BONJOUR, SAINT-EX! - Jörg H. Trauboth - E-Book

BONJOUR, SAINT-EX! E-Book

Jörg. H. Trauboth

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Beschreibung

Am 31. Juli 1944 hebt der physisch und psychisch angeschlagene Kriegspilot Major Antoine de Saint-Exupéry auf dem Flugplatz Bastia-Borgo (Korsika) mit einem Aufklärungsflugzeug ab und kehrt nicht mehr zurück. Ein deutscher Jagdpilot gibt an, ihn abgeschossen zu haben. Jahrzehnte später fliegt Fabian, der Sohn des Jagd­piloten, die Route seines Idols, Major "Saint-Ex", nach. Am Himmel über Frankreich wird Fabian mit seinem Flugzeug in ein Universum jenseits von Raum und Zeit geschleudert. An seiner Seite erscheint ein mysteriöser Flügelmann und beginnt mit ihm ein sehr persönliches Gespräch ...

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BONJOUR, SAINT-EX!

Eine poetische Begegnungmit Antoine de Saint-Exupéry auf seinem letzten Flug.

In der Luft und auf See spürt man keine Grenzen, das prägt und verbindet die Menschen.

Der letzte Flug des legendären Piloten und Schriftstellers Antoine de Saint Exupéry ist eines der größten Rätsel des Zweiten Weltkrieges. Schon direkt nach seinem spurlosen Verschwinden über dem Mittelmeer begannen die ersten Nachforschungen auf alliierter, aber auch auf deutscher Seite. Fast sechzig Jahre später, als das Wrack seiner P-38 Lightning gefunden wurde, gab es einen Ort, und somit neue, konkrete Anhaltspunkte.

Die in den folgenden Jahren der intensiven Forschungen gewonnenen aktuellen Erkenntnisse verdanken wir der engen, freundschaftlichen und leidenschaftlichen Zusammenarbeit von Forschern aus Frankreich, Deutschland, England, Tschechien und Amerika. Verbunden hat uns bei der Suche unsere Leidenschaft zur Forschung, das Werk und die humanitären Werte Exupérys.

In diesem Kontext scheint es unvorstellbar und abstrakt, dass wir, nur aufgrund unseres Geburtsortes und unserer Staatsangehörigkeit für abgegrenzte Zeiträume Feinde und nicht Freunde hätten sein können.

Lino von Gartzen

Taucher und Unterwasserforscher

Für Dich

Alle in diesem Werk geschilderten Handlungen, Organisationen und Personen sind frei erfunden, sofern sie nicht als reale Personen oder Einrichtungen genannt werden. Eine Ähnlichkeit der erdachten Handlungen mit realen Personen oder Einrichtungen wäre zufällig und ist unbeabsichtigt.

Jörg H. Trauboth

BONJOUR SAINT-EX!

Eine poetische Begegnung mit Antoine de Saint-Exupéryauf seinem letzten Flug

Novelle

Cover von Meike Kieras, www.kplus1-marketing.de

unter Verwendung der Zeichnung von Canva

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Alle Rechte vorbehalten!

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Impressum

ratio-books • 53797 Lohmar • Danziger Str. 30

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Tel.:(0 22 46) 94 92 61

Fax:(0 22 46) 94 92 24

www.ratio-books.de

eISBN 978-3-96136-137-3

Print-ISBN 978-3-96136-136-6

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Inhalt

KORSIKA

KORSIKA – ZWEITER WELTKRIEG, 31. JULI 1944 MILITÄRFLUGPLATZ BASTIA-BORGO

APOTHEOSE

DER VATER

FABIANS REISE

ALS LACHTEN ALLE STERNE …

SPURENSUCHE

DIE LITERATUR DES DICHTERS

KORSIKA

Fabian Braun lenkte den Mietwagen des Flugplatzes Bastia-Poretta vorsichtig durch die engen Straßen zum Cap Corse. Es war genau das Auto, welches er jetzt nicht benötigte. Doch dieser schreckliche Hybrid-SUV war das einzig verfügbare Fahrzeug, um ihn nach Miomo zu bringen. Er suchte das Restaurant Les Sablettes. Dort, so sagten die Quellen, soll sein Idol, der legendäre Pilot und Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry, zusammen mit einigen Staffelkameraden, seinen letzten Abend verbracht haben. Miomo war nach Lyon, Biscarrosse und Toulouse der letzte Ort auf Fabians fliegerischer Spurensuche.

Am Ortsschild verlangsamte er die Fahrt. Das Dorf zog sich nach Westen in die steil ansteigende Berglandschaft von Santa-Maria-di-Lota hinein, deren Spitzen von den letzten Sonnenstrahlen erfasst wurden. Doch Fabians Augenmerk war zur Wasserseite gerichtet. Er ließ die Badegäste passieren, die von der Plage de Miomo zu den Bars der vom Verkehr vollgestopften Durchgangsstraße schlenderten. Anders als die Häuser auf Elba und Sardinien gefiel ihm der raue Baustil mit der anspruchslosen Architektur und den schmuck- und blumenlosen Fassaden nicht besonders. Er spähte zwischen den Häusern zum Strand hinunter. Am Ende der Ortschaft hatte er immer noch nicht gefunden, was er suchte und drehte um.

„Pardon, Madame“, fragte er aus dem Autofenster heraus die alte Frau am Kiosk. „Ich suche das Restaurant Les Sablettes.“

Sie sah ihn kopfschüttelnd an: „Les Sablettes? Das gibt es hier nicht.“

Fabian parkte enttäuscht sein Fahrzeug am Hotel und bezog sein Zimmer. Sofort korrigierte er seine Auffassung von der anspruchslosen korsischen Bauweise. Der hohe Raum war in strahlendem Weiß gehalten, mit modernen Badezimmergarnituren und einfachen, geradlinigen Möbeln eingerichtet und begeisterte ihn mit einem atemberaubenden Blick von der Terrasse auf das Meer.

Er fand sich damit ab, dass das Restaurant nicht mehr existierte, und doch hatte er hier das Gefühl, dass Antoine de Saint-Exupéry zum Greifen nahe war.

„Kennen Sie vielleicht das Les Sablettes?“, fragte er den jungen Mann am Check-in.

Als der verneinte, zeigte Fabian ihm ein altes Schwarz-Weiß-Foto.

„Ach, das meinen Sie!“, reagierte der junge Mann freudig überrascht. „Es ist das Hotel nebenan, keine hundert Meter entfernt.“

„Merci beaucoup! Sie haben meinen Tag gerettet“, freute sich Fabian und machte sich sofort auf den Weg.

„Salut, Monsieur, kann ich Ihnen helfen?“

Fabian war sprachlos angesichts ihrer umwerfenden Erscheinung. Schlank, milchbraune Haut, mittellange, rote Haare, ein grünes Top in der Farbe der Augen, enge, blaue Jeans.

„Ja, ich hoffe doch sehr. Ich bin auf der Suche nach dem Restaurant Les Sablettes.“

„Hm, da sind Sie hier fast richtig.“

„Fast?“

„Ja, fast, das Restaurant heißt schon längst nicht mehr so.“

Pascale musterte Fabian interessiert. Groß, schlaksig, volles dunkles Haar, Typ erfolgreicher Geschäftsmann, sehr sympathisch. Sie hatte einen geschulten Blick für das Erkennen ihrer Gäste.

„Was führt Sie zu uns, Sie sind aus Deutschland?“ Sie hatte seine Nationalität bereits an den Korkbett-Sandalen erkannt, die die Deutschen so gern trugen.

„Ja, Volltreffer!“ Er gab ihr die Hand. „Ich bin Fabian, schön, dass wir uns kennenlernen.“

Sie erkannte sofort, dass seine Freude nicht gespielt war. Sein Lächeln und die Grübchen um die Augen sagten die Wahrheit.

„Und ich bin Pascale, angeblich der gute Geist in diesem Haus“, lachte sie.

Währenddessen zeigte sich an ihrem Nacken eine Tätowierung: Ein kleiner Kerl mit wehendem Schal und einer roten Rose.

Fabian stutzte: „Sie haben den kleinen Prinzen auf Ihrem Nacken! Mehr Glück geht nicht!“

Sie sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue kritisch an. „Wie darf ich das verstehen?“ Tatsächlich freute sie sich über seine Beobachtung. So viele Menschen gab es nicht, die diese Symbolfigur auf Anhieb erkannten. „Pardon, das sollte nicht persönlich sein. Ich bin auf den Spuren von Antoine de Saint-Exupéry.“

„Aha. Das ist interessant. Sie sagen, dass Sie geflogen sind. Sind Sie als Tourist oder geschäftlich hier?“

„Als Tourist, aber nicht mit der Fähre. Ich bin mit meinem kleinen Flieger nach Bastia-Poretta geflogen und wohne im Hotel nebenan. Leider, wenn ich gewusst hätte, dass sich hier mein Idol aufgehalten hat, hätte ich bei Ihnen gebucht, Pascale.“

Sie ging darauf nicht ein und meinte: „Wie, mit dem eigenen Flugzeug? Den ganzen weiten Weg? Wie lange sind Sie unterwegs?“

„Schon einige Tage, ich habe ein paar Stopps gemacht.“

„In einem Rutsch geht das in Ihrer Maschine nicht von Deutschland zu uns?“

„Rechnerisch ja, aber sicherheitshalber tanke ich gern in Südfrankreich auf, bevor ich die zweihundert Kilometer über Wasser nach Korsika fliege. Ich liebe trockene Füße.“

Sie sprudelte sofort los: „Ich war einmal in so einem kleinen Flieger, nie wieder! Alles, was höher als ein Küchentisch ist, löst bei mir Höhenangst aus.“

„Geht mir auch so“, lachte er verschmitzt. „Aber ich sage das meinen Passagieren nicht.“

Während sie ihn auf den Wahrheitsgehalt seiner Aussage prüfend ansah, betrachtete er das bis auf den letzten Platz gefüllte Restaurant. Durch die geöffneten Fenster zog die frische Meeresluft bis zu ihm an den Empfang. Er versuchte herauszufinden, was sich hier verändert hatte. „War das hier früher tatsächlich das Les Sablettes?“

„Ja, ganz früher, inzwischen hat sich der Bau verändert. Wir sind längst auch ein kleines Hotel.“

Sie überlegte. Er war zwar nicht Gast des Hauses, aber jemand, der sich für die Geschichte des Hauses interessierte.

„Haben Sie etwas Zeit, Fabian?“

„Ja, natürlich!“, antwortete er überrascht.

„Warten Sie einen Augenblick, ich möchte Ihnen etwas zeigen.“

Sie telefonierte mit jemandem, um sich kurz abzumelden und ergriff einen Schlüssel an der Wand.

„Würden Sie mir bitte folgen, Fabian?“

Im ersten Stock öffnete sie eine Zimmertür und bat ihn mit einer einladenden Handbewegung einzutreten. Sie blieb dabei am Türrahmen stehen, sodass er ihr Parfum riechen konnte. Er nahm das nur am Rande wahr, denn was er im Zimmer sah, konnte er nicht glauben.

Fabian blickte auf ein hohes Bild des jungen Antoine de Saint-Exupéry, wie er lächelnd unter seiner Fliegerhaube in einem zugebundenen schwarzen ledernen Fliegermantel in den Raum schaute, die Hände in den Taschen vergraben, bekleidet mit Krawatte, Hose und Halbschuhen, die so gar nicht zu einem Flieger passten. Auf dem Einzelbett mit strahlend weißem Bezug lagen einladend aufgerollte Handtücher.

„Ich bin sprachlos, Pascale. Hat er hier etwa vor seinem letzten Flug vom 30. auf den 31. Juli 1944 übernachtet?“

„So ist es. Deswegen haben wir das Zimmer ihm gewidmet, es ist unverändert. Hier kann man mit seinem kleinen Prinzen zu den Sternen schweben. Man muss es sich nur wünschen.“

Auf einem kleinen Schreibtisch lagen unter Glas eine Fotosammlung und Dokumente aus dem Leben des Schriftstellers. Es wirkte überzeugend. Dennoch fiel es Fabian schwer zu glauben, dass der Autor hier oben tatsächlich geschlafen hatte, die Quellen besagen übereinstimmend etwas anderes.

Fabian sah durch das Fenster in die Nacht. Nach so vielen Jahrzehnten mag sich vieles verändert haben, aber den felsigen Strand unter ihm, mit dem im Mondlicht glitzernden Wasser, musste auch Antoine de Saint-Exupéry 1944 hier gesehen haben. Was mochte er hier im damaligen Restaurant Les Sablettes vor seinem folgenschweren Flug gedacht oder geplant haben?

Fabian löste sich nur mit Mühe vom Fenster. Näher als hier konnte er auf der Spurensuche seinem Idol nicht sein.

„Danke, Pascale, Sie haben mir eine große Freude bereitet. Ob er hier nun geschlafen hat oder nicht ist unerheblich. Wichtig ist mir, dass er an diesem Ort war.“ Sie überlegte kurz, warum ihm das Gebäude so viel bedeutete. Dieser Mann schien mehr zu sein als nur ein nach Fakten suchender Tourist. Sie schloss Exupéry’s Tür und begleitete Fabian zurück zum Empfang.

„Sie fliegen morgen wieder heim, Fabian?“

„Nein, Pascale, für morgen plane ich einen Flug zum Festland und zurück, dann gönne ich mir noch eine weitere Nacht in Miomo.“

Sie antwortete spontan: „Ach, wie schön! Mein Chef weiß eine Menge über Exupéry, aber er ist heute nicht im Haus. Wenn Sie mögen, dann kommen Sie doch morgen zu uns.“

Fabian nickte überrascht. Er liebte es, willkommen zu sein, besonders an diesem besonderen Ort. Er wäre allerdings auch allein ihretwegen wiedergekommen und erwiderte mit einem offenen Lächeln: „Eine wunderbare Idee, Pascale, danke. Ich freue mich. Also dann bis morgen Abend!“

„Bis morgen, Fabian! Ich freue mich auch.“

Sie sah ihm nach, während er die Treppe zur Straße hochstieg und legte ihre Handfläche auf die Tätowierung.

Fabian Braun warf erlöst die Tür des SUV zu. Er hatte ihn ohne Schrammen auf dem zugewiesenen Parkplatz abgestellt. Außerdem fand er, dass dieses Hybrid-Monster mit seiner überladenen Technik schwerer zu bedienen war als sein kleines, viersitziges Flugzeug, das ihn auf dem Flugplatz erwartete.

Plötzlich hatte er ein Déjà-vu, als er an den kleinen Prinzen am Nacken der schönen Pascale dachte und die Menschen sah, wie sie ungeduldig und voller Hast ihr Gepäck zogen, alle in dem Ziel vereint, die Ankunftshalle möglichst als Erster zu erreichen. Der Urlaub schien vergessen, das Ziel war das Zuhause, um dort möglichst bald wieder die nächste Reise zu planen. Er dachte an den Weichensteller im Märchen, von dem der kleine Prinz erfährt, dass die Menschen in ihren Schnellzügen eilig und ziellos unterwegs sind, weil sie nicht wüssten, was sie wollten. Sie seien nie zufrieden dort, wo sie waren, meinte der Weichensteller. Nur die Kinder wüssten, wohin sie wollten. Sie würden ihre Zeit einer Puppe widmen und wenn man sie ihnen wegnimmt, würden sie weinen.

Fabian beobachtete das Gedränge genauer. Er sah die junge Mutter, die ihr Kind hinter sich herzog, nicht darauf achtend, dass das Kind womöglich den herumstreunenden Hund als ein Schaf sah, den gewunden am Boden liegenden Ast als Schlange, die Zeichnung auf der Tasche der Mutter als einen Fuchs und den kleinen Jungen nebenan in seinem bunten Gewand als einen Märchenprinzen. Sie hatte es zu eilig, um zu erkennen, dass ihr Kind das Flugzeug am Himmel als einen leuchtenden Stern erkannte, der abrupt verschwand, als sie das Kind in die Halle zog, in der sich andere Väter und Mütter mit ihren Zielen auf einem anderen Planeten befanden als ihre träumenden Kinder.

Fabian löste sich aus seinen Beobachtungen und ging zielstrebig auf einen mit Ketten umzäunten Gedenkstein mit der Inschrift zu:

Korsika erinnert daran,

dass von hier aus der Schriftsteller-Flieger Saint Exupery am 31.7.1944 zu seinem letzten Kriegseinsatz flog.

Er stellte fest, dass der Bindestrich zwischen dem Namen fehlte und auch der accent aigu im Namen. Antoine de Saint-Exupéry hatte den Bindestrich während seines Aufenthaltes in den USA ergänzen lassen. Wenigstens hier in Korsika hätte man das wissen müssen.

Fabian trat, mit sandfarbenen Bermudas bekleidet und braun-weißen Sneakers an den Füßen, einen ledernen Rollkoffer hinter sich herziehend in die Halle des Flughafens ein und nahm Kontakt mit dem Handling-Office auf, das die Organisation für die Abwicklung seines Flugplatzaufenthaltes übernommen hatte.

„Hallo, Herr Braun, ich bin Olivier“, stellte sich der junge Mann in einem tadellosen schwarzen Anzug vor, der sonst wohl eher für die Business-Kunden zuständig war.

Olivier bugsierte ihn an den langen Reihen der wartenden Fluggäste vorbei. Die Männer der Sicherheitskontrolle erkannten an dem Agenten, dass er einen Privatpiloten begleitete. So verzichteten sie, obwohl es erst Mittag war, mit einer müden Handbewegung auf die Taschenkontrolle. Das durchleuchtete Gepäck lag bereits in der schwarzen, mit dunklen Scheiben gefärbten Crew-Limousine, die Olivier zügig zu dem Flugfeld fuhr, das für die Allgemeine Luftfahrt vorgesehen war.

Ein böiger Fallwind fegte aus den Bergen von Cap Corse über den internationalen Flugplatz Bastia-Poretta hier im Nordwesten der Insel Korsika und zerrte an den Tragflächenbefestigungen der abgestellten kleinen Flugzeuge. Immerhin boten die Hallen des Aero Club Antoine de Saint-Exupéry einen leichten Schutz, den auch die Möwen dankbar für eine kurze Pause annahmen.

Obwohl ein leichter Flug vor ihm lag, war Fabian angespannt, wie damals bei wichtigen Einsätzen in Tornado-Kampfflugzeugen der deutschen Luftwaffe. Der Start um 08:45 Uhr würde nicht einfach werden, denn der Windsack stand quer und sehr stramm zur Bahn. Er hätte sich lieber eine leichte Brise gewünscht, wie damals, am 31. Juli 1944, als Antoine de Saint-Exupéry hier vom Militärflugplatz Borgo startete.

„Ist das Ihr Flugzeug, Herr Braun?“, fragte der Fahrer Olivier.

„Ja, der silberfarbene Tiefdecker.“

„Wow, was für ein schönes Flugzeug!“

„Danke, klein aber fein. Die Dame ist ein halbes Jahrhundert alt, zusammen sind wir hundert“, lachte er. „Wir beide mögen uns sehr. Sie sieht mich jetzt, wenn ich sie nicht sofort durch Handauflegen begrüße, wird sie richtig sauer.“

„Was passiert dann?“, fragte Olivier.

„Dann springt sie nicht an!“

Olivier lachte, stoppte vor dem Flugzeug, öffnete die Heckklappe des Crew-Fahrzeuges, stellte das Reisegepäck ab und wollte gerade einen guten Flug wünschen, als sein Blick auf das Seitenruder des Flugzeuges fiel.

„Interessanter Aufkleber … Moment, das ist doch … Antoine de Saint-Exupéry?“

„Genau richtig, auf einem Bild der Ausstellung in Toulouse über die Anfänge der Postfliegerei.“

Dabei zeigte er demonstrativ auf sein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift:

TOULOUSE - L’ENVOL DES PIONEERS.

„Die Ausstellung habe ich gestern besucht, kann ich nur empfehlen.“

„Darf ich?“, fragte Olivier höflich und entfernte das Preisschild vom Rücken des T-Shirts.

Sie lachten beide.

Olivier folgte Fabian zum Seitenruder des silberfarbenen Flugzeuges. Der runde Aufkleber zeigte das kantige Profil des legendären Piloten und Dichters mit der frechen, spitzen Nase und einem nach oben gerichtetem Blick unter einer gefütterten, dunkelbraunen Lederhaube.

„Darf ich mal in Ihren Flieger schauen?“

„Natürlich, gern!“

Fabian zog das Kabinendach zurück, sodass Olivier das Glascockpit einsehen konnte.

„Meine Güte, Sie fliegen einen Airbus! Ich beneide Sie!“

„Ist mein ganzer Stolz, die neue Technik ist mehr wert als die ganze Flugzeugzelle.“

Auf der Ablage sah Olivier das Buch Nachtflug von Antoine de Saint-Exupéry.

„Entschuldigung, warum klebt sich ein deutscher Pilot einen französischen Schriftsteller an sein Flugzeug und hat ein Buch von ihm dabei. Sind Sie so ein großer Fan von ihm?“

Fabian überlegte, ob er Olivier erzählen sollte, dass er selbst einmal Militärpilot war, als Schriftsteller auch Fliegerromane schrieb und so gesehen mit Exupéry diese beiden Lebenslinien gemeinsam hatte, wobei er sich wegen seiner Flugstunden allenfalls fliegerisch mit diesem Ausnahmeschriftsteller messen konnte.

Er antwortete knapp, aber freundlich:

„Ja, kann man so sagen.“

Olivier schüttelte verwundert seinen Kopf.

„So etwas Verrücktes machen noch nicht einmal die Franzosen. Wenn nicht hier der Aero Club nach ihm benannt wäre und draußen vor dem Haupteingang die Skulptur von ihm stände, wäre Exupéry hier gar nicht präsent. Klar, kennt man den Namen, aber die Menschen auf Korsika wollen nach den Zeiten der Pandemie endlich wieder Touristen, eine gesicherte Zukunft. Die Vergangenheit interessiert sie nicht.“

Fabian verstand das, aber fragte sich auch, warum ausgerechnet hier kein besonderes Interesse an Exupéry bestand – falls das überhaupt stimmte. Vielleicht weil in Korsika seine Lebensgeschichte so fatal endete? Oder das Desinteresse war dem Zeitgeist geschuldet. Weniger intensives Lesen von anspruchsvoller Literatur zugunsten des flüchtigen Scrollens in sozialen Medien.

Er wollte den sympathischen jungen Mann nicht brüskieren, aber es drängte ihn zu wissen, ob er wenigstens Exupéry‘s wichtigstes Buch kannte, das in der Auflage nur noch von der Bibel und dem Koran übertroffen wurde.

„Darf ich Sie fragen, ob Sie den kleinen Prinzen kennen?“

Olivier nickte lachend:

„Natürlich, wir müssen das Buch bis heute in der Schule lesen. Das ist Pflichtlektüre, selbst hier auf Korsika.“ Er zögerte und meinte etwas verlegen:

„Ehrlich gesagt, habe ich den Text damals nicht richtig verstanden, die Zeichnungen fand ich allerdings amüsant.“

Fabian schmunzelte.

„Da sind Sie nicht allein, es ging mir genauso. Ich habe es kürzlich erneut gelesen und finde es heute unglaublich. Der Mann bringt die arme Welt der Erwachsenen und die reiche der Kinder auf den Punkt, Seite für Seite oder besser von Planet zu Planet. Seine Botschaften sind heute Weisheitsklassiker.“

Olivier nickte, zog sein Handy hervor und blätterte durch sein Foto-Archiv.

„Ich zeig’ Ihnen etwas. Das hier steht in der Hochzeitsanzeige meiner Großeltern: Lieben besteht nicht darin, dass man einander ansieht, sondern dass man gemeinsam in die gleiche Richtung blickt.“

„… Terre des Hommes – Wind, Sand und Sterne …“, ergänzte Fabian. „Also lebt der Poet in Ihrer Familie weiter … wie schön!“

„Ja, als eine Legende.“

„Wie sehen Sie selbst die Legende Antoine de Saint-Exupery?“, fragte Fabian.

Olivier sah auf das Flugzeug, den Zeigefinger überlegend auf die Lippen haltend, und meinte: „Genauso wie auf Ihrem Seitenruder. Dynamisch, schlank, selbstbewusst, fliegerisch top und ein schriftstellerisches Genie.“

Fabian nickte bestätigend. „Ein Genie war er ohne Zweifel. Ansonsten war er wohl alles andere als stark. Ich denke, die Menschen wollen ihre Idole gern als fehlerloses Gesamtergebnis sehen, besonders ihn.“

„Ich weiß nicht, wie Sie das meinen, Herr Braun. In dem Fotoalbum meiner Großeltern ist Exupéry ein athletischer Mann.“

„War er auch, aber er zog die Unfälle regelrecht an.“

„Er zog die Unfälle an …?“

„Und wie! Seine Serie begann schon 1921. Er war gerade 21 Jahre alt, als er mit einem Schulflugzeug zu früh abhob und gleich wieder nach unten fiel. Da hatte er noch Glück. Ein Jahr später nicht mehr, er zog sich bei einer Bruchlandung als Folge eines Motorausfalles einen Schädelbruch zu.“

„Damals waren die Motoren eben noch nicht so sicher“, meinte Olivier.

„Das stimmt. Deswegen zog die Familie seiner Verlobten Louise die Reißleine und zwang Antoine, die Fliegerei aufzugeben.“

„Hat er das durchgehalten?“

„Zunächst ja, dann verließ Louise ihn und er saß wieder im Flugzeug. 1932 stürzte er mit einem Wasserflugzeug bei Marseille ab. Er hatte sich überschlagen, alle Crewmitglieder tot. Er rettete sich als Einziger.“

„Unfassbar!“, meinte Olivier.

„1933 lag er wieder im Wasser, besser kopfüber unter Wasser, diesmal im Mekong, nachdem sein Flugzeug einen Flügel verloren hatte. Auch dort entkam er knapp dem Ertrinkungstod. Zwei Jahre später Absturz nach einem Navigationsfehler mit seiner Caudron-Simounin der Libyschen Wüste, wo er und sein Kamerad nach fünf Tagen völlig dehydriert von einer Karawane gefunden wurden.“

„Ja, das ging um die Welt“, sagte Olivier.

„Sehen Sie seine hochgezogene Augenbraue? Das ist das operative Resultat seines schlimmsten Crashs.“

„Was ist dort passiert?“

„Exupéry flog im Februar 1938 von New York nach Guatemala. Dort startete er auf einem sehr hochgelegenen Platz. Das Flugzeug war für die dünne Luft zu schwer beladen. Klarer Pilotenfehler, würde ich sagen. Die Maschine überschlug sich zweimal. Sein Co-Pilot war leicht verletzt, aber er schwer, mit zweiunddreißig Knochenbrüchen …“

„ … wie bitte?“

„Sie haben richtig gehört, mit zweiunddreißig Brüchen darunter ein zerschmettertes Handgelenk. Er konnte gerade noch verhindern, dass ihm die rechte Hand amputiert wurde.“

„Das wäre wohl das Aus als Schriftsteller gewesen“, kommentierte Olivier.

„Vermutlich ja. Danach lag er mehrere Tage im Koma und litt fortan unter Schwindelanfällen und Dröhnen im Kopf. Genau genommen war er mit achtunddreißig Jahren schon schwerbehindert.“

„Kaum zu glauben“, meinte Olivier.

„Vielleicht überlebte er auch diesen Unfall seinetwegen“, erwiderte Fabian. Dabei wies er auf den kleinen Prinzen hin, der an Exupéry’s rechter Schulter von Vögeln gezogen zum Himmel schwebte.

„Hat ihm aber am Ende nichts genutzt“, kommentierte Olivier.

Trotzdem hielt Olivier an seinem Bild von dem legendären Post- und Kriegspiloten fest und meinte: „Immerhin war er Chef einer Außenstation in der Wüste, das macht auch nicht jeder!“

„Genau richtig“, bestätigte Fabian. „Achtzehn Monate, Flugplatz Kap Juby in der Wüste südlich von Marokko. Dort hat er auch seine erste Novelle geschrieben, Der Flieger. Es war die erste Fassung des Romans Südkurier.“

„Das weiß ich nicht, aber so schlimm, wie Sie das darstellen, kann es nicht gewesen sein. Hier in Borgo haben die Amerikaner ihn in ein Kampfflugzeug gesetzt, wie hieß dies noch …?“

„… Lightning P-38.“

„Richtig, Lightning! Ein unglaubliches Gerät! Das zu fliegen, schaffen nur die Besten der Besten. Nein, Herr Braun, da haben Sie oder die Deutschen ein falsches Bild. Die Franzosen sind stolz auf Antoine de Saint-Exupéry. Er ist unser Idol, weil er für Frankreich geflogen und gestorben ist und weil er ein legendärer Schriftsteller war!“

Fabian nickte nachdenklich und meinte: „Nicht nur für die Franzosen, er ist auch mein Idol, gerade, weil er so war, wie er war.“

Der Lärm des zur Startbahn 34 rollenden Airbus 320 von Air Corsica übertönte seine letzten Worte.

Fabian blickte erneut auf die Uhr. Es war Zeit, sein Flugzeug klarzumachen.

„Pardon, ich habe zu tun, ich danke Ihnen für den Service und dieses Gespräch. Glauben Sie mir, ich bin näher bei Antoine de Saint-Exupéry, als Sie vielleicht denken.“

Er wollte den netten Olivier nicht so fragend stehen lassen und ergänzte: „Auf diesen Flug habe ich mich lange und intensiv vorbereitet.“

„Wohin geht der Flug, nach Deutschland?“

„Nein, nach Grenoble … Ich werde heute an seinem Todestag seinen letzten Flug nachfliegen, zur gleichen Zeit, die gleiche Strecke.“

Olivier sah ihn überrascht an.

„Interessant! So etwas habe ich noch nie gehört, damit sind Sie der Erste, den ich kenne. Was versprechen Sie sich davon, wenn ich fragen darf?“

Fabian zögerte etwas.

„Ich suche seine Nähe … Es gibt da etwas zu klären.“ Olivier war irritiert.

„Entschuldigung, das verstehe ich nicht, Herr Braun. Was müssen Sie klären?“