Gschicht'n vom bayerischen Meer - Heinz von Wilk - E-Book

Gschicht'n vom bayerischen Meer E-Book

Heinz von Wilk

4,0

Beschreibung

Sie sind schon was Besonderes, die Menschen hier rund um den Chiemsee und auf den beiden Inseln. Deswegen passieren hier auch ganz besondere Dinge: Warum alle Wege zum Chiemsee führen. Oder: Eine Scheidung auf bayerisch, die so ganz anders abläuft als gewohnt. Und sicher fragen Sie sich, was passiert, wenn sich ein Engel in der Adresse irrt und außerdem eine Vorliebe für Wein und Käse hat? Tauchen Sie ein in den Chiemsee-Kosmos und nehmen Sie sich eine Auszeit mit Amüsiergarantie. Für Bayernfreunde und Besucher der Chiemseeregion. Geschichten zum Lachen und Nachdenken.

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Vollständige E-Book-Ausgabe der im Chiemgauer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2015

© 2015 Chiemgauer Verlagshaus, Breitbrunn

www.chiemgauerverlagshaus.de

Gestaltung des Buchüberzuges: Grafikdesign Storch, Ulrike Vohla, Rosenheim, unter Verwendung der Fotos von

Josef Reiter, Aschau

shutterstock/avarand

Der Autor

Der Rosenheimer Heinz von Wilk war schon vieles in seinem Leben: Weltreisender, Musiker, Event-Manager und Immobilienhändler.

Nach langen Jahren in Amerika, Asien und Spanien lebt er nun seit einiger Zeit im Chiemgau und schreibt hier seine Geschichten und Krimis aus der Region für den kleinen Urlaub zwischendurch.

Mehr Infos unter: www.heinz-von-wilk.de

Zu diesem Buch

Sie sind schon was Besonderes, die Menschen hier rund um den Chiemsee und auf den beiden Inseln. Und deswegen passieren hier auch ganz besondere Dinge: Warum alle Wege zum Chiemsee führen. Oder: Eine Scheidung auf bayerisch, die so ganz anders abläuft als gewohnt. Und sicher fragen Sie sich, was passiert, wenn sich ein Engel in der Adresse irrt und außerdem eine Vorliebe für Wein und Käse hat?

Tauchen Sie ein in den Chiemsee-Kosmos und nehmen Sie sich eine Auszeit mit Amüsier-Garantie, bei der schrägen, humorvollen, und hintersinnigen Unterhaltung in kleinen Häppchen. Für Bayernfreunde und Besucher der Chiemsee-Region. Geschichten zum Lachen und Nachdenken.

Inhalt

Neues vom Steinheiligen

In einer anderen Welt

Ein Engel in Breitbrunn

Neulich beim Klosterwirt

Der Schamane von Urschalling

Alle Wege führen zum Chiemsee

Anna & Bertl, eine Möwenstory

Neues vom Steinheiligen

Wie das mit dem Umzug alles begann? Schwer zu sagen, aber eigentlich fing das schon lange vorher an, aber das ist eine andere Geschichte.

Tatsache ist: Herr P., wegen seines esoterischen Hobbys bei den Nachbarn besser bekannt als der Steinheilige, sah keinen anderen Weg, um wieder zu sich selbst und zu seiner Frau und seinem Hund zu finden. Häuser und Wohnungen kann man sich aussuchen. Die dazugehörigen Nachbarn aber nicht. Und ebendiese Nachbarn haben Herrn P. nachhaltig in den Wahnsinn getrieben. Sagt er jedenfalls. Seine Frau war da anderer Meinung, denn sie schleppte ihn eines schönen Tages zu Herrn Dr. Rosenholz, seines Zeichens Psychiater, Neurologe und Paartherapeut in Prien. Und ab da wird diese Geschichte interessant:

„Keiner geht gerne zum Zahnarzt“, sagt der Dr. Rosenholz und lehnt sich in seinem Sessel zurück. Er fixiert die beiden P.s durch seine dicken Brillengläser, zupft an seinem Zottelbart herum und schaut dann aus dem Fenster. Er hüstelt, betrachtet seine Fingernägel und dann Herrn P., „und keiner zieht gerne um. Aber in Ihrem Fall sehe ich keine andere Möglichkeit, um Ihre Beziehung zu retten. Suchen Sie sich ein anderes Haus in einer anderen Gegend. Anscheinend ist ein ausgewogenes Miteinander mit Ihrer aktuellen Nachbarschaft nicht möglich. Und wenn ich mir Ihre spirituellen Umwege so ansehe“, damit schaut der bärtige Idiot mit gewichtiger Miene zu P., der sich in dem niedrigen Sessel sichtlich unwohl fühlt, „dann würde Ihnen eine spirituelle Reinigung gut tun. Sowas macht übrigens meine Frau. Wenn ich Ihnen da einen Termin machen kann? Natürlich mache ich Ihnen dann Sonderkonditionen. Sagen wir, 130 Euro?“

„Für uns beide? Einen ganzen Kurs oder wie man das nennt?“, fragt P.

Dr. Rosenholz hüstelt wieder und sagt mit leicht beleidigter Miene: „Pro Stunde und pro Person, mein Lieber. Pro Stunde. Und ich denke, zehn oder zwölf Stunden werden das schon werden. Schließlich geht es bei Ihnen darum, Ihre innere Ausgewogenheit wiederzufinden und diese dann zu nivellieren, nicht wahr?“

Jetzt greift Frau P. ein und sagt: „Wo bitte ist ein ausgewogenes Miteinander möglich, wenn sich das nachbarliche Gesprächsniveau auf Kanalisationshöhe bewegt? Wenn man Gespräche mit anhören muss, wie zum Beispiel: ‚Schatz, würdest du dir für mich deine Brüste vergrößern lassen?‘ Sagt sie: ‚Nein. Lass du dir doch lieber die Hände verkleinern.‘ Und was meinen Mann hier anbelangt, der guckt immer so naturtrüb aus der Wäsche, den reinige ich schon selber, wenn’s sein muss.“

Und zu P.: „Los komm, wir gehen.“

Unten, auf dem Parkplatz, sagt Frau P.: „Hundertdreißig Euro die Stunde, zehn oder zwölf todlangweilige Sitzungen? Meine Güte. Das können wir billiger haben. Ich sag’ dir was. Du hörst mit deinem Hare-Krischna-Blödsinn auf, wir suchen uns ein anderes Haus, und dann leben wir drei wieder so, wie es sich gehört.“

„Natürlich Schatz, du hast ja so recht“, sagt Herr P. und kramt in seiner Hosentasche nach den Autoschlüsseln.

Kurz hinter Eggstätt, auf Höhe des Hartsees, der in der Sonne glitzert, sagt Herr P.: „Lass uns doch den Makler anrufen, der uns das Haus vermittelt hat. Vielleicht hat der ja was für uns. Hier“, damit gibt P. das Handy zu seiner Frau rüber, „ruf Du an, ich fahre ja, wie du siehst.“

„Wenn du das fahren nennst, gerne. Wie hat der Kerl geheißen? Reblaus? Nein, hier, Reblauer, da hab’ ich ihn. Unter -M- gespeichert, wo er hingehört“, sagt Frau P. und drückt auf die Kurzwahltaste M3. Nach ein paar Sekunden sagt sie mit zuckersüßer Stimme: „Ja, hallo, Herr Reblauer, wie geht’s Ihnen denn so? Wissen Sie, wer dran ist? Nein? Raten Sie mal. Wir waren Ihre letzten Kunden vor Ihrer Hochzeit, das Haus in Greislam, wissen Sie noch? Ja genau, ich bin das. Also, wir suchen ein Haus, weil wir doch lieber … was? Ich verstehe Sie so schlecht, was meinen Sie? Ihre Frau versteht Sie auch schlecht? Wie? Soll ich Sie später noch mal anrufen? Was?“ Stille, während Frau P. angestrengt zuhört. Dann sagt sie: „Ja, gut, machen Sie das. Ok, bis gleich.“

Frau P. starrt das Telefon in ihrer Hand an und meint: „Er ist auf dem Weg zum Scheidungsanwalt, sagt er, und er hätte da eine schöne Wohnung in Rimsting für uns. Er schickt mir gleich eine SMS mit Anschrift und so. Wir sollen hinfahren und mit dem Hausmeister reden. Der weiß dann Bescheid. Den ruft er gleich an.“

P. nickt und biegt rechts ab nach Greislam. Und keine halbe Stunde später, die P.s sitzen im Wohnzimmer bei Kaffee und Beerdigungs-Kuchen, ist die SMS da: „DG, 140m2, 2 Terr. Bedingter Chiemseeblick, Hausmeister Ücalan, 0425-9428337, Termin abmachen.“

„Was zum Teufel heißt bedingter Chiemseeblick?“, fragt Herr P. das Telefon und Frau P. sagt: „Na ja, vielleicht heißt das, dass man bei Nebel den See nicht sieht oder so. Los jetzt, ruf den Hausmeister an und mach einen Termin.“

Zwei Stunden später stehen die beiden P.s auf einer der beiden Terrassen im dritten Stock eines älteren acht-Parteien-Hauses in Rimsting und Herr P. sagt zu dem stoppelbärtigen und übergewichtigen Hausmeister: „Wo ist hier der Seeblick?“ Der Mann kratzt sich in Brusthöhe unter seinem blassblauen Kittel und meint: „Chieme-See? Iste da hinten, andere Richtung. Musst du beugen dir selber über Balkon, versteh? Und wenn mache Kopf ganz nach links, dann sehe ein bizzele von See. Aber uffpasse, ne? Weil Vormieter, der ist gefallen von die Balkon. Wollte auch sehen See, aba hat zu viel gebeugt, versteh? Fällt runter und iste gleich mausetot. Bumm. Arme Mann. Inschallah.“ Jetzt verdreht er die Augen und streckt die Arme zum Himmel.

„Ah ja“, sagt Herr P. zu dem Hausmeister, und zu seiner Frau: „Ich glaube, wir überlegen uns das noch mal, was meinst du?“

„Denke ich auch“, sagt Frau P.

Im Treppenhaus treffen die P.s auf einen grauhaarigen und unrasierten alten Kerl, der eine Kiste Bier abstellt und zu den beiden sagt: „Zieht ihr hier ein, ja? Ist richtig super hier im Haus, wird euch gefallen. Ich bin der Karl, und wir duzen uns alle.“

„Das ist gut“, sagt Herr P., „ich duze meine Frau nämlich auch schon länger. Wenn Sie uns jetzt entschuldigen wollen?“

Um es kurz zu machen: gefühlte einhundert Besichtigungen später haben die P.s dann endlich ihr Traumhaus gefunden. Nicht über einen Makler, sondern über einen Bekannten, der es von einem Freund gehört hat: auf der Fraueninsel, noch dazu auf der Südseite, da gibt’s ein Haus. Und das ist zu vermieten. Wer sich auch nur ein bisschen mit sowas auskennt, der weiß: das ist seltener als ein Sechser im Lotto. Da überlegt man nicht lange. Die P.s haben sich in das renovierte Fischerhaus auf der Stelle verliebt und sofort den Vertrag unterschrieben.

Am Umzugstag hat sich eigentlich nur einer der Greislamer Nachbarn blicken lassen. Der alte Westler von schräg hinten. Der kam um die Ecke und starrte die beiden großen braunen Möbelwagen an, die V-förmig vor der Doppelhaus-Hälfte standen. Acht Möbelpacker in ameisenbraunen Overalls schleppten die Möbel und Kartons aus dem Haus.

P. stand auf der Straße und überwachte das Einladen. Der alte Westler stellt sich also neben P. und sagt: „Ziehen Sie aus?“

„Nein, warum?“, sagt P.

„Ich mein’ ja nur, weil diese Leute hier alle Ihre Möbel und Bilder und das ganze Zeug raustragen und verladen. Warum machen die sowas?“

„Ach das?“, sagt P. „Nein, nein. Das ist so: meine Frau macht den Frühjahrsputz. Und damit sie beim Putzen besser in alle Ecken und so kommt, da lassen wir jedes Jahr die Möbel für ein paar Tage einlagern. Ich selber geh’ dann für ein paar Tage ins Hotel. Dann kann meine Frau zügiger putzen, und keiner redet ihr rein. Danach kommt der ganze Kram wieder ins Haus. Und ich auch. Das haben wir im letzten Jahr genauso gemacht.“

„Ach so“, sagt der alte Westler, „kann sein, ja. Letztes Jahr um diese Zeit, da war ich mit meinem Wohnmobil in Kroatien. Da hab’ ich das hier gar nicht mitgekriegt.“ Dreht sich um und geht wieder.

Ein paar Stunden später sind die P.s glücklich im neuen Haus und gehen an den gestapelten Kartons im Wohnzimmer vorbei auf die Terrasse. Unverbaubar, der Blick über den glitzernden Chiemsee rüber zur Gebirgskette. Und hinter dem Haus: eine traumhafte Blumenwiese. Im Westen geht kurz darauf die Sonne unter, und der See glänzt, als wäre er aus purem Gold. Einfach traumhaft. Neben dem Haus, auf dem Nachbargrundstück, liegt eine eingezäunte, ziemlich große Wiese. Für eine Insel jedenfalls ziemlich groß. Und auf ebendieser Wiese, nahe am Zaun stehen drei Lama-ähnliche, exotische Tiere und starren die beiden P.s und den Dackel in der Abenddämmerung an.

„Das sind Alcantaras“, sagt Herr P., und Frau P. meint: „Alpakas, so heißen die. Alpakas.“

„Sag’ ich doch“, meint P. und winkt den Tieren zu, während er zu dem Dackel sagt: „Los komm, Hund, wir müssen noch viel auspacken.“

Zwei Wochen später: alle Möbel stehen an ihrem Platz, die Bilder hängen da, wo sie hängen sollen. Fertig. Alles funktioniert, und Herr P. fängt an, sich zu langweilen. An diesem sonnigen Sonntagmorgen zum Beispiel, da sagt er zu seiner Frau am Früh-stückstisch: „Wo ist der Hund?“

„Draußen“, sagt Frau P., „bei seinen Kumpels.“

„Was für Kumpels, bitte? Und außerdem heißt es Kumpel, nicht Kumpels.“

„Der eine, dieser braune mit den weißen Ohren, der Reggie, das ist offensichtlich ein Basset“, meint Frau P., „und der gehört scheinbar zu den Nachbarn hinter uns. Die können bis zu fünfunddreißig Kilo schwer werden.“

„Die Nachbarn?“ Herr P. schaut schockiert von seinem Frühstücks-Ei auf.

„Nein, die Hunde. Und der andere, der schwarze Bursche, das ist ein Riesenschnauzer. Der Bolo. Der gehört irgendjemandem von da drüben.“ Damit wedelt Frau P. mit dem rechten Arm in eine unbestimmte Richtung hinter sich.

„Und die schwarze Katze, die immer an den Mandelbaum pinkelt?“

„Die?“, sagt Frau P. „Die kommt aus dem Café auf der anderen Seite der Insel, Café Gini, glaube ich. Die Katze ist aber hauptberuflich ein Kater, und heißt Sam. Das hat mir die Frau erzählt, die ich immer beim Klosterladen treffe.“

„Ach was“, sagt Herr P. und zerbröselt unlustig ein Stück Knäckebrot auf seinem Teller.

Frau P. lässt die Zeitung sinken und meint: „Weißt du, was dir fehlt, Alter? Nein? Ich sag’ es dir. Eine Beschäftigung fehlt dir. Du gehst mir langsam sowas von auf die Gehirnwindungen, das kann ich dir in zwei Sprachen vorsingen.“

„Was schlägst du vor?“, fragt Herr P., der es schon lange aufgegeben hat, mit seiner Frau zu diskutieren.

„Hier“, sagt sie und klopft auf die Zeitung, die vor ihr liegt, „das hier, das wäre was für uns. Pass auf: autogenes Training in der Mittagszeit. Jeden Dienstag von zwölf bis eins. Im Kloster. Das ist zwei Minuten von hier.Da, lies selber: kleine Gruppe mit individueller Ansprache und so weiter. Das machen wir. Vielleicht bringt dich das auf andere Gedanken. Da geh’ ich dann gleich rüber und melde uns an.“

„Mach das“, sagt Herr P. und denkt sich, in einer Stunde hat die das eh wieder vergessen.

Hat sie aber nicht. Und so finden sich die beiden P.s am folgenden Dienstag um kurz vor zwölf Uhr im großen Seminarraum des Fraueninsel-Klosters wieder. In einem viel zu großen leeren Raum, mit einem farblich kaum definierbaren Teppichboden und fünf Stühlen. Auf einem der Stühle sitzt eine nett aussehende schlanke Frau in den Vierzigern und wühlt sich durch einen dünnen Stapel Computer-Ausdrucke. Sie sieht die P’s an und strahlt, dann sagt sie: „Sie sind die ersten Teilnehmer in meinem neuen Kurs. Willkommen. Suchen Sie sich Ihre Stühle aus, die anderen kommen sicher gleich.“

Die anderen, das sind eine eher kleingewachsene Frau so um die Dreißig, die eine große blaue Stofftasche schleppt und sich auf dem Stuhl, der am weitesten von den P.s entfernt ist, niederlässt. Dann kommt ein alter Knabe, groß und dürr, so um die siebzig in den Raum. Er trägt einen blauen Ballonseide-Trainingsanzug mit gelben Streifen. Seine Brillengläser sind so dick wie die Böden von Cola-Flaschen, und er fährt sich nervös über seinen kahlen Kopf. Die drei freien Stühle beäugt er sehr misstrauisch, dann lässt er sich vorsichtig neben P. nieder. „Wenigstens stimmt hier die Männerquote“, zischelt er P. ziemlich feucht ins rechte Ohr, „normalerweise sind nur Tussen beim AT, kann ich Ihnen sagen. Obwohl, manchmal ist ja spaltbares Material dabei, aber meistens sitzt da bloß Schlussverkaufsware.“

„Was meint er?“, fragt Frau P. von links ihren Mann.

„Keine Ahnung“, sagt P. „der Knabe ist Atomforscher oder sowas.“

Jetzt kommt auch der letzte Teilnehmer in den Raum. Ein Typ um die vierzig, fünfundvierzig. Er huscht mit gesenktem Kopf zum letzten leeren Stuhl und nimmt Platz, wobei er jeglichen Augenkontakt mit den anderen meidet.

Die Kursleiterin klatscht erfreut in die Hände und sagt: „Jetzt, wo wir alle da sind, lassen Sie uns beginnen. Als erstes möchte ich mich vorstellen. Mein Name ist Irmgard Maracuja-Schnitzelköfer, ich bin Diplom-Psychologin und Lehrerin an der Priener Waldorf-Schule.“

Na Servus, denkt sich Herr P., eine angeheiratete Südfrucht. Und auch noch Waldorf-Schnitte. Wenn die jetzt ihren Namen tanzt, dann kriegen wir gleich einen doppelten Rittberger mit eingesprungenem Spagat zu sehen.

„Wir werden uns die nächsten acht Wochen an jedem Dienstag um Punkt zwölf hier sehen. Bitte seien Sie pünktlich, das Leben ist es ja auch. Danke. Heute beginnen wir mit den Grundlagen des autogenen Trainings. Lassen Sie mich kurz erläutern, was AT ist, und wie es funktioniert.“

Herr P. hört schon nicht mehr zu, sondern sieht aus dem Fenster und versinkt in seinen Gedanken. Was wollen die mir hier beibiegen, denkt er sich. Mein Gott, wenn ich da an meine Erfahrungen in Greislam denke. An meinen Kumpel, den alten Basaram. Seine esoterische Merkwürdigkeit, der große Basaram Bapa. Da haben wir nächtelang zu gregorianischen Gesängen an mineralreichen esoterisch aufgeladenen Steinen gelutscht. Bloß blöd, dass ich irgendwann den Rosenquarz verschluckt habe, denkt P. und grinst. Bis der wieder rauskam, das war auch eine überirdische Erfahrung. Oder, wenn ich an unser ayurvedisches Heilstöhnen denke, mein lieber Mann, kombiniert mit meditativer Beckenbodengymnastik, und das alles bei Vollmond. Das waren Sachen. Das hatte Hintergrund. Aber das hier, das ist doch reinstes Amateur-Voodoo.

Durch ein erneutes Händeklatschen schreckt er jäh aus seinen Träumen und hört die Stimme der Kursleiterin. Sie sagt: „So, und jetzt nimmt sich ein jeder von Ihnen eine Matte aus dem Schrank da hinten. Dann suchen Sie sich einen Platz hier im Raum, der Ihnen zusagt. Dann legen Sie sich bitte auf den Rücken. Entspannen Sie sich. Dann geht es gleich weiter.“

P. geht zum Schrank und schnappt sich eine Matte. Die kleine Frau mit der großen Stofftasche hat sich auch eine Matte geholt und lässt sich links neben P. nieder. Sie lächelt und packt die Stofftasche aus: eine braune Decke, ein braunes Kissen. Dann eine blaue Überdecke und dicke rote Wollsocken. Außerdem eine schwarze Schlafmaske und ein himmelblaues Kuscheltuch.

Mein lieber Scholli, denkt sich P., die hat das hier irgendwie mit Camping verwechselt, und schaut nach seiner Frau. Die liegt schon neben dem Rentner mit dem Ballonseiden-Trainingsanzug.

Die Kursleiterin, Frau Maracuja-Dingsbums, sitzt auf ihrem Stuhl und lächelt ihre Schäfchen an. „So, meine Lieben, jetzt liegen Sie erst mal bequem. Fühlen Sie den Kontakt mit dem Boden? Ja?“

Was soll ich sonst fühlen, denkt sich P. und rutscht sich auf der dünnen Matte zurecht. Die Südfrucht auf ihrem Stuhl hat gut reden, die sitzt ja.

„Entspannen Sie sich. Schließen Sie jetzt die Augen. Hören Sie auf meine Stimme“, sagt die Südfrucht, „und sprechen Sie in Gedanken jetzt folgende Sätze nach: Ich bin ganz ruhig, ich bin ganz ruhig. Die Ruhe kommt von selbst … kommt von selbst … Alles, was Sie sich jetzt vorstellen, das begleitet Sie auf dieser Gedankenreise … Ich bin ganz ruhig … Mein rechter Arm wird ganz schwer … gaaanz schwer … Denken Sie was Schönes … denken Sie an Wolken … an Berge … an einen See … was Sie jetzt denken, das wird Sie begleiten … Mein rechter Arm wird gaaanz schwer … gaaanz schwer …“

Aber Herr P. macht diesen Kinderkram nicht mit. Er denkt an was anderes. Er denkt an seinen Hund. Er sieht ihn im Blumengarten hinter dem alten Fischerhaus herumlaufen, zusammen mit zwei Hunden aus der Nachbarschaft. Und Herr P. hat seine eigene AT-Formel im Kopf. Er grinst vor sich hin und denkt: „Ich bin ganz ruhig …die Ruhe kommt von selbst … mein alter Hund ist viel zu schwer … zu schwer … ich bin ganz ruhig … alles ist rund … ich wollt’, ich wär mein Hund …“

Und schon nach wenigen Sekunden ist P. in einen tiefen Schlaf versunken.

„Fuck the cats“. Der, der das sagt ist ein übergewichtiger brauner Hund. Ein Bassett, möglicherweise. Sein rechtes Ohr ist ziemlich lädiert und seitlich, an der mächtigen Nase, da hat er auch einige Narben. Die sehen ziemlich frisch aus.

Neben ihm steht ein dunkelgrauer Riesenschnauzer. Einer von der Sorte, die die Traurigkeit gesehen hat, und der nickt jetzt bedächtig. Der Bassett sagt: „Neu hier, was? Wie heißt du denn?“

Herr P. sieht an sich herab und merkt, dass er plötzlich ziemlich kurze und braunbehaarte Beine hat. Und hinten noch mal zwei. Und das merkwürdige Fell. Was zum Teufel …?

„Kannst du nicht sprechen?“, fragt jetzt der Riesenschnauzer, „Ich bin der Bolo, und das hier, das ist Reggie. Und du, du siehst mir aus wie ein Dackel. Bist du reinrassig? Und wie heißt du überhaupt?“

Herr P. nickt und merkt, dass sein Schwanz wackelt. Er räuspert sich und sagt: „Ich … äh … ein Hund? Was?“

„Wow, der Kleine hier heißt Hund. Das ist ja echt mal ein Name, den man sich gut merken kann. Hund … Heilige Kacke aber auch“, sagt der Riesenschnauzer, „und du wohnst hier in der renovierten Fischerhütte, Hmh?“

Herr P. findet es selbst in seiner neuen Rolle als Hund unter seiner Würde, mit den beiden zu diskutieren. Er nickt nur. Und überlegt, wie er seinen Schwanz dazu bringen kann, mit dem idiotischen Wackeln aufzuhören.

„Well then, magst du Katzen?“, fragt der Basset mit englischem Akzent in der Stimme.

„Keine Ahnung, ich hab’ noch nie eine gegessen“, sagt Herr P. und betrachtet immer noch fasziniert seinen wackelnden Schwanz.

„Ein Komiker“, sagt der Riesenschnauzer, „so einer hat uns hier gerade noch gefehlt zu unserem Glück. Pass nur auf, du Clown, bis du Sam über den Weg läufst. Der steht auf deine Witze, da wette ich drauf.“

„Wer ist Sam?“, fragt P., und Reggie, der Basset sagt: „Sam? Das ist ein OG.“ Und wie er das sagt, der Reggie, da klingt das mehr nach „Ouu Tschiie“.

„Was zum Henker heißt das?“, fragt P. und merkt, wie sein Schwanz endlich mit der blöden Rumwackelei aufhört.

„OG? Das ist amerikanisch und heißt Original Gangster. So sieht sich Sam auf jeden Fall. Ich meine, der Kerl ist vorbestraft. Der ist polizeibekannt. So einer gehört weg von der Straße. Sam kommt aus einer Sozen-Siedlung, hab’ ich gehört. Der ist eigentlich nur auf Bewährung oder so hier auf der Insel. Die netten Leute vom Café Gini haben ihn aufgenommen. Nimm dich bloß vor dem in acht, der kann Anti-Wau. Das ist sowas ähnliches wie Katzen-Karate, dieses Anti-Wau. In was für einer Gesellschaft leben wir hier eigentlich? Hmh?“

„Jetzt reg dich nicht auf“, sagt Bolo zu Reggie und dann zu P.: „Stimmt schon, der Sam ist eine Landplage. Weißt du was? Der ist nicht nur kriminell, der ist sogar pervers. Der hat wochenlang in der Siedlung, wo er früher war, nachts Frauen-Unterwäsche von der Leine geklaut. Es hat sich schon keine von den Tussen da drüben getraut, über Nacht ihre Liebestöter und Büstenhalter auf der Leine zu lassen. Das Zeug ist regelmäßig geklaut worden. Das hat der uns mal erzählt. Da ist der auch noch stolz drauf.“

„Yes“, sagt Reggie, der sich wieder einigermaßen beruhigt hat, „da haben die sogar einen Frührentner aus der Nachbarschaft verdächtigt. Weil der im Fasching mal als Lady Di gegangen ist. Dann haben sich aber ein paar Polizisten nachts auf die Lauer gelegt. Tja, und in der zweiten Nacht oder so, da haben sie ihn überführt. Mit Infrarot-Kameras. Auf frischer Tat ertappt. Sam. Wie er über die Wiese schleicht. Mit einem BH, Körbchengröße 75 Doppel-D in der Schnauze. Das war’s dann wohl. Sagt er jedenfalls. Aber ob man dem Kerl alles glauben kann?““

„Wow, und dann?“ fragt P.

„Was und dann?“, sagt Bolo, „Der Typ ist doch zu früh kastriert worden. Schlimme Jugend und so. Da fällt doch jeder Richter drauf rein. Also, rein juristisch gesehen, ist Sam unzurechnungsfähig. Pass bloß auf, wenn der dir über den Weg läuft. Dann musst du sehen, dass du Land gewinnst. Aber pronto.“

„So, wir müssen jetzt aber auch wieder weiter. Es ist nämlich gleich Futterzeit. Und da müssen wir uns dummerweise nach den Menschen richten. Ich bin zwar der Meinung, dass ein Planet ohne Zweibeiner durchaus reizvoll wäre. Aber die wissen, wie man die Dosen mit Geflügel- Pastete und die Säcke mit Trockenfutter öffnet.“, sagt Reggie und zu Bolo gewandt: „Der Kleine hier, der wird den Sam schon noch kennenlernen.“ Und zu P.: „So long, Kumpel. Nächstes Mal zeigen wir dir hier auf der Insel ein paar tolle Insider-Pinkel-Stellen.“

Dann trotten sie davon, die beiden, und Herr P. steht auf dem Rasen und überlegt, was das ganze eigentlich soll. Ich könnte mal vor das Haus gehen, denkt er sich, und mal schauen, was da so läuft.

Was aber keine so gute Idee war, denn da sitzt er. Groß, schwarz, muskulös und mitten im Blumenbeet, links vor der Eingangstür: Sam, der Kampfkater. Seine gelben Augen fixieren Herrn P., und er schnurrt: „Ja, wer bist du denn, mein Kleiner?“

Warum zur Hölle nennen mich alle hier „Kleiner“, denkt sich P. und geht näher an den Kater ran. Der sagt: „Ich bin Sam. Da, wo ich herkomme, da war ich der Schrecken der Nachbarschaft. Und du? Bist du neu hier? Wie heißt du denn?“

„Ja“, sagt P., „ich bin neu hier. Und was willst du von mir, Macker? Wissen, wie ich heiße? Mann, ich bin so bösartig, für einen wie mich, da gibt es keinen Namen, kapiert? Und du, du sitzt in meinem Blumenbett. Mach dich auf eine andere Baustelle, sonst gibt es gleich eine auf die Kauleiste. Oder du endest als Mantelkragen-Pelzbesatz für irgendeine alte Oma. Such dir was aus, Mäusetiger.“

„Uiuiui, das klingt ja echt bedrohlich“, meint das schwarze Ungetüm: „Ehrlich jetzt? Hast du Geschwister oder Eltern?“

„Nein.“

„Ah ja. Sind noch andere Hunde im Haus?“

„Nein.“

„Super. Hast du schon Hundefreunde hier in der Gegend?“

„Nein. Warum fragst du mich das alles?“

„Tja, weil, wenn das so ist, dann kriegst du jetzt gleich mal fürchterlich eine aufs Maul. Nur so. Zur Begrüßung, sozusagen. Damit du gleich mal weißt, was hier abgeht. Ist nichts Persönliches. Ist rein geschäftlich.“ Damit schleicht der Riesenkater näher und bringt sich vor P. in Stellung.

Der sagt: „Ein Kampf? Gerne, von mir aus. Nur sollten wir vorher über die wichtigste Regel im Straßenkampf reden.“

„Welche Regel denn?“ fragt Sam und sieht gelangweilt nach hinten.

In dem Moment katapultiert sich P. nach vorne und beißt den Kater kräftig in die rechte Pfote. Sam springt erschrocken auf den Gartentisch unter dem Fenster, und P. ruft ihm hinterher: „Die einzige Regel ist: es gibt keine Regeln, du Blödpelz. Komm runter, und ich mach Ragout aus dir.“

Der erschrockene Sam begutachtet seine Pfote und faucht vom Tisch herunter: „Ich kann sowas ähnliches wie Karate. Pass bloß auf, du Heckenpinkler.“

„Mit deinem Mikado-Scheiß bluffst du mich nicht. Ich sag’ dir was. Da, wo wir vorher gewohnt haben, da tobte der echte Überlebenskampf. Und zwar jeden Tag. In den Wäldern rund um Eggstätt, da hab’ ich mit Löwen gekämpft. Und so ein Taschentiger wie du, der will mich erschrecken? Was? Im Leben nicht. Komm runter und stirb wie ein Mann.“

Sam starrt den durchgeknallten Dackel an und sagt: „In Eggstätt gibt es keine Löwen.“

„Tja, jetzt nicht mehr“, sagt P., „komm in die Pötte, Alter, oder mach die Fliege. Ich hab’ nicht den ganzen Tag Zeit.“

Der Kater sieht sich um und schaut dann wieder auf den Hund, der ziemlich cool zu ihm herauf starrt. „Weißt du was?“, sagt Sam, „Es hat doch echt keinen Sinn, wenn wir uns jetzt hier das Fell zerfetzen. Jetzt mach dich mal cool, Alter, und wir machen einen Deal. Ich erzähle allen Katzen hier in der Gegend, dass du ein ziemlich harter Knochen bist. Der Chuck Norris unter den Dackeln. Und du, du behältst unsere kleine Diskussion hier für dich. Und wenn wir uns auf der Straße treffen, dann bleibt jeder auf seiner Seite des Weges. Vielleicht kannst du auch noch so tun, als ob du Angst vor mir hättest. Ok?“

P. starrt den Kater nieder, genau so, wie er das im Fernsehen bei den Klitschkos gesehen hat. Der Kater blinzelt als erster. Bumm. Verloren. Dann sagt P.: „Ja gut, ausnahmsweise. Von mir aus. Hau ab jetzt, bevor ich mir das anders überlege. Weil, wenn ich Blut sehe, dann werde ich noch irrer. Da dreh’ ich ab. Weißt du was? Ich mach’ jetzt die Augen zu und zähl’ bis eins. Und wenn ich sie gleich wieder aufmache, dann bist du weg. Und jetzt hau ab. Zack die Bohne, ab mit dir. Tschüssikowski.“

P. schließt die Augen, hört ein Huschen und spürt einen Luftzug neben dem rechten Ohr. Vorsichtig öffnet er ein Auge ein klein wenig und späht um sich. Der Kater ist weg. Verschwunden. Zischend lässt P. seinen Atem entweichen und geht zurück zum Haus. Da hört er eine tiefe Stimme: „Was war das denn? Schämst du dich denn gar nicht?“

P. schaut über die rechte Schulter zum Holzzaun hin. Da steht eins der Alpakas. Ein heller Bursche mit einem unfassbaren Haarschnitt. P. tänzelt auf ihn zu und sagt: „Was ist, Dicker? Hast du auch ein Problem? Oder willst du eines? Jetzt bin ich gerade gut in Fahrt.“

„Komm mal runter, Kleiner. Ich bin Winnetou, und das da hinten, das sind meine Frau und meine Tochter. Und du bist unser neuer Nachbar, was?“

„Winnetou, was ist das denn für ein Name für ein Dromedar?“ fragt P. und das große Tier auf der anderen Seite des Zaunes sagt: „Ich bin ein Alpaka. Wir alle drei hier sind Alpakas. Und Winnetou heiße ich, weil mein Vorbesitzer gerne als Indianer verkleidet durch die Gegend geschlichen ist. Ein abgefahrener Typ war das. Aber die beiden hier, meine neuen Menschen, die sind in Ordnung.“

„Ach ja?“, sagt P. „wie sind die denn?“