Briefe an Moa - Jenny Fagerlund - E-Book + Hörbuch

Briefe an Moa Hörbuch

Jenny Fagerlund

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Beschreibung

Die zurückhaltende Moa, die in einem Stockholmer Auktionshaus arbeitet, hat allerhand Probleme: Ihr Freund interessiert sich nur für seine Karriere, ihre Mutter lebt nicht mehr und das Verhältnis zum Vater ist angespannt. Dann verstirbt ihre Großmutter Elsa und hinterlässt ihr einen trauernden Hund sowie eine renovierungsbedürftige Wohnung. Nach und nach jedoch entwickelt sich diese Wohnung zu Moas Zuflucht. Sie stürzt sich in das Renovierungsprojekt und erhält unterdessen immer wieder Briefe, die ihre Großmutter vor ihrem Tod an sie geschrieben hat. In diesen Briefen erteilt Elsa ihr kleine Aufträge – und lässt ihre Enkelin endlich teilhaben an ihrer dramatischen Lebensgeschichte. Indem sie sich mit den Geheimnissen ihrer Großmutter auseinandersetzt, erkennt Moa, dass die Beziehung, die sie führt, in Wirklichkeit nur darauf ausgerichtet ist, sich ihrem Freund anzupassen. Sie beginnt, sich endlich ein eigenes Leben aufzubauen, fernab von den Ansprüchen anderer.

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Zeit:8 Std. 30 min

Sprecher:Sarah Dorsel

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Die zurückhaltende Moa, die bei einem Stockholmer Auktionshaus mit Antiquitäten arbeitet, hat allerhand Probleme: Ihr Freund interessiert sich nur für seine Karriere, ihre Mutter lebt nicht mehr und das Verhältnis zum Vater ist angespannt. Dann verstirbt ihre Großmutter Elsa und hinterlässt ihr einen trauernden Hund sowie eine renovierungsbedürftige Wohnung.

Nach und nach jedoch entwickelt sich diese Wohnung zu Moas Zuflucht. Sie stürzt sich in das Renovierungsprojekt und erhält unterdessen immer wieder Briefe, die ihre Großmutter vor ihrem Tod an sie geschrieben hat. In diesen Briefen erteilt Elsa ihr kleine Aufträge – und lässt ihre Enkelin endlich teilhaben an ihrer dramatischen Lebensgeschichte. Indem sie sich mit den Geheimnissen ihrer Großmutter auseinandersetzt, erkennt Moa, dass die Beziehung, die sie führt, in Wirklichkeit nur darauf ausgerichtet ist, sich ihrem Freund anzupassen. Sie beginnt, sich endlich ein eigenes Leben aufzubauen, fernab von den Ansprüchen anderer …

© Kajsa Göransson

JENNY FAGERLUND

wurde 1979 geboren und lebt mit ihrem Ehemann und vier Kindern in Stockholm. Sie arbeitet als freie Journalistin und hat bereits fünf Romane veröffentlicht, bei DuMont erschien zuletzt »24 gute Taten« (2020).

ALINA BECKER

studierte Anglistik, Skandinavistik und Literaturübersetzen. Sie übersetzt Romane und Sachbücher aus dem Englischen, Schwedischen und Dänischen, u.a. von Karl Eidem, Jale Poljarevius und Sharon Falsetto.

JENNY FAGERLUND

Briefe an Moa

Roman

Aus dem Schwedischenvon Alina Becker

Von Jenny Fagerlund ist bei DuMont außerdem erschienen:

24 gute Taten

Die schwedische Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel ›Mitt hemliga liv‹ bei Norstedts, Stockholm.

© Jenny Fagerlund 2020 by agreement with Enberg Agency

eBook 2022

© 2022 für die deutsche Ausgabe: DuMont Buchverlag, Köln

Alle Rechte vorbehalten

Übersetzung: Alina Becker

Umschlaggestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln

Umschlagabbildung: © Katinka Reinke

Satz: Angelika Kudella, Köln

eBook-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck

ISBN eBook 978-3-8321-7137-7

www.dumont-buchverlag.de

KAPITEL 1

Der Schlüssel klemmte ein wenig und Moa musste einige Male ruckeln, bis sie ihn vollständig drehen konnte. Wie seltsam es sich anfühlte, wieder hier zu sein, vor der Tür zu stehen und zu wissen, dass niemand auf den Flur hinaustreten und sie in Empfang nehmen würde. Die Wohnung gehörte jetzt ihr, so überraschend die Erbschaft auch gewesen war. Natürlich hatte sie gehofft, ein paar Andenken an ihre Großmutter zu ergattern, aber mit einer komplett möblierten Wohnung in Södermalm, mitten in der Stockholmer Innenstadt, hatte sie nicht gerechnet.

Moa zögerte einen Moment, bevor sie die Türklinke hinunterdrückte. Der Lavendelduft, der ihr entgegenschlug, war so vertraut, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen. Vorsichtig zog sie sich die Schuhe aus. Sie landeten neben einem Paar wohlbekannter gestreifter Pantoffeln. Alles war genau, wie sie es in Erinnerung hatte. Einfach alles. Großmutters dünne rote Windjacke, die sie immer beim Spazierengehen mit ihrer Hündin Iris getragen hatte, hing an einem Kleiderhaken. Auf der Garderobe lagen mehrere Hüte. Sie unterschieden sich in Form und Material, waren aber alle gleichermaßen elegant und zeugten vom guten Geschmack ihrer Oma.

Ihr erster Gang führte Moa in die Küche. Auch hier war alles an seinem Platz. Die Teekanne stand auf dem Herd, als wartete sie darauf, dass jemand sie mit Wasser befüllte. Ein paar gespülte und längst getrocknete Tassen lagen im Abtropfgestell. Moa strich mit der Hand über die rot geblümte Wachsdecke auf dem Küchentisch. Als sie die Augen schloss, meinte sie, ihre Großmutter in der Küche herumwirtschaften zu hören: wie sie mit tiefer Stimme ein Lied summte, mit den Teetassen klapperte und den Kühlschrank öffnete und wieder schloss. Erst ein Klopfen an der Wohnungstür verdrängte die Erinnerungen, und Moa ging wieder zurück in den Flur.

»Tut mir leid, dass es länger gedauert hat, aber bei der Arbeit ist einiges liegen geblieben.« Ruben gab Moa einen flüchtigen Kuss auf den Mund. »Wie kommst du voran?«

»Ich bin gerade erst gekommen und hatte noch keine Zeit, mit irgendetwas anzufangen.« Moa wartete, während Ruben seine lederne Aktentasche abstellte und sich die Schuhe auszog.

»Möchtest du eine Tasse Tee?«

»Nein, danke.« Ruben sah sich um und schnaufte vernehmlich. »Deine Großmutter hatte wirklich viele Möbel.«

»Ja, mehr hätte nicht mehr hineingepasst«, antwortete Moa. »Aber ich finde es hier trotzdem ziemlich gemütlich.«

Ruben hob eine Vase mit getrockneten Blumen vom Konsolentisch. »Trotzdem solltest du ein bisschen was ausmisten, bevor wir die Wohnung zum Verkauf anbieten.«

Moa lachte auf. »Die macht wirklich nicht besonders viel her.« Sie nahm ihm die Vase ab und berührte die zarten Blumen. Sie fielen sofort auseinander und bröselten auf die kleine Bank, auf der ihre Oma immer gesessen hatte, um sich die Schuhe anzuziehen. Moa schluckte. Es war alles viel zu schnell gegangen. Eigentlich war Elsa doch immer so fit gewesen, trotz ihres hohen Alters.

Ruben betrat das Wohnzimmer, und Moa folgte ihm. Mit den wuchtigen Polstermöbeln und dem Nippes, den ihre Oma hier und dort verteilt hatte, wirkte es ebenfalls ziemlich vollgestopft. Auf dem Kaminsims standen etliche gerahmte Fotos, das wusste Moa, ohne hinzusehen. Neben Aufnahmen, die ihre Großmutter in jungen Jahren und Moas Vater als Kind, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zeigten, drängten sich dort das Hochzeitsbild von Moas Eltern und mehrere Fotos, auf denen Moa selbst zu sehen war.

»Der Ausblick auf die Bucht ist fantastisch. Dafür würde manch einer eine Menge Geld hinblättern.« Ruben öffnete die Balkontür und trat auf die Holzdielen hinaus.

Moa stellte sich neben ihn und stützte sich mit den Ellbogen auf dem Balkongeländer ab. Von hier aus konnte man bis nach Kastellholmen und Djurgården schauen. Ruben hatte recht, was die Aussicht betraf. Jetzt im Spätsommer, mit all dem Grün und dem Sonnenlicht, das sich auf dem Wasser spiegelte, war sie wirklich atemberaubend.

»Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich die Wohnung geerbt habe. Das fühlt sich irgendwie nicht richtig an.«

»Wieso nicht?«

»Papa hätte sie bekommen sollen, nicht ich.«

»Aber er hat doch das Sommerhaus in Mölle und die ganzen Aktien geerbt.« Ruben streichelte Moas Arm. »Schon unglaublich, dass deine Großmutter so ein Börsenhai war, oder?«

»Börsenhai ist vielleicht etwas übertrieben.«

»Ich finde, das trifft es ziemlich gut. Immerhin konnte sie dank ihrer Investitionen diese Wohnung hier kaufen, ohne einen Kredit aufnehmen zu müssen.«

»Auch wieder wahr.« Moa schaute über das Wasser hinweg und seufzte. »Ich brauche einfach Zeit, bis ich mich daran gewöhnt habe, dass sie nicht mehr da ist.«

»Deine Großmutter hatte ein langes und schönes Leben, vergiss das nicht.«

Sie antwortete nicht. Ja, ihre Oma hatte ein gutes Alter erreicht, aber dennoch fiel es Moa schwer, sich ein Leben ohne sie vorzustellen. Ein Leben, in dem sie nicht mehr einfach zum Telefonhörer greifen konnte, um sich zu unterhalten. In dem es keine spontanen Besuche mit Gebäck und stundenlangem Kaffeeklatsch in der Küche gab.

»Hast du schon einen Makler kontaktiert?«

Moas Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück und sie warf Ruben einen Blick zu. »Hatte noch keine Zeit.«

»Du solltest dich so schnell wie möglich darum kümmern. Zwei Wohnungen gehen auf Dauer ganz schön ins Geld.«

Er hatte recht. Den Unterhalt dieser Wohnung zusammen mit ihrem Anteil an den monatlichen Kosten für Rubens Apartment würde sie sich auf lange Sicht nicht leisten können. »Ich weiß, aber ich habe noch so viel anderes im Kopf.«

»Entschuldige bitte.« Ruben schloss sie in die Arme. »Ich wollte nicht unsensibel sein.«

Moa barg das Gesicht an seiner Brust. Er roch leicht nach Schweiß und Aftershave. Sie liebte diesen vertrauten Duft.

»Morgen rufe ich den Makler an, und am Wochenende fange ich an, die Wohnung aufzuräumen.« Moa schaute auf. »Hast du Lust, mir zu helfen?«

»Ich würde ja gern, aber ich muss am Donnerstag nach Mailand. Am Freitag zwischen zehn und vier haben wir ein wichtiges Meeting, und am Montag treffen wir den CEO, also bleibe ich wahrscheinlich übers Wochenende dort. Ich dachte, das hätte ich dir gesagt.«

Das war durchaus möglich. Moa war nach dem Tod ihrer Großmutter nicht ganz auf der Höhe gewesen und hatte außerdem viel mit der Beerdigung zu tun gehabt. Jede Menge Arbeit, auch wenn die Beisetzung nur im kleinen Kreis stattfand. Vielleicht hatte sie einfach nur nicht hingehört. Ruben war oft beruflich unterwegs, und Moa wusste, welche Bedeutung der Deal in Mailand für ihn hatte. Er war Teilhaber einer Beratungsfirma, und wenn er es schaffte, den Auftrag an Land zu ziehen, winkte ein großzügiger Bonus.

»Ich kann dir helfen, wenn ich wieder zu Hause bin.« Ruben presste seine Lippen auf Moas. »Wenn du die Wohnung los bist, sollten wir darüber nachdenken, uns zusammen eine neue zu kaufen.«

Eine gemeinsame Wohnung. Moa spürte ein Kribbeln im Magen. »Das klingt wunderbar«, murmelte sie an seinem Mund.

Ruben trat einen Schritt zurück und streichelte ihr über das Haar. »Ich muss noch ganz kurz jemanden anrufen, aber wenn ich fertig bin, können wir zusammen nach Hause spazieren.«

Moa blieb auf dem Balkon stehen, während Ruben in der Wohnung verschwand. Sie schaute zum Himmel hinauf und holte tief Luft. Vor ihr lagen einige anstrengende Wochen, keine Frage.

KAPITEL 2

Sie sollte die Pressemitteilung überarbeiten. Noch einmal. Moa starrte auf ihren Bildschirm. Susanne hatte sie damit beauftragt, den Text über Stopalo Antik zu schreiben, da Paula, die sich für gewöhnlich um die Öffentlichkeitsarbeit kümmerte, mittwochs frei hatte. Eigentlich fiel so etwas nicht in Moas Zuständigkeitsbereich als Susannes Assistentin, aber seit sie ihre Stelle beim Auktionshaus Sundblad & Ström angetreten hatte, wurde sie mit allen möglichen Aufgaben überhäuft und musste immer dort einspringen, wo es gerade brannte. Moa ging den Text mit Susannes Kommentaren durch. Wenn sie die knappen Ansagen ihrer Chefin richtig interpretierte, musste der Kauf von Stopalo Antik ein wahrer Glücksgriff gewesen sein.

Moa hatte der Name des Unternehmens nichts gesagt, sie hatte ihn googeln müssen, ehe sie den ersten Entwurf für die Pressemitteilung aufsetzte. Stopalo stand für Stockholm-Paris-London, und das Unternehmen schien auf eine lange Geschichte im weltweiten Handel mit Antiquitäten aus unterschiedlichen Epochen zurückblicken zu können. In der Pressemitteilung sollte sie sich auf Stopalos Spezialgebiet konzentrieren: den Verleih von Möbeln und anderen Gegenständen an die Filmindustrie. Einige Stopalo-Stücke waren in Filmen und Serien wie Fanny und Alexander oder Die besten Absichten als Requisiten genutzt worden.

»Und, wie läuft’s?« Moas Kollege Artur betrat das Büro. Er trug seinen hellen Fedorahut und sah aus wie aus dem Ei gepellt. Selbst an einem warmen Tag wie diesem, mit Temperaturen über zwanzig Grad, trug er Bügelfaltenhose, weißes Hemd, Sakko, Schlips und italienische Lederschuhe. Er schien immer ein bisschen aus der Zeit gefallen, so, als gehörte er eigentlich in das frühe zwanzigste Jahrhundert.

»Ganz gut. Ich arbeite gerade an der Pressemitteilung über Stopalo.«

Artur ließ sich auf einem der Besuchersessel nieder, setzte den Hut ab und legte ihn auf seinen Schoß. »Ich für meinen Teil habe gerade einen Sessel von Nanna Ditzel an einen vollkommen begeisterten Herrn verkauft, der das gute Stück unbedingt für sein Sommerhaus haben wollte.«

»Das klingt doch toll!« Moa hatte keine Ahnung, wer Nanna Ditzel war, aber so glücklich, wie Artur aussah, konnte es sich dabei nur um eine berühmte Möbeldesignerin handeln.

»Der Kunde hat auf jeden Fall einen guten Fang gemacht.« Artur tippte mit dem Finger auf seine Armbanduhr. »Zeit für die Mittagspause.«

»Ich habe gerade erst ein Brot gegessen«, antwortete Moa und zeigte ihm den leeren Teller auf ihrem Schreibtisch.

»Das ist doch kein vernünftiges Mittagessen! Gönn dir mal eine Pause.«

»Halb so wild. Ich finde es ganz angenehm, wenn im Büro nicht so viel los ist. Dann schaffe ich mehr.« Das war nicht gelogen. Außerhalb der Bürozeiten oder während der Mittagspause, wenn niemand da war und sie ihre Ruhe hatte, ging Moa die Arbeit wesentlich leichter von der Hand.

»Ich hoffe, Susanne bezahlt dir die vielen Überstunden.« Artur musterte Moa mit besorgtem Blick. »Mir ist aufgefallen, dass du manchmal bis spät am Abend hierbleibst.«

Moa drehte sich auf ihrem Stuhl hin und her. »Ich hatte doch im Sommer ein paar Tage frei.«

»Ja, für die Beerdigung deiner Großmutter. Echter Urlaub sieht anders aus.«

»Das war unbezahlter Urlaub. Ich bin doch noch in der Probezeit.«

»Wenn man bedenkt, wie viel du arbeitest, hättest du auch Überstunden abfeiern können.«

Moa wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Artur hatte recht: Sie arbeitete sehr viel. Aber zurzeit war im Büro die Hölle los, und Moa wollte die Aufgaben, die man ihr auftrug, ordentlich erledigen. In den drei Monaten, die sie jetzt bei Sundblad & Ström arbeitete, hatten sich zwar viele Überstunden angehäuft, aber ihr Job gefiel ihr. Auch wenn sie sich manchmal fragte, ob sie die Abläufe im Auktionshaus jemals verstehen würde. Jeden Tag wechselten unzählige Objekte den Besitzer: Gemälde, Möbel, Schmuck, Spielzeug, Porzellanfiguren, Lampen und viele andere Dinge trieben so lange in einem schier unaufhörlichen Strom von Gegenständen dahin, bis sie von einem begeisterten Kunden aufgestöbert wurden.

»Bist du denn gut mit deinem Text vorangekommen?«, fragte Artur.

»Halbwegs. Ich habe noch ein bisschen zu tun, bis er Susannes Urteil standhalten kann.«

Artur nickte und schien einen Augenblick lang nachzudenken, bevor er Moa fragte, ob sie sich die Stopalo-Objekte überhaupt schon angesehen hatte.

»Susanne braucht die fertige Pressemitteilung so schnell wie möglich, deswegen hatte ich leider noch keine Zeit.«

»Ach was. Wie willst du denn unsere Stücke anpreisen, wenn du gar kein Gespür für sie hast? Komm, wir gehen mal runter und schauen sie uns an.« Artur machte sich auf den Weg zur Tür und nach kurzem Zögern schloss Moa sich ihm an. Nur zu Recherchezwecken. Obwohl sie nicht viel Ahnung von Antiquitäten hatte, spürte sie, dass es hier um etwas Besonderes ging. Wenn ein Besuch in der Ausstellungshalle ihrem Text zu mehr Tiefe verhalf, sollte sie sich die Zeit nehmen.

*

Im Ausstellungsbereich war nichts los. Artur bahnte sich zielstrebig den Weg durch die Möbel und Gemälde und blieb erst vor dem Eingang zu einem separaten Raum stehen, der bis unter die Decke mit Möbeln, Kronleuchtern und Skulpturen vollgestopft war.

»Wow, das ist ja viel Zeug.« Moa stellte sich vor einen großen Spiegel mit vergoldetem Rahmen.

»Stopalo wurde in den Fünfzigerjahren gegründet. Da hat sich im Laufe der Zeit eine ganze Menge angesammelt.«

»Meinst du, hier sind auch ehemalige Filmrequisiten dabei?«

»Bestimmt. Aber Stopalo war nicht nur für die Leute vom Film interessant. Ich kenne auch viele Einrichtungsexperten, die gern in den Lagern herumgestöbert haben.«

»Du auch?« Moa strich mit der Hand über einen Mahagonitisch. Er hatte ein paar Kratzer, aber das war nicht schlimm. Die Schrammen zeigten lediglich, dass der Tisch eine Geschichte hatte.

»Natürlich. Wenn ich in einer der Niederlassungen war, kam es mir immer vor, als würde ich ein Zauberreich betreten. Da gab es ausgestopfte Tiere, dicht an dicht gedrängt mit Skulpturen, Möbeln und Silberzeug.« Die Erinnerung entlockte Artur ein Lächeln. »Es ist traurig, dass Stopalo Antik nicht weitergeführt wird. Damit geht eine Ära zu Ende.«

Moa konnte sein Bedauern gut nachempfinden. Sie hatte gelesen, dass die beiden Söhne des Gründers, die das Unternehmen von ihrem Vater übernommen hatten, vor einigen Jahren verstorben waren.

Artur führte sie weiter durch den Raum, und während er ihr einige spezielle Stücke zeigte, wurde Moa wieder bewusst, warum sie die Aushilfsstelle als Susannes Assistentin angenommen hatte: der Duft, all die überwältigenden Eindrücke und das Gefühl, dass sich hinter jedem Stück eine Geschichte verbarg. In welchen Häusern hatten die Möbel gestanden? Hatte man sie geliebt? Gehasst? Als notwendiges Übel betrachtet? Was hatten sie durchgemacht, gesehen und gehört? Streit, Sorgen, Liebe und Schwärmerei, Kindergeschrei und Kinderlachen? Moa blieb neben einem Puppenhaus stehen. Jedes einzelne Zimmer war mit Liebe zum Detail gestaltet, und es schien, als schaute man in jemandes Zuhause hinein. Wie praktisch es wäre, auch die eigene Wohnung, das eigene Leben von außen betrachten und Dinge einfach ändern zu können, wenn man wollte.

»Wir werden mehrere Auktionen durchführen. Hast du Lust, mal dabei zuzusehen, wie diese Stücke hier unter den Hammer kommen?«

Moa blickte vom Puppenhaus auf.

»Sehr gern«, sagte sie. »Das klingt nach viel Spaß.«

Sie warf Artur einen Blick zu. Schon an ihrem ersten Tag im Auktionshaus hatte er sie unter seine Fittiche genommen, hatte sie herumgeführt und ihr alles erklärt. Von Susanne wusste sie, dass er schon seit über fünfzig Jahren für Sundblad & Ström arbeitete und es keine Frage bezüglich des Unternehmens gab, auf die er keine Antwort fand. Allerdings hatte Moa nach wie vor keine Ahnung, welche Position Artur in der Firma konkret innehatte. Er schien immer dort einzuspringen, wo Not am Mann war. Manchmal sah sie ihn bei einem stundenlangen Kundengespräch, dann wiederum half er bei Fotoaufnahmen für die Unternehmenswebsite. Man wusste nie genau, wo Artur als Nächstes auftauchte, aber Moa hatte das Gefühl, dass er von den meisten Mitarbeitern geschätzt wurde. Einmal hatte sie jedoch gehört, wie einige der jüngeren Mädchen, die sich um die Warenausgabe kümmerten, sich flüsternd darüber ausließen, dass er viel zu lange für seine Beratungen brauche und nur bleiben dürfe, weil Susanne große Stücke auf ihn hielt. Moa sah das anders: Artur war vielleicht nicht der effizienteste Mitarbeiter, aber eindeutig der sympathischste. Sie selbst war über ihre Freundin Sofia, die vor einigen Jahren einen Sommer lang bei Sundblad & Ström gearbeitet hatte, an die Stelle im Auktionshaus gekommen, nachdem sie ihren alten Job als Grafikdesignerin bei einer Werbeagentur nach einer Kündigungswelle verloren hatte. Eigentlich hätte sie kaum einen Job finden können, für den sie weniger qualifiziert war, aber als Sofia ihr gesagt hatte, dass das Unternehmen dringend Aushilfskräfte benötigte, hatte sich das für Moa wie eine gute Zwischenlösung angehört. Sie war gern in der Agentur gewesen, hatte aber unter starkem Druck und oft bis in die Abendstunden an verschiedenen Kampagnen arbeiten müssen. Verglichen damit kam ihr der Job bei Sundblad & Ström wie Urlaub vor, obwohl es natürlich auch hier mitunter stressig werden konnte. Allerdings würde sie vermutlich nicht allzu lange auf diesem Posten bleiben, schließlich hatte sie seit ihrem Examen immer in der Werbebranche gearbeitet.

Ein Handyklingeln ertönte, und sowohl Artur als auch Moa griffen reflexartig zu ihren Geräten. Es war Arturs Telefon: Er entschuldigte sich und nahm den eingehenden Anruf an.

»Eine unserer Stammkundinnen, Christina Hammarlund, hat einen Sekretär hergebracht«, sagte er, nachdem er aufgelegt hatte.

»Die Arbeit ruft. Ich sollte vermutlich auch wieder zurück ins Büro und die Pressemitteilung fertig schreiben.«

»Kann das nicht noch ein bisschen warten? Ich könnte etwas Hilfe gebrauchen, wenn ich den Sekretär ins Lager schaffen muss.«

Moa warf einen Blick auf ihre Uhr. »Ein bisschen Zeit habe ich noch.«

Draußen wurden sie von einer Frau in den Fünfzigern erwartet. Artur begrüßte sie mit ein paar Wangenküssen und tauschte einige Worte mit ihr aus, bevor er Moa vorstellte.

»Gut, dass Sie da sind. Der Fahrer hat mir dabei geholfen, den Sekretär auszuladen, aber dann musste er auch schon wieder los.« Christina Hammarlund gestikulierte mit der Hand, an der eine dünne goldene Armbanduhr baumelte.

»Wir bringen ihn rein«, sagte Artur.

»Danke. Der Sekretär stand im Haus meiner Mutter, so lange ich denken kann. Ich glaube, er ist aus der Zeit um die Jahrhundertwende.«

»Ein schönes Stück.« Artur sah sich den Sekretär an, öffnete die Klappe und brachte mehrere Fächer und Regalböden zum Vorschein. »Ist in gutem Zustand«, kommentierte er.

»Es war keine leichte Entscheidung, ihn hierherzubringen. Aber meine Mutter zieht am Wochenende in ein Pflegeheim um, und dort ist kein Platz für den Sekretär«, erklärte Christina, und ein Schatten fiel über ihr Gesicht. »Ich habe den ganzen Raum ausgemessen, aber das Bett, das Sofa und der kleine Esstisch mussten schließlich auch hineinpassen.«

»Sich von seinen Besitztümern zu trennen ist nie einfach«, sagte Artur. »Vor allem nicht, wenn sie so einen hohen Liebhaberwert haben.«

»Es ist schrecklich. So ein ganzes Haus leer zu räumen und nur ein paar Dinge herauszupicken. Ich möchte am liebsten, dass meine Mutter all ihre Sachen um sich hat, aber das geht leider nicht. Zu Hause bleiben kann sie auch nicht. Sie ist mehrmals gestürzt und sollte beaufsichtigt werden.«

»Manchmal muss man Prioritäten setzen.« Artur tätschelte Christinas Arm. »Es ist doch das Wichtigste, ein sicheres Zuhause für Ihre Mutter zu finden.«

»Manchmal fühlt es sich so an, als würde ich alles falsch machen. Meine Mutter hat geweint, als wir den Sekretär abgeholt haben.« Christina schluckte schwer. »Ach, verdammt, reden wir nicht mehr drüber. Können Sie mir telefonisch Bescheid geben, wenn Sie den Sekretär zum Verkauf anbieten?«

»Selbstverständlich, machen Sie sich keine Sorgen.«

»Danke, Artur. Ich weiß Ihre Hilfe wirklich zu schätzen. Meine Mutter auch. Sie spricht oft von Ihnen und erzählt gern davon, wie Sie ihr und Vater immer geholfen haben.« Christina schenkte ihnen ein fahriges Lächeln und verschwand dann von der Laderampe.

Artur sah ihr gedankenversunken nach. »Christinas Mutter war ebenfalls eine Stammkundin. Ich war schon einige Male bei ihr zu Hause, um verschiedene Objekte zu schätzen.«

»Hat sie viel über uns verkauft?«, fragte Moa.

»Eine ganze Menge, aber einige besondere Stücke hat sie behalten. Viele Möbel haben einen hohen emotionalen Wert. Das darf man nicht unterschätzen.«

»Ich kann verstehen, dass man an Dingen festhält, die so voller Erinnerungen stecken.«

»Aber manchmal hat man eben keine Wahl.«

Artur hatte recht, egal, wie traurig es war, sich von Dingen zu trennen, die einem viel bedeuteten. Moa musste an all das denken, was vor ihr lag. Von wie vielen der Möbelstücke und Gegenstände, die ein Teil von ihrer Großmutter und Moas eigener Vergangenheit gewesen waren, würde sie sich verabschieden müssen?

»Wie sieht’s aus? Wollen wir uns an die Arbeit machen?«, meldete sich Artur zu Wort.

»Bieten wir den Sekretär wirklich zum Verkauf an?«, fragte Moa, während sie Artur half, das Möbelstück mithilfe eines Rollbretts ins Lager zu schaffen. »Vielleicht kann Christina das Problem mit dem Platzmangel ja irgendwie lösen.«

»Wir müssen ihn nicht sofort auf der Website präsentieren. Manchmal ist es das Beste, die Dinge ruhig angehen zu lassen.«

*

Ein paar Stunden später betrat Moa die Wohnung in Östermalm, ganz in der Nähe des Olympiastadions, die sie gemeinsam mit Ruben bewohnte. Sie war so zügig von der Arbeit nach Hause gegangen, dass sie ins Schwitzen gekommen war, aber nach einem langen Tag im Büro brauchte sie die Bewegung, um sich zu entspannen. Nach ein wenig Hin und Her war die Pressemitteilung fertig geworden, und Moa hatte noch Zeit gehabt, für eine Kollegin in der Warenausgabe einzuspringen, deren Kinder plötzlich erkrankt waren. Moa gähnte laut und massierte sich den Nacken. Die Arbeit in der Warenausgabe hatte Spaß gemacht. Den Ansturm an Kunden zu bewältigen, die ihre ersteigerten Stücke abholen wollten, war zwar anstrengend gewesen, aber Moa hatte es gefallen, mitten ins Geschehen einzutauchen. Sie sammelte ihre Post vom Flurboden auf, legte sie auf der Küchenarbeitsplatte ab und ging dann ins Schlafzimmer. Auf der Schwelle blieb sie stehen und betrachtete Ruben, der dort über seinen Laptop gebeugt saß. Er sah hoch konzentriert aus mit seinen hochgekrempelten Hemdsärmeln und der tiefen Falte, die sich zwischen seine Augenbrauen grub.

»Hey.«

Ruben zuckte zusammen und drehte sich um. »Bist du schon zu Hause?«

»Es ist halb acht«, antwortete Moa und grinste. »Ich bin spät dran.«

»Oh, wirklich?« Ruben streckte sich. »Hast du Hunger?«

»Ich könnte jetzt ein Abendessen vertragen.« Moa gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Was machst du gerade?«, fragte sie und spähte über seine Schulter.

»Ich bereite die Präsentation vor, die ich am Freitag in Mailand halte.« Ruben warf einen Blick auf den Bildschirm. »Gib mir noch zehn Minuten, dann können wir irgendwo essen gehen.«

»In Ordnung. Ich setze mich so lange auf den Balkon.« An der Tür drehte Moa sich noch einmal um. »Ich habe heute übrigens mit einem Makler telefoniert. Er kommt in zwei Wochen.«

»Perfekt, dann hast du vorher noch Zeit zu putzen und einige Möbel loszuwerden.« Ruben schenkte Moa ein flüchtiges Lächeln. »Zehn Minuten, dann gehöre ich ganz dir.«

Moa öffnete die Balkontür und trat auf den nackten Betonboden. Dieses Jahr hatte ihr die Zeit dazu gefehlt, den Balkon ordentlich zu begrünen. Sie ließ sich auf einen der Stühle sinken und wandte das Gesicht zur Sonne. Das hier war ihr Lieblingsplatz in der Wohnung. Sie liebte es, auf dem Balkon zu sitzen, an den Blumen herumzuwerkeln (sofern denn welche da waren) oder ein Buch zu lesen – am liebsten irgendeinen leichten Liebesroman.

Moa runzelte die Stirn. Hatte sie nicht letzte Woche eine Laterne mit einer Kerze auf den Tisch gestellt? Sie hatte sie auf einem Flohmarkt gefunden, eine runde Leuchte mit kleinen Glasscheiben in verschiedenen Farben, die für ein wunderschön schimmerndes Licht sorgten. Bevor Moa sich auf die Suche machen konnte, klingelte ihr Handy. Es war ihr Vater. Einen kurzen Moment zog sie in Erwägung, einfach nicht ans Telefon zu gehen, aber dann überlegte sie es sich und nahm das Gespräch an. Wenn sie ihn ignorierte, würde er nur immer wieder anrufen, also konnte sie ebenso gut sofort in Erfahrung bringen, was er von ihr wollte.

»Hallo Moa, wie geht es dir?«

»Ganz gut, bin gerade von der Arbeit nach Hause gekommen.« Moa rubbelte einen Fleck vom Tisch.

»So spät erst?«

»Wir hatten viel zu tun. Und, was macht ihr so?« Warum fühlte sich jedes Gespräch mit ihrem Vater so förmlich an? Als wären sie zwei Fremde, die höflich versuchten, Konversation zu betreiben.

»Ich habe gerade die Pferde gefüttert, und Astrid ist draußen in der Gärtnerei. Jetzt im August haben wir eine Menge Gemüse zu ernten.«

Moa konnte es geradezu vor sich sehen. Ihr Vater und seine Frau Astrid führten mit großer Begeisterung einen Gartenbetrieb, in dem sie sowohl Gemüse als auch Blumen anbauten und der schon seit mehreren Generationen im Familienbesitz war. Darüber hinaus besaßen sie noch ein Reitunternehmen.

»Willst du nicht zum Erntedankfest kommen?«

»Sehr gerne, aber ich glaube nicht, dass ich die Zeit dazu finde«, antwortete Moa vage. Sie hatte es schon seit Jahren nicht mehr geschafft. Als Kind hatte sie es geliebt, das Fest mit Nachbarn und Freunden zu begehen – aber das war lange her. Heute war alles anders.

»Du musst jetzt auch noch nicht fest zusagen.«

»Und sonst? Hast du schon entschieden, was du mit Omas Haus machen willst?«, fragte Moa, um nicht länger über das Erntedankfest sprechen zu müssen.

Ihr Vater zögerte die Antwort hinaus. »Wir haben im Moment so viel mit dem Hof und der Gärtnerei zu tun, dass ich mit der endgültigen Entscheidung noch eine Weile warte.«

»Das ist doch gut.« Moa spürte, wie sich ihre Schultern etwas entspannten. So lange sie denken konnte, war das Haus im Besitz der Familie, ihr Vater war sogar dort aufgewachsen. Obwohl ihr klar war, dass es wahrscheinlich verkauft werden würde, hoffte sie, dass sich doch noch eine andere Lösung finden ließ.

»Warst du schon in Omas Wohnung?«

»Ich war gestern kurz dort und wollte am Wochenende noch mal hin. Da muss einiges aufgeräumt werden.«

»Das glaube ich.« Moas Vater raschelte im Hintergrund mit irgendetwas herum. »Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst.«

»Selbstverständlich.« Moa würde einen Teufel tun und ihren Vater oder Astrid um Hilfe bitten. Sie wusste, wie hart die beiden arbeiteten, und hatte nicht vor, ihnen zur Last zu fallen.

»Ich habe eigentlich angerufen, um dich um einen Gefallen zu bitten.«

»Okay.« Wenn ihr Vater sie um einen Gefallen bat, konnte es sich um alles Mögliche handeln: kreuz und quer durch die Stadt zu laufen, um etwas ganz Bestimmtes zu besorgen, oder irgendeinen unbekannten Verwandten zweiten Grades zu grüßen, von dem sie noch nie gehört hatte.

»Wir müssen Iris aus der Hundepension holen. Der Besitzer hat mich heute Morgen angerufen und gesagt, dass sie ihren Laden dichtmachen.«

Iris! Seit sie in der Wohnung gewesen war, hatte Moa nicht mehr an das Tier gedacht. Aber ihr Vater wollte doch wohl nicht darauf hinaus, dass sie sich um den riesigen Königspudel ihrer Großmutter kümmern sollte? Mal ganz abgesehen davon, dass Ruben eine Abneigung gegen Haustiere hegte: Sie hatte weder die Zeit noch die Kapazitäten, sich um einen Hund zu kümmern.

»Also willst du, dass …« Moa räusperte sich und beschloss, den Elefanten im Raum einfach anzusprechen. »Willst du, dass ich sie zu mir nehme?«

»Würde das denn gehen?«

Nein!, dachte Moa. »Na ja, ich weiß nicht, wir haben eigentlich keinen Platz und …«

»Nur vorübergehend. Astrid und ich können sie in ein paar Wochen bei uns aufnehmen, aber solange Fanny trächtig ist, können wir ihr nicht zumuten, sich mit einem fremden Hund auseinanderzusetzen.«

Moas Vater hatte natürlich recht. Gerade jetzt einen riesigen Königspudel bei sich einzuquartieren wäre nicht fair gegenüber Fanny, ihrer vier Jahre alten Labradorhündin, die gerade ihren ersten Wurf Welpen erwartete.

»Ich würde ja gerne helfen, aber meinst du, das ist eine gute Idee? Was soll ich mit ihr machen, während ich arbeite?«

»Sie kann bestimmt ein paar Stunden allein zu Hause bleiben.« Im Hintergrund war Gemurmel zu hören. »Astrid meint, wir könnten im Notfall auch eine Hundetagesstätte bezahlen.« Moa merkte, wie ihr Vater ungeduldig wurde.

»Hier in der Stadt gibt es wahrscheinlich endlos lange Wartelisten.« Wie kam Moa aus dieser Geschichte wieder heraus? Nicht, dass sie selbst keine Hunde mochte, aber Ruben würde sich gegen ein Tier in der Wohnung sträuben. Und erst recht gegen ein derart großes Exemplar. Herrje, nicht einmal ihre Freunde durften in Hundebegleitung zu Besuch kommen! Moa schloss die Balkontür, damit Ruben sie nicht hörte.

»Es ist ja nicht für die Ewigkeit«, fuhr ihr Vater fort. »Ich habe mit dem Betreiber der Hundepension abgemacht, dass du Iris am Freitag abholst.«

»Ich glaube aber wirklich nicht, dass …«

»Bitte, Moa! Ich verstehe ja, dass du viel um die Ohren hast, aber wir würden uns wirklich sehr über deine Hilfe freuen. Alternativ müssen wir Iris an eine Hundevermittlung geben.«

Moa seufzte. Ihr Vater versuchte ganz bewusst, sie zu erpressen.

»Ist ja gut, ich hole sie ab. Aber ich habe wirklich lange Arbeitszeiten, da brauche ich jemanden, der sich tagsüber um sie kümmert. Oder wenigstens mit ihr spazieren geht.«

»Danke, ich wusste ja, dass du eine Lösung findest. Ich schicke dir die Kontaktdaten der Hundepension, dann kannst du selbst klären, um wie viel Uhr du Iris abholst.«

»Was war los?«, fragte Ruben, der just in dem Moment auf den Balkon trat, als Moa das Handy weglegte.

»Das war mein Vater. Es ging um Omas Pudel, Iris. Sie lebt gerade in einer Hundepension, bis Papa sie mit nach Mölle nehmen kann. Aber die Pension wird geschlossen, und jetzt kann sie nicht länger dortbleiben.«

»Traurige Geschichte.«

»Ja, sie war immer mal wieder da, und ich weiß, dass es ihr dort gut ging«, antwortete Moa. »Es ist nicht einfach, für so einen großen Königspudel kurzfristig eine neue Unterbringung zu organisieren.«

»Das kann ich mir vorstellen. Mein Kollege hat gerade einen Welpen adoptiert. Jetzt bekommt er nachts kaum noch Schlaf, weil er ständig mit dem Hund raus muss. Ganz zu schweigen davon, wie gebunden man durch ein Haustier ist.«

»Ja, es ist schon anstrengend.«

»Total. Und von den ganzen Haaren und dem Sabber will ich gar nicht erst anfangen.« Ruben erschauderte.

»Um ehrlich zu sein, hat Papa gefragt, ob wir uns vorstellen könnten …«

»Aber du hast doch wohl nicht angeboten, dich um Iris zu kümmern, oder?«, fragte Ruben.

Moa ließ den Blick unruhig umherschweifen. »Natürlich nicht.« Sie rang sich ein Lächeln ab und hoffte, dass es ungekünstelt herüberkam. »Bist du fertig mit der Arbeit?«

»Ich muss noch ein paar E-Mails beantworten, aber das hat Zeit, bis wir wieder zu Hause sind.« Ruben streckte sich. »Lassen wir es nicht zu spät werden, ja? Mein Flug geht schon um sieben Uhr morgen früh.«

Während er sein Smartphone und seine Brieftasche holte, versuchte Moa, ihre Gedanken zu sortieren. Auf der einen Seite wollte sie ihren Vater nicht im Stich lassen, auf der anderen Seite aber auch Ruben nicht verärgern. Wie sollte sie sich aus dieser Zwickmühle nur wieder befreien?

KAPITEL 3

Mit dem Koffer in der einen und einem Coffee-to-go-Becher in der anderen Hand versuchte Moa, die Haustür zu öffnen. Sie hatte vorzeitig Feierabend gemacht, und jetzt blieb ihr noch eine halbe Stunde, bis sie Iris abholen musste. In der Zeit wollte sie rasch nach der Wohnung ihrer Großmutter sehen. Was für ein Stress! Außerdem hatte sie noch keine Ahnung, wie sie Ruben erklären sollte, dass sie versprochen hatte, sich um den Hund zu kümmern. Irgendeine Lösung musste es doch geben, dachte Moa, während sie sich mit dem Rücken gegen die Tür stemmte, bis sie endlich aufschwang. Solange Ruben in Mailand war, würde sie mit Iris in der Wohnung ihrer Großmutter bleiben. Das verschaffte ihr immerhin etwas Zeit.

»Vorsicht!«

Doch es war zu spät: Sie stieß mit dem Kopf gegen einen der Pfeiler im Treppenaufgang und kippte sich dabei den Kaffee über die Brust.

»Autsch!«, stieß sie aus und fasste sich an die Stirn, während sich die heiße Flüssigkeit auf ihrer Bluse verteilte. »Ach, Mist!« Sie trat einen Schritt zurück und befühlte den Stoff. Er war völlig durchnässt, und auf dem Steinboden lag der leere Becher neben dem umgefallenen Koffer.

»Geht es dir gut?« Jemand berührte sie an der Schulter, und Moa schaute hinauf in ein Paar freundliche dunkelblaue Augen.

»Alles in Ordnung«, murmelte sie verlegen. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie den großen Pfeilern im Eingangsbereich keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte.

»Sicher?« Der junge Mann, der vor ihr stand, sah sie besorgt an. »Das sah übel aus.«

»Ganz sicher.« Moa zupfte am Seidenstoff ihres Oberteils. Ob die Flecken sich wieder auswaschen ließen? Ersetzen ließ es sich sicher nicht, sie hatte die Bluse zu einem Spottpreis im Schlussverkauf erstanden. »Ich sollte jetzt hinauf in die Wohnung gehen.« Sie versuchte zu lächeln, brachte aber nicht mehr als eine Grimasse zustande.

»Brauchst du Hilfe?«

»Es geht schon. Ich muss nur …« Moa machte einen Schritt nach vorn. Im letzten Moment bemerkte sie den Koffer zu ihren Füßen, und hätte der Typ nicht reflexartig ihre Oberarme festgehalten, wäre sie bestimmt erneut umgefallen. Stattdessen prallte sie gegen seine Brust. Als sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, starrte sie entsetzt auf sein weißes T-Shirt.

»Oh, das tut mir leid!«, sagte sie peinlich berührt. »Jetzt habe ich dein Oberteil auch noch ruiniert.«

»Macht nichts, das kann man waschen.«

Ihre Blicke trafen sich. »Ich kann es waschen! Sag einfach Bescheid, wenn …«

»Immer mit der Ruhe.« Er lächelte. »Ich komme darauf zurück.«

Moa hob den zerdrückten Becher und ihren Koffer auf. »Ich komme sofort wieder runter und wische das hier auf«, sagte sie und deutete auf die Kaffeelache am Boden.

»In der Waschküche gibt es einen Wischmopp für die Treppe, den kannst du benutzen.«

»Danke, ich kümmere mich gleich darum. Ich muss nur erst noch meinen Hund abholen.« Meinen Hund. Die Worte fühlten sich seltsam an. Aber so war es doch, oder nicht? Iris war jetzt ihr Hund. Jedenfalls für ein paar Wochen.

»Ich kann das hier gern übernehmen«, bot sich Moas Gegenüber an.

»Nein, nein, das musst du nicht.«

»Das ist kein Problem, mein Taxi kommt erst in einer Viertelstunde, und du solltest dich erst einmal um deinen Kopf kümmern und dich umziehen.«

Moa schaute hinunter auf ihre Bluse und lachte. »Danke dir! Wirklich. Ich weiß nicht, wie ich diesen Pfeiler übersehen konnte.«

»Das kann passieren. Aber pass in Zukunft ein bisschen besser auf dich auf.« Der Typ hob die Hand, und Moa, mit einem Fuß bereits im Fahrstuhl, erwiderte seinen Gruß. Während der Fahrt hinauf zur Wohnung ihrer Großmutter warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. Sie war nicht allzu spät dran, und wenn sie sich beeilte, blieb ihr noch genügend Zeit, sich zu waschen, bevor sie Iris abholen musste.

*

Ein paar Stunden später stand Moa an der Anrichte in der Küche und schnippelte Lauch und Kartoffeln, während ihre Freundin Sofia den Tisch deckte. Iris lag in ihrem Hundebett, den Kopf auf die Vorderpfoten gebettet, und beobachtete jede ihrer Bewegungen.

»Wie lange willst du dich um Iris kümmern?« Sofia kraulte das weiche Fell des Pudels.

»Keine Ahnung. Ein paar Wochen.« Moa briet den Lauch in einem gusseisernen Topf an. »Obwohl ich nicht weiß, wie ich das Hundesitting und meinen Job unter einen Hut kriegen soll.«

»Kannst du sie nicht mit zur Arbeit nehmen?«

»Ich glaube nicht, dass das Auktionshaus der ideale Ort für einen Hund ist.«

»Auch wieder wahr.«

»Du hättest sie mal sehen sollen, als sie wieder hier ankam. Sie war erst überglücklich und dann furchtbar geknickt, als sie Oma nirgends gefunden hat.« Moa hockte sich neben Iris. »Du vermisst dein Frauchen, oder?« Sie streichelte den Kopf der Hündin.

»Bestimmt versteht sie nicht, warum Elsa nicht hier ist.«

»Ich weiß. Sie tut mir so leid.« Moa hörte ein brutzelndes Geräusch vom Herd, sprang auf, eilte zum Topf und schaltete die Herdplatte herunter. Sie rührte den angeschwitzten Porree um, gab Safran, Kartoffeln, gehackte Tomaten, Fischbrühe und Sahne hinzu und ließ alles aufkochen.

»Wie gut das duftet.« Sofia schnupperte begeistert.

»Das ist Fischsuppe nach Omas Rezept. Sie hat immer gerne gekocht und war der Meinung, dass man jedes Problem mit gutem Essen und einer Tasse kräftigem Tee lösen kann. So seltsam es klingt, aber irgendwie schien mir wirklich alles einfacher, wenn wir zusammen am Küchentisch gegessen oder Kaffee getrunken haben.« Moa stellte den Küchenwecker ein. »Mal was anderes: Wie geht es mit dem Buchcover voran?«

»Ich hoffe, dass der Verlag mit den Entwürfen zufrieden ist. Sie geben mir Bescheid, wenn sie sich beraten haben.«

Moa lächelte stolz. Als freiberufliche Illustratorin arbeitete Sofia an vielen unterschiedlichen Projekten, aber ein Buchcover entwarf sie zum ersten Mal.

»Sie werden bestimmt megabegeistert sein.« Moa meinte, was sie sagte. Sofia war unglaublich talentiert und hatte schon mehrere Preise für ihre Illustrationen gewonnen. Die beiden hatten sich auf Beckmans Hochschule für Design kennengelernt und schnell angefreundet. Als Sofia vor einigen Jahren eine komplizierte Trennung durchmachte, war Moa an ihrer Seite, und als Moa zu Beginn des Sommers ihren Job verlor und Ruben keine Zeit hatte, sich um sie zu kümmern, rückte Sofia mit Gebäck von der Tössebageriet bei ihr an, um bis spät in die Nacht Pläne für die Zukunft zu schmieden.

»Meine Großmutter war übrigens ganz begeistert von den Aquarellbildern, die du ihr zum Geburtstag geschenkt hast.«

»Ja, das hat sie gesagt.«

»Wirklich? Wann?«

»Ach, sie hat mir einen Brief geschrieben und sich dafür bedankt.« Sofia durchstöberte die Küchenschränke, bis sie in einem davon eine Karaffe fand. »Ich kann verstehen, warum Elsa sich hier so wohlgefühlt hat. Die Wohnung ist wirklich gemütlich.«

»Aber es ist noch viel zu tun. Die Schranktüren müssten zum Beispiel neu lackiert werden.«

»Mir gefallen sie so. Und den Kamin finde ich auch toll.«

»Ja, der ist klasse. Ich bezweifle aber, dass man ihn anzünden kann.« Moa schnitt Kabeljau und Lachs in Stücke. »Eigentlich müsste man ihn reparieren.«

»Das ist bestimmt kein Problem. Weißt du, mir gefallen auch die hohen Decken, die Zimmer wirken dadurch so schön geräumig. Wie viele Quadratmeter hat die Wohnung?«

»Fünfundachtzig. Und ja, du hast recht, durch die hohen Decken kommt einem alles sehr groß vor. Die Raumaufteilung ist auch gut.«

»Das stimmt. Offene Wohnungen sind nicht so mein Ding, ich mag es ein bisschen verwinkelt.«

»Geht mir genauso.« Moa setzte den Deckel auf den Topf und schaute sich in der Küche um. Obwohl ihre Großmutter nur zwölf Jahre in dieser Wohnung gelebt hatte, hatte sie so viele Erinnerungen an die Zeit mit ihr hier. Meistens hatten sie in der Küche gesessen, Tee getrunken, Schokolade gegessen und sich stundenlang unterhalten.

»Erde an Moa!«

»Entschuldige, da sind gerade ein paar Erinnerungen hochgekommen.«

»Du vermisst sie, nicht wahr?«

»Total.« Moa merkte, wie ihre Stimme brach. »Sie war mein Anker.«

Sofia umarmte Moa. »Ich weiß.«

»Als meine Mutter …« Moa sah aus dem Fenster. »Oma hat für mich das Normale verkörpert. Das Leben, das weitergeht.«

»Jeder braucht so einen Menschen.«

Moa nickte. Nach dem Tod ihrer Mutter war ihre Großmutter für sie da gewesen. Wer sonst hatte ihr zugehört, mit ihr geredet und sie unterstützt? Ihr Vater hatte es zwar versucht, war aber so mit seiner eigenen Trauer beschäftigt gewesen, dass er sich voll und ganz in seine Arbeit mit den Pferden und der Gärtnerei gekniet hatte. Und dann war Astrid in seinem Leben aufgetaucht. Dass ihre Großmutter nur ein paar Häuser entfernt gewohnt hatte, war Moas Rettung gewesen. »Am meisten bereue ich, dass ich in den letzten Monaten nicht so oft hier war.«

»Was meinst du damit?«

»Ich hätte sie häufiger besuchen sollen, auch wenn wir uns zuletzt nicht in allem einig waren. Aber obwohl Oma schon ziemlich alt war, habe ich irgendwie immer gedacht, wir hätten noch genügend Zeit miteinander.«

»Mach dir keine Vorwürfe.«

»Das ist schwierig.« Moa verstummte. »Aber die Wohnung ist jedenfalls toll«, sagte sie dann. »Wer auch immer sie kauft, macht einen guten Fang.«

»Kannst du nicht mit Ruben hier einziehen?«

»Du kennst ihn doch. Bei ihm muss alles neu sein und …«

»… weiß und frisch«, ergänzte Sofia.

»Und möglichst keine Kissen oder gar Pflanzen«, fuhr Moa grinsend fort.

»Puh, aber du kannst noch froh sein, dass er nicht so übertreibt wie Jessicas Freund. Der schiebt ständig Panik, nicht hip genug zu sein, und glaubt, jedem neuen Trend nachlaufen zu müssen.«

»Ist Jessica nicht auch ein bisschen so?«

»Ja, schon, aber ich glaube, dass sie ohne Anders viel entspannter wäre.«

»Das glaube ich auch.«

»Also, was willst du hier in der Wohnung vor den Besichtigungsterminen verändern?«, fragte Sofia und richtete ein paar Baguettescheiben auf einer Servierplatte an.

»Ich muss aufräumen und ausmisten. Vielleicht auch streichen. Oma hat mir ein bisschen Geld hinterlassen, das ich in die Wohnung investieren will.« Sie freute sich sogar ein wenig auf die Renovierung. Schon ein neuer Anstrich für die Decken und Wände würde einen großen Unterschied bewirken.

»Welche Räume willst du streichen?«

»Das weiß ich noch nicht genau. Eigentlich alle.« Moa holte ein frisches Schneidebrett und fing an, den Dill zu hacken.

»Aber die Tapeten im Schlafzimmer deiner Großmutter gefallen mir schon gut.«

»Mir auch. Oma hat sie bei ihrem Einzug ausgewählt. Sie meinte, mindestens ein Raum müsse eine Tapete mit Blumenmuster haben.«

»Verständlich. Irgendwie mag ich deine Großmutter immer mehr«, antwortete Sofia lächelnd. »Und welche Wandfarben hast du im Sinn?«

»Ruben hat vorgeschlagen, alles weiß zu streichen.«

»Wieso das?«

»Er glaubt, dass sich eine Wohnung in neutralen Farben besser verkaufen lässt.«

»Da könnte er recht haben. Aber wie gesagt, es wäre schade um die schönen Tapeten.«

»Ich weiß. Die Tapeten im Wohnzimmer und hier in der Küche sind allerdings so abgewetzt, dass sie wirklich erneuert werden müssen.« Vielleicht war es ja möglich, die Tapete im Schlafzimmer zu erhalten, überlegte Moa. Dort waren die Wände noch besser in Schuss als in den anderen Räumen.

»Und was hast du mit den ganzen Möbeln vor?«

»Wahrscheinlich versuche ich, sie im Auktionshaus zu versteigern. Was übrig bleibt, wird gespendet. Aber zuerst muss ich mich noch um einige andere Dinge kümmern. Ich habe einfach unglaublich viel zu tun.« Das war eigentlich untertrieben. Die Wohnung aufzuräumen und zu putzen, um sie verkaufen und leer räumen zu können, würde in den nächsten Wochen ihre gesamte Zeit in Anspruch nehmen.

»Aber ein bisschen Luft hast du ja noch.«

»Das stimmt«, gab Moa zu. Der Termin mit dem Makler war erst in vierzehn Tagen. »Ich weiß nur einfach nicht, wo ich anfangen soll.«

»Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst.«

»Du willst mir helfen?«

»Ich habe am Wochenende nichts vor. Zusammen schaffen wir sicher eine Menge.«

»Das wäre wirklich schön.« Moa trug den Topf mit der Fischsuppe zum Küchentisch. »Aber was sagt Daniel dazu, wenn du das ganze Wochenende hier verbringst?«

»Gar nichts. Der hat anderes im Kopf«, antwortete Sofia und hob den Topfdeckel an. »Mmh, das riecht herrlich! Falls du doch nicht wieder zurück in die Werbebranche willst, kannst du auch einfach ein Restaurant eröffnen.«

Moa lachte. »Ich glaube, das ist nicht mein Ding.«

»Und ich glaube, das würde sich richtig lohnen. Wie läuft es übrigens bei Sundblad & Ström? Hast du dich mittlerweile an den Job gewöhnt?«

»Es wird, aber ich muss noch viel lernen. Ich merke immer wieder, wie wenig ich über Möbel und Kunst weiß.« Moa wartete, bis Sofia sich von der Suppe genommen hatte, und bediente sich dann selbst.

»Das Wichtigste kriegst du ziemlich schnell mit. Mir hat Artur damals oft unter die Arme gegriffen. Ist er noch da?«

»Ja, und mir hat er auch schon viel geholfen.«

»Er ist wirklich ein Schatz. Wusstest du, dass auch sein Vater schon dort im Auktionshaus gearbeitet hat? Offenbar hat sein Großvater die Firma gegründet, aber nach dem Zweiten Weltkrieg ist irgendetwas passiert und Arturs Vater hat alles an Marcus Sundblad und dessen Schwiegersohn Viktor Ström verkauft.«

»Oh, nein, das wusste ich nicht.«

»Susanne hat mir das mal erzählt. Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass allzu viele Leute davon wissen.«

»Aber die Familie ist nach dem Verkauf in der Firma geblieben?«

»Das war wohl ein Teil des Deals. Artur muss buchstäblich in der Firma aufgewachsen sein. Er hat schon als Kind dort ausgeholfen, später in den Ferien dort gearbeitet und wurde dann nach dem Schulabschluss fest eingestellt.«

»Dann ist mir klar, woher er sein ganzes Wissen hat. Er ist eine wandelnde Enzyklopädie. Hast du eine Ahnung, wie alt er ist?«

»Ich schätze mal, so um die fünfundsiebzig?«

»Hat er denn gar nicht vor, in Rente zu gehen?«

»Ich glaube, er hat sich mal für eine Weile aus der Firma zurückgezogen, ist aber nach ungefähr einem Jahr wieder zurückgekehrt.«

»Warum?«, fragte Moa interessiert.

Sofia bestrich eine Brotscheibe mit Butter. »Puh, keine Ahnung. Ganz so ins Detail ist Susanne nicht gegangen.«

Moa lächelte. »Entschuldige, ich bin nur neugierig.«

Sie wechselten das Thema und unterhielten sich wieder über die Wohnung und das, was sie an diesem Wochenende erledigen wollten. Ihr Plan war, wenigstens das Gästezimmer und das Wohnzimmer aufzuräumen. Das sollte doch wohl zu schaffen sein.

KAPITEL 4

Es sah aus, als wäre ein Tornado durch das Gästezimmer gefegt. Moa stemmte die Hände in den Rücken und ließ sich vor einer Schublade voller Tischdecken, Gardinen und anderer Textilien nieder.

»Das wird ewig dauern.« Sie nahm einen weiteren gehäkelten Untersetzer heraus und musterte die filigrane Handarbeit. »Ich verstehe nicht, wieso Oma so viel aufbewahrt hat.«

»Ist das nicht total normal? Alles aufzuheben, was noch zu irgendetwas gut sein könnte?« Sofia zog die letzte Schublade aus dem Kleiderschrank und wischte den Staub weg, der sich auf der Kante angesammelt hatte. »Wie wollen wir es machen? Vielleicht je ein Stapel mit dem, was du behalten, verschenken und wegwerfen willst?«

»Gute Idee.« Moa sah sich um. »Und wir sollten ein paar Möbel ausmustern, damit der Raum luftiger wird. Den IKEA-Schrank könnten wir doch im Internet verkaufen.«

»Aber diese tolle Kommode hier musst du behalten.« Sofia deutete auf ein Möbelstück aus gebeiztem Holz.

»Die stand in Omas und Opas Diele in Mölle.«

»Hat deine Großmutter viele Möbel von dort mitgebracht?«

»Viel zu viele. Mein Vater hatte gehofft, sie würde beim Umzug die Gelegenheit nutzen und richtig ausmisten, aber ich glaube nicht, dass mehr als zwei große Müllsäcke dabei zusammengekommen sind.«

»Ich bin genauso. Als Daniel und ich zusammengezogen sind, hatten wir Mühe, alles in die Wohnung zu bekommen.«

»Ich erinnere mich daran«, erwiderte Moa. »Ich hatte kaum was dabei, als ich bei Ruben eingezogen bin.« Im Nachhinein war sie doch etwas verblüfft, wie wenig sie bei ihrem Einzug in Rubens Wohnung mitgebracht hatte. Aber er hatte ja alles Notwendige bereits besessen.

»Und daran kann ich mich noch gut erinnern.« Sofia lachte. »Daniel meint immer noch, ich hätte mir ein Beispiel an dir nehmen sollen.«

»Andererseits hatte ich auch gar nicht die Gelegenheit, mir viel Kram anzuschaffen. Wenn man jahrelang immer nur zur Untermiete wohnt, ist man mit ziemlich leichtem Gepäck unterwegs.«

»Ja, das stimmt. Aber wenn ihr jetzt eine gemeinsame Eigentumswohnung kauft, solltet ihr die Gelegenheit nutzen und ein paar Sachen zusammen anschaffen.«

»Mhm.« Moa stopfte ein weiteres Paar gehäkelter Untersetzer in den Müllsack mit den Sachen, die verschenkt werden sollten. Die Besitztümer ihrer Großmutter durchzugehen hatte eine seltsam beruhigende Wirkung. Moa fühlte sich ihr dabei extrem nah, und außerdem ließ ihr die viele Arbeit keine Zeit, sich über andere Dinge den Kopf zu zerbrechen. Darüber, ob sie wohl irgendwann einen Job finden würde, der mehr mit ihrer Ausbildung zu tun hatte, zum Beispiel. Oder darüber, dass die Verantwortung für einen Hund auf ihren Schultern lastete.

»Das hier ist ja hübsch!« Sofia hielt ein Kissen mit besticktem Bezug hoch.