Carl Gustav CARUS - Julia Ludwig - E-Book

Carl Gustav CARUS E-Book

Julia Ludwig

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  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Von Alexander von Humboldt und Goethe verehrt, Naturwissenschaftler, Gynäkologe und Leibarzt des Leipziger Königshauses, befreundet mit Caspar David Friedrich und Ludwig Tieck, gilt der Harvey der Insekten, wie Carus nach Entdeckung des Blutkreislaufs der Insekten genannt wurde, als einer der großen Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts. Wer war der Mann, der sein Leben in den Dienst der Wissenschaft und Medizin stellte, der Schädel vermaß und versuchte Menschen in Rassen aufzuteilen und dessen Gemälde mit denen Caspar David Friedrichs verwechselt wurden? Julia H. Ludwig präsentiert in dieser erstmaligen Biographie wissenschaftlich fundiert ein Universalgenie – dessen Leben, seine Forschung sowie medizinischen und literarischen Arbeiten und erläutert seine zwiespältige Beziehung und Briefkorrespondenz zu Goethe, seine Freundschaft mit Caspar David Friedrich und Ludwig Tieck. Zudem findet sich eine bis dato nicht vorhanden gewesene Liste seiner vielzähligen und abwechslungsreichen Literatur.

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Seitenzahl: 186

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Texte: © Copyright by Julia H. Ludwig

Umschlaggestaltung: © Copyright by Julia H. Ludwig

Technische Umsetzung: Dr. Bernd Floßmann

Erscheinungsjahr: 2020

Erscheinungsort: Berlin, Deutschland

Verlag:

Julia H. Ludwig

c/o SC Brainworx Europe SRL

Str Castelului 116/3, RO-500014 Brasov

[email protected]

Für Juliane Margit Schneeweiß und Reiner Hans Ludwig

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
2. Biographie
2.1 Kindheit und Jugend
2.2 Studium
2.3 Der Familienvater
2.4 Einschnitte und Wendepunkte seines Lebens
2.4.1 Kind der Revolution
2.4.2 Erkrankung an Typhus
2.4.3 Umzug nach Dresden
2.4.4 Im Dienst der sächsischen Königsfamilie
2.4.5 Carus’ finanzieller Hintergrund
2.4.6 Depression – ein psychisches Leiden
3. Interessengebiete
3.1 Literatur
3.1.1 Publikationen von Carus
3.1.2 Der Schreibstil eines Universalgenies
3.2 Kunst
3.3 Lebenskunst
3.4 Psychologie
4. Johann Wolfgang von Goethe – Vorbild, Kollege und Freund?
4.1 Der Briefkontakt
4.2 Gemeinsamkeiten und Unterschiede
4.3 Publikationen von Carus über Goethe
5. Der Mediziner
5.1 Der „Armenarzt“
5.2 Der königliche Leibarzt
5.3 Publikationen
6. Der Naturforscher
6.1 Kontakte zu anderen Forschern
6.2 Das Verständnis für Forschung
6.3 Publikationen
6.4 Lebensmagnetismus und Mesmerismus
6.5 ‚Harvey der Insekten‘ – Der Entdecker
6.6 Cranioskopie
6.7 Carl Gustav Carus ein Rassist?
7. Relikt alter Zeit am Ende seines Lebens
8. Carus heute
8.1 Das Dritte Reich und die Deutsche Demokratische Republik
8.2. Wissenschaft und Medizin
8.3 Kunst
9. Fazit
Anhang
Gesamte Literatur von Carl Gustav Carus
Bibliographie

1. Einleitung

Die Geburt Carl Gustav Carus‘ im Jahre 1789, dem Jahr des Beginns der Französischen Revolution, ist bezeichnend für die Lebenszeit Carus’. Das Ende des 18. und der Beginn des 19. Jahrhunderts, der Zeit der Romantik und des Beginns der Naturwissenschaften waren geprägt von Veränderungen in vielerlei Bereichen.

Die Revolution Frankreichs, der neue Geist der Franzosen, das Gefühl der Freiheit, bezogen auf die Person ebenso wie auf die Phantasie eines jeden Einzelnen übertrug sich auch in das damalige Heilige Römische Reich Deutscher Nation.

Durch die Napoleonischen Kriege entstand der Rheinbund, dem 1806 zunächst 16 süddeutsche Fürsten beitraten und somit den Verbund des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation verließen. Ihm schlossen sich bis 1811 weitere 20 Länder an. Preußen, Sachsen und Russland hingegen verweigerten ab 1806 den Zutritt zum Bund und forderten den Abzug der Franzosen sowie die Auflösung des Rheinbundes, was zum Koalitionskrieg führte. Erst nach einer sechsjährigen Kriegszeit konnte die napoleonische Hegemonialpolitik beendet und der Rheinbund aufgelöst werden.

Unter Napoleon wurde unter anderem 1807 die Bauernfreiheit und die Freiheit der Juden im Gewerbe erreicht. Ebenso erhielt die Verwaltung des Staates eine neue Ordnung. Es wurden rechtsstaatliche Grundlagen geschaffen, die den Wünschen des arbeitenden deutschen Volkes weitestgehend entsprachen.

In der Romantik, die kurz nach Beginn der Französischen Revolution aufblühte, sind solche Punkte, wie die der Freiheit, von elementarster Bedeutung. Für die deutsche Literatur bedeutete dies Freiheit für die Gedanken der Autorin, des Autors. Kritische Haltungen gegenüber anderen Mitmenschen oder dem Staat begannen sich zu entwickeln und die Suche nach dem Vollkommenen in “poetisch-verklärter Form” begann. Abgrenzungen zwischen Gegensätzen, beispielsweise zwischen Natur und Dichtung, Verstand und Gefühl wurden aufgehoben.

Die Literatur Fichtes, Schillers, Schleiermachers, Kleists und weitere Schriftsteller forderten zu einer deutschen Gemeinschaft und freier Meinungsäußerung zur Erreichung dieser Gemeinschaft auf.

Diese sich stark wandelnde und kriegerische Zeit war für das deutsche Volk nicht nur psychisch und physisch sehr belastend: Durch die Kontinentalsperre Napoleons gegenüber England, welches sich in der Industrialisierung fortgeschrittener als Deutschland zeigte, war das europäische Festland gezwungen, sich ebenfalls industriell zu entwickeln und maschinell zu arbeiten, um den Lebensstandard auch ohne England halten zu können.

Doch nicht nur im technischen Bereich, sondern auch in der Biologie wurde vermehrt geforscht. Auslöser hierfür war die Entdeckung Amerikas 1492 und die im Zuge dessen entstehende Erforschung unbekannter Flora und Fauna sowie deren Kultur, schließlich auch derer Afrikas und Australiens.

Durch die Entdeckung neuer Welten geriet das christliche Weltbild in Ungleichgewicht. Stellte sich doch durch die Reisen heraus, dass die Erde nicht nur größer als gedacht, sondern zudem keine Scheibe, wie von den Christen vermutet, ist. Ferner verehrten fremde Kulturen unbekannte Götter, anstatt wie in Europa christlich gesinnt zu sein.

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde versucht, den Aufbau der Natur und den Körper der Lebewesen systematisch zu klassifizieren, um so ein Gefühl der Kontrolle über die vielfältigen Leben zu erhalten. Vermutlich diente diese Klassifikation auch Atheisten, um das Geheimnis der Schöpfung der Welt zu enträtseln, war doch nunmehr eine Entstehung der Erde und somit des Menschen ohne den Allmächtigen denkbar.

Untersucht wurde unter anderem, neben den verschiedenen Hautfarben der Menschen, auch deren Schädel. Unterschiede und Gemeinsamkeiten wurden gesucht und Schlüsse gezogen. Inwiefern Forschung und Vermutung beziehungsweise Anmaßung in einander übergingen war in der Wissenschaft zu damaliger Zeit, im 18. und bis Mitte des 19. Jahrhunderts, nicht relevant.

Veränderungen in der Naturwissenschaft und im Religionsbild waren durchaus sehr schnell möglich, wie das zehn Jahre vor Carus’ Lebensende 1859 im Neandertal gefundene Bindeglied zwischen Affe und Mensch, der Neandertaler, zeigte. Spätestens zu jenem Zeitpunkt waren Kritiker des Christentums vorzufinden und die These der Evolution hatte ein neues Fundament der „Daseinsberechtigung“.

Es stellt sich die Frage, wie ein Universalgenie, welches Carl Gustav Carus war, mit den Veränderungen und Neubegründungen, nicht nur im Lebensstil, sondern vor allem in den Naturwissenschaften und in der Regierung, umgehen konnte und welche Aspekte sich der Naturforscher und Künstler aus den Möglichkeiten, die ihm die damalige Zeit bot, zu eigen machte. Hierzu wird der Mensch Carus näher dargestellt werden.

Zunächst sollen das Leben und die Arbeiten im wissenschaftlichen Bereich sowie die Umgebung Carus’ betrachtet werden, um ein Fazit aus den Lebensumständen und der Aktualität seiner Arbeit zu erhalten. Im Folgenden wird untersucht werden, inwiefern die Umgebung, die Menschen die ihn beeinflussten und die Carus nachzuahmen versuchte, zu seiner universalen Genialität beitrugen und wo sich Grenzen des Fassungsvermögens der universellen Arbeit bei Carus aufzeigen.

Die Forschung bezüglich Carus ist aus mehrerer Hinsicht spärlich gesät. Erstmals kritisch betrachteten Anton P. Knittel im Jahr 2000 und Anja Häse (2001) Carus’ Leben, während bis dato lediglich Rezensionen entstanden sind, die sich zwar mit Carus beschäftigen, jedoch selbigen nicht kritisch hinterfragen, sondern würdigen. Nach dem Ersten Weltkrieg entstand das Interesse an der Person Carus, insbesondere an seinen philosophischen, psychologischen und physiologischen Ausführungen erneut, nachdem sie bereits am Ende seines Lebens in Vergessenheit geraten waren. Anscheinend durch den Krieg zu Beginn des 20. Jahrhunderts verunsichert, suchten die Menschen Lösungen bezüglich des Menschen und des Lebens und stützten sich hierbei auf die Ideen des Mediziners und Psychologen Carus. Während des Zweiten Weltkrieges wurden Blickwinkel des Wissenschaftlers für nationalsozialistische Propaganda benutzt, was im Kapitel „Carl Gustav Carus ein Rassist?“ erläutert werden wird. Mit dem Ende des Dritten Reiches verstummte das Interesse an dem Mediziner erneut, um dann im Rahmen der Anthropologie seit den 60-er Jahren erneut vermehrt behandelt zu werden.1

 

1 Vgl. hierzu: Anton Philipp Knittel. Zwischen Idylle und Tabu. Dresden 2002. S. 33ff.

2. Biographie

Ausführlich wird Carus Vergangenheit in seiner Autobiographie Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten beschrieben, die er im Alter von 57 Jahren begonnen hatte, einer Zeit, von der er behauptete die wissenschaftliche Arbeit größtenteils vollendet zu haben. Präzise erinnert er sich darin neben seiner Kindheit an seine verschiedenen Studien, den anfänglich finanziellen Nöten, Eindrücken von Natur, Kunst und Reisen sowie seinen Mitmenschen, die ihn teilweise stark beeinflussten.

„Diese Blätter […] waren bestimmt, zunächst mir selbst treue Gefährten der letzten Dezennien meines Lebens zu werden, zugleich aber auch andere, indem sie ihnen den gesamten Entwicklungsgang einer in vieler Beziehung reichen Lebens treu und offen darlegten, in ihrer Selbstkenntnis zu fördern, auch sie durch den Blick auf manche vorübergegangene Lebens- und Zeitperiode überhaupt an Verständnis des Lebens zu bereichern.“2

Im Folgenden werden die Umgebung und die Lebensumstände beschrieben, die Carus prägten. Außer Acht gelassen wird hierbei Mnemosyne (1848), die Blätter aus Gedenk- und Tagebücher enthält, da diese zwar Aufsätze zu bestimmten Themen beinhaltet, nicht jedoch Carus‘ Biographie direkt, was der Name Mnemosyne vermuten lässt.

2.1 Kindheit und Jugend

Carl Gustav Carus wurde am 3. Januar 1789 als einziges Kind des Färbereibesitzers August Gottlob Carus (1763-1842) und dessen Frau Christiane Elisabeth Carus, geborene Jäger (1763-1846) in Leipzig geboren. Zwar erblickte zwei Jahre später ein weiterer Knabe das Licht der Welt, doch starb dieser wenige Tage nach dessen Geburt.

Aus finanziellen Gründen waren die Eltern Carus’ gezwungen, ihren Sohn im Alter von vier Jahren für ein Jahr bei dessen Großeltern, den Eltern seiner Mutter, und seinem Onkel, dem Chemiker und Theologen Daniel Jäger, unterzubringen, um sich auf das Geschäft konzentrieren zu können, welches sich in den ersten Jahren nur schwerlich hielt und auch in den darauf folgenden Jahren nie zur absoluten finanziellen Sicherheit beitrug.  

Das Kind Carl Gustav wurde somit bereits früh geprägt von finanziellen Nöten. Doch trotz den Sorgen wirtschaftlicher Engpässe beschäftigten sich sein Vater und vor allem die Familie Jäger mit der Kunst sowie der Medizin. Beide Gebiete wurden sehr geschätzt und so beschreibt Carus in seiner Autobiographie das Kennenlernen der Eltern durch die Kunst mit dem Besuch des Vaters in der Färberei der Jägers, „um der Kunst die Ehre zu erzeigen als um besonderer Absichten willen.“3

Ob es sich hierbei um die Kunst des Färbens oder um die des Klavierspiels der Tochter des Färbereibesitzers handelte, wird hierbei nicht näher erläutert.

Neben der Kunst, der Musik und der Literatur, die Carus durch seine Eltern und Großeltern nahe gebracht wurden, führte ihn sein Oheim, Daniel Jäger, an die Naturwissenschaften heran. Carus beschreibt das Leben bei seinen Großeltern und die Entdeckung der Natur folgendermaßen:„Bei alledem fehlte mir dort in den ersten Wochen eine Form der Liebe – die Liebe der Mutter, und die gewisse stille Trauer um dieses Fehlen ist das erste entscheidende, oft, wenn ich allein war, mich zu Tränen erregende Gefühl, dessen ich mich erinner. Später verlor ich diese Trauer, es wuchs die Lust am Lernen und Erfahren[…].“4

Diese Feststellung des Interesses und dem Spaß am Lernen bestätigt sein Oheim und zeigt zugleich Carus weitere Grundeinstellung des wissenschaftlichen Arbeitens und der Erforschung des Lebens, indem er sagt „Die Naturgestaltung ist ihm [C. G. Carus] jetzt seine angenehmste Unterhaltung. Besonders äußert er allemal seine Verwunderung, dass er dies und

jenes von einem ihm unbekannten Geschöpfe noch gar nicht gewusst habe; denn er will immer alles lieber selbst erfinden und aus sich selbst gleichsam schöpfen, als dass er es gelernt zu haben gestehen sollte. Beständig ist er beschäftigt. Das erste, wenn er früh aufgestanden, ist: Gib mir doch was zu tun!“5

Carus war bereits früh daran interessiert, geistig unterhalten zu sein. Da es zu damaliger Zeit noch keinerlei Literatur für Kinder gab, betrachtete er bereits mit vier Jahren wiederholt das lateinische, mit Holzschnitten versehene Werk Orbis pictus und lies sich von seinem Großvater biblische Geschichten erzählen.  

Im Alter von fünf Jahren an natürlichen Pocken erkrankt, durch die er, so Carus’ Äußerung, für eine Woche erblindet worden war und erneut lernen musste zu gehen, empfand er eine „besondere Liebe zu [seinem] würdigen alten Arzte“6, den er mit Ehrfurcht betrachtete, wenn dieser seine Krankenbesuche abhielt oder seiner Arbeit im Krankenhaus nachging. Seine Eltern schienen während dieser Krankheit nicht bei Carus verweilt zu haben, schließlich schreibt er in seiner Autobiographie, sein Onkel hätte ihnen in einem Tagebuch von der Krankheit erst berichtet, als Carus genesen war.

Seine Eltern, insbesondere seinen Vater, habe er, hiervon berichtet Carus, lange Zeit nicht erkannt, als er im Alter von fünf Jahren zu ihnen zurück kehrte. Zusätzlich zur Verfremdung durch die Zeit wurde das Kind dadurch verwirrt, dass ihm der Vater unter anderem Namen vorgestellt wurde.

Neben dieser Begebenheit und einer Erzählung über die Mutter, die eine Perücke aus Carus Haaren bestehend, trug, wird über die Beziehung zu den Eltern lediglich darauf eingegangen, dass zum cholerischen Vater nicht ein ebensolches Vertrauensverhältnis wie zur Mutter aufgebaut werden konnte.

Auch wenn die Familie Carus aus einfachen Verhältnissen stammte und die Lebensbedingungen untereinander rauh zu wirken scheinen, so sorgte sie sich doch, und insbesondere Carl Gustav Carus’ Vater, um dessen schulische Ausbildung und nachdem Carus nicht mehr die Schulungen seines Oheims genießen konnte, erhielt er Privatunterricht durch Hauslehrer, wobei hierbei, so Carus, keinerlei „besonderer Plan befolgt worden wäre, oder dass man schon früh über den Lebenslauf, den ich [Carus] dereinst ergreifen sollte, eine Bestimmung stattgehabt hätte […]“7.

Von großem Einfluss in seiner Laufbahn sei das neue, abgelegene Haus gewesen, so nach Ansicht Carus, in das die Familie Carus 1800 eingezogen war und welches dem Kind vermehrt die Möglichkeit zur Einsamkeit und zum Bezug der Natur bot. Carus studierte im Rahmen seiner Handhabe die Natur, Chemie, Physik und die bildnerischen Künste.

Ab dem zwölften Lebensjahr besuchte Carus die Thomasschule, ein Leipziger Gymnasium, um einen Studienplatz an der Universität erhalten zu können. Carus war kein großer Bewunderer der Schule. So erklärt er, wie er im übertragenen Sinne mit seinen Mitschülern „in den Vorhallen der Philologie [läge] wie die Kranken um den Teich Bethesda und wartete[n] auch, dass ein Engel herabkäme und die Wasser bewegte, damit aus ihnen der Hauch des alten Heils aufsteige und uns kräftige.“8

Lediglich im künstlerischen Bereich inspirierte der Zeichenlehrer Julius Dietz den Schüler zu Studien der Landschaft in den Bereichen der Flora und der Gesteine, indem beide die Landschaft um Leipzig durchwanderten und die Gemäldegalerie Dresdens besuchten.

In seiner Autobiografie erläutert er, wie wenig seine Interessen der Naturkunde mit denen anderer Mitschüler geteilt wurden und distanziert sich deutlich vom Lehrstoff der Schule, der hauptsächlich von sprachlicher Richtung geprägt war.

„So quälte ich mich durch die Alten hindurch, ich betrachtete es wie eine notwendig aufgegebene Arbeit, aber keine Freude ging mir dabei auf! Im Ganzen hat mir überhaupt das Leben auf der Schule weder einen angenehmen noch einen anregenden Eindruck zurückgelassen, und es war mir ganz recht, als gegen Ende das Jahr 1804 mir erklärt wurde, für die naturhistorischen und chemischen Studien, die ich damals allein auf der Universität zu verfolgen beabsichtigte, habe ich nun klassische Nahrung genug eingesammelt und ich könne denn unter die Zahl der akademischen Bürger jetzt aufgenommen werden.“9

2.2 Studium

Am 21. April 1804 begann der damals 15-jährige Carus an der Leipziger Universität sein Studium in Chemie, Physik und in der Botanik. In der Betrachtung seiner Studienzeit in Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten erläutert Carus seine Einstimmung mit Professoren, die die Naturwissenschaft sowie das wissenschaftliche Denken10 nicht als störend für die Geisteswissenschaften ansahen, wie es Kritiker bezüglich der Wissenschaft ausdrückten, obwohl nun vermehrt Gesetzmäßigkeiten der Natur nicht romantisch betrachtet wurden. Gegenteilig empfand Carus die Erfahrung als bewundernswert, wie die Natur nicht nur ihre volle Schönheit preisgebe, sondern zudem Gesetzmäßigkeiten des Wuchses folge.

Bis zu Beginn des Jahres 1806 konzentrierte sich Carus hauptsächlich auf den Bereich der Botanik. Auf diesem Gebiet fand er unter anderem in Georg Friedrich Kaulfuß (1786-1830) einen Studienkollegen, später Botanikprofessor in Halle, der ihm nicht nur für die Botanik durch den Besitz von zahlreichen Büchern und Sammlungen „nützlich geworden war“11, sondern führte ihn durch das Werk des Professors der Medizin in Göttingen Johann Friedrich Blumenbachs (1752-1840) „Handbuch der vergleichenden Anatomie“, an den Aufbau der Lebewesen heran.

Seine Vorliebe zur Botanik schwächte infolge dessen ab und die Anatomie begann einen größeren Stellenwert einzunehmen. Carus’ Interessengebiete wurden somit um einen weiteren Aspekt bereichert, deren Fülle zu einer Orientierungslosigkeit in der Wahl des künftigen Berufes führte. Zu viele Möglichkeiten boten sich ihm: Neben dem Studium an der Natur, dem Studium der Humanmedizin und der Möglichkeit in der bildnerischen Kunst tätig zu werden bot sich ebenso die Wahl zur Weiterführung der Färberei des Vaters.

In der Frage des Familienbetriebes war eine Entscheidung schnell getroffen, auch wenn sie Carus selbst, der dem Vater seine Entscheidung mitteilen musste, bedrückte: „Der Gedanke, mich der Besorgung eines Familiengeschäfts zu unterziehen, jetzt, nachdem ich die Freudigkeit der Wissenschaft, der freien Geistesübung an der Natur gekostet hatte – es hätte mich unglücklich gemacht, ich konnte es nicht!“12

Im Bereich der Kunst sah Carus keinerlei Basis für ein geregeltes Einkommen. Ohne es näher erläutern zu können, schien ihm dieser Bereich finanziell nicht erträglich und einzig als Luxus derjenigen, die dessen Werke betrachten und finanziell imstande waren, diese zu kaufen.

Da schließlich deutlich das Interesse an der Naturwissenschaft hervortrat, zog Carus seinen Onkel, Professor Friedrich August Carus, zu Rate. Mit dessen Hilfe er sich zum Studium der Medizin entschied, da dies mehrere Aspekte der Naturwissenschaft verband. Merklich am Studium gestört wurde Carus im Sommer durch die Kämpfe der Napoleonischen Kriege, die sich in das Heilige Römische Reich Deutscher Nation ausweiteten. Französische Soldaten, die im Land untergebracht werden mussten, quartierten sich auch in das Haus der Familie ein. Der zunächst beeindruckte Carus musste das Studium für kurze Zeit zurück stellen. Doch, so sein Wortlaut, gewöhnte er sich an den Krieg und dessen Begleiterscheinungen. Selbst einen positiven Aspekt konnte der angehende Arzt, der vermehrt Interesse für die Anatomie zeigte, dem Krieg abgewinnen: Da der Aufbau des menschlichen Körpers durch die Pathologie erforscht werden musste, versuchte er die Gelegenheit zu nutzen, die Leichen zweier, vom Kriegsgericht verurteilter Italiener, auszugraben und für seine Zwecke zu verwenden. „Die Sache schien leicht ausführbar, und in der nächsten Nacht beluden wir unsern Arbeiter mit dem nötigen Gerät zum Ausgraben und Abtrennen etwa eines Kopfes und einiger Glieder und zogen bei falbem Mondschein dahinaus, im vollen glühenden Eifer für unsere Wissenschaft, wenig daran denkend, dass uns in so rauer Zeit ein Unternehmen dieser Art doch leicht sehr übel hätte bekommen mögen.“13

Ein Versuch, der, wie sich jedoch vor Ort herausstellte, scheiterte, da der Professor der Anatomie diese Leichen bereits für die Untersuchungen der Universität hatte holen lassen.

Neben menschlichen Körpern nutzte der Student für seine Untersuchungen auch Tierkadaver, die er am Straßenrand fand, da diese seiner Ansicht nach14 einen dem Menschen ähnlichen anatomischen Aufbau hätten. Waren die Tiere größer, so dass er sie selbst nicht sofort transportieren konnte, war es ihm möglich, Angestellte der Universität dieser Aufgabe zu betrauen, um die Forschung zu Hause vornehmen zu können.

Ab dem Jahr 1807/08 war es ihm gestattet im Präpariersaal der Universität Sezierungen offiziell vorzunehmen. Carus selbst beschreibt an dieser Stelle, dass er keinerlei Probleme mit Gerüchen, gleich ob einer oder mehrerer Leichen oder derer abgetrennter Körperteile hätte. Seinem Ermessen nach schien er aufgrund dessen und wegen seines großen Interesses, im Bereich der Anatomie innerhalb eines Jahres über einen größeren Wissensstand zu verfügen, als sein Examinator.15 1809 begann der Student seine praktische Lehre im St.-Jakob- Hospital in Leipzig. Während dieser Zeit erkannte er positive wie auch negative Aspekte der Medizin: Zum einen machte er Erfahrungen mit dem Leid der PatientInnen und deren Klagen, zum anderen entstand durch ansteckende Krankheiten das Gefühl sich „für ein so hohes Ziel gleichsam selbst als Opfer [seines] Berufes darzubieten“.16 Er empfand sich somit als ein sich für das Volk opfernder Held.

Im Jahre 1810 ergab sich für ihn die Möglichkeit auch das Arbeiten in einer Arztpraxis kennen zu lernen. Der Mitbegründer der modernen Gynäkologie, Arzt in der Leipziger Entbindungsanstalt und Dozent Carus’ Dr. Johann Joerg (1779-1856) bot ihm eine Stelle in dessen Praxis an, die Carus dankend annahm. 17

Für den Studenten begann somit eine Nerven aufreibende Zeit, da dieser neben dem eigentlichen Studium nicht nur auf die körperlichen Leiden der Patienten, sondern auch auf deren Psyche näher eingehen musste. Ebenso waren Hausbesuche, selbst in der Nacht, Pflicht des Arztes.

Trotzdem fand Carus seine Offenbarung im praktischen Bereich und auch die Arbeit des Dozenten war für ihn interessant: Bot diese ihm die Möglichkeit durch den intensiven Kontakt eingehender mit Wissenschaftlern in der Materie zu forschen, sich auszutauschen und gelerntes sowie selbst Entdecktes weiter zu geben. Seine Arbeit hätte somit nicht nur im praktischen, sondern auch im theoretischen Sinn nützliche Dienste erweisen können.

Um die Berechtigung für eine Stelle als Dozent zu erhalten, war es für den Studenten unerlässlich, neben dem Doktortitel und der Magister liberalium artium, welche er am 24. März 1811 in der Philologie erhielt, zu habilitieren. Seine Habilitation mit dem Titel Specimen Biologiae generalis18 verteidigte er Mitte Oktober desselben Jahres, wobei diese, wie er selbst erklärt, nicht vollkommen schien und Irrtümer aufwies. So musste er, offen von ihm formuliert, einige gerechtfertigte Tadel erfahren.19

Nach der einstündigen Prüfung erhielt er die Erlaubnis, dozieren zu dürfen und es wurde ihm der Titel Magister legens verliehen. Um als Arzt arbeiten zu können, promovierte Carus schließlich am 20. Dezember 1811 an der medizinischen Fakultät mit der Dissertation De uteri rheumatismo20.

2.3 Der Familienvater

1804, als Carus sein Studium begann, verließ der jüngere Bruder seiner Mutter das gemeinsame Haus, so dass Carus’ Vater seine um viele Jahre jüngere Stiefschwester Karoline, welche die Tochter der dritten Ehefrau von Carus Großvater väterlicherseits war, aufnehmen konnte. Karoline, fünf Jahre älter als Carl Gustav, verstand sich sehr gut mit der Familie und wurde von Carus’ Mutter wie eine eigene Tochter aufgenommen. Zum Sohn hatte Karoline bald ein vertrautes Verhältnis aufgebaut. Er erläutert hierzu näher:„Das freundliche hübsche Mädchen wollte niemand recht als eine Tante von mir gelten lassen, und bald hatten wir jungen Leute uns recht aneinander gewöhnt.“21

Gemeinsame Leseabende und eine „gemütvolle Seele“22, wie er es bezeichnet, führten bei ihm zu dem Wunsch, die einsamen Stunden und die Zurückgezogenheit aufzugeben und sich einer Frau hinzugeben, die ihn während der Ehe in seiner Arbeit und seiner Kunst unterstützte und ihm die Erziehung der Kinder abnahm.

Über Frauen urteilte Carus in Briefe über Goethes Faust (1835), ihnen käme eine „hohe Bedeutung“ zu, „teils und zunächst als versöhnendem, beruhigendem, läuterndem Prinzip in dem vom streitenden Kräften angeregten und vorwärts gedrängten Leben des Mannes“23. 1820 ließ er noch verlauten, dass für Frauen „das eigentliche Feld der Wissenschaft und Spekulation, die Schärfe des Urteils, die Tiefe männlicher Vernunft, […] der weiblichen Seele unzugänglich [sind]“24 sei.

Trotz des großen Zeitaufwandes in der ärztlichen Tätigkeit und in der Forschung sowie der Hingabe der Kunst, insbesondere in Krisenzeiten, beklagte sich seine Ehefrau wegen einer vermeintlichen Vernachlässigung der Familie anscheinend nicht. In einer 48-jährigen Ehe bekam das Paar durchschnittlich alle zwei Jahre ein Kind.25 Insgesamt wurden elf Kinder geboren, von denen drei jedoch Totgeburten waren und ein weiteres Kind nach acht Tagen verstarb. Das erste Kind, ein Mädchen mit dem Namen Sophie Charlotte, wurde bereits 1810, ein Jahr vor der Hochzeit der Eltern geboren. Carus verschweigt die Geburt der Tochter vor der Heirat in seiner Autobiographie. Dies mag jedoch, da er sich im Laufe der Biographie sehr positiv und fürsorglich über sie äußert, nicht an einem eventuell schlechten Verhältnis zwischen Vater und Tochter gelegen haben, sondern vielmehr an der – für damalige Verhältnisse – unsittlichen unehelichen Geburt. Mit lediglich 28 Jahren verstarb das älteste Kind, hinterließ jedoch zwei Söhne, von denen der ältere Ernst Rietschel wie Carus Mediziner