Chiemsee-Cowboys - Heinz von Wilk - E-Book

Chiemsee-Cowboys E-Book

Heinz von Wilk

4,4

Beschreibung

Kulinarisches aus dem Chiemgau. Der Chiemsee-Wahnsinn geht weiter: Erst wird eine ehemalige Undercoveragentin ermordet, dann taucht ein italienischer Ex-Mafioso am Chiemsee auf, und zwei Wirte ertrinken auf mysteriöse Weise. Ein alter Freund von der Münchner Kripo bittet Stocker und Zeno um Hilfe. Schnell landen sie im Fadenkreuz diverser Gegenspieler, und zu allem Überfluss mischt auch noch ein ehemaliger BND Mann das Spiel neu auf.

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Der Rosenheimer Heinz von Wilk war schon vieles in seinem Leben: Weltreisender, Musiker, Künstleragent und Immobilienhändler. Nach langen Jahren in Spanien lebt er nun seit einiger Zeit im Chiemgau und schreibt hier seine »etwas anderen« Chiemseekrimis.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München.

Copyright © 2014 by Heinz von Wilk Copyrights Deutsche Erstausgabe © 2014 by Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten Umschlagmotiv: © mauritius images/ib/Digfoto Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, LeckISBN 978-3-86358-312-5 Oberbayern Krimi Originalausgabe

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Für meinen Lebensmenschen

Jetzt passieren schon wieder zwei oder drei Sachen gleichzeitig:

Kitzbühel-Stockerdörfl, 18.36 Uhr

Der Rotschopf, eine wirklich attraktive Frau so um die dreißig, dreiunddreißig, tritt vor die Tür und schaut in den Kitzbüheler Abendhimmel. Schnee wird’s wohl noch keinen geben, denkt sie. Und für Regen sieht’s zu klar aus. Okay, ein paar Wolken sind wie mit Pferdeschweifen ans Firmament gepinselt. Aber die Luft riecht irgendwie nicht nach Regen. Obwohl das ferne Grollen des Donners über den Bergen an Äpfel erinnert, die in eine große alte Holzkiste geschüttet werden.

Über den zementierten Fußweg geht sie zu einem drei Jahre alten roten Honda, der gegen die Fahrtrichtung am Bordstein geparkt ist.

Sie schließt den Wagen auf, wirft beim Einsteigen ihre Handtasche auf den Beifahrersitz und steckt den Schlüssel ins Zündschloss. Während sie sich eine Haarlocke aus der Stirn bläst und im Rückspiegel kurz ihr Gesicht betrachtet, tritt sie die Kupplung durch und dreht den Schlüssel. Es gibt einen leuchtenden hellroten Blitz. Dann, den Bruchteil einer Sekunde später, einen Knall. So heftig, dass in der beschaulichen Nachbarschaft Dutzende Fensterscheiben zerspringen und ein Splitterregen wie ein Diamantschauer in der Straße niedergeht. Rauchschwaden steigen um den explodierten Honda auf.

Träge verziehen sie sich, und dann sieht man, dass die Fahrertür nur noch schief und verbeult an einem Scharnier hängt und der Oberkörper der Frau aus dem Wagen herausbaumelt. Ihre grünen Augen bewegen sich ungläubig und blinzeln, öffnen sich noch einmal weit, dann wird der Blick starr. Ein einzelner Blutstropfen fällt aus ihrem Ohr auf den Bordstein und gerinnt.

Zeitgleich auf der Autobahn A8, Ausfahrt Bernau-Felden am Chiemsee

»Ich will nicht nach Deutschland. Nicht mal für einen Tag. Ich will nicht in ein Land, in dem viele Mädchen aussehen wie Schweinsteiger und Podolski mit Titten. Warum sind wir nicht von Mailand oder Rom geflogen, sondern haben ab München gebucht?«

Sonny Buonasante, fünfunddreißig, der hinten rechts in dem verschmutzten, dunkelblauen und vollkommen überladenen A4-Kombi mit italienischem Kennzeichen sitzt, nickt mit dem Kopf zum Fenster. Sein etwas jüngerer Bruder Rico neben ihm hält sich den Zeigefinger an die Lippen. Aber zu spät, denn Papa Vito Buonasante, Don Vito, der Lenker des Autos, dreht seinen grauhaarigen Löwenkopf nach hinten und brüllt: »Das ist nicht Deutschland, sondern Bayern, du dämliches Gemüse. Capisce? Außerdem sitzt hier vorne eure Mutter. Also Respekt. Rispetto, eh? Und wenn wir gleich bei Onkel Musona sind, dann benehmt euch wie echte Sizilianer. Prego, eh? Schließlich war Musona zu seiner Zeit in Palermo eine Legende bei der famiglia. Basta!«

»Wieso eigentlich Musona? Eigentlich ist der doch einer von den Santinis aus Palermo, oder?« Das ist jetzt Rico, der das fragt. Weil er einerseits den Zorn seines Vaters von seinem Bruder Sonny ablenken will, und andererseits keiner in der Buonasante-Familie (genau genommen: fast keiner) so genau weiß, wie einer aus dem verhassten Santini-Clan ein Onkel in der Buonasante-Familie sein kann.

»Così«, sagt Don Vito, während er in der beginnenden Dämmerung den vollbepackten Audi über die Autobahnbrücke in die Chiemseestraße lenkt, »ich erklär’s mal für Leute, die so intelligent sind wie ein frisch geschlagener Radicchio: Musona, das heißt so was wie miesepetrige Ziege, und das ist sein Straßenname, sein Kampfname. Schon als Kind war Musona so böse drauf, dass ihm seine Mutter zweimal in der Woche einen Kalbsknochen an einer Schnur um den Hals gebunden hat, damit wenigstens die Hunde in den Gassen von Brancaccio mit ihm gespielt haben. Später, da war er schon der Vollstrecker der Santinis, hat er seine Vorliebe für Kautabak mit Knoblauch-Geschmack entwickelt. Mit dem Mordgeschäft war’s dann aber schnell vorbei. Weil Musona so gestunken hat, dass er einfach nicht nahe genug an die Leute herankam, die er umbringen sollte. So ist er dann Geldeintreiber geworden. Das hat gut funktioniert, bis … Ahhh, da ist ein Schild, ich kann’s aber nicht lesen, was steht da?«

Der lenkt wieder ab, der schlaue alte Fuchs, denkt sich Sonny und sagt: »Bernau steht da, Papa. Aber warum hat Musona dann hier in Bernau eine Pizzeria, und was genau wollen wir hier?«

»Italiener, die ins Ausland müssen, machen immer erst einmal eine Pizzeria auf. Was anderes kauft man uns auch gar nicht ab. Oder hast du schon einmal von einem Italiener gehört, der Schweinebraten und Semmelknödel verkauft? Also, ich hab gehört, dass Musona versucht hat, in seinem alten Job weiterzumachen. Hat aber nicht geklappt, weil er die Sprache hier noch nicht so draufhatte. Er hat in Innsbruck einem Mann nachts auf der Straße seine Pistole unter die Nase gehalten und gesagt: ›Isch abe eine Waffel auf disch gerichtet, gib mir deine Geld.‹ Und der Mann hat gesagt: ›Um die Uhrzeit mag ich keine Waffeln mehr, geh pieseln mit deine Kekse.‹ Und da war Musona so in seiner Berufsehre gekränkt, dass er Innsbruck fluchtartig verlassen und hier die Pizzeria übernommen hat.«

»Schon klar, aber trotzdem: Warum ausgerechnet eine Pizzeria?« Rico fragt das jetzt.

»Certo Pizzeria, du dummer Kürbis«, faucht Don Vito, »was soll er denn sonst machen? Warst du schon einmal in einem Eskimo-Restaurant? Nein? Da kriegst du ein tiefgefrorenes Robbensteak, das kannst du erst einmal eine Stunde lang auf Zimmertemperatur lutschen, bevor du es essen kannst. Aber Pizza und Pasta, das geht immer, und das mögen alle. Wir bleiben nur ein paar Tage bei Musona, bis unser Geld aus Sizilien da ist. Besser so, dann weiß keiner, was wir machen und wo wir hinfliegen. Und dann geht’s weiter nach New Jersey. Ich kann’s kaum erwarten, Tony Soprano kennenzulernen. Big T., so nennen sie ihn da.«

»Papa«, sagt Maria Buonasante zu ihrem Mann und streicht ihm zärtlich durch die graue Mähne, »Papa, Tony ist eine Figur aus einer Fernsehserie, ein Schauspieler, und die anderen auch, aber uns wird’s in New Jersey sicher gut gehen. Und wir werden tolle Sachen erleben.«

Kurz darauf sieht Don Vito die von Scheinwerfern angestrahlte Bernauer Kirche und sagt: »Demone mio, wo ist diese Dingsstraße, wo die Pizzeria ist? Kann denn keiner von euch stronzi da hinten einen Stadtplan lesen?«

»Steht da an der Ampel: geradeaus. Also fahr, Papa, fahr zu!«

Atzdorf bei Prien, am nächsten Morgen, so um zehn

»Da, schau, jetzt hat es schon wieder einen erwischt. Schon der zweite Wirt von der Fraueninsel.« Die Nellie, zornig und mit einer neuen hellblonden Kurzhaarfrisur, wirft dem Stocker die Zeitung auf den Tisch, dass das Kaffee-Haferl einen entsetzten Sprung nach rechts macht. »Ich hab beide gekannt. Und beide konnten schwimmen wie besoffene Pinguine. Von denen ist keiner ertrunken. So!«

Stocker ist noch nicht so ganz wach, denn gestern war wieder Party mit Livemusik in seiner Musikkneipe, der »Endstation«. Vorsichtig schiebt er seinen Kaffee aus der Gefahrenzone und schnappt sich die Zeitung. Im Gastraum riecht es nach Bier, Wein und Rock'n'Roll. In der Ecke neben der alten Theke stehen die Instrumente: Gitarre, Bass und sein Schlagzeug. Aus der Küche hört man den Zeno laut und erfrischend falsch »Santa Maria« singen, während er Gemüse schneidet. Allerdings hat er den Text etwas modifiziert und singt: »Es ist noch Sand da, Maria, es ist noch immer Sand da, Maria …«

Die Nellie, trotz der frühen Stunde mit dem ersten Gin Tonic des Tages bewaffnet, nimmt einen heftigen Schluck.

»Wenn du so verpennt aus der Wäsche schaust, dann siehst du dem Jo, dem Wirt aus ›Rosenheim-Cops‹, so was von ähnlich, Stocker. Aber was wollt ich eigentlich sagen? Ach so, ja, den Bergmüller, den hat’s vor zwei Wochen erwischt«, sagt sie. »Angeblich ist er nachts beim Segeln über Bord gefallen und ersoffen. Dann jetzt der Schranner Willi, der war sowieso eine Zangengeburt, weil der mit Schwimmflossen an den Haxen auf die Welt gekommen ist. Die beiden sind ertrunken? Das glaubt doch keine Sau, so was. Und depressiv oder so war auch keiner von denen. Weißt noch, wie mich der Schranner neulich am Tresen so blöd angemacht hat, und ich hab gesagt zu ihm: ›Was ist der Unterschied zwischen Schweinen und Männern, Willi? Schweine werden nicht zu Männern, wenn sie besoffen sind!‹ Und jetzt ist der tot. Prost.«

Der nächste Schluck Gin Tonic geht seinen Weg, und die Nellie knallt das leere Glas auf den alten, verschrammten braunen Wirtshaustisch. Seufzend wischt der Stocker ein paar Tropfen von der Zeitung und liest den Artikel. Mit einem Kopfschütteln sagt er dann: »Mit dem Schranner Willi war ich letzte Woche noch radeln. Er wollt mir was erzählen, dann sind wir aber nicht mehr dazu gekommen, weil die Bedienung von der Seiseralm dauernd am Tisch war. Die hat mir eine Klinke ans Knie gelabert wegen dem Artikel in meinem neuen Wirtshausführer. Erst hat sie noch gesagt: ›Wir brauchen keinen Wirtshausführer, ich find mich auch so in meiner Wirtschaft zurecht, und verlaufen hat sich hier drin auch noch keiner.‹ Und jetzt wollen die zwei Seiten. Mit Fotos. Jedenfalls, später, am Parkplatz unten an der Kreuzstraße, da hat der Willi gemeint, er ruft mich die Tage mal an. Dann hat er sein Fahrrad ins Auto gelegt und ist weggefahren. Seitdem hab ich nichts mehr von ihm gehört. Da steht auch, dass der Todeszeitpunkt ungefähr in der Früh um fünf gewesen ist. Das klingt komisch. Was soll der in der Früh um fünf auf dem Chiemsee? Gib mir mal das Telefon rüber, ich ruf den Zuckerhahn an. Wenn’s da was gibt, dann weiß der das.«

Die Nellie wischt sich die Hände an ihrer bodenlangen schwarzen Schürze ab und stapft zur Theke. Im Vorbeigehen wirft sie dem ausgestopften Hirschkopf über den Zapfhähnen einen misstrauischen Blick zu. Seit der im letzten Jahr laut und vernehmlich »schöner Arsch« zu ihr gesagt hat, isst sie auch wieder Hirschgulasch. Aber das ist eine andere Geschichte.

Der Zuckerhahn, genau genommen EKHK Donat Zuckerhahn (Erster Kriminalhauptkommissar) und mittlerweile Leiter der SOKO412/OK (organisierte Kriminalität) beim LKA München, klingt brummig und missmutig: »Grüß dich, Stocker. Lang nichts gehört, wie läuft’s denn so mit deiner Kneipe? Was macht mein Ex-Mitarbeiter? Werd ich dir sowieso nie verzeihen, dass du mir meinen besten Mann abgeworben hast. Hinkt er noch immer so?«

»Na ja, das ist beim Zeno mehr so ein Schlurfen, aber die Mädels finden es sexy. Obwohl, die Nellie meint, wenn der Schuss anstatt in den Oberschenkel nur zwanzig Zentimeter weiter nach links gegangen wär, dann hätt’s sein komplettes Denkzentrum erwischt. Donat, was ist denn mit den beiden Wirten von der Fraueninsel? Gibt’s da was?«

»Warum?«

»Weil mir der Schranner Willi vor ein paar Tagen was erzählen wollte. Irgendwas hat den bedrückt. Und jetzt ist er tot. Zwei Gastronomen in zwei Wochen, das ist doch komisch, oder? Habt ihr da was?«

»Stocker, du machst schon wieder an was rum, was dich eigentlich gar nichts angeht. Ich kenn die Vorfälle, und wir haben da auch schon einiges auf dem Radar.« Pause in der Leitung, man hört einige schwere Atemzüge, dann sagt der Zuckerhahn: »Pass auf, ich muss heute Nachmittag nach Kitzbühel rüber. Kann ich dir ruhig sagen, du erfährst es ja sowieso: Eine Kollegin, du kennst sie von der München-Sache im letzten Jahr, die ist gestern Abend in Kitzbühel ums Leben gekommen.«

Jetzt ist es der Stocker, der tief durchatmet: »Hab ich die als Frau Steierer kennengelernt, bei der Traian-Sache? Das meinst du doch, oder? Und was heißt … ums Leben gekommen bitte genau?«

Zuckerhahn seufzt und sagt: »Lass uns heute Abend, so um sieben rum, was essen. Such ein kleines, abgelegenes Lokal bei euch in der Ecke raus und gib mir eine SMS für mein Navi durch. Sprich mit niemandem und komm allein.« Damit hat er aufgelegt. Stocker schaut sein Telefon an und dann in die Augen von Zeno, der unbemerkt an den Tisch gekommen ist und sich jetzt die Hände an seiner Kochschürze abwischt: »Probleme?«

»Schaut so aus. Die Frau Steierer ist tot. Nellie, mach uns mal zwei kleine Bier, bitte.«

Kitzbühel-Stockerdörfl, 15.12 Uhr

»Hallo, Sie! Ja, Sie da mein ich. Sie können da nicht rein. Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?« Erbost steigt der Kitzbüheler Gendarm aus seinem Streifenwagen, der am Straßenrand parkt. Genau vor dem großen dunklen Fleck, an dem gestern noch der rote Honda stand. Der Zuckerhahn, der sich gerade das Haustürschloss mit dem großen Polizeisiegel dran ansieht, richtet sich ächzend auf und geht auf den Polizisten zu: »Wir in München müssen da an gar nichts glauben, wir wissen nämlich, wer wir sind. Schauen Sie, ich zum Beispiel, ich bin der Hauptkommissar Zuckerhahn von der SOKO412. Hier ist mein Dienstausweis.«

»Na servas. Mein Kompliment, Verehrtester. Was machen Sie hier? Mir wurde nichts avisiert. Und Sie sind eindeutig außerhalb Ihres Dienstbereiches und haben hier überhaupt nix zu suchen.« Der Ton des Uniformierten wird nicht eben freundlicher.

»Genau genommen bringen mich zwei Angelegenheiten hierher«, sagt der Zuckerhahn, dem langsam der Blutdruck steigt. »Erstens hab ich gehört, dass hier oben im Wald«, damit zeigt er am Kopf des Polizisten vorbei auf die bewaldeten Berge, »dass genau hier oben vor ungefähr zweihundert Jahren der erste uniformierte Polizist von den Bäumen runtergefallen und aufrecht aus dem Wald gekommen ist. Und das wollt ich mir ansehen. War bestimmt ein Verwandter von Ihnen. Zweitens: Ich warte hier auf den Major Schmittel vom Wiener BK. Mit dem bin ich verabredet. Und Sie setzen sich freundlicherweise wieder in Ihr Auto und fragen in der Zentrale nach, ob der Major schon auf dem Weg hierher ist. Danke.« Damit dreht sich der Zuckerhahn wieder der Haustür zu.

Eine Minute später hört er Motorengeräusche, und ein grauer Passat kommt hinter dem Streifenwagen zum Stehen. Major Schmittel, ein groß gewachsener, sportlicher Mittvierziger mit hellblauen Augen, kommt mit schnellen Schritten den Weg entlang: »Zuckerl, grüß dich, es is ein Jammer, net wahr, dass uns so was zusammenbringen muss. Komm, geh ma rein. Sie bleiben im Auto, Herr Wachtmeister.«

Schmittel schließt die Haustür auf und bittet den Zuckerhahn ins Innere. Kühl ist es in dem Flur, und im Wohnzimmer sieht’s ziemlich unpersönlich aus, wie in einem Hotelappartement.

»Da hat sie also gewohnt, die Mona«, sagt der Zuckerhahn und setzt sich mit einem Seufzer in einen der abgewetzten braunen Sessel. Keine Fotos im Regal, nichts Persönliches, nur ein Stapel mit Stadtplänen und Restaurantprospekten.

Major Schmittel knöpft seinen blauen Mantel auf und holt ein kleines, abgegriffenes Notizbüchlein aus der Innentasche, das irgendwann mal braun war. Auf dem Siebziger-Jahre-Sofa sitzt er dem Zuckerhahn genau gegenüber und beugt sich über den fleckigen, stumpfen Glastisch: »Wir haben sie als Steierer Mona hier in der Anmeldung, Beruf: Journalistin. Aufenthaltszweck: Urlaub. Außer mir und einer Handvoll Leuten im Dezernat in Wien hat keiner gewusst, dass sie eine von euch ist und hier undercover ermittelt hat. Wie ist sie also aufgeflogen?«

»Keine Ahnung, bis jetzt jedenfalls. Die Mona hat mich vor zwei Tagen noch angerufen und gesagt, sie ist an was dran. Die, die hier in Kitz und Kufstein und Umgebung die Spielbanken und einige Restaurant- und Hotelbesitzer erpressen, die werden von jemandem aus dem Chiemsee-Raum gesteuert. Sie hat wohl einen von den Geldeintreibern hier umgedreht, und der hat ihr erzählt, er arbeitet für jemanden oder etwas, von dem keiner was Genaues weiß, das aber so effektiv ist, dass es oder er alle, die reden oder aussteigen wollen, auf üble und grausame Weise zum Schweigen bringt. Vor ein paar Wochen ist bei uns draußen einer mit dem Bukarester Gruß umgebracht worden. Das würde also zusammenpassen.«

»Bukarester Gruß? Klär mich auf.«

»Tja«, sagt der Zuckerhahn, »da wird einer an den Füßen mit dem Kopf nach unten aufgehängt. Hände auf dem Rücken gefesselt. Dann bindet man ihm eine Plastik-Einkaufstasche um den Hals. Aber am Hals locker, dass der arme Hund noch gut atmen kann. Dann schüttet man ihm langsam Wasser oben in die Hosenbeine. Das Wasser läuft am Körper entlang und schlussendlich in die Plastiktüte. Das Opfer ertrinkt. Aber langsam und qualvoll. Das ist der Gruß an alle anderen und motiviert zum Weiterarbeiten. Kannst du mir glauben. Ich hab gedacht, mit der Rumänen-Gang vom Traian, die wir im letzten Jahr hochgenommen haben, wären diese Methoden auch ad acta, aber da hab ich mich getäuscht.«

»Du kommst deinen Geistern auch nicht aus, Zuckerl, oder?«

»Ich hab geglaubt, die Reihen haben sich ein bisschen gelichtet. Und dass es möglich ist, Dinge hinter sich zu lassen. Hab gedacht, man muss sich nur intensiv genug mit den Gespenstern in seinem Kopf beschäftigen, damit man erkennt, dass es bloß noch Gespenster sind. Aber du kannst gehen, wohin du willst, du nimmst deine Gedanken mit. Überall hin.« Zuckerhahn streicht sich mit einer hilflosen Geste über den fast kahlen Kopf. »Meine Frau hat’s vor vielen Jahren auch so erwischt wie jetzt die Mona, das weißt du doch. Die Mona, verdammt noch mal. Hätt ich sie bloß gleich nach dem Telefonat abgezogen und zurück nach München geholt. Meine Schuld.«

»Schuld? Ist ein relativer Begriff«, sagt der Major und blickt in sein Notizbuch. »Und weil wir grad davon reden: Zu der Rumänen-Sache bei euch draußen in Bernau im letzten Jahr, da wollt ich dich eh noch was fragen. Das lässt mir nämlich keine Ruhe. Ich hab mir die Akten angesehen. Also, da oben, bei dem Showdown auf dem Dingsberg da, da kannst du unmöglich mit dem Zeno alleine gewesen sein. Rechts neben dir, da muss noch einer gestanden haben. Und der hat auch geschossen. Zeitgleich mit euch. Sonst wärst du heute nicht hier, mein Freund.«

»So ein Schmarrn«, seufzt der Zuckerhahn, »das ist doch alles Schnee von gestern und längst abgehandelt, also fang jetzt nicht mit so was an.«

»Ist mir auch wurscht«, meint der Major Schmittel, »nur: Du bist nicht Wyatt Earp und verteilst nicht beidhändig Blattschüsse aus der Hüfte. Ich hab mir die Schusskanal-Analyse angesehen und ausgewertet. So was ist eine Spezialität von mir. Und ich sag dir, da war mindestens noch einer. Rechts neben dir. Der hat dreimal geschossen. Und der war dann wie vom Erdboden verschluckt, als deine Kavallerie angerauscht ist. Vier tote Gangster, da in der Halle. Und das waren keine, die im Dunkeln Angst hatten. Die Dunkelheit hat Angst vor denen gehabt. Zuckerl, ich hab auch schon eine Theorie, wer das gewesen sein könnte, der dritte Mann.« Dabei summt der Schmittel die Zither-Melodie von Anton Karas aus dem gleichnamigen Film und sagt: »Ein Name taucht bei der Rumänen-Sache nämlich ein paarmal auf, so ganz am Rande. Und dein Ex-Spitzenmann, der Zeno, der kocht jetzt mit besagtem Phantomschützen in der eigenen Kneipe. Die beiden haben das Gasthaus vor knapp einem Jahr gekauft.«

»Ein alter Hut, das Ganze«, sagt der Zuckerhahn, »außerdem ist der Fall abgeschlossen. Ist auch viel geschlampt worden bei den Ermittlungen. Und den Stocker, den meinst du ja wohl, den kenn ich flüchtig, der ist ungefähr so gefährlich wie ein Furz in der Badewanne.«

»Über deinen Furz hab ich aber ein paar interessante Sachen rausbekommen.« Der Schmittel kratzt sich mit seinem Kuli am Hinterkopf, da, wo die Kopfhaut schon etwas durchwächst: »Die spanischen Kollegen zum Beispiel, die sind fest davon überzeugt, dass dein Stocker was mit zwei toten Rockern da unten am Meer zu tun hat. Gibt aber keine Beweise. Außerdem hatte er an der Costa Blanca irgendwas mit einer Truppe, die sich Manchester-Boys nennt, am Laufen. Übler Haufen, das. Dagegen sind unsere Tiroler Gangs ein schlechter Abklatsch der Wiener Sängerknaben. Der Stocker war für einige Zeit ganz schön aktiv, da in Spanien. Die Guardia Civil hat dir sogar mal ein dickes Aktenpaket geschickt, da ist aber nie was passiert, kam auch keine Nachfrage oder so was, meinten die. Ist ja auch egal. Erzähl mir nur jetzt bitte keinen Scheiß, dafür kennen wir uns zu lange. Dein Stocker, das ist einer, der isst keinen Honig, sondern der kaut die Bienen. Und sein Partner, der Zeno, der liest keine Bücher, sondern der starrt sie so lange an, bis sie ihm freiwillig sagen, was er wissen will. Hast mich?«

»Was willst du, Schmittel?«

»Unbürokratische Zusammenarbeit, Nachbarschaftshilfe, so was in etwa. Die Steierer Mona ist mit C4 in die Luft gesprengt worden. So was gibt’s hier beim HOFER, ALDI heißt der bei euch draußen, nicht mal an Weihnachten zu kaufen. Außerdem sind wir ziemlich sicher, dass die Burschen, die hier in der Tiroler Ecke die Casinos und die Kneipiers erpressen, dass die nur zum Abkassieren und Dealen rüberkommen oder halt zu Strafaktionen. Dann verschwinden sie wieder in Richtung Chiemgau, genau wie du gesagt hast. Alles straff organisiert. Die paar Kleinganoven, die wir hier erwischt haben, die wissen nicht viel. Sind nur Helfershelfer. Alles ist zellenmäßig organisiert. Die kennen nicht einmal ihre Kontaktleute persönlich. Alles läuft über Einweghandys und tote Briefkästen. Da sind echte Profis dran. Was hast du bis jetzt?«

»Ja, was hab ich?« Der Zuckerhahn wischt sich über den Mund und beugt sich vor. »Der Typ, mit dem die Mona geredet hat, der ist offiziell Kellner in einem italienischen Restaurant bei Bernau da irgendwo. Viel hat der nicht gesagt. Hat erzählt, dass er der Capo einer Fünf-Mann-Truppe ist. Lauter Süditaliener. Und wenn’s was zu tun gibt, kriegt er eine SMS aufs Handy, Absendernummer nicht eruierbar. Da steht dann, wo er neuen Stoff oder schriftliche Informationen für den Einsatz findet. Lesen, auswendig lernen. Zettel an Ort und Stelle verbrennen. Ab in den Einsatz. Das eingesammelte Geld kommt abzüglich der Provision in ein Kuvert und wird irgendwo hinterlegt. Dafür gibt’s wieder eine SMS mit genauen Anweisungen. Keiner hat bis jetzt den Abholer gesehen, aber alle haben Angst.«

»Bei uns hier in Tirol, da haben sich die Italiener bisher nur untereinander erpresst und beschissen, aber jetzt geht’s richtig zur Sache. Nicht gut. Apropos gut: Was ist das denn für ein Restaurant, da bei Bernau? Guter Laden? Wie schmeckt’s denn da bei dem Italiener?«

»Wie bei Oma unterm Arm«, sagt der Zuckerhahn. »Das ist es ja: Von den Köchen kann keiner so richtig kochen, und der Service ist auch nicht gerade professionell. Wenn du dich da bei einem der Kellner übers Essen beschwerst, dann gibt’s eine auf die Knabberleiste, und dann kann’s schon sein, dass deine Zahnbürste am nächsten Morgen ins Leere greift. Außerdem liegt der Laden irgendwo im Niemandsland. Schwer zu überwachen, das Objekt. In Bernau gibt’s auch schon lange einen guten Italiener und in Grassau neuerdings auch, den Pino. Der kocht so was von spitze, sag ich dir. Aber im ›Il Padrino‹, so heißt die Hütte, da sieht’s zwar toll aus, doch von Gastronomie versteht da keiner so richtig was. Es stehen auch immer ein paar Mann zu viel als Personal da rum. Meine Theorie: Der Geldeintreiber ist überwacht worden, man hat den mit der Mona gesehen und sich den Burschen geschnappt und zur Brust genommen. Dann haben die sich überlegt, ob die Mona von der Abteilung Greif und Schnapp ist, und das Ergebnis sehen wir ja. Übrigens: Der Geldeintreiber ist seit heute früh von unserem Radar verschwunden. Spurlos. Wahrscheinlich lagert der jetzt irgendwo im Moor zwischen Chiemsee und Grassau und wartet aufs Jüngste Gericht.«

Der Zuckerhahn beugt sich über den Tisch und nimmt dem Major Schmittel das Notizbuch aus der Hand, klappt es zu und gibt es ihm. »Du hast doch selber deine eigene Schattentruppe in Wien, lauter Ehemalige, zum Teil von der COBRA übernommen. Und die machen manchmal Sachen für dich, die die Polizei nicht machen darf. So ganz blöd bin ich auch nicht. Also, was genau willst du?«

»Schaff mir dieses Pack vom Hals, Zuckerl. Ist mir auch wurscht, wie du das machst. Wenn deine Leute was brauchen, ruf mich an. Direkt, meine private Handynummer hast du. Spann den Stocker und den Zeno mit ein. Lass die über ihre eigenen Kanäle arbeiten. Du machst sowieso deinen Job, das weiß ich. Aber wenn hier bei uns Polizisten in die Luft gesprengt werden, einfach so, auf Verdacht, dann muss man die Keule rausholen. Homo homini lupus est, Zuckerl, der Mensch ist des Menschen Wolf. Und jetzt wird’s Zeit, dass wir auf Wolfsjagd gehen. Morgen früh hast du alle Unterlagen und Tatortanalysen, die ich auch hab. Und alle Infos. Bleib hier, solange du willst, und nimm mit, was du brauchst. Mach’s gut, alter Freund, ich geh jetzt.«

Der Major Schmittel senkt den Kopf und schließt die Augen, wie wenn er noch was sagen will. Dann steht er mit einem Seufzen auf, klopft dem Zuckerhahn auf die Schulter und dreht sich zur Tür. Bevor sie hinter ihm zufällt, hört der Zuckerhahn, wie kleine Sekurit-Glassplitter, die immer noch auf dem Gehweg liegen, unter den Schritten des Wiener Majors knirschen. Wie Nussschalen, denkt er sich. Oder getrocknete Buchenblätter, mit denen der Wind seinen flüchtigen Spaß gehabt und sie dann achtlos liegen gelassen hat.

So endet ein junges Leben, denkt sich der Zuckerhahn und zündet sich sein vorletztes Zigarillo an. Wann hab ich zum letzten Mal eine geraucht?, denkt er sich. In Seeon, in der Klosterstube? Nein, draußen im Biergarten am See. Mit dem Stocker. Voriges Jahr im Sommer war das, denkt er, und ich wollte den Traian, um jeden Preis. Hab ja auch meine Seele dafür verkauft, weil ich gedacht hab, dann ist Schluss mit den Alpträumen, mit den Nächten, die nie aufhören. Dann sind die alten Rechnungen bezahlt. Aber nach der Party ist vor der Party. Und jetzt das. Die Mona, die hab ich gemocht. War eine gute Polizistin. Ein toller Mensch, mit Träumen und Plänen und Hoffnungen und Ängsten. Hat alles hier ein Ende gefunden. Aber nicht für mich, denkt er, nicht für mich, Mona.

»’s kleine Wirtshaus«, Weitmoos bei Eggstätt, 19.22Uhr

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