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Bruno Eckhardt

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Beschreibung

FISCHER KOMPAKT. Verlässliches Wissen kompetent, übersichtlich und bündig dargestellt. Inhaltsverzeichnis Grundriss Deterministisches Chaos Mathematisches Pendel - Gleichgewichtspunkte - Pendel mit periodischem Antrieb - Der Satz von Kolmogorov, Arnold und Moser - Weitere konservative Systeme Dissipative Systeme Turbulenz Transientes Chaos Lyapunovexponent und Vorhersagbarkeit - Definition - Vorhersage - Wettervorhersage - Chaos und numerische Rechnungen Wann kann Chaos auftreten? Rekonstruktion und Chaos-Detektion Universelle Eigenschaften - Hufeisen- und Bäckerabbildungen - Seltsamer Attraktor Wege ins Chaos - Periodenverdopplung - Intermittenz - Quasiperiodische Bewegung und das Ruelle-Takens-Szenario Nützliches Chaos - Chaotische Advektion - Chaoskontrolle - Satellitenbahnen Quantenmechanik und Chaos Chaosforschung Vertiefungen - Frequenzanalysen - Periodische Bahnen - Rationale und reelle Zahlen - Billards - Sonnensystem - Lorenzmodell - Chemisches Chaos - Populationsmodelle - Apfelmännchen Frequenzanalyse Anhang - Glossar - Literaturhinweise (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Bruno Eckhardt

Chaos

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Inhalt

Grundriss1 Deterministisches Chaos2 Mathematische Pendel2.1 Gleichgewichtspunkte2.2 Pendel mit periodischem Antrieb2.3 Der Satz von Kolmogorov, Arnold und Moser2.4 Weitere konservative Systeme3 Dissipative Systeme4 Turbulenz5 Transientes Chaos6 Lyapunovexponent und Vorhersagbarkeit6.1 Definition6.2 Vorhersage6.3 Wettervorhersage6.4 Chaos und numerische Rechnungen7 Wann kann Chaos auftreten?8 Rekonstruktion und Chaos-Detektion9 Universelle Eigenschaften9.1 Hufeisen- und Bäckerabbildungen9.2 Seltsamer Attraktor10 Wege ins Chaos10.1 Periodenverdopplung10.2 Intermittenz10.3 Quasiperiodische Bewegung und das Ruelle-Takens-Szenario11 Nützliches Chaos11.1 Chaotische Advektion11.2 Chaoskontrolle11.3 Satellitenbahnen12 Quantenmechanik und Chaos11 ChaosforschungVertiefungenFrequenzanalysePeriodische BahnenRationale und reelle ZahlenBillardsSonnensystemLorenzmodellChemisches ChaosPopulationsmodelleApfelmännchenAnhangGlossarLiteraturhinweiseAbbildungsnachweise:[Bildteil]

Grundriss

1 Deterministisches Chaos

In der Philosophie steht Chaos für den ungeordneten Urzustand der Welt vor Beginn der Zeit. In der Schöpfung wurde das Chaos zurückgedrängt, wurden Form und Ordnung etabliert. Im allgemeinen Sprachgebrauch steht das Wort heute für Wirres, Ungeordnetes und Unbeherrschbares, für praktisch alles, was sich dem menschlichen Verständnis entzieht. Wir versuchen, Chaos zu vermeiden, es abzugrenzen und an den Rand zu drängen.

Dem Chaos gegenüber steht die geordnete, regelmäßige Welt. Sie wird beherrscht durch eine Fülle von kausalen Mechanismen und Ursache-Wirkungsbeziehungen. Nachvollziehbare und idealer Weise auch in mathematisch präzisen Gleichungen fassbare Relationen erlauben präzise Vorhersagen. Die geordnete Welt ist also deterministisch und vorhersagbar. Deterministisches Chaos scheint daher ein Widerspruch in sich zu sein. Wie kann ein System gleichzeitig deterministisch und chaotisch sein?

Es liegt zum Teil an der wissenschaftlichen Methode, dass diese Möglichkeit lange nicht beachtet wurde. Für die Ableitung von Ursache-Wirkungs-Beziehungen ist eine Idealisierung, eine Trennung zwischen relevanten und irrelevanten Einflüssen, erforderlich. Nur so können die entscheidenden Ursachen und Beobachtungsgrößen herauspräpariert und die Beziehungen zwischen ihnen geklärt werden. Wie weit man gelegentlich abstrahieren muss, mag das Beispiel der Fallgesetze verdeutlichen. Nach Galileo Galilei (1564–1642) sollen alle Körper im Schwerefeld der Erde gleich schnell fallen. Der senkrechte Sturz einer Metallkugel und das Torkeln einer Feder scheinen dem zu widersprechen. Wie Galilei erkannte, ist der Unterschied aber allein auf den Einfluss der Luft zurückzuführen: In einer luftleer gepumpten Röhre fallen Kugel und Feder in der Tat gleich schnell.

Wie bei dem Fallexperiment, gibt es bei jedem anderen Experiment unkontrollierbare störende Einflüsse von außen, Unsicherheiten bei den Messungen, gelegentlich systematische Verfälschungen durch den Aufbau des Experiments. Eine wesentliche Aufgabe bei der Analyse eines Experimentes besteht darin, diese Einflüsse zu quantifizieren und ihre Auswirkungen auf das Ergebnis abzuschätzen. So findet sich in den Lehrbüchern für ein mathematisches Pendel die Aussage, dass die Schwingungsdauer durch die Formel

gegeben ist. Dabei ist l die Länge des Fadens und g die Erdbeschleunigung. Grundlage dieser Formel sind die Annahmen, dass die Masse am Ende des Pendels als punktförmig angesetzt werden kann, die Masse des Fadens vernachlässigt werden darf, die Auslenkung klein ist und die Bewegung weder im Aufhängepunkt noch durch die Luft wesentlich gedämpft wird. Die experimentelle Verifikation wird dann noch durch die Präzision der Längen- und Zeitmessung und die Genauigkeit, mit der vorher die Erdbeschleunigung bestimmt wurde, beeinflusst. Treten Abweichungen zwischen Experiment und Theorie auf, so kann mit Methoden der Statistik abgeschätzt werden, wie wahrscheinlich bei den gegebenen experimentellen Möglichkeiten ein beobachteter Fehler ist. Systematische Abweichungen versucht man mit einer verbesserten theoretischen Formel oder einem besseren Aufbau in den Griff zu bekommen.

Voraussetzung für die Modellentwicklung sind also Situationen, in denen diese kleinen Fehler nicht unkontrolliert anwachsen, die kleinen Abweichungen also nur zu kleinen Fehlern im Ergebnis führen. Die Frage, ob kleine Störungen auch große Konsequenzen haben können, wurde Ende des 19. Jahrhunderts erstmals am Beispiel des Sonnensystems konkretisiert und beantwortet. Seit den Tagen von Isaac Newton (1643–1727) war die Mechanik zu einer der am weitesten entwickelten und ausformulierten physikalischen Theorien mit eindrucksvollen Erfolgen herangewachsen. Die Fortschritte in der Mathematik erlaubten die immer zuverlässigere Berechnung der Bahnkurven von Planeten aus den Newtonschen Axiomen und die Vorhersage von neuen Himmelskörpern aus Abweichungen zwischen beobachteten und berechneten Positionen. Das Vertrauen in die theoretische Mechanik war so groß, dass es nur noch eine Frage der Zeit schien, bis auch die Stabilität des Sonnensystems nachgewiesen werden konnte. Die Bewegungen der Planeten wird dominiert durch die Anziehungskraft der Sonne, der die gegenseitige Anziehung als kleine Störung überlagert ist. Werden sich die kleinen Störungen so aufschaukeln, dass ein Planet das Sonnensystem verlässt? Oder werden sich die Planeten für alle Zeiten in der Nähe ihrer jetzigen Bahnen bewegen?

Henri Poincaré (1854–1912) machte sich um 1885 an die Bearbeitung dieser Frage. Das System, das er untersuchte, war ein spezieller Fall des Dreikörperproblems, also der Bewegung von drei Körpern unter dem Einfluss der gegenseitigen Gravitation. Zunächst schien er zu einer positiven Antwort zu kommen: Kleine Störungen hatten auch nur kleine Effekte zur Folge. Kritische Nachfragen des schwedischen Mathematikers Edvard Phragmén führten dann aber zu einer erneuten Prüfung aller Möglichkeiten und zu einer verblüffenden Entdeckung: Kleine Störungen können doch große Effekte bewirken, sodass die Frage nach der Stabilität des Sonnensystems nicht ohne weiteres beantwortbar ist. Mit Bezug auf die Diskussion um Determinismus und Vorhersagbarkeit fasste Poincaré die Situation in seinem Buch Wissenschaft und Methode1912 so zusammen: »Wenn wir die Gesetze der Natur und den Anfangszustand exakt kennen würden, so könnten wir den Zustand des Universums zu jedem weiteren Zeitpunkt vorhersagen. Aber selbst wenn die Naturgesetze keine Geheimnisse mehr vor uns hätten, so könnten wir die Anfangsbedingungen doch nur genähert bestimmen. Wenn uns dies erlaubt, die folgenden Zustände mit der gleichen Näherung anzugeben, so sagen wir, dass das Verhalten vorhergesagt wurde, dass es Gesetzmäßigkeiten folgt. Aber das ist nicht immer der Fall: Es kann vorkommen, dass kleine Unterschiede in den Anfangsbedingungen große im Endergebnis zur Folge haben … Vorhersage wird unmöglich und wir haben ein zufälliges Phänomen.«

Die Arbeiten von Poincaré können als die Anfänge der Chaosforschung angesehen werden. Die von ihm entdeckten Strukturen treten in allen chaotischen Systemen auf und sind für Unvorhersagbarkeit und Chaos verantwortlich. Über viele Jahrzehnte wurden die Ideen von Poincaré nur sporadisch weiterentwickelt. Die Arbeiten von Kolmogorov, Arnold und Moser um 1960 und die Entdeckung der Hufeisenabbildung von Stephen Smale um 1966 sind weitere Meilensteine der Chaosforschung. Erst mit der Verfügbarkeit von elektronischen Rechnern und den verblüffenden Ergebnissen von Fermi, Pasta und Ulam (1956) zu gekoppelten Pendeln, von Hénon und Heiles (1964) zur Bewegung von Sternen in einer Milchstraße und von Lorenz (1963) über die Dynamik eines einfachen Modells für unser Wetter begann irreguläres Verhalten in deterministischen Systemen eine größere Zahl von Wissenschaftlern anzuziehen. Es sollte aber noch bis zum Jahre 1975 dauern, bis mit einer Arbeit von Ty Li und James Yorke mit dem Titel »Period three implies chaos« das Gebiet seinen heutigen Namen bekam: Deterministisches Chaos. Seitdem ist in vielen physikalischen, chemischen und biologischen Systemen, von schwingenden Pendeln über chemische Oszillationen bis zu gekoppelten Nervenzellen, die deterministische Dynamik analysiert und Chaos gefunden worden. Es wurden neue Gesetzmäßigkeiten entdeckt, in vielen Experimenten verifiziert und auf gesicherte mathematische Grundlagen gestellt. Wege ins Chaos wurden untersucht und in ihrer Vielfalt klassifiziert. Und schließlich wurden Anwendungen gefunden, in denen Chaos nicht störend ist, sondern nutzbringend eingesetzt werden kann.

Abb. 1: Stabile und instabile Gleichgewichtslagen für ein Pendel. Um den unteren Ruhepunkt führt das Pendel Schwingungen aus, vom oberen läuft es exponentiell schnell weg.

2 Mathematische Pendel

2.1 Gleichgewichtspunkte

Ein mathematisches Pendel besteht aus einem masselosen starren Stab, der sich reibungsfrei um einen Aufhängepunkt drehen kann, und einer Punktmasse, die am anderen Ende befestigt ist und im Schwerefeld der Erde nach unten gezogen wird. Anders als beim Uhrpendel oder der Schiffschaukel werden Überschläge zugelassen. Dann gibt es zwei Zustände, in denen sich die Kräfte balancieren und keine Bewegung erfolgt: einen, in dem das Pendel genau nach unten hängt, und einen zweiten, in dem es senkrecht nach oben zeigt, also auf die Spitze gestellt ist (Abb. 1).

Die untere Ruhelage ist stabil: Bei kleiner Auslenkung aus der Ruhelage beginnt das Pendel gleichmäßig von der einen Seite auf die andere zu schwingen. Die Dauer dieser Schwingung ist durch die Formel (1) gegeben. Ohne Reibung wird diese Bewegung immerfort andauern. Reibung bremst sie aus und bringt sie zum Erliegen. Man unterscheidet daher mit dem russischen Mathematiker Alexander Lyapunov (1857–1918) zwei Formen der Stabilität: eine einfache, bei der das System eine Umgebung des Ruhepunktes nicht verlässt, und eine asymptotische, bei der das System für lange Zeiten wieder auf den Ruhepunkt zuläuft. Der untere Ruhepunkt eines Pendels ist daher ohne Reibung einfach stabil, mit Reibung asymptotisch stabil. In der Umgebung dieser Punkte haben kleine Störungen auch nur kleine Auswirkungen.

Die obere Ruhelage ist instabil: Kleine Auslenkungen führen dazu, dass das Pendel nach der einen oder anderen Seite herunterfällt. Die Störung selbst mag unmerklich klein sein, der Ausschlag nach der einen oder anderen Seite ist klar erkennbar. In einer solchen instabilen Situation verlassen die Bahnen die Umgebung des Gleichgewichtspunktes und erkunden neue Systemzustände.

Für die weiteren Betrachtungen ist es nützlich, ein Element der mathematischen Beschreibung der Systeme aufzugreifen und den Raum aller Zustände, den Phasenraum, einzuführen. Ein Phasenraum hat so viele Zustandsvariablen, wie zur eindeutigen Festlegung des Systemzustandes erforderlich sind. Bei einem mechanischen System ist die Bewegung eindeutig durch Angabe des Ortes und der Geschwindigkeit festgelegt. Daher ist für das Pendel der Phasenraum eine Ebene, aufgespannt durch eine Winkelangabe φ und eine Geschwindigkeit v. Die beiden Ruhelagen sind durch die Geschwindigkeit v0 und den jeweiligen Winkel festgelegt. Im Falle des unteren Umkehrpunktes ist das der Winkel φ0°. Für den oberen Umkehrpunkt kann der Winkel Φ180° oder Φ=–180° sein: Dem Unterschied von 360° entspricht eine komplette Drehung des Pendels, die physikalisch auf denselben Zustand führt. Daher können Winkel, die außerhalb des Intervalls von –180° bis +180° liegen, durch Hinzufügen oder Abziehen von 360° wieder in das Intervall zurückgeführt werden. Mathematisch gesprochen, wird die Ebene auf einen Zylinder aufgerollt.

Abb. 2: Übertragung der Bewegungszustände eines Pendels auf eine Kurve im Phasenraum. Aus der periodischen Schwingung wird eine geschlossene Kurve (a–e). Die im Uhrzeigersinn überschlagenden Bewegungen laufen im Phasenraum von –180° bis +180°, werden dann auf –180° zurückgesetzt und durchlaufen die Bahn erneut (f). Entsprechendes gilt für die gegen den Uhrzeigersinn überschlagenden Bewegungen (g).

Die Schwingungen, die das Pendel um den unteren Gleichgewichtspunkt ausführt, werden zu geschlossenen Kurven im Phasenraum (siehe Abb. 2). In der Umgebung des stabilen Ruhepunktes finden sich nur geschlossene Bahnen. Man spricht daher auch von einem elliptischen oder O-Punkt.

In der Umgebung des oberen Umkehrpunktes gibt es Bahnen, die wieder umkehren, und solche, die überschlagen. Neben dem Ruhepunkt selbst sind vier Bahnstücke besonders ausgezeichnet. Da gibt es die Bahnen, die nie zurückfallen oder überschlagen und dem Ruhepunkt immer näher kommen. Das Pendel wird immer langsamer und erreicht nach unendlich langer Zeit den oberen Umkehrpunkt. Von diesen Bahnen gibt es zwei Stück, je nachdem, ob das Pendel im Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzeigersinn nach oben läuft. Man nennt sie die stabilen Mannigfaltigkeiten, weil sie Bewegungen beschreiben, die auf den Ruhepunkt zulaufen. Genauso gibt es Bewegungen, die vor unendlich langer Zeit im Ruhepunkt waren und nun nach unten fallen. Auch hiervon gibt es zwei, je nachdem, ob das Pendel im Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzeigersinn herunterfällt. Dies sind die instabilen Mannigfaltigkeiten, die die Bewegung, die vom Ruhepunkt wegführt, beschreiben (Abb. 3).

In der Umgebung eines bestimmten Punktes finden sich also kreuzförmig angeordnete stabile und instabile Mannigfaltigkeit und hyperbelartige Bruchstücke von Bahnen, die überschlagen oder zurückfallen. Man spricht daher auch von einem hyperbolischen oder X-Punkt.

Abb. 3: Phasenraumstrukturen beim ungestörten Pendel: Um den stabilen elliptischen Gleichgewichtspunkt finden sich geschlossene Kurven für die Schwingungsbewegung. In der Umgebung des instabilen hyperbolischen Gleichgewichtspunktes kreuzen sich die stabilen (Ms ) und instabilen (Mu) Mannigfaltigkeiten.

Das besondere beim ungestörten Pendel ist, dass die stabilen und instabilen Mannigfaltigkeiten zusammenfallen: wenn das Pendel im Uhrzeigersinn längs der instabilen Mannigfaltigkeit herunterfällt, so steigt es auf der anderen Seite längs der entsprechenden stabilen Mannigfaltigkeit wieder hinauf. Entsprechendes gilt für die Bewegung gegen den Uhrzeigersinn.

2.2 Pendel mit periodischem Antrieb

Das Pendel ist ein einfaches, schwingungsfähiges System, in dem stabile und instabile Gleichgewichtspunkte realisiert sind. Mit Poincaré können wir jetzt untersuchen, was passiert, wenn zusätzlich zur Gravitation eine weitere Kraft auf das Pendel einwirkt. Um den deterministischen Charakter der Dynamik zu erhalten, muss auch diese Kraft selbst deterministisch sein. Wir wählen dazu eine harmlos erscheinende kleine Modifikation: der Aufhängepunkt sei nicht mehr fixiert, sondern bewege sich mit einer einfachen Sinusschwingung in der Vertikalen (Abb. 4). Nun wird die Entscheidung, ob das Pendel oben überschlagen wird oder nicht, entscheidend durch die Phasenlage des Antriebes beeinflusst. Nähert sich das Pendel dem oberen Umkehrpunkt in einer Phase, in der das Pendel nach unten zieht, so wird es zusätzlich zur Mitte hin beschleunigt und die Störung hilft beim Überschlag. Bewegt sich der Aufhängepunkt allerdings in der Phase der Annäherung nach oben, so wird der Schwung des Pendels aufgefangen und es kann noch vor dem Überschlag zurückgeworfen werden. In welcher Phase das Pendel beim nächsten Anlauf auf den oberen Ruhepunkt wieder zurückkommt, hängt davon ab, wie lange es braucht, durch den unteren Ruhepunkt zu schwingen und wieder hochzulaufen: Da auch dies durch die Bewegung des Aufhängepunktes mitbestimmt wird, ist das Verhalten des Pendels das Ergebnis eines komplizierten Wechselspiels zwischen Schwerkraft und Bewegung des Aufhängepunktes. Dies führt dazu, dass die Bewegung nun nicht mehr einfach periodisch ist, sondern eine unregelmäßige Abfolge von erfolgreichen und gescheiterten Anläufen auf einen Überschlag zeigt.

Abb. 4: Pendel mit periodisch moduliertem Aufhängepunkt. Je nachdem ob sich der Aufhängepunkt nach unten oder nach oben bewegt, kann bei Annäherung an die vertikale Position ein Überschlag erfolgen oder nicht.

Abb. 5: Reduktion der kontinuierlichen Bewegung auf eine diskrete Abbildung durch eine stroboskopische Betrachtung der Orte und Geschwindigkeiten zu jeder vollen Periode.

Um nun einen Überblick über die gesamte mögliche Dynamik des Pendels zu bekommen, wird üblicherweise ein Trick angewendet, der auf Poincaré zurückgeht: Anstatt die Bewegung kontinuierlich in der Zeit zu verfolgen, werden Ort und Impuls nur noch stroboskopisch zu jeder Periode des äußeren Antriebes notiert (Abb. 5). Aus der kontinuierlichen Bahn in Winkel, Geschwindigkeit und Zeit wird eine diskrete Folge von Punkten in Winkel und Geschwindigkeit zu Zeiten, die Vielfache der Periode sind. Die Vorschrift, mit der aus den Orten und Geschwindigkeiten zu einer Zeit die Orte und Geschwindigkeiten nach einer Periode ausgerechnet werden, heißt stroboskopische oder Poincaré’sche Abbildung. Mathematisch gesehen, geht bei dieser Reduktion der kontinuierlichen Bewegung auf eine diskrete Abbildung wenig verloren, da die Bewegung über eine Periode hinweg recht glatt verläuft.

Angewandt auf das ungestörte Pendel, ergibt sich das in Abb. 6 gezeigte Punktemuster. Für die Interpretation wichtig ist das Verhältnis zwischen der Periode der ungestörten Bewegung und der des Antriebes. Stehen beide in einem rationalen Verhältnis zueinander, so hat eine Bahn nur endlich viele Durchstoßpunkte. Sind die Frequenzverhältnisse irrational, so gibt es unendlich viele Durchstoßpunkte, die auf einer glatten Kurve zu liegen kommen. In diesen glatten Kurven spiegelt sich die Tatsache wider, dass ohne Antrieb die Energie erhalten ist. Im vollen Phasenraum bilden die Kurven eine Röhre, die den stabilen unteren Ruhepunkt umschließt. Da sich die Zeitkoordinate mit der Periode des äußeren Antriebs wiederholt, können die Enden der Röhre zu Beginn und am Ende einer Periode zusammengefügt werden. So entsteht ein Torus. Beim Pendel trennt ein Torus den Phasenraum in zwei Gebiete, zwischen denen kein Übergang möglich ist.

Abb. 6: Stroboskopische Abbildung für ein Pendel mit periodischem Antrieb durch vertikale Bewegung der Aufhängung. Links: ungestört; rechts: mit periodischer Modulation.

Wird die Amplitude der periodischen Störung von Null weg erhöht, so ergibt sich das Bild in Abb. 6 (rechts). Einige der geschlossenen Kurven um den unteren Ruhepunkt und einige der schnell umschlagenden Pendelbewegungen bleiben bestehen. Dazwischen finden sich aber Ketten von Ovalen: Sie gehen aus Bahnen hervor, deren ungestörte Umlaufzeit in einem rationalen Verhältnis zur äußeren Periode steht. In einer solchen resonanten Situation gibt es eine besonders starke Wechselwirkung zwischen den ungestörten Bahnen und der Störung, die zu großem Energietransfer und zu einer starken Änderung in der Bahn führen kann. Bekannte Beispiele dafür sind die Rückkopplung zwischen Lautsprecher und Mikrofon oder der Höhengewinn, der auf einer Schaukel durch periodische Schwerpunktsverlagerung möglich ist. Der resonante Energietransfer hält aber nicht dauerhaft an: Durch die größere Amplitude ändern sich die Rückstellkräfte, die Periode wird länger, die Resonanzbedingung ist nicht mehr erfüllt. Das führt dazu, dass der Schwingung des Pendels eine periodische Modulation der Amplitude überlagert wird.

Abb. 7: Zwei Pendelbahnen mit leicht verschiedenen Anfangsbedingungen: sie laufen über eine Weile synchron, bis dann die eine noch mal überschlägt und die andere weiter schwingt.

Die Auswirkungen eines resonanten periodischen Antriebs sind von Poincaré und George David Birkhoff (1884–1944