Bull Mountain - Brian Panowich - E-Book
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Bull Mountain E-Book

Brian Panowich

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Beschreibung

Der Burroughs-Clan ist der größte Anbieter von Schwarzgebranntem, Hasch und Crystal Meth in Georgia und Umgebung. Seit Generationen hat er Bull Mountain fest im Griff. Und er verteidigt seine Stellung mit allen Mitteln. Um sich aus diesem Familiensumpf zu ziehen, wurde Clayton Burroughs Sheriff. Doch er weiß, dass er und Bull Mountain erst dann Frieden gefunden haben werden, wenn es ihm gelingt, seinen Brüdern endgültig das Handwerk zu legen. Schon einige Male haben das FBI und die Drogenbehörde versucht, die Burroughs-Brüder hinter Schloss und Riegel zu bringen. Nie ist es ihnen gelungen. Jetzt scheint ein junger, ehrgeiziger Agent den perfekten Plan zu haben. Doch er braucht Clayton Burroughs' Hilfe. Damit bricht ein Kampf los, an dessen Ende es nur einen Sieger geben kann – und viele Tote. »Ich kann dieses Buch nicht oft genug empfehlen. Es wird die Fans von Daniel Woodrell ebenso begeistern wie die von Dennis Lehane und William Gay. Erstklassig!« Tom Franklin »Bruder gegen Bruder im drogenverdammten Süden.« James Ellroy

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Seitenzahl: 411

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Der Burroughs-Clan ist der größte Anbieter von Schwarzgebranntem, Hasch und Crystal Meth in Georgia und Umgebung. Seit Generationen hat er Bull Mountain fest im Griff. Und er verteidigt seine Stellung mit allen Mitteln. Um sich aus diesem Familiensumpf zu ziehen, wurde Clayton Burroughs Sheriff. Doch er weiß, dass er und Bull Mountain erst dann Frieden gefunden haben werden, wenn es ihm gelingt, seinen Brüdern endgültig das Handwerk zu legen.

Brian Panowich besuchte die Georgia Southern University, beschloss aber danach, durchs Land zu ziehen und Musik zu machen. 2009 begann er mit dem Schreiben. Zwei seiner Erzählungen waren für den Spinetingler Award nominiert. Panowich lebt heute mit seiner Familie in Georgia und arbeitet als Feuerwehrmann. Bull Mountain ist sein erster Roman, er schreibt bereits an der Fortsetzung.

Johann Christoph Maass, geboren 1973, war Schlagzeuger, bevor er Literaturwissenschaften studierte. Er lebt in Berlin und arbeitet als freier Übersetzer im Hause adler&söhne – u.a. von Jonathan Lethem, Mark Vonnegut und Chad Harbach.

Brian Panowich

BULL MOUNTAIN

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch vonJohann Christoph Maass

Suhrkamp

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel Bull Mountain bei G. P. Putnam’s Sons, New York.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2016

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 4657.

© Suhrkamp Verlag Berlin 2016

© 2015 Brian Panowich

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Umschlagfoto: plainpicture/Millennium/Walter Lewis

Umschlaggestaltung: Werbeagentur ZERO, München

eISBN 978-3-518-74575-4

www.suhrkamp.de

Für NeicyFür Dad

Alles in der Welt muss wachsen, gedeihen und sterben, aber der Mensch macht grade so fort, der Mittag seines Wirkens zeigt bereits den Einbruch der Nacht an. Sein Geist erlischt auf dem Gipfel seiner Schaffenskraft. Mit seinem Höhepunkt kommt zugleich seine Verdüsterung, der Abend seines Tages.

Cormac McCarthy, Die Abendröte im Westen

Wenn die Schwerter blitzen, lass dich nicht von Liebe, Mitleid oder gar dem Angedenken deiner Ahnen leiten.

Julius Caesar

1

Western Ridge, Johnson’s GapBull Mountain, Georgia

1949

1

»Familie«, sagte der Alte zu niemandem.

Das Wort hing in einer Wolke aus gefrorenem Atem, bevor es im frühmorgendlichen Nebel aufging. Riley Burroughs gebrauchte es so wie ein Zimmermann sein Werkzeug. Manchmal betonte er es ganz sanft, um jemanden aus seiner Sippschaft auf Linie zu bringen, zuweilen aber nutzte er es auch mit der ganzen Subtilität eines Vorschlaghammers.

Der Alte saß auf der Veranda vor der Hütte in einem hölzernen Schaukelstuhl, der auf den abgetretenen und verzogenen Pinienbohlen langsam vor und zurück knarzte. Die Hütte gehörte zu den vielen Jagdunterständen, die seine Familie im Laufe der Jahre über Bull Mountain verteilt hatte. Diesen hier hatte Rileys Großvater, Johnson, gebaut. Der Alte stellte sich vor, wie der Stammesälteste des Bourroughs-Clans vor fünfzig Jahren hier gesessen hatte, und fragte sich, ob dessen Augenbrauen auch so dicht gewesen waren. Er war sich dessen sicher.

Riley zog einen Beutel mit trockenem Tabak aus dem Mantel und drehte sich eine Zigarette. Schon als Junge war er hierhergekommen, um zu verfolgen, wie Johnson’s Gap zum Leben erwachte. So früh am Tag war der Himmel violett wie ein Bluterguss. Der aufgedrehte Chor der Frösche und Grillen wurde abgelöst vom Gewimmel der Insekten und Vogelgesang – Wachablösung im Waldland. An kühlen Morgen wie diesem hing der Nebel tief über den Kudzu-Ranken wie ein Baumwolltuch, so dicht, dass man seine Füße beim Hindurchlaufen nicht sehen konnte. Riley musste immer lächeln bei dem Gedanken, dass während alle anderen hinaufschauen mussten, um sie zu sehen, er von der anderen Seite auf die Wolken hinabblickte. So musste Gott sich fühlen.

Hinter ihm hatte die Sonne bereits ihren Aufstieg begonnen, aber die Kluft hier war stets die letzte Stelle, an der man sie zu Gesicht bekam. Der Schatten, den der Western Ridge warf, sorgte dafür, dass es immer beinahe zehn Grad kälter war als an jeder anderen Stelle am Berg. Bevor die Sonne den Tau getrocknet hatte, der den Wald glitzern ließ, würde es längst Nachmittag sein. Nur dünne Lichtstrahlen drangen durch den dichten Baldachin aus Eichen und Rotföhren. Als Kind hatte Riley geglaubt, diese Strahlen wärmenden Lichts seien die Finger Gottes, die dieser durch die Bäume hindurchstreckte, um diesen Ort zu segnen – um seine Heimat zu beschützen. Als Mann war er eines Besseren belehrt worden. Für die Kinder, die um einen herumwuselten, und die Frauen mochte dieser abergläubische Unsinn von Bedeutung sein, Riley aber war der Ansicht, dass, gäbe es da irgendeinen Sonntagsschulgott, der auf die Menschen auf diesem Berg aufpasste, nicht ihm selbst dieser Job immer zufallen würde.

Der Alte setzte sich und rauchte.

2

Das Geräusch von Autoreifen, die über Kies knirschten, vergällte ihm den Morgen. Riley drückte die Zigarette aus und beobachtete, wie der alte Ford-Pritschenwagen die Zufahrt hinauffuhr. Cooper Burroughs stieg aus und griff sich seine Flinte aus der Halterung unter der Heckscheibe. Cooper war Rileys Halbbruder, beinahe sechzehn Jahre nach ihm geboren, was man aber nicht sah, wenn sie nebeneinanderstanden. Sie hatten beide die gemeißelten Gesichtszüge ihres Vaters, Thomas Burroughs, doch die Bürde des Lebens auf Bull Mountain hatte ihren Wangen eine Schwere beigegeben, die sie wesentlich älter erscheinen ließ, als sie tatsächlich waren. Cooper schob sich den Hut auf den struppigen roten Haaren nach vorn und schnappte sich einen Rucksack vom Vordersitz. Riley sah zu, wie Coopers neunjähriger Sohn Gareth auf der Beifahrerseite auftauchte und um den Truck herum zu seinem Vater lief. Riley schüttelte den Kopf und blies den Rest kalten Rauchs aus seinen Lungen.

Das sieht Cooper ähnlich, einen Prellbock mitzubringen, wenn die Chancen gut stehen, dass es heiß hergehen wird. Er weiß nur zu gut, dass ich ihm vor dem Jungen nicht den Arsch versohle. Zu dumm, dass er seinen Grips nicht einsetzen kann, wenn’s drauf ankommt.

Riley stieg von der Veranda und breitete die Arme aus.

»Guten Morgen, Bruder … und Neffe.«

Weder antwortete Cooper gleich, noch gab er sich Mühe, seine Verachtung zu verbergen. Er schürzte die Lippen und spuckte Riley einen schmalen Strahl braunen Tabaksaft vor die Füße.

»Spar’s dir, Riley, wir kommen noch früh genug dazu. Ich muss erst mal was in den Bauch kriegen, bevor ich’s verkrafte, mir deinen Scheiß anzuhören.«

Cooper wischte sich den klebrigen Spuckefaden aus dem Bart. Riley grub die Hacken in den Schotter und ballte die Fäuste. Geschissen auf den Jungen, er war bereit, die Sache über die Bühne zu bringen. Gareth trat zwischen die beiden Männer, um die Spannung zu mildern.

»Hallo, Onkel Riley.«

Riley durchbohrte seinen Bruder noch ein paar Sekunden lang mit seinem Blick, bevor er in die Hocke ging, um sich seinem Neffen zuzuwenden. »Hey, hallo, junger Mann.« Riley streckte die Hand aus, um den Jungen zu tätscheln, aber Cooper schob ihn an ihm vorbei und die Stufen zur Hütte hinauf. Riley erhob sich, ließ die Arme sinken und steckte die Hände in die Manteltaschen. Er warf noch einen ernsten Blick zu den Kastanieneichen und Grüppchen von Ahornbäumen hinüber und dachte erneut an seinen Großvater. Stellte sich vor, wie er hier stand, genau dasselbe tat. Dieselben Bäume anschaute. Denselben Schmerz in den Knochen spürte. Dies würde ein langer Morgen werden.

3

»Du musst die Eier immer weiterrühren«, sagte Cooper. Er nahm seinem Sohn den Holzlöffel aus der Hand, schabte einen Batzen Butter ab und warf sie in die blubbernde gelbe Masse. »Du rührst sie so lange, bis alles Flüssige weg ist. So. Siehst du?«

»Yessir.« Gareth nahm wieder den Löffel und machte es so wie gezeigt.

In einer gusseisernen Pfanne briet Cooper etwas Schweinespeck und Schinken an und servierte dann Sohn und Bruder beides, als habe der Hickhack vorhin draußen gar nicht stattgefunden. So geht es eben unter Brüdern. Gareth ergriff als Erster das Wort.

»Deddy meinte, du hättest hier mal einen Grizzly getötet.«

»Das hat er gesagt?« Riley sah seinen Bruder an, der dasaß und sich Eier und gebratenes Fleisch in den Mund schaufelte.

»Na ja, da irrt sich dein Deddy aber. Das war kein Grizzly. Das war ein Braunbär.«

»Deddy meinte, du hättest ihn mit einem Schuss getötet. Er meinte, niemand sonst hätte das machen können.«

»Na ja, ich glaube, das stimmt nicht. Du hättest ihn genauso erwischen können.«

»Wieso hast du den Schädel nicht hier hängen? Dann hätten wir was zum Angucken.«

Riley wartete ab, ob Cooper darauf antworten würde, aber der sah nicht von seinem Essen auf.

»Gareth, hör mir mal gut zu. Dieser Bär? Ich wollte ihn gar nicht töten. Ich hab’s nicht gemacht, um ›was zum Angucken‹ zu haben oder um eine Geschichte erzählen zu können. Ich hab ihn getötet, damit wir durch den Winter kommen. Wenn man auf diesem Berg etwas tötet, sollte man einen verdammt guten Grund dafür haben. Wir jagen hier oben aus Notwendigkeit. Nur Idioten jagen aus Spaß. Der Bär hat uns monatelang warm gehalten und ernährt. Ich hab ihm was zu verdanken. Verstehst du, was ich mit ›ihm was zu verdanken haben‹ meine?«

»Glaube schon.«

»Ich meine damit, dass ich sein Leben entehrt hätte, hätte ich ihn bloß getötet, um mir eine Trophäe an die Wand zu hängen. Das ist nicht unsere Art. Wir haben alles an ihm verwendet.«

»Sogar den Schädel?«

»Sogar den Schädel.«

Cooper meldete sich zu Wort. »Verstehst du, was dein Onkel dir da erklärt, Junge?«

Gareth nickte seinem Vater zu. »Yessir.«

»Gut, denn das ist eine wichtige Lektion. Jetzt aber genug geredet. Iss dein Frühstück, damit wir loskommen.«

Den Rest der Mahlzeit über schwiegen sie. Während sie aßen, studierte Riley Gareths Gesicht. Es war kreisrund, und die Wangen, die immer rosig waren, egal bei welchem Wetter, waren von Sommersprossen übersät. Genau wie sein Vater hatte er tiefliegende, eng zusammenstehende Augen. Damit man die Farbe bestimmen könnte, hätte Gareth sie richtig weit aufreißen müssen. Es waren Coopers Augen. Es war Coopers Gesicht, ohne den buntgefleckten Bart und den Schneid – und den Zorn. Riley versuchte, sich zu erinnern, wann sein Bruder so ausgesehen hatte. Es fühlte sich an, als sei das hundert Jahre her.

Als ihre Bäuche voll waren, griffen die beiden Männer nach ihren Flinten und dehnten die morgendlich kalten Muskeln. Cooper beugte sich vor und zog die Wollmütze auf dem Kopf seines Sohnes zurecht, damit seine Ohren bedeckt waren.

»Bleib warm und immer in der Nähe«, sagte er. »Wenn du mir krank wirst, wird mir deine Mama den Hintern versohlen.«

Der Junge nickte, war aber mehr mit seiner wachsenden Aufregung beschäftigt, seine Augen fixierten die langen Gewehre. Sein Vater hatte ihn mit einer Kleinkaliber üben lassen, damit er sich an den Rückschlag gewöhnte und ein Gefühl für die Reichweite bekam, aber er wollte lieber eine Männerwaffe tragen.

»Kann ich ein Gewehr tragen, Deddy?«, fragte er und kratzte sich an der Mütze, dort wo sein Vater daran gezogen hatte.

»Na ja, ohne wirst du nichts schießen können, denke ich«, sagte Cooper und nahm eine .30-30 vom steinernen Kaminsims. Das Gewehr war nicht neu, aber es war schwer und solide. Gareth nahm die Waffe und inspizierte sie, so wie sein Vater es ihm beigebracht hatte. Er zog eine kleine Show ab, um zu beweisen, dass er die Lektionen gelernt hatte.

»Gehen wir«, sagte er, und die drei machten sich auf in den Wald.

4

Kalte Erde. Danach roch ein Morgen auf dem Berg. Die Luft war so gesättigt vom Geruch des feuchten Bodens, dass es Gareth die Nase verstopfte. Er versuchte, durch den Mund zu atmen, aber bereits nach wenigen Minuten leckte er Erdpartikel von den Zähnen.

»Hier«, sagte Cooper und reichte seinem Sohn ein blaues Kopftuch. »Bind dir das vor’s Gesicht und atme durch.«

Gareth nahm es und tat, was man ihm gesagt hatte, dann liefen sie weiter.

»Ich werde nicht zulassen, dass du das tust, Riley«, sagte Cooper, wechselte zwischen Gareth und seinem Bruder die Tonart. »Und bevor du wieder davon anfängst, verschon mich mit dem üblichen Scheiß von wegen, es sei nur das Beste für die Familie. Mama oder ein paar von den jungen Rackern aus der Gegend kaufen dir diesen Schwachsinn vielleicht ab, aber mich wirst du nicht davon überzeugen, dass das, was du vorhast, richtig ist. Das ist es nämlich nicht. Es ist das gottverdammte Gegenteil davon.«

Gareth hörte zu, tat aber so, als sei er taub.

Riley war vorbereitet und hatte ausgiebig geprobt. Den ganzen Morgen über hatte er von seinem quietschenden Schaukelstuhl aus vor einem Publikum aus Bäumen für dieses Sparring geübt.

»Alles, was uns von der Sorge befreit, wie wir das Essen auf den Tisch bringen, ist das Richtige, Coop. Es ist zu unserem Besten …«

»Hör sofort auf mit dem Schwachsinn«, sagte Cooper. »Da musst du schon mit was Besserem kommen. Zu essen kriegen wir hier alle genug. Auf diesem Berg verhungert niemand. Und du schon mal gar nicht, zum Teufel noch mal.« Er deutete auf Rileys Bauch.

Gareth entfuhr ein kleines Glucksen, und sein Vater verpasste ihm einen harten Klaps vor den Hinterkopf. »Kümmer dich um deine Angelegenheiten, Junge.« Gareth tat wieder so, als sei er taub, und Cooper wandte sich wieder Riley zu. »Die Bäume auf diesem Berg haben sich seit fünfzig Jahren unserer Familie gegenüber anständig verhalten. Fünfzig Jahre, Riley. Zu unserem Besten ist, glaube ich, das zu respektieren – und zu schützen. Die Vorstellung, dass du das aus dem Blick verloren hast, schmerzt mich zutiefst. Denkst du wirklich, ein paar verdammten Bankern die Abholzungsrechte für den Grund und Boden, auf dem du geboren wurdest, zu verkaufen, wäre gut für uns? Das bricht mir das Herz, Riley. Was zum Teufel ist mit dir passiert? Ich erkenne dich gar nicht mehr wieder.«

»Es geht um mehr Geld, als wir zu Lebzeiten je verdienen könnten«, sagte Riley.

»Da hast du’s.«

»Verdammt, Cooper, hör mir mal eine Minute zu. Spar dir deine verdammte Selbstgerechtigkeit und hör einfach zu.«

Cooper spuckte aus.

»Für unsere Kinder und unsere Kindeskinder wird es etwas sein, worauf sie aufbauen können, eine Zukunft. Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass wir die nächsten fünfzig Jahre überleben, indem wir Maisschnaps in den Carolinas verhökern?«

»Bis jetzt lief es ganz gut.«

»Du siehst das große Ganze nicht, Coop. Es sollte besser laufen als nur ›ganz gut‹. Wir sollten schlauer arbeiten, nicht härter. Die Destillen bringen nicht mehr so viel ein wie früher. Trinken ist nicht mehr illegal. Von Hinterzimmerbars und Poolbillard-Hallen können wir nicht überleben. Der Geldfluss versiegt. Ich weiß, du weißt das. Die Umsätze sind nicht mehr dieselben wie früher. Der Rest der Welt wird schlauer, aber wir verändern uns nicht. Unsere Chancen stehen schlecht. Der Deal mit Puckett wird uns dreimal mehr einbringen, als wir in zehn Jahren mit Schwarzgebranntem verdienen könnten. Für unsere Kinder ist es eine Chance …«

»Jetzt warte mal eine Sekunde. Du sagst hier ständig ›Kinder‹, als hättest du selbst ein Pferd im Rennen. Als ich das letzte Mal geguckt hab, war der Junge hier das einzige Kind namens Burroughs auf diesem Berg. Und du erzählst mir, du willst, dass ein Haufen Maschinen hier einfallen und seinen Berg schänden, damit er es einmal besser haben wird?«

»Jemand muss sich um ihn kümmern.«

Cooper blieb stehen.

»Deddy«, sagte Gareth und zupfte seinen Vater am Ärmel. »Deddy, guck mal.«

Cooper schaute, worauf sein Sohn zeigte, beugte sich dann vor, um einen kleinen Klumpen schwarzer Erde aufzuheben. Er hielt ihn sich an die Nase und dann vor die seines Sohnes.

»Riechst du das?«

»Mhm-mhm.

»Das ist frisch. Wir kommen näher. Halt dich bereit.«

Sie liefen weiter. Nach ein paar Minuten sprachen sie wieder, aber mit gedämpften Stimmen.

»Das Geld wird die Familie stärken, Coop. Wir können es nehmen und in legale Geschäfte investieren. Wir können aufhören, hier oben wie Banditen zu leben. Du musst bei der Sache Vernunft walten lassen. Wir können so nicht ewig weiterleben.«

»Ich habe andere Pläne.«

»Was für andere Pläne? Auf der Nordseite Heilkräuter anbauen?«

Falls Cooper überrascht war, dass sein Bruder seine Pläne kannte, ließ er es sich nicht anmerken. Er zuckte bloß mit den Schultern.

»Ja, klar«, sagte Riley. »Ich weiß darüber Bescheid. Ich weiß alles, was auf diesem Berg passiert. Muss ich. Ich weiß außerdem, dass diese lächerliche Idee für uns einen Rückschritt bedeutet. Hier oben ein solches Geschäft aufzuziehen, bedeutet bloß noch mehr Waffen, mehr Polizei und noch mehr Fremde – was viel schlimmer ist als jeder Banker. Ist es das, was du willst?« Riley zeigte auf Gareth. »Abgesehen davon, was ist der Unterschied, ob du nun ein paar Hektar rodest, um diesen Scheiß anzubauen, oder ob Puckett es tut – auf legale Weise?«

»Wach auf, Riley. Glaubst du wirklich, die würden sich damit zufriedengeben? Glaubst du wirklich, wir würden die jemals wieder loswerden, wenn die hier einmal einen Fuß in der Tür hätten?«

»Ja, das tue ich. Das haben sie unterschrieben.«

Für einen Moment fielen Cooper all der Ärger und die ganze Anspannung aus dem Gesicht. Er sah seinen Bruder an und dann seinen Sohn. »Das haben sie unterschrieben?«, sagte er ruhig.

»Ganz genau«, sagte Riley.

»Das bedeutet, du hast dich bereits mit ihnen getroffen. Hast Bedingungen verhandelt.«

»Natürlich habe ich das.«

5

Den nächsten halben Kilometer legten sie schweigend zurück. Sie blieben auf dem zugewachsenen Pfad, hielten gelegentlich an, damit Cooper seinem Sohn Spuren des Tieres zeigen konnte, hinter dem sie her waren: zerbrochene Äste, Hufabdrücke im Schlamm, noch mehr zerbröckelte Hirschlosung. Sie hatten beinahe die Mündung des Bear Creek erreicht, bevor Cooper wieder ein Wort an Riley richtete. Er wisperte.

»Du hast das Geschäft bereits abgeschlossen, stimmt’s?«

Riley war eher erleichtert, als dass er sich schämte. Endlich war es raus. »Ja«, sagte er, »es ist gelaufen. Sie schicken heute einen ihrer Leute mit den Unterlagen her. Ich weiß, du siehst das jetzt nicht, aber eines Tages wirst du mir dafür danken. Das verspreche ich dir. Du wirst sehen.«

Wieder blieb Cooper stehen.

»Komm schon, kleiner Bruder, wie lange wollen wir …«

»Schhhh«, sagte Cooper und hielt sich einen Finger an die Lippen. Er schaute an Riley vorbei auf das, was Gareth bereits gesichtet hatte. Zu ihrer Rechten stand, keine zwanzig Meter entfernt, ein riesiger Achtender-Bock, der aus den reißenden Wassern des Bear Creek trank. Das Geräusch der kleinen Stromschnellen übertönte das Herannahen der Männer. Cooper bedeutete seinem Bruder geräuschlos, sich stromaufwärts zu bewegen, um dann Gareth hinter dem toten Stamm einer verrottenden Pinie auf den Schuss vorzubereiten. Riley gehorchte. Er schlich durchs Unterholz, behielt dabei den Bock im Blick. Cooper ließ sich neben seinem Sohn nieder, der seine Flinte bereits auf den Hirsch gerichtet hatte. Cooper legte die Hand auf die Schulter des Jungen und erinnerte ihn daran zu atmen.

»Entspann dich, mein Sohn. Richte das Fadenkreuz auf den dicken Muskel unterhalb des Genicks. Dort, wo das Fell weiß wird. Siehst du, wo?«

»Yessir. Ich seh’s.«

Der Bock hob den Kopf, als habe er sie reden gehört, und sah in ihre Richtung. Riley befand sich knapp zehn Meter links von Coopers und Gareths Standort entfernt. Niemand atmete, bis der Hirsch seinen Kopf wieder zum Wasser hinabgeneigt hatte.

»Wenn du so weit bist, Junge, feuer den Schuss ab.« Cooper hatte die eigene Flinte ebenfalls quer über die umgefallene Pinie gelegt, stand mit seinem Sohn Schulter an Schulter. Gareth war ruhig und bereit. Als der Finger des Jungen den Abzug betätigte, genau so, wie sein Vater es ihm gezeigt hatte, schwang Cooper mit seiner Flinte nach links. Zwei Schüsse hallten durch den Wald. Zwei Schüsse, die wie einer klangen.

Von der Wucht taumelte der mächtige Bock rückwärts, machte dann, als wollte er seinem Schicksal entkommen, einen Satz nach vorn. Seine Beine zitterten unter dem Gewicht, und schließlich fiel das Tier zur Seite.

Riley Burroughs taumelte kein bisschen, als Coopers hochkalibrige Kugel seinen Nacken durchschlug. Sein Körper ging sofort zu Boden, prallte mit einem dumpfen Geräusch hart auf, und sein Blut versickerte in der Erde.

6

Cooper kippte den Lauf seines Gewehrs herunter und ließ neue Patronen ins Lager gleiten, bevor er sich vorsichtig Rileys Körper näherte. Er verpasste ihm einen harten Tritt in den Magen. Es war, als würde er einen Sandsack treten. Als er sich sicher war, dass Riley nicht mehr lebte, ließ er die Waffe sinken und blickte sich zu seinem Sohn um. Gareth hatte ebenfalls die Waffe sinken lassen und versuchte zu begreifen, was gerade geschehen war. Es gab keine Tränen – noch nicht –, bloß Verwirrung und Adrenalin. Cooper blickte auf das sich gräulich verfärbende, eingefallene Gesicht seines Bruders und spuckte einen Strahl glänzenden braunen Tabaksafts darüber.

Damit war der Fall erledigt.

Er lehnte seine Flinte gegen einen Baum und setzte sich neben Gareth ins feuchte Gras. Der Junge erwog kurz, wegzurennen, besann sich aber eines Besseren. Stattdessen saß er da und sah zu, wie sein Vater den Priem Kautabak hinter der Lippe hervorzog und ins Gebüsch warf.

»Schau dich um, Junge.«

Gareth starrte seinen Vater an.

»Ich hab dir was gesagt, Gareth. Hör besser zu. Schau dich um. Ich sag es nicht ein drittes Mal.«

Gareth tat es. Er sah zu dem Hirsch hinüber, den er gerade am Ufer des Creek geschossen hatte, und wandte sich um zu dem Pfad, über den sie gekommen waren. Mit Absicht mied er die Richtung, wo sein toter Onkel lag. Cooper hantierte mit einem verschweißten Beutel Kautabak.

»Was siehst du?«

Gareths Mund war wie mit Kalk gefüllt. Er räusperte sich zweimal, bevor er sprechen konnte.

»Bäume, Deddy. Bäume und Wälder.«

»Ist das alles?«

Gareth hatte Angst, etwas Falsches zu sagen.

»Yessir.«

»Dann siehst du das Wichtigste nicht. Die Bäume und Wälder sind nur ein Teil davon.«

In Gareths Augenwinkeln begannen sich nun Tränen zu bilden.

»Es ist Heimat«, sagte Cooper. »Unsere Heimat. So weit das Auge reicht, egal in welche Richtung, gehört alles uns – dir. Das ist das Einzige, was zählt. Und es gibt nichts, was ich nicht tun würde, damit das so bleibt. Selbst wenn das bedeutet, dass ich Dinge tun muss, die nicht einfach sind.«

»Aber ist es nicht auch Onkel Rileys Heimat?« Gareth presste die Augen zusammen und wappnete sich gegen einen Nackenschlag, der aber ausblieb.

»Nicht mehr«, sagte Cooper. Er streckte die Hand aus, um die Mütze seines Sohnes erneut zu richten, wischte dann die Tränen aus dem rosigen, spröden Gesicht des Jungen. »Dieses eine Mal gestatte ich dir zu weinen, dann aber will ich davon nichts mehr hören. Hast du verstanden?«

Gareth nickte.

»Hast du verstanden?«

»Yessir.«

»Gut. Dann müssen wir jetzt noch eine Sache erledigen, bevor wir den Hirsch ausnehmen und abtransportieren, den du erlegt hast.« Cooper löste den Seemannsknoten an seinem Rucksack und zog einen alten Army-Klappspaten heraus.

Er reichte ihn Gareth.

Cooper Burroughs saß da und kaute Tabak, während er seinem neunjährigen Sohn dabei zusah, wie er sein erstes Grab aushob. Das war eine wichtigere Lektion, als jeden Achtender zu erlegen.

2

Clayton BurroughsWaymore Valley, Georgia

2015

1

Na ja, läuft das nicht im Grunde immer so? Die ganze Woche und beinahe das ganze beschissene Wochenende dazu verbringt man eingepfercht in einem Büro, wo man Unterlagen umschichtet, oder man arbeitet die »Schatz, könntest du bitte«-Liste ab, um dann am Sonntagmorgen mal ein paar Stunden für sich zu haben, nur damit einem die dann doch noch jemand mit einem Anruf unter dem Arsch wegschießt.

Ich hätte es einfach klingeln lassen sollen.

Clayton steuerte den Bronco auf den Parkplatz, der mit RESERVIERT FÜR MCFALLS COUNTY SHERIFF gekennzeichnet war. Er stieg aus und stand in der leeren Bucht, wo eigentlich das Auto seines Deputys stehen sollte, und ließ das Kinn auf die Brust sinken. Hinter dem Motor Inn und der Post auf der anderen Straßenseite drängte die Sonne aufwärts; von hier aus hatte er heute Morgen den Sonnenaufgang eigentlich nicht sehen wollen. Eigentlich sollte er jetzt bis zur Hüfte im Creek stehen. Von einem beunruhigenden Pfeifen begleitet atmete er langsam aus, zog seinen rutschenden Patronengurt hoch und betrat die Dienststelle.

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