Borderlands: Unbesiegbar - John Shirley - E-Book

Borderlands: Unbesiegbar E-Book

John Shirley

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Beschreibung

Die Borderlands sind unbesiegbar. Das ist eigentlich jedem auf Pandora längst klar. Doch offensichtlich interessiert diese Tatsache die irre Göttin Gynella nicht die Bohne. Mit Hilfe der dunklen Wissenschaften des niederträchtigen Dr. Vialles hat sie sich einer Armee von Banditen und Wahnsinngen bemächtigt und bläst nun zum Angriff auf die Borderlands. Nur vier Leute stellen sich ihr in den Weg: Daphne - besser bekannt unter dem Namen Kuller der Killer -, war einst der beste Attentäter der Galaxis. Zumindest bis zu ihrem unfreiwilligen Ruhestand. Roland gilt als einer der zähesten Krieger Pandoras. Mordecai kann es mit den besten Scharfschützen in mindestens vier Sonnensystemen aufnehmen … und Brick ist ein wandelnder Berg aus stahlharten Muskeln. Gelingt es dem ungleichen Quartett die Pläne der Göttin zu vereiteln? Zumindest reicht die geballte Feuer- und Schlagkraft locker aus, um Gynella mächtig in die Suppe zu spucken. Göttlicher Zorn ist ihnen somit mehr als gewiss … Basierend auf dem Online-Hit von 2K Games

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AUSSERDEM ERHÄLTLICH:

BORDERLANDS Comicband 1: Der Ursprung

Die offizielle Vorgeschichte zum Game

UNBESIEGBAR

Von John Shirley

Ins Deutsche übertragen von Andreas Kasprzak & Tobias Toneguzzo

Lektorat: Sabine Dreyer

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.dnb.de abrufbar.

Deutsche Ausgabe: Panini Verlags GmbH, Rotebühlstraße 87, 70178 Stuttgart. Alle Rechte vorbehalten.

Englische Originalausgabe: “BORDERLANDS: Unconquered” by John Shirley first published 2012 by Pocket Books an imprint of Simon & Schuster, USA

© 2014 by Gearbox Software, LLC. All Rights Reserved.

No part of this publication may be reproduced, stored in or introduced into a retrieval system, or transmitted, in any form, or by any means (electronic, mechanical, photocopying, recording or otherwise) without the prior written permission of the publisher. Any person who does any unauthorized act in relation to this publication may be liable to criminal prosecution and civil claims for damages.

Übersetzung: Andreas Kasprzak

Lektorat: Andreas Kasprzak für Grinning Cat Productions

Redaktion: Mathias Ulinski, Holger Wiest

Den unzähligen Fans der Borderlands-Spiele gewidmet.

PROLOG

Marcus erzählt eine Geschichte

»Lady, ich bring Sie ins gute alte Fyrestone, so schnell ich kann«, sagte Marcus, wobei er im Rückspiegel des Busses die Frau betrachtete, die ein paar Sitzreihen hinter ihm saß. Während er mit den Fingern auf das Lenkrad trommelte, sinnierte er über die Situation: Sie standen auf der Rollbahn des Raumhafens, ungefähr eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang, und warteten noch immer auf einen Bericht über die Banditen. Ein Claptrap-Roboter hockte auf einem der hinteren Sitze, wo er vor sich hin murmelte und klapperte; abgesehen von der Maschine und der Frau hatte Marcus bislang keine Passagiere. »Ich hab ’ne Warnung über so ’ne Bande von ziemlich bösartigen Psycho-Banditen reinbekommen«, fuhr er fort. »So ’ne neue Gruppe, die sich gerade erst in der Region um Fyrestone breitgemacht hat. Haben sich aus den Arid Lands hierher verirrt. So ’nen üblen Haufen gab’s in der Gegend schon länger nicht mehr. Am Schwarzen Brett hängen einige Missionen, sie auszuschalten, aber noch hat keiner die Nerven dafür gehabt. Ich würd’s ja selbst erledigen, aber ich komm langsam in die Jahre, und …« Er tätschelte seinen Fassbauch. »Ich kann mich nicht mehr so schnell bewegen. Also fahre ich den Bus und verkaufe anderen Leuten Waffen, damit sie den Job erledigen können.«

»Das ist alles wirklich … faszinierend«, meinte die Frau mit unverhohlenem Sarkasmus. »Aber wann fahren wir? Es wird schon bald dunkel, und ich würde gerne vorher in Fyrestone sein.«

»Sobald ich Bescheid krieg, dass die Luft rein ist, sind wir unterwegs. Aber das wird keine gemütliche Fahrt. Wir müssen dieses Territorium durchqueren, so schnell es geht.«

Marcus überprüfte den Kommunikator an seinem Handgelenk; es gab keine verpassten Anrufe, keine Textnachrichten, keinen Bericht über diese Banditen. Vielleicht war das ECHO-Netz zusammengebrochen. Er machte rasch die Probe aufs Exempel, indem er das Testsymbol drückte, und … ja. Es sah ganz so aus, als wäre das verfluchte Netz schon wieder lahmgelegt. Vielleicht hatten die Banditen auf der Suche nach Schrottmetall einen Übertragungsturm zerlegt.

»Ich frage mich, warum es hier keine Hopper am Raumhafen gibt«, meinte die Frau, »anstelle von diesem Bus.« Ihre Stimme war seidig weich, aber bei allem, was sie sagte, schwang ein gefährlicher, warnender Unterton mit. Etwas Subtiles, das ausdrückte: Legt euch nicht mit mir an! Gleichzeitig wohnte ihr eine Ruhe inne, als wäre sie jederzeit auf alles vorbereitet und könnte sich deshalb entspannen. Das sprach für eine professionelle Kämpferin, jemand, der auf sich aufpassen konnte. Zudem hatte Marcus gesehen, wie sie eine hochwertige Pistole aus ihrem Gepäck genommen und in ihr Holster gesteckt hatte, kurz bevor sie an Bord seines Busses geklettert war.

Ihr schmales Gesicht und das purpurfarbene Haar waren größtenteils unter Staubschutzbrille und Helm verborgen, aber der Teil, den er sehen konnte, wirkte irgendwie vertraut. Leider saß sie im Schatten, und es ließen sich nicht genug Details ausmachen, um sie genauer einzuordnen. Da sie den Helm und die Brille bereits getragen hatte, seit sie aus dem Orbit-Shuttle gestiegen war, vermutete Marcus, dass sie auch gar nicht erkannt werden wollte. Das wiederum legte den Schluss nahe, dass ihr der Planet Pandora nicht gänzlich fremd war. Sie mochte gerade aus den Tiefen des Alls kommen, aber wer wusste schon – vielleicht war das hier sogar ihre Heimat. Nur sollte offenbar niemand wissen, dass sie nach Hause zurückgekehrt war …

Die Raumhafenbehörden würden ihm sicher sagen können, welchen Namen sie angegeben hatte, schließlich nahmen diese Kerle alle Geld von ihm. Doch falsche Ausweise waren überall zu bekommen. Zur Hölle, sogar er verkaufte sie hin und wieder.

Bei diesem Gedanken meldete sich Marcus’ Geschäftssinn, und er fragte sich, was er dieser Frau andrehen könnte. Ihr Gepäck und ihre Pistole verrieten, dass sie Geld hatte, und vielleicht wäre sie nicht abgeneigt, wenn er ihr ein paar weitere Waffen anbot. Darüber hinaus wollte er sie auch ein wenig aus der Reserve locken, herausfinden, wer sie war – womöglich war diese Information an sich irgendjemandem ja einen hübschen Batzen Geld wert.

»Oder gibt es einen Hopper, den ich nur noch nicht gesehen habe?«, fuhr die Frau fort, während sie aus dem Fenster blickte.

»Nein, hier haben wir keine Hopper, dafür hab ich gesorgt … Ich meine, der einzige Hopper-Dienst zwischen hier und Fyrestone wurde abgeschossen, direkt vom Himmel geholt. Von den Piloten waren nur noch Knochen übrig. Die sind einfach nicht sicher, diese Hopper.«

»Also sitze ich hier in dem alten, klapprigen Bus fest«, murmelte die Frau, dann schob sie etwas lauter nach: »Ich muss wirklich dringend nach Fyrestone. Falls Sie also mal nachsehen möchten, ob Sie noch Eier in der Hose haben, dann könnten wir ja endlich losfahren. Sollten uns irgendwelche Banditen Ärger machen, werden wir beide schon mit ihnen fertig.«

Marcus lachte, wobei er sie weiter im Rückspiegel betrachtete. »Sie sind also von der bissigen Sorte, hm? Wir hatten schon einige knallharte Kämpferinnen auf diesem Planeten – das ist die einzige Sorte, die hier überleben kann.«

»Auf die eine oder andere Weise sind alle Frauen hart.«

»Und wer könnte die Göttergeneralin vergessen, diese Gynella? Mann, was für eine Frau!«

»Gynella?« Sie richtete sich ein wenig in ihrem Sitz auf und sah Marcus an – durch den Rückspiegel. »Was wissen Sie über sie?«

»Oh, nun ja, was da geschehen ist … Und dann kam auch noch Roland dazu … Tja, das ist ’ne lange Geschichte. Aber ich erzähl sie Ihnen natürlich gern. Ich hab viele Quellen, die mir Details verraten haben. Sie müssen verstehen, ich arbeite an ’nem Buch über die Geschichte von Pandora, und …«

»Wie wär’s, wenn Sie mir diese Geschichte auf dem Weg nach Fyrestone erzählen?«

Marcus seufzte, unterdrückte aber sein Temperament. »Hören Sie, Lady …«

»Fährt dieser Bus irgendwohin?«, fragte da eine barsche Männerstimme.

Marcus betrachtete den Mann, der die Stufen des Busses hinaufstieg, mit einem langen Blick. Ein wenig sah er aus wie ein Steinzeitmensch, groß, mit vorstehendem Bauch, breiten Schultern, kleinen Schweinsäuglein und eingefallenen Wangen, aber er war noch jung, konnte nicht weit über zwanzig sein. Er hatte viele frisch wirkende Tätowierungen; seine Söldnerkleidung sah aus wie aus dem Secondhandshop, und an seinen goldenen Schneidezähnen glitzerten billige Edelsteine. In der einen Hand hielt er ein Gewehr, in der anderen einen Seesack. Seine brandneue Schutzbrille hatte er auf seinen kurzrasierten Schädel hochgeschoben.

Marcus kannte diese Typen. Vermutlich hatte er bei allem versagt, was er je angefasst hatte, war auf seiner Heimatwelt von der Schule geflogen oder so was, und jetzt suchte er nach einem Neuanfang und schnellem Geld. In den Grenzlanden von Pandora, den Borderlands, fanden solche Kerle aber meist nur ein schnelles Begräbnis.

»Wenn du nach Fyrestone willst, Junge, dann setz dich hin«, knurrte Marcus. »Wir fahren gleich ab.«

»He, ich bin kein Junge, in Ordnung? Hast du das verstanden, Kumpel?« Der junge Abenteurer, der noch immer im Mittelgang stand, tat sein Bestes, den Blick eines wütenden Bullen zu imitieren.

Marcus schnaubte. »Wenn du mit uns fährst, bekommst du vielleicht ’ne Gelegenheit, das zu beweisen. Die Reise führt nämlich durch ein übles Pflaster. Banditen-Territorium. Und mir konnte noch niemand bestätigen, dass die Luft rein ist.«

Der Abenteurer leckte sich die schmalen Lippen. »Okay, falls du denkst, dass es … du weißt schon … zu gefährlich …« Da fiel ihm die Frau auf, die schweigend auf einer der hinteren Bänke saß. Von seinem Standpunkt aus konnte er die Teile ihrer Anatomie, die ihn am meisten interessierten, deutlich sehen. Ja, sie hatte üppige Rundungen, und ihre Kampfkleidung lag eng an ihrem Körper an. Sehr eng.

Der junge Kerl starrte sie an, und sein Kiefer klappte nach unten. »Ich, äh … Banditen machen mir keine Angst. Wer … ich meine … Hallo, Kleines. Sieht aus, als würden wir gemeinsam nach Fyrestone fahren, hm? Ich bin Jakus.« Er sprach den Namen wie »Jake-us« aus, mit einem langen A, und er betonte ihn bedeutungsschwer.

»Jakus. Natürlich.« Weder der Abenteurer noch Marcus konnten die Augen der Frau sehen, aber falls man ihre Stimme als Anhaltspunkt nehmen konnte, hatte sie sie gerade verdreht.

»Deinen Namen bist du mir noch schuldig«, meinte Jakus, während er ihr ein Grinsen schenkte, das sie vermutlich beeindrucken sollte, tatsächlich aber jeden Skag in die Flucht geschlagen hätte.

»Ja«, sagte sie. »Das bin ich. Fahren wir jetzt oder nicht, Marcus?«

»Sicher, sicher. Nimm Platz, falls du mitkommen willst, Spackus.«

»Es heißt Jake-us.« Mit einem finsteren Blick ließ sich der Abenteurer auf die Sitzbank gegenüber der Frau fallen.

Wer ist sie nur?, fragte Marcus sich einmal mehr, dann schloss er die Türen und startete den von Kugeln durchlöcherten Bus. Es würde wohl doch nicht so einfach werden, das herauszufinden. Zumindest schien es, als wäre sie an Gynella interessiert. Und er wusste verflucht viel über die Göttergeneralin – und über die andere Seite der Gleichung ebenfalls. Über Roland und Mordecai, Brick und Daphne. Ja, so würde er es machen. Der rätselhaften Dame die Geschichte erzählen, ihr Vertrauen gewinnen und ihr dann ein paar Informationen aus der Nase ziehen.

Kurz darauf holperten sie schon über den verstaubten, pockennarbigen Highway in Richtung Fyrestone, und Marcus sah einmal mehr nervös auf den Kommunikator an seinem Handgelenk – noch immer nichts Neues über die Banditen –, bevor er seinen Blick über den Horizont schweifen ließ. Vor ihnen lag das gezackte, graubraune Terrain, das für die Ödlande von Pandora so typisch war – über weite Strecken flach und dann wieder von jähen Schluchten durchbrochen. Hie und da warfen Felsmonolithen und steinige Hügel ihre Schatten, mal einsam in der Gegend stehend, mal wie verdorrte Wälder aus dem trüben Dunst aufragend. Es war heiß hier draußen, und selbst der hellblaue, wolkenlose Himmel wirkte, als wäre er von der Sonne ausgebleicht. Wüstenpflanzen sprenkelten die Landschaft, und nun, da die Sonne dem gezackten Horizont entgegensank, zogen sie lange Schatten über den Boden. In der Ferne konnte Marcus kleinere Rudel von Skags ausmachen, die auf ihrer immerwährenden Suche nach Beute in der Nähe ihrer Erdhöhlen umherstreiften; außerdem waren da auch die geiergleichen Rakks, die wie Drachen am Himmel ihre Kreise zogen.

Der Bus polterte über die Überreste eines gelben Scythid – ein großes Insektenwesen – hinweg, und als der Panzer unter den Reifen zerbarst, wurde er zu einem weiteren Kadaver auf der Straße zum Raumhafen zermalmt.

Ein gutes Stück vor ihnen begann sich die Kuppe von einem der größeren Felshügel erst rosa, dann trüb lila zu verfärben. Der Sonnenuntergang rückte näher, bald würde es dunkel sein.

Wann immer er es sich erlauben konnte, behielt Marcus ein Auge auf die beiden Menschen hinten im Bus gerichtet, und er drehte den Rückspiegel, um sie besser sehen zu können. Der Innenspiegel war ohnehin zu nichts anderem zu gebrauchen als seine Fahrgäste zu beobachten. Es überraschte ihn nicht wirklich, als Jakus sein Gewehr beiseitelegte, sich über den Mittelgang schwang und neben der rätselhaften Frau Platz nahm. Er legte den Arm über die Lehne hinter ihrem Rücken und beugte sich hinüber, wobei er wohl versuchte, weltmännisch zu wirken.

»Also, hübsches Fräulein, was sagst du, wie wäre es mit einem Drink, wenn wir in Fyrestone sind? Ich zahle natürlich, und danach könnten wir uns ja vielleicht ein hübsches, gemütliches Zimmer … Autsch!«

Sie drückte ihm die Mündung ihrer Pistole fest gegen den Kiefer. »Zurück auf deinen Platz, oder ich streiche die Decke mit deinem Gehirn. Sofern du überhaupt eins hast!«

Jakus schluckte laut und beeilte sich auf seinen eigenen Sitz zurückzukehren.

»Die ist ganz schön bissig, oder, Junge?«, lachte Marcus. »Ha, die hat dir ja ziemlich …«

»Halt’s Maul, du alter …! Hey, was ist das da vorne auf der Straße?« Der Junge deutete mit dem Finger, und Marcus richtete seine Aufmerksamkeit gerade rechtzeitig wieder nach vorne, um noch auf die Bremse treten zu können. Die Staubfahne, die der Bus hinter sich herzog, rollte weiter durch das Ödland, als das alte Fahrzeug zum Stehen kam, und verhüllte den Blick aus den Fenstern. Trotzdem konnten Marcus und seine Passagiere sie deutlich genug erkennen, ungefähr zwanzig Meter vor ihnen: Es waren vier Psycho-Banditen und ein Bruiser, der seine Kumpane weit überragte. Sie standen Seite an Seite da und blockierten die Straße, allesamt maskiert, allesamt mit nacktem Oberkörper, allesamt mit durchschlagskräftigen Waffen in den Händen.

»Beim Engel!«, fluchte Marcus.

»Die sehen nicht aus wie zahlende Passagiere«, meldete sich der Claptrap-Roboter aus dem hinteren Teil des Busses mit zitternder Stimme zu Wort. »Ich rate davon ab, sie an Bord zu lassen.«

Marcus, der sich mit solchen Situationen auskannte, blickte zuallererst auf die Waffen der Banditen. Der Bruiser rechts außen trug ein eridianisches Blastergewehr, ein Stück außerirdischer Technologie, das Energiekugeln verschoss; die anderen vier waren von rechts nach links mit einer GPR330-Schrotflinte – Spitzname »Schmerzhafter Tod« –, einem Punishing Pounder von Dahl, einem Tedidore-Genoice-Guardian und einem Sentinel-Gewehr von Hyperion bewaffnet. Es kostete Marcus nur ein paar Sekunden, die Waffen in seinem mentalen Katalog nachzuschlagen. »Scheiße! Das sind genau die Bastarde, denen ich heute nicht begegnen wollte.«

»Sie sollten Gas geben!«, schnappte die Frau. »Überfahren Sie sie, und dann nichts wie weiter!«

Marcus hatte gerade erwogen, genau das zu tun, aber ihr Ton war so verächtlich, dass er in Versuchung geriet, das genaue Gegenteil zu tun und den Rückwärtsgang einzulegen. Da sah er, wie der Bruiser seinen Blaster hob und auf den Bus richtete. Sobald dieser mordende Wahnsinnige sie ins Visier bekam, würden sie ihm nicht ausweichen können – nicht, wenn sie rückwärtsfuhren!

Marcus rammte seinen Stiefel auf das Gaspedal.

Der Bus machte brüllend einen Satz nach vorne, auf die Psychos zu, und fast gleichzeitig verschwand ein Stück der Windschutzscheibe rechts von ihm. Glassplitter und Stücke der zerfetzten Schutzjalousien regneten ins Innere des Fahrzeugs herein, wobei eines von ihnen Marcus’ Wange aufritzte und ein zweites sein Ohrläppchen streifte. Die nächsten Schüsse trafen den Motor, dann begannen die Psychos, sich zu verteilen. Sie schafften es, noch rechtzeitig von der Fahrbahn zu springen – alle bis auf den kleinsten, der in der Mitte gestanden hatte.

Die Vorderreifen des Busses walzten ihn nieder und pressten noch einen langgezogenen, mitleiderregenden Schrei aus seinen Lungen, bevor sie ihn zermalmten.

Ein Psycho-Kadaver mehr für die Müllfresser, dachte Marcus mit einem Grinsen.

Rauch stieg vom Motor auf, und er machte ein Tschuck-Tschuck-Geräusch, das er noch nie von sich gegeben hatte. Aber zumindest fuhren sie weiter …

… bis der Bus unter dem Einschlag eines eridianischen Energiegeschosses erzitterte und einer der hinteren Reifen zerplatzte. Das schwerfällige Fahrzeug neigte sich in übelkeiterregendem Winkel auf die Seite, während Marcus mit dem Lenkrad kämpfte, dann sprang ein kleiner Hügel aus Sträuchern und Felsen von vorne auf sie zu, und das Gefährt kam mit einem so heftigen Ruck zum Stehen, dass Marcus sich am Steuer festhalten musste, um nicht durch die Windschutzscheibe geschleudert zu werden.

Das Gesicht ob seines schmerzenden Rückens verzerrt, richtete er sich wieder auf und blickte erst auf die Armaturen, dann aus dem Fenster. Der Motor war abgestorben, Dampf und Rauch stiegen davon hoch, und die gesamte Front war eingedrückt, aber soweit Marcus es von seiner Position aus sagen konnte, schien es kein Totalschaden zu sein.

Er versuchte, den Motor wieder zu starten, aber die Antwort bestand nur aus einem Tschuck-Tschuck und dann nichts mehr. Marcus stand auf und griff nach der Waffe, die er links vom Fahrersitz festgeschnallt hatte. Es war eine ZX10/V3 Detonating Hammer, eine Kampfschrotflinte von Vladof. Anfangs hatte er überlegt, ob er einen Raketenwerfer mitnehmen sollte, aber solche Kaliber schienen einige der zeitweiligen Besucher auf Pandora nervös zu machen. Aber was zur Hölle erwarteten sie auch? Unter all den Planeten dieser Galaxie, die eine atembare Atmosphäre hatten, stand dieser hier in dem Ruf, der gefährlichste zu sein. Er hätte wirklich die großen Geschütze mitnehmen sollen – und einen zusätzlichen Schild. Der einzige Energieschild, den er im Bus gehabt hatte, war auf dem Weg zum Raumhafen durchgebrannt. Billige Massenware, keine Markenqualität.

Marcus öffnete die Tür und blickte kurz über die Schulter, um nachzusehen, ob seine Passagiere noch lebten. Sie waren ein wenig derangiert, aber sie waren nicht tot. Gut. Er hasste es, Blut und Eingeweide aus dem Bus schrubben zu müssen. Zum Glück war das nicht oft nötig, nur ein paarmal pro Jahr.

Der Claptrap hinten im Bus sprang auf und ab, so aufgeregt war er. »Halloooo! Das ist nicht Teil der Reiseroute!«

Der junge, tätowierte Abenteurer fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen, während er zwischen den Metalljalousien hindurch aus den verstaubten Fenstern spähte. »Wo … wo sind sie? Du hast einen erwischt, aber …«

»Sie sind da draußen, nicht weit hinter uns«, erklärte Marcus noch, bevor er aus dem Bus kletterte.

»Dann solltest du diese Tür sofort wieder schließen!«

»Wie soll ich sonst herausfinden, ob wir noch weiterfahren können, du selten dämlicher Sohn einer Skag?«, rief Marcus zurück, als er einen Fuß auf den steinigen Grund setzte. Er überprüfte seine Schrotflinte und eilte, hustend vor Staub und Rauch, nach vorne zum Motor. Man konnte zwar einige Funken fliegen sehen, aber alles in allem sah der Antrieb noch intakt aus. In der nächsten Werkstatt würde man ihn sicher wieder reparieren können. Jetzt brauchte er nur noch Hilfe, um ihn erst einmal bis zur nächsten Werkstatt zu bringen.

Die Flinte schussbereit erhoben, musterte Marcus seine Umgebung, dann spähte er den Highway hinab, der sich ungefähr zehn Meter hinter dem Heck des Busses dahinzog. Psychos waren keine zu sehen, aber er wusste ganz genau, dass sie noch dort draußen waren. Offenbar legten sie sich gerade eine Taktik zurecht, aber es konnte nicht lange dauern, bis sie wieder anrückten. Sie schienen schlauer zu sein als der Durchschnitts-Psycho – die meisten von ihnen wären sofort wieder schreiend herbeigestürmt. Aber der Bruiser wusste vermutlich, dass es an Bord des Busses Waffen gab, und wenn sie wieder angriffen, würden sie wahrscheinlich über die Flanken vorrücken.

Marcus überprüfte seinen ECHO-Kommunikator. Noch immer keine Antwort aus Fyrestone. Nicht, dass die Meldungen von dort sonderlich zuverlässig waren.

Er fluchte lautlos, als er zurück in den Bus kletterte und die Tür schloss, dann zwängte er sich wieder auf den Fahrersitz und schaltete hastig den Transmitter ein. Dieser Sender hatte ein wenig mehr Reichweite als der ECHO-Komm, und nachdem er, vor Schmerzen zusammenzuckend, die Frequenz eingetippt hatte, beugte er sich über den Lautsprecher und sagte: »Kann mich irgendjemand hören? Fyrestone?«

Die einzige Antwort bestand aus einem Rauschen.

Als Nächstes richtete er den Transmitter auf die T-Bone Junction aus. Soweit er wusste, arbeitete Scooter dort, und wenn man auf Pandora einen Fahrzeugnotfall hatte, dann gab es keinen Besseren, den man um Hilfe bitten konnte. Zumindest, wenn man ihn nüchtern erwischte.

»Scooter! Hier ist Marcus. Empfängst du mich? Bist du da?«

Wieder erklang ein Knistern, dann: »He, Marcus, du alter Halsabschneider«, plärrte Scooters Stimme über den ECHO, verzerrt von einem nicht genau identifizierbaren Hinterwäld­lerakzent. »Ist dein Bus schon wieder in ’nem Schlagloch steckengeblieben?«

»Ich bin auf ein paar Psychos gestoßen. Einen hab ich zerquetscht, aber es sind noch immer vier von ihnen übrig, und ich kann niemanden aus Fyrestone erreichen. Die Verbindung ist im Eimer. Du bist der Einzige, zu dem ich durchkomme!«

»Tja, dann ab zum nächsten Catch-A-Ride, Junge!«

»Ich bin meilenweit von der nächsten Station entfernt, verflucht noch mal! Zu Fuß schaff ich das nicht, ohne dass meine Passagiere ins Gras beißen. Und du weißt ja, was die vom Raumhafen dann immer gleich für ein Theater machen!«

»Da verkauf mir doch einer Höllenfeuer und behaupte, es wär Honig! Ich werd versuchen, ob ich Hilfe für euch auftreiben kann. Mal sehen, wen ich ans Horn kriege. Könnt aber ’n bisschen dauern. Ihr solltet also besser die Köpfe einziehen und jeden Psycho erschießen, der euch zu nah kommt. Und alles, was sich da sonst noch rumtreibt, gleich mit. Skags vermutlich. Da draußen, zwischen dem Raumhafen und der Stadt, könnten sogar ’n paar Feuer-Skags die Gegend unsicher machen. Und ’n paar Tarantellas. Könnten aber auch Skrappies sein, und dazu ’n hübscher, stinkender Rakk oder zwei. Ganz zu schweigen von den hungrigen, alten Krabbenwürmern …«

»Sie kommen!«, schrie der Junge, seine Stimme heiser vor Furcht. »Die Psychos! Da draußen, auf der linken Seite des Busses!«

»Scooter!«, sagte Marcus. »Hör mir zu! Du musst uns Hilfe und eine Reparaturmannschaft schicken!«

»Wie gesagt, ich werd mich drum kümmern, aber es wird ’ne Weile dauern, bis jemand euch da draußen erreicht, Partner. Wir machen so schnell, wie wir können. So schnell wie ’ne geölte …«

Eine Gewehrkugel sauste zwischen den gepanzerten Jalousien hindurch und zerschmetterte das Seitenfenster.

»Scooter! Kannst du anhand dieses Signals meine Koordinaten bestimmen?«

»Ja, ich hab eure Position. Du musst se nur ’n bisschen länger auf Distanz halten, alter Kumpel. Wir tun, was wir können. Wirklich schnell wird’s nicht gehen, aber wenn ihr überlebt, dann muss ich dir natürlich trotzdem ’ne schöne Stange Geld in Rechnung stellen, das ist dir klar, oder? Für die …«

Marcus schaltete den Transmitter ab und duckte sich, keinen Sekundenbruchteil zu früh. Das Fenster neben dem Fahrersitz explodierte nach innen, gefolgt von einer Energiekugel, die ihm die Haarspitzen versengte, als sie über ihm hinwegraste und dann rechts von ihm detonierte. Splitter der zerschmetterten Jalousien-Platten wirbelten ihm um die Ohren.

»Schon jemand gestorben?«, schrie er, während er über die Rückenlehne seines Sitzes zu den beiden Passagieren nach hinten linste.

»Kann nicht mehr lange dauern, wenn wir nicht endlich zurückschlagen!«, rief die Frau energisch zurück. »Ich sage, wir gehen raus und erledigen sie! Solange ich bei euch bin, haben wir vielleicht sogar eine Chance!« Sie hatte sich zwischen zwei Sitzbänken zusammengekauert, aber ihr Kopf unter dem Helm und der Schutzbrille tauchte gerade lange genug über der Rückenlehne auf, um vier Mal mit ihrer Pistole durch das zerstörte Fenster zu schießen. »Verdammt! Ich glaube, ich habe den Drecksack verfehlt … Nein! Das war ein Treffer! Ich hab den Bruiser erwischt … Oh, Moment. Er steht wieder auf. Ich habe ihn nur verwundet.« Sie duckte sich wieder nach unten, als ein halbes Dutzend Kugeln in die gepanzerte Seite des Busses schlugen.

»Haben Sie vielleicht ein paar Schilde, Lady?«, fragte Marcus.

»Nein, eigentlich wollte ich welche von Ihnen kaufen!«

»Und die können Sie auch kriegen, so viele Sie wollen. Nur leider sind die drüben in Fyrestone. Hier im Bus hatte ich nur einen, und der hat den Geist aufgegeben, als ich zum Raumhafen rübergefahren bin.«

Jakus hatte sich flach auf den Boden gepresst, und nun heulten drei weitere Energiegeschosse über ihm durch den Bus. Dann platzte ein Reifen. »Was sollen wir nur tun?«, schrie der junge Abenteurer. »Fahrer? He! Irgendwelche Vorschläge?«

»Hör zu, du Amateur …«, begann die Frau und drehte sich zu ihm herum.

»Ich bin kein Amateur!«

»Okay, dann beweis es! Geh da raus und biete ihnen die Stirn! Wenn du auf diesem Planeten überleben willst, dann musst du in der Lage sein, allein eine Handvoll Psycho-Banditen auszuschalten! Du hast ein Gewehr! Ich habe nur meine Pistole!«

»Ja, also, äh … Warum schicken wir nicht erst den Roboter nach draußen?«

»Das gehört nicht zu den empfohlenen Einsatzmöglichkeiten für meine Hardware!«, protestierte der Claptrap mit schriller Stimme. »Meine Garantie ist abgelaufen! Halloooo!«

Marcus schüttelte ungeduldig den Kopf. »Die Roboter sind keine Kämpfer, Junge. Für so was wurden die nicht gebaut.«

»Hör zu, Jakus«, fuhr die Frau fort, »wenn du mir dein Gewehr gibst, kümmere ich mich um die Banditen. Aber dann gehst du besser zum Raumhafen zurück, wenn das hier vorbei ist. Falls du nicht den Mumm hast, zu kämpfen, bist du auf Pandora schon so gut wie tot!«

Marcus blickte zu Jakus hinüber, sah, wie er auf seiner Unterlippe herumkaute. Schließlich nickte der Amateur-Abenteurer, und nachdem er sein Gewehr in die Hände genommen hatte, stand er auf und ging nach vorne zur Tür. Seine Stimme war heiser, als er erklärte: »Ich mach das.«

»Du könntest ebenso gut vom Bus aus gegen sie kämpfen«, warf Marcus ein.

»Ich … will mal sehen, ob ich mich an sie heranschleichen kann. Wenn ich den Großen von hinten erledige, kann ich vielleicht …«

Marcus zuckte mit den Schultern und öffnete die Tür. Wenn auch sonst nichts, der Junge würde die Psychos zumindest eine Weile beschäftigen.

Jakus sprang aus dem Bus, dann blickte er sich mit zuckendem Gesicht um und rannte in Richtung des kleinen Hügels los, vornübergebeugt, das Gewehr feuerbereit auf Hüfthöhe. Einen Moment später hatte Marcus ihn schon aus den Augen verloren.

Mehrere Sekunden vergingen, bevor schließlich ein Donnern erklang, begleitet von einem Lichtblitz … und dann flog etwas über die Erhebung. Etwas, das wie eine nasse Kanonenkugel auf die Motorhaube des Busses klatschte.

Es war Jakus’ Kopf, am Hals vom Körper gebrannt, und als er herumrollte, starrten seine blicklosen Augen direkt in Marcus’ Gesicht.

»Das habe ich nicht gemeint, als ich sagte, er soll ihnen die Stirn bieten«, kommentierte die Frau trocken. »Verdammte Amateure.«

Marcus seufzte. »Dummes Kind! Aber wenigstens wissen wir jetzt, wo ein paar von denen stecken.«

»Mist, ich hätte sein Gewehr nehmen sollen«, knurrte seine verbliebene Passagierin, während sie angewidert den Kopf schüttelte. »Wie wär’s, wenn Sie mir die Schrotflinte rüberwerfen? Sie können auch meine Pistole haben. Die Vladof kriegen Sie später wieder.«

Sie kannte sich also mit Waffen aus. Wer zum Teufel war diese Frau? »Und wenn Sie erschossen werden? Glauben Sie, die Psychos werden mir die Vladof auch zurückgeben? Wohl kaum, Lady. Vergessen Sie’s!«

»Also gut. Aber wenn wir nur hier herumsitzen, jagen sie den Bus in die Luft – und uns gleich mit.« Sie schob sich näher an die Tür heran. »Ich für meinen Teil werde nicht darauf warten, in diesem Schrotteimer zu verbrennen. Machen Sie es sich ruhig hier gemütlich. Ich werde sehen, ob ich nicht ein oder zwei von ihnen erledigen kann. Vielleicht verlieren die anderen dann den Mut und kommen nicht näher.«

»Moment, verdammt noch mal! Genug von dieser falschen Höflichkeit! Wir gehen gemeinsam raus und halten uns dicht beim Bus. Und jetzt kommen Sie!« Marcus nahm die Schrotflinte auf und sprang als Erster durch die Tür; die Frau folgte ihm dichtauf, die Pistole schussbereit.

»Ich bleibe hier und passe auf den Bus auf!«, rief ihnen der Claptrap hinterher. »Ah-ha, ja. Dieser Sitz muss übrigens gereinigt werden. Ich werde das gleich vormerken.«

Marcus sah sich um, aber die Psychos hatten wohl die Köpfe eingezogen. Er deutete auf eine Stelle ein wenig rechts des kleinen Hügels, wo sie sich hinter einem Felsen zusammenkauern konnten, und als die Frau nickte, setzten sie sich rasch in Bewegung, um an diesem Punkt in Position zu gehen.

Marcus kletterte über die vordere Stoßstange des Busses, dessen Motor noch immer Rauch und Dampf spie, und als er auf der anderen Seite wieder auf den Boden hinabstieg, sah er plötzlich einen Psycho, der hinter dem Hügel hervorgerannt kam, den Körper in der Hüfte nach vorne geknickt. Der Bandit entdeckte ihn im selben Moment und schien nicht minder überrascht als der Busfahrer.

Marcus feuerte seine Schrotflinte ab. Der Treffer aus nächster Nähe sprengte dem Psycho den Schädel von den Schultern. »Auge um Auge, Kopf um Kopf«, murmelte er, während der Bandit vor seinen Füßen tot in den Staub kippte. Da hörte er ein Geräusch. Er hob den Kopf und sah einen weiteren Psycho, der eine X-förmige Narbe quer über der Brust hatte. Der Kerl drückte instinktiv ab, aber die Kugel zischte über Marcus’ Schulter hinweg. Er sprang nach hinten, als der Busfahrer das Feuer erwiderte. Dieser Schuss ging ebenfalls daneben, aber dann erklang plötzlich das Krachen einer Pistole. Der Bandit war direkt in die Schusslinie der Frau zurückgewichen, genau wie Marcus gehofft hatte.

Er machte sich nicht die Mühe nachzusehen, ob der Bandit tot war. Diese Lady wusste, was sie tat. Stattdessen griff er nach der Waffe des ersten Psychos und drehte sich noch einmal zu seinem Bus herum. Ein Fluch entfloh seinen Lippen. Die Kugel, die ihn verfehlt hatte, war in den abgetrennten Schädel auf der Motorhaube gerast und hatte ihn in Fetzen gerissen, sodass die Reste der Windschutzscheibe und das Innere dahinter nun mit blutigen Fetzen übersät waren.

»Bis ich die Schweinerei saubergemacht hab, geht die Sonne wieder auf«, brummte er, anschließend kletterte er erneut über die Stoßstange und machte sich auf die Suche nach der Frau.

Auf der anderen Seite des kleinen Hügels flackerte Licht, dann leuchtete kurz der Umriss einer weiblichen Gestalt auf. Gleichzeitig taumelte ein Psycho leicht verwundet nach hinten, und als die Frau plötzlich verschwand, warf er sich hinter einem Felsstück in Deckung.

Wo war sie hin? Es hatte ausgesehen, als wäre sie einen Augenblick lang unsichtbar geworden …

Nein, das konnte nicht sein! Es war Abenddämmerung, die Dunkelheit senkte sich über das Land, die Schatten wurden länger. Gewiss hatte er sich das nur eingebildet.

Im nächsten Moment stand sie plötzlich hinter Marcus und tippte ihm auf die Schulter. »Wir gehen besser zurück in den Bus.«

Er öffnete den Mund, um sie zu fragen, was da gerade geschehen war, aber die Art, wie sie sich von ihm abwandte, zeigte ihm, dass sie nicht in der Stimmung für Erklärungen war. Also folgte er ihr stumm zu dem rauchenden Fahrzeug zurück.

Was ging hier vor sich? Hatte er wirklich gerade gesehen, dass sie unsichtbar geworden war? Und wie hatte sie so schnell hinter ihm wieder auftauchen können?

Sie stiegen in den Bus und schlossen die Tür hinter sich.

»Bin ich … bin ich jetzt in Sicherheit?«, wollte der Claptrap wissen.

Marcus ignorierte den Roboter und blickte stattdessen auf den ECHO. Es waren zwar keine neuen Nachrichten angekommen, aber Scooter hatte ihm zugesichert, dass er Hilfe schicken würde, und all seinen exzentrischen Anwandlungen zum Trotz, auf sein Wort konnte man sich in der Regel verlassen.

Marcus trug seine Schrotflinte zu einem Sitz ein paar Bänke weiter hinten und kauerte sich an der Stelle zusammen, wo er die beste Deckung hatte. Den Kopf tief zwischen die Schultern gezogen, spähte er durch die Jalousien aus dem Fenster, aber er konnte draußen keine Bewegung erkennen. »Ich seh niemanden. Den Psycho hast du angeschossen, und falls du den Bruiser auch verletzt hast, wie du vorhin sagtest …«

Die Frau nickte, während sie sich auf der anderen Seite des Mittelganges hinsetzte. »Ja. Ich schätze, sie werden jetzt erst einmal ihre Wunden lecken.«

»Das ist ja widerlich!«, entfuhr es dem Claptrap.

»Es ist nur eine Redewendung«, erklärte sie geistesabwesend, bevor sie, an Marcus gewandt, hinzufügte: »Sie werden ihre Wunden verbinden und überlegen, wie sie an uns herankommen. Vermutlich werden sie kurz vor dem Morgengrauen wieder zuschlagen.«

Marcus nickte. »Mein Instinkt sagt mir dasselbe. Mit ein bisschen Glück wird Scooters Hilfe bis dahin schon hier sein.«

Die Zeit verging – aber vermutlich nicht sehr viel. Eine Minute fühlte sich an wie eine Stunde, während sie dasaßen und auf einen weiteren Angriff warteten.

Schließlich meinte die Frau: »Ich glaube nicht, dass ich schlafen kann. Wie wäre es mit einer Geschichte?«

»Ja, bitte, erzählen Sie eine Geschichte!«, schrillte der Claptrap. »Kennen Sie die von dem tapferen, kleinen Claptrap?«

Die Kriegerin verdrehte die Augen. »Sie haben vorhin Gynella erwähnt … und Roland. Ich würde gern mehr darüber hören.«

»Möchtest du, hm?« Warum interessierte sie sich so sehr für Gynella und Roland, überlegte Marcus. Dann sagte er: »Also schön. Ich hab ein paar Vorräte im Bus. Wir können was essen und trinken, und dabei erzähl ich dir ’ne Geschichte. Eine wahre Geschichte, soweit ich es weiß. Es geht um Roland und darum, was geschah, als er und Mordecai und Brick sich zusammentaten und … ach! Das ist alles schon ’ne ganze Weile her. Aber so lang auch wieder nicht, wenn ich es mir recht überlege. Nun, wie so viele Geschichten begann es jedenfalls in Fyrestone. An einem ganz bestimmten Tag, als Roland dort auftauchte. Er war auf der Suche nach jemandem …«

EINS

Roland blinzelte gegen das Licht des Mittags, das von dem Schrottmetall ringsum zurückgeworfen wurde, und sprang aus seinem zerkratzten, verbeulten, von Streifschüssen geschwärzten Outrunner. Ein Gefühl der Ungläubigkeit überkam ihn, als er die von der Sonne gebackene, staubige Hauptstraße von Fyrestone auf und ab blickte.

Er konnte es kaum fassen, dass es ihn wieder hierher verschlagen hatte.

Ein Großteil der Siedlung erinnerte an ein Eingeborenendorf – mit runden Hütten und Kuppeln, nur dass die Häuser aus rostbeflecktem Metall bestanden und viele von ihnen torartige Stahltüren besaßen und große Zahlen auf ihre Seiten gemalt waren. Einige schienen aus Trümmern alter Lieferraumschiffe und handverlesenen Schrottteilen gebaut, die man so zusam­mengeschweißt hatte, dass sie ungefähr die Form von Läden oder behelfsmäßigen Wohnunterkünften annahmen. Andere Häuser sahen nach Fertigbauten aus; vermutlich hatten Schürfer und Glücksritter auf der Suche nach der Kammer sie mitgebracht, oder es waren von Robotern zusammengesetzte Wohnbausätze. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, diese Behausungen zu dekorieren, aber in Fyrestone gab es ohnehin mehr Gräber als Einwohner.

Was für ein Drecksloch. Aber irgendwie, dachte Roland, während er die Straße hinabschlenderte, die Hand am Griff seiner Schrotflinte und den Lauf lässig gegen die Schulter gelehnt, scheint hier immer alles zu beginnen.

Falls er seiner Quelle in New Haven trauen durfte, würde er hier Skelton Dabbits finden, den Bergbauingenieur, der die orbitalen Scans in die Finger bekommen hatte. Die Energiesignaturen auf diesen Scans zeigten angeblich Crystaliske – irgendwo hinter der Gegend, die als Eridian Promontory bekannt war.

Roland jagte Crystaliske, sie waren Teil seines Pensionsplans. Er hatte vor, einen Haufen Eridiumkristalle zu sammeln und sich dann mit dem Erlös nach Xanthus abzusetzen – eine Wasserwelt und das genaue Gegenteil dieses staubigen Planeten. Dort würde er dann ein paar alte Freunde besuchen, vielleicht einen Laden für Sportangler aufmachen … Früher, auf seiner Heimatwelt, war er gerne zum Angeln gegangen und hatte so manchen großen Brocken aus dem Wasser gezogen. Davon abgesehen hatte er einfach die Schnauze voll von Pandora. Doch ein neues Leben anzufangen, das kostete Geld, und zwar nicht wenig. Ein paar Crystaliske würden ihm vielleicht genau den Wohlstand verschaffen, den er brauchte.

Er hörte sich unter den Einwohnern um, und sie wiesen ihm den Weg zu einer Seitengasse – eigentlich war diese Beschreibung schon zu schmeichelhaft – abseits der Hauptstraße von Fyrestone, wo sich eine kleine, halbkugelförmige Hütte aus maschenartigem Metall erhob.

Skelton Dabbits saß vor seinem Heim in der Sonne auf einem großen Skag-Schädel, den er als Hocker benutzte. Die Bergarbeiterkluft, die der spindeldürre, kleine Mann trug, war mehr als ein paar Nummern zu groß für ihn; sie hing an ihm herab wie von einem Kleiderständer. Das Haar auf seinem fast kahlen, sommersprossigen Schädel war dünn, und das Gleiche galt auch für seinen Bart. Der alte Kauz war damit beschäftigt, abwechselnd an einem Flachmann zu nippen und auf geräucherten Bullymong-Hoden herumzukauen. Als Roland näher kam, blickte Dabbits durch seine grüngetönte Schutzbrille zu ihm auf, aber er schien nicht überrascht, ihn zu sehen. Offenbar hatte er die Nachricht erhalten, die Scooter in Rolands Namen geschickt hatte.

Der alte Mann fragte: »Bist du er?«

»Ich bin Roland, falls das der er ist, den du meinst.«

»Das ist er! Roland!«

»Und du bist Skelton Dabbits?«

»Falls ich der du bin, den du meinst – yep. Skelton Dabbits, durch und durch! Willste einen Schluck?« Er hielt ihm den Flachmann hin. »Hab ’n bisschen echtes Narco-Öl druntergemischt. Schön süß. Könnt dich aber vielleicht ’n bisschen schläfrig machen.«

»Nein, danke. Wie viel willst du für die Scans?«

Dabbits zuckte leicht zusammen und blickte rasch in beide Richtungen die Straße entlang, bevor er antwortete. »Nich so laut, wenn du darüber reden willst, Mister! Ich hab diese Schätzchen aus dem Computer meines letzten Arbeitgebers geklaut. Und was das Wieviel angeht, das will wohl überlegt sein. Um die Wahrheit zu sagen, ich überleg noch immer.« Er salutierte Roland mit seinem Flachmann, dann nahm er einen weiteren Schluck, und sein Kopf sackte ein Stück weiter in seinen Nacken. Eine Weile starrte er in den Himmel hinauf, so, als könnte er durch die Atmosphäre hindurch einen anderen Planeten sehen …

»Dabbits!«, sagte Roland mit schneidendem Ton.

Sein Kopf ruckte herum. »Was? Wo?«

»Die Scans, Mensch! Wie viel?«

»Ich hab doch gesagt, dass ich noch drüber nachdenk. Billig wird’s aber nich. Ich bin ’n großes Risiko eingegangen. Und wer weiß, vielleicht ham die schon rausgefunden, dass ich in den Zentralrechner eingebrochen bin und die Scans ausgedruckt hab. Sobald die das spitzkriegen, werden diese Mistkerle von Dahl Jagd auf mich machen. Aber die Sache is nun mal die: Sie haben mich gefeuert, und das war nich fair. Ungerecht war das. Also hab ich die Scans geklaut, um es denen heimzuzahlen.«

Roland fragte sich, wie vertrauenswürdig Dabbits wirklich war. »Warum genau haben sie dich denn gefeuert?«

»Oh, die ham behauptet, ich wär so ’n Narco-Abhängiger. Nur weil ich während ’nem Flug mit dem Bergbau-Hopper kurz eingenickt bin. Der Hopper ist abgestürzt, direkt in ein … aber das hat nix mit der Sache zu tun.«

Roland zuckte mit den Schultern. »Ich gebe dir dreihundert für die Scans, dafür verlange ich auch nicht, vorher einen Blick darauf zu werfen.«

»Dreihundert! Vergiss es, Freundchen! Weißte eigentlich, wie gefährlich es war, die Nachricht zu verbreiten, dass ich die Crystalisk-Scans anbiete? Außerdem sind die Daten ein Volltreffer. Du wirst ’n Vermögen damit machen, und dann wirste dich scheckig lachen, weil du ’nem alten Narren die Scans für ’n Almosen abgekauft hast.«

»Wenn das wirklich so eine Goldgrube ist, warum gehst du dann nicht los und streichst die Reichtümer selbst ein?«

»Weil das ’ne gefährliche Gegend is! Zum einen führt der Weg direkt durch das Territorium der Göttergeneralin. Die schießt alles vom Himmel, was vorbeifliegt. Mit ’nem Orbitalshuttle oder nem Hopper würd’s natürlich funktionieren, aber versuch mal, einen zu finden, der dich dahinfliegt. Keine Chance. Viel zu gefährlich. Also bleibt nur der Weg über Land. Und seh ich aus, als könnt ich so ’ne Reise auf mich nehmen? Ich bin Ingenieur, kein Kämpfer. Sobald ich die Scans verkauft hab, verschwind ich von diesem Höllenloch von einer Welt. Ich kenn da ’nen freundlichen, ruhigen Planeten, wo Narco-Gras wächst, so weit das Auge reicht. Richtiges Qualitäts-Narco, verstehste? Ich werd das Zeug pflücken wie Gänseblümchen …«

»Dabbits? Ich gehe hoch auf fünfhundert.«

»Fünfhundert? Das is nich mal die Hälfte von dem, was ich brauch, um den Flug zu bezahlen!«

Weitere fünf Minuten des Feilschens später einigten sie sich schließlich auf eintausend. Roland bezahlte Dabbits und lehnte dankend ab, als der alte Mann ihm die Tüte mit den Bullymong-Hoden als kostenlose Zugabe anbot, dann nahm er die Scans und machte sich auf den Weg zurück zu seinem Outrunner.

Wieder auf der sonnenbeschienenen Hauptstraße, setzte er sich hinter das Steuer – der Outrunner war ein Zweisitzer mit einem zusätzlichen Platz für den Kanonier des Geschützes am Heck – und breitete die halbdurchsichtigen Scanblätter so auf seinem Schoß aus, dass niemand, der in seine Richtung blickte, sie sehen konnte. Nachdem er die Scankarte mit zusammengekniffenen Augen eine Weile gemustert hatte, nickte er. Die Crystalisk-Höhle – die größte Konzentration dieser Kreaturen, die bislang auf dem Planeten entdeckt worden war – war mit Dabbits krakeliger Handschrift markiert, und Roland wusste genug über Energiesignaturen, um die Farblinien zu erkennen, um die der alte Mann einen Kreis gezogen hatte. Es sah wirklich echt aus – Eridium, das sich bewegte und das durch das Gebiet wanderte. Das konnte nur eines bedeuten: Crystaliske.

Das Problem war, der Eingang zu dem Höhlenkomplex lag südwestlich des Eridian Promontory, und der einzige Weg dorthin führte durch Wüste, noch mehr Wüste und über einen hohen Bergzug. Es stimmte, dass keine Hopper in diese Richtung flogen, Dabbits hatte also nicht gelogen. Roland würde mit seinem Outrunner den Weg über Land nehmen müssen. Was bedeutete, dass er es mit unzähligen Banditen und vielleicht sogar mit der Armee der Göttergeneralin zu tun bekommen würde. Wegen der Banditen machte er sich keine Sorgen – aber eine ganze Armee? Um damit fertig zu werden, würde er ein paar fähige Kämpfer an seiner Seite brauchen.

Soweit er wusste, war Brick drüben in der Siedlung bei Jawbone Ridge und arbeitete dort als Leibwächter für irgendeinen Bergbauleiter. Das wäre ein Anfang. Immerhin zählte Brick ja fast schon für zwei.

Falls Roland ihn mit auf diese Crystalisk-Jagd nahm, musste er natürlich auch den Gewinn mit ihm teilen, aber der Stärke der Farbsignaturen nach zu schließen, sollte es dort draußen mehr als genug Eridiumkristalle geben.

Smartun wartete auf seine Göttin.

Er war ein Mann von mittlerer Größe, mit durchdringenden schwarzen Augen, davon abgesehen aber eher unauffälligen Gesichtszügen, und im Moment stand er an eine Wand im Schatten des Devil’s Footstool-Kolosseums gelehnt. Gynella hatte dieses wackelige Bauwerk auf dem Footstool – der Fußbank des Teufels – in eine zeitweilige Festung umgewandelt.

Sein Herz klopfte wild vor Aufregung, während er auf die Generalin wartete, aber nach außen hin gab er sich gelassen, die Arme waren vor seiner metallenen Brustplatte verschränkt. Nicht weit über der windumtosten Felsspitze zogen mehrere Rakks ihre Bahnen am Himmel, und wenn Smartun nach rechts blickte, am Rand der Klippe vorbei, konnte er die weiße, glühende Wüste unter dem Devil’s Footstool sehen – die Salt Flats.

Die Hitze waberte über dieser Salzebene, aus der die hohe Säule des Footstools mit seiner wie abgeschnitten wirkenden Spitze hinausragte, und diese Verwirbelungen taten das Ihre, um den fernen Horizont zu verbergen – gemeinsam mit dem umherwirbelnden Staub und einem nicht näher definierbaren Dunst, der aussah, als hätte die schiere Verzweiflung in dieser Gegend Gestalt angenommen.

Von der anderen Seite des Paradeplatzes drang ein gedämpfter Ruf an Smartuns Ohren, und er drehte den Kopf in Richtung der Baracken. Die Männer dort drüben schienen ein wenig rastlos zu sein. Die Baracken gehörten zu den jüngsten Anbauten an das Kolosseum, ein großes Metallgebäude, das von seiner Form eher an eine Wellblechhütte erinnerte und jene zweihundert Soldaten beherbergte, die das Herzstück von Gynellas Miliz bildeten.

Der Wind ächzte und scheuchte Staubfahnen vom Paradeplatz auf; dann flog die Metalltür am Eingang zur neuen Unterkunft der ersten Division auf, unvermittelt und mit einem lauten Knall. Einen Moment später begannen die Psycho-Banditen und andere Totschläger, die sich der Division angeschlossen hatten, lärmend auf den Platz hinauszuströmen, begleitet von Gejohle und ihren standardmäßig ausgestoßenen Verwünschungen.

Smartun schnaubte abfällig. Ob es ihm gefiel oder nicht – und es gefiel ihm nicht –, das waren jetzt seine Männer. Doch solange sie da war, würde er sich damit abfinden.

Er war noch relativ neu auf dieser Welt. Weil er auf Red Ferrous Drei wegen Einbrüchen, Taschendiebstahls und Menschenhandels gesucht wurde und man in den Mudball-Kolonien wegen »Verdächtigem Schleichen« und »Unmoralischem Betrug« einen Preis auf seinen Kopf ausgesetzt hatte, war er auf den einzigen Planeten geflohen, den die galaktischen Gesetzeshüter aufgegeben hatten. Das unterschied ihn von den Psychos und Bruisern und all den anderen verrückten Totschlägern, die die Borderlands von Pandora unsicher machten. Er war noch nicht lange genug hier, sodass die merkwürdige Strahlung aus der Headstone-Mine, die subtileren Ausstrahlungen der Eridium-betriebenen Werkzeuge und Waffen sowie der bewusstseinsverzerrende Effekt des Kammer-Fiebers noch keine Gelegenheit gehabt hatten, seinen Geist zu beschädigen und seinen Körper zu verändern. Folglich funktionierte Smartuns Gehirn trotz seiner soziopathischen Anwandlungen noch vergleichsweise gut, und in der Regel war er auch zu logischen Gedankengängen fähig. Das war auch der Grund, warum die anderen Auswanderer hier – die Kriminellen, die auf der Flucht vor dem Gesetz zu den Psychos von Pandora degeneriert waren – ihn Smartun nannten, wie in »Smart One«, der Schlaue. Den Namen, unter dem er geboren worden war, hatte er fast schon vergessen, aber wenn man Albatoir Anzlesnass hieß, war das in seinen Augen auch gar nicht so schlecht.

Smartun nickte Flugg höflich zu, als der Bruiser, den Gynella zu einem ihrer Sergeants gemacht hatte, aus der Baracke flaniert kam, um die Truppen zu inspizieren. Flugg reagierte nur mit einem finsteren Blick auf den Gruß, bevor er anfing, mit seinem rostigen Hackebeil herumzuwedeln und Befehle in Richtung der Psychos und der anderen Banditen zu bellen – diesem menschlichen Abschaum, den die Göttergeneralin in der Ersten Division ihrer Armee vereint hatte. Es war ein bunt gemischter Haufen, und wie es unter den Wilden auf Pandora üblich war, trug keiner von ihnen ein Hemd oder sonstiges Oberteil. Ihre Körper waren muskulös, teils von willkürlichen Deformierungen entstellt, und sie stanken fürchterlich. Einige der Psychos hatten ihr Gesicht zudem unter Schutzbrillen und Masken verborgen.

Doch in einem Punkt hatten sie sich der Einheitlichkeit gebeugt, die man von einer Armee erwartete: Jeder von ihnen trug ein Bild auf der Brust, ob nun tätowiert oder auf einen kruden Stofffetzen gemalt, den sie sich über den Oberkörper geschlungen hatten. Es war der Buchstabe G in tiefem Scharlachrot, so verzerrt, dass er der Seitenansicht eines Totenschädels ähnelte, und darunter die Silhouetten zweier überkreuzter Gewehre.

Es dauerte mehrere Minuten, aber schließlich gelang es Flugg, die Truppen in fünf beinahe geraden Reihen aufzustellen, die Gesichter dem Eingang der Kolosseumsfestung zugewandt. Keine Sekunde zu früh, denn da öffnete sich auch schon knirschend die Doppeltür der Festung, und heraus trat Gynella höchstpersönlich, die »Göttergeneralin« der Armee von Pandora. Sie war mindestens einen Kopf größer als Smartun, und obendrein breitschultriger, muskulöser, körperlich einschüchternder. Dennoch war alles an ihr perfekt proportioniert – eine wunderschöne Frau mit goldener Haut und flachsfarbenem Haar, mandelförmigen Augen, die smaragdgrün schimmerten, vollen Lippen, deren rotes Oval keine Kosmetik brauchte, und einem Gesicht mit starken Knochen   in seiner Form wie dazu gemacht, um von den Händen eines Mannes mit seinen Händen eingerahmt zu werden. Gekleidet war Gynella in einen roten Seidenumhang und einen eng anliegenden, tief ausgeschnittenen und leicht gepanzerten Bodysuit in Schwarz und Silber, auf dem ebenfalls in tiefem Rot ihr Schädel-G und die überkreuzten Gewehre prangten. Ihre kräftigen, sonnengebräunten Schenkel – Smartun musste rasch die Augen abwenden, weil ihm bei dem Anblick ganz schwindelig vor Verlangen wurde – waren oben vom schwarzen Rand eines blauschimmernden, winzigen Rocks und unten von kniehohen, schwarz-roten Stiefeln eingefasst. An der rechten Hüfte trug die Göttergeneralin eine eridianische Pistole in einem Holster, von ihrer linken hing ein kurzes Schwert in einer silbernen Scheide. Ihre Hände mit den langen, schlanken Fingern steckten in schwarzen Lederschutzhandschuhen, aus denen nur die blutrot lackierten Fingernägel herausragten. Jetzt gerade trommelten diese Nägel gegen den metallisch glänzenden Rock, während Gynella, eine Hand in die Hüfte gestemmt, vortrat und den Blick über den Grundstock ihrer Armee schweifen ließ.

Oh, Götter in der Höhe und Teufel in der Tiefe, dachte Smartun. Wie ich sie verehre.

An der Seite der Generalin ging der skelettgleiche Dr. Vialle, gekleidet in einen weißen Kittel, in Gummihandschuhe und blutverschmierte weiße Hosen. Dicht hinter den beiden tauchte nun auch Runch Menzes auf, Gynellas hünenhafter Leibwächter, von dem Smartun vermutete, dass er eine Kreation von Dr. Vialle war. Dafür, dass er aus einem Labor stammte, gab es jedenfalls eindeutige Anzeichen. Seine hervorquellenden Augen standen so weit auseinander, dass sie beinahe seitlich am Schädel lagen, sein Mund war ein schmaler Schlitz, der fast den gesamten breiten und schuppigen Kopf teilte, und sein rechter Arm endete nicht in einer Hand, sondern in etwas, das wie die Schere eines riesigen Krebstieres aussah. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Runch säurespritzende Insektenmandibeln ausfahren konnte, wenn er seinen Mund weit genug aufriss. Und als wollte er dieses Durcheinander genetischer Einflüsse wettmachen, so trug der Leibwächter eine richtige Uniform, kunstvoll entworfen von der Göttergeneralin persönlich. Sie bestand aus dunkelblau schimmerndem Leder und ineinander verflochtenen Ringen aus Gewehrstahl, und natürlich war das allgegenwärtige G-Symbol auf Brusthöhe über das Metall gemalt. Auch Vialle trug Gynellas Zeichen, wenngleich in Form eines Anhängers an einer Kette.

Smartun selbst hatte es mit einer Schablone auf die kugelsichere Brustplatte seiner Rüstung gepinselt, die er von Red Ferrous Drei nach Pandora mitgebracht hatte.

Er machte einen respektvollen Schritt auf Gynella zu, wobei er sorgsam darauf achtete, ihr nicht zu nahe zu kommen. Runchs vorstehende Augen, die jeder seiner Bewegungen folgten, halfen ihm, den nötigen Abstand zu wahren.

Mit einem zackigen Salut erklärte Smartun dann: »Erste Division ist angetreten und vollzählig, meine Generalin.« Beinahe wäre er ins Stottern geraten, als er die Worte »meine Generalin« aussprach, und der Gedanke, dass sie wirklich sein wäre, ließ ihn schaudern. Als könnte sie ihm je gehören, in welcher Form auch immer. Aber er lebte für Gynella, seine Göttergeneralin …

Sie nickte ihm zu. »Sehr gut, Lieutenant.«

Er bewunderte ihre erhabene Art, dieses Gefühl der Dominanz, das ebenso um sie herumwallte wie ihr roter Umhang. Dazu der Kontrast zwischen der Zartheit ihrer flachsfarbenen Wimpern und der Härte in ihren Augen, als sie ihre Soldaten inspizierte.

Smartun würde für sie sterben, ohne zu zögern. Aber seine Hoffnung war eine andere. Natürlich handelte es sich dabei nur um törichte Träumereien, schließlich hatte sie ihm kaum Grund für derartige Hoffnungen gegeben. Doch wenn er ihr jetzt auf die eine Weise diente, wäre es dann nicht möglich, dass er ihr eines Tages auf andere Art zu Diensten sein könnte?

Sie machte einen anmutigen, aber entschlossenen Schritt auf die Männer zu, hinaus in den Sonnenschein, sodass die Metallteile am Rand ihres kugelsicheren Dekolletés blendende Lichtblitze verschossen. Ihre Truppen beäugten sie schamlos; wie hypnotisiert starrten sie sie an, und übelriechender Atem entfuhr ihren weit offenstehenden Mündern in einem kollektiven Stöhnen, während sie gespannt darauf warteten, dass ihre Generalin näher kam.

Langsam hob Gynella die rechte Hand zu dem Medaillon, das sie an einer Silberkette um den Hals trug – eine Scheibe aus Platin mit einem kleinen Metallgitter in der Mitte. Ein schlichtes Schmuckstück, aber gleichzeitig ein Objekt von großer Bedeutung. Und als sie es berührte, brummten die Männer in leisem Einklang.

Dieses Medaillon enthielt das AktiTon, durch das Gynella ihre Armee kontrollierte. Doch sie tippte es nur leicht an, als würde sie es gar nicht bewusst registrieren, und strich mit dem Nagel ihres Zeigefingers über seine Oberfläche, während sie sprach. Ihre tiefe, sinnliche Stimme hallte mühelos über den Paradeplatz.

»Männer der Ersten Division! Ihr habt euch entschieden, das Chaos und das Elend eures bisherigen Daseins hinter euch zurückzulassen, es einzutauschen gegen ein bedeutsames Leben, ein Leben der Ordnung – und der Macht!«

Das Wort Macht entlockte den Soldaten ein zustimmendes Gebrüll.

»Still, Abschaum!«, grollte Sergeant Flugg.

Anschließend fuhr die Göttergeneralin fort: »Zu diesem Zweck, und um denen, die es verdient haben, Recht und Ordnung und Wohlstand zu schenken, um diesem Planeten Frieden und uns selbst Reichtümer zu bringen …«

Bei der Erwähnung von Reichtümern brach die Erste Division erneut in Jubelschreie aus.

»… wollen wir unsere Streitmacht vergrößern. Wir werden ausziehen, und niemand wird uns aufhalten! Wir werden unser Territorium ausweiten! Heute sollt ihr euch vorbereiten, denn schon heute Nacht werden wir unseren ersten Angriff durchführen, auf eine florierende …« Sie hielt inne, als ihr einfiel, dass die meisten ihrer Männer nicht wussten, was dieses Wort bedeutete. »Auf eine reiche Siedlung, die uns mehr Truppen, mehr Ressourcen, mehr Waffen, mehr Land einbringen wird … und ein paar Frauen, die die tapfersten meiner Soldaten bei Laune halten sollen!«

Himmel, wie skrupellos sie doch ist, dachte Smartun voller Bewunderung, während die Männer lüstern grölten. Wahrlich, eine Göttin.

»Und jetzt frage ich euch«, dröhnte Gynella. »Wollt ihr mir in die Schlacht folgen?«

Wie nicht anders zu erwarten, brüllte die Erste Division wie ein Mann: »Das wollen wir!«

»Und werdet ihr für das Banner einer neuen Welt bis zum Tod kämpfen?«

»DAS WERDEN WIR!«

»Wenn das so ist …« Sie verzog die Lippen zu einem Haifischgrinsen, und ihre Hand griff wieder nach dem Metallgitter an ihrem Medaillon. Die Männer stöhnten erwartungsfroh, denn sie wussten, was nun kommen würde. »… DANN FÜHLT MEINE LIEBE!«

Während sie diese Worte ausrief, richtete sie einen Finger auf die Soldaten und drehte gleichzeitig mit der anderen Hand das Einstellrad an ihrem Medaillon. Das AktiTon klingelte wie eine Glocke aus feinstem Diamant, aber das Geräusch schien an Intensität zu gewinnen, lauter zu werden, bis es über den gesamten Devil’s Footstool hallte; die Luft selbst vibrierte sichtbar unter seinem Klang. Gynella bewegte ihren Arm auf und ab, was den Eindruck vermittelte, als würde der Impuls von ihrem ausgestreckten Finger aus durch ihren Körper wandern.

All die Männer, die vor ihr standen, einschließlich ihres Sergeants, fielen auf die Knie und stöhnten vor Ekstase. Ihre Hüften ruckten vor und zurück, ihre Augen rollten in den Höhlen und Speichel tropfte aus ihren offen stehenden Mündern, als das AktiTon die Lustzentren in ihren Gehirnen aktivierte.

Smartun hingegen bekam vom Einfluss des AktiTons nichts mit, denn im Gegensatz zu den anderen war er nicht mit Gynellas Empfänglichkeitsdroge behandelt worden. Die Generalin und Dr. Vialle, die gemeinsam von Kali Vier durch die halbe Galaxie hierhergereist waren, hatten nicht nur das AktiTon von dort mitgebracht, sondern auch Tausende Phiolen der EmpDroge, wie Vialle sie nannte. Die beiden hatten diese Vorräte aus den Chemieforschungslaboren der Dahl Corporation gestohlen und es anschließend irgendwie geschafft, den Sicherheitsdienst des Planeten abzuhängen.

Smartun hatte sich Gynella angeschlossen, kaum dass er sie zum ersten Mal erblickt hatte. Er brauchte keine Droge und keinen Vibrationsauslöser, denn er war ihr auch so völlig verfallen. Doch bei den Psychos, die sie gefangen genommen hatten, hatte sich die EmpDroge als äußerst effektiv erwiesen. So hatte die Generalin sich Stück für Stück eine eigene Armee aufgebaut, und vielleicht würde sie auf diese Weise sogar den ganzen Planeten erobern.

Gynella deaktivierte das AktiTon, und die Männer fielen vornüber auf ihre Gesichter, keuchend und erschöpft, wobei sie immer wieder ihren Namen wisperten. »Gynella …«

Einer von ihnen, der größte unter den unzivilisierten Psychos, überraschte Smartun jedoch. Der einäugige, nasenlose Bruiser, der Splonk genannt wurde, stemmte sich in die Höhe und torkelte auf die Göttergeneralin zu. »Ich will dich! Ich will … dich …«

Die anderen Soldaten blickten mit einer Mischung aus Schrecken und Faszination auf, während der hochgewachsene Barbar wankend nach vorne stolperte.

Der Leibwächter, Flugg und Smartun sprangen gleichzeitig vor, um dem Bruiser den Weg zu versperren, aber die Generalin schnitt mit einer herrischen Handbewegung durch die Luft. »Nein! Soll er näher kommen, wenn er es wagt!«

Die Männer keuchten und murmelten nach ihren Worten. Konnte es wirklich sein, dass sie sich von ihm berühren ließ?

Gynella wartete ruhig, bis Splonk nur noch eine Armeslänge entfernt war, dann lächelte sie. Als er die Hand ausstreckte, zuckte ihre Rechte vor und riss das kurze Schwert aus der Scheide. Sie wirbelte um die eigene Achse, ohne sich dabei aber von der Stelle zu rühren, und als sie die Drehung vollendet hatte, schnitt ihre Klinge schnell wie ein Blitz durch die Mitte des Psychos – direkt durch seine Taille hindurch.

Der Bandit blieb stehen, Mund und Augen aufgerissen, aber erst, als er würgend den Kopf senkte, zog sie mit einem verächtlichen Ausdruck auf dem Gesicht das Schwert aus seinem Bauch, sodass er mit ansehen konnte, wie seine Eingeweide auf den Boden zwischen seinen Füßen fielen.

Splonk sackte auf die Knie zusammen, dann kippte er nach vorne und landete mit einem übelkeiterregenden Klatschen in seinen eigenen Gedärmen. Der Geruch von Blut und Exkrementen stieg von der Leiche auf.

Gynella gähnte, und nachdem sie sich grazil vorgebeugt und die Klinge am Rücken des Psychos abgewischt hatte, steckte sie die Waffe zurück in die Scheide und richtete sich wieder auf. »Ihr anderen – zurück in eure Baracken! Ruht euch aus! Heute Nacht kämpfen wir!« Sie winkte ihnen zu, und die Banditen machten mehrere Schritte nach hinten, bevor sie sich umdrehten und zu ihren Unterkünften zurücktrotteten, befriedigt und erschöpft.

Smartun rief Flugg hinterher, als der Sergeant bereits die Tür der Baracke erreicht hatte, und der Bruiser drehte sich zu ihm herum, ein wütendes Funkeln in den Augen, das keine Fragen offenließ. Er hasste nichts mehr, als Befehle von Smartun entgegennehmen zu müssen. »Lieutenant?«

Smartun deutete auf Splonks stinkenden Kadaver. »Räum die Sauerei weg, Sergeant. Verfütter die Leiche an die Skags in Käfig Drei.«

Flugg sah aus, als wollte er zu einem Protest ansetzen, aber dann wanderte sein Blick zu Gynella hinüber, und als er den Ausdruck auf ihrem Gesicht sah, salutierte er halbherzig vor Smartun. »Aber sicher doch, Lieutenant.«

Jetzt wandte sich die Göttergeneralin an Smartun selbst. »Ich habe eine Aufgabe für dich. Komm mit.«

Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und nickte hastig, dann folgte er ihr durch den Eingang zum alten Kolosseum. Während Vialle sich ihnen anschloss, blieb Runch im Schatten draußen vor der Tür stehen, um die Baracken im Auge zu behalten.