Burn With Me - Karin König - E-Book

Burn With Me E-Book

Karin König

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Beschreibung

**Feuer und Flamme für die Liebe** Die 22-jährige Kira ist Feuerwehrfrau aus Leidenschaft und kann es kaum erwarten, sich in ihrem ersten Jahr nach der Ausbildung zu beweisen. Aber nach einem traumatischen Einsatz plagen sie nicht nur Schuldgefühle, sondern auch eine lähmende Angst vor den Flammen. Und dann bekommt sie mit Theo auch noch die Verantwortung für einen neuen Kollegen aufgehalst, der genauso heiß wie arrogant ist. Die ständige Konkurrenz zwischen den beiden nimmt eine unerwartete Wendung, als Kira merkt, dass Theos Blicke in ihr ungewollte Gefühle auslösen. Doch dann wird die Feuerwache für genau den Einsatz angeklagt, der Kira immer noch verfolgt, und für sie steht plötzlich alles auf dem Spiel. Eine knisternde Rivals to Lovers Workplace Romance mit einer starken Protagonistin, die bereit ist, alles für ihren Traum zu geben. //»Burn With Me« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.

Tauch ab und lass die Realität weit hinter dir.

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Karin König

Burn With Me

**Feuer und Flamme für die Liebe**

Die 22-jährige Kira ist Feuerwehrfrau aus Leidenschaft und kann es kaum erwarten, sich in ihrem ersten Jahr nach der Ausbildung zu beweisen. Aber nach einem traumatischen Einsatz plagen sie nicht nur Schuldgefühle, sondern auch eine lähmende Angst vor den Flammen. Und dann bekommt sie mit Theo auch noch die Verantwortung für einen neuen Kollegen aufgehalst, der genauso heiß wie arrogant ist. Die ständige Konkurrenz zwischen den beiden nimmt eine unerwartete Wendung, als Kira merkt, dass Theos Blicke in ihr ungewollte Gefühle auslösen. Doch dann wird die Feuerwache für genau den Einsatz angeklagt, der Kira immer noch verfolgt, und für sie steht plötzlich alles auf dem Spiel.

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Vita

Danksagung

© privat

Karin König hat den Großteil ihrer Kindheit hinter dem Rücken eines Buchs verbracht. Um das Schreiben zu ihrem Beruf zu machen, studierte sie Journalistik in Dortmund und zog dann weiter nach Köln, wo sie heute als Redakteurin arbeitet. Neben dem Schreiben von journalistischen Texten widmet sie sich am liebsten romantischen Romanen mit Potenzial zum Wegträumen. In ihrer Freizeit findet man sie meistens in einem Café oder überall da, wo Wasser ist.

Vorbemerkung

Liebe Leser*innen,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die Spoiler enthält.

Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleibe damit nicht allein. Wende dich an deine Familie und an Freunde oder suche dir professionelle Hilfe.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

Karin und das Impress-Team

Für meinen Vater, der mich schon als kleines Kind mit auf die Feuerwache genommen hat, und alle anderen Rettungskräfte da draußen. Ihr seid die wahren Helden.

Kapitel 1

Ich rieche das Feuer, bevor ich es sehe.

Tarek nimmt die letzte Kurve und ich kralle mich am Sitz fest, um nicht mit dem Kopf gegen die Seitenwand des Einsatzfahrzeugs zu schlagen. Dann kommt das Eckhaus in Sicht.

Brand in Mehrfamilienhaus, so lautete unsere Alarmierung. Das kann alles Mögliche bedeuten: Eine Mutter hat das Essen auf dem Herd vergessen, ein Raucher ist mit der Zigarette in der Hand eingeschlafen oder es ist ein Fehlalarm.

Doch das hier ist kein Fehlalarm.

Wir kommen mit quietschenden Reifen vor dem Gebäude zum Stehen. Helle Flammen schlagen aus den Fensterreihen in der zweiten Etage des Hauses. Obwohl es kurz nach Mitternacht ist, muss ich die Augen zusammenkneifen, um nicht geblendet zu werden.

»Das sieht nach Arbeit aus. Alle bereit?« Michael schaut in die Runde, eine Hand auf dem Türgriff.

»Bereit«, antworte ich im selben Atemzug wie die anderen. Dann folge ich meinem Chef nach draußen.

»Scheiße«, murmelt Melis, die hinter mir aus dem Auto springt.

»Das kannst du laut sagen.«

Eine schwarze Rauchsäule steigt in den Himmel, während sich hinter uns weitere Einsatzfahrzeuge mit heulenden Sirenen nähern.

»Alle zuhören!« Michael winkt uns zu sich. »Nach allem, was wir wissen, ist der Brand im zweiten Obergeschoss entstanden und hat sich von dort ausgebreitet. Den Auslöser kennen wir noch nicht.« Er senkt die Stimme. »Höchstwahrscheinlich sind immer noch Menschen im Gebäude.«

Routiniert greife ich nach meiner Brechstange.

»Verstärkung ist schon alarmiert. Bis sie hier ist, kümmern wir uns um die Rettung der Anwohner. Katja, Tarek, ihr stellt die Wasserversorgung her. Der Rest rüstet sich aus. Kira, Pascal, ihr geht zuerst rein.«

»Verstanden.«

Unsere Schutzausrüstung haben wir bereits im Auto angezogen, die Atemschutzmasken ziehen wir jetzt auf. Jede Sekunde zählt. Mit schnellen Handgriffen prüfe ich, ob Pascals Ausrüstung richtig sitzt, alle Schläuche richtig angeschlossen sind, der Pressluftatmer voll ist.

Er tut das Gleiche für mich, dann greift er nach einem Wasserschlauch. »Kann losgehen.«

Michael marschiert los und wir folgen ihm zum Rand des Grundstücks. Obwohl es eine kühle Frühlingsnacht ist, dringt die Hitze des Feuers selbst hier unten durch meine Schutzkleidung.

Um uns herum herrscht Chaos.

Bewohner, die sich bereits ins Freie gerettet haben, laufen wild durcheinander, Kinder weinen, Autos hupen. Die ersten Gaffer haben sich auf dem Bürgersteig versammelt.

Über uns werden die Flammen größer.

»Wir wissen nicht viel über das Gebäude, also mache ich es kurz.« Michael deutet in Richtung der Eingangstür. »Drei Stockwerke, vermutlich zwei Wohnungen pro Stockwerk. Ein zentrales Treppenhaus, kein Aufzug. Ihr geht rein und arbeitet euch zum Brandherd vor. Wir müssen wissen, was da drin los ist. Wenn ihr noch Anwohner findet, bringt sie so schnell wie möglich nach draußen. Die Drehleiter bringen wir in Stellung und schicken euch so schnell wie möglich Unterstützung rein.«

»Alles klar.« Pascals Stimme klingt dumpf unter der Maske.

»Viel Erfolg«, sagt Michael knapp, dann macht er auf dem Absatz kehrt und stürmt davon.

Pascal und ich wechseln einen Blick. Er ist einer unserer erfahrensten Kollegen, hat schon Brände gelöscht, als ich noch im Kindergarten war. Für mich ist es das erste große Feuer.

»Bist du bereit?«, fragt er. Gibt mir eine letzte Chance, zu sagen, dass ich noch nicht so weit bin.

Aber ich nicke mit schlecht getarnter Aufregung in meiner Stimme: »Absolut.«

»Bleib dicht hinter mir.« Ein letztes Mal prüft er den Sitz meiner Ausrüstung, dann betreten wir das Gebäude.

Schon nach wenigen Schritten vernebelt der Rauch uns die Sicht. Pascal gibt mir ein Handzeichen und ich lasse mich mit ihm auf die Knie sinken. Rauch steigt immer nach oben, deshalb müssen wir so weit wie möglich nach unten, um arbeiten zu können. Im Licht meiner Handlampe kann ich schemenhaft die Umrisse eines Treppenhauses erkennen. Geländer und Stufen sind aus hellem Holz. Und damit leicht entzündlich. Wir nähern uns mühsam auf den Knien der Treppe. Sie knarzt unter unserem Gewicht, als wir uns langsam in den ersten Stock vorarbeiten. Hier ist der Rauch noch dichter und über uns knistern die Flammen. Spätestens jetzt würde jeder mit einem Funken gesunden Menschenverstand umdrehen und das Weite suchen. Aber ich nicht. Ich bin in meinem Element.

»Hallo? Ist noch jemand hier?« Pascal scannt die Umgebung mit seiner Wärmebildkamera. Rechts und links vom Treppenabsatz sind zwei Wohnungen, beide Türen sind noch geschlossen. »Links zuerst«, sagt er und wendet sich der Tür zu, die Kamera ausgestreckt.

Die Tür besteht nur aus dünnem Holz, durch den Rauch schälen sich die Umrisse eines Blumenkranzes. Ich setze das Brecheisen in den Spalt zwischen Tür und Rahmen und stemme mein ganzes Gewicht in den Hebel. Einmal, zweimal. Beim dritten Mal gibt das Material nach und die Tür schwingt quietschend auf. Wir kriechen über die Schwelle und landen in einem langen Flur. Über meinem Kopf schrillt ein Rauchmelder.

»Hallo!«, rufe ich durch meine Schutzmaske. »Kann mich jemand hören?«

Keine Antwort. Das wäre auch zu einfach gewesen.

»Wir müssen alles durchsuchen. Von vorne nach hinten.«

Langsam bewegen wir uns durch die Wohnung, prüfen ein Zimmer nach dem anderen. Küche, Bad, Wohnzimmer, Schlafzimmer. Alle Räume sind leer.

»Sieht aus, als wären alle rechtzeitig rausgekommen«, schlussfolgert Pascal.

»Eine Tür haben wir noch.« Es ist die letzte auf der rechten Seite des Flurs. Vorsichtig schiebe ich sie auf.

»Moment.« Pascal hebt die Wärmebildkamera. »Guck mal. Ich glaube, da ist noch was!« Jetzt sehe ich es auch. Da ist ein kleiner heller Punkt auf dem Bildschirm der Kamera. Er liegt auf dem Boden und bewegt sich nicht.

»Scheiße.« Ich schiebe mich an Pascal vorbei und betrete das Zimmer. »Hallo? Ist da jemand?«

Der Punkt bleibt still.

Eilig krieche ich weiter, Pascals lautes Atmen hinter mir. Der Lichtkegel meiner Handlampe schneidet durch den Rauch, aber da ist nichts. Nichts. Oder …

»Da!«

Der Schein der Lampe fällt auf einen kleinen Pantoffel, dann noch einen. Beine in einem gestreiften Pyjama. Einen Teddybären. Das Gesicht eines Mädchens.

Hinter mir flucht Pascal, während ich nach Lebenszeichen suche. Ihr Gesicht ist verweint und rußig, ihre Augen geschlossen. Sie hat offensichtlich versucht, das Haus zu verlassen und ist nicht mehr weit gekommen.

»Bewusstlos?«

»Ja«, bestätige ich. »Aber sie atmet.«

Noch, denke ich.

Pascal offensichtlich auch. »Sie muss sofort hier raus.«

»Schon dabei.« Vorsichtig schiebe ich meine Hände unter Schultern und Knie des Mädchens. Sie rührt sich noch immer nicht, selbst als ich sie hochhebe. »Kann losgehen.«

Ich verlagere das Gewicht des Mädchens auf meinen rechten Arm, dann greife ich mit der freien Hand in Pascals Gürtel. So schnell, wie es der immer dichter werdende Rauch zulässt, führt er uns an dem Schlauch entlang zurück. Raus aus der Wohnung, die Treppe nach unten und durch die Eingangstür. Sobald wir im Freien sind, ruft er: »Wir brauchen sofort einen Sanitäter hier!«

Aus einem der Rettungswagen, die mittlerweile die Straße sperren, springen zwei Sanitäter. Innerhalb einer Minute liegt das Mädchen mit einer Sauerstoffmaske im Gesicht auf einer Trage.

Irgendwo hinter uns schreit eine Frauenstimme: »Merle? Merle! O mein Gott, das ist meine Tochter!«

Ich blende sie aus, als Pascal sich an mich wendet. »Gute Arbeit. Wie viel Luft hast du noch?«

Ein Blick auf die Anzeige meiner Flasche zeigt, dass mir nicht mehr viel Luft bleibt. »Noch 150 bar. Also noch knapp zehn Minuten. Du?«

»Ebenso. Sehen wir zu, dass wir sie nutzen. Weiter geht’s.«

Ich gebe Michael über Funk durch, was passiert ist, während wir uns wieder der Eingangstür nähern. Mittlerweile sind auch andere Teams vor Ort, legen Wasserschläuche und helfen Anwohnern ins Freie. Melis und Simon kommen uns entgegen, die Arme um einen jungen Mann gelegt, der versucht, sich die Fluchthaube vom Kopf zu ziehen. Obwohl sie ihn vor dem schlimmsten Rauch schützen sollte, hustet er sich die Seele aus dem Leib.

»Seid bloß vorsichtig«, warnt Melis mich über ihre Schulter. »Ist echt kein Kindergarten da drin.«

»Vorsicht ist mein zweiter Vorname«, antworte ich, aber Melis ist schon weg, hilft dem Mann in einen der Rettungswagen.

»Sie hat recht. Wir müssen vorsichtig sein.« Pascal wirft mir einen ernsten Blick zu. »Wir können niemandem helfen, wenn wir uns selbst in Gefahr bringen.«

Lektion eins auf der Feuerwehrschule: Selbstschutz vor Fremdschutz, egal, wie hart das klingt.

Ich nicke, jede Spur von Humor ist verschwunden: »Verstanden.«

Bevor wir das Gebäude erneut betreten, atme ich tief durch und fokussiere mich wieder ganz auf den Einsatz. In den wenigen Minuten, die wir draußen standen, ist der Rauch dichter geworden. Selbst mit der Lampe ist die Sicht gleich null. Uns bleibt nichts anderes übrig, als uns an dem Schlauch entlangzutasten, bis wir den Fuß der Treppe wiederfinden. Im ersten Stock bleibe ich kurz an der Haustür stehen, hinter der wir das Mädchen gefunden haben, und male mit Kreide ein Kreuz in den Türrahmen. Die Wohnung ist leer. An der rechten Tür prangt schon ein solches Kreuz, sie ist also in der Zwischenzeit durchsucht worden. Auf dem Weg in den zweiten Stock kommen uns zwei Kollegen entgegen. Erst im letzten Moment, als mein Kopf schon beinahe mit einem Beim kollidiert, kann ich sie überhaupt sehen.

»Sorry«, sagt einer der beiden. Durch den Rauch habe ich keine Chance, ihn zu erkennen. »Wir müssen hier durch.«

Ich presse mich, so gut es geht, an die Wand und lasse sie vorbei. Zwischen ihnen mache ich den Umriss einer Person aus. Es ist unmöglich, zu erkennen, ob sie sich noch bewegt.

»Bist du noch da?«, fragt Pascals Stimme über das Funkgerät in meinem Ohr.

»Direkt hinter dir.«

»Sieh zu, dass es auch so bleibt.«

Anstelle einer Antwort fasse ich in seinen Gürtel. So verbunden gehen wir weiter nach oben. Wir haben nur noch acht Minuten. Mit jeder Stufe, die wir erklimmen, wird es wärmer unter meiner Schutzausrüstung. Auf dem Absatz zum zweiten Stock schalte ich meine Handlampe aus, denn ich brauche sie nicht mehr. Helles Feuer schlägt uns aus einer der beiden Wohnungstüren entgegen. Wir haben den Brandherd erreicht. Die Flammen haben sich bereits über den Türvorleger bis zum Flur gefressen und lecken gierig am Treppengeländer. Mehrere Kollegen versuchen das Feuer zu löschen, aber das Wasser verdampft zischend direkt in der Luft.

»Wir brauchen mehr Wasser«, ruft einer von ihnen. Ich erkenne Tarek an der Stimme, obwohl ich ihn so noch nie gehört habe. Angespannt, beinahe panisch. »Worauf warten die da unten?!«

Tatsächlich kommt kaum noch Wasser aus seinem Schlauch und auch bei den beiden anderen sieht es nicht besser aus.

»Hey!« Tarek winkt hektisch, sobald er uns entdeckt. »Habt ihr noch Wasser?«

»Haben wir.« Erst jetzt fällt mir auf, dass unser Schlauch zwar unter Spannung steht, aber längst nicht so stark wie sonst. Verdammt.

»Wasser marsch«, ruft Pascal mir zu. In Erwartung des Drucks umfasse ich den Schlauch fester, aber das wäre nicht nötig gewesen. Schon nach wenigen Sekunden wird der Wasserstrahl dünner. Wirkungslos gegen die Flammen.

»Scheiße! Was ist da los?«, brüllt Tarek in sein Funkgerät. »Wir brauchen mehr Wasser!«

Die Antwort geht in einem Fauchen unter. Das Feuer hat das Geländer erreicht und schießt an den Holzstäben hoch. Sofort richten wir alle unsere Schläuche darauf, aber die Auswirkung ist minimal.

»Sind noch Leute da oben?«, rufe ich Tarek zu.

»Ich weiß es nicht! Wir konnten noch nicht nachsehen!«

Ein Blick auf das Treppenhaus zeigt, dass dafür auch nicht mehr viel Zeit bleibt. Jetzt, wo das Feuer das Geländer erreicht hat, ist es nur eine Frage von Minuten, bis es sich durch die ganze Treppe frisst und sie unbegehbar macht. Wer dann noch oben ist, hat allein keine Chance mehr.

Ich habe nur noch sechs Minuten Luft. Das wird eng.

In diesem Moment hören wir es.

»… Hil– Hilfe!« Ein leises Keuchen.

Tarek lässt den Schlauch sinken, bedeutet den anderen mit einer Handbewegung, still zu sein.

Trotz der Hitze gefriert mein Inneres. Es ist noch jemand oben im Haus.

Eine schwache Frauenstimme dringt zu uns. »Hilfe … Bit– Helfen … Sie mir!«

»Wir müssen nach oben!«, sage ich, ohne zu zögern.

Die Stimme ertönt noch mal. »Hilfe! Hallo?«

Nach einem besorgten Blick auf die Anzeige des Pressluftatmers drückt Pascal auf die Sprechtaste seines Funkgeräts. »Es ist noch jemand oben im Haus. Wir gehen hoch.«

Ich atme tief durch. Dann drücke ich einem Kollegen unseren Schlauch in die Hand und schiebe mich an ihm vorbei. Normalerweise würde ich versuchen, mich so weit wie möglich von den Flammen fernzuhalten, aber das ist jetzt keine Option. Von rechts kommt das Feuer aus der Wohnung, von links frisst es sich am Treppengeländer entlang. Für einen kurzen Moment kommen mir Zweifel.

»Kira, mach keinen Scheiß. Das ist zu gefährlich!« Tarek fasst nach meiner Schulter. »Solange wir nicht richtig löschen können, macht das keinen Sinn.«

»So viel Zeit hat sie nicht«, gebe ich zurück. »Haltet alles drauf, was ihr noch habt.«

Bevor er noch mal protestieren kann, ruft die Frau wieder. Bricht ab, hustet.

»Okay.« Er lässt mich los. »Ihr habt sie gehört, Jungs. Gebt alles!«

Alle richten ihre Wasserschläuche auf den brennenden Treppenabsatz. Heißer Dampf steigt auf, aber für den Moment schrumpft das Feuer. Es reicht, um Pascal und mir den Weg zu bahnen. In fünf schnellen Schritten trete ich zwischen den Flammen hindurch. Schweiß läuft mir die Stirn entlang und brennt in meinen Augen. Blut rauscht in meinen Ohren, während die Hitze nach meinen Stiefeln greift.

Dann stehe ich auf der ersten Treppenstufe in den dritten Stock und erlaube mir einen Moment, um durchzuatmen. »Alles gut bei dir?«, rufe ich über die Schulter hinweg.

Doch Pascal antwortet nicht. Ich fahre herum und sehe, dass er immer noch mitten in den Flammen steht. Er bewegt sich langsam vorwärts, die Arme eng am Körper. Dann schießt eine Flamme am Treppengeländer nach oben. Er will ausweichen, tritt zur Seite und ein fürchterliches Knacken durchfährt mich bis ins Mark. Über das Funkgerät kann ich ihn aufschreien hören.

»Pascal!«

Hilflos sehe ich mit an, wie er gegen die Wand sackt und das Gewicht seines Pressluftatmers ihn nach unten zieht.

»Steh auf! Du musst da weg!«

»Es … geht nicht. Mein Fuß trägt mich nicht.«

Zum ersten Mal höre ich blanke Angst in seiner Stimme.

»Pascal, pass auf! Das Feuer kommt immer näher.«

»Ich weiß, aber es geht nicht.«

Tarek fasst ihn am Kragen und zieht ihn nach hinten. Pascal stolpert gegen seine Brust und für einen Moment sieht es so aus, als würden beide die Treppe herunterstürzen. Im letzten Moment fängt Tarek beide ab.

»Scheiße!«

»Sorry. Ist alles okay, Mann?«

»Wird schon.« Pascals Stimme ist schmerzverzerrt, aber er ist aus der Gefahrenzone. Erleichterung lässt meine Knie weich werden. Aber sie hält nur wenige Sekunden an.

»Hilfe … bitte!«

Ein Jaulen schallt von oben durchs Treppenhaus. Ich habe keine Zeit zu verlieren.

»Komm zurück, Kira! Das kannst du nicht allein.«

Der rationale Teil von mir weiß, dass Pascal recht hat. Es gibt einen Grund dafür, dass wir immer mindestens zu zweit sind.

»Hil…fe!«

Rationalität war noch nie meine Stärke.

Entschlossen drehe ich mich um und krieche, so schnell ich kann, auf allen vieren die Treppe nach oben. Schon nach wenigen Metern geht mein Atem keuchend, das Herz donnert in meiner Brust. Egal, wie tief ich einatme, ich bekomme einfach nicht genug Luft. Kein gutes Zeichen. Der Zeiger an meiner Pressluftflasche ist schon im roten Bereich. Noch zwei Minuten.

Keuchend nehme ich die letzten drei Stufen, dann bin ich auf dem Absatz des dritten Stocks. Vor mir eine Wand aus Rauch. Ich schalte die Lampe wieder ein. »Hallo? Wo sind Sie?«

»Hier … Hilfe!« Die schwache Stimme kommt von links.

Vorsichtig bewege ich mich in ihre Richtung. Auf dem Boden stehen ein paar Pflanzen, dahinter ein Schuhregal und ein Regenschirm, der an der Wand lehnt. Dann taucht vor mir der Rahmen einer Wohnungstür auf. Sie steht einen Spaltbreit offen. »Hören Sie mich? Ich komme jetzt rein.«

Meine Lunge brennt. Sprechen verbraucht zu viel Sauerstoff. Ohne ein weiteres Wort schiebe ich die Tür auf und trete in den Flur dahinter. Hier ist der Rauch nicht ganz so dicht, weil die Tür einen Teil draußen gehalten hat. Um schneller voranzukommen, stehe ich auf. Für einen Moment verschwimmt meine Sicht und ich muss mich an der Wand abstützen. Dann gehe ich weiter. Der Lichtschein meiner Lampe fällt auf einen langen Teppich, eine Kommode, ein Körbchen. Ich sehe niemanden.

»Hallo?« Ich unterdrücke ein Husten. Meine Zeit läuft ab.

Rechts von mir ertönt ein leises Jaulen. Ich folge dem Geräusch und lande in einem kleinen Schlafzimmer. Das Jaulen wird lauter.

»Hi… Hilfe …«

Auf dem Boden neben dem Bett krümmt sich eine alte Dame. Sie trägt ein dunkelblaues Nachthemd, wurde offensichtlich vom Brand überrascht. »Feuer«, krächzt sie. »Ging alles … so schnell. Bin direkt aus dem Bett … zur Tür. Aber ich konnte sie ja nicht allein lassen … Also zurück und dann bin ich gestürzt und …« Der Rest ihres Satzes geht in einem Hustenanfall unter. Neben ihr liegt ein hellbrauner Hund, presst sich an ihre Seite und jault wieder.

Ich falle neben den beiden auf die Knie.

»Tarek, kannst du mich hören? Hier oben ist noch eine Bewohnerin, aber sie kann sich nicht … bewegen.« Mir wird schon wieder schwindelig und ich muss abbrechen. Langsam durchatmen. »Ich brauch hier … Hilfe.«

»Kira? Wir kommen nicht hoch. Das Feuer breitet sich aus und wir haben immer noch kein Wasser. Du musst da raus, sofort.«

Trotz der Hitze um mich herum wird mir plötzlich eiskalt.

»Ich kann sie nicht hierlassen.«

Das Funkgerät rauscht, dann spricht Tarek wieder. »Sobald es geht, schicken wir ein Team rauf. Wie viel Luft hast du noch?«

Zu wenig, um diese Frage zu beantworten. Mein Schweigen sagt ihm genug. »Raus mit dir, Kira.«

Scheiße. Scheiße. Scheiße.

Verzweiflung mischt sich mit dem Sauerstoffmangel, lässt meine Lungen brennen. Aber die alte Dame kann sich nicht bewegen. Ich allein kann sie nicht stützen. Außerdem hat sie keine Schutzausrüstung.

»Kira?« Das ist Michaels Stimme in meinem Funkgerät. »Verlass das Gebäude.« Der Tonfall meines Chefs lässt keinen Raum für Widerworte. Das ist ein Befehl.

Erschöpft betätige ich die Sprechtaste. »Ich öffne vorher noch das Fenster. Wir brauchen hier … so schnell es geht … die Drehleiter.«

»Mach das.« Für einen Moment wird seine Stimme weicher. »Wir sind dran. Aber ich will dich in einer Minute hier unten sehen.«

»Verstanden.«

Ich stemme mich hoch. Schwärze wabert vor meinen Augen. Unbeholfen taumele ich zum kleinen Fenster neben dem Bett, schiebe die Gardinen beiseite und reiße es auf. Ein Blumentopf fällt krachend zu Boden. Kalte Luft strömt in den Raum und ich kämpfe gegen die Versuchung, meine Atemmaske abzunehmen. Aber das wäre fatal. Der Stickstoffgehalt im Raum ist immer noch viel zu hoch.

Ich gehe zurück zu der alten Dame. Ihre Augen sind mittlerweile halb geschlossen, Schweiß rinnt ihr über die Stirn, ihr Atem geht flach. »Bi– bitte. Hilfe.«

Der Hund heult.

Meine Augen brennen.

Aber ich weiß, es ist die einzige Möglichkeit.

»Wir kommen gleich zurück.« Ich lege eine Hand auf ihre Schulter. »Wir holen Sie. Versprochen.«

Als ich mich aufrichte, bellt der Hund schwach, stupst die alte Dame an. Er ist offenbar noch jung, geht mir gerade mal bis zum Knie. Bevor ich noch einmal darüber nachdenken kann, hebe ich ihn hoch. Stolpere den Gang zurück in den Flur. Die Treppe nach unten.

Mittlerweile sind noch mehr Kollegen da, halten Wasser auf den Brand. Aber in der Zwischenzeit hat sich das Feuer weiter ausgebreitet, frisst sich hungrig durch die Tapete des Treppenhauses. Ich versuche den Hund so gut wie möglich mit meiner Jacke abzuschirmen. Er zittert fürchterlich in meinen Armen. Sobald Tarek mich kommen sieht, richten alle ihre Schläuche in meine Richtung und bahnen mir so einen Weg durch die Flammen. Meine Lungen schreien noch Sauerstoff. Benommen wanke ich weiter, die Treppe nach unten in den ersten Stock. Stolpere, kann mich gerade noch halten, den Hund an meine Brust gepresst. Stolpere noch mal. Dieses Mal schlagen meine Knie hart auf dem Boden auf. Aber ich lasse ihn nicht los. Die Luft um uns herum glüht, die Flammen knistern. Sie kommen immer näher. Ich kann nicht atmen.

Panik steigt in mir auf, lässt meine Muskeln zu Eis werden. Der Hund hat aufgehört zu zittern. Oder vielleicht zittere ich jetzt selbst. Meine Kraft reicht nicht mehr aus, um mich hochzustemmen. Meine Sicht verschwimmt.

Ich schaffe es nicht, ist der einzige Gedanke, der den Nebel in meinem Kopf durchdringt.

Ich schaffe es nicht.

Es klingt so absurd, dass ich lachen möchte. Wenn ich die Luft dazu hätte.

Was wird Mama wohl sagen?

Hände greifen nach mir, jemand legt meinen Arm über seine Schulter. Worte fliegen an meinen Ohren vorbei, aber sie kommen nicht in meinem Gehirn an.

Dann sind wir draußen. Die Maske wird mir vom Gesicht gerissen und kühle Nachtluft strömt auf meine verschwitzte Haut.

»Was war das bitte für eine Scheißaktion?!« Melis Gesicht erscheint direkt vor meinem. Ihre Augen funkeln. »Was hast du dir dabei gedacht?!«

»Gib es ruhig zu«, keuche ich und lasse mich mit dem Hund im Arm auf die Knie sinken. »Du hast dir Sorgen um mich gemacht.«

»Du bist ein Arschloch«, sagt meine beste Freundin.

Der Hund hebt den Kopf und heult. Ich folge seinem Blick, schaue die Fassade des Hauses hinauf. Das Fenster im dritten Stock steht immer noch offen. Die Kollegen fahren gerade die Leiter aus.

»Los, komm.« Melis zupft an meinem Arm. »Dahinten wartet ein Rettungswagen auf dich.«

»Warte.« Ich schüttele sie ab, die Augen fest auf die Leiter gerichtet. Noch ein paar Meter, dann ist sie am Fenster. »Ich muss wissen …« Ein Hustenanfall unterbricht mich.

»Deine Lippen sind blau. Du musst gar nichts.«

Obwohl Melis einen Kopf kleiner ist als ich, zieht sie mich auf die Füße und stützt mich, als ich ins Schwanken gerate. Irgendjemand versucht mir den Hund abzunehmen. Er bellt und ich drücke ihn fester gegen meine Brust, um ihn zu beruhigen. Um mich selbst zu beruhigen.

Kurz darauf sitze ich auf der Liege eines Rettungswagens, eine Sauerstoffbrille auf der Nase. Die Sanitäterin misst meinen Blutdruck. Das kalte Licht der Deckenlampe zeigt, dass der junge Hund eigentlich eine Hündin ist. Sie liegt auf meinem Schoß.

»Die alte Dame«, wende ich mich an Melis. »Ihre Besitzerin. Was ist mir ihr?«

Meine Freundin und die Sanitäterin tauschen über meinen Kopf hinweg einen Blick. »Ich weiß es nicht. Jetzt geht es erst mal um dich.«

»Nein, bitte. Ich muss es wissen«, protestiere ich, stemme mich von der Liege hoch. Die Welt gerät ins Schwanken.

Eine Hand auf meiner Schulter drückt mich energisch wieder nach unten. »Du bleibst hier. Ich schaue nach.« Melis verschwindet durch die Seitentür.

Die Sanitäterin klebt mir für ein EKG Elektroden auf die Brust und bespricht sich mit ihrem Kollegen. Ich blende die beiden aus, starre in meinen Schoß. Die Hündin hat sich zusammengerollt. Nur am Heben und Senken ihres Rückens erkenne ich, dass sie noch lebt. Irgendwer muss sich um sie kümmern. Sie braucht einen Tierarzt. Die Worte sind in meinem Kopf, aber sie verlieren sich irgendwo auf dem Weg zu meiner Zunge. Obwohl die Heizung im Inneren des Rettungswagens läuft, zittere ich immer noch.

Als die Seitentür wieder aufgeht, zucke ich zusammen. Die Hündin schreckt hoch. Melis steckt den Kopf durch die Tür, die Lippen zusammengepresst.

»Und?«, frage ich atemlos.

Sie schüttelt den Kopf. »Es tut mir leid.«

Die Hündin fängt wieder an zu heulen, als wüsste sie genau, was das heißt.

Kapitel 2

»Platz. Bleib. Nein, bleib.« Ich deute mit dem Zeigefinger auf Finjas Decke, die ich in einer Ecke der Fahrzeughalle ausgerollt habe. »Du musst hier warten. Onkel Tarek wird auf dich aufpassen. Stimmt doch, oder?«

Der Kopf des Angesprochenen taucht unter der Motorhaube eines Feuerwehrwagens auf. »Mit Vergnügen. Wir zwei haben uns schon richtig angefreundet, stimmts?«

Finja wufft.

»Hey, was soll das denn heißen? Habe ich dir diese Woche jeden Tag Leckerlis gebracht oder nicht?« Anklagend zeigt er mit dem Schraubenzieher auf die Hündin.

»Du hast was?« Ich fahre herum.

»Sie sah so hungrig aus.«

»Das ist ihr bester Trick. Sag nicht, du fällst darauf rein.«

»Sie hat sie ja nicht mal gefressen! Die Arme hat Angst vor allem, was sich bewegt.«

»Vor dir hätte ich auch Angst«, murmele ich und streichele Finja über den Kopf.

»Das hab ich gehört«.

»Kira, wo bleibst du?« Melis lehnt sich aus dem Fenster des Rettungswagens. »Unsere Patientin wartet.«

»Schon auf dem Weg!« Ich wende mich noch mal Finja zu. »Wir sind gleich wieder da, okay?« Langsam lasse ich meine Finger über ihr kaffeebraunes Fell gleiten. »Dass du mir nicht wieder Stiefel annagst. Und keine Leckerlis mehr.« Der letzte Satz richtet sich an Tarek, der mit seinem Schraubenzieher salutiert. Dann jogge ich auf den Rettungswagen zu und öffne die Beifahrertür.

Wenige Sekunden später rollen wir vom Hof der Feuerwache 20 und machen uns auf den Weg zum Uniklinikum Köln. Unser Auftrag lautet, eine Patientin von der Kardiologie nach einer Herz-OP zurück in das Seniorenheim zu fahren, in dem sie lebt. Ein entspannter Einsatz für einen Samstagmorgen. Melis hat das Fenster einen Spaltbreit geöffnet und warme Frühlingsluft streicht mir durch die Haare. Nach zwei verregneten Aprilwochen scheint heute zum ersten Mal wieder die Sonne auf Köln herunter und ich genieße sie in vollen Zügen.

»Was glaubst du, wie lange macht Michael das noch mit?«, fragt Melis, während wir an einer Ampel warten.

»Ach, der tut doch nur so. Insgeheim liebt er Finja genauso wie alle anderen.«

Als ich nach dem Ende meiner Krankschreibung vor zwei Wochen mit der Hündin an der Wache aufgetaucht bin, war die Haltung unseres Chefs eindeutig: Sie kann bleiben, bis sie einen neuen Besitzer gefunden hat. Nicht länger.

Ich hab ihm versichert, das würde nicht lange dauern.

»Hast du eigentlich schon eine Anzeige geschaltet?«

»Nein«, antworte ich. »Ich bin noch nicht dazu gekommen.«

»Du warst fast zwei Wochen krankgeschrieben.«

»In der Zeit habe ich gelernt! Mich schon mal für die Fortbildung zum Gruppenführer vorbereitet. Es ist eine Riesenehre, dass Michael mich dafür jetzt schon in Erwägung zieht, ich will ihn nicht enttäuschen.«

»Du bist auch schon seit zwei Wochen wieder im Dienst.«

»Und da hatten wir keine ruhige Minute, das weißt du selbst.«

Das ist nur die halbe Wahrheit. Ich habe mehrmals angefangen, Anzeigen für Finja zu schreiben. Aber dann hat sie geseufzt oder mir mit der Nase gegen mein Bein gestupst oder mich mit ihren großen Augen angeguckt. Und ich konnte es nicht.

»Alles klar. Verstehe.«

»Was hätte ich denn machen sollen?«, verteidige ich mich. »Zulassen, dass sie in ein Tierheim geht? Nur, weil sich sonst keiner um sie kümmern wollte?«

Bei dem Gedanken zieht sich mir der Magen zusammen.

»Das sag ich ja gar nicht! Ich bin absolut Team Finja, gar keine Frage.«

In der Tierarztpraxis haben die Angestellten sie Finja genannt, weil sie ihren richtigen Namen nicht kannten. Eine Marke oder sonstige Registrierung hatte sie nicht, auch ihre Rasse konnte niemand richtig feststellen. Vermutlich ein bisschen was von allem, hieß es. Offenbar war sie der Frau zugelaufen und die hat es nicht für nötig gehalten, irgendjemanden davon in Kenntnis zu setzen. Sie sieht aus wie eine Finja, meinte die Tierärztin. Der Name schien der Hündin zu gefallen, also ist es dabei geblieben.

»Ich meine ja nur«, fährt Melis fort, »vielleicht ist eine Feuerwache nicht der richtige Ort für sie, wenn ich da an die Pfütze in der Fahrzeughalle denke.«

»Das war nur einmal. Finja war eben nervös, es war schließlich ihr erster Tag. Sie braucht nur ein bisschen Zeit, um sich einzugewöhnen«, verteidige ich die Mischlingshündin. »Du wirst schon sehen, am Ende wird sie von der Wache 20 gar nicht mehr wegzudenken sein.«

»Ein bisschen so wie du.«

»Was meinst du?«

Melis wirft mir ein Lächeln zu. »Jetzt tu doch nicht so. Du bist erst seit knapp vier Monaten bei uns, aber jetzt schon Teil des Teams. Als wärst du seit Jahren da und nicht erst frisch von der Ausbildung hierhergekommen. Du hast selbst den alten Griesgram Walter schon auf deine Seite gezogen.«

»So schlimm ist der doch gar nicht, wenn du ihn erst mal näher kennst.«

»Das sage ich ja. Ich bin seit über einem Jahr hier und ich weiß nicht mal, wie er mit Nachnamen heißt.«

»Das steht im Dienstplan.«

Sie verdreht die Augen. »Das ist nicht der Punkt. Ich will nur sagen, du passt in diese Wache wie die Faust aufs Auge. Und ich bin verdammt froh, dass du wieder da bist.«

Mein Hals schnürt sich zu. »Ich auch«, antworte ich, aber in meinem Kopf wiederholt sich die Frage, die sich in den letzten vier Wochen seit dem Einsatz in mein Gehirn gebrannt hat. Die meine Handflächen zum Schwitzen und mein Herz ins Stolpern bringt. Für Finjas Besitzerin war ich nicht schnell genug. Wer sagt, dass ich es für die nächste Person sein werde?

Während wir über die verstopften Straßen rund um den Ebertplatz kriechen, wendet sich unser Gespräch anderen Themen zu und mein Herzschlag beruhigt sich wieder. Wir reden über den neuen Trainingsplan, den Michael verkündet hat, Thorbens geplante Gartenparty, die flirtenden Blicke zwischen Tarek und Simon. Alles, nur nicht den Einsatz.

Am Anfang hat Melis es ein paarmal versucht. Sie hat mich fast jeden Tag angerufen und mir alle möglichen Belanglosigkeiten von der Wache erzählt, während ich auf dem Sofa lag. An den Tagen, an denen sie nicht angerufen hat, ist sie nach dem Dienst vorbeigekommen, meistens mit Take-out-Boxen oder einem Pizzakarton. Sie hat mir erzählt, was die große Nachbesprechung auf der Wache ergeben hat. Dass die anderen immer wieder nach mir gefragt haben. Von den Ermittlungsergebnissen der Polizei, nach denen das Feuer in dem Wohnhaus durch einen Kabelbrand ausgelöst wurde. Ein technischer Fehler, für den niemand etwas kann und der doch ein Menschenleben gekostet hat. Aber jedes Mal, wenn ich etwas dazu sagen wollte, verknotete sich meine Zunge und Angst legte sich über meine Gedanken, bis sie alles andere verdeckte.

Was, wenn es doch meine Schuld war?

Ich werfe einen Blick in den großen Rückspiegel, der uns beide zeigt. Melis mit ihren wilden braunen Haaren, dem Muttermal an der linken Schläfe und dem unerschütterlichen Optimismus. Und daneben ich, dunkelblonder Zopf, Sommersprossen und einem Hang zur Waghalsigkeit, wie sie immer sagt. Seit wir uns vor drei Jahren in der Mensa der Feuerwehrschule kennengelernt haben, sie im zweiten Ausbildungsjahr, ich im ersten, hatten wir noch nie Geheimnisse voreinander.

Aber ich will nicht darüber reden. Nicht mit Michael, nicht mit meiner Mutter, noch nicht mal mit meiner besten Freundin. Ich kann nicht. Denn was ist, wenn sie meiner Angst insgeheim recht geben?

Unsere Fahrt durch den Frühlingsmorgen mit dem Radio leise im Hintergrund fühlt sich wunderbar normal an. Am liebsten würde ich ewig so weiterfahren.

»Pascal wird übrigens erst mal nicht wiederkommen«, sagt Melis unvermittelt. Sie wirft mir einen Seitenblick zu, als wollte sie meine Reaktion einschätzen. »Er hat für seinen Kreuzbandriss eine Reha genehmigt bekommen und selbst dann wissen wir noch nicht, ob sein Fuß die Belastung wieder mitmachen wird. Tarek will in den nächsten Tagen Unterschriften für eine Karte sammeln.«

Es kostet mich Mühe, nicht zusammenzuzucken, als die Erinnerungen mich überfallen. Pascal steht mitten in den Flammen. Er knickt zur Seite weg, schreit auf. Mein Herzschlag gerät ins Stolpern. Die Hitze kommt näher, knisternd und fauchend, mir bricht der Schweiß aus und von oben ruft jemand …

Ich beiße mir heftig auf die Unterlippe. Der Schmerz holt mich zurück in die Gegenwart. Ein warmer Frühlingstag. Wind auf meiner Haut. Der Beifahrersitz eines Rettungswagens unter mir. Sicherheit.

»Okay. Das ist schade. Also dass er nicht zurückkommt.« Meine Stimme klingt nicht so fest, wie ich gehofft hatte.

Melis nickt. »Absolut. Er war richtig gut.«

Besser als du, sagt eine Stimme in meinem Kopf, die verdächtig nach meiner Mutter klingt. Immerhin ist er tatsächlich verletzt. Er würde sich niemals von einem Feuer einschüchtern lassen.

»Ja«, murmele ich. »Das war er.«

»Alles okay bei dir? Du siehst so blass aus.«

»Alles bestens.« Ich werfe ihr ein Lächeln zu. »Hab nur zu wenig geschlafen. Finja musste ein paarmal raus heute Nacht.«

Das ist zumindest nicht gelogen. Von den Albträumen muss sie nichts wissen. Das habe ich im Griff.

»Mmh.« Sie sieht aus, als wollte sie noch mehr sagen, aber zu meinem Glück sind wir am Ziel.

Sobald wir vor dem Eingang des Krankenhauses zum Stehen kommen, springe ich aus dem Auto. »Ich melde uns schon mal an.«

Erst als die Türen des Krankenhauses hinter mir zufallen, kann ich wieder ausatmen. Allerdings hält meine Erleichterung nicht lange an. Frau Catzmarek liegt auf Station drei und hinter dem Pult der Pflegestation steht ausgerechnet Lukas Bach. Der Intensivpfleger, der kein Problem damit hatte, mit mir im Lagerraum der Kardiologie, in Bartoiletten oder in seltenen Fällen in seiner Einzimmerwohnung zu vögeln. Der aber in der Sekunde verschwand, als mein Vater krank wurde.

Ich hebe das Kinn und marschiere auf ihn zu. »Der Transport für Sigrid Catzmarek ist da.«

»Kira?« Sein Kopf schnellt hoch. »Was machst du hier?«

»Mit einem T-Rex Tango tanzen.«

Er blinzelt. »Was?«

»Arbeiten, Lukas. Wonach sieht es denn aus?«

»Ähm ja, klar. Natürlich.« Mit gerunzelter Stirn klickt er ein paarmal auf seiner Computermaus. Seine blonden Haare sind länger als noch vor ein paar Monaten. Perfekt, um die Hände darin zu vergraben.

Oder sie auszureißen.

»Zimmer 324. Hier sind ihre Papiere.« Er hält mir ein Klemmbrett hin.

»Danke.«

Ich habe mich schon umgedreht, als er noch mal spricht. »Die Sache mit dem Brand … Ich hab es in der Zeitung gelesen. Schlimme Sache.«

Meine Füße frieren am Boden fest.

»Also falls du mal ein bisschen Ablenkung brauchst. Nur rein theoretisch. Du weißt, wo du mich findest.«

Eine ganze Reihe von Antwortmöglichkeiten schießen mir durch den Kopf. Die meisten beinhalten einen gezielten Wurf des Klemmbretts in das Gesicht, das ich vor einem Jahr noch umwerfend fand.

Am Ende entscheide ich mich für keine von ihnen. Ich lasse ihn einfach stehen.

***

Frau Catzmarek ist eine reizende ältere Dame in einer Wollstrickjacke, die fließend Deutsch, Polnisch und Tschechisch spricht und eine Leidenschaft für die Bundesliga hat. All das erfahren wir in den ersten fünf Minuten unserer Fahrt. Als wir vor ihrem Seniorenheim ankommen, ist sie gerade dabei, Melis die Übersetzung des Wortes »Scheiße« auf Tschechisch beizubringen, während Melis ihr die türkische Übersetzung liefert.

»Es ist ›Sıçmak‹. Mit ›tsch‹«, sagt Melis gerade, als ich die Türen des Rettungswagens öffne.

»Sıç…mak.« Frau Catzmarek formt das Wort sorgsam mit den Lippen, bis meine Freundin zufrieden ist.

Auf dem Weg zu ihrem Zimmer werfen uns die Heimschwestern ein paar seltsame Blicke zu, aber unsere Patientin hat Spaß und das ist alles, was zählt. Bevor wir gehen, dirigiert uns Frau Catzmarek zur obersten Schublade ihrer Kommode und besteht darauf, dass wir die Packung Mon Cheri mitnehmen, die dort liegt.

»Děkuju«, bedankt sich Melis und deutet eine Verbeugung an. »Hab ich das richtig gesagt?«

»Fast, Liebes.« Sie strahlt. »Noch ein bisschen Übung und Ihr Tschechisch ist perfekt.«

»Das lief doch super«, sagt Melis, als wir aus dem Pflegeheim wieder in die Sonne treten. Sie wickelt eine Praline aus und steckt sie sich grinsend in den Mund. »Sıçmak, ich liebe unseren Job.«

»Ich auch«, sage ich und nehme mir ein Stück Schokolade. Trotzdem hinterlassen die Worte einen bitteren Nachgeschmack auf meiner Zunge.

***

»Sie war ganz brav«, sagt Tarek, sobald wir an der Wache aus dem Auto steigen. »Ich habe ihr sogar ein neues Kunststück beigebracht. Schaut mal.« Er hebt eine Hand. »Finja, mach die Rolle.«

Statt sich zu bewegen, legt die Hündin nur ihren Kopf schief. Hätte sie Augenbrauen, ich bin mir sicher, sie würde sie heben.

»Finja?« Tarek deutet mit seiner Hand einen Kreis an. »Mach die Rolle.«

Mit einem Seufzen lässt die Hündin sich auf den Hallenboden sinken und legt sich auf die Seite.

»Na, seht ihr? Immerhin schon eine halbe Rolle.« Grinsend kniet er sich hin und krault sie sanft hinter den Ohren. Nach ein paar Sekunden entspannt Finja sich und lehnt sich in die Berührung. »Den Rest schaffen wir auch noch, stimmt’s?«

Ein Schmunzeln umspielt meine Lippen. »Ich sehe schon, sie ist bei dir in bester Obhut.« Insgeheim bin ich erleichtert, dass die beiden sich so gut verstehen. Finja hat sich bisher anderen Menschen gegenüber alles andere als zutraulich gezeigt. Oder anderen Hunden. Alles scheint ihr Angst zu machen. Als sie meine Stimme hört, richtet sie sich wieder auf und trabt zu uns herüber.

»Hey, Süße. Waren sie auch alle nett zu dir?« Ich streichele ihr über den Kopf. Als Antwort leckt sie mir zustimmend über die Hand.

Ob sie das bei ihr auch immer gemacht hat?

Die Frage sticht mir zwischen die Rippen, wie jedes Mal, wenn ich an Finjas alte Besitzerin denke.

Schnell schiebe ich den Gedanken beiseite. »Ist das Essen eigentlich schon fertig?«

»Thorben und Katja sind heute dran mit Kochen, Simon hilft schnippeln. Das sagt alles, oder?«

Jede Schicht werden ein paar Kollegen zum Kochen eingeteilt und alle essen mittags zusammen, wenn die Einsätze es zulassen. Es gehört zu meinen Lieblingsmomenten eines Dienstes.

»Ich weiß gar nicht, was ihr habt«, sagt Melis. »Ich liebe labbrige Bratkartoffeln und Tiefkühlbackfisch.«

»Das hab ich gehört«, schallt eine Stimme aus dem ersten Stock durchs Treppenhaus. Melis und ich können uns ein Kichern nicht verkneifen. »Wenn ihr da unten nix zu tun habt, könntet ihr ja schon mal den Tisch decken.«

Tarek seufzt dramatisch. »Einmal mit Profis arbeiten.«

Lachend folgen wir ihm die Treppe hoch in den ersten Stock. Der Flur, den wir betreten, führt zu den Lehrgangsräumen, den Duschen und den Ruheräumen für die Kollegen, die während ihrer Zwölf-Stunden-Schicht mal ein paar Minuten die Augen zumachen möchten. Am Ende des Flurs befinden sich drei Rutschstangen, die direkt in die Fahrzeughalle führen. Sie sind der schnellste Weg, um von den Aufenthaltsräumen nach unten zu kommen, und in meiner bisherigen Erfahrung der einzige Teil des Feuerwehralltags, der ein bisschen so ist wie im Fernsehen.

Wir biegen allerdings vor den Stangen rechts ab und betreten den großen Gemeinschaftsraum. Es ist das größte Zimmer auf der ersten Etage und wie eine Mischung aus Ess- und Wohnzimmer eingerichtet. In der rechten Ecke stehen ein paar Sofas, die von dem Lauf der Zeit und Dutzenden Hinterteilen gezeichnet wurden. Davor stehen eine Tischtennisplatte und ein Tischkicker, an dem ich schon einige erbitterte Duelle gegen Melis ausgefochten und meistens verloren habe. Das Herzstück des Raums ist allerdings der große Esstisch in der Mitte. Er ist aus hellem Holz gefertigt und lang genug, dass zwanzig hungrige Menschen locker Platz daran finden. Der Geruch nach Bratfett, Zwiebeln und Fisch liegt in der Luft, als wir uns der Seitentür zur Küche nähern.

»Ihr kommt gerade rechtzeitig.« Katja wendet fünf Fischstäbchen gleichzeitig und deutet mit der freien Hand auf den Geschirrschrank. »Wir sind neunzehn heute Mittag.«

»Ich nehme alles zurück, was ich gesagt habe. Das sieht klasse aus.« Tarek schaut ihr über die Schulter und versucht unauffällig eine Bratkartoffel aus der Pfanne zu stibitzen. Katja haut ihm mit dem Holzlöffel auf die Finger.

»So weit kommt es noch. Moment, was genau hast du denn gesagt?«

Katja fährt seit zweiundzwanzig Jahren als Sanitäterin im Rettungsdienst und hat schon alles gesehen. Der Blick, mit dem sie Tarek jetzt bedenkt, ist normalerweise für betrunkene Fünfzehnjährige reserviert, die sie vom Fußboden einer Disko auflesen muss.

Wohlwissend begibt er sich eilig in Deckung. »Ich? Nichts. Gar nichts. Habe ich heute schon erwähnt, wie gern ich dich hab?«

»An die Arbeit mit euch«, befiehlt Katja, den Holzlöffel wie eine Waffe auf uns gerichtet. »Sonst kriegt der Hund eure Portionen.«

Wortlos schnappen wir uns Teller und Besteck und machen uns aus dem Staub. Beim Essen macht Katja nämlich keine Scherze.

Ich habe gerade den letzten Teller hingelegt, als Thorben die Glocke läutet. »Essen ist fertig!«

Natürlich könnte er auch einfach das hausinterne Lautsprechersystem nutzen, aber die gusseiserne Glocke hängt hier, seit die Feuerwache 20 im Jahr 1960 eingeweiht wurde, und ihre Benutzung ist Tradition. Außerdem ist sie verdammt laut. Es dauert nur wenige Minuten, bis sich alle Kolleginnen und Kollegen der Tagesschicht im Gemeinschaftsraum eingefunden haben.

»Fischstäbchen! Darauf freue ich mich schon die ganze Woche.«

»Kann mir jemand die Remoulade rübergeben? Geben, nicht werfen, habe ich gesagt!«

»Die Riehlerstraße ist schon wieder gesperrt. Das ist jetzt das dritte Mal dieses Jahr, es ist nicht zu fassen!«

»Wir kommen gerade aus der Blumenthalstraße. Fieser Verkehrsunfall. Schon länger nicht mehr so einen offenen Bruch gesehen.«

Die Atmosphäre erinnert mich jedes Mal ein bisschen an ein Schullandheim voller Zwölfjähriger auf Klassenfahrt. Mit deutlich blutigeren Gesprächsthemen. Mein Vater hat immer gesagt, wer mit Feuerwehrleuten beim Essen sitzt, muss einen starken Magen haben.

Während ich mir Bratkartoffeln nehme, erzählt Melis von ihren neu erworbenen Tschechischkenntnissen. Die Kollegen, die auf den Feuerwehrwagen eingeteilt sind, hatten bis auf den Verkehrsunfall einen ruhigen Vormittag. Die anderen, die wie Melis und ich heute Rettungsdienst gefahren sind, allerdings weniger, also gab es eine Menge zu berichten.

Zwischen zwei Bissen werfe ich einen schnellen Blick über meine Schulter. Finja liegt neben dem Tischkicker auf einem alten Kissen, das ich von zu Hause für sie mitgebracht habe. Größere Menschenmengen sind ihr nicht geheuer. Mit sicherem Abstand hat sie sich zusammengerollt und schläft entspannt.

Klara kratzt gerade die Schüssel aus und verteilt die letzten Reste Bratkartoffeln, als sich Michael am Kopfende des Tisches räuspert.

»Kann ich einmal um eure Aufmerksamkeit bitten?« Innerhalb von Sekunden ist es still. Unser Chef ist nicht gerade bekannt für große Ansprachen, wenn er also eine hält, muss etwas Besonderes dahinterstecken. »Wie ihr alle wahrscheinlich schon wisst, wird Pascal Scholle vorerst nicht zu uns zurückkommen. Er wird eine Rehabilitation beginnen und ist auf unbestimmte Zeit krankgeschrieben.«

Leises Gemurmel bricht aus.

Michael spricht weiter. »Mit ihm verlieren wir einen guten Kollegen, der nicht leicht zu ersetzen sein wird.«

Ich senke den Blick auf meinen leeren Teller. Versuche jede Erinnerung an ihn auszublenden. Den Sturz. Die Angst in seiner Stimme.

»Es … geht nicht. Mein Fuß trägt mich nicht.«

Michael klatscht in die Hände und ich zucke zusammen. »Damit wird er auch nicht mehr am jährlichen Test in der Brandsimulationsanlage teilnehmen können. Das gilt allerdings nicht für den Rest von euch. Ihr habt noch sechs Wochen für die Vorbereitung. Ich bin sicher, ich werde wieder Topergebnisse sehen. Das gilt ganz besonders für unseren Neuzugang Kira. Wenn ich mich recht erinnere, hast du während deiner Ausbildung eine Rekordzeit hingelegt.«

Achtzehn Augenpaare wenden sich mir zu. Plötzlich liegen mir die Bratkartoffeln wie Steine im Magen.

Der Test in der Brandsimulationsanlage.

Feuer.

Überall um mich herum.

Schon bei dem Gedanken beschleunigt sich mein Puls. Aber das hat noch Zeit, rufe ich mir in Erinnerung. Noch ganze sechs Wochen bis zum Test. Bis dahin bin ich darüber hinweg, ganz sicher.

Michael spricht immer noch. Mit dem Anflug eines schlechten Gewissens konzentriere ich mich wieder auf seine Worte.

»… noch eine weitere Ankündigung: Leider haben wir nicht viel Zeit, um Pascals Stelle unbesetzt zu lassen. Deshalb wird am Ende der Woche ein neuer Kollege zu uns stoßen. Er kommt aus Berlin, ist dort schon seit fünf Jahren bei der Berufsfeuerwehr und hat im Rahmen seiner Tätigkeit bereits eine Auszeichnung des Landesbranddirektors erhalten.«

Ein leises Raunen geht durch die Menge.

Ich verdrehe die Augen. »Ein Medaillen-Heini. Das hat uns gerade noch gefehlt«, flüstere ich Melis zu. »Nicht, dass der am Ende noch glaubt, er könnte mir die Beförderung wegschnappen.«

»Das glaub ich nicht«, murmelt sie. »Michael hat sich doch quasi schon für dich entschieden.«

»Ganz genau. Und Köln ist nicht Berlin. Der soll erst mal zeigen, was er kann.«

Kapitel 3

Einen Verdacht auf Blinddarmentzündung und einen harmlosen Fahrradunfall später schlendere ich mit Melis in den Umkleideraum.

»Gut, dass wir heute Abend pünktlich rauskommen«, sagt sie. »Ich bin nachher noch verabredet.«

»Lass mich raten: Tinder-Date Nummer zwölf.«

»Dreizehn, tatsächlich.« Sie streicht sich ihre Haare zurück. »Es muss ja nicht jeder so eine Nonne sein wie du.«

Ich werfe ihr einen finsteren Blick zu. »Danke, nach der Sache mit Lukas können Männer mir erst mal gestohlen bleiben.«

»Du kannst es immer noch mit Frauen versuchen.«

»Hab ich schon. Erinnerst du dich?«

Melis verzieht das Gesicht. »Ah, ja, die Abschlussfeier-Geschichte.«

»Genau. Die wir hiermit nicht wieder erwähnen werden. Lass es mich anders formulieren: Dating kann mir gestohlen bleiben.«

»Auf der einen Seite verständlich. Auf der anderen Seite könntest du dich mit dieser generell negativen Einstellung vieler schöner Momente berauben.«

»Mit fremden Typen in vollen Bars schmerzhaften Small Talk machen?«

»Mit netten Menschen in einem kleinen Restaurant wundervoll tiefsinnige Unterhaltungen führen. Pasta essen. Und verdammt guten Sex haben.«

»Woher nimmst du nur immer diese unschlagbaren Argumente?«

Sie zwinkert mir zu. »Das ist alles Lebenserfahrung, Kind.«

»Du bist gerade mal ein Jahr älter als ich.«

»Und das solltest du nie vergessen. Hey!« Sie weicht gerade noch aus, bevor ich ihr mit meinen Sicherheitsschuhen auf den Fuß treten kann. »Okay, okay. Das hab ich von meiner Nine. Die ist achtundachtzig und weiser als wir alle zusammen. Außerdem …« Sie zückt ihr Handy und zeigt mir ein Foto einer Frau mit langen schwarzen Haaren und umwerfendem Lächeln, »… sieht Nummer dreizehn so aus.«

»Wie oft musst du eine Frau eigentlich treffen, bevor sie in deinen Erzählungen tatsächlich einen Namen kriegt?«

»Mindestens dreimal«, antwortet sie grinsend.

»Wann kam das das letzte Mal vor?«

»Ist es meine Schuld, dass ich immer an die Falschen gerate?«, fragt sie, einen Hauch Verletzung in der Stimme. »Alles, was ich will, ist jemanden zu finden, der mich wirklich liebt. Die klassische, kitschige Disney-Romanze. Wenn sie queer wäre. Ist das wirklich zu viel verlangt?«

»Wer dich nicht will, hat dich nicht verdient«, sage ich versöhnlich und hake mich bei ihr ein.

An meinem Spind angekommen steige ich aus meiner Hose und schnappe mir mein Handtuch. Während Melis mir die Details ihrer Abendplanung erzählt, duschen wir uns den Schweiß des Tages von der Haut und schlüpfen in unsere Alltagsklamotten. Ich in weite Jogginghosen und einen Hoodie, Melis in eine schicke schwarze Jeans und ein rotes Satin-Oberteil. Als ich meine Arbeitsschuhe auf den Boden des Spinds stellen will, entdecke ich dort einen kleinen weißen Umschlag mit meiner Anschrift. Offenbar hat ihn jemand unter der Spindtür durchgeschoben. Mit gerunzelter Stirn hebe ich ihn auf und drehe ihn um.

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»Also, was sagst du?«

Bevor Melis einen Blick darauf werfen kann, lasse ich den Brief in meiner Tasche verschwinden. »Was?«

»Heute Abend. Falls mein Date wider Erwarten eine Enttäuschung ist, wollen Tarek und ich uns auf ein Bier in der Spelunke treffen.«

»An sich gern, aber heute Abend ist Familientreffen«, antworte ich. »Weil ich schon eine Weile nicht mehr da war, hat Mama mich zum Grillen einbestellt.«

Melis schließt ihren Spind geräuschvoll. »Habt ihr Streit?«

»Nein, wir haben keinen Streit.« Nur ein viel zu großes Haus, in dem mich alles an Papa erinnert, und scharfe Blicke, in denen der Vorwurf klar zu lesen ist. Dabei weiß sie noch nicht mal etwas von Finja. »Es war nur einfach viel los in letzter Zeit. Du weißt ja, wie das ist.«

Zum Glück ist Melis spät dran, also belässt sie es dabei. Sie trägt vor dem kleinen Spiegel neben der Tür einen Hauch Lippenstift auf und rauscht mit einem »Liebe Grüße an deine Mutter« aus der Tür.

Dagegen habe ich es nicht so eilig. Erst als ich meinen Aufbruch nicht länger hinauszögern kann, hole ich Finja aus dem Gemeinschaftsraum ab. Die Kollegen von der Nachtschicht sind gerade eingetroffen und ich lasse mich allzu bereitwillig in ein paar Gespräche verwickeln. Bis Finja und ich es zum Parkplatz vor der Wache geschafft haben, ist es halb acht. Mama wird nicht begeistert sein.

Mein kleiner roter Polo ist der einzige Wagen der Tagschicht, der noch auf dem Parkplatz steht. Er hatte seine besten Jahre bereits hinter sich, als ich ihn mit zwanzig Jahren von meinem Vater zum Geburtstag geschenkt bekam. Aber er fährt immer noch, auch wenn es manchmal etwas Überzeugungsarbeit braucht, und das ist alles, was mich interessiert. Weil ich bisher noch keine Zeit hatte, mir eine Hundebox zu kaufen, fährt Finja im Fußraum des Beifahrersitzes mit. Um Platz für sie zu schaffen, musste ich das erste Mal seit Monaten aufräumen und das Chaos aus Brötchentüten, alten Sportschuhen, Schokoladenverpackungen und PET-Flaschen beseitigen, das den Boden meines Autos dominiert hat. Jetzt, drei Wochen später, ist das Chaos zurück, nur dass es sich auf den Rücksitz verlagert hat. Gerade als ich die Tür hinter Finja geschlossen habe, piept mein Handy. Eine Nachricht von meiner Mutter.

Ich decke schon mal den Tisch.

In anderen Worten: Sei in spätestens dreißig Minuten da.

Freue mich schon darauf, die neuesten Neuigkeiten zu hören.

»Das bezweifle ich.« Seufzend lasse ich mich auf den Fahrersitz fallen und knalle die Tür zu. Finja zuckt heftig zusammen. »Tut mir leid, meine Süße.« Ich streichele sie beruhigend hinter den Ohren. »Du magst keine lauten Geräusche, ich weiß. Aber schau, jetzt ist es wieder ruhig. Und nächstes Mal pass ich besser auf, versprochen.«

Sie streckt sich meiner Hand entgegen. In ihren dunklen Knopfaugen schimmert ein Vertrauen, das sich falsch anfühlt.

Du solltest jetzt bei ihr sein. Und ich bin schuld, dass du es nicht bist. Dass du sie nie wiedersiehst.

Mit mulmigem Gefühl im Bauch schiebe ich sanft ihren Kopf zur Seite. »Wir müssen los. Sonst kriegen wir beide noch richtig Ärger.«

Der Motor des Wagens springt beim zweiten Versuch an und wir rollen langsam vom Hof.