Borkumer Todesriff - Wolfgang Santjer - E-Book

Borkumer Todesriff E-Book

Wolfgang Santjer

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  • Herausgeber: GMEINER
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Ist das zu fassen? Drei befreundete Profitaucher finden vor Borkum ein Schiffswrack aus der Zeit der Germanicus-Feldzüge und darin wertvolle römische Schätze. Kurz darauf wird bei einer Wattwanderung auf Borkum ein Toter entdeckt, und im Fahrwasser vor der Insel treibt eine brennende Jacht. Jan Broning und sein bewährtes Team ermitteln auf Borkum, in der Gemeinde Krummhörn, in Leer und im niederländischen Grenzgebiet.

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Seitenzahl: 370

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Wolfgang Santjer

Borkumer Todesriff

Kriminalroman

Zum Buch

Tödliche Gier Drei befreundete Profitaucher finden im wenig befahrenen Fahrwasser »Alte Ems« vor Borkum ein Schiffswrack aus der Zeit der Germanicus-Feldzüge und plündern die römischen Schätze. Und auch die Bewohner der beliebten Insel erleben Seltenes: Bei einer Wattwanderung wird ein Toter entdeckt. Kriminalkommissarin Maike Broning übernimmt zunächst die Ermittlungen, denn ihr Mann Jan, ebenfalls Kriminalkommissar, ist momentan undercover in der Kunstszene im Grenzgebiet zu den Niederlanden im Einsatz. Als ein weiterer Toter auf einer brennenden Jacht vor Borkum gefunden wird, gründet die Polizei die Soko „Schwanengold“ unter der Leitung von Jan Broning. Die Ermittlungen führen sein Team nach Leer zu einer Bande von Betrügern und ihren zahlreichen Feinden …

Wolfgang Santjer wurde 1960 in Leer geboren und lebt in Bingum an der Ems. 38 Jahre lang versah er als Polizeibeamter Dienst bei verschiedenen Polizeibehörden – angefangen beim damaligen Bundesgrenzschutz, dann der Wechsel zur Landespolizei. Weitere Stationen waren die Wasserschutzpolizei in Emden und Leer und die Autobahnpolizei in Leer, wo er sich unter anderem auf die Gefahrgutüberwachung spezialisierte. Als Ausgleich zu seiner Schreibtischarbeit als Autor schnitzt Wolfgang Santjer aus alten Schiffsdalben große Holzskulpturen für den Garten.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Christine Braun

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © wWeiss Lichtspiele / istockphoto.com

ISBN 978-3-8392-7798-0

Zitat

Das Wasser haftet nicht an Bergen,

die Rache nicht an großen Herzen.

Konfuzius

*

Blinde Rache

schlimme Sache.

Deutsches Sprichwort

Personenliste

Polizisten/Ermittler der Soko Schwanengold:

Jan Broning

Maike Broning, geborene de Buhr

Stefan Gastmann (verheiratet mit Bekky, Tochter des Bestatters Siegmund Erdmann)

Onno Elzinga

Klaas Leitmann

Spurensicherung:

Albert Brede

Swantje Beninga

Polizeiinspektion Leer:

Leitung: Thomas Sprengel

Wachhabender: Klaus Hensmann

Polizei Borkum:

Hero Sluiter

Tomke Rabenstein

Polizei Aurich/Pewsum:

Hayo Ukena

Polizeitaucher:

Kurt Lessing

Niederlande:

Simon Drebber: Kriminalpolizist aus Nordholland

Aurich/Krummhörn:

Staatsanwalt Gruhlich

Gerichtsmedizin:

Dr. Knoche

Dr. Andresen

Tauchfirma Swart/Tauchklub Neptun:

Firmenchef Hilko Swart

Freund Tjade Akkermann

Freund Jonas Mentjes

Firma Schwanengold-Mine:

Chef: Ferdinand Lamberg

Stellvertreter: Werner Woland

Marketing/Werbung: Volker Homming

Geschäftsführer: Bernd Bäke

Anleger/Geschädigte bei der Firma Schwanengold-Mine:

Hubert von Bühl

Eiko Dinkela

Ingo Osting

Galerie Gravius, Bellingwolde (Niederlande):

Künstler Harm Gravius

Ehefrau Theodora Gravius

Teilnehmer/Künstler am Workshop der Galerie Gravius:

Margriet aus Groningen

Sjurd aus Harlingen

Henk aus Amsterdam

Prolog

Hilko Swart stand hinter dem Ruder seines neuen Bootes mit dem Namen »Burkana«. Neues Boot … na ja, tatsächlich handelte es sich um ein ehemaliges Behördenfahrzeug mit etlichen Dienstjahren. Ein ausrangiertes Zollboot, welches er ersteigert hatte. Es war zirka 15 Meter lang, hatte zwei Antriebsmotoren und war deshalb gut geeignet, um es zu einem Tauchbasisboot umzubauen.

Hilko presste die Lippen fest zusammen. Mit diesem Boot hatten seine finanziellen Probleme begonnen. Er schüttelte beim Gedanken an die Versteigerung unwillkürlich den Kopf und atmete tief durch. Er hatte sich mitreißen lassen und zu viel gezahlt. Dann waren noch die teuren Umbauten zum Tauchbasisboot dazugekommen.

Hilko Swart hatte sein Hobby zum Beruf gemacht und betrieb seit einem Jahr eine Tauchfirma. »Firma« war vielleicht etwas übertrieben, denn es handelte sich um einen Einmannbetrieb. Hilko übernahm als Berufstaucher Aufträge in ganz Ostfriesland, angefangen vom Entfernen von Tauen und Netzen, die sich um die Schrauben der Kutter gewickelt hatten, bis zur Suche nach Smartphones, die unvorsichtigen Touristen ins Hafenwasser gefallen waren. Hilko erinnerte sich an eine hysterische Frau im Hafen von Greetsiel, die ihm, bevor er abtauchte, zugerufen hatte: »Herr Swart, auf dem Handy ist mein ganzes Leben. Bitte, ich muss es wiederhaben, zumindest die Simkarte!«

Tauchaufträge gab es ausreichend, bis jetzt jedoch unregelmäßig. Deshalb wollte Hilko zunächst keine zusätzlichen Taucher einstellen. Seine Freunde Jonas Mentjes und Tjade Akkermann halfen ihm hin und wieder aus, wenn er einen Auftrag nicht alleine durchführen konnte.

Für die lukrativen Tauchaufträge, zum Beispiel draußen auf See bei den Windanlagen, hatte ihm bis jetzt ein Tauchbasisboot gefehlt. Mit der Anschaffung dieses Bootes hoffte er, in Zukunft auch solche Arbeiten annehmen zu können.

Für seine neue Firma sah es durch die Investition finanziell düster aus, das Wasser stand ihm bis zum Hals. Irgendwie musste er die Zeit bis zu den erwarteten lohnenden Aufträgen überbrücken.

Die laute Stimme seines Kameraden Tjade riss ihn aus seinen trüben Gedanken. »Hilko, du fährst noch an der Fischerbalje vorbei, wenn du so weiterträumst.«

Hilko überhörte den Vorwurf und fragte stattdessen: »Was machen unsere Motoren?«

Tjade war der Schrauber an Bord und konnte einfach alles reparieren. »Sie laufen wie geschmiert, obwohl sie schon so alt sind. Die Zöllner haben damals gut für die Motoren gesorgt, und das zahlt sich jetzt aus. Allerdings …«

»Allerdings?« Hilko sah seinen Kumpel an. Diesen besorgten Gesichtsausdruck seines Freundes kannte er sehr gut.

»In der Bilge hat sich wieder Wasser gesammelt, vermutlich die Wellenabdichtung.«

Hilko schüttelte verzweifelt den Kopf, weil er genau wusste, was das bedeutete. Das Boot musste aus dem Wasser, die Schrauben mussten runter, um die Wellen neu abzudichten. Ein teurer Werftaufenthalt, der seine letzten Reserven verschlingen würde.

Hilko verdrängte seine Sorgen, weil er sich auf seinen Kurs konzentrieren musste. Sie waren vor Stunden aus dem Außenhafen Emden mit Kurs Borkum ausgelaufen. Hilko hatte den einsetzenden Ebbstrom abgewartet, um während der rund dreistündigen Fahrt nach Borkum Sprit zu sparen. Inzwischen manövrierte er sein Boot entlang der roten Tonnen des Fahrwassers der Westerems. Das Manövrieren hier in der Emsmündung war schwierig und verlangte seine volle Aufmerksamkeit. Zum Glück war die Sicht ausreichend und er konnte die Fahrwassertonnen gut sehen. Voraus zweigte ein Arm der Ems in westliche Richtung ab. Zwischen dem Hauptfahrwasser, in dem sie sich befanden, und der Alten Ems lag eine Sandbank, der Möwensteert.

Betrachtete man die Insel aus der Möwenperspektive, so gab es mehrere Fahrwasser um Ostfrieslands größte Insel herum: den Hauptschifffahrtsweg Westerems und die weniger befahrene Osterems. Die Westerems wurde ständig ausgebaggert und konnte ohne Probleme auch bei Niedrigwasser befahren werden. Beim Manövrieren im Wattfahrwasser der Osterems und der Alten Ems war allerdings Vorsicht geboten. Hilko befuhr diese schwierigen Gebiete nur bei auflaufendem Wasser, damit er, sollte er auf den Sandbänken auflaufen, mit dem steigenden Wasser wieder freikam.

»Oh, wir sind ja gleich da!«, sagte Jonas, der gerade aus der Kombüse kam. »Dann hört endlich die Schaukelei auf.«

»Ja, Jonas, wir müssen nur noch in die Fischerbalje einlaufen, dann kannst du dich entspannen«, entgegnete Hilko mit einem Grinsen im Gesicht. Es war kein Geheimnis, dass Jonas kein Freund von stürmischer See war. »Aber wenn ich meinen Kurs gleich nach Steuerbord ändere, liegt unser Dampfer quer zu den Wellen und wird kräftig rollen«, erinnerte er Jonas.

»Bind deinen Suppentopf fest«, fügte Tjade hinzu.

»Ach du Scheiße!«, rief Jonas, als das Boot sich stark zur Seite neigte. Mit blassem Gesicht ging er den Niedergang in die Kombüse runter, und die beiden Freunde auf der Brücke hörten ihn laut fluchen.

Hilko manövrierte das schaukelnde Boot nun in die Fischerbalje hinein. Dabei handelte es sich um das Ansteuerungsfahrwasser zur Insel Borkum. Es verlief zwischen der Insel und einem etwa zwei Kilometer langen Leitdamm aus Steinen. Deshalb beruhigte sich der Wellengang sofort, und bis zum Fährhafen Borkum war es nicht mehr weit.

Kurz darauf meldete sich Hilko über die Schiffsfunkanlage bei Borkum-Radar an und gab das Einlaufsignal. Er fragte, ob sie im Schutzhafen liegen durften. Als Liegeplatz wurde ihnen daraufhin der Schwimmanleger II im Schutzhafen zugewiesen.

Tjade und Jonas gingen an Deck und machten die Leinen und Fender an der Steuerbordseite klar. Hilko manövrierte das Boot in einem perfekten Winkel Richtung Anleger, und kurz bevor es den Anleger berührte, zog er den Maschinenhebel der Backbordmaschine zurück. Sanft stoppte die Fahrt, und seine Freunde brauchten nur noch die Festmacher über die Poller des Anlegers zu werfen.

Hilko stellte beide Maschinen aus und öffnete die zwei Seitentüren des Ruderhauses. Für einen Moment schloss er die Augen, freute sich über die Stille und die salzige Seeluft. Er atmete tief ein und dachte: Ich werde meine Sorgen zumindest für dieses Wochenende vergessen und mit meinen Freunden ein paar schöne Tage auf der Insel verbringen.

Dieses Wochenende sollte eine Art Belohnung für seine beiden Freunde Tjade und Jonas werden. Alle drei waren im gleichen Alter und teilten die Leidenschaft fürs Tauchen. Sie liebten die Einsamkeit und Ruhe unter Wasser. Die Idee mit dem Windsurfen auf Borkum war in einer typischen Schnapslaune entstanden. Die Aufgaben waren schnell verteilt gewesen: Hilko machte sein Boot startklar und sorgte insbesondere für Trinkwasser und Gasöl. Tjade sollte sich um die Surfausrüstung kümmern und Jonas für das Wochenende ihr Surflehrer sein. Dazu hatte Jonas stundenlang vor einer beliebten Internetseite gesessen und sich alles über Windsurfen angesehen und angehört.

Während seine Freunde an Deck beschäftigt waren, dachte Hilko über die beiden nach. Jonas war im Vergleich zu ihm und Tjade ein Leichtgewicht. Immer wenn Jonas seine Tauchausrüstung anlegte, befürchtete Hilko, sein Freund würde unter der Last zusammenbrechen. Aber sobald Jonas ins Wasser eintauchte, war er in seinem Element. »Flink« sagte man in Ostfriesland zu seinen schnellen Bewegungen unter Wasser. Jonas war immer als Erster unten oder oben. Seine gute Laune war chronisch, und manchmal erinnerte ihn Jonas’ schelmischer Gesichtsausdruck an das Kartenbild des Jokers.

Tjade Akkermann war das genaue Gegenteil von Jonas und mehr der stille, introvertierte Typ. Tjade war Borkumer und der größte der drei Freunde. Seine Kraft war legendär und unter Wasser, wo es oft auf Kraft ankam, unersetzlich. Taue, die ungewollt in die Antriebsschrauben der Schiffe geraten waren, wickelten sich sehr fest um Welle, Schraube und Ruderanlage. Mit einem scharfen Messer wurde Stück für Stück des Taus oder des Netzes durchgeschnitten und losgerissen. Eine anstrengende und mühselige Arbeit, zumal die Sicht meistens bei null lag. Es war mehr ein Fühlen und ein Tasten mit den Händen als ein Sehen mit den Augen.

Hilko befand sich charaktermäßig irgendwo zwischen den beiden und musste oft vermitteln. Jonas, der Schelm, wusste, dass der Borkumer Jung Tjade extrem abergläubisch war, und nutzte das gerne aus.

Kennengelernt hatten sich die drei Männer bei der Marine in Eckernförde. Ihr gemeinsames Hobby war das Tauchen, und nach der Dienstzeit hatten sie in Pewsum einen Tauchklub mit Namen »Neptun« gegründet. Irgendwann war Hilko auf die Idee gekommen, sein Hobby zum Beruf zu machen, und hatte sich mit einer Tauchfirma selbstständig gemacht. Hilkos Hoffnung war, dass seine neu gegründete Tauchfirma einmal so gut laufen würde, dass er seine Freunde fest einstellen konnte.

Aus dem Lautsprecher des UKW-Funkgerätes hörte Hilko mit, wie ein Kutterkapitän sich bei Borkum-Radar meldete: »Wir hatten einen Hänger mit unserem Fanggeschirr und müssen den Schutzhafen anlaufen!«

»Verstanden, laufen Sie den Anleger II an, dort ist noch reichlich Platz.«

Kurz darauf beobachteten die drei Freunde, wie der Kutter hinter ihrem Boot anlegte. Sofort fiel ihnen auf, dass das Fanggeschirr an einer Seite beschädigt war. Die Besatzung des Kutters bestand nur aus zwei Männern, und es sah so aus, als ob sie Hilfe gebrauchen könnten.

»Was meint ihr, sollen wir mal rübergehen und fragen, ob wir helfen können?«, wandte sich Jonas nicht ganz uneigennützig an seine Freunde. »Vielleicht fällt ja ein wenig Fisch für uns ab.«

Hilko und Tjade waren einverstanden, und alle drei gingen von Bord und zum Anlegeplatz des Fischkutters. Sie nahmen die Festmacher entgegen und belegten die Taue an den Pollern.

Der Kutterkapitän kam aus dem Ruderhaus. »Besten Dank für eure Hilfe!«

»Gerne«, sagte Hilko und sah in Richtung Fanggeschirr. »Habt wohl Pech gehabt?«

»Dat kannst wall seggen«, antwortete der Kutterkapitän. »Son Schiet, sind mit unserem Ausleger an einem Unterwasserhindernis hängen geblieben. Konnte gerade noch verhindern, dass wir kentern.«

Hilko wusste, wie gefährlich solch eine Situation war. Bei diesem Kutter handelte es sich um einen typischen ostfriesischen Baumkurrenfischer. An beiden Seiten befand sich jeweils ein Ausleger mit einem Grundschleppnetz. Zum Fischen wurden die beiden Ausleger heruntergelassen und die Netze mit Maschinenkraft über den Grund durchs Wasser gezogen. Blieb so ein großes Netz an einem Hindernis hängen, bestand die Gefahr, dass der Fischkutter seitlich runtergezogen wurde und kenterte. Die Taucher wussten natürlich, dass es auf dem Meeresgrund etliche Gegenstände gab, an denen sich ein Netz verfangen konnte. Gesunkene Container, verlorene Anker und Schiffswracks. Der Meeresgrund war durch die Gezeitenströmung und Sturmfluten ständig in Bewegung. Viele Wracks waren in den Seekarten verzeichnet, aber es tauchten immer wieder unbekannte Wracks auf, die freigespült worden waren. Andere verschwanden unter dem Sand, gerieten in Vergessenheit und kamen Jahre später, wenn keiner sich mehr an sie erinnerte, wieder zum Vorschein. Der Kutterkapitän hatte anscheinend schnell reagiert und ein Kentern im letzten Moment verhindern können. Andere Berufskollegen hatten in der Vergangenheit weniger Glück gehabt und waren tödlich verunglückt.

Der Kapitän sah nun hinüber zum Tauchbasisboot vor ihm. »Hört mal, Jungs, ihr seid nicht zufällig Taucher?«

Hilko lachte. »Zufällig ja, wir wollen hier auf Borkum ein schönes Wochenende verbringen.«

Der Kapitän lächelte schuldbewusst, als er sagte: »Ich hab den Baumkurren an der Backbordseite halb unter dem Kutter hängen und hoffe, dass nichts in die Schraube oder das Ruder gekommen ist.«

»Vielleicht sollte man mal nachsehen«, schlug Hilko vor.

»Ja, das ist eine hervorragende Idee, junger Mann«, erwiderte der Kapitän.

»Aber nicht für lau, und nur wenn meine Freunde einverstanden sind.« Hilko sah Tjade und Jonas fragend an.

Beide nickten.

»Was kostet denn so ein Taucheinsatz?«, wollte der Kapitän wissen und zog eine Schnute.

»Das kommt darauf an, wie lange wir beschäftigt sind. Sie können gerne auch eine andere Firma anrufen, oder die Werft.«

»Lieber nicht«, antwortete der Kapitän, »das dauert ewig und wird unnötig teuer. Ich habe sehr schönen, frischen Fisch an Bord …«

»Okay, Herr …?«

»Brons ut Ditzum.«

»Okay, Herr Brons aus Ditzum, wir machen uns einsatzbereit. Sind gleich bei Ihnen.«

Hilko ging mit seinen Freunden zurück an Bord ihres Bootes. Dort besprachen sie kurz den Einsatz. Sie meldeten ihr Vorhaben bei Borkum-Radar an, setzten die blau-weiße Taucherflagge am Mast und zogen ihre Tauchanzüge an. Jonas sollte oben die Aktion überwachen und über Sprechfunk erreichbar sein. Tjade und Hilko stiegen über die Außenbordleiter des Tauchbasisbootes »Burkana« ins Hafenwasser und schwammen zum Fischkutter.

Gemeinsam tauchten sie unter den Kutter und sahen sich den festsitzenden Rest des Grundschleppnetzes an. Ein Teil des Netzes fehlte und war vermutlich am Unterwasserhindernis hängen geblieben. Ein Stück des mit Bleikugeln beschwerten Grundtaus am unteren Rand des Netzes hatte sich um die Antriebsschraube des Kutters gelegt. Die war zwar noch nicht verbogen, aber es bestand die Gefahr, dass das Tau die Welle, die Schiffsschraube oder die Ruderanlage blockierte.

Hilko und Tjade gaben sich ein Zeichen und tauchten auf. Kapitän Brons sah die beiden Taucher erwartungsvoll an. Hilko schilderte dem Kapitän anschaulich das Problem unter Wasser.

»Da kann man wohl vom Glück im Unglück sprechen«, sagte der Kapitän. »Immerhin haben wir noch den Hafen erreicht.«

»Ja, und die Schraube und die Welle sehen noch gut aus, aber das Tau muss entfernt werden, bevor Sie weiterfahren«, ergänzte Hilko.

»Kriegt ihr das Tau von der Schraube?«, fragte Brons hoffnungsvoll.

»Ich denke, wir schaffen das«, antwortete Hilko. Er setzte das Mundstück ein und tauchte mit seinem Freund Tjade wieder unter.

Wie so oft saß das Tau sehr fest, aber die Männer wussten, wie sie das Problem lösen konnten.

Schließlich hatten sie das Tau durchschnitten und die Reste von der Welle und der Schraube gelöst.

Oben angekommen sagte Hilko zu Kapitän Brons: »Sie können die Reste jetzt aus dem Wasser holen. Unter Wasser ist alles paletti.«

»Jungs, ihr seid die Besten, danke!«

»Wir ziehen uns um und kommen dann noch einmal vorbei wegen der Bezahlung.«

»Wenn es denn sein muss«, erwiderte der Kapitän leise.

Während Brons mit seinem Decksmann die Reste des Fanggeschirrs einholte, schwammen Tjade und Hilko zurück zu ihrem Boot. Hilko teilte Borkum-Radar das Ende der Tauchaktion mit, die Taucherflagge wurde eingeholt und die Männer zogen sich um.

Kurz darauf standen Tjade und Hilko an Deck des Kutters. Kapitän Brons wartete auf die Verkündung der Geldforderung. Sein Gesicht war dabei sehr angespannt, weil er eine größere Rechnung für den Taucheinsatz befürchtete.

Hilko sah ihn an, lächelte und wartete.

Mit den Worten »Also, Jungs, saubere Arbeit« begann Brons die Verhandlungen. »Ich halt ja nicht so viel von dem ganzen Papierkram und so.«

Hilko schwieg und lächelte weiterhin.

»Was ich damit sagen will«, Brons segelte hart am Wind, »so ne Rechnung ist doch eigentlich überflüssig.«

»Soso, Herr Brons.« Hilko wollte den Kapitän nicht länger leiden lassen. »Wir haben sozusagen in unserer Freizeit geholfen und würden uns freuen, heute Abend auf Ihre Kosten essen zu gehen.«

»Kein Problem, an was habt ihr denn gedacht?«

»Für jeden 50 Euro, also insgesamt 150 Euro, und eine Tüte Seezungen«, sagte Hilko lässig.

»100 Euro insgesamt und zwei Tüten Seezungen«, schlug Brons vor. Als er jedoch bemerkte, dass Hilko protestieren wollte, fügte er schnell hinzu: »Und ne Tüte Granat.«

Hilko konnte dem Schlitzohr nicht widerstehen. »Okay, so machen wir es.«

Kapitän Brons war erleichtert, seine Gesichtszüge entspannten sich. »Jungens, schaut mal, was ich in den Resten des Netzes gefunden habe.« Brons bückte sich, hob einen schwarzen Gegenstand auf und gab ihn Hilko.

Hilko sah sich das Ding genau an.

»Vorsicht, Junge! Da steckt was Spitzes drin«, warnte Brons ihn.

»Könnte ein Teil von einem Holzschiff sein«, murmelte Hilko. »Wo hatten Sie denn den Netzhänger?«

»In der Alten Ems, querab vom Möwensteert. Ich kann es dir auf der Karte zeigen.«

Die Männer gingen ins Ruderhaus, und Kapitän Brons erklärte ihnen, wo es beinahe zur Katastrophe gekommen war.

»So, ich hol euch jetzt das Geld und den Fisch«, sagte Brons und verließ das Ruderhaus.

Hilko sah lange auf die Karte und dann auf das Holzstück in seiner Hand. »Tjade, weißt du, was das sein könnte?« Er reichte Tjade das Holzstück.

»Könnte Teil einer Planke sein …«

»Genau, und das spitze Ding darin ist der Rest eines geschmiedeten Nagels«, ergänzte Hilko. »Der Nagel eines antiken Schiffswracks. Wenn ein ganzer Kutter daran hängen bleibt, dürfte das Wrack ansehnlich sein.«

Inzwischen war Kapitän Brons mit dem Geld und dem Fisch zurück auf der Brücke. »So, Jungs, euer Lohn, und noch mal besten Dank.«

»Tschüss, Herr Brons. Und beim nächsten Taucheinsatz denken Sie an uns: Tauchfirma Swart. Aber dann gibt es eine Rechnung«, sagte Hilko mit einem Augenzwinkern.

Als die drei Männer in der Kombüse der »Burkana« zusammensaßen und den Fisch ausnahmen, war Hilko sehr nachdenklich.

»Was ist, Hilko?«, wollte Jonas wissen.

»Dieses Holzstück lässt mir keine Ruhe. Was, wenn dort tatsächlich ein historisches Wrack liegt? Sollen wir nicht nachschauen? Das wäre vielleicht interessanter als Windsurfen.«

»Nachtigall, ich hör dir trapsen!«, sagte Tjade.

»Der Wasserstand ist optimal, wir könnten gleich mal nachsehen«, schlug Jonas vor.

»So ein Wrack ist doch wie ein Friedhof«, maulte Tjade. »Die Toten soll man ruhen lassen!«

»Oh nee, Tjade, du wieder mit deinem Aberglauben«, spottete Jonas. »So ein großer Kerl und hat Angst vor Klabautermann und Co. Jungs, um ehrlich zu sein: Ich hab sowieso keinen Bock auf Windsurfen. ›Ship up Strand!‹ habt ihr Borkumer doch immer gesagt, wenn es was zu holen gab.« Jonas erntete dafür einen bösen Blick von seinem Kumpel.

Tjade wandte sich an Hilko. »Du entscheidest.«

»Wir können ja nur mal nachsehen«, entschied Hilko. »Tjade, schmeiß die Maschinen an, wir fahren los.«

Hilko manövrierte sein Boot vorsichtig aus dem Schutzhafen in die Fischerbalje. Er wollte nicht auffallen, deshalb gab er das vorgeschriebene Auslaufschallsignal und meldete sich bei Borkum-Radar.

»Bei dem Wasserstand nach der Fischerbalje Steuerbordkurs Richtung See, dann nach backbord quer übers Fahrwasser bis zur grünen Tonne 19«, schlug Tjade vor, der die Fahrwasser um seine Insel gut kannte.

Hilko sah kurz auf die Seekarte. »Ja, und dann Ansteuerung auf die Alte Ems, Hauptsache wir haben genug Wasser unterm Kiel.«

»Das passt schon«, erklärte Tjade.

Es wurde doch etwas eng mit dem Wasserstand, aber sie erreichten die vom Kutterkapitän angegebene Havariestelle. Plötzlich begannen die Motoren unruhig zu laufen und blieben stehen.

»Mist!«, fluchte Hilko. »Was ist nun wieder los? Jungs, schmeißt den Anker raus, bevor wir irgendwo auflaufen.«

Tjade und Jonas flitzten an Deck und lösten die Ankerbremse. Sofort rauschte der Anker aus. Tjade bremste die Kette mit viel Gefühl, und langsam griff der Anker am Grund. Zur Sicherheit ließ Tjade noch einige Meter Ankerkette ablaufen. Der Anker hielt, und die Männer waren erleichtert. Im Ruderhaus überlegten sie, wie es weitergehen sollte.

»Bei dem Wasserstand kommen wir erst beim nächsten Flutstrom weg«, stellte Hilko fest. »Vorausgesetzt, wir kriegen die Maschinen wieder zum Laufen.«

»Ich sehe mir gleich die Motoren an«, sagte Tjade und zeigte in Richtung Maschinenraum. »Hab schon einen Verdacht. Vermutlich sind die Filter dicht. Bei der Schaukelei haben sich Rückstände am Tankboden gelöst, wurden angesaugt und haben die Einspritzpumpe beziehungsweise die Filter dichtgesetzt. Könnte was länger dauern.«

»In der Zwischenzeit könnten wir unten nachsehen«, schlug Jonas vor und zeigte auf Hilko und sich. »Jetzt, wo wir schon mal da sind.«

Hilko wandte sich an Tjade. »Kommst du hier alleine klar?«

»Der Anker hält, und ich kann euch ja über Funk erreichen«, antwortete Tjade.

Inzwischen war Stauwasser, die Strömung war nun am geringsten, ein guter Zeitpunkt für einen Taucheinsatz. Außerdem hatten sie auf dem Wasser eine Leine des Fanggeschirrs bemerkt, die unbedingt eingeholt werden sollte. Die Leine trieb nicht davon, weil sie vermutlich noch am Unterwasserhindernis festhing. Sie brauchten sich also nur an der Leine hinunterzuhangeln, um das Hindernis zu erreichen.

Hilko hielt das für ein gutes Zeichen und sagte entschlossen: »Jonas, wir machen uns tauchklar.«

»Okay, Hilko, ich nehme unser Metallsuchgerät mit runter.«

Hilko und Jonas konnten unter Wasser nicht viel sehen. Sie folgten der Leine und tasteten sich am Grund in Richtung des Hindernisses voran. Plötzlich fühlte Hilko einen länglichen Gegenstand und bewegte sich vorsichtig ganz nah heran. Er achtete darauf, möglichst keinen Schlick aufzuwirbeln, die Sicht war auch so schon miserabel. Sein Mundstück berührte fast den Gegenstand, als er endlich sehen konnte, was er gefunden hatte. Es sah aus wie der Kiel eines Holzschiffes, etliche Reste von geschmiedeten Nägeln steckten im schwarzen Holz. Inzwischen setzte Jonas das Metallsuchgerät ein.

Plötzlich spürte Hilko, wie Jonas ihm aufgeregt auf die Schulter klopfte und das Zeichen zum Auftauchen gab. Hilko bestätigte mit einem Handzeichen, und die beiden Männer tauchten auf. An der Wasseroberfläche schwammen sie in Richtung Boot. Hilko bemerkte an Jonas Schwimmbewegungen, dass dieser etwas in der Hand hielt, denn er paddelte nur mit der anderen. Hatte er unter Wasser etwas gefunden?

An der Außenbordtreppe erwartete sie Tjade.

Noch im Wasser zog Jonas sein Mundstück heraus und sagte aufgeregt: »Jungs, ihr glaubt nicht, was ich gefunden habe. Er zog seinen Arm aus dem Wasser und hielt Tjade eine etwa 20 bis 30 Zentimeter große Figur entgegen, die voller Muscheln, Sand und Algen war.

Tjade griff nach dem Ding und bekam große Augen.

Die beiden Taucher beeilten sich, aus dem Wasser zu kommen, sie wollten sich Jonas’ Fund bei Tageslicht ansehen. Tjade legte das schwere Teil an Deck ab und half den Kameraden, aus dem Wasser zu steigen. Kurz darauf saßen die drei Männer an Deck zusammen und säuberten die Figur grob.

»Das ist ein Adler«, stellte Jonas fest.

Hilko kratzte mit dem Fingernagel über die Oberfläche. »Könnte aus Gold sein.«

»Moment!«, sagte Tjade, verschwand im Maschinenraum und kam mit einer Messingbürste zurück an Deck. Vorsichtig bürstete er die Adlerfigur ab.

Zum Vorschein kamen vier Buchstaben: SPQR.

»Jungs, wisst ihr, was das sein könnte?«, fragte Hilko. Er nahm die Figur in beide Hände und betrachtete sie ehrfurchtsvoll. »Das ist eine Legionsadlerstandarte des Römischen Imperiums!«

»Willst du uns verarschen?« Jonas’ Stimme klang unsicher.

»Die Franzosen und die Nazis hatten auch Adler auf ihren Standarten«, warf Tjade ein.

»Aber nicht mit den Buchstaben SPQR«, widersprach Hilko.

»Römisches Imperium … Klingt verdammt lang her«, meinte Jonas.

»Ich hab mal einen Schulaufsatz über die Römer in Ostfriesland geschrieben«, erklärte Hilko. »Die haben die Wasserwege Ems und Weser für ihre Feldzüge benutzt. 16 nach Christus befehligte Römerchef Germanicus wie in den Jahren zuvor einen weiteren Feldzug gegen die germanischen Völker. Dieser war jedoch wohl nicht so erfolgreich. Er befahl den Rückzug seiner Legionen und teilte seine Truppen beim heutigen Bentumersiel an der Ems. Ein Teil benutzte den Landweg für den Rückzug, der andere den Wasserweg über die Emsmündung. Dabei hatte er aber Pech, eine Sturmflut überraschte die römische Flotte, und Germanicus verlor viele Schiffe und Männer.«

»So, du schlauer Kerl, jetzt wissen wir auch, warum du der Chef bist«, stellte Tjade anerkennend fest.

»Vielen Dank für die Blumen, aber«, Hilko winkte ab, »der eine kennt sich mit Motoren aus, der andere weiß was über das Römische Reich.«

»Und ich kann euch was zum Wert des Adlers sagen«, ergänzte Jonas. »Der reine Materialwert dürfte schon nicht gering ausfallen, vorausgesetzt es ist reines Gold. Aber auch vergoldetes Silber hat seinen Preis. Doch dazu kommt der ideelle Wert einer echten antiken römischen Standarte. Sammler bezahlen ein Vermögen dafür!«

»Da hab ich noch gar nicht drüber nachgedacht.« Hilko wurde nachdenklich. »Was meinst du, was kriegen wir dafür, wenn wir den Fund melden?« Er gab sich die Antwort gleich selber: »Den Ruhm, die Reste einer antiken Flotte entdeckt zu haben. Aber davon kann ich keine Rechnungen bezahlen.« Hilko sah deprimiert aufs Schiffsdeck und dachte an den teuren bevorstehenden Werftaufenthalt.

Jonas räusperte sich. »Hilko, wir wissen inzwischen, dass dir finanziell gesehen das Wasser bis zum Halse steht. Ich würde sagen – also wenn du, Tjade, damit einverstanden bist –, dass wir den Fund nicht melden und den Adler unter der Hand verkaufen.«

Hilko schaute Tjade an. Der presste die Lippen zusammen und man sah ihm an, dass er einen inneren Kampf führte: die Vorschriften beachten oder seinem Kameraden helfen – beides war nicht möglich. Alles hing nun von Tjade ab.

Endlich sagte er: »Wir haben einmal geschworen, immer zusammenzuhalten. Ich denke deshalb, wir müssen Hilko helfen, und scheiß auf den Ruhm.«

»Wir tauchen noch mal runter«, schlug Jonas begeistert vor. »Vielleicht finden wir noch weitere wertvolle Gegenstände von diesem Germanicus.«

Hilko war sehr gerührt über das Verhalten seiner Freunde. Tatsächlich war der Fund eine Chance, um seine Probleme zu lösen. »Tjade, Jonas, ich danke euch! Eigentlich wollte ich euch nicht mit meinen Problemen belasten, aber es stimmt: Ich habe mich mit dem Boot und den Umbauten übernommen. Die Banken drohen schon mit Zwangsversteigerung.«

»Ein Pokerface hast du noch nie gehabt«, stellte Tjade fest. »Man sieht dir an, dass du Probleme hast. Aber dass es so schlimm ist …«

»Ein Grund mehr, noch mal runterzugehen und nachzusehen«, bekräftigte Jonas.

Hilko fehlten die Worte, und deshalb nickte er nur.

In den nächsten Stunden fanden sie unter Wasser zwei silberne Prunkmasken, Trinkgefäße aus Silber und einen weiteren Standartenkopf.

Danach standen sie zufrieden an Deck und betrachteten ihre Funde.

»Jetzt müssen wir sie nur noch gut verkaufen«, stellte Jonas fest.

»Ich kenne da jemanden, der jemanden kennt«, sagte Tjade und grinste.

Kapitel 1

Leer, Polizeidienstgebäude

Hauptkommissar Jan Broning saß in seinem Büro und konzentrierte sich auf eine Akte, die zur Staatsanwaltschaft nach Aurich übersandt werden sollte. Dies gehörte zu den unspektakulären Aufgaben eines Fachkommissariatsleiters. Der Papierkrieg nahm immer mehr zu, und gelegentlich musste er einem Kollegen auf die Füße treten, wenn ein Ermittlungsbericht nicht ordentlich geschrieben worden war. Es war nicht schön, wenn die Staatsanwaltschaft die Akte zurücksandte mit der Bitte um weitere Ermittlungen zu offenen Fragen. Außerdem erhielten die Anwälte der Beschuldigten oft Akteneinsicht und freuten sich diebisch, wenn sie in der Kriminalakte was zum Meckern fanden.

Jan atmete tief durch und stand auf, um aus dem Fenster zu sehen. Hier aus dem vierten Stock hatte man eine gute Sicht auf den Handelshafen Leer. In der Planung war ein neuer Gebäudekomplex zwischen dem Hafenufer und dem Polizeidienstgebäude. Sobald diese Neubauten standen, wäre es vorbei mit dem schönen Ausblick.

Plötzlich hörte er ein knatterndes Geräusch und blickte nach unten auf die Straße vor dem Haupteingang. Dort stellte ein Mann in langem Ledermantel gerade ein altes Motorradgespann ab. Als er den Helm auszog, erkannte Jan den Mann sofort, es handelte sich um seinen niederländischen Kollegen Simon Drebber. Simon Drebber wurde oft als verdeckter Ermittler und als Kontaktmann zwischen der niederländischen und der deutschen Kriminalpolizei eingesetzt.

Der Zuständigkeitsbereich der Kripo Leer verlief bis zur deutsch-niederländischen Grenze. Viele Niederländer wohnten im Grenzgebiet, und viele Deutsche arbeiteten in den Niederlanden. Die Kriminalität hörte an den Grenzen nicht auf, und so war eine gute Zusammenarbeit zwischen niederländischen und deutschen Ermittlungsbehörden extrem wichtig.

Simon Drebber war ein sehr kompetenter Ermittler, und die beiden Männer verstanden sich seit dem ersten Zusammentreffen gut. Allerdings vermutete Jan Broning, dass es eine unbekannte Seite seines Kollegen gab. Bei ihren letzten gemeinsamen Ermittlungen hatte Jan den Eindruck gehabt, dass Simon nicht nur in offiziellen Kreisen gut vernetzt war, sondern auch über inoffizielle Netzwerke verfügte. Diese waren Jan aber nicht bekannt, und Simon mauerte beim geringsten Versuch von Jan, ihn darauf anzusprechen. Vielleicht war er ja so was wie ein niederländischer Freimaurer. Doch das war nicht Jans Angelegenheit.

Jan ging Richtung Fahrstuhl, um Simon unten bei der Wache abzuholen. Die Kollegen, die Simon nicht kannten, würden sicher große Augen bekommen, wenn er die Schleuse der Wache betrat. Mit dem langen Ledermantel, der derben Lederhose und als Krönung dem langen Pferdeschwanz sah Simon nicht gerade wie ein Polizist aus.

Als Jan unten angekommen war, konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen. Simon stand vor dem kleinen Fenster der Wache und sprach freundlich mit dem jungen Wachhabenden. Offensichtlich versuchte er ihm klarzumachen, dass es sich bei dem, was der junge Beamte in der Hand hielt, um einen niederländischen Dienstausweis handelte. Dem Gesichtsausdruck des Wachhabenden nach zu urteilen, war er, wohlwollend formuliert, sehr vorsichtig. Immer wieder ging sein Blick vom Dienstausweis nach oben, und er betrachtete Simon skeptisch.

Jan klopfte an die Scheibe, winkte Simon zu und betrat die Wache. Er begrüßte die Kollegen von der Schutzpolizei und ließ sich den Ausweis von Simon geben. »Ihr könnt ihn reinlassen, er ist ein Kollege aus den Niederlanden«, sagte er.

»Mit dem Bild im Ausweis hat der wirklich keine Ähnlichkeit«, stellte der junge Diensthabende verblüfft fest.

»Was Haare und ein paar Dienstjahre mehr so anrichten, wirst du auch noch erfahren«, erwiderte Jan mit einem Lächeln und ging Simon entgegen. »Hallo, Simon!«

Jan und Simon begrüßten sich mit Handschlag.

»Dein Kollege hat mir nicht getraut«, stellte Simon mit einem Grinsen fest.

Jan gab Simon seinen Ausweis zurück. »Na ja, auf dem Bild siehst du etwas …«

»… jünger aus, meinst du?«

»Auch am allerschönsten Körper nagt der Zahn der Zeit, wir sind ja mittlerweile beide im Herbst unseres Lebens angekommen«, antwortete Jan mit einem Augenzwinkern.

Simon sah in Richtung des jungen Wachhabenden und sagte mit Wehmut in der Stimme: »Noch einmal so jung sein! Damals hatte ich noch keine Probleme mit dem Rücken, wenn ich mit dem Gespann unterwegs war.«

»Vielleicht ist es Zeit für ein bequemeres Fortbewegungsmittel?«, schlug Jan vor.

»Never!«, entgegnete Simon entschieden. »Jan, gibt es bei dir einen Kaffee?«

»Na klar, komm mit, die anderen werden sich freuen, dich zu sehen.« Jan ging voraus Richtung Fahrstuhl.

Unterwegs sagte Simon: »Vielleicht könnten wir uns, bevor wir die anderen treffen, über eine dienstliche Sache unterhalten. Ist ein bisschen … wie sagt man auf Deutsch … kniffelig?«

»Ja, natürlich. Um was geht’s denn? Du machst mich neugierig.«

Inzwischen waren sie in der vierten Etage angekommen, und Jan bat Simon in sein Büro. »Nimm Platz, bin gleich zurück, ich stell nur kurz die Kaffeemaschine an.«

Als Jan zurückkehrte, stand Simon vor dem Fenster und sah nach draußen.

»Schöne Aussicht! Die Häuser links sehen allerdings wie Schuhkartons aus.«

»Ja, die Aussicht ist genial, aber nicht mehr lange.« Jan berichtete von den Plänen für die neuen Luxuswohnungen am Hafenufer.

»Gibt es denn so viele reiche Leute in Leer?«, wollte Simon wissen.

»Offensichtlich. Ehrlich gesagt wären bezahlbare Wohnungen wichtiger, aber …«

»Ja, die Politik ist bei uns auch nicht anders.«

»Simon, setz dich und erzähl von dieser kniffeligen Sache.«

Simon nahm vor Jans Schreibtisch Platz. »Ich muss ein wenig ausholen. In den Niederlanden fanden Einbrüche in Luxuswohnungen statt. Die erbeuteten Gegenstände wurden weiterverkauft. Wir versuchen nun, den Hehlern und natürlich den Einbrechern auf die Spur zu kommen. Es gibt Hinweise, dass es in Bellingwolde, also direkt an der Grenze, einen Hehler geben soll, der sich auf Kunstgegenstände spezialisiert hat. Gemälde und antike Gegenstände sollen dort den Besitzer wechseln. Meine Quellen behaupten, dass eine Galerie Gravius beteiligt ist, und da sind wir jetzt beim Problem.«

Jan dachte darüber nach, was dies für Quellen sein könnten, während Simon weiterberichtete.

»Bei den Inhabern der Galerie Gravius handelt es sich um den Künstler Harm Gravius und seine Ehefrau Theodora. Ihre Galerie befindet sich direkt an der Grenze zu Deutschland, nur einen Sprung, einen …«

Jan soufflierte: »Katzensprung?«

»Genau, Jan. Vielleicht kennst du diese Brücke, die über den Kanal in Bellingwolde führt?«

»Ja, das ist doch der alte Schmugglerweg durch den Hammrich. Maike und ich fahren dort manchmal mit dem Fahrrad über die Grenze.«

»Was schmuggelt ihr denn?« Simon grinste. »Kleiner Spaß. An diesem Kanal liegt die Galerie. Das Grundstück ist mit Büschen und Bäumen zugewachsen. Die private Zuwegung und das Galeriegebäude, ein alter Bauernhof, sind deshalb schlecht einzusehen.«

»Ihr habt also ein Problem mit der Observierung der Galerie, weil ihr feststellen wollt, wer da ein- und ausgeht.«

»Das ist nur eins von unseren Problemen. Dieser Harm Gravius ist ein anerkannter Künstler und verkehrt in angesehenen Kreisen. Die Hehler-Geschichte passt überhaupt nicht zu ihm.« Simon bemerkte wohl den zweifelnden Blick von Jan. »Ja, ich weiß. Wie sagt man bei euch? Man hat schon Pferde vor der Apotheke heulen sehen?«

»Im Original klingt es etwas unfeiner, aber wir meinen dasselbe«, antwortete Jan. »Wir Polizisten werden immer wieder von unseren Mitmenschen überrascht, meistens negativer Art. Kennst du das Polizistensprichwort: ›Ich bin Pessimist. Ein Pessimist ist ein Optimist mit vielen Dienstjahren‹?«

Simon nickte. »Jedenfalls, dieser Gravius ein Krimineller? Das passt nicht, wir übersehen was.«

»Sollen wir euch bei der Observierung helfen?«, fragte Jan.

»Observierung im herkömmlichen Stil können wir vergessen, bei den örtlichen Gegebenheiten fallen wir sofort auf. Meine Bitte geht in eine sehr kniffelige Richtung.«

Schon wieder dieses Wort, dachte Jan, schwieg jedoch und wartete.

»Jan, bist du noch am Hout hakken?«

Jan konnte inzwischen etwas niederländisch und wusste, dass Simon Jans Hobby, die Holzschnitzerei, meinte.

»Was hat mein Hobby mit diesem angeblichen Hehler zu tun?«

Simon presste die Lippen aufeinander und suchte nach den richtigen Worten. »Harm Gravius ist Künstler, genauer gesagt Bildhauer, noch genauer gesagt: Er ist Bildhauer für Holzskulpturen. In der nächsten Woche soll bei der Galerie ein Workshop für Bildhauerkünstler stattfinden.«

»Ach, daher weht der Wind«, sagte Jan nachdenklich. »Schickt doch einfach einen Kollegen undercover zu diesem Workshop, dann kann er unauffällig alle Personen, die dort ein- und ausgehen, observieren.«

»Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, so habe ich es vor. Nur, Harm Gravius möchte einen Workshop für, sagen wir, fortgeschrittene Bildhauer anbieten. Ich zitiere aus der Workshop-Beschreibung: ›für Bildhauer mit Niveau‹. Anfänger möchte er also nicht, dafür ist er sich zu fein. Deshalb ist er auf die Idee gekommen, dass Interessenten vorab mehrere Bilder ihrer Werke an ihn schicken müssen. Er entscheidet dann, ob sie seinen Ansprüchen genügen, und verschickt die Einladungen.«

Jan konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. »Du glaubst doch wohl nicht, dass meine Werke seinen Ansprüchen genügen?«

»Stapel nicht so tief, ich finde deine Gartenkunst gut. Du hast mir ja mal ein paar Fotos von deinen Skulpturen gezeigt.«

»Kann es sein, dass du mir ein wenig Honig ums Maul schmierst? Und kann es sein, dass du denkst, ein deutscher Kollege undercover ist die ideale Besetzung für diese … wie sagst du so schön … kniffelige Aufgabe?«

»Erwischt.« Simon hob beide Hände und lächelte entwaffnend. »Bitte, Jan, du würdest uns damit sehr helfen.«

Jan wollte Zeit gewinnen und stand auf, um den Kaffee zu holen. »Bin gleich zurück, Simon.«

In der kleinen Teeküche nebenan dachte er über das Anliegen seines Kollegen nach. Seit ein paar Jahren schnitzte er auf traditionelle Art und Weise, also ohne Werkzeuge mit Motor, Gartenskulpturen. Diese standen im Garten ihres Einfamilienhauses in Ditzum. Seine Freunde und seine Familie fanden die Skulpturen schön, aber Künstler oder professionelle Bildhauer hatten seine Werke noch nicht gesehen.

In einem Artikel hatte er einmal gelesen, dass viele Autoren gute Erstlingswerke geschrieben hatten, die allerdings als Manuskript in einer Schublade verstaubten und nie veröffentlicht worden waren. Der Grund dafür war klar: die Angst vor einem negativen Urteil, davor, was Verlage, Agenten und Lektoren von diesem Werk halten würden.

Beim Bildhauen war es genauso. Jan stellte sich vor, wie er seine Werke in einer Kunstausstellung präsentierte und die fachkundigen Betrachter beim Anblick seiner Skulpturen die Krise bekämen und ihn mitleidig ansehen würden. Beim angehenden Autor ist es die Schublade, beim Hobby-Bildhauer sein eigenes Gartenrefugium.

Jan Broning war etwas empfindlich, wenn es um seine Skulpturen ging. Was würde passieren, wenn dieser Gravius ihm zurückschrieb und fragte, ob das sein Ernst sei? Und sagte, dass Jans Holzskulpturen nur zum Heizen taugen würden? Der Spaß an seinem Hobby würde danach bestimmt getrübt sein. Andererseits wollte er Simon Drebber gerne unterstützen, und wenn es gut lief, könnte er seine Technik enorm verfeinern. Er wollte bei den Skulpturen sowieso endlich mehr in die Tiefe arbeiten. Auch die Augenbereiche waren ein Dauerproblem. Vielleicht könnte Gravius ihm einiges beibringen. Win-win, so sagte man doch zu einer solchen Situation. Doch was würde Maike, seine Ehefrau und Kollegin, zu dieser kniffeligen Angelegenheit sagen? Jan war sich absolut sicher, dass sie ihm zuraten würde, diese Chance zu nutzen.

Er ging mit dem Tablett zurück in sein Büro. »Also, Simon, wohin soll ich die Bilder schicken?«

»Ich habe schon was vorbereitet.« Simon holte einen Zettel aus seiner Tasche.

Kapitel 2

Ditzum, Haus der Familie Broning

Maike und Jan saßen in der Küche ihres Einfamilienhauses in Ditzum. Ihre Tochter Antje lag bereits im Bett und schlief hoffentlich. Vor Maike stand ein Glas Rotwein und vor Jan ein Glas Bier.

»So ein Schlitzohr, unser Simon«, stellte Maike gerade fest. »Er hatte schon alles vorbereitet, weil er genau wusste, dass du zusagen würdest.«

»Ja, allerdings ist noch nicht sicher, ob dieser Gravius mich überhaupt an seinem Workshop teilnehmen lässt«, gab Jan zu bedenken. »Die Fotos sind versandt, und jetzt hängt es davon ab, wie dieser Bildhauer entscheidet.«

»Egal was dieser Künstler davon hält, ich finde deine Skulpturen klasse, und unsere Freunde auch. Übrigens, was macht eigentlich deine erste Auftragsarbeit?«

»›Auftragsarbeit‹ klingt ein bisschen abgehoben. Es ist nur ein Frosch für den Gartenteich deiner Freundin, ich nenne ihn den Grinsefrosch.«

»Das passt, der grinst ganz schön frech. Man sagt doch, dass Künstler unbewusst immer ein Stück von sich selbst in ihre Werke einbauen.«

»Liebe Maike, was möchtest du mir damit sagen? Dass ich so frech grinse? Oder dass ich mich in einen Prinzen verwandle, wenn du mir einen Kuss gibst?«

»Hab ich schon probiert, hat nicht funktioniert«, antwortete sie augenzwinkernd.

In diesem Moment hörte Jan den Benachrichtigungston seines Smartphones. Er sah auf das Display. »Oh, Herr Gravius hat mir eine E-Mail geschickt.« Jan öffnete die E-Mail-App und las laut vor: »›Sehr geehrter Kollege!‹«

Maike fing an zu prusten und versprühte eine kleine Rotweinwolke über die Wachstuchtischdecke.

Jan sah sie grimmig an und las weiter. »›Ich habe Ihre Fotos erhalten und stelle eine rudimentäre Begabung fest.‹«

»Was soll das denn bitte schön bedeuten?«, unterbrach ihn Maike.

Jan ging nicht darauf ein. »›Vor der handwerklichen Umsetzung des Kunstobjekts steht die Idee, die Inspiration. Diese Inspiration fehlt in Ihren trivialen Objekten. Was sollen mir Ihre grinsenden Frösche sagen? Wo war da Ihre Inspiration?‹«

Maike lachte, verschluckte sich und musste husten.

Jans Gesicht war inzwischen rot angelaufen. »›Bildlich gesprochen stecken Ihre kreativen Beine fest im Sumpf der künstlerischen Naivität, aber es besteht Hoffnung. Deshalb lade ich Sie zu meinem Workshop bei mir zu Hause ein. Bitte überweisen Sie den Unkostenbeitrag von 1.000 Euro auf mein angegebenes Konto.‹« Jan fluchte laut. »So ein aufgeblasener Wichtigtuer! Ich brauch einen doppelten Whisky!«

Maike liefen vor Lachen die Tränen aus den Augen.

»Hauptsache, du hast deinen Spaß«, sagte Jan zerknirscht.

»Bitte, Herr Künstlerkollege, lies mir das noch einmal vor, insbesondere die Stelle mit den trivialen Fröschen.«

Jans Blick fokussierte seine Frau streng, aber ihr Lachen steckte ihn an. Er ging ins Wohnzimmer und kam mit einem Glas Whisky in der Hand zurück in die Küche. Maike hatte sich etwas beruhigt.

»Weißt du, Maike, wenn jetzt mein Künstlerkollege Gravius und mein niederländischer Kollege Drebber vor mir stehen würden, wüsste ich nicht, wem ich zuerst in den Hintern treten sollte.«

Kapitel 3

Unterwegs von Ditzum nach Bellingwolde

Jan Broning packte seine Ausrüstung zusammen. Seine Stechbeitel waren scharf geschliffen und lagen in einer extra dafür gebauten Holzkiste. Außerdem verstaute er die verschiedenen Holzhämmer, Holzraspeln und die feineren Schnitzmesser. Maike legte noch eine Packung Wundpflaster und schnittfeste Handschuhe in den alten Bulli.

»So, ich habe alles Handwerkszeug zusammen«, stellte Jan fest. »Jetzt noch diese Kamera mit der Fernbedienung.«

»Simon hat an alles gedacht.« Maike sah etwas skeptisch auf die kleine Kamera. »Hauptsache, das kleine Ding funktioniert auch.«

»Ich kann die Kamera hinter der Windschutzscheibe aufstellen oder im Werkzeugkasten lassen, mal schauen, wie es am besten passt.«

»Das hättest du nicht gedacht, dass du mal undercover in Künstlerkreisen ermittelst. Oder?«

»Bestimmt nicht«, bestätigte Jan. »Ich bin mir auch nicht sicher, ob das Ganze eine gute Idee ist. Man sollte Hobby und Beruf eigentlich trennen.«

Jan gab seiner Maike einen Abschiedskuss. »Bis heute Abend, gibt sicher viel zu erzählen.« Er setzte sich in den alten Bulli und startete den Motor. Von Ditzum gab es mehrere Routen, um nach Bellingwolde zu gelangen. Jan entschied sich für den Weg durch den weitläufigen Hammrich auf der Landstraße in Richtung Bunde. Dabei kam er an einem der schönsten Orte im Rheiderland, der alten Häuptlingsburg, dem Steinhaus in Bunderhee, vorbei.

Als er Bunde erreicht hatte, fuhr er dicht an der Grenze entlang Richtung Süden. Er befand sich nun im ehemaligen Schmugglergebiet. Früher wurde in dieser einsamen Gegend alles Mögliche von den Niederlanden nach Deutschland geschmuggelt. Inzwischen waren die Preise beider Länder fast angeglichen, und das Schmuggeln lohnte sich nicht mehr. Allerdings wurden die einsamen Wege entlang der Grenze noch immer von einigen Kriminellen genutzt, zum Beispiel für den Drogenschmuggel.

Die Landschaft hier war sehr offen, es gab viele kleine Kanäle, welche die Wiesen- und Weideflächen entwässerten, ein Paradies für Angler. Die weite Sicht war schon manchem Schmuggler zum Verhängnis geworden. Am Grenzübergang Bunderneuland befanden sich eine Dienststelle des Zolls und der Bundespolizei. Die Kollegen kannten sich hier gut aus und behielten die verschiedenen inoffiziellen Grenzübergänge unter Kontrolle.

Inzwischen war Jan fast an seinem Ziel angekommen. Er überquerte die Brücke über den Kanal und war nun in Bellingwolde in den Niederlanden. Maike und er waren schon oft mit dem Fahrrad durch Bellingwolde gefahren. Hier spürte man sofort, dass man sich in den Niederlanden befand. Die deutsche, strenge Atmosphäre der Häuser und Grundstücke fehlte. Alles war etwas bescheidener, hier wollte nicht jeder größer bauen als der Nachbar. Natürlich gab es auch viele schöne Villen entlang der Hauptstraße. Aber der »Normalbürger« konnte oder wollte sich diese eindrucksvollen Villen nicht leisten und wohnte eher genügsam.

Die Galerie Gravius sollte hinter der Brücke liegen, und tatsächlich sah Jan ein Hinweisschild an der schmalen Straße. Er bog ab und gelangte an einen alten Bauernhof. Die schmale Zufahrt wurde durch ausladende Büsche und Sträucher noch weiter eingeengt.

Gartenpflege ist wohl nicht der Schwerpunkt von Künstlern, dachte Jan und ärgerte sich sofort über sich selbst. Wieso musste im Garten alles perfekt aussehen und jedem Grashalm auf der Zufahrt mit Unkrautvernichter der Garaus gemacht werden? Die Niederländer nahmen ihre deutschen Nachbarn zu Recht oft als Gartenterroristen wahr. Ein bisschen Gelassenheit täte uns ganz gut.

Auf einer Kiesfläche standen bereits einige Autos, alle mit gelben Kennzeichen. Jan parkte seinen ehemaligen Post-Bulli rückwärts ein. So konnte er die Zufahrt vom Fahrersitz aus gut einsehen. Noch erblickte er niemanden. Jan stellte die Kamera auf und kontrollierte den Erfassungsbereich. Die Kamera würde alle Fahrzeuge und Personen, die sich dem Hof näherten, aufnehmen.

»Und was ist mit Datenschutz und dem Recht aufs eigene Bild?«, hatte Jan seinen Kollegen Simon gefragt.

Simon hatte nur den Kopf geschüttelt und erwidert: »Kein Problem, wird alles ausgewertet und danach gelöscht.«

Jan hatte nicht weiter nachgehakt.

Nun stieg er aus seinem Bulli und ging in Richtung Eingangstür. Er drückte auf die Klingel, und ein tiefer Gong ertönte. Es dauerte einen Moment, bis sich die Tür öffnete.

Vor ihm stand eine Frau, Jan schätzte sie auf etwa 50 Jahre. Sie hatte eine eindrucksvolle rote Haarpracht und sehr helle Haut. Jan stellte sich auf Niederländisch vor.