DIE BRIGADE - John Shirley - E-Book

DIE BRIGADE E-Book

John Shirley

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

In der Kleinstadt Salton, Oregon, geht der Schrecken um. Jeden Samstagabend bringt ein offensichtlich geistig gestörter Mörder ein Mädchen um. Dreizehn junge Mädchen sind ihm bisher zum Opfer gefallen. Da die Polizei nicht in der Lage ist, die geringste Spur zu finden, die zum Mörder führen könnte, bildet sich in der Stadt eine Bürgerwehr. Doch als die "ehrbaren" Bürger die Sache selbst in die Hand nehmen, passiert sogleich ein "Unfall": Ein allzu neugieriger Reporter kommt ums Leben. Nur zwei Menschen wagen wirklich, dem Terror zu widerstehen. Sonja Kramer, die Lehrerin an der örtlichen Highschool, und Tony Hollister, ihr Schüler, ein rebellischer Teenager. Der Schrecken in der Stadt strebt dem Siedepunkt zu, denn der Mörder ist trotz der Bürgerwehr noch immer frei, und der nächste Samstagabend ist nah... Der US-amerikanische Schriftsteller John Shirley ist vor allem für seine Cyberpunk- und Science-Fiction-Romane bekannt. DIE BRIGADE – erstmals im Jahr 1981 veröffentlicht – belegt auf eindrucksvolle Weise, wie meisterhaft er sich darüber hinaus auf das Metier des düsteren, spannungsgeladenen Thrillers versteht.

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JOHN SHIRLEY

Die Brigade

Roman

Der Romankiosk

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Impressum 

 

DIE BRIGADE 

Prolog 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

 

Das Buch

In der Kleinstadt Salton, Oregon, geht der Schrecken um. Jeden Samstagabend bringt ein offensichtlich geistig gestörter Mörder ein Mädchen um. Dreizehn junge Mädchen sind ihm bisher zum Opfer gefallen. Da die Polizei nicht in der Lage ist, die geringste Spur zu finden, die zum Mörder führen könnte, bildet sich in der Stadt eine Bürgerwehr. Doch als die »ehrbaren« Bürger die Sache selbst in die Hand nehmen, passiert sogleich ein »Unfall«: Ein allzu neugieriger Reporter kommt ums Leben.

Nur zwei Menschen wagen wirklich, dem Terror zu widerstehen. Sonja Kramer, die Lehrerin an der örtlichen Highschool, und Tony Hollister, ihr Schüler, ein rebellischer Teenager.

Der Schrecken in der Stadt strebt dem Siedepunkt zu, denn der Mörder ist trotz der Bürgerwehr noch immer frei, und der nächste Samstagabend ist nah...

Der US-amerikanische Schriftsteller John Shirley ist vor allem für seine Cyberpunk- und Science-Fiction-Romane bekannt. Die Brigade – erstmals im Jahr 1981 veröffentlicht – belegt auf eindrucksvolle Weise, wie meisterhaft er sich darüber hinaus auf das Metier des düsteren, spannungsgeladenen Thrillers versteht.

Impressum

Copyright © by John Shirley/Der Romankiosk. Mit freundlicher Genehmigung des Apex-Verlags.

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Dr. Dietlind Bindheim und Christian Dörge.

Original-Titel: The Brigade.

Lektorat/Korrektorat: Zasu Menil.

Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.

Cover-Illustration: talashow/123rf.

Der Romankiosk

Christian Dörge

Winthirstraße 11

80639 München

www.der-romankiosk.de

Kontakt: [email protected]

DIE BRIGADE

Prolog

Der Ort war zu groß für ein Dorf und zu klein für eine Stadt - besonders als fast sechstausend der ursprünglich fünfzigtausend Einwohner weggezogen waren. An zu vielen Fenstern hingen keine Vorhänge mehr, man sah zu viele Schilder mit der Aufschrift Zu verkaufen, und in der Grundschule blieben zu viele Schreibpulte unbesetzt.

Er war ringsum von steil aufragenden Bergen umgeben, zwischen denen im Sommer das Echo der Mopeds hallte, im Herbst das der Gewehre und im Winter das der Motorschlitten. Kühle Meeresluft wehte von der vierzig Meilen westlich gelegenen südlichen Oregon-Küste durch die Bergschluchten. Die Autobahn machte einen Bogen um den Ort, aber der Highway zur Küste war immer noch stark befahren.

In den Hügeln, in der Nähe des Salton Valley Aussichtspunktes, war ein Viertel Morgen Land verwüstet und mit Asche und Trümmern bedeckt. Manchmal kam ein junger Mann, ein Teenager noch, an diesen Ort und stöberte verdrossen zwischen den Brandruinen herum, sah mit finsterem Blick über das Tal auf die gelben Dunstwolken, die von der Papierfabrik aufstiegen.

Einmal fand der Junge einen geschwärzten silbernen Türkisring inmitten von verkohlten Knochen. Und als er ihn fand, weinte er.

Die Papierfabrik war die einzig nennenswerte Industrie der Stadt. Die Stadt war berühmt geworden, als sie vor mehr als einem Jahrzehnt, im Jahre 1969, vom Gouverneur für die hohe Produktion der Papierfabrik ausgezeichnet wurde.

Sie hatte noch zwei andere bemerkenswerte Besonderheiten: den Samstagnacht-Killer und die Brigade. Vielleicht gehörte auch beides zusammen - wie Bäume fällen und Papierfabriken.

  Erstes Kapitel

Samstag, 20. Mai, acht Uhr abends.

»Ich begreife einfach nicht, dass der Justizminister nicht eingegriffen hat«, sagte Anna Wimple und fuhr mit der Fingerkuppe des Zeigefingers über den Rand ihres fast leeren Weinglases.

»Nun, man hatte schon seit langem eine fast todsichere Strategie entwickelt«, erklärte ihr Clifford Rubinselz. »Zum Teil war die günstige - oder, je nachdem auf welcher Seite Sie stehen, auch ungünstige - geographische Lage von Salton mit entscheidend. Die Stadt liegt weit von allen anderen entfernt. Sämtliche Vororte, sofern man sie als solche bezeichnen kann, liegen im Tal. Und was nicht zu Salton gehört, ist zwanzig Meilen weit weg, hinter den Bergen, so dass sich niemand dafür interessiert, was hier geschieht. Außerdem hatten wir schon lange zuvor angekündigt, dass die Stadt auf die offizielle Polizei verzichtet, und gleichzeitig für die Sicherheitsbrigade geworben. Jeder, dem diese Vereinbarung nicht passte, konnte also abhauen. Natürlich ist es auch ein Verfassungsproblem - deshalb lässt man uns vermutlich in Frieden. Man will sich im Moment nicht mit größeren Verfassungsstreitfragen auseinandersetzen. Bei dem Andrang an den Obersten Bundesgerichtshöfen!« Und vollkommen beziehungslos setzte er hinzu: »Es ist eine gute Stadt - wirklich.«

Das hatte er übrigens nicht zum ersten Mal gesagt.

Anna Wimple setzte ihr Glas ab, um sich eine Notiz zu machen.

Rubinselz bemühte sich vergeblich, ihre Handschrift zu entziffern.

»Nehmen wir doch mal an«, fuhr sie fort, »dass irgendjemand verletzt wird oder nach einer Schießerei verblutet. Wenn die Brigade versagt und nicht richtig reagiert, wird die Familie des Opfers die ganze Stadt für das Unglück verantwortlich machen - weil die Stadt sich ihrer Polizisten entledigt hat. Denn mancher wird denken, ohne professionelle Polizei gibt es keine Abschreckung gegen Gewaltverbrechen.«

»Oh - ja - gewiss«, sagte Rubinselz hastig. »Ich weiß, ich weiß. Habe es ihnen ja selbst gesagt. Habe mir auch große Sorgen deswegen gemacht. Aber...«

Er trank vorsichtig einen kleinen Schluck von seinem Bier.

Rubinselz hielt sich bewusst zurück, solange die Reporterin bei ihm war, um nicht angesäuselt irgendwas zu sagen, was er später womöglich bedauern müsste.

»Aber Sie dürfen nicht vergessen, dass wir eine Verzichterklärung drucken und herumgehen ließen, in der darauf aufmerksam gemacht wird, dass jeder, der hier lebt, ein Risiko eingeht, da statt der Polizei jetzt eine Bürgerwehr... Es stimmt. Das Ganze ist ein Experiment. Natürlich hat man sich bei Gericht mit dieser Verzichterklärung niemals beschäftigt. Mir gefällt die Situation auch nicht besonders. Ich habe in meiner Funktion als Bürgermeister dagegen protestiert, und ich werde mich auch nach meiner Amtszeit, die in drei Monaten abläuft, als Privatmann gegen das Brigade-System stellen. Denn ich muss zugeben, dass nicht alles so perfekt gelaufen ist, wie es geplant war. Trotzdem ist es eine gute Stadt. Wirklich.«

Er lächelte. Sein pockennarbiges Gesicht wurde durch eine Reihe strahlender, ebenmäßiger Zähne unterteilt, die Linien um seine schmalen blauen Augen vertieften sich. Er hob eine sorgfältig manikürte Hand, um ein paar widerspenstige weiße Haarsträhnen an ihren Platz zu rücken. Die Hand zitterte. Da Miss Wimple eine Reporterin war, lächelte er für sie wie vor der Fernsehkamera.

»Und natürlich hat der Bezirksrichter die Verzichterklärung drucken lassen«, bemerkte Miss Wimple.

»So ist es. So ist es«, murmelte Rubinselz. »Ich muss sagen, es war ziemlich - unfair. Man gewann dadurch den Eindruck, dass es hier überhaupt keine Polizei mehr gibt. Indessen ist die Brigade doch eine Art Polizeieinheit.«

»Und Sie können ehrlich behaupten, dass sie sehr effektiv ist? Denken Sie doch an die Affäre mit der Kommune!«

Rubinselz' ziegelsteinrotes Gesicht nahm die Farbe einer Roten Rübe an, aber es gelang ihm, ruhig zu antworten.

»Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass die Leute selbst schuld waren. Man hat sowohl im Blut der Frau als auch im Blut von vier Männern, die verbrannt sind, Rauschgift entdeckt.«

»Und deshalb hatten sie es verdient, bei lebendigem Leibe zu verbrennen?«

»Natürlich nicht!« verwahrte sich Rubinselz. »Ich wollte damit lediglich sagen, dass diese Menschen sich selbst ins Unglück stürzten, und man kann nicht von uns erwarten, dass wir die Verantwortung... «

»Und natürlich hat niemand wirklich bewiesen, dass einer der

Brigademänner das Feuer gelegt hat.«

»Selbstverständlich stimmt das nicht. Gewiss, es war ein Fehler, dass sie so schnell oder dass sie überhaupt geschossen haben. Andererseits wurde auch gemeldet, dass aus dem Farmhaus der Kommune Schüsse abgegeben wurden.«

»Trotzdem hat man später keine Waffen dort gefunden«, sagte sie sanft.

Rubinselz trank einen Schluck Bier. »Dies ist eine gute Stadt. Aber wir machen Fehler - wie alle anderen auch.« Er versuchte sich zu beruhigen, zwang sich zu einem Lächeln. »Wie ich sehe, haben Sie sich mit den Verleumdungen herumgeschlagen. Aber haben Sie sich auch mit den sehr ermutigenden Statistiken beschäftigt? Es gibt keine Einbrüche mehr bei uns - bisher sicher das häufigste Verbrechen. Und der Drogenmissbrauch ist bemerkenswert zurückgegangen. Der Killer...«

Er zögerte.

Sie warf ihm einen raschen Blick zu. »Ja?«

Er hob die Schultern. »Es scheint, dass er verschwunden ist. Unsere Polizei hatte es nicht geschafft, ihn in die Flucht zu schlagen, hatte keine Chance, ihn zu schnappen.«

»Und ist die Brigade drauf und dran, ihn zu schnappen?«

»N-nein. Aber man hat seit Wochen nichts mehr von ihm gehört. Seit eineinhalb Monaten. Er pflegte jede Woche samstagnachts eine Frau zu töten. Gewöhnlich gegen zehn Uhr. Und er hat dreizehn Frauen getötet. Gott helfe uns. Jede Woche eine. Und da psychopathische Mörder nicht so einfach von ihrem Schema abweichen, und schon gar nicht für lange Zeit, ist anzunehmen, dass er abgehauen ist. Wahrscheinlich hat ihm die Brigade Furcht eingejagt. Dass dieser Bursche dreizehn Wochen lang jede Woche eine junge Frau töten konnte und unsere Bullen - ganz zu schweigen vom Sheriff und der Staatspolizei - nicht fähig waren, ihn zu schnappen, war einer der Hauptgründe, weshalb die Brigade ins Leben gerufen wurde. Und da er sicher wusste, dass die Brigade uneingeschränkter agieren und wahrscheinlich mehr Glück haben würde, machte er sich aus dem Staub.«

»Für einen Mann, der behauptet, gegen die Brigade zu sein...«

Rubinselz zuckte zusammen, hob ermahnend eine Hand und sah zum Barkeeper hin, der sie mit ungewöhnlichem Interesse beobachtete. »Nein - nein, ich bin nicht gegen die Brigade«, sagte er betont laut. »Ich hatte nur - zu Anfang - ein paar Vorbehalte. Aber sie hat sich bewährt.«

»Trotzdem habe ich gehört, dass ein großer Prozentsatz der Bevölkerung die Stadt verlassen hat, seit die Brigade an die Stelle der Polizei getreten ist, vor allem weil die Brigade widerrechtlich in Häuser eindringt, willkürliche Hausdurchsuchungen durchführt...«

Der Barkeeper starrte sie an.

Miss Wimple unterbrach sich und starrte zurück. Der Barkeeper wandte sich wieder seiner Arbeit zu.

»Widerrechtliche Hausdurchsuchungen?«, echote Rubinselz. »Ganz gewiss nicht! Das Gesetz macht keine Unterschiede zwischen Brigadeangehörigen und anderen Personen. Jedem werden seine Rechte verlesen...«

»Aber die Bezirksrichter haben sich in vielen Fällen geweigert, mit der Brigade zusammenzuarbeiten oder Haftbefehle für Männer auszustellen, die von Gesetzes wegen keine verdienten.«

»Ja, es gab Missverständnisse diesbezüglich, aber die sind beseitigt. Wir haben sie überzeugt, dass die Brigade - ich selber bin ein bisschen zu alt, um noch aktiv mitmachen zu können - offiziell gewählt wurde und es sich somit um gewählte Amtspersonen handelt. Schließlich werden auch Sheriffs so gewählt.«

»Die Brigade ist eine Organisation, die ins Leben gerufen wurde, aber keine der einzelnen Personen wurde direkt gewählt. Wie ich unterrichtet bin, wurden sie von einem gewissen Mr...« Sie überflog ihre Notizen. »...Mr. Robert Plimpton eingesetzt.«

Der Barkeeper wischte immer wieder über eine Stelle, nur wenige Zentimeter von Miss Wimples rechtem Ellbogen entfernt.

»Können Sie gut genug verstehen?«, fragte Miss Wimple ihn. »Oder sollen wir lauter sprechen?«

Er schürzte die Lippen, blieb aber an seinem Platz.

»Mir ist die Methode, wie die Brigademitglieder ausgewählt werden, nicht bekannt«, erklärte Rubinselz.

»Dann sind also die Geschichten über das ungesetzliche Eindringen in Häuser und die ungesetzlichen Hausdurchsuchungen nicht wahr?«, fragte Miss Wimple.

Rubinselz setzte sein charmantestes Lächeln auf. »Diese Geschichten sind...«

»...nur Geschichten«, vollendete Miss Wimple den Satz. Sie lächelte verärgert.

Rubinselz blickte sich um, suchte in der vertrauten Umgebung Trost. »Homers« war ein dunkles und mit polierten gold-roten Möbeln rustikal eingerichtetes Lokal. Es füllte sich allmählich, denn es war Samstag. Jeder sah rasch zu ihnen hin und dann wieder weg.

»Nun«, sagte Miss Wimple, »vielleicht können Sie mir auch erklären, warum sich dieser Chief Colton und der Vizebürgermeister Plimpton weigern, mich zu empfangen.«

Rubinselz überlegte, suchte nach einer Kompromisshaltung; aber diese Miss Wimple war scharfsinnig und auf Draht, wachsam und kampfbereit. Sie hatte sich ihm zugeneigt, den Kopf nach unten gesenkt, als wollte sie auf ihn losgehen, doch im nächsten Moment ließ sie sich gleichgültig gegen die Bar zurückfallen. Dieses Spiel wiederholte sie mehrmals. Ihre Gleichgültigkeit war gefährlich. Sie stellte nur Fragen, um sich ihren Verdacht bestätigen zu lassen. Ihre Erscheinung - kurzgeschnittene Haare und ein grauschwarzes Kostüm - ließ sie noch bedrohlicher erscheinen. Sie war von Kopf bis Fuß eine Ost-Staatlerin. Ihre schwarzen Augen waren zu flink.

»Sie wissen also keine Antwort, Mr. Rubinselz?«, fragte sie hartnäckig und griff nach ihrem Block.

»Ich... Natürlich weiß ich eine Antwort. Ich habe über etwas anderes nachgedacht. Was Colton anbelangt, so kann ich kaum für ihn antworten. Zweifellos ist er schon zu viel von Reportern belästigt worden. Einfach verdammt zu viel. Diese ganze Geschichte... Zuerst der Samstagnacht-Killer und nun die Brigade, die mehr Publicity errungen hat, als irgendjemandem lieb ist. Endlich sind wir die Typen vom Fernsehen und der Time losgeworden, und da kreuzen Sie auf. Und sämtliche Reporter versuchen uns schlecht zu machen, versuchen sich eine Geschichte auszudenken.«

»Aber ich komme von der Zeitschrift People. Wir sind gemäßigt.«

Jetzt setzte Rubinselz ein überhebliches Lächeln auf. »Das haben wir bereits berücksichtigt. Aber Sie sind freiberuflich tätig und können somit alles, was Sie herausfinden, auch noch in anderen Zeitschriften veröffentlichen. Setzen wir einmal voraus, Sie finden irgendeine Bagatelle, die Sie aufbauschen, indem Sie irgendwelche Schlüsse ziehen und... Nun, ich bin sicher, Sie wissen, wie man so was macht.« Und rasch fügte er hinzu: »Natürlich dürfen Sie alles schreiben, was stimmt und richtig ist. Ich wollte Ihnen nur klarmachen, wie Colton möglicherweise denkt. Es gab bereits zu viele Übertreibungen.«

»Mag sein. Aber er wollte nicht einmal meinen Fotografen in seine Nähe lassen. Und wie könnte ein Fotograf schon seinem Ruf schaden?«

»Nun, wahrscheinlich geht es ihm auch auf die Nerven, fotografiert zu werden.«

»Mag sein.« Und damit schwenkte sie zu einem Thema über, das er fast schon in panischer Angst erwartet hatte. »Sprechen wir also von dem Tonband. Ich meine das Band, auf dem die Botschaft des Killers aufgezeichnet wurde. Niemand durfte es nach der ersten Pressekonferenz noch einmal hören. Und weder die Polizei außerhalb von Salton noch die Fernsehjournalisten bekamen eine Kopie des Bandes, das das Telefongespräch des Killers mit der Polizei wiedergibt. Und dann verschwand dieses Band, und man sprach von einer undichten Stelle im Dach...«

»Nein, nein. Das war ein Missverständnis. Es war ein geplatztes Rohr in einem Stockwerk darüber, wodurch alle Akten und sonstigen Unterlagen ruiniert worden sind, einschließlich des Bandes mit der Warnung des Killers.« Er hob gleichmütig die Schultern. »Aber das macht ja nichts. Wir haben eine Abschrift des Bandes.«

»Nun, vielleicht macht es doch etwas. Irgendwelche Hintergrundgeräusche würden möglicherweise Schlüsse auf den Standort des Telefons zulassen, das der Killer benützt hat. Oder auch seine Stimme könnte etwas verraten. Einige Leute fanden es jedenfalls ziemlich verdächtig, dass gerade dieses Band ruiniert wurde. Zufällig?«

Rubinselz war erleichtert, als er sah, dass sie in ihren blauen Ledermantel schlüpfte.

»Auf jeden Fall werde ich Colton aufsuchen, ob es ihm nun passt oder nicht«, fuhr sie fort und verstaute ihren Notizblock in ihrer Segeltuchtasche, die sie über ihre magere rechte Schulter hängte. »Und wenn ich die ganze Nacht vor seinem Haus stehen muss.«

Rubinselz zog eine Braue hoch. »Wie wollen Sie ihn zu fassen kriegen? Vielleicht ist er auf der Jagd.«

Sie lachte. »Auf der Jagd! Oh, nein, man hat mir gesagt, er sei im Rathaus und ginge danach nach Hause, um Johnny Carson anzuschauen. Seine Frau versicherte mir, dass er die Show mit Johnny niemals versäumen würde.«

Sie grinste und wandte sich der Tür zu.

Rubinselz rief ihr impulsiv nach: »Es ist Samstag, Miss Wimple!«

Es wurde merklich stiller in der Taverne. Köpfe drehten sich in ihre Richtung.

Sie wandte sich langsam wieder um, einen rätselhaften Ausdruck im Gesicht. »Dann glauben Sie also, der Killer ist zurück? Interessant!«

»Nun - nein. Aber an jedem Samstag verdoppelt die Brigade ihre Patrouilleneinsätze und...« Er hatte noch sagen wollen, dass sie keinen Passierschein besaß, beschloss dann aber, ihr nichts von Plimptons neuer Einrichtung - dem Passierschein für Fußgänger - zu erzählen, und fuhr stattdessen fort: »Sie sind allein und haben kein Auto. Höchstwahrscheinlich ist er abgehauen. Aber warum rufen Sie sich kein Taxi?« Er grinste. »Es gibt ein Taxi in Salton.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich möchte gern die Atmosphäre der Stadt in mich aufnehmen. Und die bekommt man am besten mit, wenn man zu Fuß geht.«

Sie steuerte weiter auf die Tür zu.

Rubinselz blickte ihr nach und erinnerte sich an ihren Satz: »Einige Leute fanden es jedenfalls ziemlich verdächtig, dass gerade dieses Band ruiniert wurde.« Es wurde Zeit, dass er entschied, was mit der Kopie passieren sollte, die er von dem Band mit der Warnung des Killers gemacht hatte. Nicht einmal Colton wusste etwas von dieser Kopie.

Aber damit konnte er sich noch später beschäftigen. Seine strapazierten Nerven hatten Vorrang.

Er wandte sich dem Barkeeper zu. Nun, wo sie weg war, konnte er sich betrinken, konnte er sich volllaufen lassen.

»Schenk mir einen großen Krug voll, Billy!« forderte er. »Für den Anfang mal.«

Sie beschloss, auf Umwegen zu Colton zu gehen, um die Stadt zu inspizieren. Während sie so dahinschlenderte, ihre Umgebung mit professionellem Blick in sich aufnehmend und einsaugend, sprach sie in ein bleistiftgroßes Handmikrofon, das mit dem kleinen Cassettenrekorder in ihrem Segeltuchbeutel durch ein Kabel verbunden war.

»Diese Sommernacht in Salton ist so ruhig und friedlich wie die Frau eines Geistlichen«, dichtete sie aus dem Stegreif. »Die Bäume sind dichtbelaubt und saftig-grün, die Blätter nicht durch Luftverschmutzung verkümmert. Immergrüne Pflanzen wechseln fast gleichmäßig mit Laubbäumen ab. Die pastellfarbenen Häuschen haben kleine Dachrinnen, die wie selbstgefällig hochgezogene Brauen aussehen.«

Sie lächelte, mit sich selbst zufrieden.

»Ich kann die leisen, knackenden Geräusche der Vögel, Katzen und Hunde im Gebüsch hören und das Plätschern des Flusses, der hinter den Häusern zu meiner Rechten fließt. Salton hat viele Wasserläufe. Es ist eine warme Nacht, und man könnte sich behaglich und heimelig fühlen, wäre die Straßenbeleuchtung nicht.« Blinzelnd blickte sie hinauf zu dem blau-weißen Licht hoch oben an einer Chromstange. An der Lampe klebten tote Insektenleiber. »Es gibt einfach zu viele Straßenlampen. Die meisten sehen sehr neu aus. Ich vermute, sie wurden in den letzten ein, zwei Monaten installiert. Sie verströmen ein blau-weißes, sehr stark fluoreszierendes Licht. Auf jeden Block kommen drei dieser ungewöhnlich starken Lichtquellen, selbst in den Regionen, in denen Neonreklameschilder brennen. An diesen Plätzen ist es so hell wie am Tag. Direkt unter diesen grellen Lichtquellen« - sie blickte nach unten - »zeichnen sich verschiedene Gegenstände mit peinlicher Deutlichkeit ab. Eine zerbeulte Blechbüchse sieht aus wie das Beweisstück A bei Gericht. Was wir hier sehen, ist das unheilvolle Ergebnis der Angst. Die Lichter beweisen, dass diese Menschen sich immer noch fürchten, obgleich ihre amtlichen Wächter behaupten, dass der Samstagnacht-Killer abgehauen ist. Aber ist er es wirklich? Es scheint wahrscheinlich. Er mag verrückt sein, doch er' ist nicht dumm, sonst hätte man ihn schon geschnappt. Und nur ein Dummkopf würde hierbleiben, wo so viele Menschen ihn suchen und so viele grelle Lichter jede Ecke von Salton ausleuchten. Aber wovor fürchten sich die Menschen in dieser Stadt dann? Vielleicht wissen sie selbst nicht, wovor sie sich fürchten. Doch gerade eben hat mir ein gewisser hochgeachteter Gentleman aus Salton erklärt, dass die örtlichen Behörden die Nase voll haben, Fragen gestellt zu bekommen. Vielleicht fürchten sie ihre eigene Schuld. Denn es gibt viele unbeantwortete Fragen, das Feuer in der Kommune betreffend, bei dem einige Männer und Frauen verbrannten...«

»Bleiben Sie stehen!«, dröhnte plötzlich die Stimme eines Riesen hinter ihr.

Sie zuckte leicht erschrocken zusammen. Dann schluckte sie und drehte sich um.

Ein gelber Kombiwagen stand mit laufendem Motor etwa drei Meter von ihr entfernt. Sie blinzelte, und ihre Augen begannen zu tränen, so sehr schmerzte das grelle Licht des Scheinwerfers, der neben dem Fenster des Fahrers anmontiert war. Der Lichtstrahl war direkt auf ihr Gesicht gerichtet.

Die Stimme, durch ein Megaphon verstärkt, forderte: »Zeigen Sie Ihren Passierschein oder Ihren Besucherschein - bitte!«

Nur mühsam konnte sie die Silhouetten von vier Männern ausmachen. Die zwei, die vorne saßen, stiegen aus. Beide trugen Jeans und rotkarierte Hemden, einer hatte noch eine schmale Krawatte umgelegt, in der eine polierte Achatnadel steckte. Miss Wimple hatte den Eindruck, dass die Hemden so eine Art Uniform darstellten. Der größere Mann, der ein freundliches Gesicht und wachsame, blaue Augen hatte, lächelte frostig, als er ihren Ausweis in der Tasche sah.

Sein Begleiter, der einen gelben Cowboy-Strohhut aufhatte und an seinen dicken Fingern eine Menge Silberringe mit Türkisen trug, schien seine Rolle zu genießen; seine Wangen glühten rot, seine Miene drückte höchste Missbilligung aus.

»Sie haben keinen Passierschein, nicht wahr?«

Seine Stimme war so hoch und schrill, dass sie fast gelacht hätte.

»Nein. Amerikanische Bürger brauchen keinen Passierschein, um auf amerikanischen Straßen spazieren zu gehen«, erklärte sie.

Der Größere der beiden seufzte und schien leicht in sich zusammenzusacken.

Der kleine, teigige Mann sagte: »Das ist ganz schöner Quatsch, was Sie da reden, meine Süße. Auch örtliche Gesetze sind Gesetze, und diese Stadt geht keine Risiken mehr ein. Sie haben mir Ihren Führerschein gezeigt, der nicht in diesem Staat ausgestellt ist. Was, zum Teufel, wissen wir also über Sie? Sie könnten irgendwas im Schilde führen...«

»Ganz richtig«, erwiderte sie sarkastisch. »Ich erkunde die Gegend für die Mafia.«

»Es wäre hilfreich, wenn Sie uns irgendetwas zeigen könnten, woraus hervorgeht, in was für Geschäften Sie hier sind«, sagte der große Mann zaghaft.

Sie kramte in ihrer Brieftasche herum und fischte ihren Presseausweis heraus.

»Eine Reporterin von - Associated Press«, murmelte der größere Mann und schien noch mehr in sich zusammenzufallen.

Der Mann mit dem Cowboyhut schielte unter der breiten Krempe hervor und hob die Schultern.

»Nun«, meinte er grinsend, »ich glaube, wir vertreiben die Presse nicht, oder? Sie können weitergehen. Aber seien Sie vorsichtig! Sie spazieren allein hier draußen herum.« Er griff in eine Hemdtasche, riss von einem bedruckten Block einen Zettel ab und schrieb etwas darauf. »Hier ist ein Passierschein für Fußgänger.«

Sie unterdrückte den Impuls, den Passierschein in der Mitte durchzureißen, faltete ihn stattdessen ordentlich und verstaute ihn in ihrer Tasche.

Der größere Mann nickte ihr zu, versuchte ein Lächeln, kroch schließlich hinter das Lenkrad des Kombiwagens, wartete, bis sein Gefährte neben ihm Platz genommen hatte, und fuhr davon.

Sie blies laut die Luft aus, erleichtert, dass keiner der beiden Männer bemerkt hatte, dass ihr AP-Presseausweis schon lange abgelaufen war.

Als sie von der Sicherheitsgarde angehalten wurde, hatte sie das Mikrofonkabel ihres Cassettenrekorders rasch in ihre Segeltuchjacke zurückgleiten lassen. Jetzt holte sie das Mikrofon wieder hervor und schaltete das Gerät erneut ein. Nachdem sie ihre Begegnung mit der Brigade ziemlich melodramatisch geschildert hatte, fuhr sie fort: »Ist es für den Rest der Menschheit wirklich von Bedeutung, dass diese Menschen sich dazu entschlossen haben, ihre Stadt in einen Polizeistaat zu verwandeln - zumindest während der Nacht? Nein, es ist schließlich ihre Sache. Zudem können sie sich rühmen, dass die Quote der Verbrechen bedeutend niedriger geworden ist, seit die Brigade mit ihren Patrouillen begonnen hat. Allerdings könnte das ein gefährlicher Anreiz für den Rest der Nation sein. Vielleicht kommt die Zeit, da wir uns entscheiden müssen, ob wir lieber unseren Seelenfrieden dem Verbrechen opfern wollen oder in einem sicheren, das Individuum unterdrückenden Polizeistaat auf Freiheit verzichten. Doch an diesem Ort geht es nicht nur um den Verlust der Freiheit des Einzelnen. Überall spürt man die unterschwellige, unausgesprochene Furcht. Selbst jetzt und hier.«

Sie machte eine Pause und blickte sich um. Ein Bächlein rauschte unter der Holzbrücke, auf der sie stand. Über ihr säuselten die Blätter der Birken in einer schwachen Brise eine gleichmäßige Melodie. Die Luft war angefüllt mit dem Blütenduft der Blumen, die das Dickicht an den Ufern des Flüsschens bunt sprenkelten, und den dumpfen Gerüchen des nahen Wassers.

Die Brücke führte zu einem Kiespfad, der zwei Querstraßen miteinander verband. Sie hatte, ohne nachzudenken, diesen Pfad gewählt, angezogen vielleicht von dem fröhlichen Geplätscher des Bächleins und den einladenden, dunklen Schatten.

»Ich stehe in einer friedvollen Oase, die nicht von dem grellen Licht jener blau-weißen Straßenlampen entzaubert wird. Es sind die Bäume und die Lage der Häuser, die diesen kleinen Pfad von den hellerleuchteten anderen Straßen unterscheiden. Vermutlich ist es eine Privatstraße, auf jeden Fall eine friedliche, heimelige kleine Ecke, in der man ungestört meditieren kann. Wahrscheinlich sollte ich an diesem Ort Angst haben. Doch seltsamerweise hat diese Dunkelheit, die wenigstens noch eine Intimsphäre zulässt, etwas Beruhigendes für mich. Die hellerleuchteten Straßen kommen mir sehr viel bedrohlicher vor. Die grellen Lampen haben etwas Aufdringliches und lassen Orte wie diesen hier verschwinden. Natürlich ist es nicht ganz unbegreiflich, dass die Menschen, die hier leben, vor solchen Oasen Angst haben.«

Sie schwieg, lauschte, runzelte die Stirn und stützte sich mit einer Hand am Holzgeländer der Brücke.

»Es ist nur allzu leicht, sich in einen Zustand der Furcht hineinzusteigern. Während ich hier jetzt im Dunkeln stehe, umgeben von Sträuchern, fremde Häuser im Rücken, könnte ich mir fast vorstellen - ja, ich tue es sogar« - sie kicherte -, »dass sich irgendjemand verstohlen durch das Gebüsch an mich heranschleicht. Ganz in der Nähe der Brücke überragen dichte Baumwipfel die Büsche zu meiner Linken. Tatsächlich ist meine Einbildungskraft so stark, dass ich die Umrisse einer Person erkenne, die zwischen den Bäumen hindurch auf mich zukommt. Oh, es muss nicht unbedingt der Samstagnacht-Killer sein. Vielleicht ist es Jack the Ripper oder Bigfoot. Wichtig daran ist nur, dass die Angst diese Fata Morgana produziert. Selbst jetzt, wo ich ganz nüchtern darüber spreche, kann ich das Rascheln von Füßen im Gebüsch hören - schwere Schritte, die...«

Sie schüttelte sich heftig, verärgert über ihre Einbildungskraft, und starrte in das dunkle Gebüsch. Ein paar schwache Lichtstrahlen von einer Veranda sprenkelten die Baumstämme. Der Arm eines Mannes fuhr durch einen der Strahlen.

Dort war tatsächlich jemand!

Sie kämpfte gegen den Impuls an, loszurennen, redete sich ein, dass es sicher nur ein harmloser Teenager war, der eine Abkürzung ging.

Doch gleich darauf konnte sie ihn deutlich sehen. Es war ein Erwachsener, der plötzlich losspurtete.

Sie versuchte, sich auszulachen. Gleich wird er mir erzählen, dass er zur Brigade gehört, sagte sie sich, und ihre Angst würde sich als kindisch erweisen.

Durch die Schatten sah das Gesicht des Mannes verzerrt aus, wütend.

Die Schatten und ihre Fantasie.

Der Mann kletterte das Ufer hoch und wurde langsamer, als er die Straße erreicht hatte. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, steuerte er auf sie zu. Dann trat er in einen Lichtkegel. Etwas glitzerte in seiner Hand.

»Hallo!«, sagte sie. »Ich...«

Die Worte erstickten in ihrer Kehle.

In seiner Hand glitzerte ein Messer.

Später trug der Samstagnacht-Killer das Messer und ihre Segeltuchtasche mit dem Cassettenrekorder und ihrem letzten Schrei an den Rand der Stadt, wo er alles in einen Brunnen hinter einem verlassenen Bauernhaus fallen ließ. Er kannte den alten Brunnen, kannte die Stadt überhaupt wie seine Westentasche.

  Zweites Kapitel

 

 

Samstag, 20. Mai, elf Uhr vier nachts.

 

Spät in dieser Nacht lief noch ein anderer Cassettenrekorder: Tony Holisters.

Er hatte seinen Lauschposten bezogen, kurz nachdem das Brigade-Komitee vorgefahren war. Tony hatte Plimpoton, Colton, Rubinselz und Hooper erkannt.

Holister stellte das Gerät ein und regulierte die Lautstärke. Das Mikrofon hatte er in einer Lampe an der Zimmerdecke versteckt.

Da Tony an Wochenenden als Pförtner im Rathaus fungierte, brauchte er keine Angst mehr zu haben, dass man das Mikrofon fand.

Er rückte die Kopfhörer zurecht und ärgerte sich über die knackenden Laute. Aber die Tonqualität war gut, und was konnte er von einem Eigenbau mehr erwarten.

Tony lauschte.

»Weshalb, zum Teufel, müssen wir uns hier versammeln, Colton? Wir hätten genauso gut in meinem Wagen darüber reden können. Oder in meiner Garage oder... Oh, verdammte Scheiße!«

Das war Bud Hoopers Stimme gewesen. Ihm gehörte die Papierfabrik.

»In deiner gottverdammten Garage hätte uns jemand belauschen können, bei all den Kindern, die du hast«, erklärte ihm Colton. Sein raues Organ und sein Keuchen waren leicht zu erkennen. »Und wenn wir im Wagen herumlungern, könnte das einen verdammt zwielichtigen Eindruck machen.«

»Offen gesagt, ich komme mir jetzt und hier ziemlich zwielichtig vor, Chief.« Das musste Bürgermeister Rubinselz sein. Keine Flüche und ein halbherziger, heiterer Tonfall. »Eigentlich bin ich der Ansicht, dass wir deinen kleinen - hm - Fund - im Grunde der Staatspolizei melden sollten. Auch wenn...«

»Du meine Güte! Das würde uns gerade noch fehlen!«, stöhnte Hooper. »Noch mehr schlechte Publicity. Ich leide bereits jetzt genug. Ihr solltet die Aktienberichte, die Fabrik betreffend, sehen. So eine hübsche, stabile Papierfabrik sinkt einfach nicht so im Kurs. Die hässliche Publicity über die Brigade ist schuld daran.«

»Nun«, warf Rubinselz ruhig ein, »das ist bisher noch nicht sicher. Man sollte keine voreiligen Schlüsse ziehen. Die wirtschaftliche Lage ist ringsherum nicht eben rosig und wunderbar.«

»Quatsch!«, fuhr ihn Hopper an. »Der Blödsinn in den Zeitungen ist schuld an allem. Man hat mir gesagt, dass eine Stadt ohne Bullen ein zu unsicherer Ort für Investitionen ist. Ich musste einen verdammt großen Kredit aufnehmen, mein Junge...«

Tony lauschte fasziniert und lächelte grimmig. Von was für einem Fund war die Rede gewesen? Seine Mühe, das Mikrofon zu installieren, hatte sich anscheinend doch gelohnt. Er hatte die Bastarde erwischt.

Er kauerte in den Lagerräumen über dem Büro des Bürgermeisters, direkt unter der großen, ausrangierten Turmuhr, umgeben von Schatten, Staub und vergessenen Aktenordnern. Der Fußboden war kahl. Ausgefranste Leitungsdrähte liefen über die schrägen Dachbalken. Sein gebräuntes Athletengesicht, das irgendwie introvertiert wirkte, wurde teilweise durch den gelben Lichtstreifen, der sich zwischen zwei Bodenbrettern nach oben stahl, aus der Dunkelheit herausgehoben. Durch denselben Spalt hatte er sein Mikrofonkabel gefädelt. Er kauerte in der Mitte des Fußbodens.

Tony wechselte die Stellung und massierte seine Beine, um die Blutzirkulation in Gang zu halten. Doch er erstarrte, als er Colton fragen hörte: »Was ist mit dem verdammten Jungen, der hier arbeitet?«

»Dem Holister? Tony? Er wird vermutlich unten im Kellergeschoss sein und Marihuana oder irgendwas dergleichen rauchen«, erwiderte der Bürgermeister und kicherte.

»Oder noch mehr überschlaue Artikel schreiben - dieser kleine Hurensohn«, knurrte Colton.

»Seine Eltern haben sich dafür entschuldigt. Es sollte keine persönliche Kritik an deiner Person sein, Chief.«

»Oh - wirklich nicht? Ich habe mir den einen Satz sehr genau gemerkt. Gerichtlich hätten wir ihn dafür belangen können...und der bäuerliche Mussolini, der hinter diesem aufkeimenden Faschismus steckt... Ja, genau das hat er gesagt. Ich kann nur seinen alten Herrn gut leiden.«

Tony Holister saß nur sechs Fuß über dem Kopf dieses bäuerlichen Mussolini und grinste.

»Das hat doch alles nichts mit dem hier zu tun«, sagte Hooper vorwurfsvoll. »Zum Teufel mit dem Jungen! Überlegt lieber, was wir mit der Leiche machen sollen!«

Tony riss die Augen weit auf.

»Wir können sie nicht der Polizei übergeben«, erklärte Colton. »Wir haben schon genug Schnüffler hier gehabt. Wenn herauskommt, dass der Killer immer noch sein Unwesen treibt, wird man die Brigade lächerlich machen. Also müssen wir unbedingt...«

»Es gibt absolut keinen Grund, die Sache an die große Glocke zu hängen«, warf Plimpton mit ruhiger Stimme ein.

Die anderen lauschten respektvoll. Jedermann hörte auf Plimpton, fügte sich seinen Anweisungen.

»Besonders wo wir keinen Beweis haben, dass es der Samstagnacht-Killer war«, setzte er nachdrücklich hinzu.

»Nun, die Art, wie er mit dem Messer umging...«

Tony registrierte, dass es kein wirklicher Einwand war, den Colton da vorbrachte.

»Stimmt, die Tat wurde auf die gleiche Art begangen«, gab Plimpton sanft zu. »Wenn man nach Mordbeweisen sucht, kann man so argumentieren. Aber wenn man nur nach einer Todesursache sucht... Wie wär's mit einem Sturz über die Klippen? Man hat mir gesagt, dass die Klippen in der Nähe der Kommune - wo sie natürlich herumgeschnüffelt hat - ziemlich steil und schroff sind. Am besten wäre ein kleiner arrangierter Steinschlag. Die Leiche würde dabei so verstümmelt werden, dass niemand auf die Idee käme, nach Stichwunden zu suchen, die von einem Messer stammen könnten. Es sei denn, man würde misstrauisch. Doch ich glaube, Dr. Trench steht auf unserer Seite, oder?«

»Ganz sicher. Er war von Anfang an ein Brigadier«, bestätigte Colton.

»Dann wird er sich die Leiche bestimmt nicht zu genau ansehen«, meinte Plimpton.

Rubinselz seufzte: »Trotzdem bleibt die moralische Frage bestehen.«

Tony sperrte erstaunt den Mund auf. Dann war Rubinselz vielleicht gar nicht nur eine Marionette? Jedenfalls musste er gute Nerven haben, wenn er sich so zu sprechen traute, dachte Tony.

Das peinliche Schweigen währte nur kurz, nur einen Herzschlag lang.

Schließlich erklärte Plimpton: »Es wäre unmoralisch, wenn wir die Geschichte ganz fallen ließen, sobald alles so arrangiert ist, dass es wie ein Unglücksfall aussieht. Aber das werden wir nicht!« Er klang falsch und unehrlich. »Wir werden den Killer schnappen und ihn für diesen und seine anderen Morde zur Rechenschaft ziehen. Ja, wir werden die. Lady aus dem Osten rächen!«

»Sehr richtig«, bekräftigte Colton.

Rubinselz kapitulierte.

»Nun gut«, sagte er matt.

»Dann blüht uns jetzt als erstes eine unangenehme Aufgabe«, fuhr Plimpton fort. »Wir müssen die Lady zu den Klippen bringen. Danach werden wir verstärkt und verschärft die Ermittlungen vorantreiben.«

»Sehr richtig«, sagte Colton erneut, diesmal weniger enthusiastisch.

Tony schaltete das Bandgerät aus, als er hörte, dass sie abzogen. Er blieb im Dunkeln sitzen und dachte nach. Plötzlich fühlte er sich sehr einsam hier oben auf dem Dachboden. Eine Gänsehaut überzog seinen Körper, als er sich ausmalte, wie Spinnen von den Dachsparren auf ihn herabfielen. Ihm war ganz elend zumute.

Was sollte er überhaupt mit dem Band anfangen? Als Beweismittel würde es kaum zulässig sein. Er könnte nur versuchen, jemandes Interesse dafür zu wecken. Wessen? Der Herausgeber der Zeitung gehörte zur Brigade. Aber da war noch Sonja Kramer. Bisher war sie jedenfalls immer da gewesen, wenn sie gebraucht wurde.

Er hatte ihre Geduld mit der geheimen Schülerzeitung auf die Probe gestellt. Sie hatte so getan, als würde sie ihn tadeln, aber nur um die Schulbehörde zufriedenzustellen. Sonja Kramer war die jüngste Rektorin im ganzen Land, und niemand traute ihr die Stellung so recht zu. Schließlich war sie erst fünfundzwanzig Jahre alt. Ihre Position war immer wieder Tagesgespräch. Das erklärte auch, warum sie Tonys schriftliche Ergüsse und Leitartikel nur privat lobte und anerkannte.

Doch vielleicht will ich auch nur an sie glauben, weil ich scharf auf sie bin, gestand sich Tony insgeheim ein.

Lächelnd packte er seine Sachen zusammen und beschloss, am nächsten Morgen Sonja - Miss Kramer - aufzusuchen. Er wollte ihr das Band vorspielen. Im Moment musste er nur erst den Bastarden zur Klippe folgen und beobachten, was sie dort machten.

Möglicherweise brauchte man später einen Zeugen.

 

 

Sonntag, 21. Mai, ein Uhr nachts.

 

Tony hoffte, dass sie nicht die North Raad nahmen. Dann konnten sie seinen Wagen auf der Front Raad stehen sehen. Und Colton würde ihn erkennen. Aber sie waren hintenherum gefahren, über die Kiesstraße, und wahrscheinlich würden sie auch auf demselben Weg zur Stadt zurückkehren.

Tony hatte sich immer wieder zu beruhigen versucht: Quäle dich nicht! Die Tote ist niemand, den du gekannt hast. Ängstige dich nicht! Wenn sie dich schnappen, weswegen könnten sie dich schon verklagen? Und keine Sorge - du kriegst sie zu fassen, diese Bastarde. Nur Geduld!

Er saß auf einem wild zerklüfteten Felsbrocken oberhalb der Straße, auf der der Kombiwagen der Brigademänner parkte. Es war dunkel, eine Nacht ohne Mondschein; doch vielleicht versteckte sich der Mond auch nur hinter den Wolken.

Die Wolken hatten sich sehr schnell zusammengebraut, waren vom Seewind hereingeschoben worden und sammelten sich nun in dem Tal zwischen den Cascade-Hügeln, die Salton einschlossen. Wie um dem Begräbnis beizuwohnen, dachte Tony.

Er machte den Reißverschluss seiner Lederjacke auf und neigte sich etwas vor. Der eiförmige Felsblock würde ihn hoffentlich vor den Blicken der Männer, die etwa dreißig Meter unter ihm im Wagen saßen, verbergen. Der Wagen glich einem starren, dunklen, blanken Eisblock. Das Licht der wenigen Sterne, die durch die Wolken blinkten, wurde von der Motorhaube reflektiert.

Worauf warteten sie? fragte sich Tony. Wahrscheinlich waren sie sich uneinig, wie sie vorgehen sollten.

Plötzlich wurden alle vier Türen des Kombis auf einmal aufgerissen. Vier Männer kletterten aus dem Inneren des Wagens. Zwei steuerten auf das weiße Geländer zur Rechten des Kombis zu und blickten in den Abgrund unter ihnen. Dimmon's Grove, ein Schattengewirr zwischen dem Kliff und der Stadt. Es ging steil nach unten. In dem schwachen Lichtschein sah man spitze, zackige Steine herausragen und dazwischen Felsspalten.

Die beiden Männer am Geländer kehrten zum Wagen zurück, wandten sich dem Heck zu und halfen den beiden anderen Männern, die längliche, in Weiß gehüllte Ladung herauszuhieven. Dann zerrten sie die Lady aus dem Osten an den Rand der Klippe, wickelten sie aus und schleuderten sie in die Nacht hinaus.

Tony sah flüchtig eine große Stoffpuppe, die sich überschlug und in der Dunkelheit verschwand. Aber er konnte sich lebhaft vorstellen, was die schroffen Felsen dem Leichnam antun würden.

Drei der Männer kletterten über das Geländer und begannen behutsam den steilen Abhang hinunterzusteigen. Tony sah etwas Metallisches in ihren Händen glitzern, Brecheisen, mit denen sie Felssteine lockern wollten.

Sie befanden sich östlich der ausgebrannten Kommune. Später würden sie sagen, die Lady aus dem Osten hätte dort herumgeschnüffelt, sich verirrt und wäre dabei verunglückt.

Und selbst Rubinselz würde vor seinem Gewissen irgendeine Rechtfertigung finden, dachte Tony.

 

 

Sonntag, 21. Mai, fünf Uhr eins morgens.

 

 

 

Sonja schaltete Tonys Cassettenrekorder aus. Sie wollte sich zurücklehnen, erinnerte sich dann aber, dass sie nicht auf ihrem Drehstuhl hinter ihrem Schreibtisch saß. Tony saß dort.

Als er mit ihr zusammen ins Zimmer gekommen war, steuerte er rasch auf den Drehstuhl zu, setzte sich mit emphatischer Geste und legte die Beine auf ihren Schreibtisch, wissend, dass sie ihn nicht von dort vertreiben würde. Weshalb hatte er das getan? fragte sie sich. Vermutlich wollte er mit der Wahl des Stuhles die Wichtigkeit seiner Rolle in dieser Situation unterstreichen. Vielleicht sagte er sich im Stillen: Obgleich du Rektorin einer Highschool bist und ich nur ein Schüler, habe ich dich durchschaut. Ich habe das Autoritäten-Spiel durchschaut. Und dann noch sein raffiniertes Kokettieren - etwas, was sie augenblicklich aus ihren Gedanken zu verbannen versuchte.

Der Junge war braungebrannt, groß, langgliedrig und muskulös. Das Blau seiner Augen wurde durch die dunklen Wimpern hervorgehoben, und das leicht spöttische Lächeln der klassisch geformten Lippen wirkte beunruhigend selbstsicher. Sein Haar war kurz und bewusst altmodisch geschnitten und glatt nach hinten gekämmt. Auch kleidete er sich ungewöhnlich. Er trug Westen und bauschige Puffärmel, enge Hosen und glänzende Stiefel. Alles an ihm war bewusst.

Vielleicht war es ein Fehler gewesen, ihm zu sagen, dass sein Intelligenzquotient 161 betrug. Er hatte niemals damit angegeben, aber sein Selbstbewusstsein war entschieden gewachsen.

»Geistige Reife bedeutet noch nicht sittliche Reife«, hatte ihn der Dekan gewarnt.

Und Tony hatte ihm geantwortet: »Alter und eine Verwaltungsposition sind auch noch kein Nachweis für sittliche Reife.«

Er hatte gewusst, dass er den Dekan wütend machen würde, aber es machte ihm Spaß, die Umwelt zu schockieren. Sie vermutete, es war eine Art Test, er wollte wissen, wie man reagieren würde.

Mit dreizehn hatte er radikale Flugblätter in Umlauf gebracht.

Mit vierzehn hatte er die Bekleidungsvorschriften durchbrochen und auf sein Recht gepocht, sich anziehen zu dürfen, wie es ihm gefiel. Das bedeutete damals: ein halbes Dutzend farbenprächtiger Schärpen, Lederhalsbänder und auf die Stirn geschriebene Geheimsymbole.

Als man ihn mit fünfzehn fragte, warum er in der Schule ein Halsband und ein Zuchthaushemd tragen würde, antwortete er, Hawthorne zitierend: »Die schwarze Blume der zivilisierten Gesellschaft - ist ein Zuchthaus.«

Seine erste feste Freundin war einundzwanzig.

Mit sechzehn hatte er eine auf dem Erziehungssektor reformistische Zeitung herausgegeben, die er selbst geschrieben, illustriert, finanziert und vertrieben hatte.

Er hatte sich in der Schule in Leichtathletik und Turnen ausgezeichnet, sich jedoch zurückgezogen, wenn es zum Wettkampf mit anderen Schulen kam.

»Schulwettkämpfe sind die Brutstätten für Kanonenfutter«, hatte er gesagt.

Tony hatte zwei Freunde in Salton: einen trotteligen Mechaniker, Hustle Brodyboy, und Sonja Kramer.

Tony war sarkastisch, manchmal hochnäsig, unberechenbar, gelegentlich geschwätzig, zu anderen Zeitungen aber auch charmant.

Jetzt hatte er korruptes Verhalten aufgedeckt, was Sonja nicht bestreiten konnte.

»Ich glaube, es stimmt«, sagte sie und legte eine Hand auf den Cassettenrekorder. »Aber ich weiß nicht, was wir dagegen tun können.«

»Was? Du möchtest wissen, was wir tun können?« Tony nahm mit Schwung seine Beine von der Schreibtischplatte und stützte stattdessen seine Ellbogen auf. »Wir könnten zum Beispiel für eine Kleinigkeit sorgen, die man Gerechtigkeit nennt - das ist alles.«

Ein bisschen melodramatisch, dachte sie.

Er schien ihre Gedanken offensichtlich zu erraten, denn er sagte: »Mir ist klar, dass das banal klingt, aber schließlich...«

»Und reagierst du nicht auch so überempfindlich, weil - nun, weil du persönlich etwas gegen die Brigade hast? Wegen der Geschichte, die in der Kommune passiert ist? Und weil du stolz bist, ein Bilderstürmer zu sein? Doch...« Sie hob eine Hand, um seinen Protest abzublocken. »...doch selbst wenn du ganz objektiv sein solltest - zu wem könnten wir denn mit dieser Story gehen? Das Band ist eine illegale Aufnahme. Und sonst hast du nur noch beobachtet, wie sie die Leiche in den Abgrund fallen ließen. Ihr Wort steht gegen deines. Und du hast bereits den Ruf, ein Exzentriker zu sein, jemand, der Unruhe stiftet um der Unruhe willen. Jedermann weiß, dass man dir den Pförtnerposten gegeben hat, um dich vor Schwierigkeiten zu bewahren. Dein Wort würde nicht zählen. Ganz abgesehen davon scheinen sie nicht zu wissen, wer der Mörder ist, versuchen aber weiterhin, es herauszufinden. Sie wollen ganz einfach nur das Interesse der Medien an dem Fall etwas verringern, damit sie ungestört - uh...«

Er starrte sie anklagend an.

»Du suchst Entschuldigungen für sie«, sagte er matt.

Sie wurde weich und murmelte: »Ja, vermutlich hast du recht. Ich möchte meine Stellung behalten. Aber zum Teufel damit!«

Sie wusste, es war sinnlos, irgendwelche Ausflüchte zu gebrauchen. Wenn Tony von einer Sache überzeugt war, ritt er so lange darauf herum, bis man ihm ein Zugeständnis machte.

Sie beugte sich vor. »Also gut, Tony - ich sehe dir an, dass dir etwas vorschwebt. Wohin gehen wir mit der Geschichte?«

Tony runzelte die Stirn. Er spielte mit einem Bleistift. So weit sie es beurteilen konnte, war er kein Junge, der die Denkerpose eines grübelnden Erwachsenen imitierte; er war ein denkender Erwachsener. Und wenn er erwachsen genug war, die Situation vernünftig zu meistern, dann war er auch erwachsen genug... Halt ein, Sonja!

»Wir könnten das Band zum Beispiel Rubinselz vorspielen«, sagte Tony bedächtig. »Wir könnten ihn zwingen, etwas zu unternehmen. Mir gefällt die Art nicht, wie sie die ganze Geschichte vertuschen. Und sie machen das nicht zum ersten Mal. Sie hatten eine Bandaufnahme von dem Anruf des Killers. Von seiner Warnung. An Frauen, die nachts spazieren gehen - das war der Anfang seiner Warnung. Der Killer hatte die Polizei angerufen und gesagt, er hätte eine Botschaft für die Frauen von Salton. An Frauen, die nachts spazieren gehen: Gottes Hand nimmt manchmal schreckliche Gestalt an. Manchmal muss Gott töten, um seine Kinder vor der Saat der Verderbtheit zu schützen. Ihr seid die Saat der Verderbtheit. Huren, verlasst Salton oder holt euch den Tod ins Bett! Die Huren, das waren eine jungfräuliche Bibliothekarin, ein Ladenmädchen von Dairy Quenn - kurzum augenscheinlich jedes hübsche Mädchen, das sich nach Einbruch der Dunkelheit noch blicken ließ.«

»Ja, ihre Geschichte von dem ruinierten Tonband war schwer zu glauben«, gab Sonja zu. »Ich vermute, sie beschlossen, das Band zu vernichten.« Sie schauderte. »Es ist das erste Mal, dass ich mir das selbst eingestehe. Aber warum haben sie das getan?«

»Weil - weil die verdammten Hurensöhne...« Tony saß jetzt ganz aufrecht auf dem Stuhl. Seine Stimme klang gepresst, an seinem Hals traten die Adern hervor. Er schien durch die Wände hindurchzusehen und in der Feme irgendetwas Hässliches zu entdecken. »Weil die Hurensöhne wissen, dass es jemand aus der Brigade ist. Vielleicht jemand aus der Spitze. Vielleicht...«