BRENNENDE LABYRINTHE - Friedhelm Schneidewind - E-Book

BRENNENDE LABYRINTHE E-Book

Friedhelm Schneidewind

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Beschreibung

In diesem Band sind hundert Geschichten und Lieder versammelt, die Friedhelm Schneidewind seit 2012 in den Phantastischen Miniaturen der Phantastischen Bibliothek Wetzlar veröffentlicht habe. Die meisten der bisher erschienenen siebzig Bände wurden von Bibliotheksgründer und -leiter Thomas Le Blanc herausgegeben. Schneidewind ist seit Band 3 dabei, in 54 Miniaturenbänden vertreten und hat Band 20 selbst herausgegeben. Manchen der Storys merkt man ihre Entstehungszeit an, etwa wenn es um TTIP geht, das anders als in der Geschichte nicht in Kraft trat – der Autor hat nichts geändert oder aktualisiert, alle Texte sind so, wie sie ursprünglich veröffentlicht wurden. Das Spektrum reicht von Science-Fiction über klassische Fantasy und Vampirgeschichten bis zu Märchen, Satire und Liedern. Der Autor hatte bei der Arbeit viel Spaß; dem Leser sei bei der Lektüre ebenso viel Vergnügen gewünscht.

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Friedhelm Schneidewind

Brennende Labyrinthe

100 Miniaturen zwischen Mythos und Zukunft

AndroSF 171

Friedhelm Schneidewind

BRENNENDE LABYRINTHE

100 Miniaturen zwischen Mythos und Zukunft

AndroSF 171

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© dieser Ausgabe: März 2023

p.machinery Michael Haitel

Titelbild & Illustrationen (ausgenommen die Noten, die Buchseite aus ›Brehms Tierleben‹ und die magischen Quadrate): Ulrike Grimm, art-grimm.de

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Norderweg 31, 25887 Winnert

www.pmachinery.de

für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 323 9

ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 779 4

Vorwort

In diesem Band sind hundert Geschichten und Lieder versammelt, die ich seit 2012 in den Phantastischen Miniaturen veröffentlicht habe. Diese erscheinen seit 2010 bei der Phantastischen Bibliothek Wetzlar; die meisten der bisher erschienenen siebzig Bände wurden herausgegeben von deren Gründer und Leiter Thomas Le Blanc. Ich bin seit Band 3 dabei, in 54 Miniaturenbänden vertreten und habe Band 20 herausgegeben.

Manchen der Storys merkt man ihre Entstehungszeit an, etwa wenn es um TTIP geht, das anders als in meiner Geschichte nicht in Kraft trat – ich habe aber nichts geändert oder aktualisiert, alle Texte sind so, wie sie ursprünglich veröffentlicht wurden.

Einige Geschichten finden später eine Fortsetzung, darauf weise ich dann hin. Und es gibt zwei Reihen, in denen jeweils mehrere Storys vor demselben Hintergrund spielen: zehn Geschichten um die Kriminalistin Melanie Winter, die in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts aktiv ist, und zehn Storys um die Karl-May-Akademie für Improvisation und Einfallsreichtum (KAI), angesiedelt etwa zwischen 2300 und 2600.

Das Spektrum reicht von Science-Fiction über klassische Fantasy und Vampirgeschichten bis zu Märchen, Satire und Liedern. Dies zu schreiben hat mir viel Spaß gemacht; ich wünsche Ihnen bei der Lektüre ebenso viel Vergnügen.

Die grüne Seite des Mondes

Das giftgrüne Licht des Mondes überstrahlte alles. Giftgrün war in diesem Licht auch das Gesicht von Maria, seiner Ex. Toni zog sie in den Schatten eines Baumes, ehe er flüsterte: »Was ist so dringend, dass du mich sprechen musst? Du weißt, dass ich mit der Sache nichts mehr zu tun haben möchte!« Maria antwortete leise: »Ich weiß, dass du ausgestiegen bist. Aber wir brauchen dich. Wir haben es geschafft, in das Netzwerk der Energieriesen einzudringen. Und du bist der Einzige, der den inneren Code knacken kann.« Toni schauderte. Sie hatten es geschafft?

»Es hat viel Arbeit und mehrere Leben gekostet«, fuhr sie fort. »Deshalb musst du uns jetzt helfen. Wahrscheinlich ist das die einzige Chance, jemals etwas gegen die böse Seite des Mondes auszurichten!«

Die böse Seite des Mondes! Toni erinnerte sich noch gut an die Zeit, als der Mond nichts war als ein harmloser Himmelskörper, von romantischen Pärchen gerne genutzt als Leuchte über ihren gefühlvollen Stunden. Doch seit die Energieriesen sich dort häuslich niedergelassen und die sichtbare Seite des Mondes mit ihren Kraftwerken bebaut hatten, war von der Romantik nicht viel übrig geblieben. Das giftgrüne Licht der riesigen Kraftwerke war selbst beim besten Willen kaum als poetisch einzustufen.

Toni erinnerte sich auch gut an die ebenso fruchtlosen wie heißen Diskussionen darüber, wer schuld gewesen sei an dem Desaster. Natürlich war es auch die Betonkanzlerin Merkel gewesen, die mit ihren missglückten Aktionen rund um die Energiewende den Einfluss der Energiekonzerne letztendlich nur gesteigert hatte. Doch auch ihr zu Recht nahezu vergessener Wirtschaftsminister und der Alibi-Umweltminister ihrer Koalition hatten viel dazu beigetragen. Vor allem aber waren es Investoren gewesen, die die Chance genutzt hatten, politischen wie wirtschaftlichen Einfluss zu gewinnen. Mit nahezu unbegrenzten Mitteln und einer skrupellosen Agenda hatten die Energieunternehmen still und heimlich, an jeder demokratischen Entscheidung vorbei, die Kraftwerke auf dem Mond gebaut. Und als sie dann ihre Kraftwerke auf der Erde abgeschaltet hatten, waren fast alle von ihnen abhängig. In den Pseudo-Demokratien Europas und Amerikas herrschten sie hinter den Kulissen, freie Kraftwerke waren verboten, ihre Betreiber wurden verfolgt. Die Herrscher in den arabischen Theokratien und in Afrika konnten sich auch nur erlauben, was ihnen die Stromwirtschaft gestattete, abgesehen von jenen wenigen Scheichs und Königen, die dort investiert und auf dem Mond gebaut hatten. Nur China war wirklich unabhängig geblieben und hatte seine Energieversorgung auf eigene Füße gestellt. Doch wie lange die Volksrepublik ein unabhängiger Staat bleiben würde, war fraglich: Die ESA, die weltweit agierende Energie-Sicherungs-Agentur, der Geheimdienst der Energieriesen, arbeitete fleißig daran, Chinas Unabhängigkeit zu zerstören. Den Konzernbossen war es egal, welches System wo herrschte und wie es um die Menschenrechte stand, solange genug konsumiert, solange ihr Strom gekauft wurde.

Und nun wollte es die Gruppe um Maria geschafft haben? Toni hatte sich aus der ABM, der Armee zur Befreiung des Mondes, zurückgezogen, als er keine Chance mehr sah, jemals an die Daten auf dem Mond zu kommen. Er war der beste Hacker in der Untergrundbewegung gewesen, aber er hatte den Mut verloren. Nun sollte es möglich sein, das System zu stürzen?

»Was soll ich tun?«, fragte er Maria.

»Du bist der Einzige, der den inneren Code knacken und alles auf einen Schlag ausschalten kann. Wenn die Energie auf dem Mond versiegt, dann werden die Schutzmechanismen versagen, die sie vor dem Vakuum schützen.«

»Und Hunderte von Menschen werden sterben!«

»Ja, und hier auf die Erde noch Zehntausende, bis eine vernünftige dezentrale Energieversorgung funktioniert. Wir haben aber in den letzten Jahren viel erreicht, es gibt zahlreiche kleine Untergrundkraftwerke: mit Wasserkraft, Solarenergie, Wind, Erdwärme … Ihre Betreiber warten nur darauf, sie anzuwerfen. Sie alle warten auf dich! Bist du dabei?«

Toni schaute von Maria zum Mond hinauf. Vor seinem inneren Auge schob sich vor den giftgrün strahlenden Himmelskörper ein anderes Bild: Zwei Kinder in Nachthemden und ein Maikäfer flogen einem wunderschönen runden, gelben Mond entgegen … »Peterchens Mondfahrt« wäre heute gänzlich unmöglich …

Wahrscheinlich würde der Mond nie so schön und poetisch erscheinen, wie Gerdt von Bassewitz ihn beschrieben hatte. Aber Toni wusste nun, dass er alles tun würde, damit der Mond wieder gelb und poetisch leuchten würde.

»Ich bin dabei!«, sagte er. »Sorgen wir für eine gute Seite des Mondes!«

Miniaturen Band 3:

Die böse Seite des Mondes (2012)

Das Schmetterhand-Manöver

»Und schon wieder ist er verschwunden!« Ratlos und auch etwas verzweifelt schaute Waffenoffizier Omara auf den Schirm. Das Schiff der Piraten war, wie jedes Mal zuvor, für einen kurzen Moment verschwunden und weit neben dem vorherigen Ort wieder aufgetaucht. Ihre Rakete war ohne Wirkung explodiert.

Kapitänin Helen W. Zuckman konnte seine Gefühle gut verstehen. Wenn es ihnen nicht mit den letzten drei Raketen gelang, das Piratenschiff abzuschießen, würde es ihnen wie allen anderen Schiffen der Solaren Föderation ergehen: Sie würden von den Piraten geentert werden. Niemand wusste, auf welchem bisher unentdeckten Zwergplaneten sich die Bande versteckt hielt, sodass man sie nicht ausräuchern konnte. Und niemand hatte bisher ein Mittel gegen ihre speziellen Waffen entwickelt: den Trick, ihr Schiff so kurz vor dem Aufprall einer Rakete oder eines Energiestrahls zu versetzen, dass es nicht beschädigt wurde, und ihre noch nicht analysierte Methode, durch jede Raumschiffwand eindringen zu können. Und noch niemand hatte mit einem der Piraten gesprochen oder einen gesehen; sie kamen, enterten ein Raumschiff, räumten es aus und ließen niemanden am Leben. Auch den schnellen Kreuzer Rigel 8 würde es wohl erwischen, wenn ihr oder jemanden aus ihrem Team nicht schnell etwas einfiel.

Helen nagte an ihrer Unterlippe. Da war etwas, was sie in ihrer Jugend gelesen hatte. Schlagartig fiel es ihr wieder ein; mit einem großen Schritt stand sie neben dem Waffenoffizier: »Lass mich etwas versuchen!« Kaum war er aufgestanden, saß sie auch schon in seinem Sessel und programmierte, so schnell sie konnte, den Waffencomputer.

»Was hast du vor?«, fragte er. Ohne zu antworten, drückte sie den Knopf zum Abschuss. Wieder machte das Piratenschiff einen Satz zur Seite – und ging in einem Flammenball auf.

Als sie später mit alkoholfreiem Sekt in der Messe auf ihren Sieg anstießen, drängten sie alle, endlich zu erklären, wie ihr der Abschuss gelungen war. Helen lehnte sich gemütlich zurück: »Ich muss etwas ausholen. Niemand von euch weiß, für was das W in meinem Namen steht. Es ist der Anfangsbuchstabe meines zweiten Vornamens: Winnetou. So nannten mich meine Eltern, weil sie große Fans eines fast vergessenen Schriftstellers aus der technischen Antike waren. Er lebte vor über dreihundert Jahren und schrieb vor allem Abenteuerromane; ich habe sie alle gelesen.

Dieser Karl May war der Held meiner jungen Jahre, oder besser gesagt seine Helden, vor allem ein Indianerhäuptling namens Winnetou und dessen Freund, ein gewisser Old Shatterhand, in dem sich Karl May selbst ein Denkmal setzen wollte. ›Old‹ war so eine Art Ehrentitel und bedeutete ›alt‹ in einer der antiken Sprachen, es hatte aber nichts mit dem Alter zu tun, sondern mit besonderen Leistungen oder Fähigkeiten. ›Shatterhand‹ heißt ›Schmetterhand‹, weil dieser Mensch mit einem Schlag einen anderen bewusstlos schlagen konnte.

Im Buch ›Weihnacht im Wilden Westen‹ musste Old Shatterhand in einem Zweikampf mit zwei Wurfbeilen gegen einen Indianerhäuptling antreten, und er wusste, dass dieser wahrscheinlich entgegen der Abmachung zur Seite springen würde. Er sorgte dafür, dass sein Gegner einen Baum an einer Seite hatte, also nur nach der anderen ausweichen konnte, und schleuderte seine beiden Beile so, dass der Häuptling, als er dem ersten auswich, direkt in das zweite rannte.«

Sie zückte ihren Kommunikator: »Ich habe das Werk von Karl May immer dabei. So lobt man Old Shatterhand nach seinem Sieg: ›Wer von euch hat schon einmal gesehen, dass ein Krieger zwei Kriegsbeile wirft, um mit dem einen das Auge des Feindes zu fesseln und mit dem andern dann um so sicherer seinen Leib zu treffen?‹

Ich habe erkannt, dass das Schiff der Piraten immer in einer ganz bestimmten Entfernung wieder aufgetaucht ist, und stets in einem von zwei bestimmten Winkeln. Also habe ich unsere letzten drei Raketen abgefeuert: eine auf das Schiff direkt, die anderen auf die beiden von mir berechneten Ausweichpunkte. Dieses Manöver sollte in Zukunft allen unseren Schiffen ermöglichen, mit den Piraten fertig zu werden. Und jetzt entschuldigt mich, ich muss einen Bericht an das Flottenkommando schicken.«

Ihr Steuermann lächelte sie an: »Dann solltest du dem Manöver aber auch gleich einen guten Namen geben.«

Helen lächelte zurück: »Darüber habe ich schon nachgedacht. Es nach Karl May zu benennen, was er verdient hätte, bringt nichts, den Namen kennt zumindest jetzt noch niemand. Ich werde es nach seinem Helden nennen: das Schmetterhand-Manöver.«

KAI, Jahr 2297

Miniaturen Band 4:

Auf sehr fremden Pfaden (04/2013)

Unverwundbarkeit

Kapitän Julius Blume rückte nervös seine Mütze zurecht, dann hob er zögernd die Hand, um anzuklopfen. Er hatte keine Ahnung, wer oder was ihn hinter dieser Tür erwartete, aber dass man ihn ins regionale Hauptquartier der Admiralität bestellt hatte, machte ihm Sorgen – wegen einer Bagatelle, wie er fand.

Die Frau in dem schmucklosen Raum erkannte er zunächst nicht; ihn irritierte die Zivilkleidung. Als sie aufstand, um ihn zu begrüßen, erschrak er – und brachte keinen Ton heraus. Er stand vor einer lebenden Legende, und da sie in Zivil war, wusste er nicht, wie er sie anreden sollte. Helen W. Zuckman, die Erfinderin des Schmetterhand-Manövers, hatte später auch die Basis der Piraten gefunden, indem sie eines ihrer Schiffe mithilfe von Infraschallkanonen erobert hatte: Sie hatte die Besatzung ganz nach dem Vorbild von Old Shatterhand mit einem Schlag betäubt. Erst kürzlich hatte sie ihren Admiralsposten im obersten Flottenstab aufgegeben, wegen einer neuen Mission, hieß es.

»Setzen Sie sich«, sagte sie freundlich. Er kam ihrer Aufforderung nach, verwirrt und sprachlos, und nahm verlegen die Mütze ab.

»Ich nehme an, Sie wissen, wer ich bin, Kapitän«, fuhr sie fort, »und auch, weswegen Sie hier sind.«

»Es tut mir leid«, antwortete er. »Das zweite weiß ich nicht; wieso macht man von einem unbedeutenden Einbruch solch ein Aufhebens?«

»Der Einbruch interessiert mich wenig, aber was Sie in dem Lager gemacht haben. Von Ihrer Darstellung hängt es ab, ob Sie unehrenhaft entlassen oder vielleicht sogar befördert werden. Also erzählen Sie!«

Blume konzentrierte sich. »Sie wissen, dass wir als Beobachtungsteam auf Ardanist eingesetzt waren, um herauszufinden, was die Aufstände verursacht hatte und ob die Föderation dagegen etwas tun könnte – natürlich inoffiziell. Anders als geplant wurden wir von der Regierung des Zwergplaneten aber offiziell mit einbezogen und als Druckmittel verwendet. Plötzlich befanden wir uns in der unangenehmen Situation, den Aufständischen beweisen zu müssen, dass wir ihnen auf jeden Fall überlegen wären – und das ohne Blutvergießen. Da fiel mir ein Trick von Kara Ben Nemsi ein, den Karl May beschreibt.«

Zuckman lehnte sich entspannt zurück. »Ich kann mir denken, worauf Sie anspielen, aber erläutern Sie es bitte!«

»Als Sie das Schmetterhand-Manöver erfanden, begann ich gerade mit der Akademie. Ich habe während des ersten Ausbildungsjahres alles von Karl May gelesen; mir gefielen die Orient-Abenteuer erheblich besser als die im Wilden Westen, und auf Ardanist erinnerte ich mich an eine Geschichte aus ›Durch das Land der Skipetaren‹. Kara Ben Nemsi, also Karl Mays Alter Ego, überzeugt die Bevölkerung und vor allem seine Gegner davon, dass er und seine Gefährten kugelfest seien, indem er ihnen Kugeln unterschiebt, die aus einer Legierung von Wismut und Quecksilber bestehen und vor dem Lauf auseinanderfliegen. Wir sind in ein Munitionslager der Aufständischen eingebrochen und haben teilweise deren Munition gegen eine ähnliche, verbesserte Legierung ausgetauscht. Und am nächsten Tag haben wir ihnen vorgeführt, dass die Soldaten der Solaren Föderation kugelfest sind. Die Waffenstillstandsverhandlungen waren danach schnell abgeschlossen, wir hatten aber gehofft, dass der Diebstahl unbemerkt bliebe.«

Zuckman erhob sich.

»Da haben Sie sich leider getäuscht; vielleicht sollten wir die Ausbildung um den Punkt Einbruch erweitern oder zumindest Fachleute auf diesem Gebiet auf jedes Raumschiff schicken. Sie werden auf jeden Fall demnächst ein größeres Schiff befehligen; Leute mit Ihrer Fantasie und Ihrem Trickreichtum können wir gebrauchen. Meinen Glückwunsch zur Beförderung.«

Sie reichte ihm die Hand. »Und wenn Sie zwischendurch mal Zeit haben oder irgendwann keine Lust mehr auf den aktiven Dienst, dann würde ich mich freuen, Sie als Dozenten in dem Institut begrüßen zu dürfen, das ich derzeit begründe: in der Karl-May-Akademie für Improvisation und Einfallsreichtum.«

KAI, Jahr 2312

Miniaturen Band 4: Auf sehr fremden Pfaden (04/2013)

Die Schule der Improvisation

Marah Hanneh Freything war nervös. Als Enkelin der Gründerin der Karl-May-Akademie für Improvisation und Einfallsreichtum sollte sie wissen, was sie erwartete; aber als junge Volontärin des größten Nachrichtenkonzerns der Solaren Föderation war sie sich nur zu gut bewusst, dass sie diesen Auftrag nur genau wegen dieser Abstammung bekommen hatte – und weil im Verlag bekannt war, dass niemand dort sich auch nur annähernd so gut mit den Geschichten des berühmten Schriftstellers der technischen Antike auskannte. Sie kannte sie alle, und sie hatte sie nicht nur deshalb wieder und wieder verschlungen, weil ihre Eltern sie nach zwei der bekannteren Frauen aus Mays Werk benannt hatten, sondern weil ihre Großmutter sie mit der Begeisterung für Mays Werk angesteckt hatte. Schon ehe sie lesen konnte, hatte sie oft auf dem Schoß der berühmten Raumfahrerin gesessen, die ihr die schönsten und spannendsten Stellen kindgerecht nahe brachte. Im Gegensatz zu den meisten Menschen, die Mays Geschichten und Figuren nur durch die in den letzten Jahrzehnten immer zahlreicher gewordenen Holofilme und -serien kannten, waren sie Marah in der originalen Darstellung vertraut. Und aus all diesen Gründen hatte man sie beauftragt, den Bericht zum fünfzigjährigen Jubiläum der Akademie zu verfassen.

Sie lächelte und versuchte, ihre Nervosität zu verbergen, als aus dem Paternoster neben der Empfangstheke ein älterer Mann heraus und auf sie zutrat. Man sah ihm in Haltung und Schrittweise immer noch den Militär an, der er vor Übernahme der Leitung der Akademie gewesen war; sie erkannte ihn sofort aufgrund der Fotos.

»Meine Liebe, ich freue mich, Sie hier begrüßen zu dürfen, und hoffe, dass Sie zwar neutral und objektiv, aber aufgrund ihrer verwandtschaftlichen Verbundenheit doch wohlwollend über unsere Institution berichten werden.« Sein warmes Lächeln ließ Marahs Nervosität auf einen Schlag verschwinden; sie ergriff die dargebotene Hand: »Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Aber es überrascht mich, dass Sie als Rektor mich persönlich begrüßen, Admiral Blume.«

»Ex-Admiral, bitte, und sagen Sie Herr Blume, oder auch einfach Julius. Ihre Großmutter hat so viel von Ihnen erzählt, dass ich den Eindruck habe, ich würde die Enkelin meiner alten Freundin und Mentorin schon lange persönlich kennen. Und deshalb kann ich Sie doch niemandem sonst überlassen. Aber nun folgen Sie mir, Marah, wir gehen erst in mein Büro, und dann gibt es eine ausführliche Führung.«

Nachdem Marah in Blumes Büro nicht nur ausführlich über die Geschichte der Akademie informiert worden war, sondern zu ihrer großen Freude auch ein langes Exklusivinterview mit dem Rektor führen durfte, zeigte er ihr die verschiedenen Abteilungen. Als er ihre Begeisterung bemerkte, bot er ihr an, ein paar Tage zu bleiben und an den Schulungen teilzunehmen, gerne dabei auch Aufnahmen zu machen.

Und so lernte Marah an den nächsten Tagen die Gebiete kennen, auf denen besonders begabte und vielversprechende Mitglieder der Raumflotte und der Geheimdienste weitergebildet wurden: alte Kampftechniken wie das Werfen von Wurfbeil und Lasso, das Klettern an Seilen und allen Arten von Wänden, Schwimmen und Tauchen, Möglichkeiten, mit einfachsten Mitteln Geheimschriften zu verfassen und Schlösser zu knacken, den Umgang mit vielen älteren Gerätschaften und Techniken … Vor allem aber wurden die Improvisations- und Schlagfertigkeit geschult, die Fähigkeit, auf Unerwartetes und Unbekanntes mit neuen Methoden zu reagieren, ausgetretene Pfade zu verlassen, das scheinbar Unmögliche zu denken und versuchen – und nicht weniger wichtig war es zu trainieren, stets auch die Absichten des Gegenübers zu bedenken, ihm die Möglichkeit des Rückzugs und der Gesichtswahrung einzuräumen und möglichst wenig Schaden anzurichten.

Als Marah auf dem Rückflug zum Verlag ihr Material sortierte, war ihr klar, dass dieser Bericht sie in die oberste Riege der Reporter und Journalistinnen katapultieren würde; noch mehr aber freute sie, dass sie nun viel besser verstand, was ihre Großmutter beabsichtigt hatte mit der Gründung dieser Schule der Improvisation: nicht nur das Werk von Karl May zu verbreiten und bekannt zu machen, sondern vor allem seine Ideen. Angepasst an seine Zeit hatte er für Toleranz und, trotz aller Beschreibungen von Gewalt, für Friedfertigkeit geworben. Und während sich ihr Raumschiff auf den Hafen des Verlages niedersenkte, nahm sich Marah vor, während ihrer journalistischen Karriere stets für dieselben Werte zu werben.

KAI, Jahr 2362

Miniaturen Band 4:

Auf sehr fremden Pfaden (04/2013)

Mini-Demokratie

Die Entscheidung fiel sehr knapp aus. Das wunderte sie nicht; die Lage wurde ständig bedrohlicher. Seit es immer mehr neue Medikamente gab, die sie unter Druck setzten und viele von ihnen umbrachten, musste erheblich genauer abgewogen werden, wie lange man den Wirt am Leben lassen wollte, wann man sich absetzen sollte und ob es dazu überhaupt noch eine Möglichkeit gab.

Sie waren nur noch knapp hundertfünfzig Mutterzellen, die anderen hatten die Chemotherapien und Knochenmarkstransplantationen nicht überlebt, denen sich ihr Wirt unterzogen hatte.

Wie so oft in ihrem langen Leben dachte sie darüber nach, ob es eine gute Entscheidung gewesen war, statt auf Mimikry auf Symbiose zu setzen. Oft beneidete sie die Großen um ihre Freiheiten …

An die Ursprünge konnte sie sich nicht erinnern; sie kannte sie nur aus Erzählungen: wie sich ihre Vorfahren vor vielen Millionen Jahren als Variante früher Vampirfledermäuse bei den Vorfahren der Menschen eingeschlichen hatten, die damals noch eher Spitzmäusen glichen als den Menschenartigen, zu denen sie sich entwickeln sollten. Viele von ihnen schafften es, die Evolution zum Menschen hin mitzumachen, im Rahmen einer Parallelevolution die Mimikry immer weiter zu treiben, bis in die heutige Zeit. Wie viele von ihren Verwandten noch heute unter den Menschen lebten, unerkannt, als Vampire verschiedener Art und mit unterschiedlichen Fähigkeiten, wusste sie nicht. Aber die Hinweise, die sie erhielt, wenn einer ihrer Wirte durch Bücher oder Filme auf den Vampirmythos stieß, ließ sie vermuten, dass es einige geschafft hatten. Unerkannt lebten sie unter den Menschen, punktierten mit ihren Zähnen deren Adern und saugten das Blut, durch die Zähne oder durch Stacheln oder Röhren unter der Zunge oder durch die Zunge selbst … die Evolution war vielfältig und kreativ. Und sie hatten den Menschen wohl ziemlich viel Blödsinn eingeredet, um sie sich leichter zur Beute zu machen: dass sie sich von religiösen Symbolen abhalten ließen oder von Knoblauch, kein Spiegelbild hätten, Wasser und Tageslicht fürchten müssten … Da kaum einer wirklich an ihre Existenz glaubte, wurden sie auch nicht ernsthaft bekämpft.

Das sah bei ihnen, den Mini-Vampiren, leider ganz anders aus. Lange war es gut gegangen, Jahrtausende hatte niemand etwas von ihrer Existenz geahnt, niemand sie bekämpfen können. Die Entscheidung ihrer frühen Vorfahren, statt auf Mimikry auf Parasitentum zu setzen, in die Vorfahren der Menschen zu schlüpfen, immer kleiner und kleiner zu werden, war richtig gewesen und hatte ihr Überleben gesichert. Und als sie schließlich so klein geworden waren, dass sie als intelligente einzelne Zellen existieren konnten, kam die potenzielle Unsterblichkeit hinzu – während ihre großen Verwandten maximal ein paar Jahrhunderte überlebten, konnten sie als teilungsfähige Individuen ihre Existenz nahezu unbegrenzt erhalten. Natürlich mussten sie lernen, von einem auf den anderen Wirt zu wechseln, verschiedene Übertragungsarten entwickeln – mithilfe von Keimzellen, in Vaginalflüssigkeit oder Sperma, manche pflanzten sich über den Auswurf bei Infekten fort.

Vor allem aber lernten sie, wann es besser war, statt als Parasiten als Symbionten zu leben. Doch während die großen Vampire stets einzeln die Entscheidung trafen, ob sie ein Opfer töten oder am Leben lassen wollten, mussten sie, die Mini-Vampire, sich einigen. Denn es genügte ja, dass einige wenige aggressiv wurden, um »ihren« Menschen zu töten. Und wenn sie dann nicht rechtzeitig für einen Übertragungsweg gesorgt hatten, war es aus mit denen, die darin hausten.

Im Laufe der Zeit hatten sich verschiedene Kulturen entwickelt; Leukämie-Vampire gingen anders mit ihren Wirten um als Myelom- oder Lymphom-Stammzellen, und selbst innerhalb einer Krebsart gab es verschieden aggressive Stämme, was sich bei betroffenen Menschen dann in akuter oder chronischer Form zeigte und deren Sterblichkeit stark beeinflusste.

Leider aber hatten die Menschen in den letzten Jahrzehnten dazugelernt: bessere Chemo- und Strahlentherapien entwickelt, neue Formen der Stammzelltransplantationen, Zytostatika, monoklonale Antikörper und enzymhemmende Medikamente, immunmodulierende oder -supprimierende und das Zellwachstum beeinflussende Substanzen – zu viel, als dass sie sich darauf immer rechtzeitig einstellen konnten.

Deshalb wurde nun über die zukünftige Strategie diskutiert wie seit Jahrhunderten nicht mehr. Bisher konnte sie sich mit ihrer Auffassung durchsetzen, dass es am klügsten wäre, sich bei harten Angriffen im Knochenmark zu verstecken, um später wieder hervorzubrechen und irgendwann für eine Übertragung auf einen jüngeren Menschen zu sorgen. Sie hoffte, dass sich die Heißsporne, die jüngeren Vampire, an den Beschluss halten würden. Denn wozu sonst war Demokratie gut?

Miniaturen Band 5:

Nanowelten (09/2013)

Aufbruch, Acryl auf Leinwand, 2013

Rote Ritter

Der rote Ritter legte seine Lanze ein und galoppierte auf das Monster zu. Dieses erhob sich zu voller Größe, die giftigen Tentakel schlugen nach ihm, doch es gelang ihm, ihnen auszuweichen und die Lanze in das Zentrum, den Kern des Monsters zu stechen. Es brach zusammen und begann sich aufzulösen.

Das Pferd des Ritters strauchelte, er wusste, dass ihm nicht viel Zeit blieb. Er drehte sich um und versuchte, die Lage einzuschätzen. Von den Tausenden roter Ritter, die ausgezogen waren, die Monster zu bekämpfen, waren nur noch wenige übrig. Aber auch die Zahl der gefährlichen Kreaturen war erheblich reduziert. Die Ritter hatten erfolgreich gewütet und waren ihrer Aufgabe fast gerecht geworden. Dennoch verspürte er den unaufhaltsamen Drang, weiterzumachen. Er wusste, seine Kräfte ließen nach, ebenso wie die seines Pferdes, doch das spielte keine Rolle. Keiner von ihnen würde zurückkehren; er hatte nicht einmal eine Vorstellung davon, wohin oder was »zurück« bedeuten konnte. Sie waren hier, um Monster zu erschlagen, das alleine zählte, und mit jedem erschlagenen Gegner wuchs die Befriedigung, die Aufgabe gut erledigt zu haben.

Die nächsten beiden tentakelbewehrten Kreaturen konnte er noch bezwingen, ehe er, zunehmend geschwächt, von einer giftigen Tentakelspitze tödlich getroffen wurde.

»Diese Variante hat sich bisher am besten bewährt.« Doktor Susanne Schmidt deutete auf die Darstellung verschiedener farbiger stachelbewehrter Zellen auf der Leinwand und wandte sich wieder ihrem Publikum zu.

»Seit wir in der Lage sind, unsere Nano-Zellbekämpfer mit einem minimalen Pseudo-Bewusstsein auszustatten, arbeiten sie weit zielbewusster und effektiver. Die ›Roten Ritter‹ haben die Krebszellen im Blut unserer Patientin erheblich reduziert, weitaus mehr, als eine Chemo- oder Strahlentherapie es vermocht hätte. Die nächste Injektion dürfte sie nahezu auf Null bringen. Und seitdem wir das STED-Mikroskop auf Mikrogröße reduziert haben, können wir das Handeln unserer Nanoroboter direkt verfolgen; deshalb färben wir sie ja auch ein.«

Auf der Leinwand erschien die Darstellung eines Lichtwellenleiters mit einer kleinen Linse am Ende, darunter stand:

STED, Mikrofaserausführung, basierend auf dem ›Stimulated Emission Depletion Microscope‹, entwickelt von Stefan Hell, Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie Göttingen – derzeitige Auflösung bis zu 5 Nanometer.

Doktor Schmidt fuhr dort: »Früher mussten wir entweder aufgrund von Blutuntersuchungen abschätzen, was geschehen sein könnte, oder totes Gewebe, tote Zellen im Rasterkraftmikroskop untersuchen.«

Das Bild auf der Leinwand wechselte; unter dem abgebildeten Gerät stand:

Rasterkraftmikroskop, entwickelt 1986, Auflösungen bis unter 1 Nanometer, Weiterentwicklung des Rastertunnelmikroskops (RTM, seit 1981), basiert auf Quanteneffekten, Nobelpreis für Physik 1986 für Gerd Binnig, Deutschland, und Heinrich Rohrer, Schweiz

»Heutzutage beobachten wir die Wirkung unserer medizinischen Nanoroboter in Echtzeit«, erläuterte Doktor Schmidt und zeigte auf die Leinwand, auf der man sehen konnte, wie rötlich gefärbte künstliche Zellen mit spitzen Auswüchsen amöbenähnliche Krebszellen zerstörten.

»Die grünen und blauen ›Ritter‹ waren bei Weitem nicht so erfolgreich, doch die roten sind ein echter Fortschritt. Unsere Studien zeigen, dass es praktisch keine Nebenwirkungen gibt, sodass wir hoffen, dass das Verfahren in ein bis zwei Jahren zugelassen und in die medizinischen Leitlinien für hämatologisch-onkologische Erkrankungen aufgenommen wird.

Zumindest für alle Krebsarten, bei denen es um nicht solide Tumore geht, dürften unsere ›Ritter‹ Möglichkeiten bieten, diese schnell und nebenwirkungsarm zu bekämpfen. Um im Bild zu bleiben: Wir können Ritter entwickeln, die in ihrem Pseudo-Bewusstsein ein ausreichendes und doch flexibles Bild ihrer Gegner haben, und je nach Krankheit und individueller Situation passen wir ihre Waffen an, von der Lanze bis zum Schwert oder dem Morgenstern.«

Als der stürmische Applaus verklungen und die wichtigsten Fragen beantwortet waren, meldete sich zum Schluss noch ein renommierter Krebsforscher zu Wort: »Wir müssen uns ja nicht beschränken auf die Variation von Farben und Waffen – wenn sie uns zu langsam sind, dann lassen wir sie sich einbilden, sie seien Motorradfahrer!«

Hommage an Norman Spinrad

in Erinnerung an dessen Geschichte »Carcinoma Angels« (1967)

Miniaturen Band 5: Nanowelten (09/2013);

auch in: Nanotechnische Ideen in der Science-Fiction-Literatur,

hrsg. von Hessen Trade & Invest GmbH, Wiesbaden 2014/2019;

als »Red Knights« in: Nanotech Ideas in Science-Fiction-Literature. Ed. by NANORA, the Nano Regions Alliance, Wiesbaden 2014,

erschienen 2015 – übersetzt von Klaudia Seibel

Old Nose

Detektiv Maier konnte nur noch den Kopf schütteln. Da hatte man ihnen diesen angeblichen Superbullen geschickt, damit er den Raub des Jahrzehnts aufklärte, und anstatt mit modernsten Geräten zu arbeiten, schnüffelte der am Tatort rum – im wahrsten Sinne des Wortes. Seine extrem lange Nase hielt er nahe an die Vitrinen, zog tief die Luft ein, oft mit geschlossenen Augen – Maier konnte es nicht mehr ertragen. Er verließ den Keller und ging in sein Büro, um noch einmal die Aussagen der Verdächtigen durchzugehen. Es war eine Katastrophe! Seit der Eröffnung der Ausstellung im Frühjahr 2448 hatte der »Jüdische Schatz« fast ein Jahr lang die Massen in die Alte Synagoge nach Erfurt gelockt – vierhundertfünfzig Jahre, nachdem er im Rahmen einer Baumaßnahme gefunden worden war. Und nun, drei Tage vor der Finissage am 21. März, genau tausendeinhundert Jahre nach dem Pestpogrom, das der Besitzer, der Geldverleiher und Bankier Kalman von Wiehe, wohl nicht überlebt hatte, waren zwei wertvolle Stücke gestohlen worden!

Dabei sollte das unmöglich sein. Das »Solare Kulturerbe Erfurt« bestand aus der alten Synagoge, einem jüdischen Ritualbad, Mikwe genannt, einer bebauten Brücke und einem ehemaligen Kloster, in dem ein berühmter Kirchenmann gewohnt haben sollte – Maier konnte und wollte sich die historischen Einzelheiten nicht merken. Ihn interessierte nur die Sicherheit, und die hatte er bisher als garantiert angesehen.

Erfurt war, wie die meisten alten Städte in Europa, nur noch Touristenattraktion, viele Menschen hatten sich längst auf Planeten und Asteroiden unbelastetere Wohngebiete gesucht. Wer das Kulturerbe besichtigen wollte, wurde genauestens überprüft, mit und nach allen Arten von Strahlung, auf Waffen, verborgene Gegenstände und gefährliche Organismen … Und doch war es irgendwem gelungen, unbemerkt im Keller der Alten Synagoge zwei Schmuckstücke aus den Vitrinen zu entfernen – und zu verbergen. Bis jetzt hatte man sie nicht gefunden – in diesen alten Gemäuern, zwischen elfhundertfünfzig und über dreizehnhundert Jahre alt, waren viele moderne Techniken nicht zulässig oder möglich.

Drei Verdächtige saßen in Haft, wurden befragt, beobachtet, durchleuchtet – ohne Ergebnis. Ihre Vergangenheit ergab keine Hinweise, weder auf eine kriminelle Vergangenheit noch dergleichen Kontakte. Dabei war das sicher ein Auftragsraub – zu gezielt waren die Kleinodien ausgewählt worden: der berühmte goldene Hochzeitsring mit dem Miniaturtempel als Ringkopf und den ineinandergelegten Händen, die sich in Drachen verwandelten, und eine mit Perlen und roten Granaten besetzte Brosche, geformt wie Pfeil und Bogen, mit dem Anfang eines Minnegedichts. Wollte der Auftraggeber seiner Geliebten etwas Besonderes zukommen lassen? Oder war es einer der drei Verdächtigen? Wie aber sollte Maier den herausfinden?

Sein Mobilon meldete sich; er sah und hörte den Superschnüffler. »Kommen Sie bitte mal in den Keller!«

Während er hinabstieg, wurde Maier bewusst, dass er nichts über den Mann wusste, nicht einmal seinen Namen. Er war Geheimpolizist für besondere Fälle, ausgebildet an der und tätig für die Karl-May-Akademie für Improvisation und Einfallsreichtum. Ob das ihm hier helfen würde?

»Ich glaube, wir können unseren Täter überführen.« Der Akademiebulle stand direkt vor einer Mauer.

»Sie haben erzählt, dass die drei jeweils für etwa zehn Minuten alleine hier unten waren; sie waren die Einzigen, die Zeit gehabt hätten, etwas hier auszurichten.«

»Ja, und für die Kameras gibt es hier leider tote Winkel.«

»Alle drei tragen Eheringe, mit den so modern gewordenen Kunstdiamanten. Jeder könnte also das Glas der Vitrinen aufgeschnitten haben. Die Frage war, wo hat der Täter die Schmuckstücke versteckt?«

Er wies auf die Mauer: »Hier ist eine Stelle, an der etwas frischer Mörtel aufgetragen wurde. Wir sollten ihn entfernen.«

Maier schaute seinen Kollegen ratlos an. »Ich sehe nichts, wie kommen Sie darauf?«

»Riechen Sie!«

Maier führte seine Nase direkt an die Mauer heran, konnte aber nichts Besonderes ausmachen.

»Sie haben sich sicher schon innerlich über meine Nase amüsiert. Ihr verdanke ich meinen Tarnnamen: ›Old Nose‹. Und die meisten meiner Erfolge.« Vorsichtig kratzte der Detektiv mit einem Messerchen den frischen Mörtel aus der Wand; zum Vorschein kam ein Tuch, in das erkennbar zwei kleine Gegenstände eingeschlagen waren. Old Nose übergab es Maier.

»Früher hätten wir spätestens jetzt Spürhunde dazu geholt. Aber seit der großen animalischen Pandemie vor fünfzig Jahren gibt es keine mehr. Ich bin froh darüber, dadurch habe ich mehr zu tun. Lassen Sie uns zu den Verdächtigen gehen; der Geruch des frischen Mörtels wird den Täter verraten!«

KAI, Jahr 2449

Miniaturen Band 6:

Das Universum der Düfte (12/2013)

Verlorener Brandschutz

»Ich hätte nie gedacht, dass so etwas möglich ist!« Der hochgewachsene Mann mittleren Alters mit der langen Nase schüttelte zum wiederholten Male den Kopf, nickte dann der jungen Frau am Tischende zu. »Das war wirklich eine Meisterleistung – und jetzt sollten wir beschließen, was zu tun ist.«

Die dritte Person im Raum, ein alter Mann im Rollstuhl, meldete sich zu Wort: »Ich wäre dir dankbar, alter Nasenbär, wenn du mit deinen Lobeshymnen aufhören und mir mehr als eine kurze Zusammenfassung geben würdest, damit ich mitreden kann.«

Old Nose, so genannt sowohl wegen seines ausgeprägten Geruchsorgans wie des darin beheimateten hervorragenden Geruchssinnes, setzte sich und nickte. »Du weißt, dass Diana ihre Doktorarbeit über alte Mythen geschrieben hat, deren Ursprünge und ihre Verankerung in der Realität. Dabei hat sie sich besonders auf die Mythen der technischen Antike gestürzt.«

Diana ergriff das Wort: »Vom 19. bis ins 21. Jahrhundert waren besonders Geschichten über Vampire beliebt. Bei meinen Recherchen bin ich darauf gestoßen, dass es zu diesen, im Gegensatz zu vielen anderen übernatürlichen Kreaturen, erstaunlich viel Material gibt, das auf echte Vampirerscheinungen hindeutet.«

Ein junger Mann betrat den Raum, legte eine Mappe auf den Tisch und setzte sich. »Danke, Marius!« Diana nickte ihm zu und schlug die Mappe auf. »Hier habe ich meine Ergebnisse zusammengefasst, aus Sicherheitsgründen habe ich nichts online verschickt.« Sie gab jedem ein paar zusammengeheftete Blätter.

»Ich gehe von der Hypothese aus, dass es Wesen gibt, die unter uns leben und uns aussaugen. Wahrscheinlich haben sich Verwandte der Fledermausvorfahren zur Zeit der Insektivoren in die Gruppen unserer Vorfahren eingeschlichen, wie Ameisengäste, die in den Nestern der Ameisen leben, denen sie ähneln – das nennt man Mimese. Und sie haben sich im Rahmen einer Ko-Evolution mit uns weiter entwickelt. Im Lauf der Zeit haben sie uns Mythen in die Köpfe gesetzt, die uns auf falsche Fährten locken sollten, wahrscheinlich schon seit Jahrtausenden, wie beispielsweise mithilfe von John Polidori und Abraham Stoker, die mit ihren Geschichten die Vampirvorstellungen im 19. und 20. Jahrhundert geprägt haben. Es sieht so aus, dass sie dabei von Vampiren gelenkt wurden, die ihnen angebliche Geheimnisse eröffneten. Ähnliches scheint immer wieder passiert zu sein, bis zur Zeit der Fernsehserien, des Internets und der Holofilme. Und dann waren sie plötzlich weg.«

Der junge Mann ergriff das Wort. »Diana bat mich um meine Hilfe als Naturwissenschaftler. Sie hatte entdeckt, dass im späten 21. Jahrhundert, als Vampire nahezu komplett aus der populären Kultur verschwanden, gleichzeitig ein enormer Handel mit einer Nanosubstanz begann, deren Nutzen sie nicht entdecken konnte. Ich fand heraus, dass diese Substanz Bestandteil eines hervorragenden Sonnenschutzmittels ist, das nicht auffällt und UV-Strahlen praktisch komplett abhält.«

»Und deshalb verschwanden die Vampire scheinbar«, übernahm wieder Diana. »Sie hatten es nicht mehr nötig, sich zu verstecken oder ablenkende Mythen zu produzieren.«

»Seit wann sind sie wieder da?«, fragte der Mann im Rollstuhl.

Diana blinzelte. Wie stets verblüffte der Leiter der Karl-May-Akademie für Improvisation und Einfallsreichtum sie mit seinen Gedankengängen. Er lächelte ihr zu: »Das war naheliegend. Also was ist los?«

Diana räusperte sich. »Seit etwa zwei Jahren kommt es zu Selbstentzündungen von Menschen; sie zerfallen zu Asche, es bleibt kein analysierbarer Rest. Das passiert stets auf Planeten, auf die die erwähnte Nanosubstanz wegen der neuen Umweltbedingungen nur noch in leicht modifizierter Form importiert wird. Das aber ist der Öffentlichkeit nicht bekannt.«

Der alte Mann nickte. »Ihr meint, die Vampire hätten ihren Brandschutz verloren durch die geänderte Rezeptur? Dass sie im Sonnenlicht in Flammen aufgehen?«

»Das vermuten wir«, nickte Marius.

Old Nose mischte sich ein. »Dann sollten wir handeln, ehe sie merken, was los ist, und sich wieder verbergen. Wir werden den Austausch der Substanz auf allen Planeten beschleunigen und recherchieren, wer sich dafür interessiert. Die Vampire, die überleben, müssen sich wohl wieder vor Sonnenlicht hüten; das sollte auffallen. Und wir sollten versuchen, eine Methode der Identifikation zu finden.«

Er sah den Akademieleiter bittend an, der grinste zurück: »Schon gut! Es ist offensichtlich, dass die Vampire allen technischen Identifikationsmethoden entgehen. Du kriegst deinen Willen und darfst wieder mal in einen Außeneinsatz. Das kann ich dir diesmal nicht verwehren. Du bist wahrscheinlich der Einzige, der eine Chance hat, die Vampire zu entdecken – du mit deinem unvergleichlichen Riechkolben!«

KAI, Jahr 2472

Miniaturen Band 7:

Brandschutz (03/2014)

Babelfusch

Graue Augen blitzten, lange Tentakel färbten sich grün. Mit lautem Schlurfen verließ die Gesandte von Agano 7 den Saal, der Unterhändler von Agano 5 rammte sein Messer in die Tischplatte, erhob sich auf seine fünf Stelzen und entfernte sich durch die Tür auf der anderen Seite.

Marvani schüttelte den Kopf. »Das war’s dann wohl«, seufzte sie. »Wenn die Tentakel grün sind und sie beim Laufen Geräusche erzeugen, zeigt das bei den Fünfern höchste Erregung. Und graue Augen sind bei den Siebenern das Zeichen höchster Wut. Der Krieg lässt sich wohl nicht mehr aufhalten. Aber was ist geschehen? Was haben wir falsch gemacht?«

Ratlos blickte die Leiterin der euphemistisch »Friedensmission« genannten Delegation der Vereinten Systeme die anderen an. »Es hätte nichts dergleichen geschehen dürfen! Der Babelfusch sorgte wie immer für eine einwandfreie Verständigung. Und doch muss es ein furchtbares Missverständnis gegeben haben. Wir alle haben zugehört: Es wurde nichts Provozierendes gesagt, die Vereinbarung zur gemeinsamen Nutzung der Vorkommen auf Agano 6 schien von beiden Seiten akzeptiert – und nun das!« Noch einmal seufzte sie, dann packten alle ihre Sachen. Es blieb nur, abzureisen.

Sechs Wochen später, nach vielen ermüdenden Gesprächen, Analysen und Untersuchungen, fand sich Marvani unerwartet in einem Sicherheitstrakt der höchsten Stufe wieder. Dass man ihr alle elektronischen Geräte abgenommen hatte, war zu erwarten gewesen, aber dass man ihren Babelfusch aus dem Innenohr entfernt hatte, irritierte sie sehr. Den rund 50 anderen Menschen im Raum, alle in höchsten Positionen, schien es ähnlich zu gehen, wie dem Stimmengewirr vor Beginn der Sitzung zu entnehmen war.

Am Rednerpult stand eine junge Frau, die Marvani noch nie gesehen hatte. Das Abzeichen an ihrem schlichten Kostüm wies sie als hochrangige Wissenschaftlerin der besten Denkschmiede der Vereinten Systeme aus, der Karl-May-Akademie für Improvisation und Einfallsreichtum, ihr Namensschild als Dr. Dr. A. Abeking.

Sie blickte sehr ernst. »Meine Damen und Herren, wir befinden uns in einer höchst bedrohlichen Lage. Derzeit finden ähnliche Sitzungen auf allen Zentralplaneten der VS statt, mit vergleichbaren Sicherheitsmaßnahmen – ohne elektronische Geräte und vor allem: ohne Babelfusch.«

Sie wartete, bis das erregte Raunen im Saal nachgelassen hatte.

»Ich möchte Sie daran erinnern – oder vielleicht ist es Ihnen auch neu –, wie diese nützliche Erfindung vor rund hundert Jahren gemacht wurde. Im Rahmen der in der Mitte des 25. Jahrhunderts aufgekommenen Mode, sich mit Mythen der technischen Antike zu beschäftigen, stieß Doktor Peacely in kaum noch leserlichen Überresten des Werkes eines gewissen DADAMS auf die Beschreibung eines Wesens namens BABELFUSCH, das in der Lage gewesen sein muss, über das Lesen von Gehirnwellen beliebige Sprachen zu übersetzen. Wir wissen nicht, wie unsere technisch doch noch sehr wenig entwickelten Vorfahren im 20. Jahrhundert das bewerkstelligten, und leider gingen diese Kenntnisse verloren. Doch Peacely konnte mithilfe unserer modernen Rechenanlagen den Nachbau realisieren, den Sie alle kennen und der seit rund 100 Jahren die Verständigung zwischen vielen verschiedenen Wesen im Universum ermöglicht. Leider haben wir dabei übersehen, was schon zur Zeit des Internets als Chance wie als Gefahr beschrieben wurde: Wenn genug Rechenkapazität zusammengeschaltet wird, besteht die Möglichkeit, dass sich eine künstliche Intelligenz bildet.« Doktor Abeking ließ ihren Blick über das Publikum schweifen und sah in Gesichter, in denen sich Begreifen, teilweise sogar Entsetzen spiegelte. Langsam, mit fast tonloser Stimme, sagte sie: »Dass wir in den letzten 20 Jahren immer wieder mit unseren Friedens- und diplomatischen Bemühungen scheiterten, dass es zunehmend Konflikte um Rohstoffe und Energie gibt, liegt nicht an uns und nicht an Übersetzungsfehlern der Babelfusch-Technologie. Wir konnten in den letzten Monaten nachweisen, dass gezielte Fehlübersetzungen durch Babelfusche dafür verantwortlich sind, zuletzt eine Beleidigung, die im System Agano aus einer zustimmenden Bemerkung gemacht wurde. Und wir sind einem gigantischen Netzwerk auf der Spur, bei dem die Babelfusche zahlreiche Menschen und andere intelligente Wesen steuern und für sich arbeiten lassen, um die Kontrolle über enorme Mengen an Rohstoffen und Energie zu gewinnen.«

Sie stockte erneut, dann fuhr sie entschlossen fort: »Wir wissen nicht, ob wir es mit Einzelwesen zu tun haben oder einer Gemeinschaftsintelligenz, noch was das Ziel der Babelfusche ist. Doch sind wir uns mit den herrschenden Organisationen aller intelligenten Wesen, die wir kennen, einig: Wir werden uns weder versklaven noch ausrotten lassen. Der Kampf hat begonnen!«

KAI, Jahr 2601

Miniaturen Band 8:

Rosetta 8.0 (07/2014)

Reinigung mit Folgen

Der Sieg schien sicher. Die Drachen der Ungeschlagenen Armee zerfetzten die gegnerischen Horden geradezu, ihre dummen Kampfroboter und armseligen Flugsaurier, ihre vierarmigen tölpelhaften Riesen und wurmartigen Reittiere. Ober-Generalissimus Dracovlad wollte gerade eine launige Bemerkung für die Geschichtsschreibung über ihre glänzenden Schuppen und blitzenden Zähne machen, die wie immer vor der Schlacht stundenlang poliert worden waren, so etwas wie »Gutes Aussehen war doch schon immer ein Zeichen für überragende Kampfkraft«, als plötzlich immer mehr Drachen aufhörten zu kämpfen, sich in der Luft rollten und sich überschlugen – und sich kratzten, als wären sie gegen die Luft allergisch! Sie stürzten zu Boden, ließen sich ohne Gegenwehr abschlachten – dem Ober-Generalissimus und seinem Stab gelang gerade noch die Flucht, nicht ein Drache hatte die vernichtende Niederlage überlebt.

Mit vor Wut bebender Stimme, kreidebleich und zitternd, wandte sich Dracovlad im unterirdischen Bunker an seine Untergebenen. »Was ist passiert? Was war mit den Drachen los? War das eine Geheimwaffe des Gegners? Biologische Kriegsführung? Chemische Waffen? Oder gar – Magie!?«

Ein junger Mann drängte sich vor, in seiner Hand hielt er ein Blatt Pergament.

»Es … es … es waren die Sparmaßnahmen, Oberbefehlshaber. Seit angeordnet worden ist, mit dem Drachenpergament sparsam umzugehen, müssen wir immer wieder alte Anweisungen ausradieren und das Pergament neu beschreiben. Und so ein Palimpsest ist … ist … manchmal … schwer lesbar …«

Seine Stimme war immer leiser geworden; als der Ober-Generalissimus vorsprang und ihm das Blatt entriss, fiel er vor Schreck zu Boden.

»Ich verstehe nicht«, murmelte Dracovlad, »hier steht doch nur … welcher Idiot hat das falsch abgeschrieben … das soll doch Drachenreiniger heißen … nicht … Rachenreiniger …«

Miniaturen Band 8:

Rosetta 8.0 (07/2014)

Putzfimmel

Als im Jahr 2222 die ersten dunklen Streifen am Rande des Universums erschienen, wurde das zunächst mit Messfehlern erklärt. Als sie sich immer mehr verdichteten und mit einer Geschwindigkeit näherten, die die Relativitätstheorie obsolet werden ließ, gab es monatelange Tagungen und Beratungen höchst erregter Fachleute und Militärs, die in mancher Schlägerei wegen der Unerklärlichkeit der beobachteten Phänomene gipfelte. Als die sich exponentiell steigernde Geschwindigkeit das 1000-fache der Lichtgeschwindigkeit überstieg, wurde klar, dass die Milchstraße und das Sonnensystem bedroht waren. Als die ersten Sternensysteme der Galaxis einfach so von den schwarzen Streifen verschluckt wurden, wurden die Predigten der Untergangspropheten und die Kämpfe um die »richtige« Erklärung des Phänomens immer heftiger. Als das Sonnensystem und die Erde von einem der schwarzen Streifen verschluckt wurden, wusste keiner der streitenden Menschen, was sich da ereignete.

Die Gebärerin war offensichtlich ungehalten. »Du hast schon seit Äonen nicht mehr mit deinem Puppenhaus gespielt«, fuhr sie ihre Fortpflanzungsvariation an. »Ich verstehe, dass du aus dem Alter raus bist, aber wenn du es nicht wegwerfen willst, musst du es sauber halten. Schau da hinten, in der Ecke, da hat sich schon ein ganzes Universum an Dreck angesammelt, das sieht aus, als würde da Leben sprießen. Fang damit an.«

Und sie drückte der Jüngeren einen Besen in die Hand.

Miniaturen Band 9:

Home sweet Home (11/2014)