug sie kurz geschnitten.Sie schaute in die Runde, bevor sie sprach.

»Es ist wichtig, dass wir unsere humanitären Verpflichtungen ernst nehmen. Mein Schwerpunkt für die nächsten Jahre liegt im Inland. Ein außenpolitisches Vabanque-Spiel in Nordkorea erscheint mir völlig unpassend.«

Walter Stauffacher wollte nicht widersprechen. »Gut, gut … einverstanden.«

Sie warf ihm einen abschätzigen Blick zu. »Wir sollten uns auf die Migration konzentrieren. Das ist eine strategische Priorität. Deshalb bin ich gegen eine Vermittlung der Schweiz mit Nordkorea. Wir müssen die Kräfte der Außenpolitik in Europa bündeln.«

Der Präsident schürzte die Lippen. Wer keine Argumente hat, wechselt das Thema, dachte er. »Danke, aber bleiben wir in Asien. Was meint die Wirtschaft?«

Der Wirtschaftsminister stand auf, weil der Schmerz im rechten Bein nicht nachließ. Er war untersetzt, mit einem Bauch, der unter seinem zerknitterten taubenblauen Anzug deutlich zu sehen war. Mit über sechzig Jahren hatte er den Platz des Seniors im Gremium inne. Nur ein paar spärliche Haare bedeckten seinen breiten Schädel. Er rückte seine goldgeränderte schmale Brille zurecht, räusperte sich. »Schauen Sie«, begann er unsicher, »wir sind gut im Geschäft mit China und Korea, Südkorea. Wir haben einiges erreicht, Gutes erreicht, wir sind sehr geschätzt. Das macht die Schweiz interessant … und wenn es gelingt, einen Schritt, einen Fuß in die Türe Nordkoreas zu setzen, dann sind die wirtschaftlichen Perspektiven sicher ein sehr wesentlicher Punkt.« Er setzte sich wieder, gleich anfügend: »Ich bin dafür.«

»Wieso weiß ich, dass wir das nicht wollen«, sagte der Bundespräsident fast zu sich selbst. Dann richtete er sich energisch auf. »Wir vertagen die Diskussion auf morgen. Das gibt uns Zeit, die Lage gründlicher zu sondieren. Mir scheint, wir haben nicht genug zuverlässige Informationen.«

Dabei blieb es. Er schloss die Sitzung.

2

Draußen in der Halle zerstreuten sich die Sitzungsteilnehmer rasch in Richtung der Bürofluchten ihrer Departements. Cindy Berger hatte diskret in einer Ecke gewartet und kam jetzt hinter der Henri Dunant-Büste hervor und schnitt Stauffacher den Weg ab. Wie zum Vorwand hielt sie ihm ein Schriftstück entgegen.

»Wie ist es gelaufen, Boss?«

Er musterte sie kurz. Sie war wie immer adrett gekleidet, hielt sich zum Glück nicht an den allgemeinen Dresscode, wonach es angebrachter wäre, im Bundeshaus dunkle Hosen statt einen Rock zu tragen, der zwar Cindys schöne Beine zur Geltung brachte, aber für einen Auftritt in der Wandelhalle ein bisschen zu kurz geraten war.

»Sie wissen von nichts, Cindy, haben nichts gehört, nichts gesehen, ist das klar?«

»Selbstverständlich, Chef. War ich denn in dieser Sitzung? Aber …«

»Kein aber, Cindy.«

»Mit Verlaub, ich wollte Ihnen nur meine Meinung sagen.«

Der Bundespräsident überlegte, ob er darauf eingehen sollte. Er schätzte Cindy außerordentlich. Er bezeichnete sie gerne als seine rechte Hand, womit er sich prompt den Vorwurf des Sexismus eingehandelt hatte. Sie war attraktiv, Ende dreißig. Die vierzig ragte vermutlich wie eine dunkle Wand vor ihr auf, dahinter gähnte der Abgrund. Sie fürchtete sich schon jetzt davor, alle ihre Reize als Frau zu verlieren. Völlig zu Unrecht, seiner Meinung nach.

»Nun gut, fassen Sie sich kurz, Cindy.«

Sie hatten längst vereinbart, sich nur im ganz privaten Rahmen zu duzen.

Sie räusperte sich verlegen, blieb stehen, wartete, bis der Flur wie leergefegt in mattem Licht lag. »Ich würde die Initiative Nordkoreas aufnehmen.«

»Warum um Himmels willen?«

»Sie wollen es doch nicht wissen. Habe ich recht?«

Er knurrte, was nach Zustimmung klang, wandte sich dann aber ab.

»Kim Jong Un ist in Bern zur Schule gegangen«, schickte sie ihm leise nach. Doch Stauffacher schüttelte nur den Kopf. Ohne sich umzudrehen, wehrte er mit beiden Händen ab. »Kommt nicht infrage. Niemals. Eher trete ich zurück.«

Dann blieb er stehen, lächelte. »Schon etwas vor, heute Abend?«

Sie blieb kurz stehen, drückte die Akte an sich. »Geburtstagsfeier meiner Schwester.« Fast ohne die Lippen zu bewegen, hauchte sie: »Komm doch mit.«

»Du spinnst ja.«

Sie nickte verständnisvoll. »Denk darüber nach, ich meine wegen Korea.«

»Da gibt’s nichts mehr zu sagen, Cindy. Kein Thema. Bis morgen dann.«

Kein Thema? Stehend beobachtete sie seine kräftige Statur, deren Konturen sich allmählich im dämmrigen Flur auflösten. Dabei hängt die Zukunft der nordkoreanischen Halbinsel stark davon ab, wann die USA mit Nordkorea überhaupt in Verhandlungen treten wollen. Als studierte Politologin sah sie Nordkorea als Pufferzone für China und Russland. Angesichts der Wichtigkeit der Nordostpassage will Russland den Fernen Osten einschließlich des gemieteten nordkoreanischen Hafens, der auch von China und der Mongolei benutzt wird, weiter entwickeln. Solange sie das Vorgelände brauchen, kann Nordkorea hart bleiben. Die Mediation wäre eine Chance für die Schweiz, aber unsereins hat ja eh nichts zu sagen …

3

Der Zugang zum Apartmenthaus geschah durch ein elektrisches Tor, wo im Schatten einer Platane ein Wachmann stand. Der Chauffeur lenkte die schwarze Limousine behutsam über einen fein gereihten dunkelgrauen Pflasterweg zum überdachten Eingang, wo beige Steine eine kunstvolle Rosette in den dunklen Belag zeichneten. Er hielt an. Der Bundespräsident nahm seine Laptoptasche vom Sitz und stieg aus. »Ich brauche Sie nicht mehr heute Abend, Richard.«

»Gute Nacht, Herr Bundespräsident.«

Walter Stauffacher erwiderte in der Halle den Gruß des Concierge, trat in den Aufzug. Mit seinem elektronischen Badge wählte er den fünften Stock.

Das Penthouse hatte er gemietet, als er nach Bern in die Landesregierung gewählt wurde. Es lag im Universitätsquartier, was ihm erlaubte, morgens locker ins Bundeshaus zu spazieren.

Über der kleinen Bar mit dem Tresen aus weißem Marmor hingen an den Eichenpanelen Bilder wie Trophäen. Die Ego-Wand. Erinnerungen aus seiner Zeit als Unternehmer, Familienfotos, Hochzeitsfotos, Schwarzweißaufnahmen aus dem Militärdienst, ein signierte abstrakte Zeichnung von Ted Scapa. Sein Blick ruhte auf seiner eigenen frechen Karikatur als Bundespräsident mit dicker Zigarre im Mund, herausforderndem Blick, buschigem Haar. Auf der gewölbten breiten Brust prangte am Revers eines dunkelblauen Blazers ein großer Button. Darauf stand eine gelbe 50 auf grünem Grund, darunter Super Hero. Stauffacher schmunzelte, während er aus dem Kühlschrank ein paar Eiswürfel in einen Longdrink mit Martini warf, das Glas versonnen an die Lippen hielt, bedächtig daran nippte.

Der Karikaturist war sein Sohn, Jonathan. Er spürte ein warmes Gefühl. Jonathan hätte es bestimmt als freischaffender Zeichner weit gebracht. Schon während seiner Studienzeit erfreute er die Leser einer Tageszeitung mit seinen pointierten Karikaturen von Reichen, Schönen und Möchtegern-Prominenten. Dann lernte er die reizende Lee kennen, die an der Uni Bern im gleichen Semester Betriebswirtschaft studierte. Sie verliebten sich Hals über Kopf. Nach einem Umweg über Standford, wo beide in kurzer Zeit doktorierten, nahm Jonathan zum Entsetzen seines Vaters eine Stelle in Seoul an. Der Hyunwha-Konzern hatte gerade den maroden Solarhersteller Q-Cells gekauft und ernannte Jonathan zu dessen Geschäftsführer.

Ganz zufällig geschah diese einflussreiche Ernennung nicht. Lees Vater war nichts weniger als der Chairman von Hyunwha mit ansehnlichem Aktienbesitz und fand Gefallen am Schwiegersohn aus der Schweiz.

Walter Stauffacher seufzte, trank mit einem kräftigen Schluck aus. Er versank in einem weißen Lehnstuhl, tippte die Kurzwahl ins Handy, klickte auf Lautsprecher und wartete.

Die Verbindung nach Seoul brauchte etwas Zeit, dann meldete sich eine müde weibliche Stimme nach mehreren Rufzeichen.

»Lee? Hier Walter, hörst du mich?«

»Ja, laut und deutlich.« Ihre Stimme schien ihm besorgt.

»Wie geht es euch? Ist Jonathan zufällig zu Hause?«

»Es ist hier fünf Uhr morgens, Walter. Jonathan ist nicht da, er ist …« Sie brach ab.

»Verdammt, diese Zeitverschiebung … tut mir leid, Lee. Ist alles in Ordnung?«

»Nein.«

»Um Himmels willen, was ist denn passiert?«

»Jonathan ist nicht von Pjöngjang zurückgekommen.« Sie sprach den nächsten Satz nur stockend. »Sie halten ihn fest.«

»Was?« Stauffacher rang nach Worten, stierte auf das Handydisplay, als fände er dort eine Antwort. »Sie halten ihn fest? Wer? Die Polizei?«

»Ich weiß nicht, was passiert ist, es ist schrecklich … Ich wollte dich anrufen …« Sie schluchzte auf.

Stauffacher wusste, dass Hyunwha in Pjöngjang Geschäfte im Bereich Bau und Engineering betrieb. Jonathan konnte als Schweizer in den Norden einreisen, um die Verhandlungen zu führen. Seit mehr als zwei Jahren tat er das. Die Besuche waren ihm zur Gewohnheit geworden.

Stauffacher versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, während nur unheimliches, leises Knistern ans Ohr drang. Wie aus dem Nichts erschien ein Bild vor seinem geistigen Auge. Der junge Amerikaner, wie er von zwei nordkoreanischen Polizisten in Handschellen abgeführt wurde. Die Erinnerung löste bei ihm Panik aus. Der US-Staatsbürger hatte während seiner Haft schwere Gehirnverletzungen erlitten. Die Vorstellung, dass Jonathan von brutalen Sadisten misshandelt würde, war unerträglich.

»Walter? Bis du noch dran?«

Stauffacher gab sich einen Ruck. Er, der von sich in Anspruch nahm, das Krisenmanagement souverän zu beherrschen, in jeder Lage besonnen und geschickt entschied, starrte jetzt wie gelähmt auf das Handy.

»Was ist passiert?«, stieß er schließlich hervor.

»Ich weiß es nicht«, hörte er Lee aus weiter Ferne. »Ich rief ihn mehrmals an, aber der Anruf ging auf Voicemail.«

»Wieso weißt du denn, dass sie ihn festhalten?«

»Er sandte mir eine Kurznachricht. Was willst du jetzt machen?«

Die Frage spielte ohne Zweifel auf seine Machtposition als Bundespräsident an. Lee nahm vermutlich an, dass er mit einem Anruf bei Kim Jong Un persönlich die Verhaftung als bedauerliches Missverständnis, wie es jeweils hieß, regeln konnte. Jonathan würde rasch freikommen. Aber Stauffacher erlag keiner Illusion. Das Außendepartment hatte in der Vergangenheit schon oft versucht, Schweizer, die von einem ausländischen Regime wegen scheinbaren Bagatellen verhaftet wurden, frei zu bekommen. Das Ausland verbat sich in aller Regel die Einmischung in innere Justizangelegenheiten. Nordkorea, da war sich Stauffacher sicher, würde sich von einer Intervention der Landesregierung zuletzt beeindrucken lassen.

»Im umgekehrten Fall würden wir gleich handeln«, meinte Stauffacher. »Fehlte gerade noch, dass ein ausländischer Potentat seine Schützlinge bei uns aus dem Knast holen will.«

»Was war das? Was hast du gesagt?« Lees Stimme zitterte.

Es ist hoffnungslos, lag ihm auf der Zunge. Doch er wählte eine vernünftigere Antwort. »Lee, hör gut zu. Beruhige dich. Ich kümmere mich darum. Du bleibst in Reichweite, damit wir jederzeit Verbindung haben. Ich versuche über unsere Leute in Pjöngjang herauszufinden, was tatsächlich geschehen ist. Und wenn du etwas erfährst, rufst du mich an. Ist das gut so?«

Hatte die Schweiz denn Leute in Pjöngjang …?

Ihre Stimme war eine Nuance gefasster. »Ja, natürlich. Ich orientiere dann meinen Vater. Als Konzernchef kann …«

Intuitiv unterbrach Stauffacher. »Nein, Lee. Der Fall darf nicht publik werden. Unter keinen Umständen. Erzähl der Firma einfach, dass die Verhandlungen länger dauern oder Ähnliches, dir wird schon etwas einfallen. Wir halten den Fall bis auf Weiteres geheim, hast du das kapiert?«

»Ja, schon aber, mein Vater …«

Stauffacher blieb hart. »Nein, Lee … Es ist mein Sohn, der in Gefahr steckt.«

Als der Anruf beendet war, trat Stauffacher an die Bar, goss sich einen doppelten Scotch ins Glas und leerte es in einem Zug. Dann legte er sich auf die Ledercouch, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte zur Decke.

Da traf ihn die Erkenntnis wie ein Donnerschlag. Die Vermittlung zwischen Nordkorea und den USA! Die Avancen des nordkoreanischen Botschafters erschienen ihm plötzlich wie eine Rettungsleine, die ihn aus dem Strudel seiner Emotionen riss. Im Innersten hoffte er zwar immer noch, dass alles nur ein schreckliches Missverständnis war.

Doch die vage Hoffnung erwies sich in den nächsten Minuten als Strohhalm, der ihm aber entglitt.

4

Sein Handy summte. Auf dem Display stand Unbekannt. Könnte es Jonathan sein? Hastig hieb sein Zeigefinger auf die Taste. Es war die rote, die er traf. Der Anruf wurde gekappt.

»Verdammt, ich bin ein Idiot.« Den Atem anhaltend zielte er in der Anrufliste auf das Feld für den Rückruf. Doch Jonathan kam ihm zuvor. Das Handy summte.

»Jonathan …?«

»Dad, ich bin es«, hörte er die vertraute Stimme.

»Ich weiß. Wo bist du? Sag mir, was passiert ist. Bist du wohlauf?«

Eine Weile hörte Stauffacher nur Rauschen.

»Wir sind nicht allein, Dad. Stell keine Fragen, sonst sind wir draußen. Okay?«

»Ja, ja … sag mir, was da verdammt noch mal los ist?«

»Ganz ruhig, Dad. Ich gebe dir jetzt meinen Bericht. Hörst du mich gut?«

»Ja, Gott sei Dank hast du angerufen.«

»Nun, also. Folgendes hat sich gestern Nachmittag zugetragen.«

Jonathan begann zu erzählen …

… Sie spazierten in den Park rund um die Pjöngjang-Arena, eine überdeckte Sporthalle, in der hauptsächlich Basketballspiele stattfanden.

»Weißt du, dass der Oberste Führer als junger Mann in Bern zur Schule ging«, fragte Jonathan seine ständige Begleiterin.

Kira blieb mit verschmitztem Lächeln stehen. »Natürlich weiß ich das. Warum fragst du?«

»Wegen Basketball. Er spielte in Bern leidenschaftlich gerne und oft in einer Clubmannschaft. Man sagte, er sei sehr geschickt in der Ballkontrolle gewesen.«

»Komm, wir gehen zum Fluss hinunter«, überging Kira die Bemerkung.

»Nach wenigen Minuten erreichten sie eine Brücke, die sich elegant über den Potong schwang. Schlammig braunes Wasser floss in Strudeln. Vor dem Brückenkopf schwenkten sie nach rechts ab.

»Wir gehen am Museum entlang«, entschied Kira.

»Gut, dann sehen wir die USS Pueblo«, wusste Jonathan.

Das amerikanische Aufklärungsschiff der US-Navy wurde 1968 von der nordkoreanischen Marine gekapert und erlangte Berühmtheit. Es lag als Trophäe am Quai vor dem Museum vertäut.

Schweigend schritten sie daran vorbei, bogen am Ende des riesigen Gebäudes um die Ecke des Vaterlands- und Befreiungsmuseums. Am Eingang standen zwei Hünen von Soldaten in strammer Pose. Jonathan fasste Kira sanft am Arm. Er lenkte sie zur Mansu-Brücke, die sie plaudernd überquerten.

»Ich gebe dir einen Drink bei mir aus«, schlug Jonathan vor. Sein kleines Apartment lag auf der anderen Flussseite in der Nähe des Postgebäudes.

»Wie du willst, aber wir haben nicht viel Zeit«, lächelte Kira. »Du weißt, wir machen heute Abend mit der Band Aufnahmen.«

Die junge Frau war ausnehmend hübsch, was Jonathan milde stimmte, weil er sonst ihre ständige Kontrolle auch schon als lästig empfunden hatte. Sie trug ihre schwarzen Haare kurz geschnitten wie die Frauen in der Armee. Sie trug einen leichten schwarzen Blazer mit weißen Blumenmustern, dessen Hakenverschluss den Stoff über ihren schönen Busen eng spannte.

Sie stiegen zwei Stockwerke hoch, Jonathan nahm den Schlüssel aus seiner Hosentasche, öffnete die Tür.

»Du hast es gut hier«, sagte Kira eintretend. Im Wohnzimmer stand ein Flachbildschirm auf einem Sideboard, die Küchentür stand offen. Jonathan angelte zwei Bierflaschen aus dem Kühlschrank, öffnete die Verschlüsse. Kira räkelte sich auf dem Sofa und zeigte zur Wand neben dem Fernseher. »Sind die auch von dir?«

Er reichte ihr eine Flasche. Auf der grünen Etikette stand das Gütesiegel der Kim-Dynastie. Jonathan hatte schnell begriffen, dass Bier in Nordkorea ebenso beliebt wie günstig war. Er prostete Kira zu, nahm einen Schluck und trat vor seine Zeichnungen.

»Alle drei sind von mir. Gestern erst aufgehängt. Diese da mag ich besonders gern.«

Kira nahm einen Schluck Bier, zuckte mit den Schultern. »Himmel, Wolken und Berge. Das haben wir auch.«

»Schau den schroffen Berg gut an. Bemerkst du etwas?«

Kira zog die Brauen zusammen, hob das Kinn. »Nein.« Sie stand auf, trat näher.

»Schau genau hin, du musst es sehen.«

Sie kniff die Augen zusammen. »Ja, da … eine Fratze, ein Gesicht in der Felswand. Ist es das?«

»Erkennst du das Gesicht?«

»Moment …« Kiras Blicke gingen zwischen der Zeichnung und Jonathan hin und her. »Die Nase … das bist doch du! Du hast dich …«

»… im Berg verewigt. Es ist die berühmte Eigernordwand. Nur tollkühne Männer schaffen die.«

Sie lachte laut heraus. »Dann bist du einer davon, du Angeber! Das ist gut … Ja, jetzt erkenne ich dich. Soll das Schneefeld … ein Ohr sein …? Die Augen sieht man nicht. Doch hier. Du zwinkerst ja … Das ist aber wirklich toll!«

Sie nahm gutgelaunt einen Schluck und ließ sich in das weiche Sofa fallen, schlug die Beine übereinander, zog züchtig den Rock straff. Jonathan warf einen verstohlenen Blick auf sie.

»Gefallen dir meine Schuhe?« Sie streckte ein Bein mit dem weißen Stöckelschuh in die Höhe.

»Sicher. Trägst du immer Strümpfe? Weiß passt gut.«

»Gib dir keine Mühe«, lachte sie. »Komm, setz dich zu mir.« Sie streifte ihre Jacke ab und rückte etwas zur Seite.

»Bin gleich wieder da«, sagte Jonathan und verschwand im anderen Zimmer.

Als er zurückkam, hatte er die Ärmel hochgekrempelt. In den Händen hielt er einen Zeichenblock und Stifte.

»Was willst du damit?«, fragte sie.

»Ich kann dich porträtieren … Nur das Gesicht«, fügte er gleich verschmitzt hinzu.

Kira wehrte mit beiden Händen energisch ab. »Das geht nicht, Jonathan. Das ist gegen die Vorschriften. Ich bin nur die Fremdenführerin. Wir dürfen nicht fraternisieren.«

»Dich zeichnen ist doch harmlos.«

»Nein und nochmals nein. Zeichne irgendwen, aber nicht mich, Jonathan.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

Wortlos begann Jonathan zu skizzieren. Kira beugte sich neugierig über den Salontisch. »Wen zeichnest du? Wau, das ist doch …«

»Mister Trump«, grinste Jonathan und übertrieb mit markanten Strichen den wie eine Fahne nach rechts gekämmten Schopf.

»Genial.«

»Warte.« Nach ein paar Strichen steckte Präsident Trump Dollarscheine in einen üppigen Frauenbusen.

Kira klatschte in die Hände. »Du bist Spitze, Jonathan. Und Putin?«

»Kein Problem.« Er skizzierte gewellte Stirnrunzeln, eine überlange Stupsnase, kleine Augenlöcher. »Etwa so?«

Kichernd wollte sie mehr. Jonathan rieb sich nachdenklich die Nase, dann begann er rasch zu skizzieren. Ein Hahn in einem großen Korb nahm Gestalt an, plötzlich umgaben ihn drei halbnackte Frauen.

»Das ist lustig«, lachte Kira. »Aber der Kopf des Hahns ist viel zu groß.«

Jonathan schüttelte den Kopf. »Ist er nicht, schau!« Er beendete mit ein paar Strichen sein Werk und hielt die Karikatur Kira unter die Augen.

Sie schaute entsetzt und zeigte auf die Skizze. »Nein … das darfst du nicht …«

Sie stand auf, ergriff ihre Jacke. »Es ist Zeit zu gehen. Komm, ich muss ins Tonstudio. Und mach das nie wieder. Nie, verstanden!«

Verwirrt schaute Jonathan auf die Zeichnung, die Kira so entsetzt hat. Der Kopf des Hahns war nicht mehr ein Hahnenkopf. An seiner Stelle grinste der Oberste Führer Kim Jong Un die nackten Brüste der Frauen an. Seine Kurzhaarfrisur war zum Hahnenkamm geworden. Es war zum Brüllen komisch. Einfach genial gelungen.

Jonathan hastete seiner Aufpasserin nach, die bereits draußen im Flur stand.

Die Karikaturen von Jonathan Stauffacher blieben auf dem Salontisch liegen …

5

… »So war es, Dad«, schloss sein Sohn.

Es war kein Raketenwissenschaftler nötig, um die weitere Entwicklung dieser dramatischen Vorgänge abzuleiten. Walter Stauffacher blieb lange stumm. Seine Gehirnzellen analysierten, wägten ab, loteten aus, übermittelten die Impulse des richtigen Vorgehens an seinen Verstand. Sein emotionales Machtzentrum hingegen rebellierte. Moral und Gefühle rangen um die Oberhand gegen das rationale Denken. Doch der Bundespräsident blieb gelassen. Ihm war augenblicklich klar geworden, dass die Zeichnungen in falsche Hände gefallen sein mussten. Möglicherweise fand sie die Putzfrau bei der abendlichen Zimmerreinigung oder einer der zahlreichen Agenten, die Jonathan bestimmt nachgestiegen sind und an diesem Abend heimlich die Wohnung durchsucht haben. Es gab für Walter Stauffacher momentan keine andere Erklärung. Oder hatte ihn am Ende diese Kira verpfiffen?

Stauffacher erinnerte sich an einen Bericht, wonach die Nordkoreaner durch Erziehung und Propaganda derart indoktriniert seien, dass ihre Loyalität zum Regime stärker sei als die der Hitlerjugend zu Hitler. Unzählige Zuträger und inoffizielle Mitarbeiter hielten ein waches Auge auf Reisende, Geschäftsleute, verdächtige Abweichler. Für ihn war sonnenklar, dass Jonathan von solchen schrägen Vögeln verpetzt worden war.

Wir sind nicht allein

Er räusperte sich. »Erzähl nicht weiter, Jonathan. Ich weiß Bescheid.«

Jonathan sagte nichts.

»Du musst mit den Leuten, die dich festhalten, kooperieren. Das ist das Beste.«

»Es tut mir leid, Dad. Ich war ein Volltrottel.«

Wieder blieb die Verbindung stumm. Der nächste Satz Jonathans traf Stauffacher wie ein Faustschlag.

»Dad, auf der Beleidigung des Obersten Führers stehen drakonische Strafen.«

Er sprach es nicht aus. Aber Stauffacher verstand: Todesstrafe.

»Dad, du unternimmst nichts. Ich muss die Sache selbst ausbaden.«

»Aber du weißt doch, ich könnte …«

»Nein, du bist nur mein Dad. Kapiert? Kein Superhero … Und ich will, dass du gar nichts machst. Versprich es.«

»Es ist … ich kann doch nicht …«

»Dad, Herrgott nochmal, versprich es.«

Wir sind nicht allein

Stauffacher stieß die Worte schließlich mit größter Überwindung aus. »Ich … verspreche … es … dir.«

»Es gibt keine weiteren Gespräche mehr. Gute Nacht, Dad.«

Stauffacher ließ das Handy aus der Hand gleiten, fühlte sich miserabel. Als hätte man ihn stundenlang gefoltert. Schmerzen plagten Kopf und Brust, der Magen drehte sich um, und plötzlich musste er sich übergeben. Er stürzte ins Bad und erbrach sich über dem Waschbecken.

Unter dem heißen Strahl der Dusche kam Stauffacher allmählich zur Besinnung. Er sah plötzlich einen Ausweg. Ken Cooper hieß seine Hoffnung. Wenn einer wusste, was zu tun war, dann Ken. Der legendäre Ken, Chef einer der weltweit besten Security-Firma, hatte ihm schon einmal aus einer heiklen Situation geholfen …

Schon ein bisschen erleichtert trocknete er sich ab, hüllte sich in den blauen Morgenmantel, ging mit schweren Schritten ins Arbeitszimmer, setzte sich vor den Computer und suchte nach der direkten sicheren Verbindung zu seinem Freund und Spionagemeister.

6

Zürich

Ungefähr zur gleichen Zeit, als Walter Stauffacher an diesem Spätnachmittag die Bundesratssitzung verließ, ging ich zu einer Kneipe im Zürcher Stadtkreis 4.

Er hatte mir seinen Nachnamen nicht verraten, aber offenbarte sich als Korea-Franzose. Warum ich das zu wissen brauchte, war mit schleierhaft. Ich stand an der Theke vom Blauen Aff und wartete auf diesen Burschen, der sich Gilbert nannte. Er hatte mir vor ein paar Tagen aus Paris angerufen, meinte, er hätte einen Job für mich.

Ich sagte ihm am Telefon, dass ich sowohl Amerikaner als auch Schweizer sei, falls ihn das interessiere.

Ich bin Michael Cooper, einfach Cooper, fühle mich wie dreißig, und man beschreibt mich als großgewachsen, gebräunt, schroff, aber ziemlich gutaussehend.

Die Firma in Zürich, für die ich arbeite, nennen wir den Shop. Sie befasst sich mit Sicherheit im Tiefenbereich der geheimen Nachrichtenwelt. Das bedeutet, dass wir Spezialisten sind für die Beschaffung von Nachrichten aus offenen Quellen, von verdeckten Informanten oder durch Abhören und Abfangen von Kommunikationen aller Art. Natürlich zählen die einschlägigen Geheimdienste wie CIA, NSA, MI6, Mossad, Peking zu den Quellen, mit denen wir meistens ganz offiziell kooperieren. Wir haben natürlich auch ein paar raffinierte Tools, um Systeme weniger freundlicher Dienste zu hacken. Man nennt diese Anwendung auch Maßgeschneiderte Zugangsoperationen oder T.A.O., Tailored Access Operations.

Fast immer erhalte ich die Aufträge telefonisch, und die meisten Möchtegernkunden kontaktieren uns auf qualifizierte Empfehlungen. Wir sind offen für alle erdenklichen Aufträge in diesem sensiblen Geschäftsbereich, solange sie legal sind.

Dieser Bursche namens Gilbert wollte mich zuerst mal persönlich treffen. Er nahm zu diesem Zweck den ganzen Weg von Paris auf sich. Am Telefon klang er etwas rätselhaft. Mir schien, es ginge nicht um die üblichen Dinge wie Nachrichtenbeschaffung, Auskundschaften, Cyberabwehr, Anti-Terror oder Interessenwahrung in Strafuntersuchungen.

»Noch einen?«, fragte mich Jana, die etwas mollige Bardame freundlich.

»Mit Kapern.«

Jana goss Wodka in ein Glas, schüttete Martini mit einer fetten Kaper hinein.

»Kapern gehen aufs Haus, Mike.«

Jana war blond, attraktiv, kam irgendwo aus der Slowakei. Sie führte die Bar mit einer Mischung aus Charme und Beherztheit. Auch ich stammte nicht aus Zürich. Damit kein Zweifel offen bleibt, ich erblickte das Licht der Welt in den Staaten, verbrachte fünf Jahre in der Delta Force, machte eine Tour in Afghanistan, dann eine zweite und wurde in einem Hinterhalt der Taliban verwundet, als unser gepanzerter Humvee in die Luft flog. Das ist nur der kurze Abriss einer langen Geschichte eines Doppelbürgers mit Pässen der Schweiz und den USA.

Zu meiner Mutter habe ich über die Distanz des Atlantiks eine fast mystische Beziehung. Sie hat mich stets mit einer Mischung aus Strenge und Wohlwollen auf den richtigen Pfad gelenkt, ohne sich aufzudrängen, und ihrer sanften Betreuung bin ich bis zum heutigen Tag gerne verfallen. Sie lebt auf einer kleinen Farm in Iowa und schreibt mir regelmäßig Kommentare zu dem, was ich tue und lasse. Eine Mutter wie sie ist das Beste, was mir in meinem aufregenden Leben Halt und Bestärkung verleiht.

Mein geniales Team im Shop werde ich noch vorstellen, aber einen davon kann ich bereits erwähnen. Er heißt Tom Grimm, auch ein Army-Veteran, der zwei Touren in Vietnam überlebt hatte und sich als unser Experte für spezielle Waffen, Sprengstoff und Angriffstaktik einen Namen gemacht hat. Er hat etwas Ulkiges an sich wie sein T-Shirt mit der Aufschrift »Waffen töten Leute nicht, ich töte Leute«. Ein schlichtes Gemüt, aber im Shop ist er unersetzlich.

Jana im schwarzen Shirt ohne poppige Aufschrift nippte an einer Espressotasse. Unter einer widerspenstigen Strähne schaute sie etwas mürrisch in die Menge. Die Kundschaft im Blauen Aff ist ein bunter Haufen jüngerer Leute. Der Besitzer, selbst etwas exzentrisch, erzählt den Kunden, dass das Skelett, das oben über dem Flaschenregal quer an der Wand hängt, ein notorischer Zechpreller war, dem er den Garaus gemacht hätte.

»Wie laufen die Geschäfte?«, fragte Jana.

»Wie immer. Meine Klientel ist nicht saisonabhängig.«

Sie nickte und lachte. »Bullen braucht es immer.«

Ich ließ sie im Glauben, es war ja nicht völlig abwegig, dass ich mit der Polizei zu tun hatte.

Ein Kunde verlangte noch einen, Jana wandte sich ab. Ich habe mit ihr nie geschlafen. Tom dagegen hatte sie mal auf seine Jacht entführt und wusste, dass ein Echsen-Tattoo ihre Pobacke zierte.

7

Die Bar füllte sich allmählich. Ich bestellte ein Bier. Es kamen auch Geschäftsleute in Anzügen, Freaks, sympathische Spinner, zwei Esoteriker. Sie in Strickjacke, Nasenpiercing und bunten Perlenbändern im Haar, er mit Rossschwanz, dann ein paar ältere Käuze, die rauchten und zum Fernseher hochgafften. Immer der Gleiche mit struppigem Bart und Scharfschützenabzeichen an der Lederjacke saß in seiner Ecke und starrte die Menge an. Er vertrat die Waffenfreiheit, wie er jedem sagte, »Waffenkontrolle heißt, dass ich meine Waffe mit beiden Händen kontrolliere.«

Nun, die Gäste fühlten sich hier wie eine Familie, als Teil der Menschheit. Allerdings haben sie meine Familie nicht kennengelernt. Sie waren nicht in Afghanistan, um den Rest der Menschheit zu treffen, auch nicht in Vietnam wie Tom. Den Blauen Aff frequentiere ich schon seit Jahren und weiß nicht mehr, wann ich das erste Mal da war. Mir gefällt es hier. Alles könnte schlechter sein. Wie Tom es sagte: »Besser als in Afganischeißtan oder in den Tunneln von Vietnam.«

Ohne den Job im Shop, wo es richtig zur Sache geht, wäre ich allerdings bereits tot vor Langeweile. Ich befürchte, dass meine Besuche im Blauen Aff langsam gezählt sind. Im Shop habe ich stets das Gefühl, an den Hebeln zu sitzen, die Chance, meine Talente zu beweisen, in heiklen Aktionen zu überleben und wieder Abenteuerluft zu schnappen. Deshalb war ich wohl auch einverstanden gewesen, Gilbert zu treffen, diesen Korea-Franzosen, der nicht am Service des Shops interessiert war. Soviel hatte ich aus dem kurzen Telefonat geschlossen.

Nun, ich werde zuhören und schauen, ob ich eine intelligente Entscheidung treffen kann wie damals, als ich das Nachdiplomstudium in Boston schmiss und in die Army zog, um wilde Sachen zu erleben.

Herr und Meister über dein eigenes Schicksal zu sein, heißt aber noch lange nicht, dass du immer gute Entscheidungen triffst.

8

Neulinge werden im Blauen Aff schräg angestarrt, deshalb schaute ich zwei Mal hin, als ich ihn plötzlich im Spiegel der Flaschenwand entdeckte.

Ein gut gekleideter Mann kam durch die Doppeltür, und ich wusste, es war Gilbert. Er blieb kurz stehen. Er sah gut aus, vielleicht Ende dreißig, dunkles, flach gestutztes Haar, blasse Haut. Er trug ein weißes Hemd und eine blau gestreifte Krawatte, einen teuer wirkenden Maßanzug, steckte in glänzenden Lackschuhen. Eine Hand hielt den verlängerten Griff eines kleinen silbern glänzenden Rollkoffers. Vermutlich hatte er am Morgen überlegt, was er anziehen sollte, um sich mit der Umgebung unseres Treffpunkts zu vermischen. Offensichtlich machte er einen Missgriff in seiner begehbaren Garderobe, als er sich für das Outfit eines Stadtpinkels entschied. Im Blauen Aff kümmert das freilich niemand. Man ist tolerant.

Meinerseits fiel ich weniger aus dem Rahmen mit Blazer, hellblauem Hemd und beigen Cordhosen. Ich wusste, dass Gilbert mich nicht aus dem Telefonbuch herausgepickt hatte. Folglich wusste er etwas über mich und hatte beschlossen, dass Michael K. Cooper für ihn arbeiten würde. Vielleicht werde ich das, aber auf einen Spionagejob werde ich mich sicher nicht einlassen.

Gilbert bemerkte mich an der Bar, kam herüber und streckte seine Hand aus. »Gilbert.«

»Michael.« Wir schüttelten Hände.

»Danke für das Treffen.«

Es macht mich misstrauisch, wenn jemand sich bedankt, nur weil ich ihn treffe. Meistens ist dies der Auftakt, um mir etwas anzudrehen. Anderseits war Gilbert wohlerzogen und höflich. »Was trinken Sie?«

Er schaute auf mein Bier. »Dasselbe.«

Ich bestellte zwei Cardinal. »Mit Glas, bitte.«

Ich hatte bewusst diesen öffentlichen Ort ausgewählt. Gilbert hatte dagegen keinen Einwand gehabt, was kein schlechter Anfang war.

Jana reichte ihm das Bier mit einem Lächeln, meins schob sie mir zu. Wir stießen an. »Santé.«

Ob er oft nach Zürich komme, fragte ich. Er schüttelte nur den Kopf, nahm einen Schluck, schob den Rollkoffer gegen den Tresen und raunte mir zu: »Ich möchte, dass Sie nach Pjöngjang fliegen.«

Ich sagte nichts.

»Es gibt eine Wandergruppe, aus Alumni der Universität Bern, die eine Woche lang das Land bereisen.«

»Weiß Kim Jong Un davon?«

Er lächelte. »Das ist ein bewilligter Anlass, selbstverständlich …Walking for Peace. Wir versuchen, die Beziehungen zwischen Nordkorea und dem Westen zu normalisieren. Tauwetter.«

»Ach so«. Ich glaubte kein Wort. Von Wandergruppenreisen mit dem trügerischen Namen Hiking for Peace hatte ich zwar gehört. Aber ich hatte nie etwas mit Wandern für den Frieden am Hut.

Während ich als Offizier zwei Jahre in der Neutralen Waffenstillstandkommission in Panmunjon Dienst tat, ging kein Mensch nach Nordkorea wandern. Dann irgendwann später begannen die Schweizer mit einer Initiative und sandten im Rahmen eines Programms gegen Armut kleine Gruppen ins Land. Das kam nicht von ungefähr, sondern ging auf eine Art Aufbauhilfe zurück, die früher schon aus Bern kam, genauer vom Bundesamt für Landestopographie. Guillaume-Henri Dufour, Kartograph, General, Ingenieur schuf Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten detaillierten topographischen Karten der Schweiz. Die Dufour-Karten wurden europaweit zum Begriff.

Dank Schweizer Kartographen und Vermessern erhielt Nordkorea das erste geometrisch korrekte Bild des Landes. Im Gegenzug eröffnete Nordkorea in Bern eine Botschaft. Pjöngjang schickte Austauschstudenten an die ETH in Lausanne, und es sollte zu weiteren diskret gehaltenen Verbindungen kommen. Hiking for Peace gehörte offenbar dazu. Zwei Nationen – eine Mission.

»Nun, sind Sie interessiert?«, fragte Gilbert.

Ich trank Bier. Na schön, vielleicht war das alles harmlos, und Gilbert wollte von mir kein Attentat auf den Obersten Führer.

Ich signalisierte ihm vorläufig nicht mein Interesse am Vorschlag, sonst drückte er womöglich auf den Preis. »Mein Satz für einen Achtstundentag ist zehntausend Dollar, Spesen extra, ist ja klar.«

Gilbert nickte. Der ganze Anlass dauere zehn Tage, sieben das Herumwandern. Er schien zu rechnen. Ich kam auf Hunderttausend plus Spesen, und dies mal zwei, natürlich auch für meinen Partner.

»Und die anderen drei Tage?«

Gilbert erklärte es. »Bei der Ankunft und am Tag der Abreise gibt es einen Empfang.«

»Zwei Tage Indoktrination.«

»Wir haben es mit gebildeten Hochschulabgängern zu tun. Gehirnwäsche wird schwierig werden.«

»Ich brauche gute Ausrüstung, Medikamente, Kameras …«

»Also, kommen wir ins Geschäft?«, fragte Gilbert.

Ich schüttelte den Kopf. »Mein Partner kommt mit. Tom Grimm. Wir gehen zu zweit, oder niemand geht.«

»Sie sind eine verdammt harte Nuss, Mister Cooper.«

»Captain.«

»Captain.« Er schaute flüchtig um sich. »Gehen wir an einen Tisch.«

»Warum?«

»Es gibt da noch ein paar Einzelheiten, die Sie wissen müssen.«

Nun, genau das habe ich befürchtet. »Schauen Sie, Gilbert. Wir sind Nachrichten- und Sicherheitsspezialisten. Herumlatschen gehört nicht zum Kerngeschäft. In den zehn Tagen, in denen wir mit Berner Bildungshungrigen umhertouren, entgehen uns vermutlich ein paar saftige Aufträge. Und krumme Touren machen wir nicht, schon gar nicht im gesegneten Land des Obersten Führers. Kapiert?«

Gilbert antwortete nicht. Sein Schweigen sagte alles.

»Aber danke, dass Sie an mich gedacht haben.« Ich winkte Jana heran. Sie sollte die Rechnung für die Getränke Gilbert geben, und ich wünschte ihm eine gute Reise zurück nach Paris.

Er sagte:»Fünf Millionen.«

»Entschuldigung?«

»Sie haben mich gehört.«

»Jana«, rief ich, »behalte die Rechnung, wir gehen an einen Tisch.«

9

Ich konnte mir kaum vorstellen, wie viele dubiose Deals in diesem Lokal schon ausgehandelt wurden, aber jetzt war ich dran. Auf ein Zeichen von mir kam der Besitzer um die Theke herum, führte uns in die hinterste Ecke.

»Geld auf den Tisch«, hätte mir der Blaue Aff zugeraunt, wenn er sprechen könnte.

»Fünf Millionen?«, wiederholte ich.

»Richtig«.

»Für Hiking for Peace.«

»Nein«, widersprach Gilbert. »Dafür gibt es die Hunderttausend. Vorauszahlung mit Check einer erstklassigen Schweizer Bank. Die fünf Millionen in bar sind zahlbar nach Erledigung des besonderen Jobs in Nordkorea.«

Klang nach einem harten Job. »Mit wem würde ich ins Geschäft kommen?«

Gilbert zückte eine Geschäftskarte aus seiner Tasche.

Ich schaute darauf. Gilbert Cavaliere, Rechtsanwalt. Darunter stand eine Adresse in Genf.

»Ich praktiziere in Genf und in Paris. Bin gut bekannt.«

»Wofür?«

»Für meine Engagement mit geschätzten Klienten. Diesmal geht es um ein Ding in Nordkorea.«

Ich ließ die Karte auf dem Tisch liegen, musterte Gilbert. Irgendwie passte es mir, mit einem Anwalt zu verhandeln. Aber vom Reich der Dunkelheit wusste ich nur etwas aus Routineberichten. Wer mit ihm zu tun hatte, musste hirnrissig sein, gefährlich für sich und die anderen.

»Wer hat mich empfohlen?«

»Sympathisanten.«

»Erklären Sie mir mal, was Sie brauchen, Herr Anwalt.«

Er schaute sich im Raum herum. »Wände haben Ohren.«

»Höchstens Holzwürmer.« Ich ließ den Blick zur Theke schweifen. Alle schienen sich nur um sich selbst zu kümmern. »Schauen Sie, Herr Cavaliere, Sie offerierten mir fünf Millionen. Es wird Sie nicht erstaunen, dass ich das Geld brauchen könnte, aber …«

»Sie können Ihre Hypothek abzahlen.«

»Aber ich werde nichts Illegales für das Geld machen.«

»Es würde mir nie einfallen, so etwas zu verlangen. Ich bin Anwalt.«

»Und die Sympathisanten, sind die auch Anwälte?«

»Nein, aber ich kann Ihnen versichern, die einzigen Gesetze, die Sie brechen werden, sind nordkoreanische Vorschriften. Stört Sie das?«

»Nur, wenn ich geschnappt werde.«

»Das ist genau der Punkt. Wenn Sie nicht erwischt werden, sind Sie ein paar Millionen reicher und haben keine Gesetze Ihres Landes verletzt.« Er lächelte. »Vorausgesetzt, Sie bezahlen Ihre Einkommenssteuern.«

Ich dachte an Todesgefahr und das Risiko, erwischt zu werden. »Wie gefährlich ist der Job?«

»Das müssen Sie entscheiden, wenn Sie wissen, was Ihr Job ist.«

Ich beharrte. »Wie gefährlich, Gilbert?«

»Nun, Nordkorea ist ein heißes Pflaster.«

Ich schaute ihm in die Augen. »Sie erwarten, dass ich mein Leben für lumpige fünf Millionen riskiere?«

Er blickte auf meine Narbe am Hals, die meine Bräunung nicht kaschierte. »Sie haben Ihr Leben in Afghanistan für weniger riskiert.«

»Das war im Dienst der Vereinigten Staaten.«

»Eben, Gefahr ist Ihnen nicht fremd.«

Ich sagte nichts darauf.

»Ich nehme nicht an, dass Sie Nordkorea gegenüber positiv eingestellt sind.«

»Unter uns, Gilbert, mir ist Politik scheißegal.«

Er lehnte sich zurück. »Vielleicht, aber ich würde wetten, dass Sie nichts dagegen hätten, wenn diese Stalinisten-Bande verjagt würde. Sie können uns in Nordkorea helfen.«

Ich schaute auf den Tisch, die Karte und den Aschenbecher. Man konnte noch in diesem Lokal rauchen. »Die Hunderttausend für das Trekking sind okay.«

»Captain«, sagte Gilbert sich vorbeugend. »Das Trekking lässt mich völlig kalt. Es ist nur gute Tarnung. Sie werden mit einem Linienflug nach Pjöngjang fliegen als Mitglied der autorisierten Wandergruppe, zusammen mit einer Klientin von mir. Dann, zu einem bestimmten Zeitpunkt, wenn der Job erledigt ist, werden Sie die Besatzung der Sonora im Hafen treffen und mit dem Frachter auslaufen.«

»Was hat der Frachter dort verloren?«

»Er liefert Hilfsgüter, mehr darüber erfahren Sie von meinen Klienten.«

»Was wird mit an Bord sein?«

Er beugte sich erneut vor. »Geheimdokumente, die Sie beschaffen, im Wert von mindestens hundert Millionen Dollar. Fünf davon können Sie behalten.«

»Zehn«, sagte ich impulsiv.

Gilberts Gesicht blieb ungerührt. »Das müssen Sie mit meinen Klienten aushandeln.«

»Na schön, und wie wird mein Partner entschädigt?«

»Das ist Ihr Problem. Tom Grimm muss sein Leben nicht riskieren und braucht auch nicht alle Einzelheiten zu wissen.«

»Wer riskiert sonst noch sein Leben?«

»Ein paar andere.«

»Sie etwa?«

»Nein, ich bin in Nordkorea nicht erwünscht.« Er schaute auf seine Rolex. »Ich habe Ihnen genügend Infos gegeben.«

Ich dachte darüber nach. Einsatzbesprechung. Ich hatte mich freiwillig für mein Land zum Dienst gemeldet, aber hier und jetzt ging es um Geld, nicht um Ehre. Viel Geld. Und vielleicht war es nicht halb so riskant, wie der Anwalt meinte. Für ihn war schon lebensgefährlich, nachts allein in Paris auf die Straße zu gehen. Nach zwei Jahren in Afghanistan war für mich die Gefahrenschwelle so hoch, dass ich überzeugt war, dass es nichts gab, das ich nicht bewältigen konnte. Vermutlich landete ich deshalb im Lazarett.

»Meine Klientin, die mit Ihnen nach Pjöngjang fliegen wird, kann Sie heute Abend treffen. Sie ist eine ehrliche Haut.«

»Eine Frau?«

»Um ehrlich zu sein, wir haben noch andere Kandidaten für den Job, die wir interviewen.«

»Dann nehmen Sie das billigste Angebot.« Ich stand auf. »Und bitte übernehmen Sie die Rechnung.«

Gilbert hatte sich auch erhoben. »Ich kann arrangieren, dass meine Klienten Sie in einer halben Stunde hier treffen. Es dürfte Sie interessieren, was sie zu sagen haben.«

Ich schüttelte entschieden den Kopf. »Ich habe genug gehört.«

Er machte einen enttäuschten Eindruck. »Schön, ich sage meinen Leuten Bescheid … oder, warten Sie. Sie können ihnen selbst Bescheid sagen. Können wir uns im Shop treffen, in Ihren eigenen vier Wänden? Heute noch. Was kostet es?«

Gilbert war aalglatt oder glaubte es wenigstens zu sein. Ich hätte mit Adieu antworten sollen, aber stattdessen sagte ich: »Machen Sie ein Angebot.«

»Zweitausend Franken, maximal zwei Stunden.«

Ich sagte über die Schulter. »Gut, kommen Sie in einer halben Stunde zum Hafen Enge. Dort treffen wir uns an Bord einer Jacht.«

Er lächelte.

»Bis dann«, grinste ich, »und geben Sie der Bardame ein gutes Trinkgeld.«

Ich ging durch die lärmige Bar zum Ausgang, winkte Jana zu. Draußen auf dem Platz wehte ein kühler Luftzug in mein erhitztes Gesicht. Es war ein milder Tag für die Jahreszeit. Die paar Drinks hatten meine Gedanken beflügelt. Einer davon warnte mich, dass eine Reise über ein paar tausend Kilometer nach Pjöngjang vermutlich mit einer Fehlentscheidung begonnen hatte.

Auf dem Spaziergang zum Hafen machte ich mir keine Illusionen. Gilbert hatte ich im Glauben gelassen, dass er den Deal in der Tasche hatte. Die Besprechung mit seiner Klientin sah er als Schlusspunkt. Die Frau musste ja speziell sein, wenn er diese Zuversicht hegte.

Aber hier ging es um die Befehlskette. Im Shop stand ich in der Hierarchie im Mittelbau. Ich berichtete dem Geschäftsführer, Ken Cooper, der zugleich mein Vater war, was die Sache nicht vereinfachte. Ich genoss keine Privilegien. Im Gegenteil, Daddy sorgte dafür, dass Disziplin und Ordnung strikt hochgehalten wurden. Sein Sohn war dem Drill genauso unterworfen wie die anderen Führungskräfte.

Ken würde dem Korea-Auftrag nie im Leben zustimmen. Keine Chance. Unnötig risikobehaftet. Folglich konnte ich mit Gilberts Klienten locker verhandeln, mit Einschränkung ablehnen … Mach dir keine Sorgen. Du bekommst zwei Tausender.

Ich wusste, dass Tom an diesem Vorabend auf seiner Yacht herumwerkelte. Ich rief ihn an.

10

Die Stadt schmiegte sich im Süden eng um das Seebecken. Die Gehdistanzen waren kurz. Ich war zu Fuß zum Blauen Aff gekommen, folglich machte ich mich wieder per pedes auf den Weg zum Hafen. Ein klarer Himmel wölbte sich über den Dächern. Nach allem, was ich vom Wetter sah, könnte es einen angenehmen Ausflug mit Toms Motorjacht werden. Er hatte den fünfzehn Meter langen Kahn, wie er das luxuriöse Kabinenboot tiefstapelte, den Erben eines Bauunternehmers abgeluchst, es wieder flott gemacht und begonnen, sich mit Rundfahrten einen Nebenverdienst aufzubauen. Er jammerte konstant, dass er zu wenig dazu komme, mit der WeißgoldStar auszulaufen, weil wir ihn im Shop wie einen Sklaven an die Arbeit ketteten.

Ich schrieb Tom, der sich hoffentlich noch an Bord befand. Komme in zehn vorbei, drei Passagiere, kleine Rundfahrt, Weißwein, Gin and Tonic, das Übliche.

Schäfchenwolken überquerten das blaue Himmelszelt. Kurz entschlossen sprang ich auf eine blauweiße Tram, die mich bis zum Tessinerplatz brachte, der so hieß, weil sein größtes Gebäude aus Tessiner Granit bestand.

Dort angekommen, bummelte ich an den mächtigen Versicherungshäusern vorbei in den Park, wo der See vor mir lag. Wandern für den Frieden …

Ich versuchte vorauszuahnen, was mir Gilbert und seine Klienten über Wandern für Geld zu sagen hatten. Zuhören kostete ja nichts, besser noch, man bezahlte mich dafür.

Am Hafen parkten mehrere moderne Superbusse, aus denen sich gerade asiatische Touristen ergossen. Meistens waren es dieser Tage Chinesen, aber während ich im Vorbeispazieren ein paar strenge Gesichter näher betrachtete, fantasierte ich, was Nordkoreaner wohl für Gesichter machten, wenn sie eines Tages nach Zürich reisen durften, um hier für den Frieden zu wandern. Eine dümmere Utopie fiel mir nicht ein, als ich die WeißgoldStar zwischen zwei größeren Ausflugsbooten sicher vertäut ausmachte. Ich sprang über den Steg an Bord. Tom war noch nicht zurück mit Wein und Snacks, wohl aber erspähte ich Gilbert vor der Imbissbude, wo er sich an einen Stehtisch lehnte.

Ich ging nach hinten zur Kombüse und angelte mir eine PET-Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank.

Tom hatte aufgeräumt. Deck und Kabine waren sauber und konnten die Inspektion durch die erwartete Power-Lady bestehen. Tom ist, wenn sonst nichts, sauber und ordentlich, ein gutes Überbleibsel aus seiner Militärzeit.

Die WeißgoldStar hatte einen geräumigen Rumpf von fast fünfzehn Metern. Neben der repräsentativen Edelholzkabine auf dem Hauptdeck gab es unter Deck zwei ziemlich gepflegte Kojen, wo vier schlafen könnten, was allerdings auf Toms Rundfahrten noch nie vorgekommen war. Die Passagiere wollten die Aussicht genießen, auf die Berge, die Villen am See. Sie wollten etwas trinken, Musik hören oder in den wenig spektakulären Sonnenuntergang hineinträumen.

Ich begab mich hinter das Ruder und sah, wie Tom gerade mit seiner Kundschaft zum Steg schlenderte. Er ging voran, reichte der Frau galant eine Hand.

Ich war gespannt, was mir Gilbert und seine Freunde zu sagen hatten. Ich pflegte meinen Kumpels in der Army zu sagen, du musst irgendwo sterben. Und Nordkorea war ebenso ein guter Ort wie Afghanistan. Oder vielleicht war das dunkle Reich sogar besser, als hier in Zürich meine Zeit mit Abrackern zu verschwenden. Vielleicht war die Nordkorea-Herausforderung eine gute Option. Vermutlich war heute mein Glückstag – oder auch nicht.

Ich nahm an, dass Gilbert wusste, dass Tom in Vietnam gekämpft hatte, als er recherchierte, welche Trottel für seine Nordkorea-Mission infrage kämen. Ich zweifelte, ob Tom für ein Abenteuer im Herbst seines Lebens noch zu haben wäre. Er war siebzig, groß, schlaksig und in erstaunliche guter Form. Sein schon lichtes braunes Haar trug er lang und zurückgekämmt, hatte stets einen Dreitagebart und gegerbte Haut, als hätte sie zu lange im Toaster gelegen. Er trug stets Jeans und Turnschuhe, niemals Shorts oder Flipflops und heute hatte er unter seiner Allwetterjacke sein Lieblings-T-Shirt angezogen.

Er hatte als Soldat überlebt. Die militärische Hackordnung war ihm lebenslang auf den Leib geschrieben. Auch dass ein gewöhnlicher Schütze Arsch nicht mit Offizieren fraternisierte, war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Ich teilte mit ihm freilich die unverbrüchlichen Bande der Kampferfahrung, gleicher Dreck, gleich abgehetzt, in Blut und Schweiß vereint – und obschon wir im Shop wenig sozialen Kontakt hatten, waren wir Freunde durch dick und dünn geworden.

Tom machte eine linkische Bewegung zu den angekommenen Gästen, dann verschwand er mit seiner Tüte in Richtung Kombüse. Als er sich an mir vorbeidrängte, zischte er mir »sie ist ein Hingucker« ins Ohr.

Die Frau trug weiße Jeans und ein blaues Polo-Shirt, hatte blondes langes, von einem blauen Nike-Käppi gezähmtes Haar. Sie hatte ungefähr mein Alter, Mitte dreißig. Ihr eleganter Gang gefiel mir.

»Schönes Boot«, sagte Gilbert. Ich reichte der Frau die Hand, ein gutes Gefühl.

Gilbert stellte seine Klienten vor. Robert und Michelle. Nur Vornamen, und wir schüttelten Hände.

Robert war ein distinguierter Gentleman, älter und größer als Gilbert, mit guter Haltung, festem Blick, in beigen Freizeithosen, Budapester Schuhen, weißem Hemd. Das anthrazitfarbene Sakko spannte ein wenig an den Schultern. Rund um das Kinn war der schmale grau melierte Bart sorgfältig gestutzt. Sein Gesicht erinnerte mich an die Touristen aus dem Sightseeing-Bus. Ich konnte relativ leicht auf seinen Lebenslauf schließen: Koreaner, möglicherweise aus dem Norden geflüchtet, dann im Süden zu Reichtum gekommen, aber immer noch sauer auf die gottlosen Kommunisten und kriminellen Volksunterdrücker im Norden der geteilten Halbinsel.

Michelle schien mir ein wenig reserviert, kein Smiley, aber ihre Augen strahlten. Wir machten etwas Smalltalk. Tom kam wieder auf Deck. Meine Gäste schauten verwundert auf sein »Kill for Life«-T-Shirt. Vielleicht dachten sie, er sei verrückt.

Wenige Minuten später steuerte Tom sein Schiff aus dem Hafen in den spiegelglatten See hinaus. Ein Möwenpärchen schwebte über dem eleganten Bug. Michelle lehnte an der Reling, schaute gelangweilt in Richtung Stadt mit den Kirchtürmen, den Hochschulgebäuden auf der Anhöhe, die in den Millionenhügel des Züribergs überging, und wollte wissen, wieso das Boot diesen komischen Namen trug.

Eine Macke meines Freundes, erklärte ich. Ursprünglich hieße sie Weißgold Star, aus gewaschenem Geld. »Tom hasst Vorschriften. Steuern und Abgaben sind für ihn Diebstahl, er protzte damit, sein Boot aus unversteuertem Geld erstanden zu haben. Aber wir konnten das nicht dulden. Weißgold akzeptierte er schließlich, ist ohnehin eleganter, nicht?« Ich deutete mit dem Kinn auf ihre weißgoldene Armbanduhr.

Sie lächelte verschmitzt, während Tom auf viertausend Touren beschleunigte und die Stadt hinter uns ließ.

Ich ging zur Brücke, um mit ihm das Programm zu besprechen. Wir würden nach einer Stunde ankern, Drinks servieren und in die untergehende Sonne schauen.

Tom zündete eine Zigarette an. »Auch eine?«

Ich verneinte kopfschüttelnd.

»Wer sind diese Schlitzaugen?«, fragte er.

Tom Grimm scherte sich einen Deut um politische Korrektheit, kulturelle Vielfalt, Geschlechtergleichheit, Sexismus oder was gerade im Trend lag.

Ich erklärte ihm, was ich über die Gäste wusste.

»Und diese Frau?«

»Sie fliegt vielleicht mit mir nach Pjöngjang.«

»Fick sie hier.«

»Tom … bitte …«

»In Nordkorea willst du bestimmt nicht, dass dir ein Paar Titten Rückendeckung geben.«

Ich sagte ihm, er solle die Drinks vorbereiten, ich würde das Steuer übernehmen. »Alles, was ich heute Abend tue, ist zuhören, mach schon, los.«

»Und der Opa?«

»Ich weiß so viel wie du.«

Tom überließ mir das Steuer. »Stelle einfach sicher, dass du verstehst, wann, wo und wie dir zehn Millionen Dollar bezahlt werden. Für diese Art Knete würden sie dich eher umbringen als bezahlen.«

»Und dich werfe ich eher über Bord, als dir deinen Anteil auszuzahlen.«

Er lachte, dann ernsthafter: »Wenn du nein sagst, ist das okay für mich. Und wenn du ja sagst, bin ich mit dabei, denn ich vertraue deinem Urteil.«

»Mein Urteil ist oft echt scheiße. Mein Instinkt hingegen ist besser. Und jetzt hau ab und wechsle gefälligst dein T-Shirt.«

»Yes, Sir«, spöttelte er. Er meinte nicht yes, auch nicht Sir. Er meinte scheiß drauf.

11

Tom war unter Deck gegangen. Ich hatte ihm eine Million zugesagt, wenn er mit von der Partie wäre. Nach knapp einer Stunde erreichten wir die weite Bucht von Rapperswil. Der historische Stadtteil mit der Burg erhob sich als hellbeleuchtete Kontur vor einem verblassenden Himmel. Ich schaltete in den Leerlauf, prüfte die Tiefe, hielt näher zum Ufer, kappte die Motoren und ließ die Ankerkette runterrasseln. Zeit für eine seriöse Unterhaltung.

Ich betrat das Heck und sah, wie Tom, jetzt im marineblauen Weißgold-Leibchen einen Falttisch aufstellte, die Schalen mit den Snacks anrichtete, dann nach kurzem Zunicken in die fünf Trinkgläser einen spritzigen Chardonnay einschenkte.

Robert hob das Glas zu einem Toast. »Nieder mit den Kommunisten, Prosit!«

Wir hoben die Gläser und tranken.

Ich warf Michelle einen flüchtigen Blick zu. Sie schaute in die untergehende Sonne, verschränkte die Arme. Vielleicht überlegte sie, ob ich der Richtige war, um mit mir in Nordkorea ihr Leben zu riskieren.

Tom nahm das Thema auf. »Ich habe in Vietnam jede Menge Kommis getötet.«

Robert lächelte und trank Tom zu. Die beiden schienen sich zu verstehen. Die kulturellen Unterschiede vermindern sich, wenn du die siebzig erreicht hast.

Die Sonne verschwand allmählich als dunkelgelbe Kugel hinter dem schwärzlichen Bergrücken im Westen. Der See wölbte sich wie ein Schild gegen die im letzten Abendrot schimmernden Alpen im Süden. Die Stimmung war beinahe romantisch, aber man verspürte die hereinwehende Kühle. Robert verteilte Zigarren, Tom reichte seinen Gasflammenwerfer herum. Ich konnte nicht glauben, dass ich dafür bezahlt wurde. Aber die Kernfrage hing in der Luft. Was bewog Gilbert und seine Klienten, mich auszuwählen? Robert war ein fanatischer Hasser von Nordkorea, soweit klar, Gilbert unterstützte seinen Plan gegen gutes Honorar, verständlich, aber Michelle blieb ein Rätsel. Sie schwieg, zog aber vergnügt an der dicken Havanna, streifte die Schuhe ab und streckte mir die nackten Füße entgegen. Nach Tom sind barfüßige Frauen zu allem bereit. Klang plausibel.

»Warum wollt ihr ausgerechnet Schweizer für diese Operation anheuern?«, fragte ich Robert.

Die Frage schien den Gentleman nicht zu überraschen. Aber sein Anwalt antwortete. »Schweizer können ungehindert einreisen.«

»Das können die Dänen auch, die Holländer und …«

»Richtig. Aber die Schweiz ist als einziges Land nirgends eingebunden. Das Regime ist unglaublich paranoid. Die meisten europäischen Staaten gehören zur NATO, sind mit den USA verbandelt. Inakzeptabel. Nicht die neutrale Schweiz, das ist Punkt eins.«

»Und Punkt zwei?«, fragte Tom, die Zigarre im Mund.

Jetzt war Robert an der Reihe. »Die Schweiz schickt nicht nur Wandergruppen, auch Lebensmittelhilfe, sie unterstützt das Land, das hat Tradition. Der Diktator weiß die Schweiz zu schätzen, schließlich ging er da zur Schule.«

Michelle wandte sich zu mir. »Sie sind der Mann, den wir gesucht haben.«

Ich sagte nichts darauf.

»Wir haben Sie gründlich getestet. Jetzt ist es an Ihnen, von uns mehr zu erfahren.«

Das Abendrot im Westen verwandelte sich allmählich in Grau. Aus den verkleideten Lautsprechern klang sanft eine Melodie, die mich an einen Bond-Film erinnerte. Sie schwoll wohltuend an. Ich blickte zur Brücke, wo Tom sich am Soundsystem im Takt wiegte und herübergrinste.

»Dreams on Fire«, kommentierte Michelle trocken das Lied. »Passt doch, oder nicht?« Ich nickte. Katie Meluas nächster Song hieß vielleicht Fire and Fury. Ich musterte Roberts Gesicht, das im Zwielicht der beginnenden Dämmerung ausdruckslos schien. Er zog an seiner Zigarre, grummelte etwas in den See hinaus.

Meine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf Michelle. »Ich sagte Gilbert, dass ich nicht interessiert sei.«

Sie zuckte gleichgültig die Schultern. »Aber Sie sind interessiert, Mike, sonst wären wir nicht hier an Bord.«

Sie hatte verdammt recht. Der Augenblick einer wichtigen Entscheidung war gekommen, unausweichlich. Ich prüfte den Brennkopf meiner Zigarre.

»Na, schön. Interessiert bin ich. Aber die Entscheidung liegt nicht allein bei mir.«

»Tom?«, begann Michelle, aber Robert fuhr dazwischen. »Ich weiß, wie es läuft … Sie gehören zum Shop, eine vortreffliche Security Organisation. Das Beste vom Besten. Gerade deshalb fiel die Wahl auf Sie, Michael.«

Ich überging die Schmeichelei. »Dann wissen Sie auch, wer die Entscheidungen trifft?«