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Jagd bewusst zu erleben, ist mehr als nur handwerkliches Tun – das lässt dieses Buch spüren. Der erfahrener Jäger Joachim Dröge erzählt von außergewöhnlichem Waidwerk auf Rotwild, Damwild, Sauen, Rehe und anderes Wild in den Revieren der Heimat. Sein Blick aber reicht über das jagdliche Erleben hinaus und erfasst auch die Besonderheiten der Mitjäger, der Regionen und ihrer Charaktere. Ein Lesevergnügen der besonderen Art, Ideal für jagdliche Mußestunden.
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Seitenzahl: 313
Veröffentlichungsjahr: 2015
Passion muss wachsen
Jägerei ohne Nachwuchs, ohne die jüngere Generation, wird nicht überleben. In früheren Jahren war die Jagd bei fast allen Menschen, die sich in ihr wiederfanden, eng mit Familie und Beruf verbunden. Wenn der Vater ein begeisterter Nimrod war, tat ihm dies meist wenigstens einer seiner Nachkommen, ob Sohn oder Tochter, gleich. Die Familie stellte sich auf die grüne Passion ein und begleitete den Weidmann willig und freudig auf seinen Unternehmungen.
Damit war vielen jungen Menschen die Jagd gleichsam angewölft, es gab gar keine Alternative. Der Nachwuchs fühlte sich im jagdlichen Ambiente wohl und zu Hause. Die Jagd gehörte so selbstverständlich dazu, dass keine spezielle Unterweisung notwendig war. Die Familienmitglieder, Freunde und Bekannten waren die Lehrprinzen und rissen die Jugend mit. Die Mehrzahl der Jäger entstammte in früheren Zeiten den Berufsgruppen der Bauern, der Förster und derjenigen, die auf dem Lande wohnten und sich Feld, Wald und Wild verbunden fühlten. Allenfalls wurden Jagden von Menschen gepachtet oder genutzt, die viel Geld hatten und in ihrer Freizeit dem Lärm und Gewusel der großen Städte entweichen wollten.
In heutiger Zeit sind diejenigen, die mit der Muttermilch und von Kindesbeinen an gleichsam auch die Jagd eingesogen haben, in der Minderzahl. Die Söhne und Töchter der Forstbeamten, die Nachkommen der weidmännisch ambitionierten Landwirte, die Erben der jagdlich passionierten Altvorderen sind in unseren Jägerreihen nicht mehr sehr stark vertreten.
Die Ursachen sind in erster Linie darin zu suchen, dass sich die Lebens- und Erlebensbereiche verselbstständigt haben. Hier der Beruf, dort der Haushalt, da die Familie und das Familienleben. Jagd ist zu einem besonderen Luxus geworden, für den Zeit und Geld geopfert werden müssen. Die Entwicklung begann in den späten 1960er-Jahren. Die arbeitende Bevölkerung war zwar immer noch stark in die Zwänge der Nachkriegszeit eingebunden, die es ihr auferlegten, für den Aufbau und Broterwerb zu sorgen. Dennoch hatten sich die Verhältnisse geändert.
Geld war bei vielen Menschen in ausreichendem Umfang vorhanden, und auf diese Weise entwickelten sich »Ausgleichsbetätigungen«, die in besondere Welten entführten, die den einzelnen aus der Hektik des Alltages herausreißen sollten, um ihm Kraft für den beruflichen Alltag zu geben. Fliegen, Golf, Tennis, Reisen standen da an erster Stelle, aber auch die Jagd gehörte mit dazu. Auf diese Weise wurden die Jägerkurse vielfach von Menschen besucht, die über die Liebe zur Natur, durch freundschaftliche Beziehungen und Gelegenheiten, durch Statusbegehren dem Weidwerk nachgehen wollten. Bei dem einen oder anderen wuchs die kleine Pflanze, er wurde zu einem passionierten Jäger, der ohne das Weidwerk nicht mehr leben wollte. Andere betrieben die Jagd eher bei Gelegenheit, andere verzagten und gaben auf.
Ich gehöre zu denjenigen, bei denen die Saat aufgelaufen ist. In manchen Phasen meines Lebens musste ich mich sogar vorsehen, dass ich nicht meiner Passion im Sinne Gustav Freytags verfiel, der in seinem Werk »Soll und Haben« schrieb: »Aber ein jeder achte wohl darauf, welche Träume er im heimlichsten Winkel seiner Seele hegt, denn wenn sie erst groß gewachsen sind, werden sie leicht seine Herren, strenge Herren!«
Es ist mir, wenn ich es rückblickend betrachte, besonders wichtig festzustellen, dass ich in meiner Beziehung zur Jagd nicht durch einen »Jägerkurs« geweckt wurde. Vielmehr liegen die Ursachen für meine Passion in Menschen begründet, die für mich in meiner Jugend Vorbild waren, die mir zwar keine Jagdgelegenheit oder ein Revier zur Verfügung stellen konnten, all dies habe ich mir schwer und lange erarbeiten müssen, die aber immer überzeugend und mit Herz die Sache der Jagd vertraten. »Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen.«
Und so sind mir zwar mein erster Rehbock, mein erster Hirsch und mein erstes Stück Schwarzwild wichtig, und ich kann mich gut und gern daran erinnern, dennoch: Sie werden in meinen Zeilen nicht erwähnt. Dafür versuche ich darzustellen, wie ich zu meiner Passion kam, welche Menschen mitgewirkt haben, welche Jugendereignisse prägend waren. Das gesprochene und gelehrte Wort sind für die Erziehung und Bildung der Kinder und der Jugend unentbehrlich und damit auch die Unterweisung in den Jägerkursen. Das Jägerherz schließen aber andere Ereignisse, Erlebnisse und eben Menschen auf, die Vorbild sind und sein können.
Wenn wir passionierten Jägernachwuchs haben wollen, dann sollten wir unsere Erfahrungen zusammentragen und erzählen, wie wir zu unserer Vorliebe für die Jagd gekommen sind. Dann wäre es sinnvoll, wenn wir Weidmänner uns austauschen und aus dem, was wir erlebt und erfahren haben, lernen, lehren und Konsequenzen ziehen. Meine Zeilen sollen einen Teil meiner eigenen Entwicklung darstellen, darüber hinaus aber auch vermitteln, was aus diesem Fundament geworden ist. Sie sollen insofern einen Beitrag zu dieser aktuellen Problematik liefern. Lasst uns die jungen Menschen an die Hand nehmen, lasst uns so intensive Beziehungen knüpfen und Erfahrungen ermöglichen, dass sich der Samen, der bei vielen in fruchtbaren Boden gelegt ist, zu einem starken Baum entwickelt. Vielleicht können wir dann wieder mit Nachwuchs rechnen, der seine jagd-liche Situation nicht danach bemisst, wie denn die erlegte Kreatur im Verhältnis zu seiner ersten Beute, dem starken Vierzehnender, dem Kapitalbock oder dem dicken Keiler, steht, sondern der die Natur, die Feinheiten der Jagd, die kleinen und leisen Zwischentöne, die Hege und Pflege liebt und schätzt. Wer in seinem Leben erfährt, dass die Jagd bunt und alle Tage neu ist, wird vielleicht erst am Ende seiner Tage ermessen können, mit welchem Schatz er gesegnet worden ist.
Erst zu Beginn des letzten Drittels meines Lebens ist mir ein besonderer Wunsch meines Jägerlebens in Erfüllung gegangen: Ich habe meinen bisher stärksten Keiler eher zufällig, mit viel Glück und unter äußerst reizvollen Umständen gestreckt. Dieses Erlebnis schicke ich vorweg, um später zu zeigen, welch langer Weg manchmal beschritten werden muss, um zu solch einem Erfolg zu kommen. Auf jeden Fall bin ich heilfroh, dass ich den Bassen nicht in meinen Jungjägerjahren gestreckt habe, vielleicht hätte solch ein Ereignis auch meine Jägerseele verbogen.
Der Keiler im Schnee
Neuschnee – Jägerschnee, die Augen leuchten, wenn nachts die schweren Wolken ihre weiße Pracht über Feld, Wald und Flur wie ein großes helles Betttuch gebreitet haben, morgens die Sonne vom Himmel lacht und glitzerndes Weiß den Jäger blendet.
Im Dezember wollte ich noch einmal im Osten jagen, Jagdfreund Hartmut hatte mich gerufen: »Die Sauen sind überall, und beim nächsten Vollmond komm doch her, das Jagdjahr neigt sich, und ein paar Sauen wollen wir noch schießen.« Gern sagte ich zu.
Bisher war der Winter fast schneefrei gewesen, lediglich im November hatte Frau Holle ihre Betten kurze Zeit kräftig ausgeschüttelt, doch die Pracht währte nicht lange. So hoffte ich, dass uns in der zweiten Dezemberhälfte noch einmal der weiße Spürhund hold sein würde, und die Wetterberichte schürten die Hoffnungen.
Eher grau zeigte sich unsere Südheide, als ich losfuhr. Doch hinter der östlichen Wetterscheide, dem blauen Band der Elbe, keimte Hoffnung, die, je weiter ich nach Osten vordrang, zur Gewissheit wurde. Weiß gefleckt die Mark Brandenburg, um Berlin herum nur noch wenige apere Stellen, und dann empfing mich hinter Königswusterhausen eine blitzweiße, frische Schneelandschaft, wie ich sie mir besser nicht wünschen konnte. Da war er ja, der begehrte Neuschnee, und lauter freundliche und erwartungsfrohe Gedanken im Kopf, legte ich wohlgemut die letzten 80 Kilometer zurück.
16 Uhr ist es mittlerweile doch schon, als ich bei meinem Jagdfreund anlangte, zu spät, um noch persönlich abzufährten, aber das hat Hartmut sicher schon besorgt. Nach dem herzlichen Willkommensgruß geht’s gleich zur Sache: »Draußen auf den Feldern ist leider nichts los, keine Bewegung. Du weißt ja, dass die Sauen beim ersten Schnee ungern ihre Dickung verlassen und auf die Felder ziehen; das tun sie erst wieder, wenn sie richtig Schmacht haben. Im Wald haben wir aber sicher heute Abend eine Chance. Lass uns pirschen gehen, dann haben wir vielleicht Glück. Und morgen sehn wir weiter, ob wir die Kameraden irgendwo fest haben, damit wir drücken können.«
Vier Stunden später verlassen wir unser Auto. Natürlich muss der bewährte Pirschstock mit. Trotz des Schnees haben wir uns nicht zu stark angepelzt, denn Pirschen ist anstrengend und schweißtreibend, sofern wir nicht an bestimmten Stellen sehr lange verhoffen müssen.
Der Mond zeigt sich zu drei Vierteln, beste Voraussetzungen für unser Vorhaben. Die Sicht ist auf jeden Fall ausgezeichnet, und der Frost hat den Schnee noch nicht so im Griff, dass die weiße Decke knirscht und knackt. Wenn die Sauen in Bewegung sind und brechen, dann nehmen sie zwar die Geräusche, die der Mensch beim Pirschen auf einer harten Schneedecke verursacht, nicht so sehr übel, weil sie selbst in der Rotte genug Lärm veranstalten. Doch wenn sie sichern oder in der Dickung darauf warten, auswechseln zu können, dann sind die harschigen Begleiterscheinungen völlig fehl am Platz und vergrämen die begehrten Schwarzen.
Zur Linken erstreckt sich eine alte Zwetschgenbaumplantage. Mit Vorliebe stehen die Sauen im Herbst in diesen Kulturen. Sie genießen es, die leicht bitter schmeckenden, blausäurehaltigen Kerne zu knacken sowie das Fruchtfleisch, möglichst sollte dieses süß und schon ein wenig brandig sein, aufzunehmen. Wir leuchten mit unseren Gläsern die Baumreihen ab. Kahl wie dürre Gespensterarme strecken die alten Obstbäume ihre Äste in die kalte Luft. Doch unten auf dem Erdboden sind keine schwarzen Klumpen zu entdecken. Also geht es weiter.
Wir passieren ein Feld und gelangen dann in einen alten Kiefernbestand. Bisher haben wir noch keine Fährte der begehrten Schwarzen entdecken können. Doch jetzt wird es langsam feierlich. Hier an der Waldkante ist eine kleine Rotte durchgewechselt, die Fährten sind recht frisch. Wir freuen uns: »Die Sauen sind doch schon mobil.« Dieser vorsichtige Marsch durch die hohen Fuhren ist von besonderem Reiz. Fuß vor Fuß, Schritt für Schritt, langsam und leise, eher pirschen stehend als gehend schleichen wir die Wege entlang. Einige Hektar groß ist das Altholz, und es dauert eine halbe Stunde, bis wir es hinter uns lassen.
Sehnsüchtig warten wir eigentlich auf den altbewährten Begleiter der Sauen, den Waldkauz, der nachts mit seinem »Kuwitt – Kuwitt« schon auf große Entfernung ankündigt, dass Wild zieht. Doch bisher sind diese Leitrufe nicht zu hören. Schon einige Male hat er uns bei unserem Pirschen den Weg gewiesen und angezeigt, wo wir auf Sauen treffen können.
An den alten Föhrenbestand grenzt eine Fichtendickung. Schon von weitem sind die verschneiten Weihnachtsbäume zu sehen, sie zeigen sich so, als sollten sie demnächst Modell für ein besonders stimmungsvolles Weihnachtsfoto stehen. Vorsichtig nähern wir uns der Pracht, und richtig, der Wind steht für uns günstig, drinnen ist ein Getöse zu vernehmen, wie es für Jägerohren nicht reizvoller klingen kann. Da tobt sich eine Gesellschaft von Schwarzen so richtig aus. Die Frischlinge quieken, große Stücke blasen, lautes »Uik« ist zu vernehmen, dort scheinen sich zwei Keiler in die Wolle geraten zu sein, Unterholz und Äste krachen. Auf alle Fälle ist hier wohl eine Hochzeitsgesellschaft im Gang, und wir zwei sind Zeuge dieser Veranstaltung, ohne dass wir etwas erblicken können.
Wir pirschen uns zu einer Schneise vor, die die Dickung vom Altholz trennt. Vielleicht haben wir hier eine Chance. Wie gebannt stehen wir da und lauschen den lieblichen Klängen. Wenn wir bloß etwas sehen könnten, aber der dichte Mantel der grün-weißen Wehr hält die Hand über die Gesellschaft und lässt keine Einblicke zu. In die Dickung können wir auch nicht eindringen, also sind wir zur Untätigkeit verdammt und müssen abwarten, ob sich für uns etwas Günstiges tut, ob ein Stück über die Schneise wechselt oder die Rotte die Dickung verlässt. Natürlich haben wir uns schussfertig gemacht und sind beide bereit, uns bei der ersten besten Chance zu bemühen, von dem Segen etwas zu profitieren und ein Stück aus der Rotte herauszuholen.
Fünf Minuten haben wir gespannt wie ein Flitzebogen das Vergnügen, die urigen Laute zu vernehmen und zu hoffen, dass wir Fortune haben. Aber es soll nicht sein. Plötzlich, für uns unverständlich, aber wer kann schon in Sauenseelen hineinkriechen?, herrscht Totenstille. Kein Laut ist mehr zu vernehmen. Wir schauen uns fragend an, rühren uns jedoch nicht von der Stelle. So verhoffen wir glücklosen Jäger noch eine Weile und müssen schließlich zugeben, dass die Schwarzen uns wohl an der Nase herumgeführt haben und mal wieder die Schlaueren waren.
Endlich lösen wir uns von unseren Plätzen, umschlagen aus Neugier die Dickung, die etwa zwei Hektar groß ist. Tatsächlich, die Rotte ist auf der Nordseite ausgewechselt und hat sich ohne Gruß und Kuss von uns verabschiedet. Vielleicht haben sie doch von uns etwas mitgekriegt, der Wind küselt ja manchmal in den Waldbeständen. Und so haben wir das Nachsehen. Spannend, so gestehen wir uns gern ein, war das allemal, und, obwohl wir untätig eine ganze Weile bei Temperaturen unter null herumgestanden haben, gefroren haben wir auch nicht, die Spannung hat uns innerlich gewärmt.
Der Rotte nachzupirschen, hat keinen Sinn. Siebenmeilenstiefel haben wir nicht. Die schlaue Bande ist sicher schon über alle Berge und sucht sich sichere Einstände. Uns bleibt nichts anderes übrig, als weiterzulaufen. Wieder passieren wir ein Feld und gelangen dann in einen neuen Kiefernbestand, der allerdings erst 60 Jahre alt sein mag.
Als wir schon den Kahlschlag am Ende des Holzes durchschimmern sehen können, vernehmen wir erstmals unseren ersehnten Leitruf, das »Kuwitt – Kuwitt« des Kauzes. Da müssen wir näher heran. Vielleicht treiben sich Sauen auf der Freifläche herum. Doch die Enttäuschung ist groß, der Kahlschlag entpuppt sich als undurchdringliches Getöse von allerlei Sträuchern und Unterwuchs, in der keine Kreatur zu erblicken ist. Wir trösten uns: »Vielleicht ist dort auch nur Rehwild gezogen, und die Käuzchen sind deshalb mobil geworden.«
Mittlerweile sind wir schon zwei Stunden unterwegs, die Beine sind noch nicht müde, und so beschließen wir, eine Stunde dranzuhängen. Wir wollen uns nicht mit dem Misserfolg zufriedengeben. An nicht allen Tagen sind die Bedingungen für eine Waldpirsch so günstig, und das wollen wir tunlichst bis zur Neige auskosten. Die Stunde vergeht wie im Flug. Hier und da schreckt mal ein Stück Rehwild, doch sonst ist von Wild, geschweige denn von unseren Schwarzen, nichts zu sehen oder zu hören. »Lass uns zum Abschluss noch mal zu dem kleinen Eichenbestand an der Birkenkoppel gehen, vielleicht haben die Burschen ja Schmacht, und dann kann ich mir vorstellen, dass dort für sie der Tisch gedeckt ist«, meint Hartmut, und nur zu gern bin ich einverstanden, dass wir auf unserem Rückweg diesen kleinen Schlenker auf uns nehmen.
Als wir 200 Meter von der kleinen Eichenpartie entfernt sind, vernehmen wir zu unserer Freude schon unseren Freund, den Waldkauz. Er verkündet uns mit seinem freundlichen Ruf, dass hier was los ist. Jetzt nur nichts falsch machen; vorsichtig, vorsichtig pirschen wir näher, überzeugen uns, ob der Wind stimmt. Der Weg ist eben und verspricht uns, ohne Hindernisse dort hinzuführen, wo unsere momentanen Träume augenscheinlich ihr Wesen treiben. Also Füße abrollen, Schritt für Schritt, möglichst kein Geräusch der Lederstiefel verursachen, aufpassen, dass unser schöner Bambusstock nicht ans Glas oder die Waffe stößt und uns die Partie verdirbt.
Jetzt sind wir auf 150 Meter heran und können gut ausmachen, dass unter den Eichen was los ist. Nicht beirren lassen. Wir müssen auf Schussentfernung heran, und das möglichst bald, denn wer weiß, wie lange die schwarze Bande dort aushält. 120 Meter, unsere Gläser zeigen uns eine Rotte von etwa zehn bis zwölf Stück Schwarzwild, 100 Meter, sie sind noch da, 80 Meter, jetzt bleiben wir stehen, und ich mache mich fertig, denn nun muss es bald knallen, wenn wir Erfolg haben wollen. Mein Herz schlägt Takte, die ich von der Musik her nicht kenne, denn bis zum Hals pocht und rast das Blut, so spannend ist es mittlerweile geworden. Ich setze meinen Pirschstock so auf den Boden auf, dass ich Halt habe, und richte die Waffe ein. Ein letzter Blick durchs Doppelglas. Die Rotte bricht noch unter den Eichen.
Mit dem Zielfernrohr versuche ich, einen Frischling oder ein kleines Stück zu erfassen. Das gelingt aber in dem Gewusel nicht, und irgendwie habe ich das Gefühl, als ob unsere Freunde das Weite suchen wollen. Jetzt verlasse ich mich auf Hartmut. Der stößt mich gleich darauf an und raunt: »Mensch, die hauen ab, sind schon an der Böschung. Der Keiler steht noch im Gebrech. Willst du?«
Damit habe ich nun gar nicht gerechnet, nach Keiler stand mir nicht der Sinn, und auf ihn hatte ich es zunächst nicht abgesehen. Aber freudig lasse ich mich natürlich auf diese veränderte Perspektive ein, sofern das die Momentaufnahme zulässt. Schnell findet das Zielacht den schwarzen Klumpen. Wo ist vorn? Jetzt zieht der Keiler ein kleines Stück nach links, also, kein Problem. Der Schnee schafft mit seiner Helligkeit vorzügliche Sichtbedingungen. Eigentümlich ist, dass ich jetzt sehr ruhig bin, und als der Stachel vorn auf das Blatt zeigt, drücke ich ab.
»Getroffen«, jubelt Hartmut, »schnell nachladen und ran!« Ich folge seinen Anweisungen. Wir stürmen auf den getroffenen Keiler zu, er schlegelt noch, und ich setze ihm eine zweite Kugel auf den Teller. Sofort ist er verendet, und jetzt können wir zwei erst einmal verschnaufen. Wir treten heran und besehen uns den Kämpen, der hier vor uns liegt.
»Mein Lieber, der hat bestimmt seine fünf bis sechs Jahre auf dem Buckel«, stellt mein Begleiter fest, nachdem er die Gewehre betastet und beäugt hat, »so’n Weidmannsheil hast du bestimmt nicht so leicht wieder.« »Das glaube ich dir sofort, aber das ist nicht das Wichtigste. Für mich war diese Schneepirsch die Krönung meiner jagdlichen Erlebnisse. Dass sie einen so tollen Abschluss mit meinem stärksten Keiler gefunden hat, erhöht noch ihre Bedeutung für mich«, bedanke ich mich bei meinem großzügigen Gönner.
Doch so richtig deutlich wird mir mein Erlebnis erst, als ich die rote Arbeit verrichtet habe und nun etwa eine halbe Stunde mit meinem Keiler allein bei den alten Eichen auf einem schnell vom Schnee geräumten Baumklotz sitze und die nächtliche Pirsch an meinem geistigen Auge vorüberziehen lasse, während Hartmut für die weltlichen Dinge sorgt und das Auto holt. Unvergessen der Schnee, der Wald, die Stimmung, die schwarzen Rotten auf weißem Grund, der starke Keiler, die Käuzchen, die wieder Recht gehabt haben, den Weg wiesen, und die Gastfreundschaft meines Jagdfreundes.
Schwarze Magie
Fast jeder Mensch entwickelt im Lauf seiner Tage, die er hier auf der Erde verbringen darf, bestimmte Vorlieben. Der eine schätzt Essen und Trinken über alles, die Zweite ist dermaßen mit ihrer Liebe zum Beruf beschäftigt, dass sie an nichts anderes mehr zu denken vermag, der Dritte lässt alles stehen und liegen, wenn er die Gelegenheit erhält, sich in die Lüfte zu erheben, um den Zauber des Fliegens zu genießen, die Vierte liebt die schnellen Autos und gibt ein Vermögen dafür aus.
Wir Jäger haben das Weidwerk erkoren und gehen diesem in der Regel passioniert und opferbereit nach. Und wie bei den einzelnen Leidenschaften auch – die Autonärrin schätzt die Automarke Maserati sehr, der Flugzeugfan schwebt besonders gern mit einem Segelflieger durch die Lüfte, der Gourmet bevorzugt Trüffeln und kalifornische Weißweine, und die Workaholikerin liebt es, wenn das Telefon morgens mindestens 40-mal klingelt – auch die Jagd hat unterschiedliche Facetten, bunt und schillernd, für jeden etwas. Solche besonderen Liebhabereien werden allein schon durch die unterschiedlichen Wildarten gefördert.
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