California Drive - Verreisen ohne Plan - Sandra Schipper - E-Book

California Drive - Verreisen ohne Plan E-Book

Sandra Schipper

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Beschreibung

Unterhaltsamer Roadtrip-Roman quer durch Kalifornien auf der Suche nach dem betrügerischen Ex. Für alle LeserInnen von Anna Bell und Mhairi McFarlane »›Ach, das war die ganze Nachricht? Wäre eine WhatsApp nicht günstiger gewesen? Oder ein Anruf?‹ Der Anwalt drehte sich zu Louise. ›Miss Moore, ich soll Ihnen ausrichten, Mister Archibald Wyndham der Dritte verlangt mit Ihnen zu reden.‹« Auf den ersten Blick hat die Journalistin Louise ihr Leben voll im Griff. Sie wohnt mit ihrem wohlhabenden Freund Rick in einem Londoner Penthouse inklusive Haushälter und schreibt für ein renommiertes Magazin gefeierte Reportagen. Doch die Vergangenheit holt Louise ein. Frank, ihr Ex, der sie damals ohne Vorwarnung aber dafür mit einem Haufen Schulden sitzen ließ, wird in Los Angeles gesichtet. Nach einem Streit mit Rick macht sie sich Hals über Kopf auf den Weg in die USA. Sie ist festentschlossen, Frank zur Rede zu stellen. Das Chaos ist perfekt, als sich Rick dazu entschließt, ihr nachzureisen. »Was für eine Geschichte! Perfekte Unterhaltung. Lest die Geschichte selbst, es lohnt sich! Eine Geschichte, die einfach Spaß macht. « ((Leserstimme auf Netgalley))»Insgesamt wirklich eine sehr gelungene Roadtrip-Geschichte mit extra viel Humor, schrulligen Szenen u. Schnitzeljagd-Feeling! Das ausgewählte Setting in Kalifornien ist absolut klasse, verströmt Urlaubs-Feeling u. Sunshine-Vibes!« ((Leserstimme auf Netgalley))»Ich habe schon beim ersten Buch Tränen gelacht und auch der zweite Teil sorgt für jede Menge Spaß beim Lesen.« ((Leserstimme auf Netgalley))

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© Piper Verlag GmbH, München 2022

Redaktion: Birgit Förster

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Alexa Kim "A&K Buchcover"

Covermotiv: depositphotos.com (orfeev; TopVectors); PNGTree

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

1

2

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4

5

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7

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9

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Epilog

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

1

Ein lautes, unangenehmes Schrillen bohrte sich tief in Louises Gehörgang. Verwirrt sah sie sich um. Es passte nicht zu der Umgebung, in der sie sich befand. Neben ihr donnerte der Ozean die schaumigen Wellen an den weißgelbsandigen Küstenstrand. Ihr Blick schweifte über den Horizont und blieb an dem oberkörperfreien Mann mit dem Lächeln hängen, das sie dahinschmelzen ließ.

Wieder schrillte es um sie herum auf. Laut. Kreischend.

»Was ist das?« Fragend wandte sie sich an den lächelnden Traummann.

»Was ist was?« Seine Worte waren warm und angenehm, wie heiße Milch mit Honig an einem eiskalten Wintertag.

Louise drückte sich das Ohr zu, doch der grelle Ton verschwand nicht. Im Gegenteil, er wurde lauter und aggressiver.

»Dieses Geräusch«, fuhr sie fort, »was ist das für ein schreckliches Geräusch?«

Er sagte nichts. Er lächelte.

Louise runzelte die Stirn. Langsam kroch in ihr die Erkenntnis hoch, dass etwas um sie herum nicht stimmte. Das Lächeln des heißen Typen vor ihr veränderte sich nicht. Sie hatte es für sexy und charmant gehalten, doch je länger sie hinsah, desto mehr erschien es ihr stupide und nichtssagend.

In ihrer Hand hielt sie den Cocktail fest umklammert, doch bei genauerem Hinsehen bemerkte sie, dass das kein Glas war, sondern ein Plüschkoala.

Erschrocken hob sie den Kopf.

Mit jedem lauten Kreischen verschwamm er vor ihren Augen. Sie streckte die Arme aus, wollte ihn festhalten, doch nichts half. Kurz bevor er sich komplett in Luft auflöste, wachte Louise auf.

Sie knurrte und schlug mit der Handfläche auf den tellergroßen Radiowecker, der immer noch unerbittlich nach Aufmerksamkeit schrie.

Die Stille, die eintrat, füllte den gesamten Raum aus. Louise hatte Mühe, nicht wieder gleich einzuschlummern. Sie fühlte neben sich, ob Frank schlief, doch er war nicht da. Seine Seite war kalt, er hatte das gemeinsame Bett schon verlassen.

Louise schmollte.

»Hättest mir wenigstens einen Kaffee ans Bett stellen können«, brummelte sie und schlug die Bettdecke auf. Peanut, ihre Katze, die sich auf dem Oberbett gemütlich lang hingelegt hatte, fauchte genervt.

»Ja, ich will auch nicht raus, aber was soll ich machen?« Gähnend kraulte Louise das Köpfchen des Tieres, das genüsslich schnurrte. Doch es nutzte ja alles nichts, sie musste aufstehen. Die Arbeit in der Redaktion wartete auf sie. Bei dem Gedanken daran, dass sie den ganzen Tag im Internet nach merkwürdigen Star-Gerüchten Ausschau halten würde, rollte sie mit den Augen.

Sie schob die Katze zur Seite, die missmutig fauchte, und schwang ihre langen Beine aus dem Bett.

Lustlos schlurfte sie ins Badezimmer und scheuchte dabei Butter, ihre andere Katze, auf, die verschreckt in die Küche flüchtete.

»Entschuldigung, Schatz«, murmelte sie und kratzte sich gähnend hinterm Ohr. Sie betrat das stockdunkle Bad. Mit der Hand tastete sie an der Wand nach dem Lichtschalter.

Das Licht flackerte mehrfach schwerfällig auf. Einmal. Pause. Zweimal. Pause. Dreimal. Viermal. Bis es endgültig den kleinen Raum in einen kalten, weißen Schein tauchte.

Argwöhnisch ließ Louise den Blick durch das Zimmer schweifen. Da waren die Handtücher über dem Heizgitter, das sie im Winter so gerne anmachte. Sie mochte es, wenn sie aus der Dusche stieg, den nassen Körper, der sich rasch abkühlte, in das warme, flauschige Frottee zu wickeln. Sie entdeckte die Zahnbürste im Glas vor dem mit Zahnpastaflecken besprenkelten Spiegel. Wie Frank das schaffte, würde für immer ein Rätsel für sie bleiben. Warum er zu faul war, die Flecken hinterher wegzumachen, ein noch viel Größeres.

Franks Seite des Badezimmerschränkchens stand einen Spalt offen. Seufzend schloss sie das Türchen und griff zur Zahnbürste.

Das merkwürdige Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte, wurde sie nicht los.

Eine Dusche später fühlte sie sich wacher und frischer. Sie zog ihre Lieblingsjeans aus dem Schrank. Obwohl sie eigentlich in einer WG im Zentrum wohnte, hatte sie sich in den letzten Monaten immer mehr hier ausgebreitet. Frank hatte nichts dagegen, und falls doch, konnte er es prima verbergen.

Seine Seite war akkurat aufgeräumt, stellte sie fest, während sie in den hellen Zopfmusterpullover schlüpfte. Das war etwas, was äußerst selten vorkam. Normalerweise türmten sich seine getragenen Pullover und Hemden auf dem Stuhl in der Ecke.

Sie schaute hoch über die Tür auf das große digitale Display. Die Zeit verriet ihr, dass sie gnadenlos zu spät dran war.

»Verdammt!«

Wenn sie den Zug ins Zentrum rechtzeitig erreichen wollte, musste sie sich jetzt sputen.

Louise schnappte sich ihre Tasche und hastete aus der Wohnung. Es fehlte nicht viel und sie wäre im Flur mit einer der Nachbarinnen zusammengestoßen. Den Namen der Frau kannte sie nicht.

»Guten Morgen«, sagte sie freundlich lächelnd, doch sie erntete nur ein abfälliges Schnaufen und ein Husten, das wie »Schlampe« klang.

Louise achtete nicht weiter auf die Unhöflichkeit und eilte auf die Straße. Der Wind war kühl und schneidend. Fröstelnd zog sie die Jacke fester um ihren Körper. Keine Frage, der Winter war auf dem Vormarsch.

Laut machte sich ihr Magen bemerkbar. Louise warf einen Blick auf die Uhr. Beim Bäcker eben eine Kleinigkeit zu holen, war zeitlich möglich.

Bevor sie den Laden betrat, zückte sie ihre Kreditkarte.

»Zwei Scones, bitte«, wünschte sie sich von der Verkäuferin und hielt ihr die Karte hin.

Die Frau nahm sie und steckte sie in das Gerät.

Ein schriller Ton wies darauf hin, dass etwas nicht stimmte.

»Die Karte funktioniert nicht«, erklärte die Verkäuferin mit gelangweilter Miene.

Das Blut schoss Louise ins Gesicht.

»Ähm, da ist aber genug Geld drauf«, versicherte sie, »bitte versuchen Sie es noch einmal.«

Ein weiteres Mal steckte die Frau hinter dem Tresen die Karte in das EC-Gerät.

Wieder piepte es unangenehm in Louises Ohren.

»Die Karte funktioniert nicht.« Sie hielt ihr das Stückchen buntes Plastik vor die Nase. »Haben Sie eine andere? Oder Bargeld?«

»Ich habe nichts klein«, Louise schüttelte den Kopf, »versuchen Sie es bitte noch mal?«

»Die Karte funktioniert nicht«, wiederholte die Verkäuferin ungeduldig.

»Aber …«

»Hören Sie, meine Liebe, die Karte. Funktioniert nicht.«

Louise steckte die Karte ein und schluckte, als sie bemerkte, wie alle in der Reihe sie unverhohlen anstarrten.

»Da ist Geld auf dem Konto, ganz bestimmt«, murmelte sie und huschte mit gesenktem Kopf zur Tür hinaus.

Ohne sich umzudrehen, eilte sie weiter zum Bahnhof.

Die Tube in Richtung Elephant & Castle war brechend voll, wie immer um diese Uhrzeit. Alle waren in ihre Zeitungen, Bücher und Smartphones vertieft. Niemand schaute den anderen an.

Louise liebte diese Anonymität in der Bahn. Sie schloss die Augen. Von ihrem Magen aus hatte eine Armee kleiner Ameisen den Weg hoch in ihren Brustkorb erklommen.

Da war es wieder, das Gefühl, dass sie seit dem Aufstehen heute Morgen begleitete. Etwas stimmte nicht. »Alles ist in Ordnung«, versuchte sie sich zu beruhigen und klopfte leicht auf den Brustknochen.

Quälend langsam verging die Fahrt. Nie zuvor war ihr aufgefallen, wie lang sich acht Stationen hinziehen konnten.

Kurz bevor sie ausstieg, zückte sie ihr Telefon und schrieb Frank eine Nachricht.

Guten Morgen, wohin bist du denn so früh schon verschwunden? Ruf mich an! I <3 U! /L.

Eine Weile schaute sie auf die Nachricht. Dass nur ein gräulicher Haken erschien, störte sie nicht weiter. Der Empfang hier unten war grauenhaft, da konnte selbst der neue Bürgermeister nichts gegen ausrichten.

Fast verpasste sie dadurch den Ausstieg, und sie sprang durch die sich eben schließenden Türen. Ein Passant, den sie mit dieser Einlage anrempelte, schüttelte nur abschätzig den Kopf.

Ein leises »’tschuldigung!« murmelnd, schob sie sich die Rolltreppen hoch bis zum Ausgang.

Auf der letzten Stufe kribbelte es in ihrer Gesäßtasche. Sie fischte das Telefon heraus und blieb stehen, sodass der Mann im Anzug direkt hinter ihr auflief.

»Passen Sie doch auf, junge Frau!«

Sie achtete nicht auf ihn.

»Hallo?«, meldete sie sich. Es gab wenig im Leben, das sie mehr hasste, als von Leuten angerufen zu werden, deren Nummer sie nicht zuordnen konnte.

»Guten Morgen, spreche ich mit Frau Louise Moore?«

Argwöhnisch hob sie eine Augenbraue.

»Womöglich. Wer möchte das wissen und vor allem, wieso?«

»Oh, verzeihen Sie.« Der Mann am anderen Ende der Leitung lachte steif. »Hier ist Jeffrey Stevenson von der Royal British Bank. Es geht um Ihr Konto, Miss Moore.«

»Oh«, Louise atmete erleichtert auf. »Gut, dass Sie sich melden. Ja, mit meiner Karte stimmt etwas nicht. Ich denke, sie ist kaputt.«

»Miss Moore«, unterbrach der Bankmitarbeiter sie in einem Tonfall, der Louise an ihre Mutter erinnerte, wenn sie als Kind heimlich vom Kuchenteig genascht hatte. Ärger lag in der Luft. »Wir haben Ihr Konto sperren müssen.«

Sie lachte verwirrt auf.

»Was? Ich verstehe nicht. Ist etwas passiert?«

»Miss Moore, Ihr Konto weist ein Minus von einhunderttausend Pfund auf.«

Louises Schädel dröhnte. Sie fühlte sich, als wäre sie vor eine unsichtbare Laterne gelaufen. Nach Luft japsend lehnte sie sich an die Wand.

»Wie bitte? Das kann nicht sein. Sind Sie sicher?«

»Miss Moore, der Fehler liegt leider nicht ausschließlich bei uns. Durch ein Computerproblem war es möglich, dass Sie Ihr Konto so weit überziehen konnten. Im Normalfall wäre es gesperrt worden, und wir hätten die Summe mit Ihnen vorher abgeklärt. Das ginge sonst nur, wenn Sie bei uns zusätzliche Sparkonten und Finanzeinlagen hätten.«

»Aber ich habe doch ein Sparkonto. Das von meiner Großmutter.«

»Moment bitte«, sie hörte, wie er auf einer Tastatur tippte. »Ah ja, da sehe ich es. Sie hatten ein Sparbuch mit fünfundzwanzigtausend Pfund bei uns bis zum …«, wieder tippte er, »… ah ja, genau, bis zum Mai dieses Jahres.«

»Was soll das heißen, ich hatte ein Sparbuch bis zum Mai? Ich habe ein Sparbuch. Punkt!«

»Miss Moore, Sie haben sich das Geld in vollem Umfang auszahlen lassen. Sogar in bar. Hier steht es doch. Am 29. Mai.«

Etwas an der Art, wie er ihren Namen aussprach, mischte Aggressionen in ihren Unglauben.

»Nein, das habe ich nicht!«

»Doch, ganz bestimmt.« Ein weiteres Mal hörte sie seine Finger über die Tastatur fliegen. »Oh, einen Augenblick, Miss Moore. Ich sehe gerade, dass Sie nur die Vollmacht ausgestellt haben. Abgeholt wurde die Summe von einem Mister Frank Thomsen.«

Scharf zog Louise die Luft ein. Vor ihren Augen drehte sich die gesamte Halle.

»Das kann nicht sein«, presste sie hervor, »das glaube ich nicht.«

»Miss Moore, wir müssen darüber sprechen, wie Sie das Konto ausgleichen möchten. Ich kann Ihnen einen Umschuldungsplan erstellen.«

»Ja, danke. Auf Wiederhören.«

Louise legte auf. Einhunderttausend Pfund. Sie konnte es nicht fassen. Einhunderttausend Pfund!

Sie krallte ihre Hand so fest um das Telefon, dass sie fast einen Krampf bekam. Entschlossen öffnete sie die Textnachrichten. Hinter der letzten Nachricht an Frank war immer noch nur ein einzelner, kleiner, grauer Haken.

Aber er konnte ihr bestimmt alles erklären. Oder sie würde aufwachen, weil das Ganze nur ein blöder Albtraum war.

»Entschuldigen Sie mal, Miss, haben Sie ein bisschen Kleingeld für mich übrig?« Ein Obdachloser mit drei dreckigen Plastiktüten in den Händen lächelte sie zahnlos an.

»Ich glaube nicht«, murmelte sie, und er zuckte teilnahmslos mit den Schultern.

»Kein Problem, Süße. Machst du mal kurz Platz? Ich muss pinkeln!«

Sie nickte erschrocken und sprang an die Seite, während er seine Hose öffnete und wenig später ein Rinnsal die geflieste Wand entlanglief.

Angewidert schüttelte sie sich.

Nein, definitiv steckte sie nicht in einem Albtraum fest, denn sonst wäre sie spätestens jetzt aufgewacht.

Sie griff zum Telefon und wählte Franks Nummer.

»Die von Ihnen gewählte Rufnummer ist nicht vergeben.« Verdutzt kontrollierte sie Ziffer für Ziffer. Nein, sie hatte sich nicht verwählt. Das war Franks Telefonnummer.

Das Gefühl von heute früh kroch zurück in ihre Magengegend. Nur dass es stärker war als zuvor. Mit jedem Schritt verwandelte sich der harte Asphalt unter ihren Füßen in wackligen Pudding.

Sie konnte so nicht zur Arbeit gehen, sie musste erst nach Hause.

Wie in Trance hastete sie die Rolltreppe hinunter. Sie musste sich konzentrieren, dass sie nicht ins Straucheln geriet und wie eine Lawine hundert Meter nach unten fiel.

Der Zug fuhr ein, und sie blieb an der Tür stehen. Den ganzen Weg starrte sie aus dem Fenster und sah die Betonwände der schnellen Tube vorbeirasen. Und ihre Reflexion in der Scheibe, die sie auslachte.

Louise biss sich auf die Unterlippe. Konnte es schlimmer kommen? Gab es eine Erklärung für alles? Konnte es womöglich sein, dass Frank sie die ganze Zeit über nur komplett verarscht hatte?

An der Endhaltestelle sprang sie aus dem Zug und eilte los. Sie lief nach Hause oder, besser gesagt, zu Franks Wohnung. War es ihr Zuhause? Sie rannte, bis ihre Lungen schmerzten, was schnell der Fall war, denn sie war nicht sonderlich trainiert.

Der Wohnungsschlüssel passte, wie sie erleichtert feststellte. »Immerhin etwas«, brummte sie und betrat die Wohnung. Alles sah aus, wie sie es am Morgen verlassen hatte.

Die beiden Katzen lugten um die Ecke und miauten, offenbar irritiert darüber, dass ihr Frauchen schon so früh wieder zurück war.

Sie sah sich um. Das Gefühl von »Hier stimmt was nicht!« breitete sich in ihr aus, doch Louise konnte es nicht greifen. Sie sah sich um.

Überall lagen ihre Sachen.

Ihre Jacke hing an der Garderobe. Die Ausgabe von Women’s Comfort, in der ihr Artikel über Horoskope stand, lag auf dem Küchentisch.

Auf dem Sofa befand sich die bunte Kuscheldecke, die Louise auf dem Flohmarkt gekauft hatte und über die sich Frank immer lustig machte.

Die Erkenntnis ließ sie aufstöhnen.

Es waren nicht die Gegenstände, die sie sah, sondern die, die sie nicht sah, die die Antwort auf alle Fragen gaben.

Die Farbe fiel ihr aus dem Gesicht, und vor ihren Augen tanzten schwarze Punkte. Nein, sie wollte sich jetzt nicht ausruhen. Sie wollte der Sache auf den Grund gehen.

Kurz schloss sie die Augen und atmete zwei Mal konzentriert ein und wieder aus. Dann lief sie ins Schlafzimmer.

Sie riss die Schranktür von Franks Seite auf und blieb wie vom Donner gerührt stehen.

An der Kleiderstange baumelten ein paar vereinzelte Bügel. Seine Hosen, seine Sweatshirts, alle Hemden waren nicht mehr da.

Sie polterte ins Badezimmer. Jegliche Sachen, die darauf schließen ließen, dass ein Mann hier mit ihr gewohnt hatte, waren verschwunden. Sogar die Zahnbürste war weg.

Als hätte er hier nie existiert. Frank war wie vom Erdboden verschluckt.

Und so war ihr Geld.

2

Drei Jahre später

»Was für ein irrer Erfolg«, begeistert klopfte Abigail Bradley auf die gläserne Platte ihres Schreibtischs und studierte die Zahlen auf dem Laptop. »Innerhalb der ersten Stunde wurde der Artikel bereits über 250000-mal von unserer gewünschten Zielgruppe angeklickt. Dazu die Interaktionsrate in den sozialen Medien. Hier, schauen Sie, Louise.«

Schwungvoll drehte die Redakteurin den schmalen Computer herum, damit Louise den Bildschirm sehen konnte. »Die User kommentieren, liken und teilen Ihren Artikel. Ihren! Auf unserer Seite ist es der am häufigsten angeklickte Beitrag in dieser Woche. Ist das nicht der Wahnsinn?«

»Wow, das ist ja großartig«, stieß Louise aus und bemühte sich darum, möglichst professionell zu lächeln, während sie auf das schier endlose Meer von Zahlen und Graphen starrte. Sie hatte keine Ahnung, was sie sich da ansah, nickte aber aufmerksam. Ihre Auftraggeberin vom Nachrichtenmagazin News of Tomorrow war angetan, darauf kam es an.

»Nicht wahr? Nicht wahr?« Abigail bejahte enthusiastisch, und die gelockten Haarsträhnen wippten im Takt mit. In jedem Fall die, die das Haarspray am Morgen im Badezimmer übersehen hatte. »Und Reuters, die dpa und AIM haben die Nachricht sofort übernommen.«

»AIM?«

»Die mosambikanische Nachrichtenagentur.«

Louise runzelte die Stirn.

»Was interessiert es denn die Menschen in Mosambik, dass in Luton eine Fabrik altes Fleisch umetikettiert?«

Abigail riss die Schultern hoch.

»Ich habe absolut keine Ahnung«, gab sie überschwänglich zu, »aber ist das nicht toll? Und eine Reihe von Unterlassungsklagen sind auch schon bei uns eingegangen.«

Louise wurde blass und schluckte.

»Wie bitte, was? Unterlassungsklagen?« Sie räusperte sich, um das Kratzen ihrer Stimme loszuwerden.

Abigail sah sie verwundert an und lachte laut auf.

»Ist Ihnen das etwa noch nie passiert, dass Sie verklagt wurden?«

Louise schüttelte den Kopf.

»Nein, um ehrlich zu sein, hatte ich diesen Fall bisher nie. Was mache ich denn jetzt? Brauche ich einen Anwalt?«

»Ach, papperlapapp«, winkte die Redakteurin schulterzuckend ab, »wir haben eine Rechtsabteilung, die sich um solche Fälle kümmert. Wofür werden die sonst so gut bezahlt? Wir lassen doch unsere Reporter nicht im Regen stehen. Außerdem ist das nur ein Zeichen dafür, dass Sie einen wunden Punkt getroffen haben, Louise.«

»Okay? Also hat das für mich keine Konsequenzen? Immerhin bin ich nur freiberuflich für News of Tomorrow tätig.«

Abigail seufzte und zupfte am Bündchen ihres Blusenärmels.

»Wissen Sie, Louise, lustig, dass Sie das erwähnen. Von so einer Reichweite können andere Journalisten nur träumen. Werden Sie mal ein wenig locker, Louise. Sie haben ein großes Talent, um den Geschichten so richtig auf den Grund zu gehen. Jede Redaktion in London und sonst wo würde sich die Finger abhacken, um mit Ihnen arbeiten zu dürfen. Ich habe mich deshalb mit meinen Vorgesetzten unterhalten, und wir möchten Sie gerne fest in unserem Team wissen.«

Louise lächelte. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie die Finger die ganze Zeit über in die Stuhllehne gekrallt hatte. Langsam löste sie die Muskeln.

»Fest?«

»Ja, wir bieten Ihnen einen Vollzeitvertrag in unserem Newsroom an. Über das Gehalt werden wir uns schon einig. Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen verraten, dass die Verleger hier äußerst großzügig sind, wenn sie von der Arbeitsqualität eines Journalisten überzeugt sind. Und das sind sie von Ihnen, Louise!«

»Das ist nett, Abigail …«

»Bitte, nennen Sie mich doch Abby.«

Louise räusperte sich.

»In Ordnung. Vielen Dank für das Kompliment. Abby. Aber ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.«

»Keine Ursache! Nehmen Sie sich Zeit, um über unser Angebot nachzudenken.« Sie schlug die Beine übereinander und legte den Kopf schief. »Aber es wundert mich schon ein wenig«, sagte sie grinsend und taxierte Louise mit den Augen.

»Was genau?«

»Nun, dass Sie noch nie mit Unterlassungsklagen zu tun hatten. Immerhin habe ich Ihrem Lebenslauf entnommen, dass Sie bei Women’s Comfort gearbeitet haben. Dem Magazin mit der, prozentual zur Auflage gesehen, wohl höchsten Fake-News-Rate im Land.«

Louise biss sich auf die Unterlippe.

Women’s Comfort war der Teil ihrer Karriere, den sie gerne aus ihrem Lebenslauf gestrichen hätte. Das unbedeutende Klatschmagazin mit der egozentrischen Chefredakteurin Karen Bolder war Louises Meinung nach von journalistischen Standards so weit entfernt wie der Atheismus vom Vatikan. Die wiederum war des Öfteren verklagt worden. Vor allem von den Menschen, deren Schicksale sie sich mit bunten Bildern und übergroßen Headlines ausgedacht hatte.

»Stimmt, aber das liegt daran, dass ich meistens nur Horoskope geschrieben oder imaginäre Leserbriefe beantwortet habe. Da war nicht so viel Zündstoff, dass mich jemand auf Unterlassung hätte verklagen können. Es sei denn, ein Widder hätte einen verregneten Tag erwischt, und ich hätte Sonnenschein versprochen.«

Abby warf laut lachend den Kopf in den Nacken.

»Oje, haben wir nicht alle mal merkwürdige Jobs gehabt, bevor wir hier gelandet sind? Ich habe zum Beispiel mit einem lächerlichen Arbeitsoutfit in einem Schnellrestaurant gearbeitet und musste auf Zuruf ein Lied singen und tanzen.« Sie schüttelte sich bei der Erinnerung.

»Glauben Sie mir, ich hätte lieber das getan.«

»Diese Zeiten sind ja nun Gott sei Dank vorbei.« Die Redakteurin zwinkerte ihr wissend zu und griff zu einem Schnellhefter. »Ich habe einen neuen Auftrag und direkt an Sie gedacht. Etwas sagt mir, dass Sie genau die richtige Reporterin für diese Aufgabe sein werden.«

Louise nahm den roten Hefter und blätterte die ersten Seiten durch.

»Sie meinen, dass in der Londoner Bankenszene etwas faul sein könnte?«

Abigail schnalzte mit der Zunge.

»Auf jeden Fall benehmen sich die Protagonisten in dieser Geschichte ziemlich seltsam. Ich würde der Sache gerne auf den Grund gehen, denn falls etwas dran sein sollte, dann wäre das ein mächtiger Skandal mit reichlich veruntreuten Altersrücklagen.«

Louise überflog die Seiten. Sie klappte den Hefter zu.

»Warum schreiben Sie den Artikel nicht?«

»Ich habe mit den Recherchen angefangen, aber mir fehlt es leider an der Zeit, mich tiefer einzuarbeiten. Das ist Aufgabe eines Reporters und nicht einer Chefredakteurin.« Sie grinste. »Meine Chefs sehen es nicht so gerne, wenn ich hier meine Position vernachlässige, um einer Geschichte nachzujagen.«

»Verstehe«, sagte Louise. »Mit großer Macht kommt große Verantwortung.«

Das Lächeln auf Abigails Gesicht wurde breiter und strahlte mit ihren freundlichen, wachen Augen um die Wette.

»Ich weiß schon, warum ich Sie mag, Louise. Wenige Leute kommentieren so gekonnt mit der passenden Star-Wars-Referenz …«

»Spider-Man«, unterbrach Louise die Redakteurin.

»Wie bitte?«

»Das Zitat ist aus Spider-Man. Nicht Star Wars.«

»Ist das nicht ein und dasselbe?«

Louise biss sich auf die Lippe.

»Stan Lee würde das wohl anders sehen.«

Abby lachte und drehte sich in ihrem Bürostuhl hin und her.

»Sie sind wirklich lustig, Louise. Wie auch immer. Ich will Sie ja nicht unter Druck setzen, aber überlegen Sie sich, ob Sie das Angebot im Ernst ablehnen wollen.«

Louise sah sich um.

Das Büro war groß und hell. Vor allem war es ordentlich. Genau genommen deutlich zu ordentlich für den Schreibtisch in einer so bedeutenden Redaktion wie News of Tomorrow.

»Bekomme ich denn dann auch so ein schickes Büro?«

Abigail lachte.

»Selbstverständlich. Das teilen Sie sich jedoch mit zwanzig weiteren Kollegen. Aber Sie haben einen eigenen, großen Schreibtisch. Und der ist dann ganz Ihr Reich.«

»Ich lass es mir durch den Kopf gehen.«

Louise verließ das große, moderne Gebäude im Londoner Finanzviertel. Die Sonne hing tief über der Stadt und blendete sie in den Augen. Blinzelnd setzte sie die Sonnenbrille auf, rückte ihren seidenen Schal zurecht und atmete tief die Luft der Straße ein. London war ihr Zuhause. Sie liebte die Hektik der britischen Metropole. Auch wenn sie mit jedem Schritt darauf achten musste, nicht von irgendeinem genervten Passanten über den Haufen gerannt zu werden. Aber alle Orte hatten ihre Vor- und Nachteile.

In der Tasche ihres dunklen Hosenanzugs vibrierte das Smartphone und riss sie aus ihren Gedanken.

Sie blieb stehen und zog es hervor. Ein Blick auf das Display verriet ihr, dass es Martin Bigsby war, seines Zeichens Anwalt und Notar, der sie anrief.

Louise runzelte die Stirn.

»Hallo?«, meldete sie sich fragend.

»Miss Moore? Sind Sie das?«

Ohne es zu merken, schmunzelte sie. Den guten Bigsby hatte sie vor zwei Jahren kennengelernt. Ihr ständig mies gelaunter Nachbar Sir Archie Wyndham hatte das Zeitliche gesegnet. Martin Bigsby war mit der Abwicklung des Testaments beauftragt worden. Der alte Mann hatte nicht nur eine Menge schlechter Laune, sondern mindestens ein ebenso reichhaltiges Erbe an seinen Sohn Rick zu verteilen. Doch so leicht war das alles nicht, denn Rick musste mit Louise zusammen auf eine große Reise gehen, damit er das Geld ausbezahlt bekam.

»Ja, Mr Bigsby, ich bin es. Wie schön, von Ihnen zu hören. Wie geht es Ihnen?«

»Gut, gut. Und Ihnen und Mr Wyndham auch, hoffe ich?«

»Danke, wir können nicht klagen.«

»Äh, ja, schön, sehr schön.« Im Hintergrund hörte sie Papier rascheln. Sie erinnerte sich an sein Büro mit dem überquellenden Schreibtisch. Das komplette Gegenteil von Abigails aufgeräumtem, hellem Glasraum, den sie soeben verlassen hatte. »Weshalb ich anrufe, Miss Moore, Sie erinnern sich doch noch an Frank Thomsen?«

Übergangslos blieb sie stehen, sodass der Junge, der hinter ihr mit seinem Handy spielte, auf die große Frau auflief. Ohne aufzusehen, murmelte er eine Entschuldigung und trottete weiter. Louise achtete nicht weiter auf ihn. Ihr Magen zog sich zusammen, und das Blut schoss heiß durch ihre Venen.

»Wie könnte ich ihn vergessen«, erwiderte sie tonlos. Schlagartig waren die Bilder wieder da, wie Frank sie mit einem Haufen Schulden sitzen lassen hatte. Archie Wyndham hatte sie in seinem Testament bedacht, sodass sie aus dem Schlamassel rauskam.

»Ja, ja, ich hatte Ihnen ja versprochen, dass ich mich um die Sache kümmern werde. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Der Kerl versteht es, seine Spuren zu verwischen.«

Louise verdrehte die Augen und seufzte.

»Ich weiß, das habe ich Ihnen ja damals gesagt. Erstaunlich, eigentlich. So clever wirkt der gar nicht, wenn er vor einem steht.«

»Gut, wie auch immer. Aber jetzt habe ich von einem Informanten den Hinweis bekommen, wo er sich aufhält. In Kalifornien.«

Louise schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr, doch der Wind wehte sie ihr direkt wieder ins Gesicht, sodass sie am Lipgloss kleben blieb. Genervt zupfte sie mit der freien Hand die Haare von der Lippe.

»In Kalifornien?«, spuckte sie aus. »Wie kommt er denn dahin?«

»Nun, vielleicht mit dem Flugzeug, nehme ich an.«

»Vielen Dank, Mr Bigsby. Ich meinte, was genau macht er denn da?«

»Ach so, das kann ich Ihnen auch nicht sagen, Miss Moore. Aber da ist noch etwas.«

»Was denn genau?«

»Na ja, das Problem ist, dass der Richter das Verfahren einstellen will, weil es von Frank so lang kein Lebenszeichen gab. Wenn wir ihn vor Gericht stellen wollen, dann muss es innerhalb der nächsten zehn Tage geschehen.«

»Oh.«

Wieder raschelte Bigsby mit Papier.

»Ja, aber mit Ihrer Erlaubnis können wir ihn zurückbringen. Ich habe Kontakt zu einem Kopfgeldjäger, ein ehemaliger Polizist, der würde sich der Sache annehmen. Wenn Sie denn möchten, Miss Moore.«

»Ich muss sagen, dass es wirklich gut klingt in meinen Ohren. Sein dummes Gesicht zu sehen, wenn er verurteilt würde, wäre schon ein Foto wert.«

»Soll ich alles veranlassen, dass er überführt wird?«

Louise atmete tief durch. Seit Jahren hatte sie darauf gewartet, dass Frank endlich seine gerechte Strafe bekäme, aber jetzt, wo sie wusste, wo er war, fühlte es sich nicht so gut an, wie sie immer gedacht hatte. Im Gegenteil, in ihr trat nicht die geringste Emotion zutage. Die Schulden hatte sie an Kenny, den Skorpion abbezahlt, mit dem Geld, das Archie ihr vererbt hatte, und seither hatte sie von dem Furcht einflößenden Geldeintreiber nichts mehr gehört. Sie hatte mit dem Thema abgeschlossen. Ein für alle Mal.

»Miss Moore? Sind Sie noch dran?«

Ein Pochen in der Leitung verriet ihr, dass der Rechtsanwalt mit den Fingernägeln gegen das Mikrofon klopfte.

»Nein.«

»Nein, Sie sind nicht mehr dran?«

»Nein, ich meine, ja, ich bin noch dran. Nein, ich möchte nicht, dass Sie der Sache weiter nachgehen. Ich habe ein neues Leben, und Frank hat darin keinen Platz mehr. Er ist jetzt das Problem von anderen Leuten. Oder sein eigenes.«

»Mhm.«

»Sie sind damit nicht einverstanden, Mr Bigsby?«

»Doch, doch. Es ist ganz allein Ihre persönliche Entscheidung. Wenn Sie nicht wünschen, dass wir weiter agieren, dann werden wir das auch nicht machen. Aber wenn ich trotzdem etwas anmerken darf, Miss Moore?«

»Klar, warum nicht?«

»Meinen Sie nicht, dass Sie das falsche Signal aussenden, wenn Sie ihn davonkommen lassen? Womöglich hat er sich neue Opfer gesucht, die ähnlich wie Sie denken, und wenn niemand ihm Einhalt gebietet, dann wird er immer so weitermachen.«

»Was wollen Sie mir damit sagen, Mr Bigsby? Dass ich schuld daran bin, dass Frank ein Arsch ist, der Frauen betrügt, nur weil ich meine Ruhe haben will?«

»N-N-Nein, n-n-natürlich nicht.« Immer wenn Bigsby nervös wurde, stotterte er. Wäre Louise nicht so wütend gewesen, hätte er ihr fast leidgetan.

»Das ist Täter-Opfer-Umkehr, Mr Bigsby! Ganz klares Victim Blaming.«

»Miss Moore, ich denke, dass Sie mich missverstanden haben. Ich wollte nicht Ihnen die Schuld an seinem Fehlverhalten geben. Ich wollte Ihnen lediglich meine Hilfe anbieten. Meine Kontakte in den Vereinigten Staaten sind sehr verlässlich. Sie müssten sich um nichts kümmern und keine Energie verschwenden. Aber ich verstehe, wenn Sie sagen, dass Frank nicht länger Ihr Leben bestimmen soll. Ich respektiere das und werde es auf sich beruhen lassen. Es sei denn, Sie überlegen es sich noch.«

»Vielen Dank, Mr Bigsby.« Hörbar atmete Louise aus. »Dies ist ein Kapitel in meinem Leben, das ich abschließen kann.«

3

Das Penthouse im Canary Wharf war leer, als Louise nach Hause kam. Hier war sie vor einem Jahr eingezogen, nachdem ihr kleines Apartment Opfer eines Wasserrohrbruchs geworden war. Rick hatte sie angefleht, zu ihm zu ziehen. Es war seine Wohnung, und bis heute kam Louise damit nicht zurecht. Ständig vergaß sie den Alarmcode, was das ein oder andere Mal zu Diskussionen mit dem Sicherheitsdienst geführt hatte. Dann der ganze Marmor und die weißen Polster. Es würde ihr immer ein Rätsel bleiben, warum reiche Menschen so auf farblose Möbel standen. Die waren ungemütlich, und im Wohnzimmer zu essen, war im Übrigen auch nicht drin. Hinzu kam das ständige Gefühl der Abhängigkeit. Sie hatte nie von einem Mann finanziell abhängig sein wollen, doch jetzt war dies der Fall. Schon ihre Mutter hatte ihr früh beigebracht, dass das wichtigste Ziel im Leben einer Frau die Unabhängigkeit von einem Mann sein sollte.

Klar, ihre Mutter war schließlich auch von ihrem Ehemann mit einem kleinen Kind sitzen gelassen worden. Vielleicht nicht die beste Ausgangssituation, um der eigenen Tochter Beziehungstipps zu geben.

Inzwischen hatte sie sich mehr oder minder an die Umgebung gewöhnt, aber richtig angekommen war sie dennoch nicht. Es war kein Heimkommen.

Wenn Rick nicht da war, kam sie sich oft wie ein Gast vor. Was nicht besser wurde durch die Tatsache, dass er einen Haushälter namens Klemens beschäftigte, der Louise ständig beäugte, als würde sie jeden Moment das ganze Silberbesteck in der Handtasche verschwinden lassen.

Wenn sie Rick darauf ansprach, lachte er nur.

»Klemens kommt aus Stuttgart. Er ist Deutscher. Der guckt immer so, das liegt in seiner DNA. Aber er redet nicht viel, weshalb er mir sehr sympathisch ist.«

Das stimmte. Klemens war kein sonderlich gesprächiger Geselle. Was Rick unter Sympathie verbuchte, empfand Louise hingegen als unangenehm. So konnte sie nur raten, was in seinem Kopf vor sich ging, denn er sprach nicht aus, was er von ihr hielt.

Was, nach dem Augenrollen und der dauergerümpften Nase zu urteilen, nicht viel sein konnte.

Aber Klemens war meistens nur vormittags im Penthouse unterwegs, später am Tag turnte er irgendwo andersherum.

»Wo geht er ab 12 Uhr hin?«, hatte Louise einmal von Rick erfahren wollen.

Der hatte nur mit den Schultern gezuckt und sich dann wieder seinem Businessmagazin auf dem Tablet gewidmet.

»Keine Ahnung. Ins Paradies für Hausangestellte. Zur Selbsthilfegruppe. Ins Einkaufszentrum.«

Louise hatte sich umgesehen und die Hände in die Hüften gestemmt.

»Du hast ihn nie gefragt? Echt nicht?«

»Warum sollte ich? Er kann in seiner freien Zeit machen, was er möchte.«

»Also ist er nur Teilzeit bei dir beschäftigt.«

»Nein.«

»Jetzt bin ich verwirrt.«

Seufzend hatte er das Tablet zur Seite gelegt und sie angesehen.

»Wenn er seine Arbeit erledigt hat, dann kann er gehen. Es ist mir egal, ob er dafür drei Stunden, fünfzig Minuten oder den ganzen Tag benötigt. Was soll ich machen? Ihn hier in Ketten legen, bis die gewerkschaftlich festgelegte Arbeitszeit abgelaufen ist?«

»Mh. So progressiv hätte ich dich gar nicht eingeschätzt, Wyndham. Welche Gewerkschaft ist das denn? Die der Butler und Diener?«

Auch jetzt war von Klemens weit und breit keine Spur zu entdecken. Gott sei Dank, dachte Louise bei sich, schlenderte in den großen Salon und warf ihre Tasche auf die weiße Couch.

Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und ließ sich in die Polster fallen. Die Kissen umrandeten ihren Kopf, und für einen Moment lag sie da und starrte an die hohe, weiße Decke. Die mit extradickem Panzerglas versehenen Fenster sorgten dafür, dass der Lärm der Großstadt hier oben nicht ankam. Es war beinahe gespenstisch still. Das Einzige, was sie hörte, war ihr gleichmäßiger Atem.

Der schrille Klingelton ihres Mobiltelefons zerfetzte die Ruhe um sie herum. Louise schreckte hoch und saß kerzengerade auf der Couch. In ihrer Brust pochte das Herz gewaltig gegen die Rippen.

Sie griff nach dem Übeltäter, der immer noch klingelte und penetrant auf der Tischplatte vibrierte.

»Salut, Josephine, du hast fast einen Herzinfarkt bei mir ausgelöst«, begrüßte sie die Anruferin.

»Wieso? Hast du am helllichten Tag etwa geschlafen?«

Louise verdrehte die Augen. Josephine Garde war die jüngere Halbschwester ihres Freundes. Sie beide hatten die Französin erst durch Archies Testament kennengelernt, aber sie waren alle drei in Kontakt geblieben. Zwischen Louise und ihr hatte sich eine Freundschaft entwickelt, und sie hatte der jungen Frau bei der Suche nach einer Stelle in der Londoner Eventmanagementszene geholfen.

»Manchmal klingst du wie dein Bruder.«

Die junge Frau am anderen Ende der Leitung kicherte.

»Na, irgendwas muss sich in den Genen ja weitergetragen haben. Ich habe gute Neuigkeiten. Ich habe ein paar Tage Urlaub bekommen und wollte fragen, ob wir was unternehmen können.«

Louises Miene erhellte sich.

»Echt? Wie schön! Warum kommst du nicht morgen vorbei, und wir trinken einen Kaffee.«

»Das ist eine wunderbare Idee. Und was mache ich die restlichen dreizehn Tage, einundzwanzig Stunden und fünfundfünfzig Minuten?«

»Es tut mir leid, Jo, aber ich habe einen neuen Auftrag und kann nicht weg. Stell dir vor, meine Chefredakteurin hat mir eine Festanstellung angeboten.«

»Wie schön«, maulte Josephine, »aber heißt es nicht immer, ihr Freelancer könnt von überall auf der Welt arbeiten? Wie heißt das doch gleich? Als digitale Nomaden?«

»Ja, klar, aber ich bin keine Influencerin, sondern Journalistin. Da ist ein bisschen was anderes. Aber du kannst doch deine Mutter besuchen.«

»Mon dieu, bitte, Louise! Ich möchte mich für ein paar Wochen erholen und Spaß haben. Und mir nicht anhören, dass ich sie verlassen habe, weil sie mir egal sei und das ganze Geld meinen Charakter verdorben habe.« Lorraine Garde war eifersüchtig auf Rick und Louise, weil sich ihre einzige Tochter so gut mit der neuen Familie verstand.

»So schlimm ist sie nun auch wieder nicht, Jo.«

»Leicht für dich zu sagen, du musst schließlich nicht jeden Abend mit ihr telefonieren«, seufzte sie. »Aber lass uns das Thema wechseln. Was habt ihr zwei Turteltäubchen für heute Abend geplant?«

Louise stutzte.

»Was sollen wir denn geplant haben?«

Jo lachte ungläubig.

»Ernsthaft? Habt ihr heute nicht euren Jahrestag? Ich wette, dass mein Brüderchen sich etwas ganz Besonderes für diesen Tag ausgedacht hat.«

Louise schluckte und fiel in die weichen, weißen Kissen des Sofas. In einer Sekunde sackte ihr das Blut kalt in die Beine, jedoch nur, um sich im nächsten Augenblick wie in einem Vulkan zu erhitzen und zurück in den Kopf zu schießen. Ihre Wangen glühten, und vor ihren Augen drehte sich alles. Sie schlug sich vor die Stirn und stöhnte auf.

»O nein, bitte nicht! Das habe ich ja vollkommen vergessen. Was mache ich denn jetzt?«

Jo lachte immer noch. Der Unglaube war der Schadenfreude gewichen.

»Ach, Louise, du weißt doch, wie die Männer sind. Du musst nichts verschenken. Sei einfach du das Geschenk.«

Louise verdrehte die Augen.

»Wie antifeministisch von dir.«

»Was soll ich sagen? Wer den Jahrestag vergisst, hat keinen Anspruch darauf, sonderlich wählerisch zu sein, meinst du nicht auch?«

Louise hörte nur halb hin. In Gedanken überschlug sie sich mit Last-Minute-Ideen, wie sie den Tag retten konnte.

»Jo, ich muss los.«

»Okay«, seufzte sie, »ich ruf dich morgen an.«

»Prima.«

Louise beendete das Gespräch und sah sich hektisch um. Ihr Blick blieb auf der Kücheninsel haften.

»Perfekt«, jubelte sie und eilte auf den offenen Block im Raum zu. Der Inhalt des Kühlschranks lud nicht unbedingt zu einem Festmahl ein.

»Du könntest mal wieder einkaufen gehen, anstatt dich mittags zu verkrümeln, Klemens«, knurrte sie. Wenigstens die Zutaten für Spaghetti mit Tomatensoße entdeckte sie in den Vorräten.

Die Zeit sollte reichen, um zumindest schnell ein Abendessen zu kochen und den Tisch halbwegs nett zu dekorieren.

 

Drei Stunden später war alles fertig. Louise hatte sich flüchtig die Haare hochgesteckt. Prüfend begutachtete sie sich im Spiegel. Die Haut glänzte, und der Concealer, der ihr von der Drogistin als »Make-up-Sensation des Jahrtausends« verkauft worden war, hatte sich komplett in den schmalen Linien unter ihren Augen abgesetzt. Doch da saß er perfekt, neben den Resten der Mascara, die von den Wimpern abgebröckelt war.

»Prima«, seufzte sie. Die Uhr im Badezimmer starrte sie grimmig an. Die Zeit lief ihr schonungslos davon.