Borns zweites Leben - Johannes Lengert - E-Book

Borns zweites Leben E-Book

Johannes Lengert

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Beschreibung

Wer möchte nicht sein Leben noch einmal neu starten können? Bruno Born, ein sechzigjähriger Rechtsanwalt bekommt dazu die Gelegenheit, als er merkt, dass er sich durch ein Diabetes-Medikament zu verjüngen beginnt. Er lässt sein altes Leben hinter sich und fängt an, unter einem anderen Namen neu zu leben und zu lieben, zunächst in Deutschland, dann in Spanien. Er genießt in vollen Zügen sein zweites Leben, bis Beschwerden einsetzen, die in einer existenziellen Krise gipfeln. Er möchte sich zurück zu seiner ersten Familie in Schweden begeben. Doch diese Reise verläuft ganz anders, als er gehofft hat.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Johannes Lengert

Borns zweites Leben

Roman

Impressum:

Cover: Autor

Johannes Lengert

Nussbaumer Str. 3-5

51469 Bergisch Gladbach

Webseite: JL-Galerie.de

Der Mensch ist nichts anderes

als sein Entwurf;

er existiert nur in dem Maße,

als er sich entfaltet.

Jean-Paul Sartre

1

Die Feier zu meinem sechzigsten Geburtstag hatte mich doch etwas erschöpft. Es waren mehr Personen gekommen, als wir ursprünglich geplant hatten. Das Wir stimmt nicht ganz. Eigentlich hatte Maria die Planung übernommen, nachdem ich von Anfang an kein besonderes Interesse gezeigt, sie aber gemeint hatte, dass man es den Freunden und guten Bekannten und auch vertrauten Arbeitskollegen schuldig sei, den Festtag gebührend zu begehen. Und mit gebührend meinte sie, dass das im Rahmen unseres Hauses mit seinem großen Garten und in einer Überfülle von Essen und Trinken zu geschehen habe.

Die meisten Gäste waren inzwischen gegangen, viele Geschenke waren noch nicht ausgepackt, obwohl man das in der Regel im Beisein der Schenkenden tut, um ihnen zu zeigen, wie sehr man sich über deren Mühe freut, etwas Individuelles als Geschenk ausgesucht zu haben. Ich hatte mich mit einem Glas Sekt in eine schattige Gartenecke, eine Art Geißblattlaube, zurückgezogen, um mich nach dem langen Herumstehens etwas auszuruhen und auch um meine Gedanken schweifen zu lassen, froh dem Stimmengewirr und ewigen Glückwünschen und Weißt-du-noch-Gerede entkommen zu sein.

Maria war in ihrem Element. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass sie das Fest ihretwegen veranstaltet hätte, so genoss sie es, mit jedem Gast ein persönliches Gespräch zu führen. Nein, ich darf nicht ungerecht sein, sie tat es wirklich letztendlich für mich, weil sie der festen Ansicht war, dass ich diese Feier verdient hätte. Die Fähigkeit zum belanglosen, jedoch auch tiefer gehenden Gespräch schien ihr angeboren zu sein.

Ich kannte sie nicht anders. In den zehn Jahren unserer Lebensgemeinschaft war dieser Charakterzug derjenige, der mich immer noch anzog, da er mich vor manchem mir nicht notwendig erscheinendem Smalltalk bewahrte, der allerdings auch dazu geführt hatte, dass wir uns kennenlernten.

Maria ist leidenschaftliche Buchhändlerin und daher ungemein belesen. Eine Berufseigenschaft, die sich gerade in Filialen von großen Buchmärkten nur noch selten findet, aber umso mehr in kleinen mit großem Engagement geführten Buchläden. Ich war auf der Suche nach juristischer Literatur, ich brauchte einen modernen Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch und wusste, dass hinter dem Rathaus, das die sich als modern begreifende Stadtplanung noch nicht abgerissen hatte, sich ein Geschäft befand, das sich unter anderem auf juristische Literatur spezialisiert hat.

Ich pflege in Buchläden nicht lange herum zu stöbern, sondern trage meinen Wunsch direkt vor, so dass ich mich nicht lange zwischen engen Bücherregalen hindurch quetschen muss, nicht, weil ich gegen Belletristik und so weiter bin, sondern weil ich es als Zeitverschwendung erachte, eine Ware nicht abzurufen, sondern lang nach ihr in den hintersten Regalen selbst zu suchen. Für manch einen ist ja gerade das ein Genuss.

Also schritt ich auf eine, wie mir schien, zuständige Frau mittleren Alters zu, blond mit Pagenkopf, mittelgroß, mit schlanken Beinen, mit einem Rock bis zu den Knien, angetan mit einem dunklen Leinenjackett, das wohl die kräftigen Hüften kaschieren sollte, die Brüste verbarg ein blauweiß gestreifter Seidenschal, und trug meinen Wunsch vor. Ohne zu zögern eilte die Buchhändlerin zur entsprechenden Regalreihe und überreichte mir das verlangte Buch, eher ein Büchlein, und fragte nach weiteren Buchwünschen, da könne sie mir etwas neu Erschienenes aus der Feder eines Juristen empfehlen, allerdings einen schmalen Roman, den sie nur so verschlungen habe. Ich konnte mich diesem engagierten Redeschwall nicht widersetzen. Um schnell aus dem Laden hinaus zu kommen, kaufte ich das angepriesene Buch tatsächlich, zusammen mit meinem Fachbuch. Fast fluchtartig verließ ich das Geschäft, murmelte dabei einen kurzen Gruß und begab mich in die Fußgängerzone. Hier erst fand ich meine innere Ruhe und schalt mich einen Narren, denn selbst der hartnäckigste Staatsanwalt hätte nicht so auf mich als Verteidiger einwirken können. Nicht die Ausgaben für das Buch, etwa zehn Euro, waren es, die mich nervös machten, sondern, dass ich mich von einer - das musste ich zugestehen - attraktiven Frau übertölpelt fühlte.

Ich bin kein Fachidiot. Kein verbohrter Jurist. Schon als Schüler las ich gern. Der Deutschunterricht konnte es mir nicht abgewöhnen, und Lesen gehört zu meinem Leben. Ich habe eine ansehnliche Bibliothek aufgebaut, die jeden Umzug verteuert hat und die auch jetzt noch mein Arbeitszimmer zu einem für meine Vorstellung angenehmen Aufenthaltsort macht. Maria hat später für manche intellektuelle und ästhetische Bereicherung gesorgt.

Schon des Öfteren habe ich darüber nachgedacht, mich vorzeitig zur Ruhe zu setzten, obwohl mir die Arbeit noch Spaß macht und ich mit meinen beiden Kompagnons in der Kanzlei gut klarkomme, auch wenn wir keine Freunde geworden sind, oder vielleicht gerade deswegen. Die Spezialisierung auf Familienrecht, Verkehrsrecht und Handelsrecht habe ich nicht bereut, die strafrechtlichen Fälle überlasse ich lieber meinen Kollegen. Seitdem ich jedoch, ich glaube, es fing vor zwei Jahren an, unter Diabetes leide, ist mir der Gedanke an einen vorzeitigen Ruhestand nicht mehr fern.

Zugegeben, die Diagnose damals hat mich erschüttert, zumal ich nicht der klassische Diabetespatient bin, denn weder bin ich übergewichtig noch unsportlich oder fröhne irgendeinem Laster, das meinen Blutzuckerhaushalt in Unordnung gebracht hat. Der Hausarzt meinte, das könne auch veranlagt, vererbt, also genetisch verursacht sein. Allerdings erinnere ich mich nicht an enge Verwandte einschließlich meiner Eltern, die darunter gelitten haben sollten. Es ist müßig, darüber nachzudenken, es zählen nur die Fakten, in diesem Fall ist es meine unzulängliche Bauchspeicheldrüse. Das tägliche Insulin Spritzen ist zur Gewohnheit geworden. Den heutigen Tag habe ich mit guter Insulin-Dosierung ganz gut überstanden.

Maria hat mir sehr geholfen, aus der depressiven Stimmung herauszukommen, die ich nach der Diagnose unbedingt durchleiden wollte. Offenbar hat sie erkannt, dass ich für eine Zeitlang eine gehörige Portion Selbstmitleid brauchte, um dann die Krankheit zu akzeptieren, die man auch als einen Moment des allgemeinen Alterungsprozesses betrachten kann. Sie hat mir ohne Kommentar medizinische Fachliteratur auf den Schreibtisch gelegt, so dass ich mich mit meinem neuen Zustand abfinden konnte. Ich glaube, als Jurist habe ich die Fähigkeit, Vor- und Nachteile mittels Faktenlage abwägen zu können und zu nüchternen Ergebnissen zu kommen. Trotzdem, was könnte ich aus meinem Leben noch machen, jenseits der Juristerei? Noch habe ich Maria von meinen Gedanken nichts erzählt. Sie geht in ihrem Beruf auf. Außerdem ist sie zehn Jahre jünger, sieht aber noch jünger aus, noch wie damals in ihrem Buchladen. Irgendwann begriff ich, dass die Verwirrung, die mich nach dem Buchkauf erfasste, weniger mit dem Kauf als mit der Verkäuferin zu tun hatte.

Zwei Tage später hatten mich meine Schritte wieder vor den Buchladen hinter dem Rathaus geführt. Das von der Buchhändlerin empfohlene Büchlein hatte ich schon am selben Abend ausgelesen, und es hatte mir gefallen. Warum sollte ich mir nicht noch einen neuen Buchtipp holen, zumal ich jetzt abends meist allein zu Hause war und das Fernsehprogramm mich nicht interessierte.

Ich betrat den kleinen Laden, eine Glocke schrillte kurz, und schon war man in einem Ambiente, das Geborgenheit bot. So schien es mir, denn alle Wände waren mit Regalen zugestellt, in einem quadratischen Raum, der in der Mitte auch noch mit zwei weiteren Regalreihen gefüllt war. In der hinteren rechten Ecke, von der Tür aus, öffnete sich ein schmaler Gang, der vorn die Theke mit der Kasse enthielt und nach hinten wohl vielleicht noch zu einem kleinen Zimmer und zur Toilette führen mochte. Außer mir war keine weitere Person im Laden. Ich hüstelte, um auf mich aufmerksam zu machen, und kurz darauf erschien auch die Buchexpertin und lächelte mich freundlich an. Ob sie mich wiedererkannte, war ihr nicht anzusehen. Sie trug jetzt eine rotgeränderte Brille, ein dunkelgrünes langärmeliges Kleid bis zu den Waden, und mein Blick ging weiter nach unten zu den roten hochhackigen Schuhen, bei denen ich mich fragte, wie man es in oder auf ihnen einen ganzen Tag aushalten konnte, und dann wieder nach oben zum ebenfalls schmalen roten Gürtel, der locker auf den Hüften lag. Ihr Blick traf mich von oberhalb ihrer Brille, so dass mich an meine Biologie-Lehrerin erinnert fühlte, wenn sie unser Wissen abprüfte. Aber ihr Blick war nicht streng, sondern freundlich und schien meine ihre Person abschätzenden Blicke nicht kommentieren zu wollen.

Ob es denn heute wieder um Jura gehe, wurde ich nach der kurzen Begrüßung gefragt.

Ich verneinte und bedankte mich zunächst für die gute Beratung von vorgestern. Ich sei gekommen, um weitere Hilfe von ihr in Anspruch zu nehmen.

Ein kleines Lächeln erschien auf ihrem Gesicht mit den kräftigen roten Lippen, das Blau der Augen wirkte hinter den Brillengläsern abgeschwächt, der blonde Pagenkopf war so frisiert, dass er mehr vom Gesicht erkennen ließ.

Was haben sie an moderner europäischer Literatur?, war meine konkrete Frage.

Eine ganze Menge natürlich, wollen sie die denn alle lesen? Fürs erste reichen zwei Bücher, begrenzte ich sogleich ihren möglicherweise zu großen Arbeitseifer. Sie verschwand hinter den Regalen im Mittelteil des Raumes und drückte mir dann zwei schmale Bände in die Hand: Pierre, Michon, Die Elf und Wsewolod Petrow, Die Manon Lescaut von Turdej.

Da haben Sie was aus Russland und Frankreich, aus Ost und West, die Lücke dazwischen füllen wir später.

Aha, das hieß wohl, sie war sich sicher, dass ich wiederkommen würde. Ich etwa nicht? Um mich nicht nur einfach schnörkellos nach dem Zahlen zu verabschieden, fragte ich nach dem wirtschaftlichen Erfolg ihres Geschäfts. Na ja, die etwas versteckte Lage, das infolge der Enge des Ladens doch auch eingeschränkte Sortiment und so weiter.

Das Geschäft laufe im Moment gut, sie inseriere in Fachzeitschriften, in der örtlichen Presse und sei selbstverständlich im Internet präsent, und dann natürlich, wenn auch seit kurzem erst, die wachsende Stammkundschaft. Und dabei lächelte sie mich offen an, und ihre Augen schienen kurz aufzublitzen.

Ich erhob mich aus den Geißblattranken und begab mich zu den anderen. Der Großteil der Gäste war schon gegangen, ein paar Freunde standen noch herum. Luisa, Marias fünfzehnjährige Tochter, fragte, wo ich so lange gewesen sei. Luisa war blond wie ihre Mutter, überragte sie aber um einen halben Kopf, obwohl ihre Füße nur in flachen brasilianischen Havaianas steckten. Ich verstand mich gut mit ihr und freute mich jedes Mal, wenn sie bei uns war, denn eigentlich wohnte sie bei ihrem Vater, in der Nähe von Oldenburg. Maria und Erhardt - bei diesem Namen denke ich automatisch an Ludwig oder Heinz - hatten sich vor mehr als zwölf Jahren getrennt, die Umstände und Gründe sind mir noch geläufig und sie interessierten mich auch schon. So etwas ist ja Alltag, und außerdem bin ich beruflich allzu häufig mit Trennungsgeschichten befasst. Besagter Erhardt ist Lehrer für Kunst und Sport, der, um sein Renommee aufzubessern, nicht nur zur Kunst erzieht, sondern sie selbst herstellt, also malt, mit leidlichem Erfolg. Oldenburg verfügt ja über mehrere Galerien.

Luisa also hakte sich bei mir unter und drehte langsam einige Runden mit mir durch den Garten, über dies und jenes plaudernd, bis sie die Katze aus dem Sack ließ. Und die Katze erschien mir groß und grässlich, ging es doch darum, dass sie die Schule aufgeben wollte, um lieber praktisch zu arbeiten, vielleicht eine Schreinerlehre, damit könne man auch später ans Theater, auf jeden Fall was Künstlerisches, später. Nur ihre Mutter sei überhaupt nicht einverstanden, und ich könnte sie doch unterstützen. Von Berufs wegen sei ich ja dazu ganz gut geeignet.

Bevor ich auf Luisas Ansinnen eingehen konnte - natürlich fielen mir lediglich Argumente dagegen ein -, lief uns Maria über den Weg, um mir mitzuteilen, dass sich die letzten Gäste verabschieden wollten.

Ihr Gesicht spiegelte Entschlossenheit und Überzeugungskraft, wie ich es in Erinnerung habe, als ich nach der Lektüre von Michon und Petrow abermals bei im Laden war, um mich für die Beratung zu bedanken und um, nun ja, mit ihr ins Gespräch zu kommen, vielleicht nicht nur über Bücher.

Diesmal war ich nicht der einzige Kunde. Ich war etwas enttäuscht, bisher waren wir allein gewesen, und man geht ja mit der Erwartung, sagen wir, zu einem Treffen, um eigentlich, wenn man das letzte Mal als schön erlebt hat, das weitere Mal mindestens genauso zu erleben.

Jetzt waren zwei ältere Damen im Geschäft, die unbedingt die Titel der ersten beiden Plätze der Spiegel-Bestseller-Liste haben wollten, um sie dann im Austausch mit einander lesen zu können. Ich bekam mit, wie die Buchhändlerin bedauerte, damit nicht dienen zu können, weil sie sich mit so etwas nicht abgebe. Sie könne den beiden aber gute und interessante Buchtitel empfehlen, wenn sie wüsste, welche geschmacklichen Vorlieben sie denn hätten. Darauf ließen sich die beiden älteren Frauen nicht ein und verließen, nicht ohne die Konkurrenz in der Fußgängerzone, eine bekannte Buchhandelskette, zu loben, murrend den Laden. Meine Buchexpertin befand sich noch in der Kassennische, wo auch das Kundengespräch stattgefunden hatte, hatte mich noch nicht wahrgenommen, und so konnte ich sehen, obwohl ihr Kopf leicht über irgendwelchen Papieren gesenkt war, dass zwischen ihren Augen sich eine steile Falte gebildet hatte und ihr Mund zusammengepresst war.

Ich hatte ein leichtes Lächeln aufgesetzt, mir schon den ersten Satz zurecht gelegt, als sie mich erkannte und seufzte, welch schreckliche Leute es doch gebe oder eigentlich nach welch schrecklichem System doch heute Bücher verkauft würden, und da war sie wieder, die Entschlossenheit und Überzeugungskraft.

Ich will mit den Kunden ins Gespräch kommen. Nur so kann ich guten Gewissens gute Bücher verkaufen.

Ja, dann solle Sie mal bei mir ihr Glück versuchen, ich würde wieder eine geistige Leere in mir fühlen, auch fehle mir die Mitte, nach den Extremen von Ost und West.

Mitteleuropa. Polen oder Deutschland?, fragte sie mich. Das klang wie im Erdkunde-Unterricht, nach einem Fach, in dem ich nie gut war. Die Bücherfee lachte. Sie hatte meine Verblüffung wohl provoziert.

Besser ein deutsches Buch, ich kann kein polnisch, versuchte ich zu kontern. Sie ging gar nicht darauf ein, verschwand hinter einer Regalwand und brachte mir ein recht dünnes Buch, ähnlich wie die beiden anderen.

Lesen Sie mal Urs Widmer, Der Geliebte meiner Mutter. Hat mir gut gefallen, und übermorgen könnten Sie es schon gelesen haben. Und sie sah mich dabei spitzbübisch an.

Ich hielt das Buch in der Hand und sah sie an. Sie trug Rock und Bluse, die Bluse altrosa und aus Seide. Der Rock, kürzer als der von neulich, war braunschwarz. Über den Schultern hing in Rocklänge ein dunkelroter und breiter Seidenschal und verbarg etwas die Hüften. Das Ganze wirkte leicht priesterlich, wie eine Stola. Die Hohepriesterin der Literatur. Ich fühlte mich irgendwie schnell abgefertigt, war es doch meine Absicht gewesen, mit ihr ein längeres Gespräch zu führen, etwa über meine Leseerlebnisse mit den beiden letzten Büchern.

Wissen sie was? Es ist gleich sechs, da kommen keine Kunden mehr, und die beiden Alten haben mich genervt. Ich brauche einen Kaffee. Kommen Sie mit. Ich lade Sie ein. Sie beleben ja mein Geschäft, bei Ihrer Lesegeschwindigkeit.

Die letzten Gäste waren gegangen. Zu dritt saßen wir auf der Terrasse, Maria, Luisa und ich. Maria teilte den Rest des kalten Sektes auf, Luisa bekam einen kleinen Schluck. Noch sagte ihr Alkohol nicht besonders zu.

Die Terrasse war nach Südwesten hin ausgerichtet, so dass man, wenn man den Körper leicht drehte, den Sonnenuntergang sehen konnte, falls die Wolken dies nicht verhinderten. An diesem Abend hatten die Wolken ein Einsehen, vielleicht machten sie mir ein Geburtstagsgeschenk, und wir sahen, wie das letzte rote Kreissegment hinter der Weide versank, die sich hinter unserem Haus ausdehnte. Eigentlich war das Haus für Maria und mich zu groß, selbst wenn Luisa zu Besuch war.

Als ich meine feste Stelle in der Kanzlei hatte, waren meine Frau Lisbeth und ich überzeugt davon, dass für eine Familiengründung ein frei stehendes Haus unverzichtbar war. Nach langem Suchen fanden wir dieses Haus, das von der Eingangsseite her klein wirkt, aber wegen seiner Hanglage nach hinten heraus zwei Etagen hat, und eben die große Terrasse mit dem freien Blick auf eine Viehweide. Maria ist es gelungen, die Terrasse so zu möblieren, dass sie wie ein verlängertes Wohnzimmer wirkt, mit Sesseln und einem Sofa aus Korbgeflecht, einem großen Tisch, so dass wir uns bei schönen Wetter meistens hier aufhielten.

Luisa blieb an diesem Abend nicht mehr lange bei uns, sie zog sich in ihr Zimmer zurück, höchstwahrscheinlich, um ihre Socialmedia-Kontakte mit ihrem Smartphone in Gang zu halten. Ich sagte Maria nichts von Luisas Berufsvorstellungen, sondern brachte das Gespräch auf Erhardt, Luisas Vater, der es nicht für nötig gehalten hatte abzusagen, obwohl er mit scheinbarer Begeisterung die Einladung zu meiner Feier angenommen hatte.

Du weißt doch, wie er ist, beruhigte mich Maria, ich weiß, du kannst ihn nicht leiden, nur weil er sich gelegentlich exzentrisch gebärdet.

Das war zurückhaltend formuliert, und das auch noch von seiner Exfrau, die er tatsächlich nicht mit seinen Eskapaden verschont hatte. Schon rein äußerlich kehrte er den snobistischen Existenzialisten heraus, mit seiner überschlanken Figur, den grauen Haaren, die so frisiert waren, dass sie den Eindruck erweckten, als wäre er gerade aus dem Bett gekrochen oder von einer überlangen Party nach Hause gekommen. Zugegeben, die Kleidung zeugte von Geschmack, natürlich nur in Schwarz oder Dunkelgrau, aber vom Edeldesigner. Auch mein ehemaliger Kunstlehrer pflegte sich in Schwarz zu kleiden, der Unterricht wurde dadurch nicht besser. Das Problem mit ihm ist aber nicht sein scheinindividuelles Outfit, sondern seine Unzuverlässigkeit, die er für wohl für künstlerische Wesensart hält und die dann die Beziehung zu Maria zu Grabe getragen hat.

Ich sollte ihm dafür dankbar sein, sonst hätte mich Maria nicht zum Kaffee eingeladen. Wir gingen ins Café Underbeck, das noch zu keiner größeren Kette gehörte, sondern von den Besitzern samt eigener Konditorei selbst geführt wurde. Wir bestellten Kaffee, ich mit Kuchen, sie ohne, erstens wegen der Uhrzeit und zweitens sei so viel Zucker ungesund, sie müsse in ihrem Alter aufs Gewicht achten.

Ich dachte an ihre Hüften. Ich wusste nicht, ob sie auf die Äußerung eine Antwort erwartete und schwieg dazu. Ein plumpes Kompliment kann alles zerstören. Und wieweit ich mit Ironie gehen konnte, war auch noch nicht klar. Wir saßen uns in bequemen kleinen Sesseln gegenüber, zwischen uns ein kleiner runder Tisch mit einer Glasplatte, unter der ein gehäkeltes Deckchen lag. Überhaupt schien hier die Zeit in den fünfziger Jahren stehen geblieben zu sein. Das Mobiliar musste noch aus dieser Zeit stammen, ebenso die mit rosa Blümchen versehene Tapete und die cremeweißen Kerzenleuchter an der Wand. Die Bedienung trug kleine weiße Schürzen und weiße Kragen über schwarzen Blusen und wadenlangen Röcken.

Die Buchhändlerin hatte die Beine übereinander geschlagen, so dass der Rock weiter nach oben gerutscht war und ich noch mehr von ihren schlanken Beinen sehen konnte. Von den Farben her passte sie gut in dieses Café, das von älteren Damen frequentiert war, jedoch stach ihr jugendlich wirkendes rundes Gesicht unter dem Blondhelm stark davon ab.

Wieder blitzten ihre Augen, als sie sagte, dass sie gern und oft hierher gehe, denn man werde daran erinnert, wie sehr alles vergänglich sei.

Wie die Liebe, warf ich ein, denn davon handelt ja auch die Literatur. Kaum war der Satz ausgesprochen, kam ich mir altklug oder wie der Musterschüler im Oberstufenunterricht vor.

Da hätte ich ohne Zweifel Recht, denn davon könne wohl jeder erzählen, da brauche man eigentlich keine Literatur. Und trotzdem könnten wir nie genug von Liebesromanen bekommen. Jetzt wolle sie aber endlich wissen, wer meine Lieblingsautoren seien.

Wieder fühlte ich mich ertappt wie bei einer Abiturfrage. Ich hätte keinen Lieblingsautor, sondern läse querbeet, schon seit meiner Schulzeit, und weil ich in meiner aktuellen Lebensphase ab und zu einen Rat bräuchte, müsste ich mich jetzt immer öfter an sie wenden.

Sie lachte, ging auf das Spiel ein, und mir schien, als wäre der Rock noch ein kleines bisschen nach oben gewandert, als sie ihre Haare mit einer kurzen Kopfbewegung nach hinten warf. Die Brille trug sie jetzt nicht mehr.

Was sie eigentlich von Literaturverfilmungen halte, versuchte ich das Gespräch mit einem Hintergedanken weiter zu führen. Recht wenig, war die Antwort, die meisten bleiben weit hinter der Buchvorlage zurück, von Ausnahmen abgesehen. Sie denke da an Viscontis Tod in Venedig, der eine eigene Erzählqualität besitze.

Gut, dann möchte ich Sie als Revanche für den Kaffee zu einem Kinobesuch einladen, wagte ich mich weiter voran. Dann müssen Sie aber den Film auswählen, war die Antwort.

Zwei Tage später betrat ich den Buchladen kurz vor Ladenschluss, um die Buchhändlerin zum Kinobesuch abzuholen. Das Programmkino Lux lag in der Nähe, zwei Querstraßen hinter dem Rathaus, so dass man zu Fuß gehen konnte. Als die Ladenglocke bimmelte, hörte ich die bekannte Altstimme, die mir ankündigte, dass sie gleich komme, und tatsächlich erschien die Bücherfee, diesmal in Jeans, drüber einen weiten dunkelblauen Pullover und in kurzen braunen Stiefeln, über dem Arm einen hellen Trenchcoat.

Unterwegs sagte ich ihr, dass der erste Film einer Isabel Huppert-Reihe gespielt werde, nämlich Die Spitzenklöpplerin. Beide hatten wir den Film vor einigen Jahrzehnten schon gesehen, aber die Buchhändlerin lobte meine Wahl. Auch wenn es eine Literaturverfilmung nach dem Roman von Pascal Lainé war, kannte keiner von uns beiden die Buchvorlage.

Das Kino war mäßig besucht, wir saßen in einer der letzten Reihen. Gegen Ende des Films, als das von ihren Freund verlassene Mädchen in die Psychiatrie kommt, fasst meine Begleiterin mir ihrer linken meinen rechte Hand und hält sie ganz fest. Ich merke, wie sie sich mit einem Taschentuch die Tränen wegwischen will. Auch mir stehen Tränen in den Augen.

Als wir nach dem Film im Freien stehen, haben wir beide das Bedürfnis, ein paar Schritte zu gehen, und dann schlage ich vor, in ein Restaurant zu gehen, da ich schon seit einiger Zeit ein Hungergefühl verspürte.

Normalerweise hat man ja so seinen Lieblingsitaliener, meistens ein für die Qualität der Speisen zu teures Restaurant. Aber so etwas erscheint mir für die Bücherfee zu abgeschmackt, zu abgedroschen, so dass ich eine Dönerbude mit Sitzgelegenheiten vorschlage, direkt in der Nähe, von der ich weiß, dass sie auch gute Salate im Angebot hat, die den weiblichen Gaumen reizen.

Die Buchhändlerin war in der Tat etwas überrascht, sie hatte wohl von einem Juristen etwas anderes erwartet, und demzufolge ging meine Überlegung auf, zumal ich zu meinem Döner und ihrem Salat mit Garnelen eine Flasche Crémant de Loir bestellte, von dem ich wusste, das er gut war.

Wir sprachen diesen Abend lange mit einander, nicht nur über Bücher und Filme, sondern auch über unsere privaten Angelegenheiten. So erfuhr ich, dass Maria, meine Buchhändlerin, sich gerade von ihrem Mann getrennt und die Tochter es vorgezogen hat, bei ihrem Vater zu bleiben.

Ein Buchladen in Eigenregie, ohne Mitarbeiter, erfordert viel Zeit und Kraft, und abends nach den Geschäftsstunden ist noch die Buchhaltung zu machen, so dass die Tochter beim Vater wohnt, der als Lehrer ja über genügend Zeit verfügt, um sich um sie zu kümmern und sowieso am liebsten in den späten Abendstunden malt. Aber, so erfuhr ich außerdem, war Erhardt sehr eitel, nicht nur dass er akribisch auf sein Äußeres achtete, sondern auch, was seine Wertschätzung durch andere Personen anging, insbesondere des weiblichen Geschlechts. Mit anderen Worten, man könnte ihn als Schürzenjäger bezeichnen, der seine Beute zunächst im Kollegium zur Strecke brachte und danach ein größeres Jagdrevier absteckte, in dem sich hauptsächlich Kunstgalerien befanden. Er schafft es jedoch bis heute, auf die Jagd zu gehen, ohne seine Tochter, die ihren Vater verehrt, zu vernachlässigen.

Marias Erzählung klang fast so wie eine Beichte, bei der ich der Beichtvater war, nur dass sie nicht die Sünderin war, wenn man bei diesem Sprachbild bleiben will, sondern das Opfer. So konnte ich sie auch nicht von Sünden frei sprechen, doch zeigte ich mich an jenem Abend voller Empathie. Auch dass ich später meine Rührung durch den Film eingestand, hat mir Maria näher gebracht.

Nach der zweiten Flasche Schaumwein machte uns der Dönerbudenchef klar, dass er schließen wollte, denn kurz vor Mitternacht kamen keine Kunden mehr. Natürlich ließ ich mich nicht davon abbringen, meine Buchfee nach Hause zu begleiten. Zu ihrer Wohnung waren es weniger als tausend Meter.

Würde sie mich zu einer Tasse Kaffee in ihre Wohnung bitten? Ich meinte, sie zögerte ein wenig, als wir vor ihrer Haustür standen, doch dann gab ich ihr einen Kuss auf die Stirn und verabschiedete mich. Nichts ist mir peinlicher, als aufdringlich oder lüstern zu erscheinen, denn so ein Kontrollverlust hätte alles zerstören können, selbst wenn sie auf dem Heimweg meine Hand gehalten hatte.

Häufig begegnet man in entsprechender Literatur, in Romanen, die man schnell herunter liest, um seine eigentliche verkorkste Wirklichkeit zu vergessen und sich in eine fiktive, schönere zu vertiefen, der Konstellation, dass nach einem emotional aufgeladenen Kinobesuch und dem anschließenden Essen im Nobelrestaurant mit Hummer, Champagner und Erdbeeren, der Frau nichts anderes übrigbleibt, als sich diesen inszenierten Verführungskünsten des Mannes oder auch der Frau zu ergeben. Das aber ist ein Klischee. Das funktioniert nur am Bildschirm des Schreiberlings und in den Hirnen der anspruchslosen Leser.

Also schlendere ich gut gelaunt nach Hause. Ich habe keine Eile, niemand erwartet mich, das große Haus, das vor längerer Zeit eine vierköpfige Familie beherbergt hat, steht fast leer. Ich benutze zur Zeit nur die untere Etage und im Sommer manchmal die Terrasse.

Meine Arbeit beginnt erst um zehn Uhr morgens mit einem Gerichtstermin. Meinem Klienten ist schadhafte Ware geliefert worden, der Lieferant weigert sich, die Mängel zu beheben. Ein Routinefall. Deshalb habe ich noch Zeit, an Maria zu denken und mir das vorzustellen, was ich mit ihr tun würde und bald auch werde, wenn meinen Hoffnungen sich erfüllen. Ihr heutiges, besser gestriges Erscheinungsbild, das legere Outfit, bei dem man ihre schönen kräftigen Hüften nur ahnen konnte, geht mir nicht aus dem Sinn, und ich beginne bei einem Glas Weißwein, der immer in meinem Kühlschrank steht, von sexueller Erfüllung zu träumen, eigentlich zu phantasieren, denn diese Phantasien können wir steuern, unsere Träume jedoch nicht.

Am Vormittag nach dem Gerichtstermin bekam ich noch im Gerichtsgebäude einen Anruf von meiner Buchhändlerin Maria. Zunächst war ich überrascht, dann fiel mir ein, dass wir uns gegenseitig die Mobilnummern gegeben hatten und sogar zum Du vorgedrungen waren.

So war es also erklärlich, dass Maria mich fragte, jetzt wieder im quasi geschäftlichen Maria-Ton, ob mich mein überstürztes Davonstolpern auch gut nach Hause gebracht habe, sie ihrerseits habe tief und, wie sie meinte, traumlos geschlafen und ihr gehe es gut wie lange nicht mehr.

Ich warf ein, dass ich wahrscheinlich eine therapeutische Wirkung auf sie ausgeübt hätte und ich ihr für weitere Sitzungen zur Verfügung stünde. Aber nur bei ihr, hörte ich sie lachen, und sie würde selbst kochen, den Wein solle ich mitbringen. Sie schlage den nächsten Samstag vor, da schließe sie schon um eins und hätte danach noch genügend Zeit zum Einkaufen. Wenn ich so gegen sechs einträfe?

Bevor ich antworten konnte, war das Gespräch zu Ende. Offensichtlich war das eine Anordnung, der ich Folge zu leisten hatte, und die Folge malte ich mir schon mit Vergnügen aus.

In der Spirale zum Glück war ich ein Stückchen weiter nach oben gekommen. So funktioniert das eben in unserem Kulturraum, nachdem die strengen Moralgesetze und Rollenverteilungen zwischen Frau und Mann in den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ins Wanken geraten oder sogar überwunden sind und die Partnersuche etwas Spielerisches bekommen hat. Aber auch hier sind Regeln einzuhalten, obwohl manchmal der Verstand hintan stehen und das Bauchgefühl bestimmen sollte. Allem Anschein nach hatte ich gestern Nacht richtig gehandelt.

Kurz nach achtzehn Uhr, an besagtem Samstag, stand ich vor Marias Haus, einem Bau aus den fünfziger Jahren, mit zwei Flaschen Mosel-Riesling in einer Kühltasche und musste feststellen, dass ich ins fünfte Stockwerk steigen musste, da diese Sorte von Häusern, nach dem Krieg schnell hochgezogen, um die Wohnungsnot zu lindern, keinen Aufzug besitzen. Oben angekommen, ließ ich mir etwas Zeit, um nicht außer Atem zu erscheinen, bevor ich über die Schwelle der Wohnungstür trat. Es roch wunderbar nach Kräutern und Gebratenem, ich fand auch sofort die Küche, in der die Gastgeberin noch beschäftigt war, setzte die Flaschen auf den recht großen Küchentisch ab und wurde auch schon von Maria mit einer Umarmung und Wangenkuss begrüßt. Meine Buchfee trug diesmal ein bis auf die Knöchel reichendes hell-geblümtes Sommerkleid mit kurzen Ärmeln, das ziemlich weit ausgeschnitten war. Dazu trug sie einfache Riemensandalen. Ich solle schon eine Flasche öffnen, die Gläser stünden auf dem Balkon, wo wir bald essen würden. Der Balkon erwies sich als leidlich groß, war an drei Seiten mit Blumen fast zugestellt und bot einen überraschenden Ausblick auf die Gärten innerhalb der Blockrandbebauung, zu dem auch das Haus gehörte. Dahinter sah man die Silhouette der Altstadt mit ihrem Rathausturm. Der Tisch draußen war bereits gedeckt und maß ungefähr einen Meter im Quadrat. Maria hatte meine Gedanken erraten.

Kein Problem, die drei Gänge kommen ja hintereinander, und wir beide brauchen ja auf unseren Stühlen nicht so viel Platz.

Eine leichte Brise wehte von der Gartenseite herüber, und man konnte leichten Grillgeruch wahrnehmen.

Ich brauche dieses Grillen im Sommer nicht. Für einen immer größer werdenden Teil der deutschen Gesellschaft gehört das Grillen im Freien zum unbedingten Muss, fast kein Garten, kein Balkon, keine Parkwiese bleibt davon unbehelligt. Die Supermärkte überschlagen sich mit Angeboten von manieriertem billigem Grillfleisch.

Da kam auch schon die Vorspeise, die Maria, mit einem erwartungsvollen Lächeln servierte. Nach der geschmorten Gemüse-Vorspeise gab es Fisch, Dorade, einfach in der Pfanne gebraten und mit Kräutern gewürzt. Der Mosel-Riesling passte hervorragend dazu. Als Nachtisch brachte Maria Joghurt-Eis mit Mango und Blaubeeren.

Das hätte ich ihr wohl nicht zugetraut, meinte sie, sie habe es nicht nur mit Büchern zu tun, sondern an den Wochenenden regelmäßig für die Familie in der Küche gestanden und viele Rezepte ausprobiert. Allerdings sei sie etwas aus der Übung gekommen, für sich allein koche sie fast nie, und jetzt sei mal eine Gelegenheit gekommen.

Also meinetwegen, dachte ich geschmeichelt, sagte es aber nicht, lobte aber ihr Menü in den höchsten Tönen, ohne zu übertreiben. Während des Essens konnte ich kaum einen Blick von ihr lassen, und das war meiner Köchin natürlich nicht entgangen.

Ich hoffe, du bist satt geworden, wir haben alles aufgegessen, aber aus deinen Augen spricht immer noch der Hunger.

Ich stand auf, nahm sie bei der Hand und bat sie, mir einen kleinen Vorgeschmack zu gewähren und küsste sie.

Ein wenig später hatte ich endlich die Gelegenheit, ihre Hüften in den Händen zu halten und mich mit ihr zu vereinigen, und nachdem wir unsere Körper genau erkundet hatten, liebten wir uns ein zweites Mal.

Ich solle aber jetzt nicht glauben, dass ich ein Abonnement auf ihre Kochkünste und den Nachtisch im Schlafzimmer hätte, versuchte sie mir klarzumachen.

Und auch diesmal ersparte ich mir eine direkte Antwort, küsste sie auf den Mund, verabschiedet mich mit den Worten, dass ich in fremden Betten sowieso nicht schlafen könne und auch zu Hause noch etwas zu tun hätte.

Ich glaube, diese Wechselbäder der Gefühle brauchte sie damals noch, um mit neuen Situationen fertig zu werden, denn sie hatte diesen Abend genossen, so wie ich, wollte es aber nicht eingestehen. Auch ich selbst wusste noch nicht, dass sich mein Leben von diesem Abend an verändern würde. Schließlich hatten wir kein weiteres Treffen ausgemacht.

Das Spiel war noch nicht zu Ende, und wir wussten nicht, wie es auf der Glücksspirale weiterging. Mehr hinauszögern konnte man unsere gegenseitige Annäherung doch nicht, und auch vom Dramaturgischen her war die Beschreibung des Abends doch vertretbar. Immerhin nahm ich mir vor, nichts zu übereilen und erst mal ein paar Tage ins Land gehen zu lassen, ohne dass ich Marias Laden betrat oder sie anrief. Gut, das waren meine Vorsätze.

Ich weiß nicht mehr, wer von uns beiden das nächste Treffen arrangiert hat. Es dauerte nicht länger als drei Tage bis zu unserem Wiedersehen. Wir sahen uns von da an regelmäßig, wenn man einen Rhythmus von drei, vier, manchmal fünf Tagen als regelmäßig bezeichnen kann. Manchmal sahen wir uns eine ganze Woche nicht, dann einmal waren es vierzehn Tage, als ich auf einem Juristenkongress in Bamberg war und anschließend eine ehemalige Freundin in Würzburg besuchte. Dieser Besuch zeigte, dass es schon Phasen gab, in denen ich Maria vermisste, mich aber noch unabhängig fühlte und auch glaubte, das unter Beweis stellen zu müssen.

Nach der Trennung von Lisbeth hatte ich einige nicht lange währende Beziehungen, unter anderem auch mit einer meiner Sekretärinnen und der eines Kollegen. Dies schuf Unannehmlichkeiten und beeinträchtigte das Arbeitsklima in der Kanzlei, weil besagter Kollege mich des Don-Juanismus bezichtigte, während ich mich selbst aber als Eroberungsobjekt seiner Sekretärin fühlte. Ich will lediglich sagen, ich lebte nicht wie ein Mönch, der sein Keuschheitsgelübde einhielt, aber auch nicht wie Marias Ex, Erhardt, der zur Bestätigung seiner kümmerlichen Existenz der Zwangsvorstellung unterliegt, allen Frauen zwischen sechzehn und sechsundsechzig nachstellen zu müssen. Vermutlich lässt er sich eine Strichliste auf den Oberschenkel tätowieren.

Die Zeit des Umbruchs, also zwischen meiner vermeintlichen Freiheit und der Bindung an Maria dauerte etwa ein halbes Jahr. Inwieweit Maria ihre Hände im Spiel hatte, also mich an der langen Leinen hielt und somit steuerte, habe ich noch nicht durchschaut. Klug, wie sie ist, wird sie sich dazu nicht äußern. Ich kann nur vermuten, dass einige ihrer angeblichen Unternehmungen mit Luisa, damals erst fünf, damit zu tun haben können. Denn dann war sie nicht zu Hause, und der Buchladen wurde von einer Freundin geführt, aber immer wenn sie zurückkam, brachte sie ein kleines Geschenk für mich mit, sei es eine modische Krawatte, sei es eine Flasche Wein aus der Region, die sie gerade bereist hatte. Begründet wurden diese Abwesenheiten damit, dass sie als Mutter die Pflicht habe, ihre Tochter öfter bei sich zu haben, als sie unbedingt müsse. Solange das Kind noch nicht in der Grundschule sei, könne man auch einmal ein Wochenende verlängern und die Verlängerung mit Krankheit oder Unwohlsein des Kindes begründen. Merkwürdigerweise machte Erhardt dieses Spiel mit, doch er konnte ja auch seinen Nutzen daraus ziehen.

Natürlich sehnte ich mich während ihrer Abwesenheit nach ihr. Nach einem halben Jahr stand unverrückbar fest, dass wir zusammen leben wollten, und so zog Maria zu mir ins Haus, deren obere Etage sie für sich einrichtete, hauptsächlich mit den Möbeln aus ihrer alten Wohnung. Die zwei Wohnungen in einem Haus, so betonte sie, dienten der Erhaltung unserer Beziehung, denn allzu viel Nähe könne deren Tod sein.

Damit uns Alltag und Routine nicht auffraßen, machten wir kleinere Reisen, häufig Städtereisen, für die Maria immer die passende Literatur bereit hatte. Das waren häufig auch dichterische Beschreibungen bekannter Autoren wie Rilke und Kafka in Prag oder Joyce in Dublin und Triest. Wir waren nie länger als eine Woche unterwegs, einmal wegen des Buchladens und zum zweiten, weil Maria es nicht länger an einem Ort ausgehalten hätte. Ein Urlaub an der Küste, Nord- oder Ostsee kam überhaupt nicht in Frage. Stundenlanges Herumliegen und die Zeit totschlagen waren undenkbar, Bücher am Strand lesen empfand sie als Tortur. Sie braucht die Stadt, als Wohnraum, als Eroberungsfeld, als Animation. Aber wenn sie in fremden Städten wohnt, darf das Zimmer nicht zur Straße hinausgehen, da braucht sie ihre Insel der Ruhe. Ich liege manchmal gern am Strand, tue nichts, sehe auf das Meer und den Wolken zu, betrachte das Strandleben. Zu lesen brauche ich dann nicht.

Bin ich Sieger oder Besiegter? Ist Maria meine Eroberung, oder bin ich ihren Verführungskünsten erlegen? Ist sie zu dominant, bin ich zu nachgiebig? Oder bewegen wir uns auf einem ausgeglichenen Niveau einer modernen Zweierbeziehung, in der ich als Mann anerzogene und antrainierte Verhaltensmuster ablegen oder zumindest in Zweifel ziehen muss? Dass wir uns die Hausarbeit teilen, ist eine Selbstverständlichkeit. Als Single habe ich mich lieber selbst versorgt, anstatt in ein Restaurant oder eine Kneipe zu gehen. Ich weiß aber von Kollegen, dass sie sich ihrerseits nicht vorstellen können, in der Küche zu stehen, einzukaufen, für Ordnung zu sorgen. Gut, ich leiste mir eine Putzfrau, beschäftige sie sogar illegal, das heißt, sie ist nicht sozialversichert und so weiter, und das als Jurist. Aber diesen Kick gönne ich mir. Peinlich, wenn das rauskäme. Aber ich denke, meine Kollegen machen es ebenso, geizig, wie sie sind, auch wenn die Ehefrauen nicht berufstätig sind. Nach Marias Einzug habe ich die polnische Putzfrau natürlich behalten, ihr Arbeitsfeld hat sich sogar erweitert, weil jetzt das ganze Haus sauber gehalten werden muss.

Am Abend meines Geburtstages gingen wir spät zu Bett, es war wohl am frühen Morgen des folgenden Tages. Zwar war ich wegen des Alkohols etwas müde, und auch Maria signalisierte mir ihre Müdigkeit und das Bedürfnis nach Schlaf, den sie wohl verdient hatte, angesichts der Arbeit, die sie sich wegen des Festes aufgeladen hatte. Trotzdem begehrte ich sie jetzt, genau jetzt. Als ich aber nach dem Zähneputzen in ihr Schlafzimmer kam, lag sie schon auf den linken Seite ihres breiten Bettes, leicht auf der Seite mit angewinkelten Beinen und schlief tief und fest. Der Gedanke, sie aufzuwecken und meine Lust auf sie zu übertragen, blitzte nur kurz in mir auf, denn schon bald ergriff auch mich eine tiefe Müdigkeit. Und vor dem Einschlafen wünschte ich mir, noch einmal jung zu sein, soviel Energie zu haben wie früher und nicht den Alterungserscheinungen des Körpers ausgeliefert zu sein.

Nach einem unruhigen Schlaf wache ich früh auf. Marias Atem geht regelmäßig, sie schläft gut, manchmal bis zu acht Stunden. Meine Schlafphasen sind unregelmäßig und kurz. Spätestens um sechs verlasse ich das Bett, Blase und Darm treiben mich auf die Toilette, morgens bin ich sehr nervös. Jeden Tag empfinde ich als Herausforderung. Erst wenn ich im Büro sitze, tritt eine gewisse Ruhe ein.

Doch heute Morgen spüre ich ein noch unbestimmtes Unwohlsein. Ich schiebe es auf den Alkoholgenuss, auch die nächtlichen Schweißausbrüche betrachte ich als dessen Folgen. Das Unwohlsein steigert sich zur unerträglichen Übelkeit, Bauchschmerzen kommen hinzu. Ich weiß, dass ich gestern meinen Blutzuckerspiegel mehrmals gemessen und mir die entsprechenden Spritzen verabreicht habe, sonst hätte ich ja den Tag mit dem vielen Essen und Alkohol nicht durchstehen können. Maria möchte, dass ich ganz auf Wein und Bier verzichte und mir außerdem nur Gemüse einverleibe. Ich weigere mich. Ich würde mich allmählich umbringen, ich verhielte mich unverantwortlich den Kindern und vor allem ihr gegenüber, und meine Standardantwort ist dann, wenn mich Gevatter Tod mit seiner Sense erwische, brauche sie keine Sorgen zu haben, denn das Haus hätte ich ihr schon überschrieben.

Ich wache im Krankenhaus auf. Ein Arzt klärt mich auf.

Ich hätte eine Zeitlang im diabetischen Koma gelegen, und das sei die schwerste und gefährlichste hyperglykämische Entgleisung des Diabetes überhaupt und könne zum Tode führen.

Er nennt mir Ziffern, die ich nicht verstehe. Er will mich wohl beeindrucken. Dabei weiß ich doch selbst, dass es mir schlecht geht. Ich liege auf dem Rücken und muss notgedrungen an die Decke starren. Soweit ich es mitbekommen habe, liege in einem Einzelzimmer. Dafür habe ich monatlich der Krankenkasse viel Geld hinlegen müssen. Meine Kollegen mit Krankenhauserfahrung haben mir dazu geraten, auch Maria war dafür, und so genieße ich, wenn man so will, die Entspannungslage.

Ein etwas fauliger Geruch liegt in der Luft. Wenn ich meinen Kopf nach rechts wende, sehe ich einen riesigen Blumenstrauß. Der muss wohl die Faulgase ausströmen. Merkwürdig, dass meine Sinne so gut funktionieren. Irgendwo wird geflüstert. Kleine Bewegungen bereiten mir Schwierigkeiten. Schläuche führen in meine Armvenen. Ich fühle mich wie behindert. Ich schließe meine halboffenen Augenlider. Möchte mich weg phantasieren.

Die Predigt des Weißkittels geht an mir vorbei. Blutzuckerwerte, Diabetes-Mellitus-Typen, Prävalenz nach Altersgruppen, gestörte Glukosetoleranz, Typ zwei, toller Typ, toller Hecht, der Kollege im Leinenanzug, im Sommer, hat der Sekretärin, der Ina, Honig um den Mund geschmiert, Mel y Mató, katalanischer Nachtisch, hätte ich gern mit Ina gegessen, nach dem Restaurantbesuch in die Honey-Bar, Zuckerpuppe, Bill Ramsey, Elfriede aus Wuppertal, da schwimmt der Tuppa-Wal, über die Wupper, Sennahoj von Else Lasker, Sieg, Lahn, Marburg, Savigny, Abendroth, Margot Käßmann, Elisabeth von Thüringen, Landgraf, Das Wirtshaus an der Lahn, Liselotte Pulver, verschossen, nichts aus deinem Leben, gemachter Mann, Neuanfang, am Brunnen vor dem Tore, in den Brunnen gefallen, Jungbrunnen, zehntausend Jungfrauen, Paradies.

Maria sitzt an meinem Bett. Wischt mir den Schweiß von der Stirn, hält meine Hand. Ich fühle mich erschöpft, aber nicht unwohl. Es gehe jetzt wieder bergauf. Ich würde neu eingestellt. Ein neues Mittel. Metformin. Vor fünf Jahren wurde ja schon Diabetes bei mir diagnostiziert. Die frühen Symptome habe ich nicht ernst genommen, aber als ich auch beruflich in Schwierigkeiten kam und einmal im Gerichtsgebäude zusammenbrach, musste ich mir eingestehen, dass ich mit dieser Beeinträchtigung bis ans Ende meines Lebens klar kommen musste, dass ich dieser Krankheit ausgeliefert war, dass ich das sorglose Leben hinter mir hatte. Ich fühlte mich irgendwie unvollständig. Ein Organ war teilweise ausgefallen, ich betrachtete mich als Krüppel, verlor den Lebensmut, redete mir Impotenz ein, kapselte mich von Freunden und Bekannten ab, suhlte mich in Selbstmitleid.

Für Maria muss das schier unerträglich gewesen sein. Doch ihr gelang es, mich psychisch zu stabilisieren. Schließlich halfen die Medikamente, mein Leben zu normalisieren, die Libido kam zurück. Und jetzt dieser Rückfall! Aber die Hoffnung auf Metformin.

Der mich behandelnde Oberarzt informierte mich am anderen Morgen ausführlich über das für mich neue Medikament Metformin, ein schon seit vielen Jahren gebräuchliches Diabetes-Medikament, das außerdem vor Herzinfarkten, Schlaganfällen und Krebs schützen soll.

Der Vorteil sei die orale Einnahme. Bei mir als DiabetesTyp-2-Patient werde durch das Mittel die Neubildung von Glukose in der Leber gehemmt, also gebe es weniger Traubenzucker im Blut, meine Muskeln sprächen dann besser auf Insulin an, also mehr Glukose aus dem Blut in die Muskeln. Das Unterzuckerungsrisiko werde durch Metformin auch nicht erhöht. Und dann gebe es noch, allerdings nur für mache Patienten, so lächelte süffisant mein Oberarzt, den Vorteil, dass das Hungergefühl abnehme und so das Gewicht reduziert werde.

Und dabei hatte ich den Eindruck, dass er sich damit auf meinen in der Bauchgegend etwas aus der Form geratenen Körper bezog.

Medizinisch gesprochen, werde der Fettstoffwechsel begünstigt. Ich solle noch zwei Tage zur Beobachtung hier bleiben, dann könne ich zu Hause mein gewohntes Leben wieder aufnehmen, aber, wenn möglich, nicht oder besser gar kein Alkohol, gesundes fettfreies Essen.

Mir war klar, was zu Hause auf mich zukommt. Natürlich wusste Maria selbst besser als jeder Arzt, welche Lebensmittel für mich die bekömmlichsten seien, ich werde ihr auch da nicht widersprechen, unter der Bedingung, dass mein Fleischkonsum nicht auf null reduziert und Wein nicht ganz aus dem Haus verbannt wird. Das gelegentliche Bier muss selbstverständlich erlaubt sein.

Nach dem Wochenende ging ich wieder in die Kanzlei. Zunächst fühlte ich mich einigermaßen wiederhergestellt. Maria kochte für uns leichte Speisen mit gedünstetem Fisch und viel Gemüse. Es gab viel Obst. Ein Glas Wein täglich erlaubte sie mir. Luisa, die an diesem Wochenende bei uns war, vermisste das Grillfleisch und mäkelte an der „Diät“ herum, so dass es zwischen Mutter und Tochter zum Streit kam und die Tochter vorzeitig zu ihrem Vater zurückging.

Na siehst du, triumphierte ich, der Zeichenlehrer brät ihr jeden Tag ein Rumpsteak Kobe, um sie zu korrumpieren.

Maria wies das zurück und schob alles auf die Pubertät. Irgendwie schien sie Erhardt immer noch in Schutz zu nehmen.

Doch schon ein paar Tage später traten Probleme auf. Das Essen schmeckte nicht mehr, ein metallisch-bitterer Geschmack machte sich auf der Zunge breit. Ich bekam Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Mein Magen und mein Darm rebellierten. Offensichtlich gegen das neue Medikament.

Mein Hausarzt, der mich jetzt wieder betreute, beruhigte mich, diese Art von Beschwerden träte häufig zu Beginn der Behandlung auf und ließe sich meist mit einer Dosierungsumstellung in den Griff bekommen. Die sonore Stimme, der überzeugende Sprachduktus meines Doktors beruhigten mich. Die Dosierung wurde geändert, mir ging es besser.

Schon eine Woche später setzten die erst neulich aufgetretenen Symptome wieder ein, ein metallisch-bitterer Geschmack spreizte sich auf meiner Zunge. Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall stellten sich wie alte Feinde wieder ein. Meine Darmflora rebellierte. Und auch Maria war alarmiert, denn sie kannte natürlich den Bestseller Darm mit Charme von Giulia Enders, der uns alle davon überzeugt hat, dass nicht das Hirn unsere Körperverrichtungen steuert, sondern dass unser Darm das Sagen hat. Bei mir war das eindeutig so. Oder eigentlich das Metformin. Das Wundermittel regulierte zwar gut meine Blutzuckerwerte, deregulierte aber meine Darmprozesse.

Der Hausarzt verwies mich mit einem Achselzucken an die Klinik. Mein Oberarzt war enttäuscht und schien den Eindruck zu erwecken, als hätte ich einen Fehler, etwa bei der Einnahme des Medikaments, gemacht.

Diesen Verdacht wies ich rigoros von mir, berichtete von der Dosisumstellung durch den Hausarzt und konstatierte, natürlich selbst deprimiert, dass dieses angebliche Wundermittel bei mir versage.

Nach einem langen Zögern formulierte der Oberarzt den entscheidenden Satz, und dabei leuchteten seine Augen kurz begeistert auf, da gibt es noch etwas, lieber Herr Born, das Ihnen helfen könnte, aber, und hier machte er eine kurze Pause, jenes Mittel sei noch in der Erprobung, noch nicht ganz zugelassen, es gebe schon eine Menge Probanden, denen es damit hervorragend gehe, und er könne mich, wenn ich wolle und mögliche Risiken auf mich nehme, in die Gruppe der Patienten der Phase II der Testserie, der bevorzugten Versuchsanwärter aufnehmen, das sei fast eine Ehre, denn da gebe es schon eine lange Warteliste, aber in meinem Fall sei wohl Dringlichkeit geboten.

Als ich Maria davon erzählte, war ihre erste Reaktion, ich dürfe mich auf gar keinen Fall zum Versuchskaninchen machen lassen, man wisse doch von Fällen mit lebenslänglichen Schäden wegen unkontrollierbarer Nebenwirkungen und sogar mit Todesfolge. Am liebsten wäre ihr gewesen, sie hätte mich mit Bachblüten kurieren können. Aber sie wusste auch, dass ich keinen Homöopathen an mich heranlassen würde. Ohne klassische medizinische Behandlung war mein Leiden nicht behandelbar. Das wusste sie ebenfalls. Darüber hinaus war ich für mein Leben verantwortlich, ich musste die Entscheidung treffen. Weil ich mir ein Leben so, wie es früher war oder zumindest einigermaßen menschenwürdig, ein Leben ohne Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, ein Leben mit ausgeglichenem Zuckerhaushalt wünschte, ein Leben, das, wenn auch etwas eingeschränkt, ich noch mit Maria genießen konnte, brauchte ich für meine Entscheidung kein Orakel zu befragen, sondern ließ ich mir einen Termin in der Klinik geben, die die Versuchsreihe an Patienten durchführte. Maria sagte nur, Bruno, du weißt, was du tust.

2

Ich habe angefangen, Tagebuch zu führen. Auf diese Idee hat mich Maria gebracht, indem sie mir die seit einigen Jahren veröffentlichten Tagebücher von Thomas Mann geschenkt hat, weil sie glaubte, man müsse sich noch mehr in die Psyche dieses Schriftstellers vertiefen, als ich es ohnehin schon gemacht habe, mit all den Informationen über die Mann-Familie. Die Lektüre war sowohl langweilig als auch erhellend, insofern, als vieles allzu banal auf mich wirkte, anderes aber mich dazu motivierte, mein Inneres nach außen zu kehren und die Schamgrenzen fallen zu lassen und die an mir gemachten Beobachtungen zu Papier zu bringen. Wenn auch nicht unbedingt in der Absicht, ein breites Lesepublikum zu finden, sondern eher mir Selbstgewissheit zu verschaffen über das, was mit mir, das heißt mit meinem Körper und all seinen Prozessen vorging und ebenso mit meiner seelischen Verfasstheit passierte, die auf meine körperliche Veränderung, sei es zum Guten oder Schlechten, reagierte.

Die Idee setzte ich in die Tat um, wenn der erste Monat der klinischen Erprobung zu Ende geht und weil ich enorme Veränderungen an mir wahrnehme, die mein bisheriges Leben in Frage zu stellen und mir völlig neue Perspektiven zu eröffnen scheinen. Ich weiß nicht, ob ich meinem Vorsatz immer treu bleiben kann, jeden einzelnen Tag zu protokollieren, da es mir dazu an innerer Disziplin fehlt. Das Ergebnis wird infolgedessen bruchstückhaft sein. Es können Tage, Wochen fehlen, das Wichtige immerhin soll sichtbar werden.

1. Dez. 20...

Bin überrascht, dass X (So nenne ich fortan das Medikament.) so gut verträglich ist. Keine Bauchschmerzen, keine Übelkeit, keine Müdigkeit, kein Schwindelgefühl. Mit dem Essen bin ich weiterhin vorsichtig und verlasse mich auf Marias Speiseplan. Sie ist in dieser Beziehung eine Meisterköchin. Also fühle mich stark genug, in die Kanzlei zu gehen, normal zu arbeiten und bringe im Sinne meiner Klienten gute Ergebnisse zustande. Maria scheint auch zu profitieren, hat die zu damenhafte Mode abgelegt, trägt Pullis mit Ausschnitt, enge Jeans, die ihren Körper betonen. Fühle mich oft erregt bei ihrem Anblick, versuche meine Begierde auf sie zu übertragen. Es gelingt nicht immer.

6. Dez. 20...

Als wär's ein Nikolausgeschenk, mein Bauchfett hat sich reduziert. Scheine auch mehr Muskelmasse in Armen und Beinen zu haben. Klar, mache meine gymnastischen Übungen. Achte mehr als früher auf mein Äußeres.

Irgendwie sind die Falten um Mund und Augen weg, beim Rasieren gemerkt. Habe mich über den Schokoladennikolaus von Maria gefreut, auch wenn er aus Bitterschokolade war, wegen des geringen Zuckeranteils.

Waren abends beim Italiener. Da erlebt man keine Enttäuschung. Klar sind das Geldwaschanlagen der Mafia. Bin nicht päpstlicher als der Papst.

8. Dez. 20...

Habe mir vorgenommen, dreimal in der Woche zu joggen, trotz der Kälte. Maria hat mich bei der Beschaffung der Sportkleidung beraten. Ihr gefällt meine neue Phase. Sie selbst aber ist auf dem Gebiet zurückhaltend und zieht Yoga vor, ernährt sich immer mehr vegan. Ich dagegen habe immer öfter regelrechte Fleischgelüste, brauche dann ein Steak.

Wir planen zwischen Weihnachten und Neujahr eine Städtetour, vielleicht Amsterdam oder Paris. Im Sommer sind dieses Städte so überlaufen.

In der Kanzlei habe ich immer mehr mit Handelsrecht zu tun. Kann mir recht sein. Die neue Kollegin macht jetzt auch meine Familiensachen. Monika schien mir auf den ersten Blick eine graue Maus, ist aber im Gespräch recht attraktiv. Brünett. Sollte sich auffälliger kleiden.

Habe selbst auch meine Garderobe erneuert, etwas modischer, trotzdem dezent. Weihnachtseinkäufe werden fällig. Könnte Maria eine Reise schenken. Brauche noch was für Luisa.

13. Dez. 20...

Lucia-Tag in Schweden. Da tragen Mädchen lange weiße Kleider und tragen im Haar einen Kranz mit Kerzen. Lucia ist wohl deren Nationalheilige. Komisch in einem protestantischem Land! Ich weiß das von Luisa, die haben das in der Schule durchgenommen, als sie Unverhofftes Wiedersehen von Johann Peter Hebel besprachen. Eine Geschichte von einem jungen schwedischen Bergmann, der unter Tage verunglückt, verschüttet und verschwunden ist, und fünfzig Jahre später gefunden wird. Konserviert, durch Eisenvitriol und sieht daher aus wie zu seinen Lebzeiten. Erkannt hat ihn nur seine ehemalige Braut, als alte verhutzelte Frau.

Leider sei der junge Mann eine Leiche. Luisa fand meine Bemerkung gar nicht komisch. Maria wollte mehr über den Autor wissen. Typisch.

Luisa ist in der Vorweihnachtszeit öfter bei uns. Erhardt scheint wieder auf der Jagd zu sein.

Inzwischen haben wir zwei Kühlschränke, einen veganen für Maria, die Gerüche würden sich übertragen, und einen für die Omnivoren, Luisa und mich. Inzwischen kauft Maria auch veganen Wein. Lässt sich trinken, ist aber teurer. Ja, der Luxus der politisch und ethisch korrekten Mittelklasse! Versuche immerhin, meinen Weinkonsum zu reduzieren.

Dez. 20...

Habe zufällig herausgefunden, dass eine kleine höhere Dosierung von X den Appetit zügelt. Bin leistungsfähiger trotz weniger Essen. Maria meint, meine Haut sei so weich, ob ich mich jetzt regelmäßig einkreme? Musste das verneinen, früher im Winter hatte ich manchmal trockene Haut, die juckte. Das ist jetzt vorbei.

Maria möchte ihren Ex, den Jäger, Weihnachten zum Essen einladen, wir alle zusammen, Mutter, Kind, Vater, Lebensgefährte. Sie liebt Harmonie. Habe scherzhaft die Bedingung gestellt, dass der Jäger die letzte Beute auch mitbringt. Frisches Fleisch. Würde gern dessen Intelligenz testen. Wollten wir nicht über Weihnachten verreisen? Kein böses Wort über Frauen!

Dez. 20...

Ich beklage mich nicht. Maria hat hervorragend gekocht. Tolles Weihnachtsmenü. Natürlich viel zu viel. Und dann ist auch viel übrig geblieben, weil der bekloppte Ex in letzter Minute abgesagt hat. Ich vermute, er hat sich nicht getraut, seine Beute zu zeigen, der Feigling. Schlimm war es für Luisa. Da hat Maria bei ihm darauf gedrungen, dass er mit seiner Tochter Silvester feiert.

Ich hingegen habe noch schnell für den Jahreswechsel eine Ferienwohnung auf Rügen gebucht, zugegeben, eine kleine Rache wegen Amsterdam oder Paris. Die Insel ist auch schön für Liebende.

1. Jan. 20...

Aber verdammt kalt. Vereinzelt lag Schnee, kleine Seen zugefroren! Wagten uns selten aus der Ferienwohnung hinaus. Hatten auch nicht die richtige warme Outdoor-Kleidung. Lagen lange im Bett, lasen viel, lebten unsere Lüste aus, Maria begehrte mich immer mehr, ich kam dem nach, hatte viel größere Ausdauer als früher, kam mir animalisch vor in meiner Lust. Dabei dauert´'s bei Elchen nur Sekunden, nach der stundenlangen Anmache. Das wusste ich von Luisa, und die wiederum aus dem Bio-Unterricht.

Silvester-Menü im Restaurant Villa Salve in Binz, fünf Gänge, musste sein, für mich. Gab auch was Entsprechendes für Veganer. Die zwei Flaschen Sekt teilten wir uns.

Maria las den Henri IV von Heinrich Mann. Große historische und politische Kost. Auch sexuelle, Heinrich vernaschte alle, von der Bauernmagd bis zur Prinzessin, oder waren's nur die Kammerjungfern?

Hatte Jakob Wassermanns Der Fall Mauritius dabei, von Maria zu Weihnachten geschenkt. Ein Justizroman. War eine schöne Zeit für uns beide.

6. Jan. 20...

Wieder zu Hause. Epiphanie.

Fühle mich wie neugeboren. Keine Bauchschmerzen, kein Durchfall, kein Schwächeanfall seit langem. Muss mich umorientieren. Spüre ein Drängen, eine bisher unbekannte Nervosität. Mich nervt der Alltag. Büro, Gericht, Klienten. Dann Essen, Trinken, Vögeln, Schlafen. Der Weihnachtskram ist Gottseidank vorbei. Maria liebt die Stimmung, hat auch Luisa da mit reingezogen. Ich fange an, das zu hassen, die Kerzen, das Kaminfeuer, dazu klassische Musik.

Mache noch mehr Sport, habe mit Tennis angefangen, laut Trainer gute Veranlagung. Entwickle Ehrgeiz. Wegen Monika? Sie spielt seit ihrer Kindheit. Hat mir ihren Club empfohlen. In der Halle trägt sie kurze Röckchen. Habe noch Probleme mit dem Aufschlag. Monika will mit mir üben.

2. Februar 20...

Die Tage werden länger. Lichtmess. Kann noch vor dem Abendessen joggen. Die Welt erscheint mir heller.

Der Augenarzt hat mir bescheinigt, dass ich keinen Grauen Star mehr habe. Brauche zum Lesen geringere Brillenstärke und weniger Licht.

Allerdings würde ich nie auf eine Brille verzichten, würde mich gesichtsnackt fühlen. Wie ein Grottenolm. Und als Anwalt ohne Brille? Wir brauchen da Rituale, wie Brille auf- und absetzen: Brille auf, Akte lesen, Brille ab und in der rechten Hand, Klientengespräch, in die Augen sehen.

Monika will mir das nicht glauben, trägt mit Überzeugung Kontaktlinsen. Eine Brille würde sie professioneller machen. Gestern beim gemeinsamen Tennis hat sie meine Körperhaltung korrigiert, stand hinter mir, ich spürte ihre Brüste und ihre festen Oberschenkel, bekam sofort eine Erektion. Habe nach dem Sport sexuelle Phantasien, Monika-Maria-Ich.

Morgen soll die Kanzlei umorganisiert werden, Ziel verstärkte Spezialisierung, heißt für mich Aufgabe von Verkehr und Familie, stattdessen nur noch Wirtschaft. Soll mir recht sein.

3. April 20...

Habe beschlossen, am Tennisturnier der Juristen teilzunehmen, im Juni. Trainiere jetzt jeden zweiten Tag, wenn's geht schon draußen.

Die Plätze liegen am Rand des Stadtparks, zehn Minuten mit dem Rad. Lese unterwegs Kollegin Monika auf. Ihr Vorsprung ist bereits kleiner geworden.

Maria beklagt sich manchmal, dass ich weniger zu Hause bin, dabei ist sie selbst lange im Laden. Sie organisiert Autoren-Lesungen. Die erste soll von Bodo Kirchhoff bestritten werden. Ist mir zu sehr alternder Schönling. Maria steht auf seine Bücher. Besonders das letzte. Widerfahrnis. Hat mir davon vorgeschwärmt, als wären sie und ich die Hauptpersonen.

Muss nun öfter zum Friseur, mein Haar scheint voller zu sein oder es wächst im Frühling schneller. Sehe trotz grauer Haare nicht alt aus. Habe es auch nicht nötig zum Friseur von Jogi Löv oder Gerhard Schröder zu gehen. Affig. Monika findet meine Haarfarbe toll. Vielleicht hat sie einen Vaterkomplex. Hat mich auf ihre neue Frisur aufmerksam gemacht. Stimmt. Das Graumäusige ist ganz von ihr verschwunden. Ich soll sie beim Brillenkauf beraten.

15. April 20...

Wenn ich vor dem Tennis-Training X einnehme, also zusätzlich zur Tagesdosis, bin ich absolut fit. Ist eine Art Doping. Fühle mich auch danach nicht ausgepowert.

Benutze seit kurzem den Fitness-Raum im Tennis-Center. Ich denke, Oberarme, Brust und Bauch sollte ich etwas modellieren. Monika hat sich neulich positiv über so'n jungen Typen mit entsprechender Muskulatur geäußert, habe das dann auf meine Art ironisiert. Das ist ja die einzige Waffe, die wir Älteren noch haben.

Maria hat mir vor Jahren schon vorgeworfen, dass ich zu wenig auf meinen Körper achte. Die Typen im Club sind mir zu hohl, geistig. Fahren aufgeblasene Mini-Cooper, japanisch, südkoreanische SUV, geleaste Audis und BMWs. Ihr verächtliches Grinsen, wenn ich mit dem alten Fahrrad komme, entgeht mir nicht. Monika fährt ein schickes Mountainbike, das geht wohl durch bei den Yuppies. Einer von denen war vorgestern ganz aus der Puste, nachdem er gegen mich gespielt hat. Der wird sich noch wundern. Versucht auch, meine Kollegin anzugraben, sozusagen plump. Da fehlt Stil, da ist wenig Bildung.

Seitdem Monika die neue Brille trägt, hat sie so'n intellektuellen Touch. Gefällt mir. Fragte mich, ob ich ihr 'nen Buchtipp geben könnte. Spontan hätte ich sie fast an Maria verwiesen, ging gerade noch gut.

2. Mai 20...

Der Tag der Arbeit ist überstanden. Ha, ha! War schlechtes Wetter, Maria und ich haben zu Hause entspannt, das Übliche. Luisa war auch da. Und ihr Erzeuger kreuzte auf. War wohl keine Jagdsaison, fabulierte von neuer Galerie, seinen großformatigen Bildern, den ständigen Vernissagen mit ihren Schaumweinorgien, daher wohl der kleine Bauchansatz bei Erhardt! Zufällig trug ich einen eng geschnittenes T-Shirt, dem Angeber muss meine „Muskelmasse“ aufgefallen sein. Außerdem lichten sich seine Haare.

Na gut, Maria machte wieder in heiliger Patchworkfamilie. Ich fragte ihn aber provozierend, wie denn sein Sportprogramm aussieht, so als Sportlehrer!?

In der Kanzlei läuft's gut, die Spezialisierung zeigt Erfolg, konnte auch den Klientenstamm von Pedro, eigentlich Peter, übernehmen, der wiederum meine Leute übernommen hat. Unter meinen neuen Klienten sind schon schräge Typen, windige Geschäftemacher. Monika spezialisiert sich auf Familienrecht. Gut, dass wir in getrennten Abteilungen arbeiten. Säße sie dauernd vor mir, würde mich das zu sehr aufgeilen. Ist verdammt attraktiv geworden. Weiß gar nicht, ob sie eine feste Beziehung hat. Bin verdammt scharf auf sie.

18. Mai 20...

War mir Maria im Kino. Im Programmkino. Almodóvar. Ein früher Film. Das Gesetz der Begierde. Maria schätzt Almodóvar. Ich konnte der Handlung nicht ganz folgen, schwule Liebe, Geschlechtsumwandlung, Identitätsproblematik. Aber lustig war's schon, obwohl der Film mit dem Selbstmord des Protagonisten Antonio Banderas endet.

Madrid liegt mir irgendwie fern, wie ganz Spanien. Maria fährt aber darauf ab. Italien scheint out zu sein. Danach aßen wir pflichtgemäß Tapas und die standesgemäß in der teuersten Tapasbar. Wer von Tapas satt werden will, verliert fast ein Vermögen. Ich bin nicht knauserig, aber das Preis-, Leistungsverhältnis! Bin eben Wirtschaftsanwalt. Maria zieht mich dann damit auf. Sie ist da anders als ich, lockerer. Obwohl ihr Laden in letzter Zeit nicht so gut läuft.

Der Jaguar hat seine Macken. Die Zündung. Bin schon mehrmals liegengeblieben. Die Werkstattpreise sind heftig, die Reparaturzeiten auch. Das versteht dann Maria nicht. Sie empfiehlt mir SEAT. Nein!!!

Das Turnier rückt näher. Habe etwas Trainingsrückstand. Habe in letzter Zeit zu viel Wein getrunken. Der französische Rosé ist fantastisch. Frage morgen Monika, ob sie mit mir die Technik übt.

2. Juni 20 …

Wegen des intensiven Trainings mehr X. Im Krankenhaus sind sie zufrieden mit meinen Blut- und Zuckerwerten. Sage aber nichts von meiner „Überdosis“. Mein „persönlicher“ Oberarzt war nicht da. Konnte so leichter an neue X-Verschreibung kommen. Bin für sie ein Musterpatient für das neue Medikament.

18. Juni 20...

Habe beim Turnier einen guten dritten Platz gemacht. Habe einige Angeber an die Wand gespielt, wenn es eine gegeben hätte. Dank X! Dank Monika!

Muss mich ihr erkenntlich zeigen. Werde sie zum Essen einladen. Nach meinem Sieg über Lars hat sie mich so komisch angesehen. War das ihr Lover?

Bin danach nach Hause geradelt. Mit Maria und Luisa haben wir im Garten gefeiert. Mit Grillgemüse, Gaspacho, vegetarischer Paella. Für mich und sich hat Luisa zwei kleine Steaks besorgt. Danke Luisa! Diesmal war Cava angesagt. Da war Maria nicht kleinlich. Codorniu Selección Raventós Brut.

24. Juni 20...

Das hätte mir doch klar sein müssen! Ich meine, dass es nicht nur ums Essen ging. War mit Monika im Fischrestaurant Le Pecheur. War die Empfehlung eines Klienten. Es überraschte mich, dass Monika nichts gegen Fisch auszusetzen hatte. Umso besser. Seitdem Maria immer veganer wird, kommen kaum noch Fisch oder Meeresfrüchte auf den Tisch. Machte Monika das mit dem Fisch mir zuliebe? Zu Beginn eine Fischsuppe, nicht gerade jedermanns Geschmack, dann Schwertfisch mit Venusmuscheln in Weißweinsoße, dazu - was blieb mir anderes übrig - Champagner. Austern mochte sie nicht, ich verzichtete dann auf das Casanova-Doping, um nicht zu plump auf meine wahren Gelüste zu verweisen. Wäre aber nicht nötig gewesen. Monika brachte sich selbst als Aphrodisiakum ins Spiel.