Chilly Gonzales über Enya - Chilly Gonzales - E-Book

Chilly Gonzales über Enya E-Book

Chilly Gonzales

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Beschreibung

Chilly Gonzales ist einer der aufregendsten Musiker unserer Zeit. In Pantoffeln und Bademantel füllt er weltweit Konzertsäle. Seine Klaviermusik changiert zwischen Klassik, Pop und Jazz, seine Haltung ist die eines Rappers. Enya, die Frau mit der Engelsstimme und den unzählbaren Goldenen Platten, mag manche schmunzeln lassen, Chilly Gonzales jedoch ist begeistert von ihren sanften Songs und der mysteriösen Musikerin. Das bringt ihn zu der Frage: Muss Musik immer klug sein oder darf sie auch einfach nur ins Herz gehen?

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Seitenzahl: 64

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Chilly Gonzales

Enya

Chilly Gonzales über Enya

Kurzübersicht

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Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Chilly Gonzales

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

1. Die Schlafliedstimme

2. Unguilty Pleasure

3. Nein sagen

Epilog

Noch mehr Lesespaß

Inhaltsverzeichnis

1.Die Schlafliedstimme

Wenn ich Enya höre, denke ich, alles wird gut. Ich stelle mir dann vor, ich bin ein Baby und werde von einer irischen Märchenprinzessin in den Schlaf gesungen.

 

Ich erinnere mich nicht daran, dass meine Mutter mir jemals ein Schlaflied gesungen hätte. Sie besaß viele verschiedene Stimmen, aber keine für Schlaflieder. Sie besaß die quäkende Stimme einer jüdischen Mutter, die sie nutzte, um Geschichten zu erzählen, sie hatte einen kühlen Ton, der fast britisch klang, für diejenigen, mit denen sie einen Streit austrug, einen übertriebenen Missy-Piggy-Schrei, damit wir sie auch im Keller hörten – das war auch die Stimme, für die sie unter meinen Freunden am besten bekannt war. Aber sie hatte einfach keine sanfte Stimme in ihrem Repertoire. Sie war nie sie selbst, sie zog immer eine Show ab. Also: keine Schlaflieder für mich.

 

Und überhaupt ist ein Schlaflied keine Show, es ist im Prinzip Volksmusik, sie dient einem sozialen Zweck. Das Schlaflied gab es schon, bevor Musik als bewusste künstlerische Darstellung existierte. Vielleicht romantisiere ich das auch, aber Volksmusik (Gemeinschaftserlebnisse erzählt durch Musik) schien mir immer weniger selbstsüchtig als Popmusik (Lionel Richie tanzt kopfüber an der Decke). Ich habe angefangen, Musik zu machen, weil ich Aufmerksamkeit wollte, ich wollte eine Fantasie ausleben. Ich stellte sicher, dass meine Virtuosität mein Talent unter Beweis stellte, und das Schlimmste, was mir hätte passieren können, war, dass meine Musik an Schlaflieder erinnerte. Meine Motivation war so egogesteuert, wie sollte meine Musik da Menschen verbinden? Ich habe immer Musiker beneidet, die Musik für einen sozialen Zweck machten: Gospel-Sänger machten sie für Gott, DJs dafür, dass getanzt wird, Volksmusiker für die Gemeinschaft, und Schlaflieder waren dazu da, Kinder zu beruhigen.

Im Gegensatz zu Popmusik haben Schlaflieder keine Band und auch keinen Beat im Hintergrund, in der Regel überhaupt keine Begleitung. Das Schlaflied muss von alleine funktionieren, a cappella. Man kann sich nicht auf einen unerwarteten harmonischen Wechsel verlassen, der dem musikalischen Storytelling Spannung verleihen soll, so wie der Akkord bei der Zeile »As if nothing really matters« am Anfang von Bohemian Rhapsody. Man kann nicht auf eine akustische Überraschung zählen, wie etwa das umständliche Gestotter der Gitarrensaiten vor dem Refrain von Radioheads »Creep«. Keine Saxofon-Soli, kein Filter Sweep, kein Autotune. Ein Schlaflied ist tatsächlich reine Melodie, nur die Stimme selbst.

Ich war immer altmodisch, wenn es darum ging, Melodien zu respektieren. Die Melodie ist die Oberfläche eines Songs, die Fassade des Gebäudes. Wenn Leute fragen, ob man schon diesen einen neuen Song kenne, singen sie einfach die Melodie. (»Kennst du das? groove is in the hea-ar-ar-ar-art.«) Für die meisten Menschen IST die Melodie das ganze Lied. Harmonie, also die Akkorde, die die Melodie unterstützen, sind das unsichtbare Fundament des Gebäudes. Diese Akkorde haben die unglamouröse Aufgabe, die Emotionen in einem Song auf ein Maximum zu verstärken, sie sind aber nicht genug, um von alleine ein ganzes Stück zu sein, und man kann Akkorde auf keinen Fall summen. Man stelle sich »With or Without You« vor, ohne dass Bono jemals anfängt zu singen. Harmonie ist der Untertan der Melodie, ganz ohne Eigenleben.

Eine Melodie a cappella zu hören, ganz ohne die Harmonien und die restliche Soundwelt, ist eine Art Test. Klingt das dann immer noch wie Musik, wenn es einfach so gesungen wird, von einem normalen Menschen (einem Amateur)? Die ultimative Beweisprobe: wie klingt das Ganze, wenn es von deiner Mutter gesungen wird? Wenn es diesen Test besteht, wird die Melodie tatsächlich die Synekdoche der ganzen Musik in diesem Stück. Alle Schlaflieder haben diesen Test bestanden, und sie haben über Jahrhunderte überlebt. Sie sind immer noch da, trotz Kapitalismus, der Erfindung von Schlaftabletten und der Erfindung der Tonaufnahme, sie verlieren nie ihren ursprünglichen Zweck.

Das ist vermutlich auch der Grund, wieso wir uns keine Aufnahmen von Schlafliedern anhören. Sie existieren gar nicht als Aufnahmen in der Art, wie Popsongs es tun. Ein Popsong ist ein besonderer Moment in der Geschichte, festgehalten von einem besonderen Künstler, er gehört zu diesem Künstler, und wir erkennen ihn als Eigentümer an, der Song wird immer gleich klingen. Egal, ob man den Song live hört oder eine Coverversion davon, gedanklich sind wir immer beim Original. Es gibt nur ein »Take on me« auf der Welt, und es ist von a-ha, und wenn wir irgendeine Achtziger-Coverband hören, die diesen Song spielt, vergleichen wir sie immer mit der Studioaufnahme von 1981. Es ist unmöglich, sich den Song ohne diese exakte Kombination von kitschigem Schlagzeug und der Stimme von Morten Harket (habe ihn gerade gegoogelt) vorzustellen. Ein Popsong lebt nur in diesem einen Moment, in dem er geboren wird, von da an ist er eingefroren wie ein Höhlenmensch im ewigen Eis. Es ist nahezu unmöglich, Menschen dazu zu bringen, eine Coverversion eines ikonischen Popsongs ganz neu zu hören, als wäre es das allererste Mal. Ich weiß das, ich habe es versucht. Als ich 2004 damit anfing, Konzerte zu geben mit nichts außer meinem Klavier, war eine meiner besten/schlechtesten Ideen, Popsongs aus den Achtzigern im Gestus des Jazz oder der Klassik neu zu arrangieren. Tatsächlich habe ich ein Faux-Barock-Arrangement von Enyas »Orinoco Flow« (der Sail-Away-Song) entwickelt. Aber mein Cover konnte nicht wirklich objektiv gehört werden, es konnte die Leute nur an die Originalversion erinnern, die immer noch in unserem kollektiven Nostalgie-Gedächtnis wohnt, ohne Miete zu zahlen. Die Erinnerung an das Original war zu mächtig, und die Erinnerung war das, worüber mein Publikum nach der Show sprach.

Volksmusik kommt ohne diesen Ballast daher, es gibt keine Originalaufnahme eines Schlafliedes. Es ist nicht mal etwas, was wir auf der Grundlage von Musikgeschmack bewerten können. Entweder es »funktioniert« oder es versagt. Das Baby schläft, oder es schläft nicht (so wie bei Comedy das Publikum entweder lacht oder eben nicht). Wir wissen nicht, wer es komponiert hat, und es interessiert uns auch nicht. Es ist nur wichtig, wer es singt.

Aber welche Art von Stimme »funktioniert« für ein Schlaflied? Eine sanfte Stimme, eine beruhigende Stimme, eine, die Schmerz lindert, gar Zweifel, eine, die den Zuhörer in Sicherheit wiegt, eine, die weich und geduldig ist, eine Stimme, der man sofort vertraut. Auch eine unnatürliche Stimme mag vielleicht ein paar Leute überzeugen, aber am Ende ist nur Authentizität das, was wir ohne Umschweife verstehen, wenn wir sie hören. Vor ein paar Jahren wollte mir ein Freund etwas vorspielen, was er entdeckt hatte, und er war so aufgeregt, weil er nicht glauben konnte, dass ich es noch nicht kannte. Alle sprächen darüber, ich würde es lieben, sagte er. (Ich kann es nicht leiden, gesagt zu bekommen, dass ich etwas liebe, bevor ich die Möglichkeit hatte, es für mich selbst zu entscheiden.) Er drückte auf Play. Gitarrenmusik, nicht wirklich mein Ding. Aber es hatte genug harmonisches Flair, das Schlagzeug war eine relativ disziplinierte Kombination von modernen Sounds und genug überraschenden Momenten, um dem Ganzen Menschlichkeit zu verleihen, es gab akustische Referenzen, die ich erkannte, einige von ihnen schätzte ich sogar … und dann kam der Sänger. Dieser Sänger dachte, er könnte mich austricksen, indem er sich in diesem respektablen Backing Track versteckte. Aber seine Unsicherheit war für mich hörbar, er tat nur so als ob. Er hatte es geschafft, den Klang vom »Loslassen« zu imitieren, ohne wirklich loszulassen. Das, was eine unmusikalische Person sich unter ungehemmter Kunst vorstellte. Würg.