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König Rediwa hatte die Kentauren Rhodes zur Unterstützung im Krieg gegen das Friedensreich der Einhörner gerufen. Unvermittelt begegnen die Krieger jedoch der schönsten Stute aller Zeiten und verlieben sich unsterblich in die Schöne. Nun ist diese Stute ausgerechnet eine der ranghöchsten Priesterinnen des Schwarzen Einhorns, des leibhaftigen Feindes des Königs und genießt zudem unter den Einhörnern ein sehr hohes Ansehen. Dennoch begeben sich die Kentauren zu dem Herrn des Ordens und ersuchen um die Hand der Stute. Dieser schickt sie stattdessen auf eine mörderische Suche. Komplett revidierte und neugestaltete Neuauflage vom erstmals 2011 erschienen Buch.
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Seitenzahl: 1088
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Krieg dem Friedensreich
Festgesetzt
Letzte Warnung für König Rediwa
Befreiung
Gericht
Der Preis für eine Priesterin
Die Ritter des Königs von Schedu-Ann
Das Ungeheuer unter der Burg Tarkona
Königin Sonirda von Schedu-Ann
Ankunft auf der Burg Tarkona
Kronpriesterin Varnia von Viondjanar
Ein fataler Schwur
Das Rätsel Teil I
Die Ritter Schedu-Anns vor dem Thron der Einhörner
Graf Sengors Beauftragung und das Rätsel Teil II
Das Rätsel Teil III
Aufbruch
Graf Sengors Heer
Die übrigen Gruppen formieren sich
Die Straße der Einhörner
Aufbruch zur Suche
Sionde
Gridron I - Gridron lässt sich verführen
Scharvjién und Priesterin Varnia I - Die Menschen Siondes
Graf Sengor I - Die Mühen einer zusammengewürfelten Truppe
Gridron II - Zu Schlachtvieh werden
Graf Sengor II - An der Grenze zu Sionde
Scharvjién und Priesterin Varnia II - Erster Einsatz
Ridowas Stoßtrupp I
Schagon I - Schagons Aufbegehren
Scharvjién und Priesterin Varnia III - Weiterschreiten
Schagon II- Schagons Scheitern
Ridowas Stoßtrupp II - Überfall
Scharvjién und Priesterin Varnia IV - Eine Priesterin muss eingreifen
Sengor III - Aufstand der Truppe
Scharvjién und Priesterin Varnia V -
Zweiter Einsatz
Das Rätsel IV
Segona
Wischion
Herwidés - Die Rachsucht der Gelehrten
Rhoschah - Die Königsstadt Grudjesch
Rufon 1
Cendo I - In Schabak
Kjuvar - Eroberung von Weskat
Cendo II -Eroberung von Grudjesch
Rufon II - Die Frevel der Menschen entlang der Küste
Rufon III - Der Fall der letzten Menschenfestung
Segonas Untergang und Gründung Schervjións
Iondeza
Gedja I - Der Weg ins Zwergenreich
Rhoschah I - Die Straße nach Tschavín
Der Rat der Zwerge vor dem Thron der Priesterinnen
Gedja II - Das Goldene Vlies der Zwerge
Rhoschah II - Zurück an den Anfang
Gedja III - Audienz vor dem Thron der Einhörner
Freiguns
Der Zerfall
Freiguns - Odyssee
Wischion - Neuer Aufbruch zur Suche
Rufon I - Der Tempel der Winde
Graf Sengor I - Neuordnung durch eine Priesterin
Verliebt in eine Priesterin
Reawirs Fall
Der Brief der Priesterin
Gridron I - Abtrünnig von Kronpriesterin Varnia
Gridron II - Ein neuer Auftrag
Graf Sengor II - Die große Schlacht hat begonnen
Rufon II - Wege am Himmel
Scev-En
Freiguns I - Götter, Zentauren und Menschen
Freiguns II - Heimweg durch die Wüste
Wischion - Götter der Unterwelt
Ikabod
"Die Herrlichkeit ist hinweggenommen"
Tavar
Rufon - Heikle Ware
Graf Sengor - Kampf gegen Windmühlen
König Sengor - Ein Krieg zum Verlieren vorherbestimmt
Magie der Einhörner
Das Goldene Vlies
König Sengor I - Selbstopfer
Gridron I - Das Nordreich von Rhingwa
Gridron II - Drachenjäger
Schicksal der Helden
Gridron III - Das Goldene Vlies auf dem Altar
König Sengor II - Durch das Reich des Todes
Anhang
Namenslisten
Wörterbuch Serin - Deutsch
Die Serie "Im Zeichen des Schwarzen Einhorns"
Weitere Bücher
Gridron zog die Riemen seiner Satteltaschen nach. Die Riemen scheuerten und schnürten in das Fleisch. Die Taschen drückten und verrutschten dauernd. Natürlich hatte sich Gridron die Riemen ausreichend gepolstert. Letztere verhinderten jedoch lediglich, dass sich die Riemen tief ins Fleisch einschnitten.
Schon seit einigen Tagen versuchte sich die Horde Zentauren einen Weg durch die niederen Lagen vom Unterholz des dichten Regenwaldes zu bahnen. Eile tat Not und die schwere Arbeit behinderte das Vorwärtskommen. Neben sich konnte Gridron einen seiner Kameraden schwitzen spüren. Der Schweiß stand ihnen auf Brust und Flanken. Mächtig und unermüdlich hieben ihre schweren Schwerter in den Busch und schlugen Äste eines Armes Stärke ab, als seien diese nur dürres Reisig. Das eigentlich Hinderliche war jedoch das dünne Gestrüpp, das wie Filz haltlos den Schwertern nachgab und zäh genug, um sich nicht durchtrennen zu lassen. Vieles davon bewehrte sich auch noch mit Dornen oder hatte so scharfe Kanten, dass sich das Zeug wie Messer durch das Fell und die Haut tief in das Fleisch einschnitt. Gridron fühlte sich schon wieder an der gesamten Vorderhand wund gescheuert und zerschnitten. Stellenweise sickerte Blut durch das Fell. Gridron schaute sich nach Tavor um. Ermüdet versuchte der Hengst mit seinem Schwert des Gestrüppes Herr zu werden.
Vor ein paar Tagen hatte der Geograph gemeint, eine Abkürzung entdeckt zu haben. Tatsächlich war es ihm gelungen, den Hordenführer zu überreden, die gewähnte Abkürzung zu nehmen. In Anbetracht, dass die Horde ohnehin schon reichlich spät dran war, hatte Graf Sengor schließlich nachgegeben. Toll waren die Zentauren vorangekommen! Zumindest zuerst. Eine beachtliche Strecke hatten die Zentauren sogar im Galopp zurückgelegt. Doch der Weg verengte sich zwar zuerst unmerklich, doch stetig, bis der Pass allenfalls noch einen Zwerg den Durchgang erlaubte und bald darauf noch nicht einmal mehr dies. Nun kämpften die Zentauren, die verlorene Zeit wieder wettzumachen. Umkehren und auf der regulären Straße Weiterreisen konnten sie sich nicht leisten. Dann kämen sie hoffnungslos zu spät!
Immerhin kamen sie in Anbetracht des Dickichts gut voran. Mit mehreren Schritten pro Stunde könne man angesichts der Umstände doch auch schon ganz zufrieden sein. Seit dem frühen Morgen schon fochten sie sich auch an diesem Tag durch das wuchernde Grün. Die Nächte hielten die Zentauren kurz. Solange man sich im schwindenden Tageslicht so einigermaßen orientieren und die Hindernisse des Dickichts im Halbdunkel erkannte, führten die Hengste pausenlos den Krieg gegen das Gebüsch fort. Für Frühstück, Mittagessen und Abendessen wechselte man sich ab.
Der nächste Regen kündigte sich schon wieder an. In Anbetracht der nahenden Nacht bedeutete dies für die Zentauren, die Nacht hindurch weiterarbeiten zu müssen. Auf keinen Fall dürften sie sich von innen durchgeschwitzt und von außen vom Regen durchnässt einfach zur Ruhe begeben. Da würde sich ein jeder bis zum Morgen eine zünftige Lungenentzündung einhandeln. Unglücklicherweise sah man in der Nacht und zudem bei dem wolkenverhangenen Himmel natürlich absolut nichts mehr! Die Zentauren zündeten Laternen an und kümmerten sich weiter um das Gebüsch. Nur die Wärme von innen konnte sie wieder vom Regen trocknen! Das Rauschen des Regens rückte schneller näher, als ein Zentaur im gestreckten Galopp. Gleich im nächsten Moment goss es wie aus Kübeln. Im Nu wateten die Zentauren bis über die Fesseln im Wasser. Der Boden weichte auf und die Hufe sanken im Schlamm noch tiefer ein. Das Wasser floss wie ein Sturzbach durch das dichte Blätterdach, die Baumstämme hinunter, rann unerbittlich zwischen Hand und Schwertgriff und durchdrang das Fell der Tiere, sodass die aus den Baumkronen herabfallenden Tropfen wie Nadeln auf die Haut schlugen. Der Lärm des Regens übertönte alle anderen Geräusche. Die Zentauren mussten schreien, wenn sie sich verständigen wollten. Innerhalb von Augenblicken weichte der Boden zu einem sumpfigen Morast auf. Die Zentauren rutschten durch den Schlamm, verkrampften ihre schwerthaltenden Hände und fluchten. Das niedergeschlagene Pflanzenmaterial am Boden gab keinen Halt und ließ die Zentauren stattdessen oft auch noch stolpern. Die paar Lampen verkamen schnell zu winzigen Leuchtkäfern, die vergebens gegen die hereinbrechende Dunkelheit ihr Licht durch verrußte Butzenglasscheiben in die Umgebung zu streuen suchten. Die Nacht legte ihren Mantel über den von der Tageshitze dampfenden Dschungel.
Graf Sengor teilte seine Zentauren in verschiedene Gruppen ein, die sich in regelmäßigen Abständen abwechseln sollten. Eine Gruppe sollte den Kampf gegen das Dickicht weiterführen. Die zweite Gruppe sollte sich mit Lampen in der bereits geschlagenen Bresche zu Orientierungspunkten verteilen, und die dritte Gruppe schließlich die nötigen Vermessungen durchführen, damit die Einheit in der stockdunklen Nacht die korrekte Richtung nicht verlöre. Regenwasser troff gleicherma-ßen aus den Bärten und dem Haupthaar der Zentauren über die verschwitzen Körper zu Boden wie durch das Blätterdach des Dickichts. Die Krieger sprachen nur das Nötigste. Tavor mied jedes Gespräch teils aus Übermüdung, teils aus Schande. Die anderen Zentauren hätten Tavor gerne zurechtgestutzt, mussten jedoch ihr kleines bisschen verbliebener Energie auf die Arbeit konzentrieren. Ungeschoren würde Tavor ohnehin nicht davonkommen! Seine einzige Hoffnung auf Milde bestand aus wenigstens einer gewissen Pünktlichkeit. Zentauren kamen nie zu spät! Sie durften einfach nie zu spät kommen! Und nun verloren die Mannpferde jede Hoffnung auf Einhaltung ihres Ehrenkodexes. Graf Sengor und seine gesamte Einheit dürften sich erst dann wieder im Lande Rhode, dem Sitz des Volkes der Zentauren des Ostens im Königreich Schedu-Ann, sehen lassen, wenn sie die Schande in einer besonders heroischen Aktion wieder wettgemacht hätten. Allein die Chance auf eine derartige Möglichkeit stand bei den hochgeschraubten Ansprüchen der Zentauren gegen Null.
Gridron und seine Gruppe mussten als erstes den Kampf gegen den Dschungel weiterführen. Trotz seiner Ermüdung war ihm dies durchaus recht. Sich abreagieren musste er nicht mehr. Dazu war er schon längst zu erschöpft. Aber er konnte seine Gedanken schweifen lassen. In der Dunkelheit sah er ohnehin nicht mehr, wohin er hieb. Er brauchte sich auch darum keine Gedanken zu machen. Das Gestrüpp umgab ihn so dicht, dass seine Klinge immer irgendwo hineinfuhr. Ab und zu blieb das Schwert irgendwo hängen und Gridron musste es mit einem kräftigen Ruck oder mehreren wieder befreien. Nicht mal mehr zum Fluchen verschwendete er Energie.
Gridron erinnerte sich, dass König Rediwa, der König von Schedu-Ann, die Zentauren seiner Provinz Rhode zur Unterstützung im Krieg gegen das Scharona-Imperium gerufen hatte. Der Rat der Fürsten der Zentauren hielt zuerst die Nachricht für einen schlechten Scherz, jedoch der Bote konnte die Echtheit der Botschaft mit dem königlichen Siegel beweisen. Der König wollte einen Präventivschlag gegen das sich rasch ausbreitende Imperium des Nordens führen, bevor dieses Gelegenheit wittere, Schedu-Ann anzugreifen. Wer hatte dem König bloß einen derartigen Schwachsinn geflüstert? Der war doch sonst nicht so! Jeder kannte den König und seine Geschwister, die mit ihm jeder auf seinem eigenen Thron neben dem Großkönig auf der Burg Tarkona am Meer im Westen einmütig herrschten, als äußerst besonnen. Sehr behutsam behandelte er schon seit langer Zeit die Provinzen Rhode und Vendar, sowie deren Umgebung. Diese sehr weit im Osten liegende und sehr große Provinz Rhode wollte und durfte der König nicht verlieren. Außerdem galt es, den Anschluss an das noch etwas größere Tavar dahinter zu wahren. Da das Durchsetzen königlicher Befehle im fernen Osten zunehmend schwieriger wurde, verließ sich der König auf die Vorherrschaft der Zentauren über den gesamten Osten seines Reiches und gestattete ihnen großzügig eine autonome Regierung, sich somit deren Treue zu erhalten.
Dieses unergründliche Scharona-Imperium im Norden, das sogenannte Schwarze Imperium, erstreckte sich dagegen seit Zentaurgedenken in undefinierbaren Weiten. Selbst die ältesten Zentauren gestanden ein, dass sogar in ihrer Kindheit wiederum deren Ältesten nie etwas anderes gekannt hätten, als den gesamten Norden einschließlich ab der großen Tundra zuzüglich der gesamten nicht von Menschen bewohnten Welt als Teil des Imperiums zu betrachten. Angrenzende Menschenreiche ließen sich, freiwillig oder notgedrungen, vom Einhornreich im ergebenen Vertrauen leiten. Einen dermaßen mächtigen Nachbarn forderte man besser nicht heraus! Schedu-Ann hingegen stellte in seiner auch für Zentauren sehr großen Weite für das Imperium einen verschwindend winzigen Landfleck dar. Vendro laRhon, der Herr des Imperiums, erachtete es wohl kaum jemals als der Mühe des Eroberns wert. Hatte er auch gar nicht nötig! Die Provinzen Rhode und Vendar vom Königreich Schedu-Ann kontrollierte er bereits mit einer Selbstverständlichkeit, als gehörten sie längst zu seinem Herrschaftsbereich. Erstere erstreckte sich so geschlossen von Norden nach Süden des Reiches Schedu-Ann, dass Vendro laRhon eine verlässliche, sehr breite Straße quer durch das Land an jeden beliebigen Ort im Königreich Schedu-Ann zur freien Verfügung stand, und letztere verwehrte sogar dem König von Schedu-Ann ein Vordringen nach Rhode, wenn dieser auf keinen Fall durch ein Land reisen wollte, das in Wahrheit dem Imperium die Treue hielt. Nicht mal König Rediwa könnte je in seinem gesamten Königreich Vorbehalte gegenüber dem Imperator geltend machen. Dass Rhode und Vendar wenigstens noch auf dem Papier zu Schedu-Ann gehörten, könnte Vendro laRhon jederzeit nach Belieben ändern. Eine kleine Notiz im Aushang des Rates der Zentauren würde verlässlich genügen. Wozu also überhaupt dieser lächerliche Krieg?
Als reiche das noch immer nicht, zog sich der sogenannte Große Forst von Norden her wie ein breiter Keil so tief in das Land, dass der Forst fast vollständig Schedu-Ann in ein östliches und ein westliches Reich zerteilte. Den Forst konnten die Angehörigen des Königreiches Schedu-Ann nicht nutzen. Einhörner bewegten sich darin jedoch frei umher. Die Hoheit in diesem Wald gehörte damit uneingeschränkt den Einhörnern und somit dem sogenanntem Friedensreich der Einhörner! Östlich der Westgrenze des Forstes hatte also der König praktisch nur noch so wenig Einfluss, dass seine Herrschaft über den Osten an einem genauso breiten Härchen hing, wie die südliche Hauptstraße und ihre nähere Umgebung an ihrer engsten Stelle an Breite maßen. Diese Stelle bestand aus der Schlucht Rodikars knapp an der Grenze Rhodes nach Vendar, deren Wände über hundert Schritte senkrecht in die Höhe ragten und stellenweise keine zwei Zentauren nebeneinanderhergehen ließ. Oben am Kamm verengte sich vielerorts auch noch die Spannweite der Schlucht durch überhängende Felsen. Unbesorgt übersprangen Zentauren diese Schlucht auf ihren vielen Wegen zwischen Norden und Süden. So ein banales Hindernis machte nicht mal den jüngsten Zentaurfohlen zu schaffen. An einer bestimmten Stelle berührten sich Felsen schon fast, sodass ein jeder nur einen größeren Schritt tun musste, um von einer Seite auf die andere zu wechseln. Wozu solle man also sich die Mühe antun, die ordentliche Straße weit im Osten zu bereisen, wenn man in jener Region zwischen Norden und Süden wechseln wollte? An breiteren Stellen der Schlucht verdienten sich einige Zentauren ihren Lebensunterhalt damit, andere Wesen auf sich reitend im Sprung hinüberzutragen. Solange sich die Menge des mitgeführten Gepäcks entsprechend der aktuellen Breite der Schlucht an der jeweiligen Stelle in Grenzen hielt, reiste man ganz elegant zwischen dem Einhorn-Imperium und Iondeza über Schedu-Ann hinweg hin- und her, ohne auch nur mit einem Tritt den Boden Schedu-Anns zu setzen. Nur mit richtig großen Lasten und Mengen tat man sich schwerer. Das lag aber am Gelände, das zur Schlucht hin schwieriger wurde. Der Mangel an einer passend ausgebauten Straße behinderte den unbeschränkten Handel zwischen Norden und Süden. Ein paar große Gerüste und ein paar hölzerne Brücken säumten die Ränder der Schlucht, so auch den schweren und umfangreichen Warenverkehr zu ermöglichen. Immerhin hatten die Zwerge bereits angefangen, eine ordentliche, große Straße samt Brücke aus Stein zu bauen und würden diese in absehbarer Zeit fertigstellen. Dann wäre die neue Straße vom Einhorn-Imperium nach Kondokra im Norden Iondezas fertig. Wozu also überhaupt noch das von Menschen regierte Königreiche Schedu-Ann betreten? Den Großkönig von Schedu-Ann brauchte man doch längst nicht mehr!
König Rediwa von Schedu-Ann hatte also ohnehin nichts zu wollen. Praktisch gehörte ihm ab dem Großen Forst gar nichts. Und das bisschen, was er westlich davon sein nannte, ergab für des Imperators Begriffe sicher keine Provinz ab, die er sich womöglich auch noch zu beachten genötigt fühlen könne.
Als sei der Imperator des Scharona-Imperiums nicht längst mächtig genug, genoss er auch noch die sehr besondere Freundschaft von ausgerechnet dem Schwarzen Einhorn, das mit nicht weniger Macht das Friedensreich der Einhörner regierte.
Seine Allerhöchste Majestät des herrschaftlichen, heiligen und magischen Einhornreiches und Vendro laRhon, der Herr des omnipräsenten Schwarzen Imperiums – diese Kombination war schlichtweg scheiße!
Und dann hielten die beiden auch noch zusammen – schlimmer als Pech und Schwefel! Sie waren sich wirklich immer in Allem einig. Jedes der Reiche bestand im anderen. Ein Unterschied ließ sich jedenfalls nicht erkennen. Sie teilten sich vorbehaltlos die Macht über ihre Reiche, unterstützten den Partner immer und überall und kümmerten sich nicht um andere Interessen. Alle anderen Wesen existierten ausschließlich nur, um von ihnen nach deren Willkür benutzt zu werden. Entweder nannte man das Einhornreich im Norden gemeinhin Scharona-Imperium, das Schwarze Imperium, so benannt vom Imperator Vendro laRhon zu Ehren des Schwarzen Einhorns, und deutete dessen weit über seine Grenzen reichende, uneingeschränkte und alles bestimmende Machtstellung an, oder man nannte es Friedensreich der Einhörner, da beginnend bei Seiner Allerhöchsten Majestät dessen Bewohner in wahrer Begeisterung das Reich des Imperators so bezeichneten. Ob man letzteren Namen vorrangig so definierte, dass in diesem Reich die Einhörner in einem wahrhaft märchenhaften Frieden lebten oder die Bevölkerung durch die Einhörner einen ebensolchen außergewöhnlichen Frieden genoss, konnte man sich aussuchen. Gerüchte erzählten, dass wenn sich Seine Allerhöchste Majestät und Vendro laRhon unterhielten, klänge das eher, als würden sie eine gemeinsame Person abgeben, die Selbstgespräche führe. Tatsächlich musste man alle Äußerungen von Vendro laRhon als direkt von Seiner Allerhöchsten Majestät und vice versa deuten.
Und mit so etwas legte sich König Rediwa an. So dämlich konnte man nur absichtlich werden!
Natürlich empfand keiner der Zentauren mit der alles beeinflussenden Macht des Einhorn-Imperiums in Rhode Freude. Nun stellte auch noch das verräterische Königreich Iondeza im Süden Antrag an den Herrn des Einhorn-Imperiums um die offizielle Aufnahme in das Reich. Schon seit vielen Jahren hatten die Zentauren misstrauisch beobachtet, wie sich das Reich der südlichen Zwerge auf den Anschluss sorgfältig vorbereitete. Dies dürfte auch der eigentliche Grund sein, warum die geizigen und streitsüchtigen Zwerge so selbstlos die Straße vom Imperium in ihr Reich für einen gut funktionierenden Handelsverkehr bauten und auch gleich großzügig die Infrastruktur für einen solchen Verkehr und die Erhaltung der Straße einrichteten und erhielten. Zwar erwähnten die Zwerge mit keinem Wort ihre wahre Absicht, doch bestand darüber nun wirklich kein Zweifel. Die Bauarbeiten näherten sich der Fertigstellung. Die offizielle Eingliederung in das Imperium schien also kurz bevor zu stehen. Man brauchte wohl wirklich nur noch den Segen des Imperators. Ebenso wie in Rhode ging es nur noch um eine Formalität. Die Gesetze und Verwaltung des Reiches hatten die Zwerge schon vor langer Zeit dem Imperator zu devotem Gehorsam unterworfen. Selbstverständlich spitzte der König des südlichsten Zwergenreiches auf einen Anteil an den reichen Förderungen, welches das Imperium zur sozialen und wirtschaftlichen Förderung nur über seine offiziell zum Imperium gehörenden Provinzen ausschüttete. Die Zentauren wussten jedoch, dass ein völlig anderer Grund der Zwerge maßgeblich war. Zu alledem genoss ein jedes Reich, welches offiziell an das Imperium angegliedert wurde, die ständige Anwesenheit von einer reichen Anzahl Einhörner, welche im Lande für Frieden und Wohlstand sorgten. Der König von Iondeza unterstützte sein Ansuchen mit Gaben, die für jeden Zentaur im Land Schedu-Ann als Provokation gereicht hatte. Sich an den freiwilligen Steuern und Gaben auf Durchreise zu vergreifen, war jedoch ein Tabu, an das niemand auch nur zu denken wagte.
Nun befand sich geographisch, oder besser gesagt, ohnehin nur auf der Landkarte, Schedu-Ann genau zwischen dem Scharona-Imperium und Iondeza und „verhinderte“ somit zumindest formell durch seine „Unabhängigkeit“ den Anschluss. Dies nährte augenscheinlich die Befürchtungen des Königs, dass das Imperium der Einhörner ihm wichtige Teile seines Reiches stehlen und im Zweifelsfall womöglich auch noch das restliche Schedu-Ann mit Gewalt mit in das Imperium eingliedern wolle. Der König reagierte eindeutig in Panik. Das Scharona-Imperium hatte trotz all seiner Macht nicht eine einzige Provinz mit Gewalt an sich genommen. Und wenn der Herr des Scharona-Imperiums etwas haben wollte, dann nahm er es sich einfach. Rhode und Vendar stellten hierfür einen, in allen politischen, geographischen und sozialen Aspekten, nicht anzweifelbaren Beweis dar. Zählte man noch den Großen Forst dazu, bestand seit jeher eine solide, direkte und wesentlich breitere Verbindung zwischen dem Imperium und Iondeza, als Schedu-Ann sonst noch an Fläche maß. Der Herr sah in Schedu-Ann ganz sicher kein Problem, über welches er sich am Ende auch noch Gedanken machen müsse.
Im Allgemeinen begehrten etliche Völker um das Imperium herum die Oberherrschaft des immens reichen Einhorn-Imperiums über das eigene Land, in der Hoffnung an dem scheinbar unerschöpflichen Reichtum Anteil zu bekommen. Ob überhaupt eine gemeinsame Grenze zum Imperium der Einhörner bestand, tat augenscheinlich nichts zur Sache. Etliche Kaiser und Könige um das Einhornreich herum bezeugten Vendro laRhon ergeben ihre Treue und ernteten dafür wesentlich mehr Wohlstand in ihrem Reich, als sie bis dahin jemals zu erträumen wagten. Die Rechnung ging also immer irgendwie zugunsten der Ansuchenden auf. Sogar das mächtige Darkra-Imperium, das sich weit im Osten zwischen dem Scharona-Imperium und dem Hchadoch-Imperium befand und dem man nachgesagt hatte, dass es nie vergehen könne, hatte sich freiwillig bedingungslos dem Herrn des Scharona-Imperiums unterworfen, die Auflösung des eigenständigen Staates per Gesetz verabschiedet und bezeichnete sich seitdem als Provinz. Ob der Herr des Imperiums bis dato die offizielle Aufnahme in das Friedensreich abgesegnet hatte, wusste man allerdings nicht. Diese Frage stellte man auch nicht. Die Rechtsprechung der Einhörner übernahmen solche Herrscher eins zu eins. Die höchste Instanz stellte immer das Friedensreich dar. Schwierige Probleme brachte man vor den Herrn des Imperiums und bezeichnete sich stolz als zum Imperium gehörend, ob das nun stimmte oder nicht. Eine schlichte Empfehlung des Imperators zur Lösung dieses oder jenes Problems betrachtete man nur zu gern als Gesetz und Urteil höchster Instanz zugleich. Die Grenzen des Imperiums verschwammen dadurch total. Kein Sterblicher hatte wohl mehr einen Überblick, wer oder was nun tatsächlich zum Imperium gehörte und was nicht.
Sämtliche dem Einhornreich ergebenen Könige warben permanent um die offizielle Aufnahme in das Imperium und sandten fleißig Gaben und Geschenke. Sie drängten ihr Land dem Imperator regelrecht auf, überschrieben ihr Land, Volk und Reichtum restlos in einseitigen Urkunden dem Imperator zu Eigentum. In jedem Gesetzbuch stand die Verfassung der Einhörner an oberster Stelle. Auf jeder Burg, jeder Festung und jedem Schiff wehte die Fahne der Einhörner auf dem Herrscherplatz und die eigene, königliche in der Rangordnung einer Provinz. Die Könige beschränkten sich auch nicht auf willkürlich festgesetzten und sehr hohen Tribut, ganz so als ob ihr Königreich schon längst als eine anerkannte Provinz in das Imperium eingegliedert wäre. Kein Herrscher verzichtete auf die Ehre, sogar die eigenen Bürger als Sklaven dem Herrn des Imperiums zu schenken. Jedes Jahr wurden Bürger aus allen sozialen Schichten und Berufsgruppen und einige Angehörige aus Adelsfamilien in öffentlichen Ausschreibungen auserwählt und dem Imperator als Sklaven geschenkt. Jede Zunft und jeder Verein war bei dieser Auswahlaktion berechtigt, eine gewisse Anzahl Mitglieder, je nach Zunft- und Vereinsstärke, als Geschenk an den Imperator zu erwählen. Die Familien, aus denen Angehörige erwählt wurden, Vendro laRhon als Geschenk dar gebracht zu werden, feierten tagelange, rauschende Feste, bevor sie die Auserwählten zur Abreise nach Edonja Seromenda Clercae Scharona, dem angeblich unbeschreiblich herrlichen Schloss der Einhörner und Thron des Scharona-Imperiums, feierlich und mit reichlich Geschenken verabschiedeten.
– Was für ein größenwahnsinniger Name für ein ordinäres Schloss. –
Der Tag, an dem Vendro laRhon offiziell den Anschluss eines Königreiches an das Imperium genehmigte, wurde fortan in der neuen Provinz als höchster Staatsfeiertag ausgerufen und gleich einen ganzen Monat lang vom gesamten Volk exzessiv gefeiert. Der Adel mischte sich schamlos unter das Volk und Grafen tranken mit ihren Bauern Bruderschaft.
Auch unzählige Zentauren bekam der Imperator geschenkt. Kein Zentaur des Landes Rhode im Reich Schedu-Ann konnte nachvollziehen, was sich eigentlich die Zentauren anderer Reiche dabei dachten, sich als Sklaven herschenken zu lassen. Die Freiwilligkeit der geschenkten Tiere stand außer Frage. Wenn ein Zentaur frei sein wollte, so konnten ihn niemand und nichts daran hindern. Außerdem fanden sich reisende Zentauren gelegentlich in Rhode ein, die voll Stolz prahlten, als Sklaven dem Imperator geschenkt worden zu sein. Mitleidig sahen sie auf die Zentauren Rhodes herunter, denen ein solcher Vorzug bisher versagt geblieben. Unverhohlen und rücksichtslos indiskret verkündeten sie sogar bei jeder Gelegenheit überzeugt die Auffassung, dass sich auch die Zentauren Rhodes endlich mit ihrer Provinz von Schedu-Ann abspalten, dem König die Treue abschwören und dessen Getreue zum Henker jagen sollten, um endlich die heiß ersehnt unterwürfige und ehrenvoll bedingungslose Eingliederung in das Imperium zu ermöglichen. Ein kräftiger Tritt mit einem Hinterhuf in des Königs Bauch könnte die Unabhängigkeitserklärung angemessen besiegeln und eventuell sogar einen Pluspunkt vor dem Herrn des Einhornreiches erzielen. Jeder gezählte zweite Satz dieser arroganten Hengste enthielt zumindest einen eindeutigen Hinweis auf die Haltung der fremden Zentauren in Rhode. Jedenfalls bei den Tieren Vendars und großen Teilen Tavars fanden diese Zentauren mit ihrer Haltung große Sympathie. Nur im äußersten Westen Tavars fand der König eventuell noch ein paar wenige Getreue.
Und dann hatten diese arroganten Hengste aus dem Einhornreich auch noch hübsche Töchter dabei. Diese waren so wahnsinnig schön, dass kein seinem Weib noch so treuer Hengst es schaffte, nicht in haltlose Begierde zu verfallen. Vorsätzlich das Volk von Rhode beschämend, zeigten die Väter ihre Töchter vor und wiesen besonders auf den schönen Schmuck hin. So reich waren diese Stuten mit edelstem Klunker geschmückt, dass ganze Städte Rhodes hätten zusammenlegen müssen, wollten sie sich auch nur ein einziges Schmuckstück einer solchen süßen, kleinen Stute leisten können. Auch die Töchter redeten und benahmen sich mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit würdevoll als Sklavinnen des Herrn des Einhornreiches und enttäuschten jede Hoffnung der Zentauren Rhodes auf eine mögliche Hochzeit. Die Väter brüsteten sich damit, wenn ihre Tochter zum Dienst für den Herrn persönlich an den Hof des Herrn berufen wurde. Als Zeichen der Berufung schenkte Vendro laRhon den Töchtern Haarspangen, kühn, edel und wertvoll, gefertigt aus Materialien, die kein Goldschmied im gesamten Imperium, dem Lande Rhode und aller bekannten Reiche eingeschlossen, kannte und die Haarspangen noch nicht einmal ansatzweise nachfertigen konnte. Grundsätzlich fand sich kein Vater jener hübschen Töchter des Friedensreichs um keinen Preis bereit, seine Tochter als Braut an einem in der Provinz Rhode ansässigen Junghengst zu verkaufen. Diese armen Irren verkauften ihre Töchter nicht, sondern behandelten die Stuten wie Hengste mit gleichem Recht. Viele der Töchter seien sogar angeblich bereits zum Dienst am Hofe Vendro laRhons berufen worden oder sie träume davon und der Vater wollte der Tochter diese Möglichkeit nicht durch eine Heirat mit einem vertrottelten, rückständigen, armseligen Junggesellen aus irgendeiner verlotterten Provinz vermasseln, die noch nicht einmal den Vorzug genoss, offiziell zum Scharona-Imperium zu gehören. Kein Zentaur im Lande Rhode zweifelte, dass sich diese arroganten, superreichen Schnösel nur als etwas Besonderes, geradezu Herrschaftliches verstanden wissen wollten.
Gridron spukte bei dem Gedanken aus und legte eine kurze Atempause ein, bevor er sich wieder um das wuchernde Grün um sich her kümmerte und wieder in seinen Gedanken versank.
Oft kamen auch noch unvorstellbar und unbeschreiblich schöne und süße Stuten auf Durchreise durch Rhode. Diesen Schönheiten konnte keine Göttinnen-Saga auch nur andeutungsweise das Wasser reichen. Die kühnsten Beschreibungen deuteten eine derartige Schönheit noch nicht einmal ansatzweise an. Jeglicher Verstand versagte, wenn man versuchte, die unfassbare Schönheit zu begreifen oder sich nur vage an den herrlichen, majestätischen Anblick bereits einen Augenblick später zu erinnern suchte. Wie ein Glanz aus einer anderen, höheren Welt strahlte übernatürliches Licht aus den Mädchen heraus und krönte die Schönheit der Stuten zu übernatürlicher Herrlichkeit. Permanent umspielte ein geheimnisvoller Wind die Erscheinung der Priesterinnen, ließ ihr Haar sanft wallen und lockte mit unbeschreiblich süßem, betörendem Duft. Schlussendlich auch noch gepaart mit der diesen Mädchen ganz selbstverständlich eigenen majestätischen, grazilen Anmut sprengte diese Schönheit jede Vorstellung, durchschlug jeden Verstand, wie eine schwere Streitaxt sich durch dürres Reisig schlug, dass die Bruchstücke in alle Richtungen davonstoben, und jede noch so eiserne Willenskraft barst, als fahre ein riesiger Schmiedehammer in einen morschen Baumstamm hinein. Überheblich bezeichneten sich diese Mädchen als Priesterinnen von Seiner Allerhöchsten Majestät Gnaden. Diese wahnsinnig hübschen Mädchen kamen immer mindestens zu zweit. Deutlich konnte man so etwas wie ein Brandmal an beiden Seiten der Hinterhand, dem linken Oberarm, oberhalb der linken Brust und an der Stirn erkennen, das sich wie ein Siegel hervorhob und welches die Mädchen majestätisch zur Schau trugen.
Bei jeder Gelegenheit bestätigten durchreisende Einhörner, die herrschenden Wesen des Friedensreiches der Einhörner, die Priesterinnen als die offiziellen Rechtsprecher im Namen des Schwarzen Einhorns. In Anbetracht der sehr viel mächtigeren Oberherrschaft über Rhode, als jemals das Königreich Schedu-Ann über seine eigene Provinz genossen hatte, hatten diese Priesterinnen somit selbstverständlich immer und überall das letzte Wort. Widerwillig den Priesterinnen unterwürfig, hatte das Zentaurvolk von Rhode den Priesterinnen sogar durch die Zwerge einen Palast bauten und einrichten lassen, mit dessen Prunk sich der Palast Tarkona des Großkönigs Rediwa von Schedu-Ann bei Weitem nicht messen konnte. Einzig die Einhorntempel der Zwerge in Iondeza prahlten mit noch mehr Prunk, aber so eine Ausstattung konnten sich die Zentauren beim besten Willen nicht leisten. Im Herzen jeder Grafschaft Rhodes und Vendars bauten die Völker weitere Paläste für die Priesterinnen, die dem Prunk und dem Komfort für die Priesterinnen hinter dem eigentlichen Priesterlichen Palast von Rhode oft nur unmerklich zurückstanden. Eher verschuldete sich ein Graf oder Herzog für den Rest seines Lebens bis über beide Ohren für die Errichtung eines würdigen Palastes, als dass der von ihm errichtete Palast hinter den anderen Palästen zurückstünde und die Priesterinnen mangels Komfort und Luxus den Palast am Ende auch noch mieden. Schließlich profitierte jede Region davon, wenn sich Priesterinnen im Lande aufhielten, daselbst richteten und die Regierungsgeschäfte führten.
Dafür ließen die Manieren der Priesterinnen schwer zu wünschen übrig. Als heilige Königinnen von Rhode regelten sie so völlig selbstverständlich die Rechtsprechung von Rhode dermaßen würdevoll und erhaben, dass alle Tiere der Provinz und der umliegenden Provinzen bei ihnen Rat und Recht suchten. Nicht selten kamen Tiere auch aus dem westlichen Schedu-Ann angereist, weil sie mit einem Urteil des Königs von Schedu-Ann nicht zufrieden waren. Viel häufiger jedoch wollten sie den König ob dessen Unfähigkeit im Vergleich zu der Erhabenheit der Priesterinnen gar nicht erst fragen. Urteile, Gesetzte, Verordnungen und was sonst noch so der König von seinem Thron aus erließ und sprach, verwarfen die Priesterinnen grundsätzlich fast immer schon von vorneherein. Man hatte sich längst daran gewöhnt, die königlichen Bullen und Erlasse zuerst den Priesterinnen zur Begutachtung vorzulegen. Nur eine Priesterin durfte das königliche Siegel brechen. In einem Kohlebecken im Thronsaal wartete geduldig neben dem Thron der Priesterinnen das Feuer schon auf die frische Nahrung. Darüber hinaus schaffte kaum ein Schriftstück den Weg. Weilte keine Priesterin in der Grafschaft, mussten die Schriftstücke aus Tarkona eben warten. Wer ein Schriftstück öffnete, bevor eine Priesterin das Siegel brach, wurde lebend verbrannt und das Schriftstück gleich mit ihm. Dem Inhalt eines gewaltsam geöffneten Schriftstückes durfte auf gar keinen Fall Beachtung geschenkt werden. Sogar der königliche Bote mit dem Aufruf zum Krieg hatte seine Nachricht so lange unter Verschluss halten müssen, bis ihm eine Priesterin genehmigte, in ihrer Anwesenheit das Schriftstück zu verlesen. Die Empörung des Boten interessierte niemanden. Den machte man einfach kurzerhand mit Prügel gefügig.
Mühelos schafften die Priesterinnen das Kunststück, das Reich Rhode und Umgebung zu regieren und Urteile zu sprechen, welche gleichzeitig unbedingt gerecht waren und jeden Beteiligten und Bewohner dieses inoffiziellen Reiches der Priesterinnen zufriedenstellten. Bei Streitfällen zeigten sich die streitenden Parteien immer nur dann zu einer gerichtlichen Einigung bereit, wenn eine Priesterin das Gericht führte. Notgedrungen wartete man so lange, bis wieder eine Priesterin im Lande weilte. Tiere, Elfen, Zwerge, Faune, Nymphen und was sonst noch alles scheuten keinen noch so weiten Weg, um bei den Priesterinnen Rat und Recht zu suchen. Ob solcher Erhabenheit befleißigten sich die Tiere, den Priesterinnen zu dienen. Bereits für einen noch so vagen Hoffnungsschimmer auf ein geringfügiges, flüchtiges Wohlwollen, ein kleines, angedeutetes Lächeln oder gar ein kleines Lob von den Priesterinnen schworen sie sorglos dem König von Schedu-Ann die Treue ab. Steuern und Abgaben erhielt der König von Schedu-Ann aus Rhode, und den umgebenden Provinzen Vendar, Sionde und dem größeren Teil Tavars schon lange keine mehr. Jedes Wesen in Rhode und Umgebung befleißigte sich, sämtliche Steuern und Abgaben in mindestens ungeminderter Höhe ausschließlich nur an den Priesterlichen Palast im Zentrum Rhodes zu leisten. Selbst in jenen Jahren, welches die Zentauren bereits als blanke Hungersnot empfanden, stand den Priesterinnen ein mehr als doppelt so starkes Budget zur Verfügung, als sich der Großkönig in den besten Wirtschaftsjahren zu erträumen hoffen durfte.
Die Priesterinnen führten sich wahrlich auf, als sei ihnen der Rest der Welt untertan. Angesichts einer solchen Machtstellung durfte man sich fragen, was der König von Schedu-Ann selbst in seinem westlichen Königreich noch zu bestimmen hatte. Bedürfe es wirklich noch einer öffentlichen Notiz im Aushang des Rates, Rhode zu einer Provinz des Imperiums zu machen oder reiche am Ende schon die Ergebenheit der Tiere gegenüber der unbeschränkten Oberherrschaft der Priesterinnen über Rhode und den angrenzenden Provinzen.
Die Unabhängigkeit Rhodes hing nur noch an einem einzigen, viel zu dünnen Härchen. Sobald die erste Priesterin auch nur aus Versehen andeutungsweise indirekt am Rande eines ordinären Satzes entweder Rhode oder Vendar als Provinz des Einhornreiches erwähne, wäre der Anschluss beider Provinzen an das Imperium erfolgt und jeder Zentaur müsse sich gehorsam fügen. Kein Kanzleiarbeiter müsse einen Federstrich auf einem Stück Pergament machen. Eher wahrscheinlich hatte man sich seit Generationen nur der schwachsinnigen Illusion hingegeben, überhaupt zum Königreich Schedu-Ann zu gehören. Aber das war schon immer Blödsinn gewesen. Sie waren Eigentum des Imperators! Er hatte immer mit ihnen gemacht, was er wollte. Es gab keine Möglichkeit, auch nur ein bisschen davon zu leugnen!
Folglich konnte sich auch einfach niemand mit den Priesterinnen messen oder sich gar gegen sie durchsetzen. Die Priesterinnen herrschten unangefochtenen als Königinnen. Ihr Wort galt von alters her als Gesetz. Erklärten die Priesterinnen sogar irgendwelche traditionellen Gesetzte plötzlich für ungültig, nützte keine Gegenwehr. Kaum ein Gesetz bestand mehr in Rhode, das nicht mindestens eine Priesterin gesichtet hatte. Jeder noch so weise Hengst, jeder noch so kluge Gelehrte, jeder noch so heldenhafte Krieger und jeder noch so mächtiger Zauberer verblasste neben den Priesterinnen zum kleinen, ungebildeten, großmäuligen Schuljungen. Unverschämt lehrten die Priesterinnen auch noch in den verschiedensten Berufsgruppen die Meister, wie deren Arbeit zu leisten sei, kreideten Mängel in der Arbeit des Meisters an und stellten Arbeits-, Sicherheits- und Qualitätsvorschriften auf. Die alten, erfahrenen Meister, die ihrem Gewerbe schon seit Generationen nachgingen, sollten auf blutjunge Stuten hören, deren Schönheit überdies eigentlich nur dazu dienen dürfe, von ihnen Besitz zu ergreifen!
Aber was das anbelangte, half weder Locken noch Gewalt. Versuchte man die wahnsinnig hübschen Stuten mittels Umwerbens zu freien, spielten sie unverfroren mit den Hengsten „Fang mich doch – du kriegst mich nicht.“ Dabei heizten sie die Hoffnungen des Hengstes erst so richtig an und ließen ihr hilfloses Spielzeug anschließend in ein bodenloses Loch der Verzweiflung fallen.
Wollte man sich eine dieser wahnsinnig hübschen Stuten mit Gewalt nehmen, zeigte sich jede einzelne von ihnen sogar besser bewehrt als alle anderen Reisenden zusammen im Quadrat. Als junger Hengst, der zum ersten Mal die Gegenwart einer Priesterin genossen hatte, hatte Gridron sich von seiner Begierde überwältigen lassen. Angesichts einer derartigen Schönheit war sein Verstand völlig ausgerastet. Die gesamte Umgebung verblasste zu bloßen Schattenbildern. Der junge Hengst drehte am Rad. Er konnte gar nicht anders, als sich die schöne Stute sofort greifen zu wollen. Und als Sahnehäubchen hatte er sie ganz allein im Wald getroffen, während er auf der Jagd war. Wenn das keine lohnende Beute war, was dann? Seitdem erinnerten lange Narben überall an seinem Körper Gridron daran, dass diese unverschämt hübschen Stuten sogar etwas sehr schnell das Schwert ziehen und ungeniert schwungvoll zuschlagen konnten. Gridron hatte das Verhalten der Stute zuerst für einen weibischen Scherz gehalten, als diese auf seine Annäherung hin das Schwert zog. Mit ihrem riesigen Schwert in der Hand hatte das vielleicht sechzehnjährige Mädchen noch niedlicher ausgesehen! Spielerisch zog er ebenfalls. Sogleich durfte er den tödlichen Ernst hinter der die Schönheit der Stuten kennenlernen. Die Wunden schmerzten umso mehr, als dass die kleine, grazile Stute mit einem einzigen eleganten Schwung aus dem Handgelenk heraus sogar den überlegenen Meistertrick des gut trainierten Hengstes, dem sonst bislang niemand zu trotzen gewachsen war, in einem einzigen Zug abgeblockt, vernichtet und selbst zurückgeschlagen hatte. Führte die Kleine überhaupt noch ein Schwert als Waffe oder doch bereits eher einen Blitz? Perplex fühlte sich Gridron überrumpelt. Er selbst kam zu keiner Regung mehr. Die Bewegungen des zischenden Schwertes der honigsüßen, jungen Stute indes war vollkommen verschmolzen mit der Bewegung ihres Körpers. Gefesselt hätte Gridron ihrer Klinge nicht schlimmer ausgeliefert sein können. Er spürte unmissverständlich, wie er vom ersten Zug an fachmännisch zerlegt wurde.
Gridron begegnet seiner Priesterin
Er wurde zu Boden geschleudert. Nur einen winzigen Moment lang durfte sich der Hengst wie ein Schlachtopfer auf einem improvisierten Altar fühlen. Panik ergriff Gridron. Verzweifelt versuchte er sich vom „Altar“ zu werfen, so seine letzte vage Chance zur Flucht zu nutzen. Rolle er dabei versehentlich der Stute vor die Hufe, ereilte ihn ohnehin sein Schicksal. Tatsächlich verriet bereits das Eindringen von scharfem, kaltem Stahl in seinem Fleisch, dass die Flucht vom Altar herunter noch vor der ersten Fluchtregung misslang. Im zeitlosen Moment fühlte Gridron die Klinge sich seinem Körper nähern und wusste sein Schicksal besiegelt. Ihm war, als hätte er schön langsam die Klinge sich ihm nähern sehen können – sehen, wie die Klinge in seinem Körper eindrang und darin bis zum Schaft versank, sich drehte, etwas wieder herauskam, nur um wieder tief einzudringen. Detailliert fühlte Gridron wie die Klinge durch seinen Körper glitt, das Fell sauber abschälte und Fleisch und Knochen fachgerecht zerteilte, sodass er sich heute noch an jede Einzelheit genau erinnern konnte. Ohnmächtig musste er das Durchgleiten der Klinge durch sein Fleisch mitverfolgen. Immer wieder wendete die Klinge, drang fortwährend tiefer ein, zerteilte zielgenau weitere Gliedmaßen, löste Muskeln heraus und trennte Organe ab. Präzise wusste der Hengst in jeden Moment, was gerade die Stute wie aus ihm herausschnitt, welchen Muskel sie gerade bearbeitete und wie sie seine Innereien zur weiteren Zubereitung vorbereitete. Der Hengst spürte die Klinge sich seinem Herzen nähern und kämpfte verzweifelt gegen seine Ohnmacht. Er wusste, dass er verloren war. Unerbittlich glitt die Klinge, von professioneller Hand geführt, durch Gridrons Fleisch und bereitete die Fleischstücke zum Braten vor. Kein Metzger hätte seine Beute auch nur annähernd so perfekt zerlegen können. Hilflos hatte Gridron darauf warten müssen, dass die Klinge schließlich das Herz des Pferdekörpers abtrenne und damit den noch zusammenhängenden Teil des Pferdekörpers endgültig lähme. Spätestens dann wäre er nur noch ein schönes Stück Fleisch, das noch leben darf, bis es verzehrt ist. Das Mädchen bräuchte ihn nicht einmal mehr fesseln. Bei vollem Bewusstsein würde er ihr zusehen dürfen, wie sie sich Fleisch aus seinem zerlegten Pferdekörper entnehme, über einem Feuer briete und verzehre. Verzweifelt verlor er alle Hoffnung.
Jedoch unmittelbar, bevor die Klinge das Herz berührte, endete der zeitlose Moment überraschend, und der Hengst durfte endlich den sehr hohen Felsabhang hinunterstürzen, wohin er sich noch einen Moment vorher vor der Stute in Sicherheit zu bringen gehofft hatte. Möglicherweise war nur wegen Gridrons verzweifelten Ansatz zum Hechtsprung über die Kante der Schlachtstoß, mit dem ihn die Stute endgültig in saftige Schnitzel zerlegt hätte, nicht voll zum Zug gekommen. Damals hatte sich Gridron davor fürchten müssen, dass die Stute hinter ihm herspringe. Für ihre gesunden Beine bedeutete der Abhang kein Hindernis. Die Jägerin sah ihre Beute weitgehend zum Braten fertig zerlegt. Gridron vermochte sich schon längst nicht mehr zu wehren oder gar zu flüchten. Die Stute brauchte sich nur noch an dem erlegten Hengst zu bedienen. Feuerholz hatte genug herumgelegen und die Zeit des Abendmahles nahte. Nur noch ein winziger Moment trennte Gridron noch davon, noch lebend der Stute beim Fertigschlachten, Braten und Verzehr seines Fleisches als saftiger, schmackhafter Braten zusehen zu dürfen. Sicher hätte sie sich sogar die ganze Zeit leutselig mit ihm unterhalten und Kommentare über Gridrons Körper und Fleischqualität zum Besten gegeben. So makaber es im Nachhinein klingen würde, die Stute hätte selbst dann noch Gridron vor einem wesentlich schlimmeren Schicksal bewahrt, nämlich für einen Übergriff auf eine Priesterin durch den Schutzbann der Einhörner, welcher die Priesterinnen genauso umgab, lebend in die Verdammnis stürzen zu müssen.
Niederlagen war sich Gridron nicht gewohnt und dann kam ein kleines, süßes, zierliches, graziöses, unverschämt hübsches und wahrscheinlich sogar noch minderähriges Mädchen daher, deren bloße Schönheit ihn vollkommen in den Wahnsinn getrieben hatte, ihn jede Achtung vor ihrer Hoheit vergessen hatte lassen und die er in seinem Wahnsinn lieber auf der Stelle besteigen und vernaschen wollen hatte und fügte ihm, dem jungen, sehr großen, schweren, starken und durchtrainierten Krieger, eine Demütigung zu, dass er schon bei der Erinnerung das Heulen unterdrücken musste. Schwerter und Waffen überhaupt gehörten einfach nicht in die Hände von Stuten. Die trieben damit nur Unfug. Eine Stute konnte gar nicht lernen, mit einem Schwert so umzugehen, wie sich das gehörte. Sie wussten nichts von Ehre und töteten ihre Gegner folglich auch nicht auf kriegerisch heroische Weise. Alles, wozu sie fähig waren, war alles, was ihnen zwischen die Finger kam zu erlegen, zu schlachten und zu braten. Stuten konnten eben nicht aus ihrer Haut.
Als Gridron wieder einmal die Besiegelung seines Schicksals suchend den Abhang hinaufgeschielt hatte, war die Stute verschwunden gewesen.
Dass Gridron noch lebte, grenzte an ein Wunder. Ein Jugendfreund hatte Gridron gefunden, jedoch zuerst an ein fast fertig zubereitetes Wild geglaubt und sich die Beute holen wollen, bevor der eigentliche Jäger zurückkäme.
Über ein Jahr hatte Gridron gebraucht, um sich von der Begegnung mit der priesterlichen Amazone auszukurieren. Sämtliche Heiler gaben ihn von vorneherein auf, und die besten Heiler, die leider alle aus verschiedenen Provinzen des Friedensreiches kamen und dem Schwarzen Einhorn treuergeben waren, verspotteten ihn oder schalten ihn gar, dass er sich nicht hatte gefügig schlachten und essen lassen. Unverschämt habe Gridron der Priesterin ihr wohlverdientes Futter vorenthalten und sie hungern lassen, nur weil er an seinem wertlosen Leben hinge. Schlussendlich hatte er sich, leider für die Öffentlichkeit auch noch sichtbar, einer weiteren Schande beugen und sich einer weiteren Priesterin ergeben müssen, die ihn nach langem Flehen wenigstens einigermaßen wiederhergestellt hatte. Sie hatte ihn dafür noch nicht einmal anrühren müssen. Ein einziges Wort von ihr hatte ausgereicht, um Gridron noch im selben Moment wieder herzustellen. Gridron war sich dessen sicher, dass die Priesterin ihn auch hätte besser heilen können. Noch lange erinnerten ihn schmerzende Gelenke und tiefe Narben an die süße Amazone, die ihn im wahrsten Sinne des Wortes fast lebendig gefressen hätte, aber diese arrogante Göre von Heilerpriesterin legte wohl auch nicht großen Wert darauf, den Hengst wirklich zur Gänze wieder herzustellen. Hätte sie ihn wenigstens gefälligst fertig zerlegt, gebraten und gefressen, aber Gridrons Fleisch war ihr offensichtlich nicht gut genug. Wahrscheinlich hatte sie nur deshalb darauf verzichtet, das Vorhaben ihrer Ordensschwester zu Ende zu führen, weil der Hengst zu diesem Zeitpunkt schon eine allzu unappetitliche und ekelhafte Erscheinung bot. Eiter, Maden und Fliegen bedeckten das verfaulende Fleisch und das zerfallende Fell. Noch nicht einmal mehr sein Fell hätte einer Priesterin gereicht, sich einen Riemen für eine Handtasche daraus zu fertigen. Der feinen, adelsstolzen, verwöhnten Stute hatte wahrscheinlich nur vor dem Verzehr des Fleisches gegraut. Gehindert hätte sie jedenfalls niemand. Auf ihr Geheiß hin hätten die Zentauren ihr sogar das Feuer zum Braten bereitet, Gridron nach ihren Wünschen geschlachtet und die Stücke in gewünschter Weise so lange über dem Feuer gegart, bis diese sich an dem Fleisch gütig getan hätte. Wahrscheinlich hätte sie Bier oder Wein aus den Kellern Rhodes dazu getrunken und Gridron ihr zusehen dürfen, wie sie für sich und ihre Schwestern ein Bankett auf seine Kosten ausrichtete. Hätte sie wenigstens solches getan, wäre Gridron sogar gerne bereit gewesen, den Wein aus seinem eignen Keller zur Verfügung zu stellen.
Solche Angewohnheiten der Machtdemonstration der Priesterinnen entsprangen keiner Fantasie. Solches hatte vor gar nicht allzu langer Zeit eine Priesterin wirklich gemacht. Gridron hatte den Hengst gut gekannt. Sein einziger Fehler war es gewesen, sich zur falschen Zeit bei der falschen Priesterin in einer aus der Sicht der Zentauren unbedeutenden, kleinen Angelegenheit eine geringfügige Fahrlässigkeit bei der Erfüllung einer beorderten Aufgabe zu leisten. Zwar hatte der Hengst die Aufgabe widerwillig erfüllt, sich jedoch immerhin um ein Mindestmaß an Sorgfalt bemüht. Dennoch hatte die Priesterin eine Kleinigkeit zu bemängeln gefunden, von der heute niemand mehr wusste, was es eigentlich war, und den Hengst gleich so schrecklich gerichtet. Einfach so! Gridron war bei seiner Amazone wirklich nur um Haaresbreite einer Wiederholung entronnen. Jedenfalls hatte er sich sehr viel schwerer und an der Priesterin selbst vergangen. Sich einer Priesterin widersetzen konnte und durfte wirklich niemand.
Wütend hieb Gridron in die Büsche des nächtlichen Dschungels, die einfach nicht weichen wollten. Beide Priesterinnen hatten keinen Wert daraufgelegt, ihr begonnenes Vorhaben wenigstens ordnungsgemäß zu Ende zu führen. Stattdessen hatten sie ihn verschmäht! Zu nichts zu gebrauchen! Er, einer der besten Krieger Rhodes und einer der gefragtesten Hengste bei schwierigen Aufgaben, erfolgsverwöhnt und ruhmreich, taugte für eine Priesterin nicht einmal als Futter!
Das Tosen des Regens nahm gerade wieder zu. Das Regenwasser stürzte aus der undefinierbaren Dunkelheit auf ihn hernieder und troff ihm aus dem Haar, rann über die Hände, durchnässte die Satteltaschen und nährte schließlich den Schlamm unter den Hufen des Hengstes, sodass dieser noch tiefer einsank.
Während Vendar und weite Teile Tavars schon eifrig um den Anschluss an das Imperium warben, brüstete sich Gridrons Volk derzeit noch, als einzige ihrer Art, wenngleich auch nur noch formell, eine Insel der Unabhängigkeit im Imperium darzustellen, eine Unabhängigkeit, um die alle anderen Völker, ausgenommen der Menschen Schedu-Anns, die Provinz Rhode bemitleideten. Dass Rhode schon längst Teil des Einhornreiches war, ließ sich nicht bestreiten. Immerhin verschwanden die meisten jungen Stuten des Landes auf Nimmerwiedersehen im Orden des Schwarzen Einhorns, der exklusiv von Vendro laRhon, dem Herrn des Scharona-Imperiums betrieben wurde.
Das Verschwinden der Stuten, sofern nicht wieder einmal eine durchreisende Priesterin eine oder mehrere Stuten für den Herrn einfach beschlagnahmte, sorgte jedes Mal für Aufsehen. So mancher junge Hengst, dem es endlich gelungen war, dem Vater der jungen Stute diese für teures Geld abzukaufen, ging letztlich leer aus. Sogar alle ihre Schwestern, Freundinnen und was sonst noch als Ersatz herhalten konnte, verschwand genauso geheimnisvoll. Einsperren bis zur Hochzeit half gar nichts. In dieser Beziehung geschahen Wunder, dass den Hengsten nach jedem erfolgten Ausbruch die Fassung fehlte. Sämtliche Riegel, Verschlüsse und Fesseln, ob aus Erz oder was auch immer, fanden die Hengste des nächsten Tages intakt und fest verschlossen vor. Die Siegel auf den Schlössern zeugten davon, dass niemand sie geöffnet habe. Wandernde Schmiede aller Gilde verdienten sich an den Zentauren Rhodes eine goldene Nase, indem sie Riegel und Fesseln aus diversen Materialien anboten, die angeblich absolut einhornsicher seien. Die meisten fahrenden Händler machten sich aus dem Staub, bevor man sie zur Rechenschaft ziehen konnte. Die anderen blieben nur deswegen, weil man sie an der Abreise „verhinderte“. Jene Betrüger, deren man habhaft werden konnte, fesselte man am nächsten Morgen mit ihren eigenen Fesseln und warf sie in den Fluss, wo sie die starke Strömung erfasste und den nächsten Wasserfall hinunterstürzte.
Ganze Siedlungen verloren alle jungfräulichen Stuten über Nacht. Entsprechend hoch setzten die Väter den Preis für eine heiratsfähige Stute. Für so manch einen Junggesellen musste der gesamte Clan zusammenlegen – und dann verschwand die Stute über Nacht, ganz egal wo und wie man sie vor der Hochzeit einsperrte oder bis zum Hals eingrub und bewachte. Noch in der Nacht fand sich das Gefängnis leer vor und in den Gruben fanden sich meist plötzlich die Väter oder die Freier, je nachdem zu welcher Zynik die Einhörner sich wieder einmal hingezogen fühlten.
Selten beschränkte sich auch noch der Raub nur auf die Stuten, sondern Schloss für alles mit ein, was diese Stuten mitgehen ließen. Von Bescheidenheit konnte dabei keine Rede sein! Merkwürdigerweise gelang es den Hengsten auch bei noch so guter Bewachung nie, einen Ausbruch zu vereiteln oder die Flüchtigen ungeachtet ihrer großen Zahl und ihres reichlichen Gepäcks zu erwischen. Nicht einmal Spuren hinterließen die Flüchtigen. Die Stuten schienen sich buchstäblich in Luft aufzulösen.
Das Ganze grenzte an einer übermächtigen Magie, der auch kein Zauberer des Reiches beizukommen vermochte, womit schon mal feststand, dass Seine Allerhöchste Majestät des Einhornreiches mitmischte. Das Schwarze Einhorn machte jedenfalls keinen Hehl daraus, dass Einhörner ganz allgemein andere Interessen nicht zu respektieren brauchten, von anderer Souveränität ganz zu schweigen. Diese einhörnigen Ungeheuer nutzten das auch voll aus. Die machten, was sie wollten. Gegen ihre Macht war kein Kraut gewachsen. Bestechungsversuche verhallten unerhört. Schamlos entrissen sie den Zentauren mehr als zwei Drittel der heiratsfähigen Mägde und oft gleich auch solche, die erst im Begriff waren, in das heiratsfähige Alter zu kommen. Übrig ließen die Einhörner fast immer nur jene Mägde, um welche sich kein Hengst freiwillig anstellte. Die Tochter frühzeitig zu schänden, auf dass sie für die Einhörner uninteressant würde, gehörte zu den absoluten Tabus im gesamten Imperium und somit schied auch für die Zentauren von Rhode dieser Trick von vorneherein aus. Wie die Strafe aussehe, wenn jemand im Reich gegen ein Tabu verstoße, wollte man lieber gar nicht erst ausprobieren. Keine einzige Stute konnte also gegen ihren Willen verheiratet werden.
Als ob die Stuten überhaupt so etwas wie einen Willen hätten! Von manchen Provinzen hatte Gridron sogar gehört, wo die Stuten, welche im Begriff waren, in das heiratsfähige Alter zu kommen, zuerst dem Herrn auf dem Einhornaltar des Volkes symbolisch geopfert und somit geweiht wurden. Blieb die Stute bis ein Jahr nach Erlangen ihrer Heiratsfähigkeit im Lande, durfte sie ehelichen, wen sie wollte. Ihrem Vater blieb nur das Recht vorbehalten, eine Ehe mit einem bestimmten Hengst abzusegnen oder zu verbieten. Fühlte sich die Stute von ihrem Vater behindert, konnte sie sich auf das Recht der Einhörner berufen und damit das Urteil Seiner Allerhöchsten Majestät unterstellen. In diesem Falle befand je nach Anwesenheit entweder eine Priesterin oder ein Einhorn, und in schwierigen Fällen und als oberste Instanz Vendro laRhon persönlich, ob die Stute mit dem betreffenden Hengst den Bund fürs Leben schließen dürfe.
Dieser Brauch fand bei immer mehr Zentaurvölkern großen Anklang. Väter und Freier ließen sich entrechten und waren auch noch stolz darauf. Sobald Rhode offiziell an das Imperium angeschlossen würde, müsse man damit rechnen, dass spätestens dann die Priesterinnen dieses Recht auch in Rhode einführten.
Gridron musste bei dem Gedanken schlucken, hatte er doch sein Auge auf eine hübsche, kleine Stute Rhodes geworfen. Hatte bisher doch noch eine vage Hoffnung bestanden, die Kleine schnell genug von ihrem Vater abzukaufen und zu ehelichen, bevor auch diese davonlaufen könne, so zerrann die Hoffnung mit jedem Schritt, den das Imperium in diesem aussichtslosen Krieg Schedu-Ann wegnehmen würde. Und nun würde er seine Stute ohnehin nie wieder sehen, da er genauso Rhode erst wieder betreten dürfe, wenn er die Schande gegen den Ehrenkodex wett gemacht habe.
Seine Allerhöchste Majestät und der Herr des Scharona-Imperiums – die Kombination war schlichtweg scheiße. Die beiden machten wirklich, was sie wollten und ließen sich von niemand dabei auch nur im Geringsten stören. Ein jeder tat sein Bestes, um den anderen mit Ruhm und Ehre zu überhäufen und diesen bei all dessen Vorhaben mit aller Macht, welche beide zur Verfügung hatten, um jeden Preis zu unterstützen, und die Macht eines jeden kannte keine Grenzen. Das Leben aller Wesen und Pflanzen verkam in dieser gegenseitigen Ehrbezeugung der herrschenden Wesen zum reinen Gegenstand ihres Handelns.
Und dann waren noch die Einhörner, welche allesamt einem jeden ihrer Herren mit einem Eifer dienten, welcher jeder Beschreibung spottete. Gleichgültig, ob nun ein Einhorn nur auf die Berge trat oder das Universum beherrschte, sie dem Mond befahlen genauso wie dem Wetter, oder sich nun ein Wüsten- oder ein Schneesturm verehrend um das heilige Wesen aufwirbelte, stets lag die gesamte Macht der magischen Wesen dem Herrn der Einhörner zu Hufe. Die Priesterinnen des Schwarzen Einhorns standen dem nicht merklich zurück, sondern eiferten ihren Vorbildern unter den Einhörnern mit all ihrer Energie nach, und diese war groß. Mit einer einzigen kurzen Berührung konnte eine Priesterin einen Toten zum Leben erwecken oder mit einem einzigen Wort aus ihrem Munde die Tausendschaften der Feinde des Friedensreiches vernichten. Hoffentlich kam in diesem sinnlosen Krieg gegen das Friedensreich keine Priesterin auf die Idee, die rhodschen Krieger als Feinde anzusehen, auch wenn diese, auch ihrer eigenen Überzeugung gemäß, der falschen Seite dienten.
Die Zentauren Rhodes konnten also nur auf die endgültige Proklamation der Einverleibung in das Scharona-Imperium warten. So manche Nacht hatte der reine Gedanke den Hengsten den Schlaf geraubt. Niemand wusste, worauf die Priesterinnen mit der Proklamation zum Anschluss an das Imperium eigentlich noch warteten. Oder sie dachten nicht daran, dass bislang noch keine von ihnen diesen Urteilsspruch ausgesprochen hatte? Womöglich hielten sie bereits die Provinzen südlich und östlich vom Großen Forst schon längst selbstverständlich als eingegliederte Provinzen. Immerhin herrschten sie entsprechend über das Land. Wozu also noch für eine Proklamation Zeit und Energie verplempern, so die Provinzen Rhode, Sionde, Vendar und Tavar in das Einhorn-Imperium zu integrieren? Der Rat der Zentauren druckste vor den Priesterinnen herum. Einerseits begehrten die Zentauren Klarheit, anderseits fürchtete man das Risiko, dass wenn man die Priesterinnen danach frage, diese das Versäumnis nachholten und das Urteil zum Anschluss an das Imperium aussprächen.
Und nun forderte König Rediwa das Imperium und damit sowohl Seine Allerhöchste Majestät, Vendro laRhon und alle Einhörner, sowie Priesterinnen dieser Welt zugleich auch noch heraus! Die den Kriegsaufruf des Königs begutachtende Priesterin hatte sich jedenfalls köstlich amüsiert. Zynisch hatte sie den Zentauren freigestellt, ob sie dem Ruf folgen wollten, oder sich lieber gleich zum Einhornreich bekannten. Niemand bedurfte der Erwähnung, dass das Endergebnis in jedem Fall das Gleiche sei.
Gridron verstand die Welt nicht mehr. So gründlich konnte der König noch nicht einmal Selbstmord begehen, wenn er testamentarisch sein Reich an das Imperium verschriebe und sich einfach nur in sein Schwert stürze oder von einem Turm seiner Burg hinab werfe. Letzteres wäre wenigstens anständig gewesen. Stattdessen konnte man des Königs Verhalten noch nicht einmal mehr als glatten Selbstmord bezeichnen.
Auch der Rat von Rhode hatte denkbar unvernünftig gehandelt. Immerhin waren die Räte bereits mit ungutem Gefühl im Magen vor der Priesterin auf deren Geheiß zusammengetreten. Lange hatten sich die Räte um eine Entscheidung herumzudrücken gesucht. Jeder wusste doch schon längst, dass Rhode zum Imperium gehörte! Was trieb die Priesterin wieder nur für ein komisches Spiel mit den Hengsten? Kein Zweifel, die wollte sich mit ihren kleinen Spielzeugen vergnügen, ganz so, als ob es hier nicht um das Schicksal ganzer Provinzen ginge. Jeder wünschte insgeheim, dass die Priesterin wie gewohnt einfach ein Machtwort spräche, Rhode als Provinz des Friedensreichs erkläre und die Angelegenheit endlich somit ein für alle Mal festlege. Eigentlich rechneten ausnahmslos alle fest mit dem Befehl, auf der Seite des Einhornimperiums in den Krieg zu ziehen und zu helfen, Hochkönig Rediwas Dummheiten abzuwehren. Und sie würden unverzüglich loszuziehen! Insgeheim prüfte jeder von ihnen bereits den Sitz seines Waffengurtes und die Schärfe seines Schwertes. Jedoch traute sich niemand, sich dahingehend zu äußern. Statt aber den erwarteten Befehl zu äußern, drängte die Priesterin den Rat zu einer Entscheidung. Was sollte denn das werden? Eine Priesterin überließ die Entscheidung den Räten? Das gab es nicht wirklich! Wenn eine Priesterin so anfing, wusste jeder, wie es wirklich weiterging. Wie für die Priesterinnen üblich, frotzelte sie die Hengste erst so richtig, um diese dann schließlich mit irgendeiner unerwarteten Entscheidung zum Heulen zu bringen und dann ergötzte sie sich an den Hengsten, welche vor ihr, sich im Staub am Boden suhlend, winselnd um Gnade flehten. Egal wie man sich entschied, die Priesterin fand immer irgendetwas, womit sie ihr Spielzeug daraufhin quälen konnte. Man entschied sich also nicht zwischen den Optionen, was zu dem aktuellen Problem zu tun sei, sondern womit man sich als nächstes von der Priesterin quälen lassen wolle. Günstigerweise entschied man sich immer für die Variante, von der man annahm, dabei die größtmögliche Pein zu erleiden. Befände die Priesterin, dass ihr die Entscheidung des Rates nicht den Spaß bringe, den sie sich erhoffte oder registrierte sie gar, dass ihr Spielzeug sich zu drücken suchte, folgten unweigerlich so viele wesentlich schwerere Schikanen, dass man seine eigene Bequemlichkeit bei der geforderten Entscheidung schnell verwünschte. Auf keinen Fall wollte man sich den Unwillen der Priesterinnen einhandeln. Schon deshalb musste sich jeder ihrem Spiel beugen und sich als Spielzeug zu ihrem Vergnügen benutzen lassen. Für die Hengste ging es gewohnheitsgemäß um ihr Schicksal und das ihrer Nation, und die Priesterin dachte wie üblich nur an ihr Vergnügen und ihren Spaß! Also hatte der Rat nach langem sich Herumdrücken und mit verstohlenen Blicken bettelnd beschlossen, da man immerhin noch auf dem Papier eine gewisse Beziehung zum Königreich habe, eine relativ kleine Horde pro forma für den König in Marsch zu setzen. Sofort hatte das Schicksal seinen Lauf genommen. Noch hatten die Worte der Räte im Raum gehallt, gab es kein Zurück mehr. Viel zu rasch segnete die Priesterin den Entschluss kurzerhand ab und die Räte wussten, dass sie wieder einmal mehr eine Riesendummheit begangen hatten, weil sie wieder einmal nicht mit ihrem Beschluss die Entscheidung der Priesterin unterstellt hatten. Die Räte lernen wirklich nicht dazu! Die Priesterin hatte alle bettelnden Versuche um eine Revidierung des Beschlusses verhandlungslos abgewiesen und auf die Ausführung bestanden. Nicht mal Freiwillige als Schlachtopfer zu ihrer Besänftigung hatte das verwöhnte Gör annehmen wollen! Mangels Freiwilligen für den Krieg mussten die Krieger ausgewählt werden. Ursprünglich planten die Fürsten Rhodes, nur die schlechtesten Krieger auszuwählen, doch die Priesterin bestand sofort auf die besten. Keiner der Krieger verspürte Lust, in den aussichtslosen Krieg auszuziehen. Fleißig versuchten die Krieger, die Kugel an andere weiterzuschieben. Jeder musste sich dem Beschluss der Priesterin beugen. Die Priesterin erteilte der Horde noch ihren Segen und verabschiedete die Hengste. Graf Sengor musste von ihr noch eine Bestellung für eine Halskette aus Tarkona entgegennehmen. Schlussendlich mahnte die Priesterin, möglichst zum Abendessen wieder zu Hause zu sein! Und wieso genau hatte Graf Sengor der Priesterin nicht gehorcht und sich wieder zurückgemeldet, ohne überhaupt loszuziehen? Genauso dumm wie die Räte war die Horde stattdessen nach Westen losgezogen, den König bei dem sinnlosesten Krieg der Weltgeschichte gegen eben jenes Reich zu unterstützen, welches schon lange die Geschicke Rhodes und der Hälfte des Königreiches Schedu-Ann souverän lenkte.
Jemand tippte Gridron an der Schulter an und weckte ihn wieder in die gegenwärtige Situation in den Dschungel zurück. Ihre Gruppe musste jetzt mit Lampen die geschlagene Bresche markieren. Noch immer regnete es in Strömen. Gridron nahm eine Lampe und schlurfte zu einem Standort, den ihm ein Vermesser zuwies.
Hell und klar dämmerte der Morgen über dem Dschungel. Noch zeigten sich im Westen die letzten Sterne am Nachthimmel, da strahlte schon die Sonne im Osten von hinter dem Horizont. Die Vögel wachten auf und begrüßten den anbrechenden Morgen. Innerhalb von Minuten erstrahlte die Sonne in voller Größe über dem dampfenden Wald und vertrieb die letzte Erinnerung an die dunkle, verregnete Nacht.
Sengor und seine Hengste sahen die Pracht des Morgens nicht. Tief unten im Dickicht bedeutete das Anbrechen des neuen Tages lediglich, dass sie nur noch zwei Tage Zeit hatten, um den Rest des Dickichts zu durchqueren. Immerhin hatte es aufgehört zu regnen. Gezwungenermaßen erteilte Sengor den einzelnen Gruppen die Aufforderung, sich auszuruhen und sich zu stärken. Wenigstens Nahrung wuchs hier genug. Eine Unzahl an Speisekräutern, essbaren Blättern, Früchten, Beeren und Wurzeln wuchsen den Tieren geradezu in das Gesicht. Genaugenommen war einfach alles essbar, was man mit seinen Zähnen zerkauen konnte. Unter gemütlichen Umständen dürfte man sich in diesem Dschungel großartig verwöhnt fühlen. Die meisten Früchte und Kräuter kannten die Krieger bis dato gar nicht. Einige Krieger hatten schon das Risiko auf sich genommen und im Interesse der gesamten Einheit von der einen oder anderen Frucht gekostet. Das Gewächs schmeckte herrlich und oft weit besser als alles, was die Tiere bisher kannten. Unzählige Früchte löschten den Durst weit wirkungsvoller als frisches, klares Wasser. Das gesamte Pflanzenmaterial heilte auf wundersame Weise alle Verletzungen, Krankheiten und Gebrechen. Sogar die Gebrechen und Narben Gridrons heilten in kürzester Zeit vollständig aus. Das Einzige, was man bislang nicht gefunden hatte, waren giftige Kräuter und sonstige Gewächse. Selbst Knollenblätterpilze und Tollkirschen schmeckten in diesem Dschungel einfach nur delikat. Als gäbe es in diesem Dschungel weder Gebrechen noch Krankheit, geschweige denn Tod!
Während die Horde Leib und Seele großzügig labte, suchte man oft in lustiger Runde einen Namen für neu entdeckte Gewächse. Bemerkenswerterweise fand sich jeder Geschmack, Appetit und jede Lust zu jeder Zeit befriedigt.