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Kuba, das ist Musik, das sind Rum und Zigarren, das ist natürlich die anmutige Hauptstadt Havanna mit halb verfallenen Gebäuden und prachtvollen Plätzen. Doch Kuba ist weit mehr als das. Es ist eine atemberaubende Insel voller Gegensätze und voller Menschen, die trotz aller Widrigkeiten nie ihren Optimismus und Lebensmut verlieren. Es ist auch ein Land im Wandel. Nach Jahren des starren Sozialismus ist Aufbruchstimmung zu spüren und Veränderungen kündigen sich an. Ich war zum Jahreswechsel 2012/2013 drei Wochen auf Kuba und habe das Land sowie seine Bewohner kennen gelernt. Hier will ich von den interessantesten Erfahrungen erzählen, ohne einen "klassischen" Reisebericht vorlegen zu wollen. "Chao Pescado" ist eine Collage der Eindrücke, die ich von Kuba und den Kubanern sammeln konnte und soll gleichermaßen Interessierte wie Kuba-Kenner ansprechen. ** Überarbeitete und um einige Textstellen ergänzte Version vom Februar 2014 **
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Veröffentlichungsjahr: 2014
Kurz vor Weihnachten 2012 geriet eine geplante Reise des Haushaltsausschusses des deutschen Bundestags in die Kritik. Fünf Abgeordnete wollten nach Kuba reisen, unter anderem um dort Kooperationen zwischen dem kubanischen Staat und deutschen Unternehmen auf den Weg zu bringen. "In Kuba ist etwas in Bewegung, und das Beste ist, man setzt sich an die Spitze der Bewegung", konterte der CDU-Abgeordnete Georg Schirmbeck die Kritik an der kostspieligen Reise.
Mit einer Sache hat Schirmbeck zweifellos recht: Kuba ist in Bewegung. Politisch, wirtschaftlich und auch gesellschaftlich. Seitdem Raúl Castro 2006 seinen Bruder Fidel an der Spitze des Staates abgelöst hat, gab es mehrere kleine Reformschritte, die dem starren Sozialismus einen kapitalistischen Anstrich verpassten. Außerdem lockert die Regierung langsam die Fesseln für die Bevölkerung: Seit Januar 2013 genießen die Kubaner nach fast 50 Jahren wieder Reisefreiheit - zumindest theoretisch. Es liegt keine Revolution in der Luft wie 1959, doch dass sich Veränderungen ankündigen und zum Teil schon stattfinden, ist nicht zu übersehen.
Doch nicht nur wegen seiner spannenden politischen Lage ist Kuba ein faszinierendes Land. Die Hauptstadt Havanna ist vermutlich eine der aufregendsten und schönsten Städte der Welt. Zudem verfügt die größte Karibik-Insel über zahlreiche traumhafte Badestrände (vor allem, aber nicht nur über das Urlauberparadies/-ghetto in Varadero), über beeindruckende Naturschönheit in den unwegsamen Gebirgen im Landesinneren und über eine Bevölkerung, die selbst die schwierigste Versorgungslage mit Lebensfreude und Kreativität meistert. Und dann gibt es natürlich noch die Musik, die auf Kuba ebenso fest im Alltag verankert ist wie Rum, Zigarren und das gemütliche Dominospiel. Aus all diesen Faktoren bezieht die Insel ihren Charme, doch am Anziehendsten ist wohl auch heute noch der Mythos der Revolution: Charaktere wie Che Guevara und Fidel Castro faszinieren selbst Touristen, die mit ihrer Politik überhaupt nichts anfangen können (also die meisten).
Auch ich war Ende 2012 für über drei Wochen in Kuba und hatte das Glück, das Land mit vielen seiner Facetten kennenzulernen. Hier will ich von pulsierenden Städten berichten, von einer Wanderung im tropischen Regenwald, von sozialistischen Slogans auf Hauswänden, von kolonialer Pracht in verschlafenen Kleinstädten und von den zwei Seiten der kubanischen Bevölkerung. Auch eine kritische Betrachtung der "Parallelwelt" für die Urlauber, Varadero, soll Platz finden.
Mein Ziel ist nicht, einen typischen Reiseführer zu schreiben, Sehenswürdigkeiten aufzulisten und coole Insidertipps für die besten Mojitos zu verraten. Dafür gibt es wirklich genügend andere Bücher, und nach nur drei Wochen in dem Land wäre es vermessen, wenn ich mich als Kuba-Kenner bezeichnen würde. Vielmehr will ich all die Eindrücke, die auf mich einprasselten, möglichst originalgetreu wiedergeben - die positiven Erfahrungen wie auch die negativen. Im Optimalfall ist der Leser am Ende genauso fasziniert wie auch ich es war und stimmt mit mir darin überein, dass Kuba wirklich weit mehr zu bieten hat als Oldtimer, Rum und schöne Strände.
Wer den Namen Kuba hört, mag zwar vielleicht sofort an Fidel Castro, Che Guevara und Sozialismus denken, aber wohl eher nicht an weite Strecken. Doch entgegen der Vorstellung vieler Europäer ist Kuba durchaus eine Insel der langen Wege. Von West nach Ost misst das größte Eiland der Antillen und der gesamten Karibik stolze 1250 Kilometer. Wer das Abenteuer auf sich nimmt und über die holprige "Autopista Nacional" von der Hauptstadt Havanna in die zweitgrößte Stadt Santiago de Cuba im Osten fährt, legt 850 Kilometer zurück - mehr als die Strecke zwischen München und Hamburg. Da die Insel aber vergleichsweise schmal ist, hat sie eine längliche und gestreckte Form, die der kubanische Dichter Nicolas Guillén einmal mit einem "grünen Kaiman" verglich.
Entdeckt wurde die Insel vor den Toren Floridas 1492 von Christoph Kolumbus. Wenige Jahrzehnte später erfolgte dann die Besetzung durch die Spanier. Diese rotteten erst einmal die indianische Urbevölkerung aus und bemerkten erst zu spät, dass ihnen dadurch Arbeitskräfte für die Zuckerrohr- und Tabakfelder fehlten. Infolgedessen holten die grausamen "Conquistadores" als Ersatz viele afrikanische Sklaven ins Land. Wegen dieser unrühmlichen Sklavenvergangenheit hat Kuba heute eine stark durchmischte Bevölkerung, in der Rassismus jedoch zum Glück kaum ein Problem darstellt. Die Kubaner teilen sich selbst grob in drei Gruppen ein: Die Weißen, die Mulatten und die "Negros", also die Schwarzen.
Im 19. Jahrhundert begehrten die reich gewordenen Plantagenbesitzer auf Kuba gegen das spanische Mutterland auf. Ein erster Unabhängigkeitskrieg in den 1870er Jahren scheiterte, zwei Jahrzehnte später hatte die Insel aber Erfolg - auch dank des Einschreitens der USA. Nach der Ausrufung der Republik Kuba im Jahr 1902 mischte sich der mächtige Nachbar aus dem Norden jedoch immer öfter in die Belange Kubas ein. US-Millionäre und Mafiabosse feierten in Havanna rauschende Parties, nebenbei wurde auch eine Menge Geld gewaschen und der Staat schlitterte unter wechselnden Regierungen zusehends in die Korruption.
Als sich der Militärgeneral Fulgencio Batista 1952 mit einem Staatsstreich die Macht sicherte, begehrte der junge Anwalt Fidel Castro dagegen auf. Sein Angriff auf die wichtige Moncada-Militärkaserne am 26.07.1953 scheiterte jedoch. Zusammen mit seinen Mitstreitern wanderte Fidel ins Gefängnis. Nach seiner Begnadigung 1955 ging er ins Exil und scharte dort eine neue Truppe von Revolutionären um sich - unter anderem den Arzt Ernesto "Che" Guevara. Im Dezember 1956 landete das Schiff "Granma" im Osten Kubas und die Revolutionäre begannen ihren über zwei Jahre dauernden Guerilla-Krieg gegen das Batista-Regime.
Am 01. Januar 1959 hatten sie den Kampf gewonnen. Batista floh ins Ausland, wenig später zogen Castro und seine Companeros siegreich in Havanna ein. In den Jahren danach verwandelte sich Kuba in einen sozialistischen Staat. Trotz zahlreicher Versuche, das Regime zu stürzen (vor allem von Seiten der USA) behauptete sich der "Comandante en jefe" Fidel auch nach dem Fall des "Eisernen Vorhanges". Bis 2006 war Fidel kubanischer Staatschef, danach trat er das Amt aus gesundheitlichen Gründen an seinen jüngeren Bruder Raúl ab, selbst ein Held der Revolution. Der hat seitdem ein paar zarte Reformen auf den Weg gebracht, die den starren Sozialismus ein wenig aufweichen und die Versorgungslage der Bevölkerung verbessern sollen. Doch einen kompletten Umsturz des Systems plant Raúl nicht. Er hat - im Gegensatz zu seinem legendären Bruder - lediglich erkannt, dass es so nicht mehr weitergehen konnte und hat leichte Korrekturen vorgenommen. Den momentanen Kurs Kubas könnte man mit dem der Volksrepublik China vergleichen: Kapitalismus ja, aber nur in Maßen und vom Staat gelenkt.
Der große Volksheld Kubas ist aber weder Fidel noch Raúl und auch nicht die Ikone Che Guevara. Nein, es ist der Dichter José Martí, der 1895 im Alter von nur 42 Jahren im zweiten Unabhängigkeitskrieg sein Leben ließ. Seine Statue steht heute in jeder größeren Stadt auf der zentralen Plaza und selbst im entlegensten Gebirge vor der winzigen Dorfschule. Martí verfasste einige bekannte Gedichte, doch nur die wenigsten wissen, dass er den originalen Songtext zum Gassenhauer "Guantanamera" (übersetzt: Mädchen aus Guantánamo) geschrieben hat. Beziehungsweise stammt von ihm das Gedicht, das später mit der bekannten und auch heute noch von jeder Kneipenband gespielten Melodie vertont wurde.
Nach einer Jahrzehnte langen Abschottung in Folge des Sieges der Revolution hat sich Kuba Anfang der 1990er Jahre wieder für den internationalen Tourismus geöffnet. Seitdem strömen jedes Jahr mehr Touristen in das Land. 2012 waren es knapp zwei Millionen, viele davon aus Deutschland. Neben Havanna hat sich vor allem der Badeort Varadero zum beliebten Reiseziel gemausert.
Die Kubaner in den touristischen Zentren profitierten zwar in begrenztem Maße von dem Boom, doch sie selbst durften über Jahrzehnte hinweg nicht selbst in Urlaub fahren. Das sozialistische Regime erlaubte seinen Bewohnern nur berufliche Aufenthalte in den "Bruderländern". Wirkliche Reisefreiheit genießen die Kubaner erst wieder seit Ende Januar 2013, als ein neues Gesetz in Kraft trat. Zwar ist die Ausreise auch jetzt noch kompliziert - und vor allem ein Reisepass nicht für jeden Kubaner erschwinglich - doch theoretisch sind Auslandsaufenthalte jetzt möglich.
In den vergangenen Jahren war Venezuela der engste Verbündete Kubas. Nach dem Tod des venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez, der ein enger Vertrauter und Bewunderer von Fidel Castro war, ist jedoch unklar, inwieweit das Land den Kubanern weiterhin wirtschaftlich unter die Arme greift. Auf der Beerdigung des Friedensnobelpreisträgers Nelson Mandela im Dezember 2013 kam es zu einem viel beachteten Händedruck zwischen Raúl Castro und dem US-Präsidenten Barack Obama. Das Ende der langen Eiszeit zwischen beiden Ländern? Die Zeit wird es zeigen.
"Cocktail Cubano" heißt die von einer deutschen Reiseagentur organisierte zehntägige Tour durch den Westen und die Landesmitte von Kuba. Doch diese Bezeichnung ließe sich auch auf den gesamten dreiwöchigen Aufenthalt anwenden, denn meine Reisebegleitung und ich haben in dieser Zeit in der Tat von allem, was Kuba ausmacht, etwas mitbekommen.
Zu Beginn lernten wir die quirlige Metropole Havanna auf eigene Faust kennen. In den ersten vier Tagen konnten wir die einzigartige Atmosphäre und koloniale Häuserpracht genießen, haben aber auch die negativen Auswirkungen des Tourismus auf die einheimische Bevölkerung zu spüren bekommen. Mehr dazu im nächsten Kapitel.
Anschließend begann die oben erwähnte Rundreise mit kubanischer deutschsprachiger Reiseleitung. Am Anfang der Tour stand ebenfalls die Hauptstadt Havanna auf dem Programm. Von hier aus ist es nicht weit ins kleine Fischerdorf Cojimar. Der unscheinbare Ort hat seinen Ruhm einer einzigen Person zu verdanken, und die hat nicht einmal hier gewohnt und war auch kein Kubaner. Die Rede ist natürlich von Ernest Hemingway (1899 - 1961).
Der Literaturnobelpreisträger lebte bekanntlich viele Jahre auf Kuba. Seine Lieblingsbars in Havanna, das "El Floridita" und die "Bodeguita del Medio", zehren noch heute vom Hemingway-Mythos. Der Amerikaner war nicht nur begeisterter Angler, sondern liebte auch das Segeln. Seine Yacht "Pilar" lag regelmäßig in Cojimar vor Anker, wo er mit den örtlichen Fischern ins Gespräch kam. Deren Erzählungen sollen Hemingway zu seinem Werk "Der alte Mann und das Meer" inspiriert haben. Es ist also nur verständlich, dass die Bewohner Cojimars dem weltberühmten Besucher ein Denkmal gesetzt haben. Eine Büste des Schriftstellers steht auf einem schönen Sockel an einem prominenten Platz mit Blick über den Fischerhafen. In der Dorfkneipe, in der Hemingway gerne eingekehrt haben soll, ist ihm ein ganzes Zimmer mit interessanten Fotografien gewidmet - unter anderem sieht man den Händedruck zwischen Hemingway und Fidel Castro, kurz nach dem Sieg der Revolution.
Ansonsten hat das Fischerdorf aber natürlich wenig zu bieten, daher hielt sich unsere Rundreise auch nicht lange hier auf.
Statt dessen ging es anschließen in den Westen Kubas in die Provinz Pinar del Rio - genauer gesagt in das von der UNESCO zum Weltlandschaftserbe gekürte Tal von Vinales. Hier gab es nicht nur die weltberühmten "Mogotes" zu sehen, die Jahrtausende alten riesigen Kalksteinhügel, die zum Beeindruckendsten gehören, was man auf Kuba bestaunen kann. Das folgende Foto vermittelt die Wucht dieser Eindrücke wohl nur in Ansätzen.
Es gab auch interessante Einblicke in den Tabakanbau und Verarbeitung. Kuba hat seinen Reichtum seit der Zeit der spanischen Herrschaft stets auf den Export von Rum, Zucker und Zigarren gestützt. Letztere werden zu einem großen Teil in Pinar del Rio hergestellt.
Weitere Stationen auf der Reise waren der Guama-Nationalpark auf der Halbinsel Zapata in der Nähe der berühmten Schweinebucht, anschließend die stolze Provinzhauptstadt Cienfuegos mit ihrem bemerkenswert schönen Zentrum um den Parque Marti. Obwohl Cienfuegos eine relativ große Stadt und zudem Hauptstadt einer wichtigen Provinz ist, wirkte sie ein wenig verschlafen.
Wesentlich mehr Touristen zieht es allerdings in das kleinere, aber ebenso malerische Trinidad, wohin uns die Rundreise als nächstes führte. Über Jahrhunderte hinweg wurde das Städtchen an der Südküste durch Sklavenhandel reich, wovon noch heute beeindruckende Stadtpaläste zeugen. Nicht nur sie, sondern viele weitere schöne Häuser im Zentrum Trinidads wurden in den letzten Jahrzehnten restauriert und vermitteln in ihrer bunten Pracht eine lebhafte Vorstellung davon, wie es in der späten Kolonialzeit ausgesehen haben muss.
Trotz der Touristenmassen im Ort erweckt Trinidad auch heute noch einen verschlafenen, sympathischen Eindruck. Verlässt man den Stadtkern nur wenige Meter, reiten tatsächlich noch Einwohner auf Eseln durch die Kopfsteingassen. Nicht zu Unrecht steht in vielen Reiseberichten und Kuba-Reiseführern, dass in dem Ort am Fuß des Escambray-Gebirges die Zeit stehen geblieben zu sein scheint.
Von Trinidad aus gab es einen Katamaran-Ausflug auf die kleine Insel Macho de Afuera, eine der zahlreichen teils winzigen Cayos vor der Küste Kubas. Hier erwarteten uns echte Postkartenmotive: Ruhige, palmengesäumte Badebuchten mit türkisblauem Meer. Doch die karibischen Traumstrände sind eben nur die eine Seite Kubas.
Denn nach dem Meer lernten wir nun eine völlig andere Seite der Insel kennen: Der nächste Halt war der Naturpark Topes de Collantes auf etwa 800 Metern Höhe im Escambray-Gebirge. Hier bekam unsere Gruppe auf einer mehrstündigen Wanderung einen Einblick in die einzigartige Flora und Fauna der größten Karibik-Insel. Anmutige Wasserfälle, die sich in erfrischend kühle Gebirgsseen ergießen, hätten einen fast vergessen lassen, dass man in Kuba ist – wären da nicht die Kaffeesträucher unmittelbar am Wegesrand. Im Urwald bekamen wir zudem den kubanischen "Nationalvogel" zu sehen, den Tocororo. Sein Gefieder ist, wie die kubanische Flagge, blau, weiß und rot. Auch ein Kolibri ließ sich kurz blicken.
Nach erfolgreichem Abstieg aus dem Gebirge schauten wir auf einen kurzen Halt in Remedios vorbei, einer der ältesten Städte Kubas. Über einen 25 Kilometer langen Damm fuhren wir anschließend auf eine weitere Insel, Cayo Santa Maria.
Cayo Santa Maria ist eine der bekanntesten Nebeninseln von Kuba. Hier gab es für uns die volle touristische Dröhnung in Form einer Delfin-Show. Doch weitaus interessanter als diese Wasserspiele mit dressierten Tieren in Gefangenschaft war die Flora und Fauna auf dem kleinen Eiland.
Als Abschluss hatte das Programm noch einen Abstecher in die Universitätsstadt Santa Clara im Landesinneren zu bieten. Hier errang Ernesto "Che" Guevara einen der letzten und entscheidenden Siege im Revolutionskrieg Ende der 1950er Jahre. Er ist bis heute der Held der Stadt, weswegen ihm zu Ehren dort ein gigantisches Mausoleum errichtet wurde, das Touristen wie Kubaner gleichermaßen anzieht. Die andere Seite der Medaille ist hingegen eine fast schon groteske Ausschlachtung des berühmten Che-Porträts zu Verkaufszwecken. Es gibt offenbar nichts, was nicht mit dem Konterfei des Revolutionärs bedruckt werden kann. Nicht nur in Santa Clara, sondern in allen touristische geprägten Orten gibt es eine unfassbare Menge an Guevara-Artikeln zu kaufen.
In den touristischsten aller Tourismus-Orte verschlug es uns nach dem Ende der Rundreise: Varadero, das beliebteste Reiseziel auf Kuba. Das für Einheimische abgeriegelte Strandparadies auf der Halbinsel Hicacos hat mit Kuba allerdings nicht mehr viel zu tun, weswegen diese "Parallelwelt" für uns anfangs einen Schock darstellte. Wir hatten zwei Wochen lang vor allem echte Kubaner in ihrem trotz aller Sorgen und Nöte von Optimismus geprägten Alltagsleben gesehen - und jetzt befanden wir uns in einer Käseglocke.
Alles in Varadero ist auf den Tourismus ausgerichtet, es gibt nicht einmal eine zentrale Plaza oder ein richtiges Stadtzentrum. Darunter leidet der Charme des Ortes erheblich, was die meisten Touristen aber nicht im Geringsten zu stören scheint. Immerhin konnten wir noch einen Abstecher in die Provinzhauptstadt Matanzas organisieren und so ein letztes Mal in das "echte" kubanische Leben eintauchen.
Matanzas ist eine sehr schöne und stolze Stadt, die sich idyllisch an eine Bucht zwischen zwei Flüssen schmiegt und daher über eine Vielzahl von Brücken und romantischen Aussichtspunkten verfügt. Doch "das Athen Kubas", wie Matanzas genannt wird, bietet zudem noch ein echtes Unikum: Das Pharmazeutische Museum, untergebracht in einer früheren Apotheke aus dem 19. Jahrhundert, die nach der Revolution schließen musste. Alte Reagenzgläser, Kolben, Medizinfläschchen und Waagen - das hätte man wahrlich nicht in Matanzas vermutet.
All diese Erfahrungen, die vielen positiven und auch die wenigen negativen, vermittelten ein vielschichtiges Bild von Kuba, das jedoch gerade in seiner Widersprüchlichkeit faszinierend ist. Ich werde im Folgenden jedoch nur von den wichtigsten Punkten der Reise berichten: Von den Erfahrungen in Havanna und vom "unkubanischen" Varadero.
Der "jinetero"-Schock
Das spanische Wort "jinetera" bedeutet wörtlich übersetzt "Reiterin". In Kuba werden mit diesem Begriff die "leichten Mädchen" bezeichnet, die sich in Havanna und an anderen belebten Orten den Touristen andienen - obwohl Prostitution auf Kuba offiziell verboten ist. Es existiert aber auch die männliche Form des oben genannten Begriffs: "jinetero", also Reiter, werden Männer genannt, die Touristen auf der Straße ansprechen und sie - natürlich gegen Provision - mit Zigarren und Rum versorgen oder in ein nahegelegenes Restaurant vermitteln. Sprich, es sind Leute, die auf diesem Wege ein Stück vom dicken, fetten Tourismuskuchen abhaben wollen, der in Kuba nun einmal besser sättigt als jeder "normale" Beruf.
Über dieses Phänomen hatte ich vor meiner Ankunft in Havanna bereits gelesen. Trotzdem war ich in keinster Weise auf das vorbereitet, was mich am morgen nach meiner Landung erwartete, als ich erstmals auf die Straßen der Hauptstadt trat.
Unser Hotel "Inglaterra", angeblich das älteste Hotel auf ganz Kuba, liegt idyllisch mitten im Stadtzentrum am Parque Central. Nur wenige Schritte entfernt beginnt die Prachtstraße Prado (Paseo José Marti), die am Meer in den Malecón mündet. In der anderen Richtung ist das Kapitol ebenfalls nur wenige Meter entfernt, und auch die komplette übrige Altstadt - UNESCO-Weltkulturerbe seit 1982 - ist ohne Probleme zu Fuß zu erlaufen.
Genießen konnten wir diese tolle Lage am ersten Tag nach unserer Ankunft nicht. Denn die "jineteros" überfielen uns, sobald wir das Hotel verließen, mit einer Penetranz, die einen Mitteleuropäer zunächst einmal schockieren muss. Unmöglich, mehr als drei Schritte durch den Parque Central zu laufen, ohne angebaggert zu werden. In einer Karibik-Metropole wie Havanna wird man als blasser Deutscher selbstverständlich sofort als Tourist erkannt und entsprechend zum Abschuss freigegeben, wenn man nicht über bestimmte Abwehrmechanismen verfügt. Aber dazu mehr später.
"Hello my friend - where you from?". "Hello my friend, taxi? Taxi?". "Hello Amigo, Cigar?". Diese und ähnliche Fragen lesen sich eigentlich harmlos, werden aber zu einem Ärgernis, wenn sie von verschiedenen Seiten im Abstand weniger Sekunden auf den Besucher einprasseln. Abwehrende Handgesten oder Kopfschütteln bringen nichts, die "jineteros" lassen sich teilweise auch nach mehreren Versuchen nicht abschütteln.
Die Hoffnung auf echtes Interesse, das sich hinter dem Lächeln und den Fragen nach der Herkunft des Gastes verstecken könnte, musste ich bereits nach Kurzem begraben. Für einen "jinetero" sind Touristen in erster Linie wandelnde Geldautomaten. Mein Bild der Kubaner war deshalb in den ersten Stunden kein positives. Mir und meiner Begleiterin schlug dabei eine ganz spezielle Episode besonders auf den Magen, die ich jetzt erzählen will.
Wir beschlossen, über die Calle Obispo - eine der Haupteinkaufsstraßen in der Altstadt - zu den bekannten Plätzen aus der Kolonialzeit zu gelangen. Plaza de Armas, Plaza Vieja und Plaza de la Catedral liegen nur wenige Gehminuten voneinander entfernt und bilden ein malerisches Ensemble, das den Besucher mit Schönheit geradezu erschlägt. Doch der Weg dorthin, durch die beliebte Gasse, wurde für uns zu einem Spießrutenlauf. Nachdem wir den Fehler begangen hatten, einem "jinetero", der uns in ein Restaurant lotsen wollte, zu erzählen, in welchem Hotel wir wohnen, gingen wir dem direkt dahinter wartenden nächsten Schlepper in die Falle. Der junge Kubaner war mit seiner Frau unterwegs, die beiden bildeten eigentlich ein nett anzusehendes Paar. Wie alle seine Landsleute war auch dieser Mann sofort offen und herzlich - eigentlich ein wunderbarer Charakterzug, hier aber mit Hintergedanken. Er erzählte mir, dass er mich sofort wiedererkannt habe, da er im Hotel Inglaterra beim Frühstücksbuffet arbeite und mir heute den Kaffee ausgeschenkt habe. Sein Vater sei übrigens Barkeeper auf der Dachterrasse, wo ich am Vorabend direkt nach der Ankunft meinen ersten Mojito getrunken hatte.
So weit, so gut. Ich konnte nach nur einem Frühstück im Hotel die Gesichter der Angestellten natürlich nicht zuordnen und war bereit, dem Mann zu glauben. Die Alarmglocken gingen erst wieder an, als er uns erzählte, dass wir großes Glück hätten, schließlich sei just heute der "Tag der Zigarren". Einmal im Monat dürfe das kubanische Volk in den Zigarrenfabriken des Landes zum Vorzugspreis einkaufen - das hatte die Regierung angeordnet. Er zeigte auf einen Hauseingang in einer Nebengasse (was für ein Zufall, dass wir ihn genau an der Kreuzung zu dieser Straße getroffen hatten), wo der Weiterverkauf für das Volk organisiert wird. Auch wir könnten dort zum Spottpreis einkaufen. Dass die ganze Geschichte frei erfunden ist, erscheint im Nachhinein natürlich logisch. In der Hitze des Augenblicks hatte uns der "jinetero" kurzzeitig an der Angel.
Schließlich hatte er uns schon fast zum dunklen Hauseingang gelotst, bei dem weder ein Schild noch sonst etwas auf einen Verkauf hinwiesen. Als wir uns nun weigerten, weiterzugehen, fiel die Maske endgültig. Das Paar wollte von uns Geld haben. Nun hätte ich grundsätzlich kein Problem damit, Bedürftigen etwas zu geben. Vor allem in einem Land wie Kuba, in dem der durchschnittliche Arbeiter weniger als 20 Euro im Monat verdient und wo sich die Mütter oft nicht einmal Milch für ihre Babies leisten können. Wo es an banalen Dingen wie Stiften und Seife fehlt. Aber die Art und Weise, wie aufgeschlossene Touristen hier zum Narren gehalten werden, machte mich wütend und wir ließen die beiden einfach stehen.