Der Fall Amos - James Douglas - E-Book

Der Fall Amos E-Book

James Douglas

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Beschreibung

Ein renommierter Virologe desertiert aus einem geheimen ABC-Labor der Schweizer Armee – im Gepäck Xaurum, ein Medikament gegen das Coronavirus. Die Spur des "Wundermittels" führt Major Ken Cooper und Hauptmann Laura Winter nach Neapel, wo in einer zwielichtigen Fabrik der Camorra Schutzmasken umverpackt, Impfdosen manipuliert und dubiose Medikamente vertrieben werden. Währenddessen soll sich der Deserteur in einer Festung im Kosovo verschanzt haben. Als Cooper und Winter dort eintreffen, werden sie bereits erwartet. Kurz darauf wird die Festung angegriffen und den beiden Agenten wird immer klarer, dass hier weit mehr auf dem Spiel steht als nur ihr eigenes Leben.

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© 2021 Langen Müller Verlag GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Sibylle Schug

Satz und E-Book Produktion: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten

ISBN: 978-3-7844-8405-1

www.langenmueller.de

Dies ist ein Werk der Fiktion. Namen, Personen, Orte und Begebenheiten sind entweder der Fantasie des Autors entsprungen oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen lebenden oder toten Personen, Ereignissen oder Orten ist rein zufällig.

Prolog

Das Virus rieselt herab, sacht, aber immerfort, unfühlbar, doch mit großer Geduld, und keiner schert sich …

Jens Amos war Virologe, kein Philosoph, doch seine Fantasie blühte, er zauberte Bilder vor sein geistiges Auge. Wie der gewaltige schwarze Ball, der sich bedrohlich vom Reich der Mitte über die Länder wälzte, ihm jetzt am Horizont erschien, verwandelt zu einer blauen gläsernen Kugel, gespickt mit roten Stacheln … Amos schüttelte sich, das Bild war weg, das Unheilvolle blieb. Nieselregen beschlug die Windschutzscheibe, und beinahe hätte der zerstreute Forscher die Abzweigung zum Institut verfehlt.

Das ungenügend gesicherte Hochsicherheitslabor lag in einer friedlichen Landschaft unweit der Hauptstadt, umgeben von spärlich bewachsenen Feldern. Eine Schafherde zog langsam an der Forschungsanlage vorbei.

Jens Amos irritierte das Fehlen eines Sicherheitszauns. Eine scharfe Eingangskontrolle mit Roadblocker und Videoüberwachung blieb Wunschdenken. Er parkte seinen in die Jahre gekommenen Mitsubishi neben dem protzigen Mercedes mit Tarnanstrich und Suchscheinwerfern. Er gehörte dem Sicherheitsoffizier Elmar Ludwig, den Amos für gefährlich hielt.

Das Virenforschungsinstitut VIMF ergründete nicht nur hoch ansteckende Tierseuchen. Qualifizierte Virologen sequenzierten auch tödliche Viren und laborierten an Impfstoffen. Nicht von ungefähr nannte eine deutsche Zeitschrift das Institut die Virenschmiede der Schweiz.

Am Empfangspult in der Halle saß die Frau mit dem aufgetürmten Haarschopf. Sie musterte ihn über die golden gerahmte Brille, tippte dann seine Ankunft in die Präsenztabelle. Als sie hochschaute, war Amos bereits in den Schleusen verschwunden. Sie beugte sich wieder über ihr Kreuzworträtsel.

In der Garderobe schlüpfte Amos in den weißen Schutzanzug, stülpte die Kapuze über und schnallte den breiten Gürtel mit dem Sauerstoffgerät um, machte den Schlauch an der Kapuze fest, dann ein paar Atemzüge zum Testen des Lufteinlasses – Handgriffe, die er automatisch vornahm, während sein Forschergeist bereits die nächsten Schritte plante. Die Schleusentür glitt zur Seite. In der Druckkammer musste er sich eine Weile aufhalten, dabei stramm vor Shorty stehen. Der kleinwüchsige schokobraune Roboter stakste auf dünnen Kunststoffbeinen daher, desinfizierte, seine Greifer legten ein Thermometer an Amos’ Stirn, die sphärische Stimme krächzte: »Okay, Doc.«

Als Nächstes öffnete sich mit sattem Klicken die Stahltüre des Sicherheitsblocks. »Viel Erfolg, Doc«, wünschte Shorty. Amos trat ein, die Tür klackte zu. Er stand im Hochsicherheitslabor. »Guten Tag, neue Welt«, grinste er.

Er befand sich allein im sensiblen Bereich. Auf einem Tisch standen die Stereomikroskope, Volumenmessapparate und andere Laborgeräte, auf einer Wandablage der übliche Wirrwarr von Glasschalen, Microtiterplatten, daneben Pipetten, Tuben und Phiolen. Die Einrichtung glänzte in antiseptischem Weiß, kein Staubkorn lag auf dem schwarzen Fußboden.

Amos setzte sich auf einen Drehstuhl, rollte darauf zum Herzstück des Labors. Der hellgraue Apparat hatte die Größe eines gängigen Druckers, sah auch so aus, mit dem Unterschied allerdings, dass am oberen Geräteteil ein Bildschirm mit Tastatur angedockt war. Jens Amos repetierte im Geist die Anleitung, danach entnahm er dem kleinen Kühler eine Petrischale, öffnete die Klappe der Nova-6000-Sequenziermaschine. Sorgfältig legte er seine Sars-Virusprobe in den schmalen Einlass, verschloss ihn mit sanftem Druck. Nach Eingabe der siebenstelligen Zahlenfrequenz hielt er den Atem an, drückte Enter. Die Maschine blieb stumm, der Bildschirm schwarz, und Amos überlegte, was schieflaufen könnte, als der Monitor plötzlich aufleuchtete. Die Genomsequenz, also der Bauplan der untersuchten Virenprobe, erschien gestochen scharf, in wässrigem Grün, harmlos scheinbar und einfach, doch höchst brisant.

Amos tippte auf Drucken. Nach ein paar Sekunden glitt das Blatt in das Ausgabefach. Hastig entnahm er es, überflog den Text. Die Digitaluhr auf dem Regal zeigte 12.35 Uhr, als Jens Amos den Reißverschluss seines Schutzanzugs öffnete, zuerst die Petrischale mit dem Virus in den Hosenbund schob, dann die ausgedruckte Sequenz faltete und neben die Schale steckte.

Seine heikle Mission wäre erfüllt gewesen. Die supermoderne Maschine hatte gerade eine Variante des neuartigen Teufelsvirus sequenziert. Amos hatte es schon länger auf genetische Veränderungen untersucht. Weder darüber, wie er sich die Virenproben beschafft hatte, noch was er mit ihnen plante, ließ er eine Silbe verlauten. Der Argwohn der Kollegen im VIMF war ihm ebenso wenig entgangen wie das Misstrauen seiner Vorgesetzten im weltweit renommierten ABC-Labor der Schweizer Armee. Er sagte nichts zu niemandem, ein klarer Regelverstoß, schottete sich ab, und im Moment, als er sich vorsichtshalber die Schutzhandschuhe mit Desinfektionsspray absprühte, war ihm sonnenklar, dass er das Hochsicherheitslabor für immer verlassen würde.

In der Hand hielt er eine Tüte. Darin lagen, eingefroren in flüssigem Stickstoff, ein Dutzend halbfingerlange Fläschchen, die er im Kühlschrank verborgen hatte. Sie enthielten den patentierten Wirkstoff Xaurum, ein Mycobacterium. Es war Jens Amos’ Wundermittel mit dem Potenzial, Viren und Krebszellen zu zerstören.

In der Austrittsschleuse positionierte er sich vor Shorty, der keck blinkend einen monotonen Dialog begann. Dabei ging es um das automatisierte Ausgangsritual. Amos antworte kurz, verneinte die übliche Frage, ob er Material aus dem Labor mit hinausgenommen hatte. Er tätschelte Shortys blinkende Fratze. »Hör zu, kleiner Wicht, sie wollen mir die Forschung klauen«, murmelte er, »ich habe ein Gegenmittel, weißt du … Man will mich neutralisieren … ins Gasterntal verbannen, das ist das kleine Guantanamo der Armee … Ich soll für sie im Bunker forschen … Mein Xaurum verstärkt die Immunabwehr, es wird die T-Zellen mobilisieren, es kommt zum Zweikampf mit dem Virus … Zum Gemetzel, und das Virus ist besiegt … Ja, Shorty, ich werde es zu Ende bringen.«

Er hatte zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Die Genomsequenz der Virus-Variante war der Beute erster Teil, seine sichergestellten Xaurum-Proben der zweite.

Allerdings drohte Gefahr. Ein paar mediengeile Twitter-Virologen wollten ihre Sequenzierungen des Virus veröffentlichen. »Weißt du, Shorty«, sagte Amos, »die Deppen haben eine genaue Anleitung vorgelegt, wie man das Virus im Labor erzeugen kann, und jeder halbgebildete Techniker kann es nachbauen.«

»Schlimm, schlimm«,krächzteShorty.

»Hör zu, du Intelligenzbüchse, pack das mal in dein Chips-Gehirn, wenn das Protokoll mit der Anleitung öffentlich ist, können Terroristen, Weltuntergangsapostel oder die geschäftstüchtige Mafia irgendwo eine Epidemie lostreten. Ich gehe jetzt duschen.«

Unter dem warmen Strahl beschlich ihn Angst. Er ahnte, dass ihn seine Vorgesetzten im ABC-Labor zwingen wollten, seine Geheimnisse preiszugeben.

Er trat er aus der Dusche, trocknete seinen muskulösen Körper mit einem Frotteetuch, föhnte den krausen Haarschopf, schlüpfte in beige Cordhosen, streifte das dunkelblaue Hemd über. Im Spind wühlte er im Bündel seiner Sportsachen, fand den öligen Lappen, zog ihn hervor und entrollte daraus die Waffe. Er schraubte den Schalldämpfer auf den Lauf der Beretta, setzte das Magazin mit zwölf Patronen ein, wog die Pistole gedankenvoll in der Hand, dann steckte er sie entschlossen in den Hosenbund und zog im Hinausgehen den Blazer über.

In der Empfangshalle knallte er die braune Reisetasche, die seine Beute enthielt, auf den Tresen. »Ich bin mit dem Boss verabredet.«

Wie eine Garnspule thronte der Dutt der rabenschwarzen Frisur auf dem Kopf der Rezeptionistin. Sie runzelte ihre Brauen; denn sie wusste, dass Doktor Amos ein Spezialfall war. Manieren hatte er auch keine.

»Er ist nicht da, tut mir leid«, antwortete sie, aber Amos stand bereits vor der Bürotür, riss sie, ohne anzuklopfen, auf, trat ein.

Elmar Ludwig wirbelte auf dem Stuhl herum, schnauzte: »Was fällt Ihnen ein? Platzen einfach herein.« Er klickte ein Organigramm vom Bildschirm weg und stand auf. Er überragte Amos um einen Kopf, hatte breite Schultern, die von seiner ledernen Kampfjacke noch betont wurden. Amos argwöhnte, dass Ludwigs Aufgaben im Kompetenzzentrum ABC-KAMIR der Schweizer Armee in einem Dunstkreis von geheimdienstlichen Aktivitäten lagen, vermutlich mit hoher Sicherheitsfreigabe. Amos blieb auf der Hut. Er wusste, die Militärische Sicherheit hielt ihn scharf im Auge.

Ludwigs Büro lag in einer Ecke des Erdgeschosses. Eine Fenstertür führte auf eine breite Terrasse hinaus. Amos sah ein paar geparkte Wagen, dann schweifte sein Blick über das modulare Büchergestell zu den bequemen Lederfauteuils rund um einen gläsernen Couchtisch. Ludwigs Welt waren Kontrolle und Macht. Er wirkte durchtrainiert, aber ungepflegt. Er trug unter seiner martialischen Jacke schwarze Jeans, und seine Füße steckten in blauweißen Sneakers.

»Sie sind eine Kampfsau, Ludwig«, spottete Amos. »Was haben Sie eigentlich in dieser Aufmachung in einem Forschungsinstitut verloren?«

Elmar Ludwig hatte gerade von Shorty die Austrittszeit erhalten und wusste, dass sich Jens Amos nur eine kurze Zeitspanne im Hochsicherheitslabor aufgehalten hatte. Ungewöhnlich. Zudem hatte ihm der vorgesetzte Sicherheitschef der Operationszentrale bestätigt, dass Jens Amos unter erhöhter Beobachtung stand. Dubios. Die Info des CSOZ war ohne Zweifel eine Warnung, dass ein schwerer Verdacht eines Fehlverhaltens auf dem Kerl lastete, dessen überhebliches Auftreten ihm längst ein Dorn im Auge war. Forschungsgenie hin, Topimmunologe her, Amos hatte nach seiner Meinung Dreck am Stecken.

Doch Ludwig blieb gelassen. »Das sehe ich nicht so, Amos. Wir müssen reden. Es gibt Probleme. Ein Abweichler sind Sie. Ich war immer dagegen, Sie an die Mikroben heranzulassen.«

Amos sagte nichts. Er stand ihm gut drei Schritte gegenüber und bemerkte das Gewicht in seiner linken Jackentasche. Elmar Ludwig machte jetzt einen Schritt zurück und entschied: »Ich lasse Sie festnehmen, Amos. Der Heli des Sonderermittlers wird in Kürze da draußen landen.« Seine Hand zeigte zum Fenster hinaus, dann fuhr sie blitzschnell runter zur Jackentasche.

Jens Amos war gefasst. Und schneller.

»Keine gute Idee, Ludwig. Los, umdrehen, Hände hoch gegen die Wand. Ich will die Hände sehen.«

Ludwig starrte ungläubig in den Lauf der Beretta. »Moment, Amos, was soll der Scheiß …?«

Amos kickte ihm die Schuhspitze ans Schienbein. »Schnauze! Umdrehen, gegen die Wand!«

»Sie machen einen großen Fehler, Amos«, keuchte Ludwig, stellte sich breitbeinig gegen die Bücherwand und ließ sich widerstandslos durchsuchen. Amos nahm ihm die Brieftasche ab, ein Offiziersmesser und die Autoschlüssel. Seine Waffe in der linken Tasche erwies sich als SIG Sauer P226 mit eingesetztem Magazin, schussbereit. In der Gesäßtasche hatte er Plastikhandschellen. Wozu eigentlich? Um Viren zu bändigen?

»Ludwig, hör gut zu, wir machen jetzt einen Spaziergang. Schön gemütlich. Über die Terrasse, dann zu deinem Mercedes. Du tust, als sei nichts geschehen, sonst …« Amos stieß ihm die Waffe in die Nierengegend.

Ludwig maulte, aber ging schimpfend voran zur Tür hinaus zu den geparkten Wagen.

Vor seinem SUV beorderte Amos ihn zur Beifahrertür. Er musste einsteigen, dann hinter das Lenkrad rutschen, während Amos ihn die ganze Zeit mit der Waffe in Schach hielt. Dann kletterte Amos auf den Beifahrersitz, hielt die Beretta ununterbrochen auf Ludwigs Kopf gerichtet, durchsuchte das Handschuhfach, fand einen kleinen Browning. »Aha, eine Lady-Gun«, brummte er, steckte die Waffe im Westentaschenformat in seine Jackentasche.

»Was verstehen Sie schon davon?«, höhnte Ludwig und fuhr abrupt los.

»Ein Sammlerstück, sechs Komma drei Millimeter, sechs Patronen. War bis in die Siebzigerjahre die beliebte Waffe von Polizistinnen … Da vorne, nach rechts. Apropos Lady … Ich ziele genau auf deine Eier.«

»Verdammt, Amos, was haben Sie vor, wir können das regeln.«

Amos sagte nichts.

Auf der A12 Richtung Westschweiz herrschte mäßiger Verkehr. Eine sanft gewellte, bewaldete Hügellandschaft erhob sich über dem Ufer eines langen Stausees. Nach knapp einer halben Stunde kündigte sich die Ausfahrt an. Ludwig musste langsamer fahren, dann an der Ausfahrt abbiegen. Sie mündete in eine Straße, die weiter vorne in einem großen Wald verschwand. Ein Langholztransporter dröhnte hupend an ihnen vorbei. Amos schaute auf das breite Display des GPS-Navi und erkannte den Punkt, wo der Weg in den dichten, bunten Mischwald hineinführte. Ein schwacher Wind trieb Wolkenfetzen über die Wipfel gegen die Voralpen.

Minuten später bremste Ludwig auf Befehl, bog ab und lenkte den SUV langsam auf eine enge Karrenspur, die sich im Halbdunkel des Walds zwischen hohen schwarzen Stämmen verlor.

»Weiter, weiter«, herrschte Amos.

Wenig später erreichten sie die kleine Lichtung mit dem völlig verfallenen Schuppen. Ludwig musste anhalten. Sie stiegen aus. Amos befahl ihm, die Arme vor dem Bauch zu verschränken. Amos fesselte seine Hände mit den Plastikverschlüssen, danach zog er unter der Matte im Kofferraum das Werkzeugset hervor. Er fand den Hammer.

Amos bugsiert Ludwig in den dunklen Schuppen, befahl ihm niederzuknien.

Er nahm sich Zeit. Draußen zwitscherten Vögel. Eine Motorsäge sirrte in der Entfernung. Kein Mensch verirrte sich in diese Einsamkeit. Amos hatte zu tun. Er musste quälen, Schmerzen zufügen, für ihn absolutes Neuland. Aber er musste es durchstehen.

Nach einer Zeit, die Amos nicht messen wollte, lag Ludwig zusammengesunken auf dem Sägebock. Sein Gesicht sah übel aus, er spuckte Blut.

Amos schritt zu ihm und schlug ihm die Faust ins Gesicht. Die Augen flatterten auf, der Mund bewegte sich, aber kein Ton kam heraus.

Amos schaute auf den blutigen Hammer. Er hatte ihn gepackt. Ludwigs Hand auf den Holzbock gelegt und zugeschlagen. Niemand hörte sein Schreien. Nach dem ersten zerquetschten Finger wusste Ludwig, dass es wieder passieren konnte, neun Mal noch … Aber er hielt durch. Je zäher die Nuss, desto süßer die Frucht. Doch nach dem dritten Schlag auf den Mittelfinger konnte Amos den Ekel nicht mehr überwinden. Er warf den Hammer weg, beugte sich über sein Opfer, schaute ihm ins rechte Auge, das nicht geschwollen war.

»Wo ist er, Ludwig?«

Ludwigs Lippen zitterten. Seine Zähne, er hatte sie noch alle, rutschten über die aufgesprungene Unterlippe. »F-f-fff …«

»Frankreich? Frankfurt? Wo?«

»Fff … Fick dich …«

Amos wandte sich ab, trat vor den Schuppen. Raben krächzten, es klang wie: »Grab, Grab.«

Nach einer Zigarettenpause kehrte er zum Gefangenen zurück. Er wollte die nächste Karte eigentlich nicht spielen. Er hatte angenommen, der Schmerz würde genügen. Aber Ludwig wollte es offenbar anders.

Er kauerte neben ihm nieder und sagte bedrohlich: »Ich habe dein Haus gesehen, in Zimmerwald, in der Nähe der elektronischen Abhöranlage. Schönes Landhaus mit Swimmingpool, vorne zwei Bäume, vermutlich Ahorne. Deine Frau hat langes braunes Haar, schaut ein bisschen bieder aus, aber sie bleibt in Form, kesser Arsch. Dein Sohn ist wie alt? Sechs- oder siebenjährig? Hübscher Junge.«

Ludwig fixierte ihn mit entsetztem Blick.

»Sag mir, wo er ist, und deiner Familie wird nichts passieren. Deine letzte Chance.«

Der Gefangene starrte ihn an, als überlegte er, doch nicht lange. Er würde seine Familie schützen. Jeder anständige Kerl würde das tun. Seine Lippen öffneten sich. Er versuchte zu sprechen. Seine Stimme war kratzig. Amos bückte sich, um zu lauschen. »Los, sag mir, wo er ist.«

Elmar Ludwig sagte es ihm. Er sprach kaum mehr als in einem Flüsterton. Aber Amos hörte es, und als er es hörte, begriff er sofort. Das war der gesuchte Ort.

Neben dem Sägebock lag die verdreckte Axt im Staub. Er packte sie am Holzgriff, schwang sie durch die Luft, hob sie mit beiden Händen hoch, zielte auf Ludwigs Schädel … dann zögerte er, ließ die Axt fallen und wandte sich angewidert ab.

Wenig später erreichte Jens Amos in Ludwigs SUV die A12. Er wusste genau, wohin die Reise ging. Er hatte ein Ziel. Und eine Bestimmung. Er würde den verfluchten Bastard finden und töten.

1

»Sagen Sie mal, Major, gab es keine Möglichkeit, das Parken im Friedhof zu vermeiden?«

Major Michael Cooper konnte nicht fassen, dass man ihn ins Büro des Generals befohlen hatte, um über seinen absurden Abstecher auf Friedhofgräber zu reden.

Brigadegeneral Boris Vonkeck stand als Chefankläger der Schweizer Armee an der Spitze der Militärjustiz, mit offiziellem Titel Oberauditor. Mike Cooper war sein Sonderermittler für kriminalistische Sonderfälle, und für ihn war Vonkeck der militärische Top Cop.

Das Büro des so Etikettierten befand sich etwa zwanzig Kilometer südöstlich der Bundeshauptstadt in einem gesicherten Gebäude der Kantonspolizei. Das war praktisch, weil die militärischen Ermittler mit der Polizei kooperieren konnten, Zugang zum forensischen Labor und anderen Einrichtungen hatten. Die Regierung bezweckte mit dem Zusammenlegen von Strafverfolgungseinrichtungen Synergien, aber so, wie man Regierungen kennt, war es vielleicht auch Zufall.

Im Büro von General Vonkeck befanden sich auch Oberst Ralf Kottmann und Hauptmann Laura Winter. Kottmann war der Mann, dem Cooper direkt unterstand. Er würde ihm die Befehle erteilen, und Laura Winter war Coopers Partnerin, die ihm Kottmann zugeteilt hatte.

Michael Cooper war groß, mit zivil geschnittenem braunem Haar, und er betrachtete sich selbst als gut aussehenden Kerl, gestützt auf unvoreingenommene Aussagen früherer Freundinnen. Heute trug er Jeans, schwarzes Kragenhemd, eine unechte Armani Sportjacke, die er für fünfundzwanzig Franken auf Ebay erstanden hatte. Militärische Strafermittler tragen gewöhnlich zivil, außer wenn sie sich verdeckt als militärisches Personal ausgeben.

Heute jedoch erschien Laura Winter in Hauptmannsuniform, denn so lautete das Protokoll bei einem Aufgebot durch einen General, wie Kottmann, immer in Uniform, sie in einer E-Mail erinnert hatte. Von Kottmann würde Cooper später zu hören bekommen, dass er seine elektronische Post nie checke, was stimmte, denn was Cooper anbelangte, sollten die meisten offiziellen Armee-E-Mails als Spam klassifiziert werden.

Die Armee hatte Cooper zum Major der Militärischen Sicherheit ernannt, und seine Funktion gefiel ihm, weil er keine Verantwortung für unterstellte Truppen hatte, niemand sprach ihn mit Kommandeur an, und er konnte trotzdem in der Offiziersmesse einen heben. Das Schweizer Milizheersystem erlaubte ihm zudem, als Armeeoffizier noch einer anderen Tätigkeit nachzugehen, was er auch tat und die nicht zufällig auch mit Sicherheit zu tun hatte.

Brigadier Vonkeck schaute aus wie ein tougher General aus Kriegsfilmen. Ein Meter achtzig groß, volles graues Haar, und seine Haltung ließ vermuten, dass er einen Ladestock verschluckt hatte. Oberst Kottmann dagegen erinnerte eher an einen Autoverkäufer. Er maß eins siebzig, war übergewichtig, fast kahl und hatte permanente Bartstoppeln. Möglich, dass er nicht das schärfste Bajonett im Zeughaus war, aber es gab nichts Fadenscheiniges an Ralf Kottmann. Er war ein solider Bursche, aber er würde vermutlich nie zum Brigadier aufsteigen, weil die Armee Generäle will, die wie Generäle aussehen.

Mit Laura Winters Aussehen hatte die Armee hingegen kein Problem, und wenn Cooper und Winter nicht verdeckt arbeiten müssten, würde das Foto von Laura Winter wohl Rekrutierungsbroschüren zieren. Sie war mit einem Meter zweiundsiebzig gleich groß wie Cooper, hatte einen Crossfit-Body, blondes Haar, eine perfekte Nase, volle Lippen, und ihre braunen Augen strahlten Intelligenz aus.

»Major Cooper?«

Ein Gestell an der Wand hinter General Vonkeck war voll mit gerahmten Auszeichnungen, Wimpeln sowie Bildern mit anderen Offizieren und der Verteidigungsministerin. Auf einem Foto hielt Vonkeck im Kampfdress ein Hochleistungsgewehr, das er vermutlich nie abgefeuert hatte. Der General wurde mit Sicherheit nie damit von einem Halbverrückten auf einem Motorrad in einem Kaff im aargauischen Hinterland beschossen.

Wieso parkte er auf einer Familiengruft aus grauer Vorzeit? Die Frage des Generals hing immer noch in der Luft, und wenn ein Brigadegeneral dir eine Frage, auch eine stupide, stellte, solltest du besser antworten. »Nun, ich zielte auf das Hinterrad, dabei entglitt mir das Lenkrad, aber es galt, zuerst treffen, dann lenken«, erklärte Cooper. »Ich traf, wohin ich zielte, den breiten Reifen, und das war das Ende der Flucht«, ergänzte er kristallklar.

Laura Winter unterdrückte ein Kichern.

2

Es war der erste Fall, den sie zusammen bearbeitet hatten. Cooper und Winter waren verdeckt vorgegangen und hatten in weniger als zwei Monaten alle Mitglieder eines Drogenrings mit tschechischen Lieferanten identifiziert. Ein Typ namens Gomsler arbeitete als Chefadjutant im Armeemotorfahrzeugpark, und sein tschechischer Cousin kochte das Methamphetamin draußen in einer Waldhütte. Chefadjutant Gomsler hatte ein Dutzend Typen auf Waffenplätzen, zivile und Militär, die das Crystal Meth absetzten.

Am Tag des geplanten Zugriffs hatte jemand Gomsler einen Tipp gegeben, dass sie ihn holen wollten, also verließ er den AMP auf seinem Motorrad mit einem Kerl auf dem Sozius, einem Sturmgewehr und genug Munition für eine Invasion ins Fürstentum Liechtenstein.

Cooper hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Kantonspolizei zu benachrichtigen, weil die Militärjustiz ihre Probleme selber lösen wollte. Sie hatten auch keine Militärpolizisten als Verstärkung angefordert.

»Die Kerle sind gefährlich«, hatte Winter gewarnt, und sie musste es wissen, denn sie hatte für die Kosovo Force (KFOR) ein paar Monate an der Grenze zu Serbien gedient und Mentalität sowie Jähzorn der Osteuropäer erfahren. Gomsler war zudem ein ungestümer Walliser mit rebellischer Ader, und ihm wallte vermutlich das gleiche heiße Blut im Kopf, wenn ihm die Felle davonschwammen.

»Wir können das handhaben«, hatte Cooper ihr versichert.

Nun, es kam zur Szene, die Cooper noch einige Zeit verfolgen sollte. Sie hatten das Motorrad eingeholt, als der Kerl sich auf dem Sozius umdrehte und aus einer Pistole auf sie feuerte. Um auszuweichen, schnitt Cooper die Kurve, bekam freie Schussbahn und landete den Treffer ins Hinterrad. Gomsler stürzte, und Cooper konnte nicht mehr verhindern, dass sein Wagen dahinter über die Böschung kippte, den Zaun zum Friedhof durchbrach, auf das Familiengrab knallte und den alten, verwitterten Grabstein in Trümmer zerlegte.

Gomsler war vom Motorrad gefallen, stand aber sofort wieder auf und feuerte Salven, als Cooper aus dem lädierten Wagen kroch.

Laura Winter schoss Gomsler in die Schulter. Sie behauptete später, sie habe geschossen, um ihm nur eine Wunde zu verpassen, was, wie Cooper wusste, kompletter Unsinn war; denn in der Armee gilt die Redensart: »Was auch immer ich treffe, ist, worauf ich gezielt habe.«

Gomsler und sein Soziuskumpel überlebten, aber das Fahrzeug der Militärpolizei auf der Familiengruft machte Schlagzeilen, und Cooper war froh, dass Name und Bild nicht in den Medien erschienen. Das galt auch für Winter. Sie erntete die Lorbeeren für die Zerschlagung des Drogenrings und dafür, wie sie Gomsler verhaftet und Cooper das Leben gerettet hatte.

General Vonkeck wühlte in einem Stoß Papiere. »Der Friedhof ist nicht der Grund, warum ich Sie heute hierhergebeten habe«, verriet er und machte eine Pause. »Hier geht es um Jens Amos.«

Jens Amos – der berühmteste Armeebiologe, Virologe und Träger von brisanten Geheimnissen – war aber wie vom Erdboden verschluckt.

Cooper interessierte sich plötzlich für das Treffen.

3

Cooper versuchte, aus der Erinnerung hervorzuholen, was er über diesen Fall wusste. Jens Amos arbeitete im ABC-Labor der Armee. Aus praktischen Gründen erhielt er den Rang eines Hauptmanns und wurde dem ABC-KAMIR Kompetenzzentrum unterstellt, das sich mit der Abwehr von atomaren, biologischen und chemischen Kampfmitteln befasste – und besonders auch mit Minenräumungen. Jens Amos genoss einen ausgezeichneten Ruf, und Cooper erinnerte sich an einen Bericht, wonach Amos bei einem Kongress dazu aufrief, sich die Erfahrung der Asiaten im Umgang mit Epidemien zunutze zu machen. Er referierte nicht als Hauptmann der Schweizer Armee, sondern als Gastdozent am Bostoner MIT.

Was für Cooper einzig zählte, war die Tatsache, dass Jens Amos seine Dienststelle unerlaubt verlassen hatte. Als Offizier. Das war der Tatbestand. Peinlich für die Armee, irritierend für Brigadier Vonkeck.

An höchster Stelle hatte man entschieden, das Verschwinden einstweilen als UE, unerlaubtes Entfernen, zu behandeln, was besser klang als Fahnenflucht. UE war in Art. 81 des Militärstrafgesetzbuchs geregelt. Doch Jens Amos war nicht irgendeiner, keiner von denen, die der Schleiferei überdrüssig davonliefen, um gegen ein paar Tage Knast irgendwann wieder zur Truppe zurückzukehren.

Wegen UE käme Amos mit einer Geldstrafe davon, aber als Angehöriger des militärischen ABC-Labors war Jens Amos vermutlich Geheimnisträger auf höchster Geheimhaltungsstufe.

»Wie Sie wissen«, unterbrach General Vonkeck seine Grübelei, »das Kompetenzzentrum ist die Fachstelle der Armee für alle ABC-Belange, für Kampfmittelbeseitigung und Minenräumungen. Zum Kernauftrag gehören Einsätze zugunsten der Armee sowie auch ziviler Organisationen im In- und Ausland.« Er machte eine Denkpause, dann fuhr er fort: »Ich muss Ihnen kaum in Erinnerung rufen, dass wir es mit hybriden und terroristischen Bedrohungsformen zu tun haben.«

Amen, dachte Cooper. Die Amis nennen das Schweizer Kompetenzzentrum Spiez respektvoll CBRN. Steht für Defense against Chemical, Biological, Radiological and Nuclear Threats. Er fragte: »Brigadier, vermuten Sie, dass Jens Amos geheimes Material aus den ABC-Labors mitgenommen hat?«

»Keine Vermutung, Major. Wir erfuhren, dass Jens Amos Virenproben und vermutlich biologische Wirkstoffe aus dem VIMF-Institut schmuggelte, Sequenzierungsdaten ausdruckte und einsteckte, bevor er sich aus dem Staub machte.«

Cooper dachte an die lebenslängliche Freiheitsstrafe, die Jens Amos für Verrat und Spionage drohte, wenn die nationale Sicherheit unmittelbar gefährdet wäre. Das könnte im Zusammenhang mit ABC-Kampfstoffen durchaus der Fall sein. Jedenfalls würde die Armee Amos nicht schonen, vor allem nicht, wenn er sich mit dem Feind verbündete, was unwahrscheinlich, aber trotzdem möglich war.

Brigadegeneral Vonkeck hatte immerhin neue und als geheim klassifizierte Informationen. Er fuhr fort: »Das war ziemlich alles, was wir hatten, um weiterzumachen, dann vor einer Woche erhielten wir einen Bericht, dass Jens Amos gesehen wurde.«

Cooper überlegte, wo er hinginge, wäre er ein Forscher von diesem Kaliber mit brisanten Informationen aus dem geheimen ABC-Labor. Er dachte an andere Forschungsinstitute. Nach China? Warum nicht? Oder besser nach Boston oder Harvard vielleicht? Doch die Amis hassen Verräter und liefern sie aus. Nein, er ginge irgendwohin, wo es Strände gäbe, Thailand, Griechenland, Spanien … am Playa rumliegen, essen, palavern.

»Er ist in Neapel, Italien«, informierte General Vonkeck. Dann fügte er hinzu, nur zum Spaß, »da, wo die Camorra mordet und brandschatzt.«

Oh du Schande.Die älteste und größte Mafia Italiens sitzt in Napoli …

Während Vonkeck Akten herumschob, schielte Cooper zu seiner Partnerin. Ihr Blick war auf den Brigadier gerichtet, und ihr Gesicht hatte diesen verklärten Zug, den Cooper als Zeichen tiefer Konzentration kennengelernt hatte. Er wunderte sich, ob sie das Gleiche dachte wie er – dass die Camorra und Neapel ständig in den Nachrichten waren, aber nie für etwas Positives. Wer mit klarem Verstand wollte einen sicheren Hafen mit so einem Scheißloch vertauschen?

»Hier ist, was wir haben«, sagte Vonkeck von seinen Akten aufschauend. Ein technischer Chemielaborant namens Max Affolter sah Amos in Neapel. Amos und Affolter kannten einander ziemlich gut. Sie machten zusammen den Einführungskurs im ABC-Kompetenzzentrum, arbeiteten dann gemeinsam an einem Projekt, bevor die Armee Affolter aus dem Bereitschaftsdienst entließ.« Vonkeck senkte den Blick, fuhr weiter: »Vor drei Wochen war Affolter beruflich in Neapel. Eines Abends führen ihn Geschäftsleute einer italienischen Firma in die Lobby des Royal Continental aus, und nach ein paar Drinks entdeckt er einen Mann, der allein an der Bar sitzt. Affolter scheint der krause schwarze Haarschopf vertraut, er zögert, steht auf, um näher hinzusehen. Er spricht ihn mit dem Namen an, Amos dreht sich um, sie haben Augenkontakt. Da steht er auf. Schnell und wortlos verlässt unser Deserteur die Bar.« Der Brigadier machte eine Pause und ergänzte: »Affolter lebt in einem Vorort von Basel, also ließ ich ihn durch einen Untersuchungsrichter vom Militärgericht 2 verhören. Das Interview liegt in den Akten.«

Cooper wollte wissen, ob Affolter sicher war, dass es Amos gewesen war.

Vonkeck wiederholte: »Alles steht in den Akten.« Er schaute Cooper und Winter durchdringend an. »Der Chef der Armee will, dass Sie Hauptmann Amos aufspüren und nach Hause bringen. Der CdA will kein Rechtshilfeverfahren mit Italien, das gäbe einen Medienrummel.«

Was bedeutete, dass es eine Entführung wäre.

Vonkeck präzisierte: »Ihr Auftrag ist, Amos in Italien ausfindig zu machen und ihn wieder nach Hause zu bringen, um ihn vor ein Militärgericht zu stellen. Ihr Auftrag ist nicht, ihn zu verhören oder ein Verschulden festzustellen, nur ihn zu verhaften und zu mir nach Bern zu bringen. Haben Sie das verstanden?«

»Ja, verstanden«, antwortete Winter begeistert. Cooper hoffte, dass sie wusste, worauf sie sich einließ. General Vonkeck würde das Wort Kidnapping nie verwenden, aber darum ging es im Untertitel. Der Job konnte sie in Italien ins Gefängnis bringen, wenn es schieflief, und der CdA und Vonkeck würden dann sagen, dass Winter die Befehle falsch verstanden hatte. Oder vielleicht sagten sie, dass sie die Frau nicht kannten.

»Haben Sie auch verstanden, Major Cooper?«

»Ja, verstanden.« Aber Cooper hatte noch eine Frage. »Das unerlaubte Entfernen von seiner Dienststelle kann ja nicht der Grund sein, dass sich der Chef der Armee einmischt. Was hat Jens Amos auf dem Kerbholz?«

Vonkeck und Kottmann wechselten Blicke, und etwas ließ Cooper ahnen, dass es irgendwo richtig brodelte.

Brigadegeneral Vonkeck sagte: »Was Sie jetzt sehen werden, ist geheim.« Cooper war sicher, dass der Mann diesen Satz jeden Morgen vor dem Spiegel einübte.

Vonkeck nahm einen USB-Stick aus seiner Schreibtischschublade und reichte ihn Kottmann, der ihn an einen Flachbildschirm gegenüber Vonkecks Pult anschloss. Er fuhr fort: »Vor einem halben Jahr ging eine internationale ABC-KAMIR-Operation im Kosovo zu Ende. Es ging um Minenräumungen. Beidseits der serbischen Grenze waren weite Gebiete von Personen und Panzerminen verseucht, und es kam immer wieder zu Unfällen mit Verletzungen oder Todesfällen. Ein Team war für einen Abschnitt im Nordosten verantwortlich. Da waren im Balkankrieg besonders viele Personenminen verlegt worden.« Er hielt inne und richtete seinen Blick auf Kottmann, der sich räusperte. »Swisscoy schickt uns jeweils Berichte über Minenunfälle, die niemand interessieren, mich schon gar nicht.« Er hielt inne, zeigte auf Winter und fuhr fort: »Bis mir Hauptmann Winter diese SD-Speicherkarte zustellte.«

Winter beeilte sich anzufügen: »Ich habe das Video für den Oberst auf einen Stick gespeichert.«

Kottmann nickte: »Die Karte enthielt dieses Filmmaterial …« Er fügte hinzu, »… es ist plastisch.«

Er drückte PLAY, und sie schauten auf den Bildschirm. Eine wacklige Kamera zeigte Umrisse einer Gestalt in rauem Berggebiet in einer mondhellen Nacht. Sie trug einen Rucksack, hatte langes Haar. Eine Frau. Sie bewegte sich zögernd vorwärts. Hinter ihr tauchte eine vermummte Person auf, sie kam rasch näher, schrie einen Befehl, stieß der Frau den Gewehrlauf in den Rücken, sie torkelte vorwärts.

Dann explodierte die Nacht. Ein orangefarbener Blitz blendete, unmittelbar gefolgt von zwei heftigen Detonationen, und im grellen Schein der Explosionen sah man für den Bruchteil einer Sekunde ein Gesicht, dann flogen Körperteile und Erde in die Luft. Der Bildschirm wurde schwarz, und für einen Moment starrten sie alle auf ihre eigene matte Spiegelung.

Vonkeck sagte in die Stille hinein: »Fürs Protokoll, der Oberauditor hatte keine Kenntnis von einem tödlichen Unfall im Zuständigkeitsbereich von ABC-KAMIR.«

Dann bleibt die Katze schön im Sack, dachte Cooper. Winter hat das Video getreulich den Dienstweg hochgeschickt. Warum hatte sie ihm nichts davon gesagt?

Brigadegeneral Vonkeck stand auf, und sie alle folgten ihm. Er schaute abwechselnd auf Cooper, Winter und Kottmann, sagte dann: »Wenn Sie irgendwelche Fragen haben, Oberst Kottmann wird sie beantworten.« Er fügte hinzu: »Dieses Meeting hat nie stattgefunden.«

Cooper wünschte, dass dies wahr wäre. Er hatte noch eine Frage. Nicht irgendwelche. Sie gingen zu dritt hinaus auf den Flur. Der Brigadier hing wieder am Telefon. Cooper schloss die Tür hinter sich. Auf dem Treppenabsatz blieb Oberst Kottmann stehen und meinte in unterdrücktem Tonfall: »Die Frau im Video hieß Larissa Konsalik. Und Larissa Konsalik arbeitete als Mikrobiologin im ABC-KAMIR-Labor Spiez.«

»Österreicherin?«, erkundigte sich Cooper.

»Nein. Amerikanerin. Auch nicht mit Konsalik verwandt.« Kottmann meinte den Schriftsteller und fuhr fort: »Sie studierte an der Stanford University, wo sie ein postgraduales Studium in Molekularbiologie absolvierte. Sie kam später in die ABC-Forschungsanstalt. Hauptmann Jens Amos hat sie gekannt.«

»Hat der Brigadier uns deshalb den Film vorgeführt?«, fragte Cooper.

Kottmann wirkte verhalten. »Die Sache mit der Frau könnte einen Bezug zu Ihrem Auftrag haben. Wir geben Ihnen so viel Informationen wie möglich.«

Geben sie mir aber nicht, dachte Cooper und sagte: »Mich interessieren die Infos, die Sie über Konsalik im Kompetenzzentrum eingeholt haben.«

Kottmann schüttelte genervt den Kopf. »Geht nicht, Geheimhaltung höchster Stufe. Konsaliks Forschung im ABC-Labor bleibt unter Verschluss. Ich kann Ihnen dazu nichts sagen.«

Sie gingen die Treppe runter, und Winter meinte, Jens Amos könne möglicherweise das Rätsel lösen, weil sie sich bestimmt regelmäßig im Labor begegnet sind. »Wir werden ihn aufspüren und festnehmen«, betonte sie mehrmals nickend. »Dann können Sie ihn dazu befragen, Oberst.«

Das war ein geschickter Abgang, dachte Cooper. Jedenfalls stimmte Kottmann knurrend zu. »Auf den Auftrag fokussieren, Major, besser kommunizieren«, konnte er sich allerdings die Spitze nicht verkneifen, als sie unten auseinandergingen.

4

Laura Winter tippte auf ihrem Laptop herum. »Sieht aus, dass wir in einem niedlichen Airbnb im Osten von Neapel für fünfzig Euro pro Nacht unterkommen.

Wahrscheinlich neben der Mülldeponie, dachte Cooper und konnte immer noch nicht bestimmen, wann seine neue Partnerin scherzte, obwohl er hoffte, diese Fähigkeit irgendwann zu erwerben.

Sie saßen in ihrem gemeinsamen Büro im zweiten Stock der alten Kaserne, zu Fuß etwa zehn Minuten von Brigadier Vonkecks Büro. Das einzige Fenster gab einen Blick frei auf die nahen rostbraunen Ziegeldächer und die entfernte Spitze des Berner Münsters. Die Wände waren kahl bis auf ein schwarzes Brett, das dick mit Schichten von offiziellen Mitteilungen und Take-away-Speisezetteln bedeckt war. Coopers graues Metallpult war gesäumt mit Stößen von verstaubten Tatortberichten, die irgendwo abgelegt werden sollten. Die Luft war abgestanden. Für Michael Cooper war militärische Disziplin ein notwendiges Übel, und er gab nicht viel auf Etikette. In der Army hatte er erlebt, dass die unbrauchbarsten Typen oft die knackigsten Uniformen trugen, während viele der Mutigen und Verlässlichen oft nicht einmal ihre Schließfächer organisieren konnten. Die Militärische Sicherheit behagte Cooper, hier konnte er Offizier sein, ohne sich Sorgen zu machen, ein Gentleman zu sein. Das Pult gegenüber hatte leer gestanden, bis Laura Winter als Nachfolgerin des versetzten Kollegen vorbeikam, frisch von einem Halbjahrespensum forensischer Psychiatrie, und sie schien die Unordnung und Gerüche nicht wahrzunehmen. Cooper sah eine Frau, die sofort zupackte und sich auf das fokussierte, was zu tun war. Im Moment war sie im Begriff, Reisevorbereitungen zu treffen, und Cooper entschied, das Ziel klarzustellen, bevor sie ein Doppelzimmer in einem dubiosen Viertel buchte.

»Wir brauchen ein gutes, modernes Hotel. Wenn möglich eines, das Sicherheitspersonal engagiert.« Er fügte hinzu: »Kosten spielen keine Rolle.«

Winter antwortete nicht, und Cooper sah sich Jens Amos’ vertrauliches Dossier näher an. Er überprüfte auch den Bericht über das Interview mit Max Affolter, das ein UR des Militärgerichts 2 geführt hatte. Es war kurz und größtenteils nutzlos. Die neue Einzelheit, die er erfuhr, war Affolters Tätigkeit als Sicherheitsberater eines Pharmaunternehmens und dass Affolter sicher war, Jens Amos gesehen zu haben. Er erkannte die markante Tätowierung eines Salamanders auf seinem Arm. Der Salamander soll nach mythologischen Vorstellungen als eines der vier Elementarwesen auch im Feuer leben können. Die Alchemisten bewahrten den Salamander als das Sinnbild des Feuers. Möglich, dass auch Virologen daran glaubten.

Cooper fragte seine Partnerin: »Warum sitzt ein Deserteur, der sich versteckt und dessen Gesicht auf allen Polizeistellen zirkuliert, in einer stark frequentierten Hotelbar, wo man ihn erkennen könnte?« Er ließ online Bilder von der Bar des Royal Continental erscheinen, drehte die Aufnahmen, um aus verschiedenen Winkeln die Bar zu betrachten. Die Lobby des Royal Continental sah behaglich aus, die Bar schnörkellos, mit Lounge Fauteuils entlang der spiegellosen Wand links vom Eingang.

Cooper überlegte. Situatives Bewusstsein ist ein vertrautes Konzept, das jedem gut trainierten Agenten als zweite Natur eingefleischt war. Deshalb meinte er zu Winter: »Keiner, der mit einer Verfolgung durch Polizei oder Auftragskiller rechnen muss, würde an dieser Bar in einem Raum voller Leute sitzen.«

Coopers Telefon vibrierte. Er prüfte es und sah einen Text von Kottmann: Treffen in der Of-Messe in 10.

5

Die Offiziersmesse in der Militärkaserne Bern war eine nüchterne Angelegenheit. Große Fenster ließen die Mittagssonne herein, und es gab eine lange Bar mit einem abgewetzten Holztresen, hohen Hockern und einem Dutzend Tischen mit bequemen Stühlen. Über der Bar hingen Gedenktafeln von stationierten Militäreinheiten sowie ein hölzerner Propeller, der vielleicht von einer deutschen Messerschmitt stammte, den ein Pilot der Schweizer Luftwaffe 1940 über der Nordwestschweiz abgeschossen hatte.

Cooper und Kottmann setzten sich an die fast leere Bar. Da es erst gegen zwölf ging, zeigten sie Zurückhaltung und bestellten Appenzeller Bier. Zu früh für einen dionysischen Funkenschlag.

Kottmann schaute sich um. »Die Messe hat keine Atmosphäre mehr. Früher herrschte hier Stimmung wie im Nachtclub, aber jetzt wird sie kaum noch frequentiert.«

Cooper kannte diese Klagen älterer Stabsoffiziere. Der Niedergang der einst prächtigen Offiziersclubs hatte wirtschaftliche Gründe und ging parallel mit der fortschreitenden Reduktion der Streitkräfte, zudem hatte die Armee etwas gegen Alkoholkonsum im Dienstbetrieb.

Kottmann hob sein Glas. »Passen Sie auf Ihren Arsch auf, Cooper. Ich will, dass Sie heil zurückkommen. Das ist ein Befehl.«

»Verstanden, Oberst.«

Sie tranken. Kottmann teilte mit: »Wir haben einen Mann vom militärischen Nachrichtendienst in Italien. Oberst Gregor Krall. Er kann Sie im Einsatzgebiet logistisch unterstützen. Er ist seit Kurzem offiziell Militärattaché und kennt die Situation in Napoli gut. Er ist über die Einzelheiten Ihrer Mission nur insoweit informiert, dass es darum geht, Jens Amos aufzuspüren und zu verhaften.«

»Wie viel muss er wissen?«

»Das entscheiden Sie.«

»Wird Oberst Krall uns kontaktieren?«

»Er hat den Befehl, Sie im Hotel zu treffen. Er kann Ihnen allenfalls fehlende Ausrüstung übergeben.«

Cooper war froh darüber. Waffen und Munition konnte er ins Land schmuggeln, aber vielleicht brauchten sie zusätzliches Handwerkszeug.

»Kann er auch Geld beschaffen?«

Kottmann nickte nur.

»Wie bringen wir Jens Amos raus?«

»Oberst Krall wird Ihnen auch in dieser Beziehung helfen.«

Cooper brauchte eine Tarnidentifikation für sich und Winter und nahm an, Kottmann hätte Papiere vorbereitet. Der Oberst schien die Frage zu erahnen und sagte: »Sie und Winter erhalten neue Pässe, und obschon Sie verschiedene Namen haben, sind Sie verheiratet – viel Glück damit – und Sie arbeiten als selbstständige Berater für KMUs.«

»Teilen wir uns ein Hotelzimmer?«

»Das entscheiden Sie und Frau Winter. Aber buchen Sie zwei Zimmer.«

»In Ordnung. Und warum besuchen wir Neapel?«

Er lachte: »Weil Sie die Flitterwochen nachholen, auf Capri.« Er schob Cooper einen Umschlag zu. »Darin sind die Pässe mit den gleichen Fotos wie auf den militärischen IDs.«

Cooper steckte den Umschlag in die Tasche. »Im Ernst, Oberst, was ist Ihre schlimmste Annahme, dass Sie uns Unterstützung geben, erst noch von einem Schlapphut vom Militärgeheimdienst? Wir gehen ja nach Bella Italia, nicht nach Libyen.«

»In Napoli, Major, wütet die Camorra, und weiter südlich die 'Ndrangheta. Sobald Sie aus dem Flugzeug treten, werden Sie observiert. Sie müssen mit allem rechnen. Unterstützung durch den Militärischen Nachrichtendienst ist nicht zu verachten.«

Observiert? Besser als abserviert, dachte Cooper. Nach zwei Jahren in Afghanistan war die Gefahrenschwelle für ihn so hoch, dass er überzeugt war, dass es nichts gab, mit dem er nicht fertigwerden würde.

Kottmann zeigte auf Coopers Sakko. »Apropos Anzug, Sie sollten in Uniform antreten, wenn ich Sie zum Rapport zitiere.«

Cooper sinnierte darüber. Vielleicht hätte er seine Delta Ranger Uniform anziehen sollen, um Kottmann daran zu erinnern, dass er gegen die Taliban gekämpft hatte und er froh sein konnte, dass er seine Fähigkeiten der Militärjustiz zur Verfügung stellte. Wenn er seine Tapferkeitsmedaillen am Uniformrock sähe, würde Kottmann vermutlich schlucken; denn an seiner Brust klebten nur farbige Ordensstreifen, deren Bedeutung niemand begriff, zudem hatten alle Obersten ungefähr gleich viele davon. Alterserscheinung.

»Das ist meine Uniform, Oberst«, betonte Cooper.

»Sie sind Doppelbürger, Cooper, und haben eigene Vorstellungen von militärischer Ordnung, aber hier sind Sie in der Schweiz, und da gilt unser Dienstreglement und nicht dasjenige der US-Army.«

»Okay, ich bringe Ihnen Amos zurück, Oberst, dann sieht für Sie alles viel besser aus.«

Kottmann wechselte das Thema. »Mit Winter scheinen Sie gut zusammenzuarbeiten.«

Cooper hielt dies für eine Frage. »Ja, ich denke, das ist so.«

»Außer der Vorfall auf dem Friedhof. Diesen Bock haben Sie ganz allein geschossen.«

»Jawohl, Oberst.«

»Sie wissen, Winter leistete ungefähr ein Jahr Dienst in der KFOR Swisscoy- Friedensmission im Kosovo.«

Swisscoy, die sanfte Macht der Swiss Army vor Ort, fungierte als Schnittstelle zur lokalen Bevölkerung, beaufsichtigte öffentliche Arbeitsprojekte und vermittelte in den oft chaotischen Angelegenheiten verschiedener Stämme. Es war kein einfacher Job und bestätigte die alte Weisheit, dass es schwieriger ist aufzubauen, als zu zerstören. Cooper kannte natürlich Winters Vorgeschichte und hoffte, sein Vorgesetzter würde zum Punkt kommen.

»Manchmal«, sagte Kottmann, »versuchen fremde Nachrichtendienste, Kader unserer Swisscoy Stabilisierungstruppen anzuwerben.«

Das war der Punkt. Die CIA. Sie machte alles, was die Armee nicht durfte. Sie war alles, was die Armee nicht war – nebulös, wendig und mit einem undurchsichtigen Ethikkodex.

Cooper fragte: »Stellen Sie ihre Loyalität infrage?«

»Keineswegs, aber es zirkulierten Gerüchte in Pristina über gewisse Verstrickungen.«

»Zum Beispiel?«

»Zum Beispiel verbrachte sie ihre Nächte mit einem seltsamen Vogel. Der Kerl heißt Jack Cole.«

Nun, dachte Cooper, eine junge, unverheiratete Frau sollte vögeln können, mit wem sie wollte. Wenn aber jemand außerhalb seines Dienstbereichs mit einem Mitglied einer anderen Zunft außerdienstliche Aktivitäten pflegte, bemerken es immer gewisse Leute und urteilen danach. Immerhin hielt Cooper Kottmanns Anspielung auf Winters Liebesaffäre mit einem Geheimdienstler für ziemlich beunruhigend.

»Oberst, wir fliegen demnächst nach Neapel ins Nest der Organisierten Kriminalität. Ich brauche eine verlässliche Partnerin. Bedeutet Ihre Bemerkung, dass Sie mir eine andere zuteilen wollen?«

Kottmann schüttelte den Kopf. »Keineswegs, Winter hat alle Eigenschaften, die Sie brauchen. Und sie wird nicht mit Ihnen schlafen. Wir tun gut daran, sie zu behalten.«

Cooper trank den Rest seines Biers. »Wir werden vor der Abreise Max Affolter zu seiner Begegnung mit Amos befragen.«

»Das hat schon jemand getan.«

»Ungenügend.«

Kottmann sagte nichts, schaute Cooper lange an.

»Noch etwas, Oberst?«

»Halten Sie die Verbindungen zu mir verdammt noch mal offen.«

»Mach ich immer.«

»Nicht immer. Mitteilungen nur über die sicheren Linien. Und denken Sie daran, es ist ein heißer Fall. Amos könnte Neapel verlassen haben, nachdem ihn Affolter gesichtet hat. Oder er war nur auf der Durchreise.«

»Möglich«, antwortete Cooper. »Oder er macht Geschäfte. Drogen, medizinische Artikel, vielleicht ist er einem Impfstoff auf der Spur, und die Mafia steckt auch dahinter.«

Cooper wusste, dass aus den Rippen geleierte Spekulationen ohne eine Ahnung Zeitverschwendung waren.

Kottmann erinnerte ihn: »Dass wir uns verstehen … Sie müssen ihn unbedingt lebend fassen … Aber Sie dürfen Gewalt anwenden, wenn nötig.«

»Schon klar«, bestätigte Cooper und wunderte sich, ob er die tiefere Bedeutung verstanden hätte.

»Und ist Ihnen klar, dass dieser Auftrag freiwillig ist?«

»Alles klar, Oberst.« Cooper begriff auch, dass Vonkecks Büro die Pässe schon gestern organisiert hatte. Manchmal bedeutet in der Armee freiwillig eben obligatorisch.

Kottmann fragte: »Sonst noch was?«

»Ja, wissen Sie Näheres über den vermissten Sicherheitsoffizier aus dem VIMF?«

Kottmann nickte und fischte zusammengeheftete Blätter aus einem Dossier. »Ein Bericht der Kantonspolizei. Lesen Sie die Kopie in aller Ruhe.«

Cooper faltete den Bericht, steckte ihn ein, verließ die Offiziersmesse und trat in den milden Tag hinaus.

Ihm ging durch den Kopf, dass Kottmanns Karriere vermutlich vom Ausgang dieser Operation abhing, und er würde seinem Boss alle Anerkennung zukommen lassen, die er wollte.

6

Missmutig streckte Cooper eine Stunde später seine Füße auf das Metallpult und hatte eine plötzliche Ahnung, dass der Kosovo möglicherweise nicht zufällig in den Fokus geraten war. Der Fall Jens Amos könnte mit dem Spannungsherd verbunden sein.

Er sagte zu Winter gewandt: »Kottmann hat mir den Bericht der Kantonspolizei überreicht.«

»In welcher Sache?«

»Sie haben Elmar Ludwig gefunden. Den Sicherheitsboss. Unkenntlich verstümmelt, er wurde von einem Langholztransporter erfasst und kam unter die Räder. Der Fahrer erklärte der Polizei, der Mann sei plötzlich aus einem Waldweg auf die Straße hinausgetorkelt, direkt vor den Laster … Der Chauffeur hatte keine Chance auszuweichen.«

»Wo ist es passiert?«, fragte Winter.

»Im Westen, etwa eine Stunde Fahrt vom VIMF-Institut. Die Leiche wird noch obduziert. Was wir bis jetzt wissen, ist, dass Ludwig Spuren von Plastikhandschellen an einem Handgelenk aufwies, der Körper war übel zugerichtet. Der Waldweg, aus dem er hinaus auf die Straße torkelte, führt zu einem Schuppen. Die Spurensicherung fand Blut und einen blutigen Hammer.«

»Glauben Sie, dass Jens Amos ihn gefoltert hat?«

»Das ist vorläufig die These der Spurensicherung. Die Polizei fahndet nach Ludwigs SUV, einem Mercedes, mit dem sich Amos offenbar nach dem angerichteten Blutbad abgesetzt hat.«

»Interessant«, murmelte Winter. »Steht im Bericht, was der Lastwagenfahrer sonst noch wusste?«

»Ja, der Spinner habe wie ein Zombie ausgesehen, blutiges Gesicht.«

»Amos ließ ihn laufen …«, murmelte Winter.

Sie schwiegen eine Weile, dann fragte Cooper: »Mögen Sie Appenzeller Bier?«

Sie runzelte ihre Stirn: »Ich trinke keinen Alkohol, nur Wein. Warum fragen Sie?«

»Ich habe drüben in der Of-Messe mit Kottmann Bier getrunken und auf den Kosovo angestoßen.«

Es schien ihm, als sei Winter leicht zusammengezuckt.

Cooper fuhr fort: »Die Spannungen im Westbalkan haben wieder zugenommen. Klar, der Krieg im Kosovo ist über zwanzig Jahre her. Aber Serbien erkennt die Souveränität seines Nachbarn weiterhin nicht an. Kottmann meinte, dass die Lage im Kosovo alles andere als stabil ist.«

Winter nickte. »Das stimmt. Jens Amos arbeitete als Hauptmann im Kompetenzzentrum ABC-KAMIR Spiez. Bestimmt hatte er Kenntnis von den Minenräumungsoperationen im Kosovo.«

Cooper wusste, dass die ethnischen Spannungen andauern. Die lokalen Behörden können die Sicherheit nach wie vor nicht garantieren. Gewaltausbrüche auf beiden Seiten ereignen sich regelmäßig. Vielleicht hat ABC-KAMIR ja nicht nur Minen geräumt, sondern Kampfmittel getestet. Eine verrückte Annahme …

Cooper meinte: »Die Region bleibt jedenfalls ein Pulverfass, an dem mit kurzen Lunten gespielt wird. Die Realität ist, dass es kaum Ruhe gibt in den Grenzgebieten zu Serbien.«

Laura Winter fügte an: »Die Schweiz gilt als verlässlicher Partner der multinationalen Kosovo-Force.«

»Ohne Zweifel, aber Swisscoy und ABC-KAMIR sind zwei Paar Schuhe.«

»Ich weiß. Es gibt einen möglichen Konflikt mit ABC-KAMIR.«

»Nämlich?«

Laura Winter überlegte, bevor sie antwortete. »Es geht um dieses Video. Ich habe die Verhältnisse noch gut in Erinnerung. Mein Zug wurde in ein Dorf nahe der serbischen Grenze verlegt, wo es zu Übergriffen serbischer Milizen gekommen war. Wir konnten die Situation einigermaßen beruhigen, errichteten im Kaff einen Stützpunkt und warteten ab.«

»Abwarten und Tee trinken«, warf Cooper ein.

»Keine schlechte Taktik. Es hatte viel Mond, als sich gegen Mitternacht eine Bäuerin bemerkbar machte. Sie näherte sich gestikulierend unserer Stellung.«

»Sie waren allein?«

»Natürlich nicht. Ich hatte den Dolmetscher und meinen Wachtmeister dabei. Wir gingen auf die Frau zu, auf alles gefasst, weil sie einen langen Mantel trug. Wir tasteten sie gründlich ab, und der Dolmetscher fragte, was sie wolle. Sie hielt etwas in der Hand und gab mir einen Zettel. Darauf stand: Geben Sie der Überbringerin des Videos einhundert Dollar.«

»Hatten Sie denn Cash dabei?«

»Lassen Sie mich ausreden. Ich war skeptisch, aber gab ihr schließlich hundert Schweizerfranken, was mehr war. Sie überreichte mir im Gegenzug eine Videokassette. Der Kleber darauf verriet, dass die Aufnahme von einem älteren Sony-Videorecorder stammte.«

»Schwierig zu kopieren.«

»Richtig. Es war eine alte MP8. Ich wusste, dass sich MP8s auf DVDs überspielen ließen. Genau das tat ich später im Hauptquartier und schaute mir den Film an.«

»Sagte die Bäuerin, von wem sie die Kassette hatte?«

»Nein, war auch nicht der Punkt. Sondern, warum jemand filmte.«

»Und wer … Sie haben die Antwort gefunden?«

Winter verneinte leicht verstimmt. »Sie haben den Film im Büro des Brigadiers ja gesehen. Ich hatte das Video damals nicht weiter analysiert, da solche Zwischenfälle sich immer wieder ereigneten. Das Gebiet, wo das Dorf lag, war von Personenminen verseucht, und die Teams von ABC-KAMIR säuberten ziemlich häufig in dieser Zone.«

»Wieso gaben Sie das Video nicht dem Chef von ABC-KAMIR?«

Winter hob die Brauen. »Eins nach dem anderen, Major. Es hätte tatsächlich auf der Hand gelegen. Doch dazu kam es nicht, weil mir mein Bauchgefühl riet, du musst das Material von einem unabhängigen Labor analysieren lassen.«

»Gute Intuition.«

»Eben, dann dislozierte das Minenräumungsteam nach Süden, und der Punkt war ohnehin entschieden.«

»Aber die Sache ließ Ihnen keine Ruhe.«

»Genau. Nachdem ich Ihnen unterstellt wurde, Major, habe ich die DVD wieder hervorgeholt und überlegte, wer sie professionell bearbeiten könnte.«

»Und, haben Sie jemand gefunden?«

Sie nickte. »Man hat das Video ja mir gegeben und nicht den Minenräumern von ABC-KAMIR. Ich hielt es für meine Pflicht, das Material meinen neuen Vorgesetzten zu übergeben.«

»Ich bin Ihr Vorgesetzter.«

»Stimmt, aber ich erlaubte mir, den Dienstweg abzukürzen. Ich erhielt den Film ja, bevor Sie mein Chef wurden. Deshalb sandte ich ihn Oberst Kottmann. Tut mir leid, wollte Sie nicht übergehen.«

Das tat sie aber, dachte Cooper. Vermutlich hatte sie mehr damit zu tun, als sie Vonkeck erzählt hat. Er akzeptierte die Logik ihrer Argumentation, fand es trotzdem als Regelverstoß, aber er würde später darauf zurückkommen. »Das Video muss Sie beeindruckt haben, denke ich.«

Winter schaute ihm in die Augen. »Sie haben ein Talent, mich zu durchschauen, Major. Aber genau so war es. Ich konnte das Gesicht einfach nicht vergessen, das im Blitz der Explosion für Sekundenbruchteile aufschien. Aufgerissene Augen …«

»Na schön, der Brigadegeneral sagte, das Opfer sei …«

»Larissa Konsalik«, ergänzte Winter rasch. »Muss stimmen, denn Konsalik war seither vermisst, und ich zweifle, dass sie, oder was von ihr übrig blieb, geborgen wurde. Wenn sie umgebracht wurde, hatte der Killer kein Interesse daran … Was meinen Sie, Major?«

Cooper antwortete, der Vorfall betreffe ihren Auftrag nicht, aber wenn sie einen hinreichenden Verdacht habe, dass ein Verbrechen vorliege, wisse sie ja, wie vorzugehen sei. »Hat Ihnen Oberst Kottmann diesbezüglich mehr gesagt?«

Winter schüttelte den Kopf.

»Also, fokussieren Sie sich auf den Fall Amos. Ich hinterlasse einen Bericht im Shop.«

Winter packte ihren Laptop ein, sagte nach einer Weile: »Über den Shop, den Sie gerade erwähnten, hört man die wildesten Geschichten. Wie wär’s, wenn Sie Ihre neue Partnerin mal gründlich darüber informierten?«

»Genau das hatte ich eben vor. Ich erkläre es Ihnen auf der Fahrt.«

7

Sie verließen ihr spärlich eingerichtetes Büro, nahmen die Treppen hinunter in die Empfangshalle und traten in die warme Sonne hinaus. Coopers schon etwas in die Jahre gekommener Grand Cherokee stand auf seinem Parkplatz. Sie verstauten ihr hastig zusammengerafftes Reisegepäck im Kofferraum. Winter kletterte auf den Beifahrersitz, und Cooper setzte sich hinter das Lenkrad.

»Der Boss im Shop ist Ken Cooper, zufällig mein Dad«, begann er. »Er gründete den Shop vor Jahren in Zürich mit der Vision, alle Fronten der Sicherheitsbedürfnisse einer Organisation, einer Privatperson oder manchmal einer Regierung in einer modernen Welt von Sicherheitsverletzungen und anderen Bedrohungen abzudecken.«

Cooper blickte kurz in ihr waches Gesicht. »Der Shop ist multi-operationell mit einer Vielzahl von Dienstleistungen, die umfassende Sicherheitsprüfungen, Bedrohungsanalysen, die Wiederbeschaffung von Vermögenswerten, Cyber-Sicherheit, private Ermittlungen, Spezialausbildung, einschließlich Terrorismusbekämpfung und den Einsatz modernster Technologie umfassen.«

»Wau«, entfuhr es Winter. »Klingt professionell. Also eine ausgewachsene Krisenberatungsorganisation, richtig?«

»Genau, in ihrer reinsten Form, ob es sich nun um eine Reaktion auf die Bedrohung durch den Einsatz chemischer und radiologischer Angriffe handelt oder um das Überleben einer Epidemie.«

»Was kann der Shop schon gegen eine Epidemie tun?«

Cooper startete den Motor. »Die Vorbereitungen von Regierung, Armee und Gesundheitsämtern sind auch in der Schweiz grob vernachlässigt worden. Wenn die Epidemie ausbricht, gibt’s Panik.«

Er fuhr langsam zur Ausfahrt. »Panik ist das Schlimmste. Wir haben im Shop schon früh einen Leitfaden zum Eindämmen und Überleben einer Epidemie ausgearbeitet.«

»Den müssten Sie den offiziellen Stellen zustellen.«

Cooper nahm die Quartierstraße Richtung Autobahn. »Genau das haben wir gemacht. Der Leitfaden ging an die wichtigsten Stellen im Gesundheitswesen … der Gesundheitsminister, die Armeeführung erhielten ihn … auch Ämter in der Bundesrepublik.«

Sie schwiegen. Cooper schwenkte in die Auffahrt zur A 1 und beschleunigte in Richtung Basel. Die Geschwindigkeit drückte Winter in den weichen Ledersitz, Leitplanken huschten vorbei.

Sie fragte: »Gab es eine Reaktion?«

Cooper wartete, bis er das gewünschte Tempo erreicht hatte, und lehnte sich zurück. »Keine Rede davon. Bis heute haben wir null Feedback erhalten. Dabei ging es um Konkretes wie strategische Lagerhaltung, militärische Führungsprozesse, um Bedarfsberechnungen wichtiger Medikamente, der Mengen Schutzanzüge, Masken, dass es Testeinrichtungen brauche und Beatmungsgeräte. Topaktuell.«