Borderline - Frank Schneider - E-Book

Borderline E-Book

Frank Schneider

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Beschreibung

Innere Leere, emotionale Instabilität, unbeständige Beziehungen, panische Angst vor dem Verlassenwerden, schwere Krisen mit mangelnder Impulskontrolle, wiederholte Selbstverletzungen: Borderline ist durch eine starke Störung der Gefühle gekennzeichnet – sich selbst und anderen Menschen gegenüber. Prof. Dr. Schneider klärt über Ursachen der Krankheit auf und erläutert, wie sich Borderline symptomatisch äußert und vor allem, was man dagegen tun kann. Fachkundig stellt er verschiedene spezifische Formen der Psychotherapie vor und legt dar, welche Möglichkeiten der medikamentösen und psychosozialen Behandlung es gibt. Mit hilfreichen Checklisten und vielen anschaulichen Fallbeispielen.

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Die Ratschläge in diesem Buch sind von Autoren und Verlag sorgfältig geprüft, dennoch kann keine Garantie übernommen werden. Jegliche Haftung der Autoren bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Gesundheitsschäden sowie Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

© für die Originalausgabe und das eBook:

2013 F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel

eBook-Produktion: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger & Karl Schaumann GmbH, Heimstetten

ISBN 978-3-7766-8184-0

www.herbig-verlag.de

Inhalt

Einführung: Eigene Gefühle und die der anderen

Borderline: Eine schwere Erkrankung

»Grenzgänger«

Persönlichkeitsstörungen

Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ

Störung der Gefühlsregulation

Störung der Identität

Störung der sozialen Interaktion

Weitere Symptome

Selbstschädigendes Verhalten

Veränderte Wahrnehmung

Suizidalität

Zusammenfassung

Welche Ursachen hat Borderline?

Biologische Faktoren

Gibt es ein »Borderline-Gen«?

Auffälligkeiten im Gehirn?

Die Botenstoffe im Gehirn

Weitere biologische Einflussfaktoren

Psychosoziale Faktoren

Vulnerabilitäts-Stress-Modell

Zusammenfassung

Der Weg zur Diagnose

Wer kann die Diagnose stellen?

In welchem Alter kann man die Krankheit feststellen?

Wie wird eine Diagnose gestellt?

Wann wird die Diagnose gestellt?

Wie sicher ist die Diagnose des Arztes?

Zusammenfassung

Borderline kommt selten allein

Depressionen

Ursachen der Depression

Therapie der Depression

Angststörungen

Agoraphobie

Panikstörung

Soziale Phobie

Spezifische Phobien

Generalisierte Angststörung

Therapie der Angststörungen

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

Essstörungen

Anorexia nervosa

Bulimia nervosa

Binge-Eating-Störung

Suchterkrankungen

Zusammenfassung

Psychotherapie

Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT)

Skillstraining in der Gruppe

Innere Achtsamkeit

Stresstoleranz

Umgang mit Gefühlen

Zwischenmenschliche Fertigkeiten

Selbstwertsteigerung

Einzeltherapie

Schemafokussierte Therapie (SFT)

Übertragungsfokussierte Therapie (TFP)

Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT)

Zusammenfassung

Behandlung mit Medikamenten

Antidepressiva

Stimmungsstabilisatoren

Antipsychotika

Benzodiazepine

Zusammenfassung

Psychosoziale Behandlung

Ergotherapie

Sport- und Bewegungstherapie

Entspannungsverfahren

Kreativ-künstlerische Therapien

Einrichtungen des Betreuten Wohnens

Tagesstrukturierung

Sozialpsychiatrische Dienste

Zusammenfassung

Borderline-Patienten: Ihre Angehörigen und Freunde

Informationen und Ausgleich sind wichtig

Borderliner als Partner

Borderline-Patienten als Eltern

Zusammenfassung

Recht und Gesetz

Was tun bei Suiziddrohungen?

Vollmachten und Verfügungen des Betroffenen

Vorsorgevollmacht

Patientenverfügung

Gesetzliche Betreuung und Betreuungsverfügung

Schwerbehinderung

Frühberentung

Zusammenfassung

Service

Glossar

Sinnesbezogene Stresstoleranz-Skills zur Krisenbewältigung

Krisenplan

Liste angenehmer Aktivitäten

Verhaltensanalyse

Hilfreiche Adressen und Internetseiten

Hilfen im Notfall

Quellenverzeichnis und weiterführende Literatur

Lesetipps

Einführung: Eigene Gefühle und die der anderen

Es gibt viele psychische Erkrankungen. Die Borderline-Erkrankung gehört sicherlich zu denjenigen, die den meisten Menschen besonders befremdlich erscheinen, die viele nicht verstehen. Sie wird den Persönlichkeitsstörungen zugeordnet, denn sie zeigt sich bereits im Jugendalter als eine alle Bereiche des Lebens und den gesamten Alltag beeinflussende Erkrankung. Sie ist meistens eine sehr schwere, manchmal sogar eine zum Tod führende Erkrankung.

Charakteristisch sind eine Störung der Gefühlsregulation, verbunden mit extremen Stimmungsschwankungen und Anspannungszuständen sowie eine starke Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen und im Selbstbild. Das wohl bekannteste nach außen sichtbare Merkmal der Borderline-Persönlichkeitsstörung ist das selbstverletzende Verhalten, das aber nicht bei allen Betroffenen auftreten muss oder auch Ausdruck anderer Erkrankungen sein kann.

Sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei einzelnen Therapeuten ist die Borderline-Erkrankung immer noch mit einem Stigma behaftet.Borderlinergelten mitunter als besonders schwierig und manipulierend. Der vorliegende Ratgeber möchte daher umfassend über diese Erkrankung informieren, über ihre Symptome, die möglichen Ursachen, das diagnostische Vorgehen und natürlich die umfangreichen therapeutischen Einflussmöglichkeiten. Damit soll zu einer effektiven Aufklärung beigetragen werden. Denn die Borderline-Erkrankung muss und darf kein »Schreckgespenst« sein!

Und niemand ist der Borderline-Erkrankung hilflos ausgeliefert, weder die Patienten noch ihre Angehörigen. Es ist möglich, die Symptome durch eigene Verhaltens- und Erlebensweisen günstig zu beeinflussen und ein »normales« Leben zu führen.

In den letzten Jahren wurden zahlreiche, speziell auf das Erkrankungsbild zugeschnittene Therapiekonzepte entwickelt, die sich in wissenschaftlichen Studien als effektiv erwiesen haben. Das wohl bekannteste und im deutschen Sprachraum am weitesten verbreitete Therapiekonzept ist sicherlich die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) der amerikanischen Psychologieprofessorin Marsha M. Linehan. Diese Therapiemethode wird im vorliegenden Ratgeber ausführlich vorgestellt, aber auch andere Therapiekonzepte werden beschrieben.

Dieser Ratgeber stellt natürlichkeinen Ersatz für eine Therapie dar. Er soll jedoch alle Betroffenen dazu ermutigen, sich für einen neuen, einen konstruktiveren Weg zu entscheiden, und soll sie und auch ihre Angehörigen zu Experten in eigener Sache machen.

Da die Borderline-Erkrankung nicht selten auch mit anderen psychischen Erkrankungen einhergeht, werden zudem die wichtigsten dieser Erkrankungen thematisiert: dies sind Depressionen, Angststörungen, Essstörungen, die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Alkohol- und Drogenmissbrauch sowie die posttraumatische Belastungsstörung.

Es sei angemerkt: Bei jedem Verdacht auf eine gravierende psychische Erkrankung – und Borderline gehört ganz sicher dazu – sollte umgehend ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie konsultiert werden. Denn je früher eine psychische Erkrankung erkannt und behandelt wird, desto weniger stark wird sie zukünftig ausgeprägt sein und umso kürzer werden die Beschwerden anhalten.

Welches Wissen wird nun auf den folgenden Seiten vermittelt? Ich beschränke mich auf solches, welches in den einschlägigen wissenschaftlichen Leitlinien der Fachgesellschaften sowie in großen Übersichtsarbeiten (z. B. den »Cochrane Reviews«) publiziert und darüber hinaus ganz aktuell ist. »Evidenzbasierung« heißt hier das Schlüsselwort. Es bedeutet, dass diagnostische und therapeutische Verfahren in den medizinischen Bereichen nicht auf einfachen Einschätzungen, Vermutungen, traditionellen Ansichten oder gar »Aberglauben« beruhen dürfen, sondern durch wissenschaftliche Untersuchungen ganz sicher belegt sein müssen.

Um das theoretische Wissen möglichst anschaulich darzustellen, greife ich auf zahlreiche Fallbeispiele zurück. Die Beispiele von Patienten und ihren Angehörigen, die in diesem Buch dargestellt sind, wurden aber von mir anonymisiert. Ich bitte um Verständnis dafür, dass hier zum Schutz der Patienten und ihrer Familien fiktive Namen eingesetzt wurden. Die Geschichten selbst sind jedoch aus meiner alltäglichen klinischen Praxis.

Dieses Buch soll informieren und aufklären und dadurch zur Selbsthilfe von Betroffenen, aber auch von Angehörigen und Betreuern beitragen. Nur wer die Krankheit versteht, wer erkennt, warum Diagnostik und Therapie wichtig sind, welche Konsequenzen wann gezogen werden müssen, wie was rechtlich geregelt werden sollte, wird selbst zur Fachfrau bzw. zum Fachmann der eigenen Erkrankung.

Und es sei betont: Psychische Erkrankungen wie Borderline können jeden Menschen treffen. Es handelt sich dabei nicht um eigenes oder fremdes Fehlverhalten oder um persönliche Schwächen oder Versagen, sondern um Erkrankungen des Gehirns, die sich auf der Grundlage einer gewissen biologischen Verletzlichkeit im Zusammenwirken mit äußeren Belastungsfaktoren entwickeln. Weder sind Sie als Patient daran schuld, dass Sie krank geworden sind, noch irgendjemand anderes. Vielmehr beruht die Erkrankung auf einem Zusammenspiel mehrerer ungünstiger Faktoren. Man sagt, sie ist »multifaktoriell«bedingt.

In diesem Sinne hoffe ich, dass Ihnen das vorliegende Buch weiterhilft. Niemand kann etwas für eine psychische Erkrankung, aber jeder mittelbar und unmittelbar Betroffene muss wissen, wo und wie geholfen werden kann und wie er selbst dazu beitragen kann, dass das Leben wieder lebenswerter erscheint.

Prof. Dr. med. Dr. rer. soc. Frank Schneider

Borderline: Eine schwere Erkrankung

Fallbeispiel

»Aufgewachsen bin ich in einer Kleinstadt, zunächst bei meinen Großeltern, weil meine Mutter kurz nach meiner Geburt verstarb und mein Vater ein Säufer war. Nach dem Tod meiner Großeltern kam ich in verschiedenen Heimen und Pflegefamilien unter. Meine Kindheit und Jugend waren sehr turbulent, geprägt von Weglaufen, Schule schwänzen, ziemlichen Erfahrungen mit Alkohol und Drogen. Eine Ausbildung zur Altenpflegerin habe ich bis heute nicht abgeschlossen. Ich galt wohl schon immer als sehr launisch und konnte von der einen auf die andere Sekunde heftigste Wutausbrüche bekommen, wegen »nichts«. Inzwischen ist es eher so, dass ich mich innerlich leer fühle, wie tot – toter als tot. Sogar meinen Körper spüre ich dann nicht mehr. Ich habe das Gefühl, als würde mein Körper gar nicht mehr existieren, sondern irgendwie mit der Umgebung verschmelzen. In solchen Situationen ritze ich mich, meistens mit einer Rasierklinge, an Armen und Beinen – bis das Blut kommt, erst dann habe ich das Gefühl, dass ich wieder ich selbst bin.

Dann wiederum überkommen mich Phasen, da fühle ich mich ganz unruhig, kann keinen klaren Gedanken mehr fassen, könnte nur noch heulen und würde am liebsten mich und alles um mich herum einfach zerstören. Ich kann das Gefühl gar nicht benennen, es herrscht einfach Chaos in mir.

Mein Freund versucht in solchen Situationen, besonders lieb zu mir zu sein, mich in den Arm zu nehmen, mich zu trösten. Doch ich kann seine Nähe in solchen Augenblicken gar nicht ertragen. Ich habe ihn gar nicht verdient. Ich weiß nicht, wie er es mit mir aushält, wahrscheinlich ist da längst eine andere, mit der er mich betrügt. Vor vier Wochen habe ich ihm dies vorgehalten. Er wies meine Vorwürfe zurück, aber ich glaubte ihm nicht. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich von einem Partner betrogen werde. Ich habe ihn dann aus unserer gemeinsamen Wohnung rausgeworfen und ihm seine Klamotten im Treppenhaus hinterhergeworfen.

Ich weiß nicht mehr genau, wie es dazu gekommen ist, aber ich habe anschließend eine halbe Flasche Wodka ausgetrunken und die Schlaftabletten und alles andere, was ich noch im Medikamentenschrank gefunden habe, eingenommen – wie viele Tabletten das waren, kann ich nicht sagen. Ich wollte einfach nicht mehr leben. Mein Freund, der noch einmal zurückkam, fand mich auf dem Wohnzimmerboden liegend und verständigte den Notarzt.

Seitdem befinde ich mich nun in einer Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Keine Klapse, sondern ein echtes Krankenhaus, wo mir geholfen wird, mich selbst zu verstehen. Hier bekam mein Anderssein endlich einen Namen: Borderline. Jetzt bin ich seit acht Wochen hier. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich wirklich verstanden. Zum ersten Mal habe ich die Hoffnung, dass sich alles zum Guten wenden kann. Ich weiß, dass ich nach der Entlassung ambulant weiterbehandelt werden muss, das ist o. k.«

Jette P., 21 Jahre

Die Borderline-Erkrankung ist keine seltene Erkrankung. Ungefähr 3 von 100 Erwachsenen leiden zumindest einmal in ihrem Leben daran. Dabei sind Frauen und Männer etwa gleich häufig betroffen. Allerdings sind Frauen in der medizinischen Versorgungslandschaft deutlich überrepräsentiert. So sind etwa 80 Prozent der Borderline-Patienten in psychiatrisch-psychotherapeutischen Kliniken weiblich. Dies hat damit zu tun, dass Frauen zum einen häufiger mit Selbstverletzungen reagieren, zum anderen nehmen sie grundsätzlich mehr psychiatrisch-psychotherapeutische Hilfe in Anspruch. Männer dagegen richten Aggressionen eher nach außen und geraten dadurch nicht selten mit dem Gesetz in Konflikt. Sie sind dann möglicherweise häufiger in Kliniken für psychisch kranke Straftäter oder in Justizvollzugsanstalten anzutreffen.

»Grenzgänger«

Der Begriff »Borderline« (Grenzlinie) wurde Ende des 19. Jahrhunderts von dem englischen Psychiater C. H. Hughes eingeführt. In seinem 1884 erschienenen Artikel »Borderland Psychiatric Records« führte er den Begriff »borderland patients« ein als Bezeichnung für Patienten, die ein Beschwerdebild mit unbändigen Stimmungsschwankungen, zeitweiligen Gefühlen der Unwirklichkeit oder mit Wahrnehmungsstörungen zeigten, das Hughes an der Grenze zu den schizophrenen Psychosen (siehe Glossar) ansiedelte. Inzwischen steht fest, dass die Borderline-Erkrankung und die Schizophrenie ganz unterschiedliche, voneinander unabhängige Erkrankungen sind. Aber damals wählte man den von »borderland« abgeleiteten Begriff »Borderline«, um Beschwerdebilder zu benennen, die schwer zu klassifizieren waren und von denen man annahm, dass sie irgendwo zwischen einer Neurose (siehe Glossar) und einer Psychose einzuordnen seien, da einige Symptome an eine Psychose, andere wiederum an eine Neurose erinnerten.

Der Begriff »Borderline« hat sich bis heute gehalten, allerdings ist die Einordnung inzwischen eine völlig andere (siehe nächsten Abschnitt).

Nicht wenigen Patienten gefällt die Bezeichnung »Borderline«, da der Begriff auch ausdrückt, was so viele von ihnen empfinden: sich zerrissen fühlen zwischen den Extremen, zwischen Liebe und Hass, Nähe und Distanz, Abwertung und Idealisierung, Euphorie und Niedergeschlagenheit und oft auch zwischen dem Wunsch zu leben und dem Wunsch zu sterben.

Persönlichkeitsstörungen

Nach heute gängigen Klassifikationssystemen, wie der Internationalen Klassifikation der Erkrankungen (ICD-10; siehe Glossar) der Weltgesundheitsorganisation, wird die Borderline-Erkrankung den Persönlichkeitsstörungen zugeordnet.

Eine Persönlichkeitsstörung zeichnet sich aus durch tief verwurzelte und sehr starre Verhaltens- und Denkmuster, die deutlich von den kulturellen Erwartungen und Normen abweichen und die nicht auf bestimmte Situationen beschränkt sind, sondern sich in unterschiedlichen Lebensbereichen äußern, wie Beruf, Freizeitgestaltung und insbesondere in zwischenmenschlichen Beziehungen. Diese problematischen Verhaltensmuster sind zeitlich überdauernd und zeigen sich in der Regel schon im Kindes- oder Jugendalter. Dies bedeutet aber keineswegs, dass sie nicht veränderbar wären!

Definition der Persönlichkeitsstörungen: Erkrankungen, die charakterisiert sind durch kulturell abweichende, starre Denk- und Verhaltensmuster, die zeit- und situationsübergreifend sind und sich bereits im Kindes- oder Jugendalter zeigen.

Wir neigen mitunter schnell dazu, Denk- und Verhaltensstile, die uns befremdlich erscheinen, als »unnormal« oder krankhaft zu werten, oder Menschen, die wir als schwierig im Umgang erleben, als »persönlichkeitsgestört« einzuordnen, obwohl ihr Denken und Verhalten vielleicht zur normalen Variationsbreite des menschlichen Erlebens gehört. Wichtig zu wissen ist jedoch, dass eine Persönlichkeitsstörung wirklich nur dann vorliegt und auch entsprechend diagnostiziert werden kann, wenn die problematischen Denk- und Verhaltensmuster stabil und unflexibel sind und zu erheblichem subjektivem Leidensdruck bei den Betroffenen oder im sozialen Umfeld führen.

Spezifische Persönlichkeitsstörungen

Die ICD-10 nennt verschiedene Persönlichkeitsstörungen (siehe Tabelle), die Borderline-Persönlichkeitsstörung gilt als Unterform der emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung und ist die am häufigsten diagnostizierte Persönlichkeitsstörung überhaupt.

Persönlichkeitsstörung

Charakteristika

Paranoide Persönlichkeitsstörung

Misstrauen, Streitsucht, übertriebene Empfindlichkeit gegenüber Kritik, situationsunangemessenes Beharren auf dem eigenen Recht

Schizoide Persönlichkeitsstörung

Einzelgängerisches Verhalten, Verschlossenheit, scheinbare Gleichgültigkeit gegenüber Lob und Kritik, mangelhaftes Gespür für geltende Normen und Konventionen

Dissoziale Persönlichkeitsstörung

Missachtung sozialer Regeln und Normen, ausgeprägte Tendenz zu aggressivem Verhalten, Mangel an Einfühlungsvermögen und Mitgefühl, geringe Frustrationstoleranz

Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung (impulsiver Typus oder Borderline-Typus)

Hochgradige Tendenz, Impulse ohne Berücksichtigung ihrer Konsequenzen auszuagieren, Launenhaftigkeit; es werden zwei Formen voneinander abgegrenzt: der impulsive Typ sowie der Borderline-Typ

Histrionische Persönlichkeitsstörung

Theatralisches, dramatisierendes Verhalten und übersteigerter Ausdruck von Gefühlen, Suche nach Aufmerksamkeit, oberflächliche und labile Affektivität

Anankastische (zwanghafte) Persönlichkeitsstörung

Übertriebene Gewissenhaftigkeit, Zweifel und Vorsicht, Perfektionismus, ständige Beschäftigung mit Details, Regeln, Ordnung, Plänen, hohe Leistungsbezogenheit, Starr- und Eigensinn, extreme Sparsamkeit bis hin zum Geiz

Ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung

Andauernde Gefühle von Besorgtheit, Unsicherheit, Anspannung und Minderwertigkeit, Überempfindlichkeit gegenüber Kritik und Zurückweisung

Abhängige Persönlichkeitsstörung

Trennungsangst, Passivität in Entscheidungssituationen, Gefühle der Hilflosigkeit und Inkompetenz, unterordnendes, anklammerndes Verhalten

Sonstige spezifische Persönlichkeitsstörungen

Hierunter wird unter anderem die sogenannte narzisstische Persönlichkeitsstörung klassifiziert (Großartigkeit im Erleben und Verhalten bei gleichzeitiger Überempfindlichkeit gegenüber Kritik sowie einem Mangel an Mitgefühl)

Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ

»Es ist, als würden die Gefühle mein ganzes Leben lang Achterbahn fahren, und ich schaffe es nicht, aus dieser Achterbahn auszusteigen«.

Silke H., 29 Jahre.

Es können zwei Erscheinungsformen der emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung unterschieden werden: der impulsive Typ, der sich vor allem durch emotionale Instabilität und mangelnde Impulskontrolle auszeichnet, und der Borderline-Typus, der zusätzlich charakterisiert ist durch zahlreiche weitere Merkmale. Dazu gehören eine Instabilität des Selbstbildes, der eigenen Ziele und inneren Präferenzen sowie zwar intensive, aber sehr instabile Beziehungen. So kommt es für Außenstehende häufig überraschend und erscheint schwer nachvollziehbar, wie abrupt Borderline-Patienten die Bewertung ihrer Beziehungspartner, ihrer Lebensziele und ihrer Wertvorstellungen ändern können – und zwar von einem Extrem in das andere, von der Idealisierung zur totalen Abwertung, von Liebe in Hass und so weiter. Von jetzt auf sofort.

Hier zeigt sich ein grundlegender, problematischer Denkstil der Borderline-Patienten, nämlich das Denken in Schwarz-Weiß-Kategorien: entweder ist etwas nur gut oder nur böse, schwarz oder weiß, entweder ist jemand Held oder Schurke, etwas dazwischen gibt es nicht. Doch die Realität sieht eigentlich ganz anders aus: Die Welt besteht aus ganz vielen Zwischentönen, es gibt nicht nur schwarz oder weiß, kein Mensch hat nur gute oder nur schlechte Eigenschaften. Hier eine realistischere Sichtweise zu entwickeln, ist ein Ziel der kognitiven Verhaltenstherapie (siehe Kapitel »Borderline kommt selten allein«, Abschnitt »Depressionen«) und der DBT-Behandlung (siehe Kapitel »Psychotherapie«, Abschnitt »Dialektisch-Behaviorale Therapie«).

Weitere Merkmale der Borderline-Persönlichkeitsstörung sind ein chronisches Gefühl innerer Leere, eine massive Angst vor dem Alleinsein und Verlassenwerden sowie die Neigung zu selbstschädigendem und suizidalem Verhalten. Die starke innere Anspannung, die die Patienten in unberechenbarer Weise immer wieder überfällt, versuchen diese oft durch Selbstverletzungen, Essen oder Erbrechen oder das Konsumieren von Alkohol oder Drogen zu mindern.

Die Diagnose einer Borderline-Erkrankung setzt das gemeinsame Vorliegen einer bestimmten Mindestanzahl dieser Merkmale voraus (siehe Kasten), die in der ICD-10 festgelegt sind.

ICD-10-Diagnosekriterien der emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ sowie vom Borderline-Typ

Impulsiver Typ

Mindestens drei der folgenden Merkmale müssen zutreffen:

Deutliche Tendenz, unerwartet und ohne Berücksichtigung der Konsequenzen zu handelnDeutliche Tendenz zu Streitereien und Konflikten mit anderen, insbesondere dann, wenn impulsive Handlungen unterbunden oder getadelt werdenNeigung zu Wut- oder Gewaltausbrüchen, verbunden mit der Unfähigkeit zur Kontrolle explosiven VerhaltensSchwierigkeiten, Handlungen beizubehalten, die nicht unmittelbar belohnt werdenUnbeständige, launische Stimmung

Borderline-Typ

Mindestens drei der fünf genannten Kriterien des impulsiven Typus müssen vorliegen und zusätzlich mindestens zwei der folgenden Merkmale:

Störungen und Unsicherheit bezüglich des Selbstbildes, der Ziele und »inneren Präferenzen« (einschließlich sexueller)Neigung, sich auf intensive, aber instabile Beziehungen einzulassen, oft mit der Folge von emotionalen KrisenÜbertriebenes Bemühen, ein Verlassenwerden zu vermeidenWiederholt Drohungen oder Handlungen mit SelbstschädigungAnhaltendes Gefühl von innerer Leere

Fachleute gehen davon aus, dass sich die oben angeführten Merkmale der Borderline-Erkrankung im Wesentlichen zu drei zentralen Störungen zusammenfassen lassen, die dem Erkrankungsbild zugrunde liegen. Dies sind eine Störung

der Gefühlsregulationder Identität undder sozialen Interaktion.

Störung der Gefühlsregulation

Fallbeispiel

»Manchmal ist es nur ein Wort, eine kleine Geste oder gerade auch das Fehlen einer Geste, was meine Stimmung umschlagen lässt in Wut, Verzweiflung, Aggression, tiefe Traurigkeit oder einfach nur in ein unerträgliches Gefühl, das ich nicht benennen kann. Dies geschieht ganz plötzlich, von der einen auf die andere Sekunde. Um ein Beispiel zu geben:

Ich aß gemeinsam mit meinem Freund Alex zu Abend, als er eine SMS seiner Arbeitskollegin erhielt, die er auch prompt beantwortete. Plötzlich überkam mich so eine ungeheure Wut, dass ich glaubte, diese nicht aushalten zu können. Ich fühlte mich in meine Kindheit zurückversetzt, in Situationen, in denen meine Mutter ausschließlich meiner Schwester ihre wenige Zeit und Aufmerksamkeit schenkte und mir das Gefühl gab, gar nicht existent, gar nicht wichtig, sondern unerwünscht zu sein. Ich warf meinem Freund vor, dass er seine Arbeitskollegin mir vorziehen würde, und erklärte ihm, dass er zu ihr gehen könne, wenn ihn das glücklicher mache.

Alex lächelte nur, und ich fühlte mich überhaupt nicht ernst genommen und so unverstanden und ungeliebt, dass es mich noch rasender machte. Ich war so gefangen in meinen Gefühlen, dass ich mich gar nicht mehr beruhigen konnte. Im Gegenteil: ich wurde beleidigend und aggressiv, letztendlich zerschmiss ich sogar das teure Geschirr. Anschließend fühlte ich mich schuldig und verachtenswert.

Ein anderes Mal begleitete ich meine beste Freundin zu einer Party. Ich kannte dort außer meiner Freundin niemanden, doch die Stimmung auf der Party war gut, es wurde viel gelacht. Plötzlich aber fühlte ich mich so fremd unter den Menschen und so traurig, dass ich nur noch weg wollte. Auf die irritierten Blicke meiner Freundin entgegnete ich, dass ich nicht verstehe, wie man so viel lachen könnte bei all dem Leid, das es auf der Welt gäbe. Meine Freundin schüttelte den Kopf, und das machte mich wütend. Ich verabschiedete mich nicht von ihr, sondern äußerte, dass sowieso alles sinn- und hoffnungslos sei, und ging. Wohl aus der Sorge heraus, ich könnte mir etwas antun wollen, benachrichtigte sie meinen Freund, der mir daraufhin schon ein Stück des Heimweges entgegenlief.