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Ob hügelige Küstenpfade, Wege durch duftende Wälder oder idyllische Landschaften – Wanderprofi Manuel Andrack kennt die schönsten Wanderwege in Europa und beschreibt mit viel Wissen und einer Prise Humor 40 ganz unterschiedliche Routen in 22 Ländern. Perfekt für alle, die Wanderglück in vollen Zügen erleben möchten. Lassen Sie sich gerade von kleinen, bezaubernden Wegen überraschen und erleben Sie Natur pur, Freiheit und erfrischende Auszeiten vom Alltag!
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Seitenzahl: 211
Veröffentlichungsjahr: 2025
» Wer die Natur nicht durch die Liebe kennen lernt, der wird sie nie kennen lernen.
Friedrich von Schlegel
Manuel Andrack
CHARMANTE
Traumhaft entspannte Routen in 22 Ländern
VORWORT
40 charmante Wanderungen in 22 europäischen Ländern
BELGIEN
1Das »Kreuz der Verlobten« im Hohen Venn
2Die Bier-Trikolore und das Tal der Feen
3Die Grenzsteine von Orval
DÄNEMARK
4Im Reich des Klippenkönigs
ENGLAND
5Der schönste Weg von Cornwall
FRANKREICH
6Paris à pied
7Am Kloster Sainte-Odile in den Vogesen
GRIECHENLAND
8Der Ursprung von Europa
9Wanderung in die Historie von Kreta
10Zum Eremiten und zur Piratenbucht
11Eine reizvolle Alternative zur Samaria-Schlucht
IRLAND
12Arthur Young’s Walk am Muckross House
13Die schonungslose Wahrheit über das Wandern an den Cliffs of Moher
14Auf dem Kerry Way
ISLAND
15Die Highlights der Insel in 24 Stunden
ITALIEN
16Der Rilkeweg bei Triest
17Ischia, ein heißes Pflaster
KROATIEN
18Die Franz-Joseph-Promenade
LIECHTENSTEIN
19Quer durch ein märchenhaftes Fürstentum
LUXEMBURG
20Schengen grenzenlos
21Eine portugiesische Enklave in der luxemburgischen Schweiz
22Auf dem Éislek-Pfad von Diekirch
NIEDERLANDE
23Meinvennen: Dünen, Wälder, Heide
NORDMAZEDONIEN
24Der Hausberg von Skopje
NORWEGEN
25Preikestolen – der Fels zum Fremdfürchten
ÖSTERREICH
26Süßes und Saures in Altaussee
27Waldbaden in Leogang: Spürst du die Kraft, die dich umflutet?
PORTUGAL
28Auf dem »Caminho« am Atlantik
29Der Faulenzerweg
30Das zauberhafte Dourotal
RUMÄNIEN
31Von der Fledermaushöhle zum Dracula-Schloss
32Achtung, Bärenkot!
SCHOTTLAND
33Harry Potter und der West Highland Way
SCHWEDEN
34Schwalbenschwanz, nicht Bullerbü
35Die Lieblingswanderung von H. K. H. Kronprinzessin Victoria
SCHWEIZ
36»Es führt kein andrer Weg …«
37Der Richter, sein Henker und die Twannbachschlucht
SPANIEN
38Costa Brava – bravo!
39Wandern auf Mallorca – Pro und Contra
TSCHECHIEN
40Eine böhmische Wandersensation
Der Autor
Ein sehr charmanter Ort: Bucht und Palmenwald von Preveli auf Kreta. Ob in Griechenland wirklich die Demokratie erfunden wurde, darüber streiten die Experten. Aber in Griechenland wurde Europa – nein, nicht erfunden – aber gefunden. Und zwar von der Dame gleichen Namens in Begleitung eines Stiers. An diesem Strand begann die Geschichte unseres Kontinents …
» Charme ist anziehender als Schönheit.
Georges Guilbert
Was soll das sein, eine charmante Wanderung? Ich finde es sehr charmant, wenn eine Wandertour ein Lächeln ins Antlitz zaubert. Wenn man nach der Wanderung glücklicher ist als zuvor. Wenn man nicht nur die Natur, sondern auch Bier, Wein, Speisen eines fremden Landes mit Freude genießt. Es ist äußerst charmant, wenn eine Wanderung kurz ist, nicht zu anstrengend. Vielleicht eine schöne Alternative zum Strandurlaub. Charmant ist es, wenn die Wanderung eine Geschichte erzählt. Über einen dänischen Klippenkönig, über einen Mordfall im Schweizer Jura, über zwei Verlobte, die eine Nachtwanderung im Hohen Venn nicht überlebten. 40 charmante Wanderungen in vielen europäischen Ländern habe ich in diesem Bildband beschrieben.
Um eine oft gestellte Frage zu beantworten: Ja, ich bin alle diese Wege tatsächlich gewandert. Persönlich, das habe ich nicht delegiert. Zwar bin ich als Fan der Deutschen Mittelgebirge bekannt, habe aber in den letzten 25 Jahren immer auch einen interessierten Blick in europäische Landschaften geworfen. Einige internationale Wandererfahrungen hatte ich also schon. Als aber der Plan reifte, ein ganzes Buch über das wanderbare Europa zu schreiben, machte ich Reisepläne. Ich war noch nie auf Kreta gewandert, obwohl dort die Namensgeberin unseres Kontinents auf dem Rücken eines weißen Stiers angekommen ist. Ich wollte die grüne Insel Irland zu Fuß erleben. Spoiler: Das Klischee stimmt, Irland ist verdammt grün. Es reizte mich sehr, in den wilden rumänischen Karpaten zu wandern. Auch Portugal, das westlichste Land Europas, war bisher ein weißer Fleck auf meiner persönlichen Wanderkarte. Ein No-Go.
Warum fängt dieses Buch mit einem belgischen Wanderweg an? Ich brauchte eine sinnvolle Reihenfolge der europäischen Wanderländer. Nach Größe sortiert? Von West nach Ost, von Nord nach Süd? Langweilig, Erdkundeunterricht 5. Klasse. Dann habe ich alle europäischen Länder, in denen ich gewandert bin, alphabetisch angeordnet. Das hat mir sehr gut gefallen. Aufmerksame Leser werden bemerken, dass ich Schottland und England nicht politically correct zu »G« wie »Großbritannien« gestellt habe. Ich fand das einfach schöner so. Schließlich ist jeder Engländer zunächst mal Engländer und dann erst Brite. Bei den Schotten gilt dasselbe. Bei Fußball-EMs oder WMs gibt es ja auch keine Mannschaft aus Großbritannien, sondern hübsch getrennt: England, Wales, Schottland, Nordirland. Ich hatte sogar zunächst überlegt, die kretischen Wege (und es sind ausschließlich kretische Wege) unter »K« einzuordnen. Weil ich aber weiß, dass die Kreter allesamt überzeugte Griechen sind, habe ich das unterlassen. Bekanntlich lügen Kreter nie. So geht es also kreuz und quer durch den Kontinent: Länder mit Küste und ohne Küste; Länder mit Bergen, Länder mit Hügeln, flache Länder; Länder mit gutem Bier und Länder mit gutem Wein. Länder mit gutem Bier und gutem Wein, alles durcheinander. Europäische Wandervielfalt.
» Europa ist ein Staat, der aus mehreren Provinzen besteht.
Charles de Secondat, Baron de Montesquieu
Collie-Hündin Mulan bewacht einen Grenzstein an der belgisch-französischen Grenze. Der Bischofsstab weist auf die Ländereien des Klosters Orval hin.
Nun wünsche ich Ihnen charmante Momente beim Lesen und Blättern in meinem Bildband!
Manuel Andrack
Belgien steht für Vielfalt: Die Landessprachen Französisch, Flämisch, Deutsch. Die unglaubliche Bandbreite der Bier-Köstlichkeiten – vor allem aus Trappistenklöstern wie dem Kloster Orval. Sensationell außerdem: die Vielfalt der Landschaftsformen
» Wanderer im schwarzen Wind; leise flüstert das dürre Rohr in der Stille des Moors.
Georg Trakl
Das Hohe Venn ist ein ausgedehntes, unbewohntes Hochplateau in der Westeifel und im östlichen Belgien, der Name kommt vom niederländischen Veen (= Moor). Eine ursprüngliche, leere, karge, eine menschenfeindliche Natur. In der Nähe unserer Wandertour liegt die Botrange, mit 694,24 Metern die höchste Erhebung Belgiens. Man hat zu Ehren eines Barons oben noch einen Hügel aufgeschüttet, damit Belgien auf über 700 Meter hinaufwächst. Als Kinder hätten wir geschimpft: »Dat gilt et nicht!«
Wir starten an der Baraque Michel, einem Restaurant. Die Geschichte dieses Gebäudes ist spannend. Es lebte dereinst in Sinzig am Rhein ein gewisser Michael Schmitz. 1794, um den vorrückenden Revolutionsheeren der Franzosen zu entgehen, floh der gute Mann und verirrte sich im Hohen Venn. Etwas rätselhaft bleibt, warum Michael nicht Richtung Osten floh, sondern in westlicher Richtung, den Franzosen entgegen. Egal, es ist wahrscheinlich nur eine Legende. Michael verlor also auf dem riesigen Hochplateau die Orientierung und versank in einem Moor. In höchster Lebensgefahr schwor sich der Rheinländer: Wenn ich das hier überlebe, widme ich mein Leben der Rettung anderer Menschen im Hohen Venn. Michael (auf Französisch Michel) überlebte und baute die erste Rettungshütte, die Baraque Michel. Seit der Errichtung der ersten kleinen Holzhütte durch Michael Schmitz sind immerhin 126 Menschen vor den rauen Naturgewalten des Hohen Venn gerettet worden. Trotzdem gab es immer wieder Tote, dazu gleich mehr.
Wir gehen an der Fischbachkapelle vorbei und ins Venn hinein. Am stimmungsvollsten ist es, wenn im Spätherbst die Nebelschwaden über die hohe Ebene ziehen, wenn es kalt ist und nass und man die Hand nicht vor Augen sieht. Wenn man dann mit einer größeren Gruppe unterwegs ist, sollte man immer mal wieder nachzählen, ob noch alle Wanderer dabei sind. Für die Recherche dieses Bildbands war ich erstmals im Winter im Hohen Venn unterwegs. Es war knackig kalt, als ich an einem Januarmorgen losging. Minus neun Grad. Alles eingeschneit, die Wege aber auch ohne Stöcke gut begehbar. Die Kulisse war traumhaft, das Eis war an den dürren, klein gewachsenen Bäumen am Wegrand festgefroren, sodass die Verästelungen der Zweige aussahen wie riesige Eiskristalle. Am Wegrand eine kleinteilige Buckel-Landschaft – die Büschel der Wollgräser, die stets aus dem Boden schauen, waren eingeschneit und formten die Fläche wie mit weißen Noppen. Eine gleißende Morgensonne sorgte für Glücksschauer, die den Körper durchfluteten. Oder war das nur der eisige Wind, der durch die vielen Schichten am Körper zog?
Nach ungefähr anderthalb Kilometern ziehen ein Grenzstein und ein Holzkreuz linker Hand unsere Aufmerksamkeit auf sich. Das Kreuz der Verlobten, La Croix des Fiancés, erinnert an die tragische Geschichte von Marie und François. Die beiden hatten sich im Januar 1871 auf den Weg gemacht, um in einem Nachbardorf die Unterlagen für ihre bevorstehende Hochzeit zu besorgen. Sie gingen nachts und wurden Opfer der Kälte und des menschenleeren Venns. Die Leichen fand man in einigem Abstand, wahrscheinlich wollte François noch Hilfe holen, verstarb dann aber im Sumpf. So konnte keine Hochzeit gefeiert werden. In der Nähe der Fundstelle von Maries Leiche wurde das schlichte Kreuz errichtet.
Überragt wird es gleich daneben von einem schlanken Grenzstein. Darauf steht auf der einen Seite ein »B« für Belgien, auf der anderen ein »P« für Preußen. Die ostbelgische Grenzregion war nach dem Wiener Kongress 1815 den Preußen zugesprochen worden, seitdem sprechen die Bewohner von Eupen und St. Vith Deutsch. Wir gehen also auf der alten Grenze zwischen Belgien und dem deutschen Kaiserreich. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg musste Deutschland die Gebiete auf dem Hochmoor an Belgien abtreten. So gibt es bis heute die »Deutschsprachige Gemeinschaft« im Osten Belgiens. Nachdem sich der flämische und der wallonische Teil Belgiens mal wieder in den Haaren gelegen hatten, wurde von der »Deutschsprachigen Gemeinschaft« als Drohkulisse eine Ablösung von Belgien in Erwägung gezogen. Man könne sich ja auch selbstständig machen; oder sich einer eigenständigen Wallonie anschließen; oder Teil Luxemburgs oder wieder mal Teil Deutschlands werden. Nach einem klaren Plan hörte sich das nicht an.
Kurz hinter Grenzstein und Kreuz gehen wir links und in den Wald hinein. Das Hohe Venn hat nicht ausschließlich die spärlich bewachsene Moorlandschaft zu bieten, sondern auch ausgedehnte Waldgebiete. Schon bald laufen wir über schmale Holzbohlenstege, die über größere Feuchtgebiete führen. Holzbohlenwege verbreiten eine ganz eigene Faszination. Sie geben den Weg exakt vor, Abweichungen sind nicht drin. Sie schonen die Natur und die Gelenke, weil es sich angenehm federnd auf ihnen gehen lässt. Und sie sind schön anzusehen. Wir werden Holzbohlenwege in diesem Bildband oft wiedertreffen. Auf dem portugiesischen Caminho an der Atlantikküste; in den flacheren Abschnitten beim Aufstieg zum norwegischen Preikestolen; beim Waldbaden-Weg im Salzkammergut. Holzbohlenwege sind überaus charmant.
Die Fischbach-Kapelle neben der Baraque Michel und ein Holzsteg in zauberhafter Winterwanderwelt
Bizarre Bäume in mystischdunstiger Atmosphäre. Das Hohe Venn ist in jeder Jahreszeit zu empfehlen.
Die tief stehende, erst vor Kurzem aufgegangene Sonne lässt den vereisten Schnee vor unseren Füßen in allen Regenbogenfarben glitzern. Ein wunderbares Schauspiel, wenn der Schnee so lebendig wird. Ich hatte beim Winterspaziergang meinen Hund dabei. An einer schmutzig-braunen Schlammfläche, die den weißen Weg querte, sah ich, dass er Probleme hatte. Die Beine versanken im Morast, nur mühsam konnte er sich befreien und wieder auf die Schneefläche springen. Da hätte ich beinahe ein kleines Kreuz für meinen Hund aufstellen müssen. Ich war gewarnt, nahm Anlauf, versuchte, die große Schlammpfütze zu überspringen. Und schaffte es knapp: nicht. Das rechte Bein war bis zur Wade eingesunken. Alles schmutzig und nass. Egal, überlebt.
Die Venn-Landschaft macht Wanderer glücklich. Weil die Natur ursprünglich ist und die Landschaft offen. Aber ganz wichtig: Immer auf den Wegen bleiben!
Mit einigen Einschränkungen darf man im Venn unterwegs sein.
Baraque Michel
Die zweite Hälfte des Rundwegs ist wenig spektakulär. Breite Forstwege, nicht viele Ausblicke. Schon kommt das Dach der Baraque Michel in Sicht, die nicht nur Menschenleben rettet, sondern auch Hungernden und Dürstenden eine Heimstatt bietet. Im Restaurant kann man Wildspezialitäten genießen. Die Bierkarte ist sensationell. Belgisches Industriebier (Stelle Artois), aber auch verschiedene Sorten eines selbst gebrauten Bieres, das Bière de la Baraque Michel. Zusätzlich Biere für Feinschmecker, zum Beispiel das blonde Zwergenbier aus Achouffe und Trappistenbiere aus Westmalle und Orval.
Da schließt sich sehr charmant der Kreis unserer weiteren belgischen Wanderabenteuer.
Hohes Venn, Rundweg Baraque Michel
Länge: 6 km, leicht
»Das Kreuz der Verlobten« (La Croix des Fiancés) ist ein Rundweg, der am Restaurant Baraque Michel startet. Der komplette Rundweg ist mit einem quer liegenden roten Rechteck gezeichnet.
Das Restaurant ist von Donnerstag bis Sonntag geöffnet, durchgehend von 10.30 bis 22.00 Uhr.
www.baraquemichel.com
» Der Zwerg selbst findet, sei er noch so klein, den Kleineren, dem er mächtig imponiert.
Lord Byron
Was sind die drei Sachen, die einem zu Belgien als Erstes einfallen? Bier, Fritten, beleuchtete Autobahnen. Wanderwege werden in Belgien nicht beleuchtet, das ist gut. Pommes frites kann man bei der Einkehr nach einer Wanderung fast überall bekommen. Das belgische Bier ist deutschen Hopfentee-Puristen ein Gräuel, denn auf germanische Reinheitsgebote wird im Frittenland nicht geachtet. Dafür liebt der Rest der Welt die belgischen Biere, weil sie eben Weltklasse sind.
Das Zwergenleben ist nicht immer lustig. Schwer gebückt schleppt der Brauerei-Zwerg die Braugerste, ausschließlich für’s Plaisir des Zechers.
Und natürlich kommt man nur auf die Idee, im Ardennen-Örtchen Achouffe zu wandern, weil dort das berühmte Chouffe-Bier gebraut wird. Wer mit dem Pkw zum Wanderabenteuer fährt und Bier trinken möchte, ist gut beraten, die Bierverkostung in der Brasserie d’Achouffe vor der Wanderung einzuplanen. Auf allen Bierflaschen und -gläsern der Chouffe-Brauerei ist ein lustiger Zwerg mit roter Zipfelmütze abgebildet. Je nach Sorte fährt der lustige Zwerg auf dem Einrad, pflückt Hopfen oder erntet Kirschen. Nach ausgiebigem Studium der Bierkarte entscheide ich mich für einen Klassiker: Chouffe Blonde, außerdem ein köstliches Kirschbier: Chouffe Cherry. Dazu das Dunkelbier McChouffe, auf dem der Zwerg natürlich Schottenrock trägt und einen Dudelsack geschultert hat. Ich stelle die drei Biere in der richtigen Reihenfolge nebeneinander, links das Schwarzbier, in der Mitte das Blonde, rechts das rote Kirschbier – voilà die belgische Trikolore. Da staunen die Kellner, auf die Idee waren sie noch nicht gekommen.
Wir starten unsere äußerst charmante Wandertour auf dem Rundwanderweg La Vallée des fées, Tal der Feen. Wir gehen wenige Schritte an der Hauptstraße, sofort rechts. Die Chouffe-Brauerei liegt links von uns. Natürlich hat einer der drei riesigen weißen Braukessel die Zwergenmütze auf, Corporate Identity ist alles. Wahrscheinlich sind auch die Mitarbeiter der Brauerei verpflichtet, täglich die rote Kopfbedeckung zu tragen. Dann geht es rechts auf einem recht schönen Weg an vielen Fischteichen vorbei. Schnell verwandelt sich wie von Zauberhand – hex-hex – der recht schöne Weg in einen phänomenalen Pfad an einem märchenhaften Bach. Der Gedanke liegt nah: Das muss schon das Tal der Feen sein. Aber nein, das kommt ja erst später. Zwei Möglichkeiten: Entweder existieren zwei Täler der Feen oder das wunderbare Tal am Anfang der Tour ist das Tal der Zwerge. Der Bach plätschert, rauscht und strudelt, wir überqueren das Gewässer über eine Brücke und folgen der Markierung unseres Weges, der Zahl 27 und einem blauweiß-blauen Wegzeichen. Ein Schild informiert den Wanderer: »Ici le castor est roi«. Man versteht es sehr gut, weil unter der Schrift ein gezeichneter Biber einen Baumstamm quer liegend anknabbert. So, so, castor heißt also auf Französisch Biber, wieder was gelernt. Ein weiteres Mal queren wir den Bach, verlassen das Tal und gehen bergan.
Die belgische Trikolore mal ganz anders. Allerdings nur eine Momentaufnahme, zwanzig Minuten später war von der Farbigkeit nichts mehr zu erkennen – alle Gläser leer.
Auch dieser Wegabschnitt hat seinen eigenen Charme. Die Landschaft öffnet sich, am Wegrand stehen gewaltige Ginstersträucher Spalier. Auf der Anhöhe dann wieder Szenenwechsel. Dichter Tannenwald, ein schöner Weg auf federndem Waldboden. Ein Weg für alle Sinne, denn es riecht anders in diesem Wald im Vergleich zur Ginsterparade zuvor – vor allem ist die Geräuschkulisse eine ganz andere. Totale Stille im Vergleich zum tosenden Bach. Nicht absolute Stille natürlich, sondern natürliche Stille, denn die Vögel geben ein herrliches Konzert. Ich versuche, mithilfe meiner Vogelstimmen-App die Arten zu bestimmen, habe aber leider keinen guten Empfang. Was andererseits auch ein gutes Zeichen ist, nicht ständig und überall empfangsbereit zu sein.
An der Brauerei mit der roten Zipfelmütze verläuft der Wanderweg zum Tal der Feen. Ob allerdings die fleißigen Bienen in den Bienenstöcken am Teich Grundlagen zum Bier liefern, war nicht herauszufinden. Bei belgischem Bier weiß man ja bekanntlich nie …
Im Tal der Feen. Bitte leise wandern, wir sollten die Fabelwesen nicht stören.
Es macht großen Spaß durch diesen Wald zu gehen, auch in dem Bewusstsein, »oben« zu sein, denn wir haben den höchsten Punkt unserer Wanderung schon lange erreicht. Wer sagt denn, dass ausschließlich Achterbahn-Wandern mit vielen Höhenmetern Spaß macht? Eine große Befriedigung kann man auch beim Geradeausgehen empfinden. Den Waldboden spüren, den Geruch der Tannen atmen, die unerkannten Vögel genießen, sich an den Wurzeln auf dem Weg und dem giftgrünen Moos zwischen den Bäumen erfreuen. Später wieder etwas Ginster, wieder eine etwas freiere Fläche, dann geht es hinunter ins Tal der Feen.
Wir gehen auf steilen Wegen, die sich in den Waldboden gegraben haben, der zweite märchenhafte Bach ist schon akustisch wahrnehmbar. An der Moulin de Wilogne, einer alten Mühle, erreichen wir den Bach, der laut Google Maps Martin-Moulin heißt. Ein sehr unfeenhafter Bachname. Unser deutsches Wort Fee hat übrigens seine Wurzeln in der altfranzösischen Literatur, aber erst seit William Shakespeare’s Sommernachtstraum hat sich die Vorstellung durchgesetzt, Feen wären rein weibliche Fabelwesen mit transparenten Flügelchen. In Zeiten der Gendergerechtigkeit gehen wir mal davon aus, dass es männliche und weibliche Feen gibt, genauso wie gute und böse Feen existieren. Wir gehen am Rande eines Fichtenwalds auf einem Wurzelpfad am Bach entlang. Später weitet sich das Tal und wir suchen und finden unseren Weg in einer Auenlandschaft, nach heftigen Regenfällen ist dieser Abschnitt mit Sicherheit überflutet. Ein wenig anspruchsvoll wird es noch, denn es geht einen steilen Buckel hinab, immerhin so steil, dass ein Seil als Geländer zur Absicherung angebracht ist.
Viel zu schnell erreichen wir die ersten Häuser von Achouffe und verabschieden uns von den Feen und Zwergen. Auf ein weiteres Bier in der Brasserie verzichten wir, aber die Brauerei unterhält Gott sei Dank einen Fanshop, in dem man sich reichlich mit Zwergengetränken versorgen kann. Nur eine rote Mütze habe ich nicht gesehen, die hätte ich gerne als Andenken mitgenommen.
Die »steilste« Passage des Wegs durch den Ginster
Kletterpassage im Feental
Achouffe: durchs Tal der Feen
Länge 5,3 km, leicht
Auf der Homepage der Touristiker der Wallonie ist als Schwierigkeitsgrad »schwierig« angegeben. Das ist übertrieben. Der Weg ist im wahrsten Sinne des Wortes kinderleicht.
Achouffe ist von Houffalize mit dem Bus zu erreichen.
Brasserie Chouffe: https://chouffe.com
Nur wenn ordentliche Trappistenmönche mit der Herstellung des Bieres betraut sind, handelt es sich um ein wahrhaftiges Trappistenbier. So ist das in Orval. Wie man sieht, haben die Mönche von Orval (fast) nur Bierbrauen im Kopf.
» Ich bin nur ein einfacher Mönch und versuche als solcher, anderen Menschen zu helfen, ihr Leiden zu vermindern.
Dalai Lama
Im Kloster Orval brauen sie wahrscheinlich das beste Trappistenbier der Welt. Zur Wahrheit gehört aber auch: Es gibt nur zehn Klosterbrauereien auf der Welt, die den Titel »Trappistenbier« führen dürfen. Die Hälfte davon befindet sich in Belgien. Gebraut wurde früher wahrscheinlich in jedem Kloster, aber nur zum Eigenbedarf der Mönche. So war das auch in Orval. 1797 kamen dann die Franzosen und brannten das Kloster nieder. Nicht nett. Die Ruinen der alten Kirche erinnern an den Niedergang des Klosters. Erst in den 1920er-Jahren wurden neue Klosteranlagen errichtet. Die Mönche fingen wieder an, Käse und Brot herzustellen. Und flüssiges Brot. Da nach all den Jahrhunderten ohne Bierbrauen die Kenntnisse nicht mehr vorhanden waren, holte man sich den Herrn Pappenheimer aus Deutschland. Seit 1931 kann man das köstliche Getränk aus dem Trappistenkloster Orval verkosten und kaufen, doch dazu später mehr. Jetzt erst mal wandern.
Wo liegt eigentlich Orval? Diese Frage beantwortet unsere kurze Tour auf der Promenade des bornes, dem Spaziergang der Grenzsteine. Markiert ist der Weg mit einem roten Rechteck. Zu Beginn ist er nicht sehr spektakulär, ein kleiner Bach fließt linker Hand, wir gehen auf einem breiten Weg. Gerade am Wochenende machen die Motorräder auf der Straße oberhalb des Weges Krach. Parallel zum Grenzsteinweg wurde für Kinder ein Fledermausweg angelegt. Da man die Fledermäuse nicht sieht, sind jede Menge Erklärtafeln am Weg angebracht, die einem das Leben der Flattermänner und die Besonderheiten der Natur rund um Orval näherbringen. Dann weitet sich das Tal und wir wandern auf einem schönen Weg an einer hellgrünen Kuhweide vorbei. Wahrscheinlich gehören die Rindviecher zu irgendeiner äußerst speziellen, seltenen Art. Sie haben ein zotteliges Fell, die Jungs dazu ein Paar gewaltiger Hörner. Auf Holzstegen nähern wir uns dem Bach und gehen über eine schöne Brücke. Wahrscheinlich hat genau an diesem Ort vor ungefähr tausend Jahren die Gräfin Mathilde einen goldenen Ring verloren, den ihr ein Fisch wiedergebracht hat. Seitdem heißt das Tal Goldenes Tal, Or-Val. Und weil sich die Gräfin über dieses glasklare Wunder ganz doll gefreut hat, gründete sie das Kloster. So weit die Fakten.
Kurz nach der Bachüberquerung stoßen wir auf eine Infotafel. Dargestellt wird, wie die Mönche das Wasser für ihre Tätigkeiten genutzt haben. Ob es auch zum Bierbrauen genommen wird, bleibt offen. Die meisten Zutaten fürs Bier kommen nicht aus Orval, Malz und Hopfen zum Beispiel. Und dem Bier wird flüssiger Kandiszucker zugesetzt, für viele deutsche Biertrinker, dem Reinheitsgebot verpflichtet, ein No-Go. Schmeckt aber toll. Dazu später mehr. Hinter der Infotafel sehen wir viele Markierungen, nur nicht unser rotes Rechteck.
Kloster Orval aus der Vogelperspektive. Im Vordergrund links sind gut die Ruinen der alten Klosterkirche zu erkennen.
Zwei Weitwanderwege verlaufen parallel zu unserem Weg, mit rot-weißen und gelb-weißen Markierungen. In Belgien, Frankreich, Spanien und Portugal gibt es eine spezielle Markierungssprache. Eine EU-Norm wäre sinnvoll, existiert aber (noch) nicht. Wandermarkierungssprachen muss man wie Fremdsprachen lernen, sonst verläuft man sich. Die belgischfranzösisch-portugiesisch-spanische Markierungssprache ist relativ einfach, da reicht ein Schnellkurs. Wenn ich meine Markierung sehe, beispielsweise rot-weiß gestreift, dann gehe ich geradeaus. Wenn die Markierung um 90 Grad abgewinkelt ist und sich an der rechten Seite ein Pfeil befindet, muss ich rechts abbiegen. Einfach. Auf dem Weg, auf dem ich nicht wandern soll, ist ein Kreuz in Rot und Weiß. Das heißt: Hier! Nicht! Langgehen!
Wir stören uns nicht daran, dass das rote Rechteck hinter der Infotafel nicht zu sehen ist, wir gehen einfach geradeaus und an der größeren nächsten Kreuzung links – schon sehen wir unser rotes Rechteck wieder. Und dann wird’s richtig spektakulär. Wir biegen in einen wunderschönen Waldpfad ein. Der schönste Abschnitt unserer Wanderung liegt vor uns. Alle 30 bis 40 Meter weisen uns Grenzsteine den Weg. Das ist nicht nur die Grenze zu dem Grundbesitz der Mönche, sondern auch die Staatsgrenze zwischen Belgien und Frankreich – Orval liegt im südwestlichen Zipfel des Bier- und Frittenlandes Belgien. Der Staat Belgien existiert erst seit 1830, es stellt sich die Frage, auf welchem Staatsgebiet der Grundbesitz von Orval davor lag. Alles sehr europäisch, das steht fest.
Bis 1797 war das Kloster Teil der Österreichischen Niederlande und befand sich vor 1714 auf dem Gebiet der Spanischen Niederlande. Heute gehört Orval zur Wallonie, dem französischsprachigen Teil Belgiens. Da sich also die Landesherren – in himmlischen Zeiträumen gedacht – alle paar Jahrzehnte die Klinke in die Hand geben, haben die pfiffigen Mönche von Orval auf »ihre« Seite der Grenzsteine nicht etwa ES-NL oder A-NL für die Spanischen oder die Österreichischen Niederlande geschrieben und erst recht kein belgisches B. Da das Territorium des Klosters quasi supranational ist, kennzeichnet auf der belgischen Seite ein Bischofsstab das »Herrschaftsgebiet« – am Griff elegant geschwungen wie ein großes O für Orval. Diese Waldpassage mit den Grenzsteinen ist mythisch und überaus charmant. Ich finde es immer toll, genau auf einer Grenze zu wandern, denn dann symbolisiert diese Grenze etwas Verbindendes und nichts Trennendes.
Nach ungefähr einem Kilometer wenden wir uns mit dem roten Rechteck nach links, während die belgisch-französische Grenze (aber ohne die genialen Grenzsteine) geradeaus verläuft. Bis zum Ziel am Restaurant geht es auf eher »normalen« Waldwegen wieder zurück ins »goldene Tal«. Und dann – endlich – kann man in einem der beiden Restaurants ein frisches Orval trinken, schwarz wie die Seele des Teufels. Oder man ersteht einen Zweierpack (mit Glas) oder Sechserpack (ohne Glas) im Klostershop. Aber jede Person nur ein Kreuz – äh nein, nur maximal zwei Bierpakete. Pro Tag. Die Gesamtmenge ist gedeckelt. Nur handverlesene Gasthäuser und Getränkemärkte dürfen Orval-Bier ausschenken beziehungsweise verkaufen. Das Bier von Orval will etwas gelten, daher macht es sich rar. Was ein Grund ist, mehrmals im Jahr nach Orval zu fahren.
Eine Kiste des exklusiven Orval-Trunks
Orval: Der Grenzstein-Spaziergang / Promenade des Bornes
Länge: 6,6 km, leicht
Der Grenzstein-Spaziergang, »Promenade des Bornes«, ist eine leichte, 6,6 Kilometer lange Wanderung.
Das Auto lässt man am besten auf dem Parkplatz am Restaurant »À la nouvelle Hostellerie d’Orval«, direkt an der Kreuzung von N88 und N840. Von Florenville fahren auch Busse zu dieser Kreuzung, die Haltestelle heißt »Orval, Carrefour«. Das Restaurant ist montags und dienstags geschlossen.
www.restaurantorval.be
Europas bester Wanderweg? Auf jeden Fall der schönste Rundweg Dänemarks. Die Farben! Diese Dramatik! Die Schönheit der Landschaft! Die Abwechslung! Das »Reich des Klippenkönigs« auf der Insel Møn ist ein herrlicher Premiumweg.
» Das Schiff, das dem Steuer nicht gehorcht, wird den Klippen gehorchen müssen.
Englisches Sprichwort
Steile These: Der dänische Rundwanderweg Klintekongens Rige (Klippenkönigs Reich) auf Møn ist »Europas bester Wanderweg« (reisereporter.de). Testen wir doch einfach, ob das stimmt. Møn ist gut von Deutschland zu erreichen, entweder über die Fährverbindung Puttgarden nach Rødby oder von Rostock nach Gedser. Das Terrain der ansonsten recht ebenen Insel ist im Osten durchaus hügelig, die Tour mit ihren 14 Kilometern also durchaus sportlich.