Böse sind die anderen (eBook) - Markus Flexeder - E-Book

Böse sind die anderen (eBook) E-Book

Markus Flexeder

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  • Herausgeber: ars vivendi
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Endlich! Nach vier langen Jahren beginnt sie wieder, die Landshuter Hochzeit – ein historisches Fest, das in ganz Europa seinesgleichen sucht. Auch Korbinian Lallinger, Journalist aus München, verbringt seinen Urlaub in der Stadt. Die festliche Atmosphäre wird allerdings stark getrübt vom Ärger über rechtsextreme Kameradschaften, die Stimmung gegen Ausländer machen. Es brodelt in Landshut, und als man schließlich einen Toten am Isarufer entdeckt, der das Kostüm eines Reisigen trägt, gerät nicht nur Korbinian Lallingers Leben ins Wanken. Liebe und Hass, Toleranz und Verachtung – und die Gier nach mehr; der menschliche Makel verwischt alle Grenzen. Der Kampf zwischen Gut und Böse tobt in jedem … Nach dem großen Erfolg von Blutwinter der zweite Bayern- Krimi von Markus Flexeder um Journalist Korbinian Lallinger.

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Seitenzahl: 467

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Markus Flexeder

 

Böse sind die anderen

 

Kriminalroman

 

 

 

ars vivendi

 

Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (Erste Auflage Mai 2016)

 

© 2016 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Bauhof 1, 90556 Cadolzburg

Alle Rechte vorbehalten

www.arsvivendi.com

 

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Montasser Medienagentur, München.

Lektorat: Stephan Naguschewski

Umschlaggestaltung: FYFF, Nürnberg

Motivauswahl: ars vivendi

Cover- und Rückseitenfoto: © Archiv »Die Förderer« e. V./Michael Hackl

Stadtplan: © 2016 Verkehrsverein Landshut e. V.

 

Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag

 

ISBN 978-3-86913-702-5

 

In stillem Gedenken an meinen Freund Holger.

 

Inhalt

Landshut und seine Hochzeit

Ein paar Worte zum Schluss …

Karte

Der Autor

 

Der verwendete Name Eduard Roschmann stellt eine Hommage an Maximilian Schell dar.

 

Geboren am 8. Dezember 1930 in Wien; verstorben am 1. Februar 2014 in Innsbruck.

 

Schauspieler, Regisseur, Produzent und Oscarpreisträger für die Hauptrolle in Das Urteil von Nürnberg.

 

Im Jahre 1974 verkörperte er in dem Film Die Akte Odessa eine Figur mit Namen Eduard Roschmann, die mit dem historischen Eduard Roschmann wenig gemein hat. Der Film basiert auf einer Romanvorlage von Frederick Forsyth.

 

Liebe, Hiebe, Völlerei

Zeitreise mit einer halben Million Zuschauer: In Landshut wird im Juli wieder die Hochzeit von Prinzessin Hedwig Jagiellonica und Herzog Georg dem Reichen nachgespielt.

Süddeutsche Zeitung, 25.06.2013

 

Landshuter Hochzeit lockt 100.000 an

Böllerschüsse vom Burgberg kündigen den mittelalterlichen Hochzeitszug in Landshut an. Darauf haben die Besucher zum Teil stundenlang gewartet. Schließlich wird nur alle vier Jahre das historische Spektakel in Landshut aufgeführt.

Abendzeitung, 30.06.2013

 

Runder Tisch sagt Nazis in Landshut den Kampf an

Der »Runde Tisch gegen Rechts« sagt den braunen Umtrieben in und um Landshut den Kampf an. Am Montag, 12. Dezember, lädt er zu einer Mahnwache in die Altstadt (18 Uhr) – und sollte die NPD-Tagung am HLG nicht verboten werden, dann werde man sie blockieren.

Wochenblatt Landshut, 05.12.2011

 

Neonazi Wiese nimmt Landshut ins Visier

Noch aggressiver als die NPD: Seit der Neonazi Martin Wiese wieder auf freiem Fuß und in die Nähe von Landshut gezogen ist, häufen sich dort Aktionen rechter Gruppen. Am Wochenende kam es zur größten Demonstration seit Monaten. Die Kommunalpolitiker sind besorgt, Ostbayern entwickelt sich immer mehr zum Schauplatz rechtsextremistischer Umtriebe.

Süddeutsche Zeitung, 29.02.2012

 

»Türke oder Araber – ist mir wurscht! Ich mag keinen von denen«, sagte Sepp laut.

»Ich kann’s ja auch nicht ändern«, rechtfertigte sich der Mann hinter dem Schreibtisch. »Und jetzt stell dich nicht so an; der frisst ja keine kleinen Kinder.«

»Bist dir da sicher? Aber in Herrgottsnamen, wenn’s sein muss. Aber gefallen muss es mir ja trotzdem nicht! Wie heißt der denn überhaupt?«

»Ali.«

»Jesusmaria, das auch noch!«

 

Zwei Wochen später:

Der Besenstiel hämmerte auf die Blechkante des Handkarrens und wie an jedem Morgen ließ sich der Sepp davon auch diesmal nicht beirren.

Kopfsteinpflaster ist nun einmal uneben. Beschwert hatten sich schon genug: Er sei zu laut und würde die Anwohner aufwecken. Aber er war hier, um zu arbeiten, und nicht, um leise zu sein.

»Ist ja gar nicht schlimm, Chef«, sagte Ali.

»Was meinst?«, fragte Sepp.

»Nicht viel Arbeit.«

Sepp ließ vom Karren ab, sah die Altstadt entlang und sagte: »Du bist noch nicht lang in Landshut, oder?«

Ali schüttelte den Kopf.

Unter einer Tribüne baumelte eine Plastiktüte. »Wirst morgen schon sehen, wenn’s losgeht«, sagte der Sepp, während sein dicker Bauch im Weg umging. Aber jetzt lag die Tüte im gesammelten Abfall auf ihrem Karren.

Die Glocke der Martinskirche schlug sechsmal.

»Herrschaftszeiten!«, rief Sepp. »Um die Uhrzeit müssten wir schon am Dreifaltigkeitsplatz sein.«

Sogleich stemmte sich Ali hinter den Handkarren. Der Besen klackerte munter, und Ali fragte: »Ist jedes Jahr?«

»Oh mei, Bua. Du weißt ja gar nix, oder? Jedes Jahr, ja, du wärst recht. Das Spektakel findet alle vier Jahre statt. So was hast noch nicht gesehen, glaub’s mir.«

Ali deutete nach vorne und sagte: »Chef, schau.«

Im Schritttempo fuhr ein Streifenwagen die Tribünen ab.

»Brauchst dich nicht fürchten, Ali. Die tun dir da bei uns nix. Bei uns geht alles friedlich ab.«

»Morgen, die Herren«, sagte der Sepp durch das heruntergekurbelte Seitenfenster zu den beiden Polizisten.

Ob alles in Ordnung sei, erkundigte sich einer von ihnen.

»Freilich«, sagte der Sepp und wechselte Ali an der Karre wieder ab. Dann sagte er zu ihm: »Siehst, bei uns tut dir keiner was.«

»Ich keine Probleme«, sagte Ali. »Nur arbeiten und Geld verdienen.«

»Bist eine ehrliche Haut, Ali, und drum mag ich dich; auch wennst kein Deutscher bist.«

Ali strahlte. »Danke, Chef.«

»Bedank dich nie dafür, weilst fleißig und ehrlich bist«, sagte Sepp.

Ali hörte nicht hin. Stattdessen bückte er sich und griff nach einem Haufen getrockneter Hundescheiße.

»Ali!«, stieß der Sepp lauthals aus. »Nicht mit der Hand.«

»Aber hab doch Handschuhe.«

»Siehst, genau deswegen mag ich dich. Wart«, sagte Sepp und kam mit einer Schaufel. Bevor er sich der Scheiße zuwendete, klopfte er dem jungen Mann auf die Schulter. »Das macht man nicht mit der Hand.«

»Aber … ich Müllmann.«

»Ja, ja, schon«, sagte Sepp. »Aber alles hat seine Grenzen, und wenn dir einer was anders erzählt, schickst den zu mir.«

Ali schaute ihn mit großen, braunen Augen an und fragte: »Alle in Landshut so nett wie Sie, Chef?«

»Freilich, drum tät ich auch nie wegziehen. Aber ein paar Deppen gibt’s immer, bloß bei uns nicht so viel wie woanders.«

 

 

 

Wände aus sonnenverbrannten, gesplissenen Brettern, ein offener Dachstuhl in zwölf Metern Höhe, dicke Balken, Spinnweben und ein betonierter Fußboden mit zahlreichen Schrammen; Fenster gab es keine, und durch das offen stehende Stadeltor vermischte sich der Geruch von ausgedörrtem Gras mit kühlem Mief aus Staub und Moder.

»Was ist Sicherheit?«, schrie Eduard Roschmann durch den Stadel.

Passend zu seiner Erscheinung verfügte er über ebensolche Stimmgewalt. Tiefe Laute verliehen jedem Satz eine Res­pekt einflößende Note.

»Sicherheit heißt, risikofrei und ohne Gefahr leben zu können! Nicht wahr?«, sagte er jetzt gemäßigter. »Doch ich gehe noch einen Schritt weiter. Für mich bedeutet das nicht nur, sicher zu leben, sofern man das überhaupt kann, sondern sich auch in Sicherheit zu fühlen! Wer von euch fühlt sich völlig frei, unbeobachtet und ohne jegliches Risiko, angepöbelt, bestohlen oder sogar angegriffen zu werden? Wer? Hebt die Hand, wenn das auf einen von euch zutrifft. Na los!«

Mit gespielter Frustration fügte er leise, aber für alle hörbar, hinzu: »Dacht ich’s mir doch. Also niemand.«

Zu jedem Satz bewegte er energisch Hände und Arme, und bevor er weitersprach, zog er den Janker aus und warf ihn salopp zu einem seiner Vertrauten in der ersten Reihe.

»Ganz schön heiß bei euch, puh«, sagte er und wedelte sich mit der Hand Luft zu. »Umso schöner ist es, dass ihr an diesem Donnerstag hier hergekommen seid. Anstatt jetzt im Biergarten ein Weißbier zu trinken, seid ihr nach der Arbeit hier herausgefahren. Ihr habt alle meinen tief empfundenen Respekt. Danke, dass ihr nicht zu denen gehört, die alles laufen lassen, so wie es ist, und sich um nichts kümmern. Danke, dass ihr eigenständige Menschen seid, die ihr Schicksal in die Hand nehmen. Und ein herzliches Dankeschön, dass ich hier sprechen darf.«

Er hüpfte vom Podium, rieb sich die Hände und marschierte vor der ersten Reihe hin und her. »Wir leben in Deutschland«, sagte er und hob die Kinnspitze. »Deutschland. Ein großartiges Land, findet ihr nicht auch?« Er sah verschiedenen Zuhörern ins Gesicht.

»Schon, oder?«, sagte er. »Entschuldigt, dass ich abschweife, aber ich bin ein echter Fan unseres Landes. Doch egal: Jetzt geht es um Sicherheit. Wie gesagt, wir leben in Deutschland. Und hier bei uns herrschen sicherlich nicht Sodom und Gomorra. Wir haben einen Rechtsstaat mit Gesetzen, Paragrafen, Verordnungen und überhaupt ist alles bis ins Detail geregelt, stimmt’s? Eigentlich ist das Sicherheit, oder?«

Einige Zuhörer nickten, andere flüsterten ein »Ja«.

Roschmann schrie jedoch »Falsch!«, um gleich darauf eine denkerische Pause einzulegen, bevor er sagte: »Wieso das falsch ist, fragt ihr euch jetzt? Weil das Dinge sind, die auf dem Papier existieren, mit der Realität aber nichts, rein gar nichts zu tun haben. Was nützt es mir denn, wenn man meine Frau vergewaltigt hat? Wenn man den Täter überhaupt findet, bestraft man ihn nach unseren Gesetzen. Schön und gut. Vergewaltigt hat man sie trotzdem! Man hat sie körperlich und seelisch verletzt, missbraucht und das kann man nicht wieder rückgängig machen. Davon, wenn jemand getötet wird, ganz zu schweigen. Da helfen auch keine Paragrafen mehr, oder?«

Er breitete die geöffneten Handflächen aus und zuckte mit den Schultern. »Also muss man dafür sorgen, dass solche Dinge gar nicht erst geschehen. Und wenn doch, muss man unverzüglich und mit aller Härte eingreifen.«

Dann wedelte er mit dem Zeigefinger und sprach: »Womit wir bei unserem Polizeiapparat angekommen sind. Unser Freund und Helfer.«

Er schmunzelte.

»Stimmt doch! Die Polizei ist dazu da, die öffentliche Sicherheit aufrechtzuerhalten. Sie ist es, die kommt und sagt: Du, du, du, das darfst du aber nicht machen!«

Daraufhin sagte er lauter: »In anderen Ländern hackt man den Leuten ihre Hände ab, wenn sie jemanden bestehlen, und bei uns? Bei uns muss sich ein Polizist rechtfertigen, wenn er einen Verbrecher schief anschaut.«

Er spähte aufmerksam in die Runde.

»Aber jetzt mal Spaß beiseite, ich will keinem die Hand abhacken. Aber wie, bitte schön, soll uns unsere Polizei vierundzwanzig Stunden am Tag, egal wo wir sind, beschützen können? Unmöglich! Absolute Sicherheit gibt es nicht und wird es nie geben. Aber …«, die kräftige Stimme legte zu, »… ein Mehr an Sicherheit definitiv!« Als Nächstes schrie er: »Das sage ich!«, riss den Arm nach oben und deutete mit dem Zeigefinger über die Köpfe der Zuhörer. »Ich spreche von Sicherheit auf unseren Straßen, wenn ihr abends mit euren feschen Frauen einen Spaziergang durch eure romantische Altstadt unternehmt. Von Sicherheit, wenn ihr eure Kinder morgens zur Schule bringt; ohne Angst haben zu müssen, dass ihnen auf oder vor dem Schulhof jemand auflauert! Wenn etwas geschieht, ist die Polizei doch erst da, wenn eine Tat schon vollbracht wurde – und dann? Dann heißt es wieder bloß: Du, du, du! Nur ein völliger Idiot begeht eine Tat vor den Augen eines Polizisten. So etwas passiert nie, da gewinnt man ja eher im Lotto.«

Pause, bevor er gemäßigter sagte: »Wir wollen doch alle nur in Frieden leben.«

Allgemeines Nicken.

»Und in Sicherheit!«, schmetterte er dann übertrieben laut.

Vor dem Podest waren mehrere Reihen Bierbänke. Alle besetzt. Zusätzlich standen dahinter Männer beisammen und lauschten. Bis auf einen, der flüsterte gerade: »Servus, Ernstl, wundert mich, dass du da bist.«

Ernstl gab ein Nicken zurück und reichte die Hand.

Vorne sagte Roschmann: »Hat man euch nicht alle schon einmal auf irgendeine Art und Weise belästigt? Ein absichtliches Streifen mit der Schulter – grölende Betrunkene; Männer, die eure Frauen mit ihren Blicken ausziehen. Kennt ihr das? Ein solcher Rempler und respektlose Blicke tun nicht weh, niemand ist verletzt und in unseren Geldbörsen fehlt kein Hundert-Mark…, ähm Euroschein. Aber ich spreche nicht nur von körperlicher Sicherheit, sondern auch von dem Gefühl der Geborgenheit und einem Maximum an Gewissheit, dass unseren Kindern nichts geschieht, wenn sie ein paar Meter von uns entfernt herumlaufen. Ich spreche davon, keine Angst haben zu müssen, wenn die eigene Frau um drei Uhr früh durch die Innenstadt geht. Auch wenn nichts geschieht: Die Gewissheit, dass nichts passieren kann, das ist es, was das Leben angenehm macht, oder? Ihr hier in Landshut habt es ja noch verhältnismäßig gut. Aber wie lange noch? Landshut ist nicht mehr die Oase, die es einmal war. Der Geheimtipp, dass euer Städtchen ein gutes Pflaster ist, um angenehm zu leben, hat sich herumgesprochen. Immer mehr Fremde kommen und werden kommen, da könnt ihr euch sicher sein! Ein Problem, das andere längst haben. Schaut nach Neukölln! – Ich weiß, ich weiß, ich bin kein Landshuter. Aber ich habe mich informiert und mit den Leuten auf der Straße gesprochen. Morgen beginnt eure Landshuter Hochzeit – ein tolles Fest, und zigtausend Menschen werden kommen und begeistert sein, da bin ich gewiss. Diese Besucher werden zwar hinterher wieder nach Hause fahren, doch ihr werdet über kurz oder lang trotzdem ein Problem bekommen. – Außerdem wird die Mehrheit der Jugend immer aggressiver. Sie besaufen sich und randalieren. Die bräuchten alle eine härtere Hand und mehr Werte in ihrer Erziehung. Und schlagt die Zeitung auf: Kinderschänder sprießen regelrecht aus dem Boden. Und zu allem Übel versiegt der Strom an Zuwanderern und Asylanten nach Deutschland keineswegs. Aus aller Herren Länder wollen alle nur zu uns. Und immer mehr und mehr. Dann, wenn sie da sind, reden sie von Respekt. Aber sie respektieren weder unsere Kultur noch unsere Sprache oder unsere Ansichten, und trotzdem kommen sie zu uns. Geht in ein islamisches Land und versucht, eine christliche Kirche zu bauen, und sagt mal zu denen dort unten, ihr müsst das respektieren. Versucht das mal! Ich denke, da ist es gleich vorbei mit dem Respekt. Und was machen wir? Wir bauen ihnen Moscheen. Und was tun die? Die machen unsere Frauen auf offener Straße bei helllichtem Tage an. Sie schauen euch, ihre Männer, mit finsteren Blicken an, und parallel zwinkern sie den Müttern eurer Kinder zu. Ist das gefühlte Sicherheit, frag ich euch? Wenn Abdul eure Frau begehrt?«

 

 

 

Nächster Tag: München, Freitag, 28. Juni 2013

Gleißende Vormittagssonne schien durch die Glasfront im achten Stock. Dass Korbinian Lallinger auf dem Bildschirm nahezu nichts erkennen konnte, war allerdings egal. Statt zu schreiben, döste er seit zwei Stunden.

Wiederholt hatte er zur Wanduhr hinübergeschielt, so wie jetzt gerade. Mit einem Mal war er hellwach, gleichwohl ihn im Halbschlaf keine Muse geküsst hatte. Der Cursor blinkte gemein in der linken Ecke. Doch jetzt durfte er endlich abhauen.

»Hallo, Herr Lallinger.«

Verdammt! –Aumüller stand im Türstock.

»Gut, dass ich Sie noch erwische«, sagte der. »Haben Sie an den Artikel gedacht?« Aumüller trug sogar bei brütender Hitze einen faltenfreien Anzug.

Wie er das immer anstellte, blieb Lallinger rätselhaft. Ob Regen, Sonne, Einsatz oder Kantine: Aumüllers Klamotten sahen allzeit frisch gebügelt aus.

Abwertend haftete dessen Blick jetzt auf Lallingers angeknittertem Hawaiihemd, als dieser sagte: »Sorry. Bin nicht mehr dazu gekommen.«

Lallinger hasste genau jenen vorwurfsvollen Gesichtsausdruck von Aumüller, den der auch jetzt aufsetzte, als er erwiderte: »Aha, ja, hm … versteh schon.«

Was heißt hier »aha« und »hm«?, dachte Lallinger.Wie ich solche Versuche, mir Schuldgefühle einzureden, hasse!

Dem nicht genug, schaute Aumüller jetzt mitleidig auf den Ring an Lallingers rechter Hand. Es reicht! Das war nun wirklich etwas, das einzig Lallinger anging.

Er versuchte, sich an Aumüller vorbei auf den Flur zu drängen, und sagte: »Schön, dass Sie Verständnis für meinen Urlaub haben, Herr Aumüller. Aber wir haben Ende Juni, und das Ganze soll erst im Oktober erscheinen.«

Korbinian Lallinger, Journalist aus München mit einer Vorliebe für Hawaiihemden, Anfang vierzig, mittelgroß, braunes Haar, hatte früher durchaus markante Gesichtszüge.

Inzwischen hatte er ein paar Kilo mehr. Sportabstinenz und Unachtsamkeit, was die Ernährung anging, hatten das Erscheinungsbild verändert.

Im Job erging es ihm ebenso – bis vor drei, vier Jahren, da hatte er Artikel über ungelöste Morde, Wirtschaftsverbrechen und Politik verfasst. Heute sollten er und sein geschätzter Kollege eine Reportage über den Münchener Zentralfriedhof schreiben und dabei die letzten dreihundert Jahre Revue passieren lassen.

 

 

 

Zwanzig Minuten nach der Begegnung mit Aumüller wechselte Lallinger vom mittleren Ring auf die Autobahn.

Obwohl es kurz vor zwölf war, strömten erste Pendler aus München. Typisch Freitag, weshalb er das Gepäck auch schon am Morgen im Wagen verstaut hatte, um gleich direkt aufzubrechen.

Lallingers Ferienziel lag keine achtzig Kilometer entfernt. Trotzdem nervte die kaputte Klimaanlage im Wagen. Die Außenanzeige stand bei 34 Grad. Wer braucht da schon die Malediven, dachte er.

Lallinger fuhr ins niederbayerische Landshut.

Zufälligerweise war sein Geburtsort nicht weit von dort. Nach dem Tode des Großvaters hatten seine Eltern der Provinz jedoch den Rücken gekehrt und ihn in München eingeschult.

An das Leben auf dem Land erinnerte sich Lallinger nur blass und bruchstückhaft, wie durch einen grauen Schleier.

Lediglich einmal waren seine Eltern mit ihm dorthin zurückgekehrt: zur Beerdigung einer entfernten Verwandten. Überraschenderweise blieb dieses Begräbnis besser in seiner Erinnerung haften als der Bauernhof, auf dem er die ersten Lebensjahre verbracht hatte.

Den offenen Sarg, an dem jeder vorbeigeschlichen war, sah er noch heute gestochen scharf, und an die weißhaarige Frau, die darin lag, erinnerte er sich in allen Details, obwohl sie ihm unbekannt war.

Wer an einer toten Frau vorübergeschleift wurde und felsenfest der Meinung war, dass die ihm zugezwinkert hatte, der vergisst das niemals.

Als er das gruselige Ereignis aufgeregt seiner Mutter schilderte, führte das zu einem Rüffel: Er solle brav sein und das Begräbnis nicht stören.

Trotzdem: Man hatte einen lebenden Menschen in der Holzkiste zu Grabe getragen. Diese Meinung vertrat er bis heute.

Die kalte Dorfkirche im Hochsommer, an die erinnerte er sich auch noch gestochen scharf, und an die vielen Alten, die Rosenkränze heruntergerattert hatten.

Der dicke Pfarrer haftete ebenso in seinem Gedächtnis; wie der ins Wirtshaus gekommen war, um beim Leichenschmaus ein Weißbier nach dem anderen zu bestellen.

Zwischenzeitlich glich der Wagen einer fahrenden Sauna, und in seinen Augen brannte der Schweiß. Er drehte das Seitenfenster herunter und zündete eine Zigarette an. AC/DC ließen die Boxen vibrieren, sein Hawaiihemd flatterte in der Zugluft, und mit einer Kippe im Mundwinkel gab er Vollgas.

Nachdem er die Autobahn verlassen hatte, glitzerte linker Hand die Isar in der Sonne. Der Fluss nahm die Stadtgrenze mit Leichtigkeit.

Fünf Minuten später befand sich Korbinian im Herzen der Stadt. Es war exakt, wie er es im Vorfeld gelesen hatte: Wohn- und Geschäftshäuser säumten einen Platz und gaben einen großzügigen Blick auf den oberen Teil der Altstadt und das Hauptportal der Martinskirche frei.

Herrschaftshäuser zurückliegender Jahrhunderte, die aus Backsteinen gemauerte Kirche, Kopfsteinpflaster, das Grün frisch geschnittener Birken, die an den Häusern lehnten, Fahnen in verschiedenen Farben und auf beiden Straßenseiten Tribünen aus Holz. Unmittelbar hinter den Dächern stieg ein Berggarten empor, auf dessen Gipfel die Burg Trausnitz lag; dazu ein strahlend blauer Himmel.

Eine trockene Hitze stand in der Stadt. Ein Rollerfahrer ohne Helm, aber mit Sonnenbrille flitzte übers Kopfsteinpflaster. Korbinian fühlte sich an seinen letzten Italienurlaub erinnert.

Vor der Fußgängerzone ging’s scharf rechts, und nachdem er durch eine erschreckend schmale Gasse manövriert war, fuhr er geradewegs auf das Gebäude des Polizeireviers zu. Anhand des blauen Schilds mit weißer Schrift war das sogar für einen Nicht-Landshuter sofort zu erkennen.

Landshut verfügte über den Luxus, gleich zwei ausgedehnte Prachtstraßen zu haben: die Altstadt und die parallel verlaufende Neustadt. Die Dienststelle der Polizei lag am oberen Ende der Letzteren. Und genau vor deren Eingangstür wurde Korbinians Fahrt abrupt gestoppt.

Eine Horde Frauen hatte sich versammelt, und ein weißhaariger Mann tapste auf die Straße, um die wütenden Damen zu bitten, den Weg freizugeben.

Durch das Seitenfenster hörte Lallinger eine Frau rufen: »Die sollen sich wieder schleichen!«

Auch hier hingen Fahnen aus den Fenstern, und zwischen den Giebeln hatte man Leinen mit Fähnchen gespannt. Wie in der Altstadt: Birken, die an den Häusern lehnten. Tribünen sah Lallinger hier allerdings nicht, am Kopfsteinpflaster hatte sich jedoch nichts geändert.

Während Lallinger seinen Blick schweifen ließ, war es dem alten Mann gelungen, die Damen zu besänftigen. Die Straße wurde freigegeben, und Lallinger gab Gas.

Sein Hotel lag geradeaus: Ein zur Neustadt quer gestellter Bau, der den Straßenzug beendete und seitlich nur noch eine schmale Gasse zur Durchfahrt ließ.

In der rustikalen Herberge empfingen ihn drei Meter hohe Decken, verzierte Bordüren, Holzböden mit roten Läufern und goldfarbene Klinken an den Türen; nicht zu vergessen: eine adrette, junge Dame im Dirndl an der Rezeption.

Er ging in das Doppelzimmer im ersten Stock, das er gebucht hatte, und links neben der Eingangstür standen das breite Bett und zwei Nachtkästchen. Möbel aus Teakholz, Teppichboden, prächtige Aussicht; Korbinian war zufrieden.

Direkt gegenüber der Eingangstür lagen zwei Fenster mit Blick zur Neustadt. Einziger Wermutstropfen: Manche Hotels haben hervorragende Schreibtische, andere eine Platte mit Stützfuß. Zumindest sah der gepolsterte Stuhl bequem aus.

Nachdem er die Zimmertür zugemacht hatte, entdeckte er den dahinterliegenden Kleiderschrank mit Kofferablage. Auf dem Nachtkästchen hießen ihn eine gefaltete Stadtkarte und ein gebundener Buchskranz willkommen.

Er schüttelte den Kopf: Woanders hatte er leckere Pralinen oder bunte Gummibärchen bekommen – hier Grünzeug … Man muss ja nicht alles verstehen.

Außerdem beschäftigte ihn die Frau von der Rezeption: Wär mal wieder Zeit …, dachte er, sackte auf die Bettkante und kippte nach hinten in weiß-blau karierte Decken.

 

 

 

Lichtkegel huschten über den finsteren Friedhof, und kleine Flammen flackerten hinter rotem Plastik.

Ein Holzkreuz, ein Sterbebild war darauf angetackert, lag mitten auf dem Kiesweg. Das Begräbnis hatte gestern stattgefunden – die Erde auf der Grabstelle war wüst zertreten worden.

»Schau dir das einmal an. Eine Sauerei ist das!«, sagte einer der anwesenden Polizisten.

Ein Mann lief in der Dunkelheit herbei und fragte: »Wer macht denn so was?«

»Grüß Gott, Herr Pfarrer. Keine Angst«, antwortete der Beamte. »Die werden wir schon finden, versprochen!«

Grabsteine lagen umgeworfen auf dem Boden, und ein Kreuz aus Metall war verbogen worden. Dem nicht genug, hatte man wahllos Blut verspritzt.

»Sperrt alles ab, und zu niemandem ein Wort!«, sagte der Beamte.

Der Gottesacker lag auf halber Höhe den Hofberg hinauf, und der Ermittler starrte geistesabwesend über die Friedhofsmauer hinweg auf leer gefegte Straßen mit Laternen in der Dunkelheit.

Ein Kollege fragte: »Aber die Presse?«

»Die – wird vorerst nix erfahren.«

 

 

 

Samstag, 29. Juni 2013

Die Tür ging einen Spalt auf, und eine rothaarige Frau lugte mit einem »Hallo?« ins Zimmer.

Korbinian riss die Augen auf und schnellte mit dem Oberkörper empor. Die Haare zerzaust, das Hawaiihemd verknittert, stierte er der Unbekannten ins Gesicht.

»Oh, entschuldigen Sie. Ich komm später noch einmal«, sagte diese und zog die Tür ins Schloss.

Korbinians Nacken quälte ihn, die Gelenke waren steif, und ein Blick auf die Uhr lieferte die Erklärung für seinen komatösen Zustand: fast achtzehn Stunden hatte er geschlafen.

Er musste gestern sofort nachdem er sich rücklings in das Bett fallen gelassen hatte, eingeschlafen sein. Selbst die Schuhe hatte er noch an.

Mit steifen Bewegungen wackelte er ins Bad. Gleich da­rauf fluchte er und spülte das Haargel, das er auf die Zahnbürste gedrückt hatte, wieder ab. Nach einer kalten Dusche wollte er einen neuen Versuch mit Zahnpasta wagen.

 

 

 

Das Café mit Bar und angrenzender Hotelrezeption nahm nahezu das komplette Erdgeschoss ein. Einen separaten Speisesaal für Hotelgäste gab es nicht. Passend zu massiven dunklen Tischen und ebensolchen Bodendielen reichte die Vertäfelung an den Wänden bis unter die Decke. Trotz deckenhoher Fenster, gegenüberliegend an Vorder- und Rückseite, wurde man bei strahlendem Sonnenschein zuerst an eine Höhle erinnert. Umso heimeliger wirkte das Ambiente, sobald die Augen den Kontrast verarbeitet hatten.

Korbinian und die nette Frau vom Vortag, die ihn an der Rezeption empfangen hatte, waren die Einzigen im Lokal. Sie flitzte sofort aufmerksam durch den Raum.

»Ja, der Herr Lallinger«, sagte sie. »Bitt schön, was darf’s denn sein?«

»Ich hätte gerne noch gefrühstückt«, sagte er.

»Oha, das ist jetzt schlecht. Ist ja schon Viertel nach und Frühstück gibt’s bloß bis um zehn.« Sie zwinkerte. »Aber weil Sie’s sind, frag ich einmal, was wir da machen können.«

Sie kurvte daraufhin zwischen den Tischen hindurch. Korbinians Blick folgte ihren Bewegungen. Bei ihrer Rückkehr stand ihm vieles im Sinn, Nahrungsaufnahme gehörte definitiv nicht dazu.

»Also«, sagte sie lächelnd. »Sie können alles kriegen, was Sie möchten. Und wie wär’s zum Einstand mit einem guten Landshuter Weißbier?«

»Kein Bier«, sagte Korbinian. »Bitte schwarzen Kaffee, Orangensaft, eine Butterbreze. Haben Sie Kirschjoghurt?«

Die Frau nickte.

»Dann bitte einen solchen. Mehr brauch ich nicht.«

 

 

 

Nach dem Frühstück ging Korbinian nach draußen. Vor dem Gebäude, auf der gegenüberliegenden Seite zur Neustadt, standen Sessel und Tische des Hotels unter ausladenden quadratischen Schirmen. Die Sonne strahlte über die Satteldächer auf das Kopfsteinpflaster und reflektierte flüchtig auf vorbeifahrenden Autos.

Korbinian schnappte sich einen Stapel ausgelegter Zeitungen und ließ sich an der frischen Luft einen weiteren Kaffee kredenzen. Dann brummte er selig. Die erste Zigarette des Tages war immer noch die beste.

Gewohnheitsmäßig tastete er nach seiner Lesebrille.

Vor ein paar Jahren hatte er gemeint, damit kompetenter zu wirken. Gebraucht hätte er sie nicht, weshalb er eine mit Fensterglas hatte anfertigen lassen. Nachdem er in letzter Zeit jedoch mehrmals vergessen hatte, die Brille im richtigen Moment aufzusetzen, bemerkte Aumüller, dass da wohl was nicht stimmen konnte. Nach zig Witzen auf Korbinians Kosten hatte der sie vor drei Wochen in den Mülleimer geworfen. Doch die Gewohnheit blieb – irgendwie.

Nachmittags unternahm er einen Spaziergang, und die nette Bedienung – Korbinian hatte sie bisher nicht nach ihrem Namen gefragt – hatte recht behalten, als sie sagte: »Da hab ich ein schönes Platzerl für Sie. Am Maxwehr hinten, direkt an der Isar. Gar nicht weit.«

Bunte Häuser lehnten an Teilen der historischen Stadtmauer, rot blühende Kastanienbäume und ein Grünstreifen mit Holzbänken flankierten den schimmernden Fluss. Ein kleines Kraftwerk, das vermutlich besagtes Maxwehr war, lag kurz dahinter.

Korbinian setzte sich auf eine schattige Parkbank. Ein Schmetterling taumelte durch die Luft, es roch nach Gras und Wasser. Am Wehr fiel die Isar in die Tiefe, ihr Rauschen und das Zwitschern der Vögel untermalten die Szene.

Als Korbinian eine Zigarette anzündete, vernahm er eine Männerstimme: »Servus, ich hock mich da her, wenn’s dich nicht stört.«

Und ruck, zuck saß ein Fremder neben ihm. Und wie der Kerl auch noch aussah …

Korbinian schaute nach links und nach rechts. Auf beiden Seiten standen andere Bänke, freie Bänke. Bis auf ein Pärchen, das hinter ihnen vorüberging, und eine alte Frau, die fette Enten mit Brotkrümeln mästete, war niemand da.

Korbinian zog missmutig an seiner Kippe. Er fühlte sich bedrängt. Noch dazu bekam er eine Prise Schweißgeruch in die Nase. Der nackte Oberkörper des Unbekannten entließ Ausdünstungen in die Freiheit, die er abgefüllt garantiert als Pestizid hätte verkaufen können. Korbinian war nun das erste Lebewesen, auf das jene Wolke des Grauens traf. Der Schmetterling hatte Glück und war zwischenzeitlich außer Reichweite. Trotzdem wollte Korbinian nicht sofort aufstehen, um nicht unhöflich zu erscheinen.

Der Mann in den Vierzigern trug schulterlanges Haar, das eindeutig mehr Shampoo nötig hatte. Ein T-Shirt lag zusammengerollt über seiner Schulter. Der Oberkörper war so tiefbraun wie der eines Straßenarbeiters nach einem heißen Sommer.

Zwischen sich und Korbinian platzierte er dann eine Flasche Bier auf der Bank und mit einem »Ah, ein Superwetter, oder?« plapperte ihn dieser Typ schon wieder an.

Korbinian schwieg, was der Fremde mit einem ordentlichen Schluck Bier kommentierte, wobei er die Beine nach vorne ins Gras streckte. Die Konturen seiner Bauchmuskeln traten unter der braunen Haut hervor.

Korbinian sah unabsichtlich hin. Blöder Arsch.

»Du kommst nicht aus Landshut, oder?«, fragte der Fremde.

»Nein«, sagte Korbinian.

»Ich bin viel in der Stadt unterwegs, und vom Sehen her kennt man ja die Leute. Aber dich hab ich noch nie gesehen. Wo kommst denn her?«

»München.«

»Ah, auch super …«, sagte der Fremde, streckte sich und gab Korbinian einen Klaps auf die Schulter.

Korbinian zuckte. Es hatte ihn berührt, und zu allem Übel zog eine weitere Wolke Höllenduft herüber.

»Ich komm grad von der Arbeit«, sagte der Fremde. »Und jetzt hab ich mir gedacht, genehmigst dir eine Halbe an der Isar.«

Die Bierfahne verbesserte Korbinians Situation keineswegs.

»Mei, und mein Kreuz tut mir heut weh. Das kommt von der ganzen Bückerei.«

»Wieso? Was machen Sie denn?«, fragte Korbinian und erschrak vor sich selbst. Hab ich ihn jetzt tatsächlich etwas gefragt?, dachte er. Na, so komm ich hier nie weg.

»Ich arbeite bei einer Hausverwaltung«, erklärte der andere. »Räum den Dreck weg, leer die Abfalleimer aus, kehr die Tiefgarage und klaub die Zigarettenstumpen auf.«

Ein verlegenes »Oh« war alles, was Korbinian dazu einfiel. Beide Männer schauten auf den rauchenden Zigarettenstumpen, den er soeben ins Gras geschnippt hatte.

»Wurscht«, sagte der Mann. »Bin ja froh drum, sonst hätt ich keine Arbeit. War schon viel zu lang arbeitslos. Bin um alles froh.«

Korbinian seufzte: »Ja, zu leben ist manchmal gar nicht so einfach.«

Zwischenzeitlich hatte er sich dem Fremden zugewendet, und der beißende Geruch erschien ihm auch nicht mehr gar so furchtbar. Er musste mehr rauchen, das sollte helfen …

 

 

 

Vor zehn Minuten hatte Marianne noch Zimmerreservierungen eingetragen. Jetzt hetzte sie die Stufen einer Tribüne nach oben, drehte sich um, nahm ihre Sonnenbrille ab und schrie: »Stefan, da schau her! Ich hab einen Platz gefunden.«

Ein junger Mann auf der gegenüberliegenden Straßenseite nickte und kam herüber. Die beiden hatten sich zur Platzsuche aufgeteilt. Marianne hatte ohnehin die Befürchtung, jetzt schon keinen Platz mehr zu bekommen. In einer Stunde würde es aber noch voller werden. Vier Jahre Wartezeit auf die LaHo trieben am Eröffnungswochenende einen jeden in die Innenstadt.

Sie saßen auf der Tribüne gegenüber des gotischen Rathauses. Die Altstadt hinauf, in Richtung der Martinskirche, war jetzt schon alles besetzt.

Eine Gruppe von sechs Leuten hatte neben Marianne und Stefan alles in Beschlag genommen. Eine Sitzreihe unter ihnen hatten sie zugleich eine Tischdecke ausgebreitet. Im Korb daneben lagen Weinflaschen, eine dicke Salamistange, Käse in Alufolie und Baguette.

Aus dem Hotel hatte Marianne zwei Pappbecher mit Kaffee mitgebracht. »Na Stefan, wie geht’s dir denn so?«, fragte sie, reichte ihm einen Becher und nippte von dem ihren.

»Find’s schad, dass es so selten klappt«, sagte er, schaute hingegen in eine andere Richtung.

Sie stieß mit dem Ellenbogen an seinen Arm. »Hey! Schau du den Weibern nicht so nach, wenn du hier mit mir sitzt.«

Er lachte. »Ach Marianne, du weißt doch: Ich bin für dich kein Mann, und du für mich keine Frau.« Er deutete ansatzweise mit der Linken und fragte: »Wie findst denn die Blonde da vorn?«

Sie verdrehte die Augen.

»Na gut, ich reiß mich zusammen«, sagte er. »Wie geht’s denn deinem Papa?«

»Mei, der Papa …« Sie zuckte die Schultern. »Inzwischen eigentlich immer gleich. Bin froh, dass er sich wieder gefangen hat. Hat mich schon gescheit fertiggemacht, wie’s ihm so schlecht gegangen ist.«

»Marianne, denk nicht immer bloß an die andern. Dir ist’s genauso schlecht gegangen.«

»Ja, schon«, sagte sie und schaute auf den Bretterboden. »Aber wenn’s dem Papa nicht gut geht, geht’s mir noch viel schlechter.«

Stefan grunzte.

»Hey!«

»Sorry, war nicht auf dich und deinen Vater bezogen«, sagte er.

Marianne fragte: »Habt’s ihr immer noch keinen Kontakt?«

»Hey, du Depp!«, schrie Stefan unvermittelt und drehte sich nach hinten. »Ich klatsch dir gleich ein paar, wennst nicht aufpasst!«

»Ruhig bleiben«, sagte Marianne und legte ihre Hand auf Stefans Schulter.

In der Reihe hinter ihnen hatte jemand eine Flasche Bier mit dem Feuerzeug geöffnet. Der Kronkorken war an Stefans Hinterkopf geflogen.

»Du lebst doch noch, oder?«, stellte Marianne klar und zwinkerte.

»Trotzdem! Muss mir ja nicht alles gefallen lassen.«

»Was gibt’s denn bei dir Neues?«, versuchte sie abzulenken.

»Ach nix. Du weißt doch, dass bei mir nicht viel passiert«, erwiderte er und hob den Kronkorken auf. Mit Daumen und Zeigefinger drückte er ihn zusammen und sagte gleichzeitig: »Aber letztens ist er mir übern Weg gelaufen, und ich hätt fast kotzen müssen bei seinem Anblick.«

»Meinst deinen Papa, oder?«, fragte sie.

 

 

 

Passanten schauten Doktor Müller verdutzt an. In wattiertem Unterzeug stand er direkt an der Wittstraße. In ein paar Metern Entfernung zog ein knapp drei Meter hoher Bretterzaun die Grenze zum Zehrplatz. Streng genommen ­hätte Doktor Müller längst in den Stallungen, hinten vor dem Zeughaus am Turnierplatz, sein sollen. Zwei Knappen warteten dort, um ihm den Harnisch anzulegen.

Stattdessen sprach er gerade in sein Handy: »Ja, grüß Gott, Frau Bernstein, hier Doktor Müller.«

»Herr Müller, jetzt bin ich aber schon ein bisserl überrascht, dass Sie mich noch mal anrufen«, antwortete eine zittrige Frauenstimme.

»Warum denn überrascht?«

»Na, so sauer, wie Sie letztens fort sind«, sagte sie.

»Aber das war doch nicht so gemeint, Frau Bernstein. Ich wollt mich noch mal erkundigen, ob ich Sie nicht doch noch einmal umstimmen kann.«

»Zwecks was denn?«

»Na, zwecks dem Grundstück, Sie wissen doch«, sagte er.

Sie erwiderte: »Aber das haben wir doch ausgeredet. Sie kriegen’s nicht. Ich wär ja schön blöd, bei dem Preis, den mir der Haschberger zahlt.«

»Aber – aber Frau Bernstein, bis jetzt lässt der Sie doch bloß am ausgestreckten Arm verhungern. Oder war der Termin beim Notar schon?«

»Nein, aber …«

Doktor Müller unterbrach: »Na eben, sehen Sie! Wenn Sie das Geschäft mit mir machen, krieg ich über Nacht einen Termin beim Notar, und Ende nächster Woche haben Sie Ihr Geld.«

»Ich hab’s ihm aber versprochen und schon ein bisserl was gekriegt.«

»Wie bitte?«, fragte er lautstark.

»5.000 Euro in bar fürs Vorkaufsrecht.«

Müller ließ die Hand mit dem Handy nach unten hängen und flüsterte: »Haschberger, du Mistviech!« Dann presste er die Lippen aufeinander und überlegte, bevor er erneut in das Telefon sprach: »Na gut, auch das wär für mich kein Problem. Ich zahl 10.000, wenn Sie ihm sein Geld zurückgeben und ich das Grundstück bekomm.«

»Herr Müller, ich bin zwar alt, aber nicht verblödet. Das ändert alles nix dran, dass Sie mir das Grundstück billiger abkaufen wollen. Auf Wiederhören!«

In der Telefonleitung begann es zu piepen, und Doktor Müller schnappte nach Luft.

Jemand schrie: »Ja, da bist! Komm endlich rein.«

Der Mann, der gerufen hatte, trug das Kostüm eines Pferdeführers, stand an dem Tor im Bretterzaun und winkte Müller herbei.

Der Zehrplatz hatte bereits Tausende Besucher angelockt.

 

 

 

Am Abend: Korbinian stand frisch geduscht an der Hotelbar und studierte die Programmkarte.

»Ihre Zimmernummer, bitte?«, fragte der Portier und schob einen Espresso über die Theke.

»Siebzehn«, erwiderte Korbinian mit gesenktem Blick. Er konnte dem jungen Hotelangestellten, der sich vermutlich noch in der Ausbildung befand, unmöglich ins Gesicht schauen. Dafür besaß er zu viel Feingefühl.

Ohne Zweifel wäre es dem jungen Mann nicht entgangen, worauf Korbinian zwanghaft gestarrt hätte: nämlich auf den Mordspickel auf dessen Nase. Der pralle, rote Hügel glänzte, und wenn er aufplatzte – was jederzeit passieren konnte –, würde man besser in Deckung gehen.

Eine schlechte Alternative zu dem netten Fräulein von heute Vormittag, dachte Korbinian. Eigentlich hatte er vorgehabt, nach Veranstaltungstipps zu fragen, doch jetzt wollte er sich am liebsten wegducken. Die Gefahr, einen Eiterbatzen abzukriegen, brachte ihn aus dem Konzept. Der menschliche Zwang, Grauenvolles sehen zu wollen, beherrschte allerdings auch Korbinian Lallinger, und sobald der Junge in das Rezeptionsbuch schaute, starrte ihn Korbinian unbeobachtet an.

Nichtsdestotrotz besann er sich irgendwann auf das Tagesprogramm: Mal schauen … Fechtschule … klingt interessant … was zum Henker ist denn Laudate Dominum? – Egal … ›Lagerleben‹ hört sich nicht schlecht an …

Korbinian verließ das Hotel durch den Haupteingang zur Neustadt hinaus. Von einem mysteriösen Rauschen angelockt, kreuzten zahlreiche Fußgänger die breite Straße und verschwanden in einer der Gassen zur Altstadt hinüber. Wie die Lemminge. Korbinian folgte.

Die Geräusche rollten über das Kopfsteinpflaster und hallten in der Enge zwischen den Hausmauern. Je weiter er in die Gasse vordrang, desto mehr offenbarten die Geräusche einzelne Stimmen, Gelächter und Jubelschreie. Am Ende der Gasse stand Korbinian vor einer menschlichen Wand.

Einzig die getreppten und geschwungenen Giebel der gegenüberliegenden Häuserreihe vermittelten unveränderliche Ordnung, wie wuselig es vor ihren Mauern auch zugehen mochte.

Korbinian kam aus der Gasse direkt neben dem Rathaus und wohin er sah: Menschen überall. Links und rechts, auf einer Länge von ungefähr tausend Metern, drückten und schoben sich die Besucher vor und hinter voll besetzten Tribünen; verschwitzte Hemden, in die Haare gesteckte Sonnenbrillen, Dreiviertelhosen und Menschen mit sonnenverbrannten roten Gesichtern. Zwischen den Häuser­giebeln baumelten Fähnchen an Leinen, was dem Ganzen einen wohligen Abschluss verlieh.

Im Fremdenführer hatte Korbinian schon davon gelesen, dass sich die Altstadt zur LaHo ineine Freilichtkneipe mit Ausblick auf ein Ensemble aus historischen Residenzen, der Burg und dem alten Kirchturm verwandelte.

Eine Frau mit einem geflochtenen Handkorb voller Brot, Käse und Wein bahnte sich den Weg durch die Massen, während ein Mann, scheinbar der ihrige, mit einem Leiterwagen hinterherholperte. Das hölzerne Bierfass darauf erschwerte es ihm, Schritt zu halten.

Diejenigen, die keinen Platz auf den Tribünen ergattern konnten und auch keine dreißig Liter Bier hinter sich herzogen, strabanzten umher und ließen sich treiben. Zum Umfallen gab es ohnehin keinen Platz.

Als Korbinian unter den Bögen einer Häuserfront, die einen Gang mit offenem Gewölbe bildete, entlangging, sah er zwei Streifenpolizisten entspannt neben einer Tribüne stehen. Sie unterhielten sich mit einem alten Mann und lachten herzlich.

Abseits der Altstadt passierte Korbinian die gewölbte Durchfahrt des Ländtors, eines Überbleibsels der Stadtmauern. So stand es in einem Stadtführer, den er vor dem Urlaub gelesen hatte. Passend zur historischen Bedeutung dieses Tores hatte hier die Gruppe der Stadtknechte (eine Art mittelalterliche Polizei) einen Unterstand aus Holz.

Nach ein paar Schritten sowie dem Lösen einer Karte trat Korbinian in das Areal des mittelalterlichen Festes ein.

Wenige Hundert Meter von der Altstadt entfernt grenzte die Wiese des Zehrplatzes auf einer Seite an das Flussufer der Isar. Um die restlichen Flanken wurde ein blickdichter Zaun aus Holzbrettern errichtet. Obwohl man sich in­mitten der Stadt aufhielt, verschwanden Straßenlaternen, parkende Autos und die Hauptverkehrsstraße, sobald man den Zehrplatz betrat.

Ein abgeschotteter Bereich, wie aus einer anderen Welt. Man tauchte in eine vergangene Epoche mit Rittern in glänzendem Harnisch, Edelleuten in feinen Gewändern und Gesinde, das unter Dächern aus Stroh hauste.

Auf dem Areal gab es Unterteilungen, auch davon hatte Korbinian gelesen. Jede LaHo-Gruppe hatte ihren eigenen Bereich. Hinter einem hüfthohen Zaun sahen die Besucher Kostümierte vor Lagerfeuern hocken, und Spanferkel brutzelten neben duftenden Suppenkesseln. Ein paar der Teilnehmer zogen diesseits des Zaunes durch das Lager, um die Besucher zu unterhalten.

Korbinian blieb stehen. Von Zuschauern umkreist stand ein Bursche mit einer Strumpfhose bekleidet da und zeigte mit nacktem Oberkörper seine Muskeln. Die Adern auf den Bizepsen schwollen an, er stieß heftig Luft aus und stemmte eine Stange über den Kopf, auf deren Enden jeweils ein Kind saß. Die Menge applaudierte.

Der Körper des Goliaths zitterte. Anstatt die Last abzulegen, ließ er sie kontrolliert in seinen Nacken gleiten, um sie ein weiteres Mal nach oben zu drücken. Achtmal hintereinander. Schweiß tropfte von seinen Haarspitzen. Trotz der Anstrengung zauberte er ein Lächeln in sein Gesicht.

Andernorts zogen Fanfarenbläser, Fahnenschwinger und Gaukler unter dem Getöse ihrer Zuschauer durchs Lager. Rhythmische Trommelschläge hallten, und der Duft von würzig Gebratenem wurde intensiver …

Eine Durchsage dröhnte aus einem Lautsprecher. Ein Vorzeichen, dass die festlichen Spiele im nächtlichen Lager bald beginnen würden.

Mittlerweile strahlte die Burg auf dem Hügel in gelbem Flutlicht, und unten auf dem Zehrplatz erhellten lodernde Fackeln und Lagerfeuer den Schauplatz. Elektrisches Licht gab es nicht, und manche Ecke tauchte in geheimnisvolles Dunkel …

 

 

 

Der braun gebrannte Mann, Mitte dreißig, eins neunzig groß, packte Anette von hinten an den Hüften und zog sie zu sich.

»Hey, du Tiger«, sagte sie lächelnd. »Nicht so schnell. Hab was dabei.«

Er küsste ihren Nacken, bevor er entgegnete: »Gestern hat’s dir ja auch nicht schnell genug gehen können. Was’n los?« Er liebkoste sie am Hals und strich mit den Händen über ihre Brüste.

»Wart mal«, flüsterte sie. Mit sanfter Bewegung befreite sie sich aus seinen Armen und ging zum Nachtkästchen. Dorthin hatte sie ihre Handtasche gelegt.

»Jetzt kommst mir aber bitte nicht mit so einem komischen Spielzeug daher, oder?«

Sie schaute erwartungsvoll und antwortete: »Besser, viel besser!«

Er grinste. »Wie alt ist deine Tochter noch mal? Karin heißt sie, oder?«

»Untersteh dich«, sagte sie energisch und zog eine Tablettenschachtel aus der Handtasche.

»Ja spinnst du? Viagra!«

Sie griff ihm zwischen die Beine und drückte zu. Nicht zu fest, aber doch aggressiv. »Du fickst mir heut mein Hirn raus, klar?«

»Was treibt denn dein Alter das Wochenende?«

»Der? Der spielt mal wieder Helden in Strumpfhosen.«

Er grinste, gleichzeitig setzte sie sich auf die Bettkante und öffnete seinen Gürtel …

 

 

 

Sonntag, 30. Juni 2013, 1 Uhr 58

Der Mann peilte mit zittrigem Zeigefinger mehrmals die kreisrunden Löcher an. Es fiel ihm schwer, die Wählscheibe des veralteten Telefons zu bedienen: 1-1-2; er hatte es geschafft und stammelte in die Sprechmuschel: »Ich, ich glaub, ich hab nen Herzinfarkt.«

Der Mann stand im Gang vor der Eingangstür zur Wohnung und lehnte mit dem Rücken an der Wand. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb er mit der Linken über seine Brust.

Auf die Fragen des Mannes am anderen Ende der Leitung ging er nicht ein. Er nannte einzig den Straßennamen und die Hausnummer, bevor er murmelte: »Ist hinterm Maxwehr – eine Seitenstraße. Erster Stock bei Stöckmüller. Bitte schnell, ich bin allein!«

Ohne den Hörer auf die Gabel zu legen, rutschte er an der Wand nach unten und kippte zur Seite.

 

 

 

10 Uhr 45

»Ja, ich weiß jetzt auch nicht, was ich noch sagen soll.« Karin Haschberger, die Tochter des Hauses, rang um Fassung. In ihren Augen sammelten sich Tränen, und sie atmete tief durch.

»Wir verstehen das völlig, Frau Haschberger, und Ihre Frau Mutter soll sich jetzt auch erst einmal ausruhen. War ja doch ein großer Schock. Aber, wie geht’s denn Ihnen?«

Bei der Frage des Kripobeamten versteinerte ihr Gesicht und sie zuckte wortlos mit den Schultern.

»Bitte rufen Sie uns an, wenn Sie Hilfe brauchen. Wo ist denn eigentlich Ihr Bruder?«

»Ach, was weiß denn ich«, antwortete sie. »Wahrscheinlich ist der gestern wieder irgendwo versumpft. Hab ihn am Donnerstag das letzte Mal gesehen, und am Handy erwisch ich ihn nicht.«

»Aber wohnen tut der schon hier, oder?«

»Ja. Aber am Wochenende lässt er’s halt immer recht krachen und bleibt oft bei Freunden über Nacht.«

»Sagen Sie ihm Bescheid, oder sollen wir das machen?«, fragte der Polizist. »Ihre Mutter, glaub ich, scheidet ja aus, so schlecht, wie sie jetzt beieinander ist.«

»Nein, ich mach das schon«, sagte sie und blickte zu Boden.

»Und Sie, Sie waren also seit Freitag bei einem Bekannten?«

»Ja, und bevor ich da hin bin, hab ich den Papa Freitagnachmittag zum letzten Mal gesehen.«

Nachdem Karin heute früh von ihrer Mutter per Telefon die Nachricht mitgeteilt worden war, war sie sofort nach Hause gefahren.

»Bitte geben Sie uns die Daten Ihres Freundes. Sie verstehen sicher, dass wir das überprüfen müssen. Reine Routine.«

»Freilich«, stimmte die junge Frau zu und schrieb Namen, Adresse und Telefonnummer auf einen Zettel.

»Ähem, Frau Haschberger, wir täten bitte noch was brauchen.«

Karin blickte den Beamten fragend an. Der sagte: »Wir bräuchten eine Zahnbürste oder einen Kamm von Ihrem Herrn Vater, um die DNA mit dem Leichnam abzugleichen.«

»Komm gleich wieder«, erklärte Karin. Kurz darauf kam sie mit einer Zahnbürste die Treppe vom ersten Stock he­runter und sagte: »Herr Zeilhofer, ich weiß ja auch nicht … aber … muss ihn denn keiner von uns identifizieren?«

»Nein, braucht’s nicht. Seine Identität ist schon überprüft worden. Der DNA-Abgleich ist reine Routine.«

Die Frau senkte den Kopf.

»Sie möchten ihn wohl noch mal sehen, oder?«, fragte der Mann.

»Wir haben am Freitag gestritten, wissen Sie.« Sie schluchzte, und ihr Körper bebte. »… und … und ich hab ihn doch so lieb gehabt.«

»Setzen Sie sich doch bitt schön hin«, sagte Zeilhofer, der ältere der beiden Ermittler. Aufgrund seiner Erfahrung führte er das Gespräch. Sein Kollege stand stumm daneben.

Sie lehnte ab und reckte energisch den Kopf nach oben, fasste sich binnen Sekunden wieder und sagte: »Schon gut.«

»War’s denn ein schlimmer Streit?«, fragte Zeilhofer.

»Ach, eigentlich überhaupt nicht! Er hat immer gesagt, dass ich sein Mäderl bin, und wollt mich halt ein bisserl zu viel bevormunden.« Sie blickte aus dem Fenster. »Ist um Männer gegangen. Im Grund hat er mir’s bloß gut gemeint.«

»Er hat Sie sicher sehr geliebt«, erwiderte Zeilhofer. »Aber ehrlich gesagt würden wir Ihnen lieber davon abraten, den Leichnam Ihres Herrn Vater anzuschauen. So ein Anblick ist nicht leicht.«

»Versteh schon«, sagte sie leise.

»Nochmals unser herzlichstes Beileid, und wir sehen uns dann morgen um neun in der Dienststelle.« Unbeholfen tätschelte Zeilhofer sie an der Schulter. »Bitte schauen Sie drauf, dass Ihr Bruder auch dabei ist, und falls es Ihrer Frau Mutter immer noch so schlecht geht, rufen Sie uns bitte vorher an, ja?«

 

 

 

Christian Zeilhofer, Ende fünfzig, mittelgroß, stämmig, schütteres Haar, hatte als Kriminalhauptkommissar der Landshuter K1 schon vieles gesehen.

Sein dreißigjähriger Kollege, Oberkommissar Sebastian Gruber, hochgewachsen, schneidig und lebenslustig, stand am Beginn seiner Karriere.

Sie fuhren gerade zurück in die Dienststelle, als Gruber fragte: »Hm, auch hart, findest nicht?«

»Was meinst denn?«, erwiderte Zeilhofer.

»Eigentlich sollt ja die Mutter ihre Kinder stützen, aber bei denen ist das wohl ein bisserl anders«, sagte Gruber. »Da ist die Tochter der Fels in der Brandung. Hast du den Haschberger eigentlich gekannt?«

»Bloß vom Namen her. Aber nach dem, was ich über den alles gehört hab, hätt ich auch keinen Wert drauf gelegt. Hast du den Kopp schon erreicht?«

»Nein, geht keiner ans Telefon. Fahren wir gleich vorbei?«

»Ja, tät ich schon sagen, oder? Der wird auch blöd schauen, wenn der erfährt, dass sein Geschäftspartner tot ist.«

»Das mit den Förderern hast du klargemacht, oder?«, fragte Gruber.

»Ja, Gott sei Dank hab ich da einen erreicht. Heut ist ja auch noch der Umzug.«

 

 

 

Korbinian frühstückte im Hotel: Orangensaft, schwarzer Kaffee, zwei Marmeladenbrote. Normalerweise aß er Butterbrezen zum Frühstück. Doch er hatte vorhin gelesen: »Selbst gemachte Mirabellenmarmelade vom Bruckner Bauernhof, Altfraunhofen, Niederbayern« – da konnte er unmöglich widerstehen. Es erinnerte ihn an seine Kindheit auf dem Land. Später, in München, hatte er einzig Konfitüre aus dem Supermarkt bekommen.

Mit einem Esslöffel bewaffnet steuerte er das Bufett erneut an, nahm nochmals zwei Scheiben Schwarzbrot aus dem Korb und kleckste drei fette Batzen Marmelade auf einen Teller. Zurück an seinem Tisch schlug er das Tagesprogramm auf und leckte genüsslich den Löffel ab … nicht, dass was hängen blieb …

Der Hochzeitszug würde in drei Stunden, pünktlich um zwei Uhr, beginnen. Erste Fans tummelten sich dennoch schon seit sieben Uhr früh in der Innenstadt.

Dass sich das Stadtzentrum kontinuierlich mit Menschen füllte, die sich die besten Plätze sicherten, beunruhigte Korbinian kein bisschen. Die Fenster seines Zimmers lagen direkt zur Neustadt hinaus, mit bester Aussicht. Was auch der Grund dafür war, dass ihm das Hotel einen Deal vorgeschlagen hatte, der ihn an jedem Sonntag einen ermäßigten Übernachtungspreis bescherte.

Den Umzug am Straßenrand zu verfolgen kostete natürlich nichts, doch die Sitzplätze auf den Tribünen drüben in der Altstadt waren wie immer ausverkauft. Zusätzlich vermieteten Bewohner entlang der Festzugsroute ihre Fenster in den oberen Stockwerken. Die Lage des Hotels lud ein, ein solches Zusatzgeschäft mitzunehmen.

Eines von Korbinians Fenstern wurde an Umzugsgäste vermietet. Das andere bekam er für sich. Hinterher würde das Zimmermädchen die Unterkunft kurz reinigen, und ab halb fünf wäre er wieder ungestört.

Bei den Menschenmassen war Korbinian jetzt auch klar, weshalb das Hotel, trotz des schönen Wetters, heute keine Tische draußen aufgestellt hatte.

Obwohl er keinen Hunger mehr hatte, schlemmte er sinnenfreudig weiter. Heute gab es Brunch bis ein Uhr mittags. Nach einem gefühlten Pfund Marmelade stieg er jetzt auf geräucherten Lachs mit Essiggurken um.

Und sie war auch da … beugte sich gerade fürsorglich über Korbinians Tisch, hob den Teller an und wischte mit einer Stoffserviette Brösel von der Tischdecke. Drei fette Marmeladenkleckser kamen zum Vorschein.

»Da hat aber einer umeinandergebazt. War’s gut?«, fragte sie.

»Hervorragend, hervorragend«, rechtfertigte er geschwind die Sauerei und stierte auf ihre Brüste. Was ihr nicht entging.

Spätpubertät heißt scheinbar, dass auch erwachsene Männer betroffen sind. Aber: Sie waren einfach im Weg – genau so war’s! Sie sind quasi über mich hergefallen … und das ist ja wohl nicht meine Schuld.

Ungeachtet dessen schenkte sie Korbinian ein zaghaftes Lächeln, bevor sie die Teller vom Nebentisch abräumte. Ein schlechtes Gewissen hatte er trotzdem.

Dem Dialekt nach zu urteilen, stammten die Frau und der Mann am Nebentisch aus Norddeutschland. Zwischen sechzig und siebzig mochten die beiden sein, und Korbinian hatte sie bereits am Vortag gesehen. Der Mann hatte sich ein Weißbier munden lassen und sie in einer Modezeitschrift geblättert. Ein Wunder, dass die Seiten ganz geblieben waren, so scharf, wie sie die umgeblättert hatte. Ratsch, hatte es alle paar Minuten gemacht, hier und da ein knappes Kopfschütteln, dann wieder ratsch.

Die Angestellte war weg, als die Frau zu ihrem Mann sagte: »Ich möchte mal wissen, was da gestern Nacht passiert ist.« Ihre weißen Haare hatte sie zu einem Dutt zusammengesteckt, und eine unübersehbare Perlenkette hing um ihren Hals.

Als ob sie ihren Worten mehr Intensität verleihen wollte, zuckte ihr Kopf bei nahezu jeder Silbe nach vorne. Die zur Kette passenden Ohrringe schaukelten im Takt.

Eine Reaktion ihres Begleiters blieb aus.

»Sag doch etwas! Interessiert dich das nicht auch?«, fragte sie jetzt mit peinlicher Lautstärke.

»Ach, was weiß denn ich, mein Schatz«, sagte er verhalten.

»Robert, jetzt frag mal jemanden, was da passiert ist«, hakte sie wiederum nach. »Und trink nicht so viel, hörst du!«

Der Mann nahm zuerst einen Schluck Bier, bevor er mit einer Schaumkrone auf seinem überdimensionalen Oberlippenbart antwortete: »Jaja, mein Schatz, gleich.«

»Wisch dir das Zeug da ab, du bist unmöglich, Robert! Die Leute glauben ja sonst noch, dass du ein Walross bist! Hörst du – unmöglich! Und warum musst du um diese Uhrzeit schon wieder Alkohol trinken?«

Korbinian vernahm jedes Wort und kam zu dem Schluss, dass die beiden ganz gewiss verheiratet waren.

»Jetzt reg dich nicht so auf, mein Schatz. Ist doch nicht schlimm.«

»Robert, jetzt frag schon, los! Da kommt ein Kellner.«

»Na, wenn du meinst«, murmelte er und winkte mit der Linken. Mit der anderen umklammerte er das Bierglas. »Äh, hallo Sie, bitte«, machte er auf sich aufmerksam.

Der Kellner kam an ihren Tisch, der mit dem monströsen Pickel, und es war unglaublich: Der schien tatsächlich nochmals gewachsen zu sein.

Steht hier in der Nähe nicht ein Atomkraftwerk?, dachte Korbinian, schmunzelte und biss in eine Essiggurke. Sauer macht lustig.

»Ja bitte, Herr Meinhardt?«, fragte der Kellner.

»Wenn Sie so freundlich wären, meine Frau hat eine Frage«, entgegnete der Mann.

Sie schaute ihn vorwurfsvoll an.

Der Kellner griente verlegen, während der Ehemann zum x-ten Mal sein Bierglas hob.

Sie dagegen streckte ihren Kopf nach vorne, als wolle sie gleich flüstern, und fragte: »Was ist denn letzte Nacht vorgefallen? Wir haben Polizeisirenen gehört.«

»Ähm, einen kurzen Moment bitt schön, Frau Meinhardt«, gab der Kellner zurück. »Ich komm gleich wieder.«

Die Frau, die Korbinian aufgrund ihrer Statur und der nach vorne geschobenen Mundpartie an ein ergrautes Gorillaweibchen mit Hängebrüsten erinnerte, kämpfte damit, Ruhe zu bewahren. Ihre Ohrringe zitterten vor Erregung.

Der Kellner kam mit Korbinians Schwarm an den Tisch zurück. »Bitt schön, Frau Meinhardt, was kann ich für Sie tun?«

»Stellen Sie sich vor, Polizeisirenen haben mich letzte Nacht aus dem Schlaf gerissen. Was ist denn da passiert?«

Das antrainierte Höflichkeitslächeln entglitt der Bedienung, und bevor sie antwortete, presste sie ihre Lippen aneinander, um mit professioneller Honigstimme zu entgegnen: »Ich kann Sie beruhigen. Es hat nix mit dem Hotel zu …«

Das Gorillaweibchen unterbrach: »Aber wir haben sie direkt vor dem Hotel gehört. Stimmt’s nicht, Robert? Los, sag schon.« Mit ihrem Ellenbogen stieß sie an seinen Arm.

»Jaja. Ich hab auch was gehört«, sagte er. »Bitte, bringen Sie mir noch ein Weißbier, junges Fräulein.«

Der Blick seiner Frau hätte ausgehungerte Kannibalen in die Flucht geschlagen. Ungeachtet dessen machte die Hotelangestellte eine Handbewegung, um ihrem Kollegen die Bestellung zu signalisieren.

Daraufhin versuchte sie, eine Antwort zu zimmern: »Ja mei, Frau Meinhardt, wissen Sie, die Polizei ist ja gleich am andern End von der Neustadt.« Sie deutete in Richtung der hinteren Fenster. »Und wenn die ausrücken, kommen die ab und zu mit Vollgas direkt durch die Gasse neben unserm Haus.«

»Ja, aber was, was ist denn nun passiert? Sie wissen doch was! Das merkt man Ihnen doch an.«

Die Angestellte zögerte. Schließlich sagte sie: »Die Polizei hat einen Toten gefunden, Frau Meinhardt.«

Die Nachricht würde ohnehin spätestens übermorgen in der Zeitung stehen.

»Mehr kann ich Ihnen nicht erzählen. Wir wissen ja auch nix Näheres.«

»Robert, ich wusste es«, stellte die Gorilladame unüberhörbar fest und rüttelte aufgebracht am Arm ihres Mannes.

»Ja, Hildegard. Du wusstest es«, stimmte er zu und rieb die Spitzen seines Schnauzbartes mit Daumen und Zeigefinger. Soeben servierte man ihm ein frisches Glas Bier.

»Meine Ahnungen haben mich noch nie im Stich gelassen.«

»Ja, Hildegard. Deine Ahnungen haben dich noch nie im Stich gelassen.«

Korbinian bemerkte, wie froh die Angestellte war, dass sie sich endlich entfernen konnte.Derweil er die letzten Reste auf seinem Teller verdrückte, kam sie dennoch zurück an seinen Tisch und sagte: »Herr Lallinger …«

Er riss ruckartig den Kopf nach oben und gaffte sie an. »Ich, ich heiße Korbinian.«

Ihr Servicelächeln wandelte sich in ein herzliches Lachen. »Ah ja«, gluckste sie mit schwindender Stimme.

Ihre Brüste hoben sich über dem geschnürten Dirndl, und Korbinian wollte nicht hinschauen … er glotzte trotzdem.

»Ich darf’s eigentlich nicht«, erklärte sie. »Gäste beim Vornamen anreden, mein ich, aber ich bin die Marianne.«

Sie schüttelten sich die Hände, und ob Korbinians Wangen so dunkelrot anliefen, wie es sich anfühlte, wusste er nicht.

»Normalerweise haben wir Namensschilder dran, aber zur Landshuter Hochzeit tun wir die alle runter. Weißt schon, Männer, Alkohol und so …«

Mit einem »Ähm« rang Korbinian nach einer Antwort.

Sie lachte und stellte klar: »Anwesende grad ausgeschlossen. Was darf ich dir denn noch bringen, Korbinian?«

»Einen Kaffee, bitte.« Schon der vierte. Aber sein Gehirn schien grad leer gefegt, ihm fiel nichts anderes ein. Eine ihrer Fragen zu verneinen oder gar etwas abzulehnen, das konnte er auf keinen Fall. »Arbeitest du heute den ganzen Tag, Marianne?«, fragte er.

Am Nebentisch schüttelte das Affenweibchen den Kopf. Turteln am Arbeitsplatz, während sie ein Informationsdefizit hatte, erschien ihr nicht akzeptabel.

Gleichzeitig zog ihr Mann die Brauen nach oben, nickte Mut machend zu Korbinian und betrachtete Mariannes Figur. Parallel rieb er sich den Schnauzbart.

»Ja, bis um zehn«, sagte Marianne und fragte: »Du schaust dir aber schon den Hochzeitszug an, oder?«

»Vom Hotelzimmer aus.«

»Hast ja noch ein bisserl Zeit. Jetzt ist’s ja grad einmal halb eins. Draußen ist’s aber schon ganz schön voll.«

Korbinian nickte. Bedauerlicherweise verbot es nicht nur der Anstand, sondern auch seine Hemmungen hielten ihn ab, sie gleich über Privates auszufragen. Zumal sie Zuhörer hatten. »Weißt du wirklich nicht mehr über den Toten?«, fragte er stattdessen.

Just in dem Moment stand das Ehepaar vom Nebentisch auf, doch als Korbinian seine Frage zu Ende formuliert hatte, wollte sich die Frau postwendend aufs Neue setzen. Ihr Mann aber zog an ihrem Kostüm und sagte zur Abwechslung mit kräftigem Klang: »Komm, los! Lass die Leute in Frieden.«

Widerwillig bewegte sie sich weiter, drehte sich aber trotzdem nochmals kurz um.

»Jetzt aber, Hildegard!«, tönte es daraufhin barsch durch den Raum.

Hildegard murmelte zwar etwas, jedoch zeigten die Worte ihres Mannes Wirkung. Als das Ehepaar weg war, beugte sich Marianne ein wenig nach vorne. »Ich hab gehört, dass sie den umgebracht haben. Bin selber total durcheinander. So was bei uns in Landshut.«

Korbinian rutschte an die Stuhlkante. »Aha! Und wo war das?«

Wie bei Kindern, die einen Plan aushecken, steckten ihre Köpfe beisammen, und sie begann unwillkürlich zu flüstern: »Vorm Maxwehr drüben, direkt an der Isar, hat man den gefunden.« Ohne Überleitung lachte Marianne und sagte: »Entschuldige, ich komm mir grad vor, als täten wir was Verbotenes machen.«

Er erwiderte ihr Lachen und sagte: »Ach ja?«

»Eigentlich ist’s ja eine ernste Sache, und ich lach da einfach so«, erklärte sie.

Obwohl ihm entging, dass ihr Blick auf den Ehering an seiner Hand gerichtet war, wurde er unruhig, kratzte sich am Hinterkopf und murmelte: »Ja, da haben Sie allerdings recht.«

Marianne beschlich das Gefühl, es übertrieben zu haben. »Entschuldigung wegen meinem blöden Lachen.«

»Schon in Ordnung«, sagte er und ergänzte: »Mir ist nur grad was eingefallen.«

Doch seine Worte verpufften. Marianne flitzte mit hochrotem Kopf ins Büro.

 

 

 

Ein Mann ging hinüber in die Küche, zog eine Schublade auf, spähte hinein und schob sie wieder zu. Anschließend schaute er in die daneben. Es knallte, als er sie heftig wieder zuschubste. Als Nächstes öffnete er die Tür des Hängeschranks, wippte auf die Zehenspitzen und lugte über die Einlegeböden.

»Hm«, grummelte er, kratzte sich an der Stirn und ging ins Schlafzimmer. Er stand vor dem Bett und drehte sich suchend im Kreis.

Zefix noch einmal, das kann doch nicht sein, dachte er. Bin ich jetzt total deppert?

Plötzlich war es, als setzte sich sein Körper von allein in Bewegung, und er ging auf eines der Nachtkästchen zu.

Er öffnete erneut eine Schublade. »Na, da bist ja«, sagte er zu der Lesebrille, die er lächelnd herausnahm. Gleich darauf aber wich die Erleichterung aus seinem Gesicht. Er richtete sich auf und starrte weiterhin in die geöffnete Schublade.