Bruder Oleg und der tote Ablasskrämer - Gudrun Krohne - E-Book

Bruder Oleg und der tote Ablasskrämer E-Book

Gudrun Krohne

0,0

Beschreibung

Mord im Klostergarten Magdeburg im Herbst 1394 Zur alljährlichen Messe haben sich in der Herberge des Klosters vielerlei Gäste eingefunden. Kaum sind die geschäftigen Tage vorüber, wird im Klostergarten der tote Ablasskrämer Bruder Bonaventura gefunden. Ein Tatverdächtiger ist schnell ermittelt. Tilman Nagler hegte einen tiefen Groll gegen Bonaventura. Schließlich hatte der seinem sterbenden Vater die Nagelschmiede abgeluchst. Ausgerechnet in der Klosterkirche sucht Tilman sich dem Zugriff der Wachen zu entziehen und bittet um Asyl. Bruder Olegs Spürnase und seine beträchtliche Neugier ziehen ihn unausweichlich in die Ereignisse hinein. Auf der Suche nach der Wahrheit sieht sich Oleg in ein Ränkespiel auf allerhöchster Ebene verwickelt. Letztendlich muss er sich der Frage stellen, wem seine Loyalität gehört.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 497

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Personen

Die Klostergemeinschaft

Bruder Oleg – kann nur schwer seine Neugier zügeln, wenn es außergewöhnliche Ereignisse aufzuklären gilt

Abt Odo – Guardian der Barfüßer

Bruder Kamillus – kräuterkundiger Gärtner, steht Oleg mit Rat und Tat zur Seite

Bruder Bonaventura – Ablasskrämer

Bruder Bodo – Bonaventuras Gehilfe

Novize Gunther – macht eine schaurige Entdeckung, in deren Folge ihn alte Ängste plagen

Bruder Petrus – Klosterkoch, der vorübergehend die Lust an seinen Töpfen verliert

Prior Johannes – gestrenger Vertreter des Abtes

Bruder Theobald – der Infirmarius, nimmt auch die Toten genau in Augenschein

Bruder Simon – für die Stallungen zuständig

Bruder Jordanus – hünenhafter Schreiber des Abtes

Bruder Severin – Pförtner mit einem Hang zur Neugierde

Bruder Lambert – taubstummer Illuminator und Kopist, Freund Olegs

Vater Gerhard – Pater bei den Aussätzigen

Die Gäste

Brenek von Landfels – lässt nichts unversucht, seinen Auftrag zu erfüllen

Angela Schachschneider – hat eigene Vorstellungen von ihrem Leben

Class Schachschneider – Kaufmann, Angelas Vater

Henrietta Schachschneiderin – Angelas Mutter

Wolfram Purger – verzweifelter Schreiber, der nicht rechtzeitig seinen Dienst antreten kann

Karlman Eider – Reliquienhändler mit flinken Augen

Benedikt Rademacher, Judokus Brehmer – Viehhändler aus dem Thüringischen

Die Magdeborcher

Tilman Nagler – zürnt dem Ablasshändler und gerät unter schlimmen Verdacht

Conrad Nagler – Tilmans Vater

Gothelf Nagler – Neffe vom alten Nagler, will in Tilmans Abwesenheit die Schmiede an sich bringen

Jacob Flemming – Ratmann zu Magdeborch

Clara Flemming – sein Eheweib

Veit Flemming – beider Sohn mit dem Witz eines Fünfjährigen, doch freundlich zu jedweder Kreatur

Hildegard – Freundin Olegs aus Kinder- und Jugendjahren

Witho – Gewürzhändler, Hildegards Ehewirt

Lutz – jüngster Spross von Hildegard und Witho, ein rechter Wildfang

Frieder – angenommener Sohn von Hildegard und Witho

Florian Schellenfuß – unterhält einen gutgehenden Botendienst, wobei ihm allerlei zu Ohren kommt

Inhaltsverzeichnis

Personen

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

Bisherige Veröffentlichungen:

Der Tagesablauf in einem mittelalterlichen Barfüßerkloster / Franziskaner

Glossar

Bruder Oleg und das verlorene Schaf

Quellen

Bruder Oleg und der tote Ablasskrämer

Magdeborch im Jahre des Herrn 1394

1. Kapitel

„Geh schon voraus in die Kräuterwerkstatt, Gunther, und bringe Bruder Kamillus den Ranzen mit den leeren Salbendosen und Tinkturenfläschchen.“ Bruder Oleg schob seinen Begleiter drei Schritte weiter und fügte hinzu: „Ich habe noch etwas mit Bruder Severin zu bereden.“

Der hatte eben das Klostertor hinter dem Mönch und dem Novizen geschlossen und wandte sich nun Oleg in der Hoffnung zu, einiges an Neuigkeiten von dessen Gang zum Sondersiechenhaus zu erfahren. Der Umstand, dass heute der letzte Tag der Herrenmesse war und der Bruder auf seinem Weg zu den Leprösen am Neuen Markt in der Domfreiheit vorbeigekommen war, ließ des Portarius Augen in Erwartung des Berichts kugelrund werden.

Gunther machte sich sogleich pflichtbewusst auf den Weg zu den Gärten. Im Innenhof traf er jedoch auf einen anderen Novizen, dem er eifrig etwas zuflüsterte, was diesen sogleich den Mund aufsperren ließ.

Oleg wischte sich mit dem Kuttenärmel den Schweiß von der Stirn, der mit dem Staub der Straße eine klebrige Schicht auf seinem Gesicht bildete. Trotz des recht kühlen Tages hatte das stete Gedränge und Geschiebe auf dem Breiten Weg, der als Magdeborchs Hauptstraße vom nördlichen bis zum südlichen Stadttor führte, ihm einiges abverlangt. Das Sondersiechenhaus lag vor dem südlichen Sudenburger Tor und vom Kloster der Barfüßer bis dorthin war es für gewöhnlich ein Weg von einer knappen Stunde. Die Herrenmesse, welche alljährlich an drei Tagen zum Ende des Holzmonats hin in Magdeborch stattfand, setzte „für gewöhnlich“ außer Kraft. Und so hatte sich die Wegzeit des kleinen, schmächtigen Mönchs und seines Begleiters fast verdoppelt. Sie hatten sich eilen müssen, um noch rechtzeitig zum vormittäglichen Chorgebet zurück im Kloster zu sein.

Zuvorkommend eilte Bruder Severin in die Pförtnerstube und kam mit einem Becher Dünnbier zurück. Die Kehle des Bruders wollte geschmiert werden, auf dass der ihn mit den erhofften Neuigkeiten versorgen konnte.

Nicht nur Magdeborch mit all seinen Schänken, Wirtshäusern, Herbergen und klösterlichen Gästehäusern platzte ob des Ansturms von Händlern, Käufern, Pilgern und Kauffahrern aus fernen Landen aus allen Nähten. Auch bei den Aussätzigen hatten sich allerlei Gäste eingefunden, die sich freigiebige Almosen von all dem angereisten oder hier beheimateten Volk erhofften. Die Leprösen durften zwar nicht die Stadt betreten, doch mit ihren hölzernen Klappern heischten sie vor den Toren der Stadt um Aufmerksamkeit und fromme Gaben.

So hatte Bruder Oleg bei seinem außerplanmäßigen Besuch viel zu tun gehabt. Kräuterumschläge waren aufzulegen, Pastillen gegen heisere Hälse zu verteilen oder nässende und eiternde Wunden mussten versorgt werden. Mitunter verletzten sich Aussätzige an ihren von der Krankheit befallenen Gliedmaßen und bemerkten es erst spät. Das tote Fleisch spürte keinen Schmerz mehr, konnte sich aber trotzdem böse entzünden, was bei den Sondersiechen für zusätzliches Leiden sorgte. Dem vorzubeugen oder es wenn nötig lindernd zu behandeln, war eine von Bruder Olegs Aufgaben.

Darüber hinaus befüllte Oleg dort regelmäßig den kleinen Apothekenschrank, aus dem sich Vater Gerhard bedienen konnte, um die Kranken zu versorgen.

„Morgen werden wohl etliche der Leprösen weiterziehen. Da sind einige Rastlose drunter, die es nirgends lange hält, die die Straßen entlangziehen von Stadt zu Stadt und doch ihrer Krankheit nicht davonlaufen können.“

„Wer will es ihnen verdenken, Bruder Oleg. Deren Weg endet erst, wenn sie irgendwo zum Sterben bleiben.“

„Nur gut, dass unsere Sondersiechen draußen vor der Stadt ein Heim gefunden haben, das sie nicht missen wollen und wo sie noch viele Jahre gut aufgehoben leben können.“

„Und was gibt es sonst noch Neues?“ Bruder Severin rückte ein bisschen näher. Er herrschte am Übergang zwischen klösterlicher Abgeschiedenheit und dem Trubel der Welt und war einem kleinen Schwatz nie abgeneigt.

Bruder Oleg kniff sein rechtes, blaues Auge zu und musterte den Portarius erheitert.

Dort wo bei anderen Leuten das linke Auge sitzt, hatte Oleg ein weiches, innen abgepolstertes Lederband über die leere Augenhöhle gebunden. Sein braunes Auge hatte ihm ein grausamer Galgenstrick ausgestochen, da war er gerade acht Jahre alt gewesen. Das war nun schon sechsundzwanzig Jahre her und seither lebte der ehemalige Straßenjunge im Kloster. Trotz seiner niederen Herkunft war ihm das Noviziat erlaubt worden und Jahre später hatte er die ewigen Gelübde abgelegt.

„Auf dem Rückweg habe ich mit Gunther einen kleinen Abstecher über den Neuen Markt gemacht. Der Junge hatte es sich verdient, so fleißig und gewissenhaft, wie er all seinen Aufgaben nachkommt.“

„Das hatte er also vorhin dem anderen Novizen so eifrig zuzuflüstern.“ Bruder Severins rundliches Gesicht legte sich in belustigte Falten.

„Ein unschuldiges Vergnügen, dem bunten Treiben ein wenig zuzusehen.“

„Also, Bruder Oleg.“ Severin schüttelte vorwurfsvoll den Kopf, zwinkerte seinem Gegenüber aber gleichzeitig zu. „Da wollen wir doch hoffen, dass es Prior Johannes nicht zu Ohren kommt, der nichts von unschuldigem Vergnügen und buntem Treiben hält. Sonst darfst du dich in der nächsten Kapitelversammlung dafür verantworten, ein kindliches Gemüt den Fallstricken der weltlichen Versuchung ausgeliefert zu haben.“

Oleg ging nicht weiter darauf ein. Der Gedanke, dass der Prior Anstoß an dem kleinen Umweg nehmen könnte, war ihm gar nicht gekommen. Doch ausschließen konnte man eine Rüge nicht. Da hatte der Portarius durchaus recht. Aber darüber konnte er sich noch Gedanken machen, wenn es so weit war.

„Unser Ablasskrämer scheint übrigens ausgesprochen gute Geschäfte zu machen. Die Leute drängten sich geradezu um seinen Tisch am Eingang des Doms. Sie können es scheinbar kaum erwarten, sich Stunden oder Tage aus dem Fegefeuer freizukaufen.“

„Wen wundert's? Werden es wohl etliche am letzten Tag der Messe nötig haben. Manch einer hat seinen Geschäftspartner womöglich übervorteilt oder ihm mangelhafte Ware angedreht. Da passt es doch, wenn man einen Teil des Mehrerlöses gleich zur Tilgung der Sünden abgeben kann.“ Bruder Severin machte eine kleine Pause, sah sich um und flüsterte dann: „Und, Bruder Oleg, gibt es etwas Neues von dem Erschlagenen, den man gestern Morgen vor dem Lakenmacher Tor gefunden hat?“ Severin bekreuzigte sich flüchtig.

Oleg tat es ihm nach und schüttelte dann den Kopf. „Selbst die Sondersiechen, die ja sonst schon Dinge wissen, die in der Oldenstadt noch gar nicht angekommen sind, haben bloß ratlos die Schultern gezuckt. Moses meinte, es sei wohl ein Außerhalbscher gewesen, aber genau konnte er es auch nicht sagen.“

„Nur gut, dass der Tote weit weg vom Kloster außerhalb der Stadtmauer gefunden wurde. Sonst würdest du doch deine Spürnase wieder reinstecken, sei ehrlich, Bruder Oleg.“

Oleg wand sich unbehaglich. Dass er es gewesen war, der vor vier Monaten die Umstände zu zwei Todesfällen im Kloster aufgedeckt hatte, sollte eigentlich verborgen bleiben. Zu leicht könnte ihm jemand die Teilhabe an dem dritten Todesfall dazumal anhängen.

Noch bevor Oleg eine ausweichende Antwort zusammensuchen konnte, wurde er von einem Klopfen am Klostertor erlöst. Bruder Severin streckte den Kopf aus der Tür und zog gleich darauf einen der großen Torflügel auf, um einen Berittenen einzulassen.

Ross und Reiter hätten nicht unterschiedlicher sein können. Während das Tier eher an einen grobknochigen, schlecht gelaunten Ackergaul erinnerte, war der ein wenig stutzerhaft gekleidete Mann, der jetzt die beiden Mönche ehrerbietig grüßte, von eher zierlicher Gestalt, mit schmalen Händen und flinken, meist fröhlich in die Welt blickenden Augen. Nichtsdestotrotz schienen die beiden eine eingespielte Gemeinschaft zu bilden, bei der sich der eine bedingungslos auf den anderen verlassen konnte.

Die Hässlichkeit des Pferdes wurde noch durch seine schmutziggraue Farbe und die fahlgelbe, ausgefranste Mähne unterstrichen. Wohingegen die fast schwarzen Haare des Mannes in leichten Wellen bis auf die Schultern fielen. Über der Nasenwurzel waren seine dichten, schwarzen Augenbrauen fast zusammengewachsen, was ihm etwas Finsteres hätte geben können, wäre da nicht der aufgeweckte, frohe, mitunter spöttische Blick gewesen.

„Habt Ihr Euren Freund finden können, Herr von Landfels?“, wandte sich Severin an den jungen Edelmann.

„Habt Dank für die Nachfrage, guter Bruder. Mein Freund ist noch nicht eingetroffen. Doch weiß er, dass er mich hier in Eurem Kloster finden kann. Ich rechne heute oder morgen mit seinem Kommen.“

„Wenn Ihr mir sagen wollt, auf welchen Namen ich achten muss, kann ich ihn sogleich zu Euch führen lassen.“

„Mein Freund wird nach mir fragen.“ Brenek von Landfels reichte dem Portarius sein Schwert, nickte den Brüdern noch einmal zu und lenkte dann sein Pferd nach links zu den Stallungen. Dort sprang der Reiter gewandt aus dem Sattel und übergab die Zügel einem Laienbruder. Der führte mit wachsamem Respekt das große Tier, welches jetzt die Ohren angelegt hatte und nach der Hand des Bruders schnappte, in den Stall.

Noch bevor Oleg und Severin ihr Gespräch wieder aufnehmen konnten, rief die Klosterglocke alle Mönche zum Chorgebet zur Sext und Non in die Klosterkirche. Anschließend führte Prior Johannes die Brüder in ordentlicher Zweierreihe ins Refektorium, wo schon Körbe mit Brot und Schüsseln voller Dickmilch bereitstanden.

Die Tischlesung hielt heute Bruder Andreas, der über seine Tätigkeit als Bibliothecarius hinaus seit einem halben Jahr die Aufsicht über die Novizen zu führen hatte. Ihre Lektionen erhielten die Jungen vom Guardian, Vater Odo, oder gingen in den unterschiedlichen Bereichen des Klosters ihren vielfältigen Arbeitsaufgaben nach. Viel lieber hätte Bruder Andreas all seine Zeit seinen Aufgaben in der Bibliothek und im Skriptorium gewidmet.

In der freien Stunde nach dem Mahl zog sich Oleg mit Griffel und Wachstafel auf seinen Sitzstein im Garten zurück. Im Auftrag von Vater Odo hatte Oleg eine Reisebeschreibung zu verfassen. Aufgewachsen war er im Magdeborcher Barfüßerkloster, doch vor vierzehn Jahren hatte der damalige Guardian, Vater Raimundus, den einäugigen Mönch nach Nyen Brandenborch geschickt. Von dort war Oleg im Frühjahr gemeinsam mit Bruder Lambert, dem taubstummen Kopisten und Illuminator, nach Magdeborch aufgebrochen.

Vater Odo, beeindruckt von dem weitgereisten Mönch, hatte ihm aufgetragen, einen Bericht über diese Reise zu verfassen. Anfangs noch qualvoll langsam, hatte Oleg bald zu einer flüssigen Arbeitsweise gefunden, die ihm zunehmend Freude bereitete. Dass die Arbeit nun vor ihrem Abschluss stand, erfüllte ihn einerseits mit einem gewissen Stolz, den er aber nie offen zeigen würde. Andererseits fühlte Oleg eine leichte Wehmut von der Art, wie man sie verspürt, wenn eine monatelange Arbeit vor ihrer Vollendung steht und im Anschluss eine Lücke bleibt, von der man noch nicht weiß, wie man sie füllen soll und ob die folgende Aufgabe auch dieses Gefühl der Befriedigung bringen wird.

Bruder Kamillus, Olegs Lehrmeister in Kräuterwerkstatt und Gärten, trat zu seinem Adlatus, der von seinem Sitzstein zu dem älteren Mönch aufblickte.

„Gunther berichtete, dass ihr einen Umweg über den Neuen Markt gemacht habt.“

Oleg hob den Kopf und seufzte. „Ja, er scheint es jedem auf die Nase zu binden, der ihm über den Weg läuft. Bruder Severin meinte schon, dass Prior Johannes nicht davon begeistert sein wird, dass wir unsere Zeit dort vertrödelten und ich den armen Jungen den Fallstricken der weltlichen Versuchung aussetzte.“

Kamillus lachte leise auf. „Womöglich beantragt er, dich für dieses unverzeihliche Vergehen in die Verwahrzelle zu sperren.“

Oleg schob die Unterlippe vor. „Wenn ich meine Schreibutensilien mitnehmen darf, nicht der schlechteste Gedanke. Die Wachstafel ist schon wieder voll und ich werde das Vorgeschriebene ab morgen auf Pergament übertragen.“

„Hat es wenigstens Spaß gemacht? Gunther jedenfalls schien begeistert.“

„Vielleicht sollte er seine Begeisterung nicht gar so offen zeigen. Andererseits will ich ihn nicht zur Zurückhaltung ermahnen. Das könnte ihn erst recht auf den Gedanken bringen, wir hätten etwas Verbotenes, Unrechtes getan. Den kleinen Ausflug hatte er sich verdient und sollte deswegen nun kein schlechtes Gewissen haben.“

„Und was gibt es sonst Neues?“

Oleg berichtete Kamillus, was er auch schon Bruder Severin erzählt hatte. Als er sagte: „Unser Ablasskrämer scheint gute Geschäfte zu machen“, verzog Kamillus das Gesicht.

„Nun von unserem Ablasskrämer kann man hier wohl nicht sprechen. Er ist nicht aus unserem Kloster, auch wenn er dem Orden der Barfüßer angehört. Und wollte er sich wirklich in unsere Klostergemeinschaft einfügen, würde er bei allen anderen Mönchen im Dormitorium schlafen. Nicht genug, dass er eine eigene Kammer im Gästehaus forderte, musste diese auch noch abschließbar sein.“

Oleg zuckte nur unbestimmt die Schultern. Darüber hatte er sich bisher keine Gedanken gemacht. Dass der Ablasskrämer jedoch allerorten mit gewandten und glühenden Worten die Angst vor dem Fegefeuer schürte und das Volk in Angst und Schrecken versetzte und ihm damit die sauer verdienten Münzen aus den Taschen lockte, hatte auch bei ihm den einen oder anderen geringfügigen Zweifel am gottgefälligen Tun des Mannes hervorgerufen. Andererseits wurde dessen Erlös zum Ruhme des Allerhöchsten verwendet und wie man hörte, sollte auch der Dombaustelle schon etliches davon zugeflossen sein.

„Bruder Kamillus, ich habe die leeren Tiegel und Fläschchen, die Bruder Oleg und ich wieder mitgebracht haben, in Aschelauge eingeweicht. Was soll ich jetzt tun?“

Kamillus drehte sich zu dem leise herangetretenen Jungen um. „Gunther, auch dir als Novizen steht die freie Stunde nach dem Mittagsmahl zu und du solltest sie für dich nutzen. Warum spielst du nicht mit den anderen Novizen hinter dem Dormitorium mit dem Ball?“

Gunther scharrte mit den nackten Zehen im Sand.

„Hänseln sie dich noch immer wegen deiner Lippenspalte?“, fragte Kamillus und straffte wachsam die rundliche Gestalt.

„Nein, das ist es nicht. Sie sind eher neidisch, weil ich hier mit Bruder Oleg arbeiten darf.“ Gunther machte eine kleine Pause und fügte dann rasch hinzu: „Und mit Euch natürlich auch.“

Kamillus zog ein finsteres Gesicht, das ihm keiner so richtig abnahm. „Ja, ich verstehe schon. Was ist es also dann?“

„Ich mache die Arbeiten einfach gern und wenn ich damit warten soll bis nach der freien Stunde, ist das wie eine Strafe. Und nachdem ich heute das erste Mal mit zu den Sondersiechen durfte, möchte ich noch viel mehr lernen, um denen dort zu helfen.“ Wieder folgte eine kleine Pause, bevor der vierzehnjährige Junge zutraulich fortfuhr: „Die da sind unter ihren Gesichtstüchern noch viel entstellter als ich. Und im Gegensatz zu den Leprösen wird mein Makel nicht schlimmer. Also kann ich eigentlich noch ganz zufrieden sein.“

Oleg kniff sein eines Auge spöttisch zusammen, meinte dann aber ernst: „So viel Demut wird dem Gottvater ein Wohlgefallen sein.“

Gunther nickte eifrig. Kamillus nahm ihn am Ärmel und zog ihn mit sich. „Dann wollen wir Bruder Oleg mal bei seiner Schreibarbeit allein lassen und in der Werkstatt nachsehen, was es dort noch für dich zu tun gibt.“

Oleg sah den beiden liebevoll hinterher. Es sollte ihn nicht wundern, wenn Kamillus den Jungen die süßen Honigpastillen zählen oder den Honigvorrat prüfen ließ. Mit solchen Aufgaben hatte der Ältere ihn immer belohnt, als er selbst noch ein Dreikäsehoch gewesen war. Dass da das eine oder andere an seinen klebrigen Fingern hängengeblieben war und abgeleckt werden musste, hatte Kamillus großzügig übersehen.

Nach der freien Stunde zogen die Mönche erneut in die Klosterkirche zur Anbetung des Allerheiligsten. Als sie sich anschließend auf dem Klosterhof verliefen, um sich zu den nachmittäglichen Aufgaben und Arbeiten zu begeben, blieb Oleg einen Augenblick im Hof stehen.

Durch das Nordtor der Kirche verließen einige Gäste des Klosters das Gotteshaus. Unter ihnen befand sich auch Brenek von Landfels, der nur ein paar Jahre Jahre weniger zählen konnte als er selbst. Oleg hätte den Edlen nicht für so fromm gehalten, dass der das Stundengebet am frühen Nachmittag besuchte. Doch dann erkannte er, woher die übergroße Frömmigkeit des jungen Mannes rührte.

Sorgsam behütet, auf der einen Seite von dem schwergewichtigen Vater und auf der anderen Seite von der matronenhaften Mutter, schritt die blutjunge Angela Schachschneider mit züchtig gesenktem Kopf zwischen ihren Eltern zum Gästehaus hin.

Brenek von Landfels hatte augenscheinlich auf das Dreigespann gewartet, denn er zog nun sein Barett vom Kopf und erwies der Familie seine Reverenz, wobei die Fasanenfeder an dem Kopfputz, den er vor die Brust gedrückt hatte, lustig wippte.

Der Kaufmann Claas Schachschneider aus Wismaria, der seinen Reichtum in Form eines aus erlesenem, rostrotem Brokatstoff gefertigter und reichlich mit Pelz besetzten Tasselmantels zur Schau stellte, warf dem stutzerhaften Mann einen finsteren Blick zu. Die nicht minder prachtvoll gewandete Mutter lächelte erfreut über die Artigkeit des Edelmannes. Und Tochter Angela? Die hielt weiterhin den Kopf züchtig gesenkt, doch entging es Olegs wachsamem Auge nicht, dass sie dem jungen Mann einen schnellen, herausfordernden Blick zuwarf.

Oha, da war doch etwas im Gange. Wollen wir hoffen, dass es hier auf Klosterboden nicht zu Unziemlichkeiten kommt, dachte Oleg, musste aber im Stillen zugeben, dass die beiden jungen Leute recht gut zusammenpassen würden. Wenn da dieser schier unüberwindliche Standesunterschied nicht wäre. Der Vater war sich dessen wohl bewusst, die Mutter schob alle Bedenken beiseite in der Hoffnung auf eine gute Partie und die Tochter war scheinbar fest entschlossen, zu bekommen, was sie wollte. Eine brisante Mischung. Doch das war nicht Olegs Problem. Zudem würden die Beteiligten an dieser kleinen Tändelei morgen oder übermorgen gen Heimat aufbrechen und somit aus Olegs Gesichtskreis verschwinden.

Die Sonne hatte sich dazu durchgerungen, dem letzten Tag der Messe doch noch ein wenig Glanz zu verleihen. Zwischen eilig über den Himmel ziehenden Wolkenfetzen hindurch erreichten immer wieder Sonnenstrahlen die Erde und wärmten alles was da kreuchte und fleuchte – bis das nächste Wolkenschiff herangesegelt war.

Oleg begab sich in die Kräuterwerkstatt, um mit Bruder Kamillus zu besprechen, welche Tinkturen, Kräutermischungen und Salben im Sondersiechenhaus noch vorrätig waren und welche beim nächsten Besuch ergänzt werden mussten.

Während Kamillus Gunther darin unterwies, eine Salbe aus weißem Schweineschmalz, Ringelblumen, Beinwell und Kamille zuzubereiten, machte sich Oleg an eine lindernde Kräutermischung, die ins Badewasser gegeben werden konnte. Die Sondersiechen verfügten über ein eigenes Badehaus, das einmal die Woche angeheizt und von den Kranken gern genutzt wurde.

Darüber ging der Nachmittag dahin.

Kurz vor der Komplet fanden sich die meisten Bewohner des Gästehauses im Kloster ein. Den letzten Tag der Herrenmesse hatten sie genutzt, um angebahnte Geschäfte rechtskräftig zu besiegeln, diese zu bezahlen oder Wechsel auszustellen. Anschließend wurden die Waren auf Schiffe, Flussboote, Wagen oder Karren verladen. Ab Morgen würde sich die Schiffslände leeren.

Für den Transport auf dem Landweg fanden sich Wagenzüge zusammen, um in der Gemeinschaft mit anderen Sicherheit zu finden und etwaigem Raubgesindel vereint entgegenzutreten.

Der eine oder andere Besucher mochte diesen letzten Tag aber auch genutzt haben, um noch einmal ohne rechtes Ziel über den Markt zu schlendern, sich an all den Gütern aus fernen Ländern zu erfreuen, die eine oder andere Kleinigkeit zu erwerben oder mit alten und neuen Bekannten ein letztes Gespräch zu führen und sich für die nächste Herrenmesse zu verabreden.

Auf all die Aufregungen, all die fremdländischen Waren, die exotischen Düfte, auf die Gaukler und Possenreißer musste man lange verzichten, um sich erst übers Jahr hier wieder einzufinden, nicht minder neugierig, nicht minder auf einträgliche Geschäfte und einen ordentlichen Gewinn aus.

Wie aus dem Spundloch eines Weinfasses der Wein immer langsamer floss je weniger davon im Fass vorhanden war, bis er denn schließlich vollends versiegte, so würde morgen und übermorgen eine sich stetig vermindernde Betriebsamkeit an den Stadttoren und den Anlegestellen an der Elbe herrschen.

Schließlich würde wieder Ruhe in der Stadt und im Kloster einkehren.

Vor dem Chorgebet zur Komplet machte Oleg einen Gang durch die Gärten, um die Arbeiten für den nächsten Tag festzulegen und vielleicht auch, um ein wenig von dem Trubel der Messe, welcher bis ins Kloster geschwappt war, Abstand zu gewinnen. Er musste feststellen, dass dort bereits eine weitere Seele die Ruhe genoss, die auch ihm jedesmal das Herz erfüllte, wenn er zwischen den Beeten herumging.

Schon wollte er einen anderen Weg einschlagen, um die Versunkenheit der schlanken Gestalt nicht zu stören. Doch Angela Schachschneider hatte ihn schon bemerkt.

„Ich wollte nicht in Euer Reich eindringen, guter Bruder. Verzeiht, ich werde gehen.“

„Dazu gibt es keinen Anlass. Es ist nichts Schlechtes daran, sich an Gottes Schöpfung zu erfreuen und die Gärten stehen den Gästen offen. Ihr könnt also kommen und gehen, wie es Euch beliebt.“

Die junge Frau verhielt zögernd den Schritt und Oleg hatte Gelegenheit, sie näher zu betrachten, was sich eigentlich für einen Mönch nicht geziemte. Aber Oleg wurde von einer gesunden Neugierde getrieben, wenn es um die Menschen ging, die seinen Weg kreuzten, auch wenn das gemeinsame Wegstück nur ein kurzes war.

Die Schachschneider-Tochter hatte ihre nussbraunen Haare in einen strengen, dicken Zopf geflochten. Ein paar vorwitzige Löckchen an Schläfen und Stirn wurden von einem dunkelbraunen Schapel in Zucht gehalten. Die einzige Zier ihres erdfarbenen Gewandes waren kupferfarbene Stickereien an Ärmel-und Saumabschluss sowie am hochgeschlossenen Kragen.

Eine so junge Frau sollte farbenfroher gekleidet sein, es sei denn, sie sähe sich schon in einem Kloster als Braut Christi. Was wohl Brenek von Landfels bewog, einer solch scheinbar faden Jungfer den Hof zu machen? Bei genauerem Hinsehen bemerkte man allerdings ein aufmüpfiges Funkeln in ihren Augen und einen leicht trotzigen Zug um den Mund. Wie es ausschaute, hatte der Edelmann genauer hingesehen.

Ein Widerborst, diese Jungfer.

„Wenn Ihr wirkliche Ruhe und Zurückgezogenheit sucht, kann ich Euch hier einen Ort zeigen, wohin sich nur selten ein Mensch verirrt.“ Oleg wies mit der Hand auf den Weg, der zu seiner fast geheimen Bank hinten an der Klostermauer führte.

Dort angekommen, sah sich Angela mit kindlich freudigem Vergnügen um und lächelte Oleg dankbar an. Eigentlich hätte er züchtig die Lider senken müssen, doch Angelas Freude war so unschuldig, dass er das Lächeln zurückgab und ihr erzählte, wie er hier vor ein paar Monaten zwei Katzenjunge aufgezogen hatte.

Dann schwiegen sie beide und Oleg wollte sich schon zurückziehen, als die junge Frau hervorstieß: „Was soll ich nur tun?“

Oleg wandte sich ihr wieder zu.

„Brenek von Landfels?“, wagte er einen Schuss ins Blaue.

„Ihr habt es bemerkt?“, fragte sie überrascht und ein rosiger Hauch färbte ihre Wangen.

„Selbst für einen Mönch ist es unübersehbar, dass der Herr von Landfels Euch den Hof macht. Ebenso unleugbar ist es, dass Eure Mutter darob entzückt ist, wohingegen es Eurem Vater die Zornesader schwellen lässt. Ihr müsst Euch wie zerrissen fühlen.“

„Für einen Gottesmann habt Ihr einen erstaunlich klaren Blick auf die weltlichen Zwickmühlen, in denen sich eine junge Frau unversehens wiederfinden kann.“ Belustigt musterte Angela den kleinen, einäugigen Mönch.

Oleg zog mit einem schuldbewussten Lächeln die Schultern hoch. „Die Abgeschiedenheit eines Klosters bedeutet nicht, dass wir blind sind für die Belange der Welt.“

Die junge Frau nickte nachdenklich. „Habt Ihr einen Rat für mich?“

Oleg schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Nein, das habe ich nicht. Doch solltet Ihr klug abwägen zwischen der Geborgenheit Eures Elternhauses und dem Wagnis dieses unvorbereitet und gegen den Willen Eures Vaters zu verlassen.“

Angela seufzte tief und ließ sich auf der Bank nieder.

„Ich werde Euch dann mit Euren Gedanken allein lassen“, sagte Oleg. „Ich bin gewiss, Ihr werdet die richtige Entscheidung treffen.“ Damit wandte er sich endgültig zum Gehen.

Zum Chorgebet und der öffentlichen Andacht fanden sich auch der Ablasskrämer Bonaventura und sein Begleiter, Laienbruder Bodo, ein. Bonaventura gesellte sich zu seinen Brüdern in den Chorraum, wohingegen sich Bodo zu den anderen Laien und Besuchern jenseits des Lettners begeben musste.

Oleg saß schräg hinter dem Ablasshändler und konnte ihn so unauffällig betrachten. Der Mann stand wohl kurz davor, das fünfzigste Lebensjahr zu vollenden, und war von hochgewachsener, asketischer Gestalt. Die sorgfältig rasierte Tonsur war von einem Kranz dunkler, drahtiger Haare umgeben.

Oleg hatte ihm heute auf dem Neuen Markt kurz zugesehen. In seinem Eifer, den fehlgegangenen Menschen Gutes zu tun und ihren Seelen die Zeit im Fegefeuer zu verkürzen, wirkte Bonaventura anfangs überaus wohlwollend und freundlich, nur um im nächsten Augenblick, die Höllenqualen drastisch und wortgewaltig zu schildern, dass auch dem letzten abgebrühten Galgenstrick das große Zähneklappern ankam.

Mit seiner Beredsamkeit könnte Bruder Bonaventura auch das Wasser überzeugen, flussauf zu fließen, hatte Oleg gedacht.

Sein Begleiter Bodo, wohl an die zehn Jahre jünger, war in der Gestalt das genaue Gegenteil von Bonaventura. Von kleiner und grobschlächtiger Gestalt ähnelte er eher einem bauchigen Fass, aus dem kräftige Arme und Beine herausragten. Oben drauf saß ein Kopf, der fast keinen Hals zu haben schien. Seine Nase war eingedrückt und von den oberen Schneidezähnen waren einige abgebrochen. Bodo wirkte nicht eben wie ein Klosterbruder. Doch sei's drum, er wachte mit Argusaugen über seinen Herrn und dessen Tasche mit den begehrten Urkunden und den eingenommenen Münzen und trug ihm stets ein klappbares Tischchen und einen Hocker hinterher.

Die Mönche verließen nach der Komplet die Kirche durch das Nordtor und begaben sich von dort normalerweise in geschlossener Reihe zum Refektorium, welches das Erdgeschoss des Gebäudes an der Ostmauer des Klosters einnahm. Darüber befand sich das Dormitorium.

Doch heute gab es auf diesem Gang eine Unterbrechung, welche sich unversehens zu einem ausgewachsenen Skandal ausweitete, der schon bald die Mauern des Klosters verlassen würde, um in Magdeborch zumindest für einen Tag zum Stadtgespräch zu werden.

„Ich habe mit Euch zu reden, Ablasskrämer!“, wurde die Prozession der Mönche abrupt aufgehalten.

Die aufgebrachte, laute Stimme gehörte einem jungen Mann, der kaum zwanzig Jahre zählte und dessen dunkelblaue Augen sich ím Zorn nun fast lila verfärbt hatten. Er war von mittelgroßer, eher schmächtiger Gestalt, doch unter dem ärmellosen Wams schauten Arme hervor, deren Sehnen- und Muskelstränge bis zum Hals liefen und wie dicke, belastbare Taue wirkten. Im Gesicht hatte er Rußspuren und in der Hand hielt er einen Hammer, als wäre er gerade eben von einem Schmiedefeuer aus aufgebrochen, um hier Rabatz zu machen.

Doch zum Rabatzmachen hatte er sich den falschen Ort ausgesucht. Der Guardian des Klosters, Vater Odo, trat dem Störenfried kerzengerade und mit unbewegtem, vornehm blassem Gesicht entgegen. Seine grauen Augen musterten den ungehörigen Eindringling von oben, denn der Abt war gewiss zwei Handbreit größer.

„Mäßige deine Worte, mein Sohn. Du befindest dich hier auf dem geweihten Boden eines Klosters. Wenn du ein Anliegen hast, so beantrage, es morgen im Kapitel vortragen zu dürfen.“

„Ich bin nicht Euer Sohn und habe mit dem Kloster keinen Händel. Ich will nur den Erbschleicher dort sprechen.“ Des jungen Mannes ausgestreckter Zeigefinger deutete unmissverständlich auf den Ablasshändler.

„Dieser Mönch ist Gast unseres Klosters und unser geschätzter Bruder. Niemand wird in einem solch ungebührlichen Ton mit ihm oder einem anderen unserer Brüder sprechen.“

„Euer geschätzter Bruder? Da habt Ihr Euch ja den Richtigen ausgesucht. Meinem todkranken Vater hat er die Nagelschmiede abgeluchst und ihm dafür einen Fetzen Pergament aufgeschwatzt, dass ihm einen Ablass von einem halben Jahr im Fegefeuer gewähren soll. Ein abgefeimter Erbschleicher allererster Güte ist Euer geschätzter Bruder.“

„Die Nagelschmiede?“ War der Abt verunsichert wegen der Anklage, so ließ er sich das nicht anmerken. Sein fragender Blick ging in Richtung des Ablasshändlers.

Der sah sich nun genötigt, einen Schritt vorzutreten.

„Dann seid Ihr der Sohn vom alten Nagler. Euer Vater tat gut daran, seine Schmiede der Mutter Kirche für einen Ablass zu übertragen. Gebt Ihr ihm doch keinen Anlass zur Freude und musste er befürchten, dass ihr das Gewerbe in Wirtshäusern und beim Glücksspiel durchbringen würdet. Recht hat er getan. Euer Auftritt hier beweist nur, von welch jähzornigem Gemüt Ihr seid.“

„Das ist eine Sache zwischen mir und meinem Vater und erlaubt Euch nicht, dem alten Mann das Handwerk zu entreißen, das seit Generationen in unserer Familie vom Vater auf den Sohn weitergegeben wird.“

„Wir werden hier nicht vor aller Augen und Ohren diesen Zank weiterführen“, entschied der Guardian. Von den Streitführenden unbemerkt waren die anderen Gäste des Klosters und die Mönche näher gerückt, dass ihnen auch ja kein Wort des Zwistes entging und neugierig verfolgten alle die Auseinandersetzung.

„Die Angelegenheit wird morgen im Kapitel besprochen, zu dem Ihr“, er nickte in Richtung des jungen Schmiedes, „eingeladen seid, um dort in geziemendem Ton Euer Anliegen vorzubringen.“

„Seht Euch nur vor!“, drohte der Nagler-Sohn zum Ablasshändler hin und schüttelte drohend seinen Hammer. „Ich werde nicht ruhen, bis meines Vaters Erbe wieder mir gehört.“

Der Portarius führte den jungen Mann mit leisem, gutem Zureden, aber bestimmtem Griff am Arm zum Tor und die Reihe der Brüder konnte endlich ihren Weg zum Refektorium fortsetzten.

Oleg sah, wie Brenek von Landfels sich Bruder Severin und dem Schmied anschloss, anscheinend eine Frage an den Nagler stellte und sich dann eiligen Schrittes dem Gästehaus zuwandte. Knapp vor dessen Treppe holte er die Schachschneiders ein. Galant wollte er der Tochter den Arm reichen, wurde aber vom Vater mit grimmigem Gesicht zur Seite gedrängt. Doch schien das den Edelmann nicht im Geringsten zu beeindrucken. Gut gelaunt folgte er ins Gästehaus, wo den Besuchern von Laienbrüdern und Dienstleuten das Essen aufgetragen wurde.

Ein sanfter Stoß in den Rücken ließ Oleg einen Schritt stolpern. Er wandte sich ein wenig aufgebracht um und sah in das grinsende Gesicht von Bruder Lambert. Der formte mit den Fingern in der Zeichensprache „Neugierig“ und schob Oleg dann weiter.

Nur zu gern hätte Oleg dem taubstummen Freund im Speisesaal das Streitgespräch zwischen Ablasskrämer und Nagler-Sohn in die Fingersprache übersetzt. Doch Bruder Kolumban hub eben mit der Tischlesung an und so bedeutete Oleg Lambert nur: „Später. Kräuterwerkstatt.“

Der nickte und widmete sich dann mit gutem Appetit dem Abendmahl, doch machte er schon nach wenigen Bissen lange Zähne. Und damit war er nicht der Einzige. Etliche der Brüder verzogen überrascht das Gesicht und auch Oleg schielte zum Klosterkoch, Bruder Petrus, der mit gesenktem Kopf nicht wahrnahm, dass ihn etliche tadelnde Blicke trafen.

Das Brot war zwar frisch, jedoch fade und scheinbar ohne Salz gebacken. Dafür schien dem Koch das Salzfass in die dicke Gemüsesuppe gefallen zu sein. So blieb die Hälfte des Eintopfs in den Schüsseln, was der Koch jedoch nicht zu bemerken schien.

Nach dem nicht eben schmackhaften Abendmahl fanden sich Kamillus, Oleg und Bruder Lambert in der Kräuterwerkstatt ein. Auch Gunther wollte sich zu ihnen gesellen, doch Kamillus schickte ihn zu den anderen Novizen, nicht ohne ihm zuvor zwei Äpfel in die Hand gedrückt zu haben.

Auch für die anderen legte er eine Handvoll der noch ein wenig grünen Äpfel auf den Tisch der Werkstatt.

Oleg biss in einen, dass es knackte und ihm der Saft aus den Mundwinkeln lief. „Damit bekommt man ja vielleicht das ganze Salz aus dem Schlund“, nuschelte er mit vollem Mund und kaute das saure Fruchtfleisch gründlich.

„Bruder Petrus ist bedrückt“, zeigte Lambert den beiden und Oleg übersetzte es für Kamillus.

„Er scheint die Lust am raffinierten Kochen und das Tüfteln über neue Rezepte verloren zu haben“, stimmte Kamillus bekümmert zu. Bruder Petrus zählte seit Jahrzehnten zu seinen engeren Freunden. Oft trug er Kräuter in die Küche und beriet sich mit Petrus, wie diese am besten einzusetzen wären. Und selbstverständlich probierte Kamillus die damit verfeinerten Gerichte gründlich, was dazu geführt hatte, dass die Kutte um den rundlichen Kräutermönch recht stramm saß.

Zu anderen war Bruder Petrus meist mürrisch und scheuchte alle ungebetenen Gäste unwirsch aus seinem Reich. Doch bei Kamillus machte er eine Ausnahme, wenn der mit einem Sträußchen Rosmarin und Salbei, Thymian und Minze, Estragon und Ysop, Bohnenkraut und Kerbel oder Basilikum und Petersilie erschien.

„Wenn ich es recht bedenke“, fuhr Kamillus fort, „ist er schon die letzten Tage recht in sich gekehrt. Aber ein solch ungenießbares Essen hat er uns noch nie vorgesetzt.“

„Vielleicht hat er Zahnweh“, bedeutete Lambert und rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Backe.

Kamillus schüttelte den Kopf. „Ich habe ihn gefragt, ob ihm etwas fehlt, denn gestern hat er die Kräuter, die ich ihm brachte, unbeachtet auf dem Hackklotz verwelken lassen. Er hat mich aber nur angeknurrt und gemeint, ich solle mich um meinen eigenen Kram kümmern.“ Kamillus verzog besorgt das Gesicht.

„Er hat heuer viel zu tun mit all den Gästen, die unser Kloster zurzeit beherbergt“, gab Oleg zu bedenken.

„Das hat ihn noch nie gekümmert“, hielt Kamillus dagegen.

„Wir werden halt alle nicht jünger.“ Oleg stemmte die Hände in den Rücken und streckte ihn durch.

Kamillus lachte leise auf. „Wenn das so ein Greis wie du sagt, muss es wohl stimmen.“

„Das Kapitel morgen wird interessant werden“, wechselte Oleg das Thema, denn zu Bruder Petrus und seinen versiegten Kochkünsten gab es vorerst nichts weiter zu sagen.

„Wenn der alte Nagler die Werkstatt dem Ablasskrämer überschrieben hat, wird der Junge wohl die Hoffnung fahren lassen können, sie je zurückzuerhalten.“

„Bruder Bonaventura ist kein guter Mensch“, zeigte Lambert. Seine Beeinträchtigung im Hören und Sprechen hatte ihm wie zum Ausgleich einen scharfen Blick für seine Mitmenschen beschert. Und so sah er oft Dinge, die anderen verborgen blieben.

„Nun ja, als Ablasshändler darf man wohl nicht allzu zimperlich sein.“ Oleg griff nach einem zweiten Apfel.

„Aber einem Sterbenden das Handwerk abzuschwatzen und dem Jungen damit die Grundlage für sein Leben zu entziehen und ihn womöglich auf die Straße zu setzen, da bedarf es schon einer gehörigen Portion Abgebrühtheit. Andererseits hat der Alte damit seine Zeit im Fegefeuer verkürzt, was auch nicht zu verachten ist.“

„Was macht so ein Ablasshändler eigentlich mit einer Werkstatt, denn er wird ja nach der Messe weiterziehen?“, wollte Oleg von dem Älteren wissen. „Er könnte sie zwar verpachten, müsste dann aber alle Jahre wiederkommen, um die Pacht einzuziehen.“

„Ich denke, er wird sie der ansässigen Kirche übergeben, vielleicht einem Kloster oder den Chorherren des Domkapitels.“

„Dann kann der Junge sie doch pachten und weiterführen.“

„Ein schlechter Tausch, wenn man bedenkt, dass er dann nur noch ein Pächter ist in dem Haus, das vormals ihm gehörte, und nun für andere Leute schaffen muss.“

„Der Vater Abt wird morgen im Kapitel sicher ein gerechtes Urteil fällen“, war sich Oleg sicher.

„Ich befürchte, da kann auch Vater Odo wenig tun. Überschrieben ist überschrieben und was die Mutter Kirche einmal hat, das hat sie.“

Da auch dieses Thema erschöpfend behandelt war, machten sich Kamillus und Oleg daran, die Werkstatt für die Nacht herzurichten. Fläschchen und Krüge mussten zugestöpselt und die Kohlepfanne mit einem Torfstück abgedeckt werden. So hielt sich die Glut bis zum nächsten Morgen.

Bruder Lambert nahm sich derweil Olegs Wachstafel vor und verbesserte hier und da das eine oder andere Wort, in dem sich ein Fehler eingeschlichen hatte.

Kurz darauf begaben sie sich ins Dormitorium zur Nachtruhe. Zu Laudes und Matutin würde die Klosterglocke sie zum Nachtgebet wecken.

2. Kapitel

Das Morgenmahl war genießbar, wenn auch Bruder Petrus nicht wie sonst Honig oder Butter oder Eier unter den Morgenbrei gerührt hatte. Zumindest war mit Salz im rechten Maße gewürzt worden. Und so wurden alle Schüsseln geleert, wohl auch eingedenk der Tatsache, dass gestern Abend manch einer nur mäßig gesättigt vom Tisch aufgestanden war.

Am Stall und am Tor herrschte bereits rege Betriebsamkeit. Gleich nach dem Morgenmahl bereiteten sich etliche Gäste auf die Heimreise vor.

Prior Johannes führte die Reihe der Mönche in den Chor der Kirche, wo das wöchentliche Kapitel stattfinden würde. Zu Beginn der Versammlung wurden einige unbedeutende Kleinigkeiten besprochen wie zum Beispiel, dass für das Gästehaus zwei neue Strohsäcke angeschafft werden sollten oder dass der Messerschleifer beauftragt werden musste, die Messer für die wöchentliche Rasur der Tonsur zu schärfen.

Als dann jedoch der Prior den Nagelschmied Tilman Nagler ankündigte, schien ein Ruck durch die Brüder zu gehen und sie setzten sich aufrechter ins Chorgestühl, dass ihnen auch ja kein Wort von dem zu erwartenden Disput entgehen möge.

Tilman Nagler hatte sich in seinen Sonntagsstaat gekleidet, wohl auch um zu zeigen, dass er kein Habenichts war. Doch im Grunde genommen war er genau das. Er besaß weder Grundbesitz noch Eigentum. Sein Vater hatte ihn gewissermaßen enterbt und wenn dieser vor seinen Schöpfer trat, blieben dem Jungen vermutlich nur die Kleider, die er auf dem Leibe trug.

Dessen ungeachtet trat er mit allem Selbstbewusstsein, zu welchem der kaum Zwanzigjährige imstande war, vor die Kapitelversammlung des Klosters um sein Erbe von der allmächtigen Mutter Kirche zurückzufordern. Ein von vornherein aussichtsloses Unterfangen, doch wollte sich der Junge nicht widerspruchslos in sein Schicksal fügen. Sein Kopf war erhoben, seine Augen blickten herausfordernd, auch wenn er recht verloren wirkte, wie er so ganz allein vor der Mönchsversammlung stand. Kein Advocatus stand ihm bei, kein Innungsmeister unterstützte seinen Anspruch und von seinem Vater brauchte er sich erst recht keinen Beistand erhoffen.

Der Guardian musterte den jungen Mann einige Augenblicke und sprach dann: „Tilman Nagler, Ihr habt dem Kapitel des Klosters ein Anliegen vorzutragen. Sprecht frei, doch mit dem gebührenden Respekt.“

Dass der Abt ihn in der höflichen Form ansprach, die erst einem Meister gebührte, ließ den jugendlichen Schmied die Schultern straffen und gemahnte ihn daran, nicht wieder in die wüsten Anschuldigungen und Drohungen des Vortages zu verfallen. Wenn er der Erbe der Werkstatt sein wollte und deren zukünftiger Meister, dann sollte er sich gefälligst auch so verhalten.

Also war Tilman Nagler bestrebt, den ungünstigen Eindruck, den er am gestrigen Tag hinterlassen hatte, zu tilgen und sein Anliegen angemessen vorzutragen.

Was er nicht ganz verbergen konnte, war das Glitzern in seinen Augen und Oleg dachte bei sich: Wollen doch mal sehen, wie lange er sich zusammennehmen kann.

„Vater Abt, ich trete hier vor Eure Versammlung, weil mir ein Unrecht geschehen ist.“ Tilman machte eine kleine Pause und erkannte wohl, dass das nicht unbedingt der rechte Einstieg war. Unterstellte er doch dem Kloster, ihm dieses Unrecht zugefügt zu haben. Der zweite Anlauf sollte besser werden.

„Vater Abt, ich bitte Euch, Recht zu sprechen. Der Ablasskrämer Bonaventura, der in diesem Kloster Unterkunft gefunden hat, hat sich meines sterbenskranken Vaters Werkstatt angeeignet und mich so um mein mir zustehendes Erbe gebracht.“

Abt Odo bedachte die Worte einige Augenblicke, dann fragte er mitfühlend: „Woran leidet Euer Vater? Wir haben einige Brüder, die sich in der Kräuterkunde hervorragend auskennen. Womöglich können sie Eurem Vater Linderung verschaffen.“

„Meinen Vater plagt seit dem letzten Winter ein schlimmer Husten, von dem er sich nicht erholen kann“, schilderte der junge Mann eifrig die Krankheit. Der Abt schien Anteil an seinem und seines Vaters Schicksal zu nehmen. Da wollte er alles richtig machen. „Seit einigen Wochen wird ihm die Luft immer knapper und er hat begonnen Blut auszuhusten. Einen Medikus wollte mein Vater nicht bezahlen, aber ich habe einen Bader kommen lassen. Der hat meinen Vater zur Ader gelassen, doch danach ist er nur schwächer geworden. Ich weiß mir keinen Rat mehr.“

„Wir werden sehen, was sich machen lässt.“ Dann wandte sich der Guardian an den Ablasshändler: „Bruder Bonaventura, Ihr habt die Anschuldigung des jungen Schmieds gehört. Was könnt Ihr dazu sagen.“

Der Angesprochene erhob sich aus seinem Stuhl, trat vor den Abt und maß den neben ihm stehenden Schmied mit einem missfälligen Seitenblick.

„Es ist ein ganz normaler und rechtmäßiger Vorgang, Vater Abt, und nichts Tadelnswertes ist daran. Der alte Mann hat mich in sein Haus rufen lassen, um seine Sündenlast und sein Verweilen im Fegefeuer zu mindern. Er überschrieb aus freien Stücken seine Werkstatt der Heiligen Mutter Kirche und erhielt dafür einen angemessenen Ablass von einem halben Jahr.“ Er wandte sich nun direkt Tilman zu. „Ist Euch die Minderung der Qualen Eures Vaters im Fegefeuer etwa weniger wert als weltlicher Besitz? So handelt kein liebender Sohn an seinem Vater. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.“

Tilmans Gesicht hatte sich mit jedem Wort des neben ihm stehenden Mönches verfinstert und seine Lippen hatten sich zu einem schmalen Strich verkniffen.

So wie Oleg es erwartet hatte, war es mit der mühsamen Beherrschung des jungen Mannes nun vorbei.

„Was soll daran rechtmäßig sein, wenn ihr dem alten Mann, der kaum noch Herr seiner Sinne ist, sein Eigentum abschwatzt“, schleuderte er dem Ablasskrämer entgegen. „Sagt, wie vielen habt Ihr zuvor schon ihr Hab und Gut entrissen mit dem zweifelhaften Versprechen, ihr Leiden im Fegefeuer zu verringern?“

Ein entsetztes Aufstöhnen ging durch die versammelten Mönche. Nicht nur, dass er den Bruder in geradezu unverschämter Weise angriff, er zog auch die Rechtmäßigkeit des Ablasswesens in Zweifel. Das war Häresie!

„Tilman Nagler!“, fuhr ihn der Abt scharf an. „Zügelt Eure Worte und bedenkt, was Ihr sagt. Zu leicht könnte man Euch das als Kritik an der Heiligen Mutter Kirche auslegen. Ihr habt Eurem Anliegen einen schlechten Dienst erwiesen.“

Der junge Mann sackte ein wenig zusammen und von seinem selbstbewussten Auftreten blieb nicht viel. Unsicher sah er sich um, als erwarte er, dass man ihn sogleich in Ketten legen werde.

Oleg tat er ein wenig leid. Da war er ganz allein gekommen, hatte sich dieser Macht entgegenstellen wollen und dabei war er doch nur ein unglücklicher Junge, der nicht wusste, wie er das vermeintliche Unrecht ungeschehen machen sollte. Und nun waren ihm auch noch diese unbedachten Worte entschlüpft und die Erfüllung seines Begehrens damit in schier unerreichbare Ferne gerückt.

Bruder Bonaventura dahingegen sah jetzt mit unverhohlener Verachtung auf den Schmied herab. Er richtete sich kerzengerade auf, um dem jungen Mann den Todesstoß zu versetzen: „Darüber hinaus befindet sich die Werkstatt Eures Vaters nicht mehr in meiner Obhut. Ich habe sie bereits weitergegeben. Sie untersteht, so Euer Vater sich von seinem irdischen Körper trennt, diesem Kloster.“

Oleg hätte es nicht für möglich gehalten, doch seine versammelten Brüder setzten sich um eine weitere Handbreit auf und reckten die Hälse. Wie reagierte der Schmied, was würde Vater Odo sagen?

Bei Tilman schienen die Worte des Ablasshändlers jedoch keine Verzweiflung auszulösen. Im Gegenteil, ein winziger Hoffnungsstrahl zeichnete sich in seinem Gesicht ab.

„Dann gebt Ihr mir die Werkstatt zurück?“, fragte er vertrauensvoll den Abt und schien keinen Augenblick daran zu zweifeln, dass es jetzt ausgestanden war. Der Abt war ihm streng aber mit einem gewissen Wohlwollen begegnet, hatte ihn gestern nicht gleich von seinem Grund und Boden werfen lassen. Nein, er hatte sich heute hier sein Anliegen angehört. Nun musste alles gut werden.

„Das werde ich nicht tun.“

Wenn je einem Verzweifelten die Hoffnung abrupt zerschlagen, je einem Ertrinkenden der letzte Strohhalm entrissen worden war, dann musste er so ungläubig geschaut haben wie dieser junge Mann.

Mit hängenden Schultern wandte er sich ab und schlurfte zum Lettner, welcher Chor und Kirchenschiff trennte, um durch das Südtor hinaus auf die Straße zu treten und sein Elend womöglich in einer großen Kanne Bier zu ersäufen.

Doch vor dem Lettner drehte er sich noch einmal um. Neue Entschlossenheit spiegelte sich in seinem Gesicht.

„Ich werde nicht ruhen, bis ich mein Recht bekommen habe. Und Ihr“, wandte er sich direkt an den Ablasskrämer, wobei er die Fäuste vor seinem Bauch ballte, „Ihr werdet früher oder später Eure gerechte Strafe erhalten.“

Alle sahen noch zum Lettner, als Tilman Nagler schon dahinter verschwunden war. Dann drehten sie gleichzeitig die Köpfe und erwarteten von ihrem Guardian, dass er die noch immer herrschende Spannung und das Unwohlsein, welches die Worte des jungen Mannes ausgelöst hatten, aufheben würde.

Doch stattdessen trat Prior Johannes einen Schritt vor. Er konnte seine Entrüstung nicht länger zurückhalten.

„Was für ein undankbarer, grober Bursche. Bruder Severin“, wandte er sich an den Portarius, „tragt dafür Sorge, dass dieser zweifelhafte Schmied nie wieder Klosterboden betritt.“

Bruder Severin nickte eifrig, versagte sich aber den Einwand, dass der junge Mann das Kloster jederzeit durch die Kirche betreten könne. Er würde am Tor das seine tun, der Rest oblag anderen.

Zufrieden zog sich der Prior wieder an die Seite des Abtes zurück. Auch Bruder Bonaventura setzte sich wieder auf seinen Stuhl, nicht ohne zuvor demütig den Kopf zu neigen und die Hände zu falten. Er murmelte ein kleines Dankgebet, dass der Gottvater ihn aus dieser Prüfung als Sieger hatte hervorgehen lassen.

Weiteres gab es in diesem Kapitel nicht zu bereden und so beendete es der Guardian. Doch bevor sich die Mönche verstreuen konnten, wies er den Ablasskrämer an, ihm in sein Sprechzimmer zu folgen.

Kamillus und Oleg wechselten einen beredten Blick. Man musste schon auf beiden Augen blind sein, um zu übersehen, dass der Vater Abt nicht eben erfreut darüber war, welches Ei ihm der Ablasskrämer da ins Nest gelegt hatte.

Natürlich konnte er dem jungen Schmied nicht einfach seines Vaters Werkstatt zurückgeben. Es hatte schließlich alles seine Rechtmäßigkeit gehabt. Aber zufrieden war er mit der Entwicklung der Dinge auch nicht.

Doch kamen Oleg und Kamillus vorerst nicht dazu, die Sachlage in ihrer Kräuterwerkstatt zu bereden, denn der Tag hielt noch vielfältige Aufgaben bereit, die erfüllt werden mussten.

Den restlichen Vormittag verbrachte Oleg damit, dem Infirmarius Bruder Theobald in der Krankenstube zur Hand zu gehen. Den greisen Brüdern Anselm, Vitalis und Eido, die in der Infirmerie eine Stube bewohnten und dort bis zu ihrem Ende liebevoll umsorgt wurden, rieb er die müden Gelenke und Muskeln mit einer Salbe aus Beinwell und Wacholder ein.

Seit Oleg vor einigen Monaten drei Tage bei ihnen in der Infirmerie hatte verbringen müssen, hatten die drei Alten den jungen Bruder ins Herz geschlossen und genossen seine regelmäßigen Besuche. Nach der Behandlung las er ihnen aus der Bibel vor und sang mit ihnen einige Psalmen. Geduldig und interessiert hörte er dann zu, was sie aus ihrem langen Leben zu erzählen hatten, auch wenn er die eine oder andere Geschichte nicht zum ersten Mal hörte.

In der freien Stunde nach dem Mittagsmahl, welches erneut recht bescheiden und fade ausfiel, hatten Oleg und Kamillus endlich Gelegenheit, über das Kapitel zu sprechen. Beide hatten ein gewisses Verständnis für die Lage des jungen Naglers. Dessen häretische Worte gegen den Ablasshandel konnten aber auch sie nicht gutheißen, nicht zuletzt, weil der Junge sich damit in eine brandgefährliche Situation gebracht hatte. Wenn der Ablasskrämer nachtragend war, und das war nach seinem bisherigen Verhalten nicht auszuschließen, dann standen dem Burschen einige unangenehme Befragungen bevor.

Dass nun das Kloster und allen voran Vater Odo sich mit diesem Zank auseinandersetzen mussten, war beklagenswert. Doch von Bruder Bonaventura ein kluger Schachzug, das mussten sie zugeben. Der konnte sich nun zufrieden zurücklehnen und gewissermaßen als Zuschauer fungieren, der keinen Einfluss mehr auf das Geschehen hatte. Darüber hinaus würde er wohl morgen oder übermorgen weiterziehen und sie mit der unerfreulichen Angelegenheit allein lassen.

Irgendwann wurde Oleg recht wortkarg und gab kaum noch Antworten.

„Dir spukt doch schon wieder irgendetwas in deinem Kopf herum“, sagte Kamillus schließlich, dem die Einsilbigkeit seines Adlatus nicht verborgen blieb.

„Der Junge schilderte die Krankheit seines Vaters recht anschaulich“, gab Oleg seine Überlegungen preis. „Und Vater Odo deutete an, dass wir ihm vielleicht helfen könnten. Was wäre denn, wenn du und ich einige Kräuter zusammenstellen und ich dem alten Nagler heute noch einen Besuch abstatte? Schließlich haben wir jetzt eine gewisse Verantwortung für diese Familie.“

„Habe ich es doch geahnt, dass du da wieder deine Nase reinstecken wirst.“ Kamillus seufzte übertrieben. „Dann lass uns in die Werkstatt gehen und sehen, was wir für so einen Fall vorrätig haben.“

Die nächste halbe Stunde verbrachten sie damit, aus Bergminze und Lungenkraut eine Mischung für einen Aufguss zusammenzustellen und ein Beutelchen Kamille für ein Gesichtsdampfbad abzufüllen. Oleg strich etwas von der Brustsalbe aus weißem Gänseschmalz, Spitzwegerich und Schlüsselblume in eine kleine Tondose. Als alles aufgereiht auf dem Arbeitstisch stand, wollte Oleg die Arzneien schon in seinem Beutel verstauen, als Kamillus ihn zurückhielt.

„Bevor du den alten Nagler aufsuchst, solltest du mit Vater Odo darüber sprechen und seine Erlaubnis einholen.“

Oleg überlegte kurz. „Ich darf das Kloster für Krankenbesuche verlassen. Dafür muss ich mich nur mit Bruder Theobald absprechen.“

„Richtig, und an Bruder Theobald gehen zuvor die Anfragen von außerhalb des Klosters um Hilfe. Hat der Nagler um Beistand gebeten?“

„Nein, das nun nicht gerade...“

„Darüber hinaus befinden sich das Kloster und der junge Nagler in einer sehr angespannten Lage. Du musst Vater Odo um Erlaubnis bitten.“

Oleg verdrehte sein Auge, konnte sich aber der argumentatio des Älteren nicht völlig entziehen. Andererseits war ihm durchaus bewusst, wenn er im offiziellen Auftrag des Abtes in das umstrittene Haus ging, würde er dem Guardian wieder regelmäßig Bericht über seine Erfahrungen erstatten müssen.

Doch Kamillus hatte recht. Also begab sich Oleg nach dem Chorgebet zur Anbetung des Allerheiligsten zu den Räumlichkeiten des Abtes und bat im Vorzimmer dessen hünenhaften Schreiber, Bruder Jordanus, um ein Gespräch mit Vater Odo.

Schneller als ihm lieb war, wurde er vorgelassen.

Auf dem Schreibtisch des Abtes lagen etliche Pergamentseiten, die Odo ausgerollt und wohl studiert hatte. Mit dem Finger auf einer der Seiten sah er zu Oleg auf.

„Was führt dich zu mir, mein Sohn?“

„Vater Odo, der junge Nagler sprach von der Krankheit seines Vaters und beschrieb sie recht ausführlich. Ich habe mich mit Bruder Kamillus beraten und es hat den Anschein, als leide der gute Mann an der Lungenfäule.“

„Ich glaube, mich zu erinnern, dass es keine Heilung für diese Krankheit gibt.“

„Das ist richtig, Vater Abt, jedoch sind wir in der Lage, das Leiden des alten Mannes mit Aufgüssen, Kräutern für ein Dampfbad und Brustsalbe zu lindern.“

„Und womöglich sein Leben zu verlängern?“

Oleg stutzte einen winzigen Augenblick. Sollte Vater Odo so erpicht auf die Schmiede sein, dass er den alten Mann nicht früh genug unter der Erde sehen konnte? Dann musste er ob dieses Gedankens breit grinsen – nur innerlich, versteht sich. So war Vater Odo nicht.

Er nickte eifrig. „Das wäre durchaus möglich.“

„Das würde ein wenig Zeit bringen, mit dieser Problematik angemessen umzugehen.“

Jetzt gestattete sich Oleg ein offenes Lächeln, kein so breites Grinsen wie in seinen Gedanken, nur ein kleines, zustimmendes Lächeln.

„Mit dem Krankenbesuch könnten wir unseren guten Willen in dieser Angelegenheit beweisen...“

„... das Leben des Vaters zu verlängern und nicht auf Biegen und Brechen schnellstmöglich an die Werkstatt zu gelangen.“

„Danke, Vater Odo, dann mache ich mich jetzt auf den Weg.“

„Nein, nicht heute. Der Junge wird noch sehr erbost sein, dass ich sein Anliegen abschlägig beschieden habe. Da wird er einem Mönch aus eben jenem Kloster, mit dem er in Streit liegt, unter Umständen die Tür vor der Nase zuschlagen. Morgen Vormittag, Bruder Oleg, kannst du gehen.“

Oleg wollte noch etwas einwenden, doch der Abt hatte schon seinen Blick auf das Pergament gesenkt, wo noch immer sein Finger die Stelle markierte, ab der es weiterzulesen galt.

Auch so hatte Oleg erreicht, was er im Sinn gehabt hatte. Den halben Tag konnte er getrost auch noch warten. Der Alte würde ja nicht ausgerechnet in dieser Nacht seinen letzten Schnaufer tun.

Auf dem Weg zurück in den Kräutergarten machte Oleg einen kleinen Umweg zu den Stallungen, wo Bruder Simon herrschte. Gestern hatte er ihm eine Einreibung für eines der klösterlichen Maultiere gebracht, welches an einem Furunkel an einem der Vorderbeine litt.

An der Stalltür kam ihm Brenek von Landfels entgegen. Oleg nickte dem Edelmann freundlich zu, doch der schien ihn gar nicht wahrzunehmen. Er stiefelte mit so finsterem Gesicht vorbei, dass Oleg ihm erstaunt hinterher sah.

Als Oleg Bruder Simon fragte, was denn dem von Landfels für eine Laus über die Leber gelaufen war, zuckte der nur unbestimmt mit den Schultern.

„Vielleicht hat der alte Schachschneider dem jungen Stutzer ein paar deutliche Worte in Bezug auf seine Tochter gesagt“, mutmaßte der Stallmeister.

„Das war zu erwarten“, stimmte Oleg zu und dachte mit leichter Sorge an die junge Frau. Doch davon konnte er Bruder Simon nichts erzählen Also fragte er: „Und wie geht es dem Maultier?“

„Schau selbst. Der Umschlag aus Heilton, Klette und Ringelblume zeigt schon Wirkung. Der Furunkel beginnt auszutrocknen.“

Sie begutachteten gemeinsam das Bein des Tieres und Oleg versprach, später einen neuen Umschlag vorbeizubringen.

Etliche Stellplätze, aud denen sich noch gestern Pferde gedrängt hatten, waren inzwischen verwaist und die Laienbrüder waren dabei, den Mist hinauszuschaffen und gründlich auszufegen. Nachdem ein Teil der Gäste abgereist war, würde Bruder Simon wieder ausreichend Zeit finden, sich um das kranke Tier zu kümmern.

Im Klostergarten widmete sich Oleg anschließend mit Gunthers Unterstützung den Sommerzwiebeln. Deren Kraut war bereits gelb geworden und umgeknickt und die Zeit der Ernte war gekommen. Gemeinsam zogen sie die Zwiebeln heraus, bürsteten vorsichtig die anhaftende Erde von den Knollen und banden sie dann mit dem welken Lauch zu Bündeln zusammen.

Bei einer kleinen Pause angelte Gunther mit geschickten Fingern zwischen den dornigen Zweigen der Stachelbeersträucher, welche gleich neben dem Zwiebelbeet wuchsen, eine Handvoll Beeren heraus. Die waren wohl bei der Ernte im August übersehen worden und nun schon reichlich schrumpelig, aber zuckersüß. Getreulich teilte er sie mit Oleg.

Die Zwiebelbündel trugen sie anschließend in einer großen Weidenkiepe zur Kräuterwerkstatt, um sie dort auf lange Schnüre unter dem überkragenden Dach zum Trocknen aufzureihen.

Es war eine reiche Ernte und die Arbeit bereitete Oleg und Gunther Freude. Das eine oder andere Scherzwort flog hin und her und Kamillus steuerte aus der Werkstatt manch trockene Bemerkung bei, was bei Gunther nicht selten unterdrücktes Kichern hervorrief.

Ja, der Junge fühlte sich hier in den Gärten ausgesprochen wohl. Er hatte scheinbar seine Berufung gefunden und saugte alles Wissen, das ihm die beiden Älteren vermittelten, in sich auf. Hier im Umfeld seiner wohlwollenden Lehrer war er zusehends aufgetaut. Von dem schüchternen, wortkargen Novizen, der noch vor wenigen Monaten kaum einen zusammenhängenden Satz herausgebracht hatte, war nicht viel übriggeblieben. Manches Mal neigte er gar zur Schwatzhaftigkeit, was von Kamillus und Oleg gutmütig geduldet wurde.

Sie mussten die Arbeit für Komplet und Abendmahl unterbrechen. Da sich Oleg sicher war, die verbleibenden Bündel auch allein aufhängen zu können, schickte er Gunther zu den anderen Novizen, dass er mit denen noch ein wenig Zeit verbringen könne.

Derweil Kamillus in der Werkstatt alles für die Nacht ordnete, beendete Oleg die Ernte und das Verstauen der Zwiebeln. Es war noch zu früh, um schon ins Dormitorium zu gehen, und Kamillus machte sich auf den Weg in die Infirmerie, um das eine oder andere mit Bruder Theobald zu besprechen.

Oleg schob überlegend die Unterlippe vor. Er könnte zu seiner Bank ganz hinten im Garten, unmittelbar an der nördlichen Klostermauer gehen und noch ein wenig meditieren oder ganz einfach den stillen Abend genießen. Er könnte auch das abgeerntete Zwiebelbeet glatt harken, um nach übersehenen Knollen zu suchen. Oleg entschied sich für das Letzte. Dann konnte er morgen, wenn er vom Krankenbesuch beim alten Nagler zurückkehrte, gleich mit dem Umgraben beginnen.

Tatsächlich wurde Oleg noch fündig und zog mit der hölzernen Harke einige kleinere Zwiebelknollen aus der Erde. Gerade hatte er sie in ein Schaff gesammelt und wollte sich wieder aufrichten, als er in der zunehmenden Dämmerung einen großen, hageren Mönch mit raumgreifenden Schritten den Weg entlangkommen sah. Im gleichen Moment erkannte ihn Oleg: Bruder Bonaventura.

Unbewusst sackte Oleg hinter den Stachelbeerbüschen wieder zusammen. Was hatte denn der Ablasskrämer um diese Zeit noch hier zu schaffen? Oleg schüttelte den Kopf. Das war nicht seine Angelegenheit. Schon wollte er sich das Schaff greifen, um es unter das Dach der Werkstatt zu stellen, als ihm einfiel, der Bruder könnte etwas im Garten suchen. Vielleicht ein Kraut oder ein Gemüse? Vielleicht brauchte er ja Hilfe?

Sich so vor sich selbst rechtfertigend, um sich nicht seine Neugierde eingestehen zu müssen, ging Oleg Bruder Bonaventura hinterher. Ich sollte ihn anrufen, damit er sich nicht erschrickt, huschte ein Gedanke durch Olegs Kopf und verflüchtigte sich unbeachtet, denn von der Bank her, auf der Oleg sonst für gewöhnlich meditierte, war eine ärgerliche Stimme zu hören, die den Ablasskrämer leise anfauchte:

„Bist du nun zufrieden? Wie konntest du dem senilen Alten die Werkstatt abgaunern, um sie dann unserem guten Abt anzudrehen? Du ziehst weiter und wir können zusehen, wie wir aus dem Schlamassel herauskommen.“

Oleg hatte, schon als die Stimme ihre Anklage begann, einen Schritt hinter einen der Apfelbäume getan. Eigentlich sollte er gehen. Doch dann erkannte er in dem Ankläger Bruder Petrus und die Neugierde packte ihn erneut.

„Wäre es dir lieber, wenn ich bliebe?“, spottete Bonaventura. „Hast du, als du in dieses Kloster eingetreten bist, dem damaligen Abt erzählt, dass du zuvor schon in einem anderen Kloster warst? Und hast du ihm von deinem ungleichen Zwilling erzählt? Was würde Abt Odo wohl sagen und tun, wüsste er, dass wir nicht nur Brüder im Geiste, sondern auch Brüder im Blut sind?“

„Wir sind keine Brüder im Geiste!“, schleuderte Petrus dem anderen unterdrückt entgegen. „Jedes Mal, wenn ich höre, wie dich einer mit dem verehrungswürdigen Namen Bonaventura anspricht, dreht sich mir der Magen um und verknotete sich, dass ich ausspeien könnte. Geh fort und komm nie wieder!“

Kein Wunder, dass seine Mahlzeiten kaum genießbar sind, dachte Oleg und spitzte die Ohren, um weiter zu lauschen, auch wenn ihn eine innere Stimme ermahnte, zu gehen.

„Ich komme und gehe, wie es mir beliebt“, sagte der Ablasskrämer ruhig. „Und wenn ich es für richtig und für lohnenswert erachte, werde ich zur nächsten Herbstmesse wieder hierher kommen.“

„Duuu!“, stieß Petrus hervor, machte einen Schritt auf den Ablasskrämer zu, packte ihn mit beiden Fäusten an der Kutte und schüttelte ihn kräftig. „Lass dich nie wieder hier sehen. Ansonsten könnte ich vergessen, dass wir Brüder sind.“

„Sei nicht albern.“ Bonaventura wischte die Hände seines Bruders von seiner Kutte. „Morgen, spätestens übermorgen bin ich fort und was im nächsten Jahr wird, werden wir dann sehen.“

Oleg trat langsam und still den Rückzug an. Nicht auszudenken, wenn einer der beiden Streithähne ihn hier beim Lauschen ertappte. Sicher würden sie ihn nicht beim Vater Abt anschwärzen, denn dann müssten sie ja auch ihr Geheimnis preisgeben. Doch könnte er Bruder Petrus je wieder unbefangen in die Augen sehen? Mit Sicherheit nicht.

Es war an der Zeit, das Dormitorium aufzusuchen. Oleg griff sich das Schaff mit den kleinen Zwiebeln und stellte es auf die Bank unter dem Dach der Werkstatt. Dann suchte er seine Bettstatt im Schlafsaal der Mönche auf. Kaum saß er auf der Bettkante, als er Bruder Petrus an der offenen Zelle vorbeigehen sah. Die beiden Brüder hatten ihren Streit für heute beendet.

Oleg lag noch eine ganze Weile mit offenem Auge auf seinem Strohsack und dachte über das Gehörte nach. So war Bruder Petrus also zuvor schon in einem anderen Kloster gewesen. Warum sollte er das verschweigen? Auch er selbst war schon in einem anderen Kloster gewesen. Vierzehn Jahre hatte er bei den Barfüßern in Nyen Brandenborch gelebt und gewirkt. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, dem dortigen Abt zu verschweigen, dass er bei den Ordensbrüdern in Magdeborch aufgewachsen war.

Es musste also einen gewichtigen Grund geben, dass Bruder Petrus ein Geheimnis daraus machte, dass Magdeborch nicht sein erstes Kloster war. Hatte er sich etwas zuschulden kommen lassen in diesem anderen Kloster? Etwas, das so schwer wog, dass der Koch keinesfalls darüber sprechen wollte?

Wollte er, Oleg, dieses Geheimnis ergründen? Die Neugier sagte Ja, der Gedanke, dass er Unerfreuliches zu Tage fördern könnte, riet ihm eindringlich davon ab.

Bruder Petrus war nicht immer ein angenehmer Zeitgenosse, oft grummelig und mürrisch anderen Brüdern gegenüber. Doch