Christmas Love Collection: 3 Bände in einem Bundle! - Nina Brenke - E-Book

Christmas Love Collection: 3 Bände in einem Bundle! E-Book

Nina Brenke

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  • Herausgeber: Carlsen
  • Sprache: Deutsch
Beschreibung

Was gibt es Schöneres als verschneite Küsse unterm Weihnachtsbaum? 3 winterliche Romane für die Vorweihnachtszeit!  Dieser Sammelband enthält:  »Keep Me Warm« von Nina Brenke  #FakeDating #OppositesAttract   Nach einer durchfeierten Nacht findet sich Rosie in den Armen des tätowierten Womanizers Nick Horan wieder. Prompt bittet sie ihn, sie zur Weihnachtsfeier auf den verschneiten Landsitz ihrer Familie zu begleiten – wo alle Nick für ihren Freund halten. Warum also nicht mitspielen?   »Lovely Hateful Christmas« von Christelle Zaurrini  #grinchXsunshine #smalltown   Juna lebt in dem bekannten Weihnachtsmanndorf Lapplands und liebt einfach alles an Weihnachten. Anders als der verdammt gutaussehende und mürrische Levi, der kurz vor dem Fest in dem Touristen-Hotspot strandet – seiner persönlichen Hölle!     »Take a Chance on Me. Adventskalender zum Verlieben« von Gina Heinzmann   #BadBoyXGoodGuy #CollegeRomance Als Alex plötzlich ohne Date zum Winterball der Uni dasteht, drängt seine beste Freundin ihn dazu, bei einem Dating-Adventskalender mitzumachen. Der Algorithmus weist ihm niemand anderen als den Bad Boy des Campus zu. Damit ist Alex' vermeintlich perfekter Partner vor allem eins – definitiv keine Frau.   Verkürze die Wartezeit bis zum schönsten Fest des Jahres mit Büchern, die jedes Herz zum Schmelzen bringen. Diese Weihnachts-E-Box enthält alle drei vollständigen Romane. Jeder Roman ist ein Standalone und eigenständig lesbar. 

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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www.impressbooks.de Die Macht der Gefühle

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Rechtlicher Hinweis § 44b UrhG: Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor. Mit Fragen zur Produktsicherheit wenden Sie sich bitte an: www.carlsen.de/kontakt

Impress Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH, Völckersstraße 14-20, 22765 Hamburg © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2025 Text © Nina Brenke, 2022; Christelle Zaurrini, 2021; Gina Heinzmann, 2020 Coverbild: shutterstock.com / © Avdeyukphoto (578434708); © Arterfak Project (1449504080) / bookcoverstore.com / stock.adobe.com / ©ooddysmile / ©AdobeStock_271076123 / ©Mariusz Blach / ©AdobeStock_181583967 / ©enjoynz / ©AdobeStock_159784364 Covergestaltung der Einzelbände: Formlabor; Bookcoverstore; Kiwibytes Design ISBN 978-3-646-61250-9www.impressbooks.de

Wohin soll es gehen?

Band 1: Keep Me Warm. Irish Hearts

Band 2: Lovely Hateful Christmas

Band 3: Take A Chance On Me. Adventskalender zum Verlieben

Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.

Tauch ab und lass die Realität weit hinter dir.

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Nina Brenke

Keep Me Warm

**Ein Fake-Boyfriend zum Verlieben**Als Rosies Freund sie kurz vor den Feiertagen sitzen lässt, hat sie endgültig die Nase voll von Männern und Beziehungen. Nach einer durchfeierten Nacht findet sie sich auf einmal in den tröstenden Armen von Nick Horan wieder. Und obwohl der tätowierte Womanizer eigentlich so gar nicht ihr Typ ist, bittet Rosie ihn, sie zur Weihnachtsfeier ihrer Familie zu begleiten. Prompt wird Nick für ihren Freund gehalten und die beiden kommen sich auf dem verschneiten Landsitz von Rosies Familie unweigerlich näher. Aber auch wenn das irische Wicklow seinen ganz eigenen Winterzauber versprüht, so ist doch Rosies Vergangenheit hier präsenter denn je und droht die aufkeimenden Gefühle für Nick unter ihrem Gewicht zu begraben …

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Vita

Playlist

Danksagung

© Vero Daum Fotografie

Für Nina Brenke, Jahrgang 1983, wäre die Welt nichts ohne die Musik und das geschriebene Wort. Seit ihrer Jugend kombiniert sie diese Dinge in Geschichten, bei denen es – wie im echten Leben auch – um das Suchen und (Wieder-)Finden der Liebe geht. Fast all ihre Erzählungen spielen auf der grünen Insel, wo ihr Herz schon vor 20 Jahren ein zweites Zuhause gefunden hat. Nina lebt mit ihrer Familie in Südhessen.

Für B., M. und N.Hört nie auf zu träumen!

Vorbemerkung für die Leser*innen

Liebe*r Leser*in,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die Spoiler enthält.

Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleibe damit nicht allein. Wende dich an deine Familie und an Freunde oder suche dir professionelle Hilfe.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

Nina und das Impress-Team

Playlist

Moncrieff – Warm

Brandon Flowers – Crossfire

Keane – Bedshaped

Niall Horan – Nice to Meet Ya

Rea Garvey – Pretty

Picture This – This Christmas

Harry Styles – As It Was

Emily Roberts – Dinosaurs

Gavin James – Hearts on Fire

Run-D.M.C. – Christmas Is

The 1975 – The Sound of Your Heart

James Blunt – Same Mistake

Michael Patrick Kelly – Blurry Eyes

Sinéad O’Conner – I Believe in You

Jérémy Frerot – J’ai la mer

Kodaline – All I Want

Tom Odell – Another Love

Dermot Kennedy – Outnumbered

The Pogues and Kirsty MacColl – Fairytale of New York

Christopher – Ghost

The Night Game – Bad Girls Don’t Cry

Imagine Dragons – Shots

SIA – Cheap Thrills

Extreme – Christmas Time Again

Rosie

23. Dezember

»Ich hätte wissen müssen, dass er ein Idiot ist.«

Mit einem Tritt gegen den zerbeulten Stahl fliegt die Tür auf. Ich entkomme in die Nacht und schüttle den Schleier aus Dunst und Lärm mit einem lautlosen Schrei ab.

Wir drängen uns an den im Weg stehenden Menschen vorbei und finden auf der anderen Seite des Innenhofs eine freie Ecke an einem Infrarotstrahler, der noch nicht von Rauchern oder rumknutschendem Partyvolk annektiert worden ist.

Schweigen und blassrote Wärme hüllen uns ein. Ich krame den schmalen Kunststoffstängel aus meiner Tasche und ziehe daran, als hinge mein Leben davon ab … als könnte mich der Geschmack beruhigen. Er tut es nicht, im Gegenteil.

Ich blinzle die Tränen weg, ignoriere den Knoten in meinem Bauch – und Cheryl, die neben mir steht und mich mit großen Augen ansieht. Weil sie mich lange und gut genug kennt und weiß, dass sie gegen meine unterirdische Laune nicht ankommt. Carla hingegen will noch nicht aufgeben und fährt mir – ähnlich ratlos, aber bemüht – über den Rücken, wiederholt dabei gebetsmühlenartig die Worte: »Die Gutaussehenden sind meistens Idioten.«

Ich möchte ihre Hand wegschlagen, tue es aber nicht.

»Die Gutaussehenden sind immer Idioten«, korrigiere ich sie stattdessen. »Immer. Immer. Immer.«

Meine Lippen umschließen den Kunststoff der E-Zigarette, als mich ein tiefes »So schlimm?« hinter mir innehalten lässt.

Die Art, wie Carlas Wangen zu glühen anfangen, als sie an mir vorbeispäht, kann nur bedeuten, dass Nick Horan uns gefunden hat.

Langsam drehe ich mich um, muss den Kopf heben, so dicht steht er bei mir. Sein Lächeln ist breit und einnehmend.

Als er sein halb volles Pint hebt und es uns prostend entgegenstreckt, weht mir ein Hauch von Zitrus – und Lavendel? – um die Nase.

»Hey, ihr Hübschen.«

Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich diesen Spruch in den letzten Jahren von ihm gehört habe. Nicht bloß in unsere Richtung.

Ich ziehe betont lässig an meiner E-Zigarette, mache mit verschränkten Armen einen Schritt zurück und mustere mein Gegenüber, während ich den nach Kaktusfeige und Ananas schmeckenden Dampf in den Nachthimmel blase.

Sein Bart ist ein Stück länger und ich glaube, auf seinem Unterarm prangt ein neues Tattoo, das sich bis hinunter zu seinem linken Handrücken zieht. Was ist das? Ein Stormtrooper-Helm? Ein Kühlergrill? Genau kann ich es in dem diffusen Licht nicht erkennen, beides scheint in meinen Augen jedoch keine glückliche Wahl für eine Stelle zu sein, die immer und für jeden sichtbar ist. Aber da sein Arm mittlerweile einem Wimmelbild gleicht, kommt es darauf wohl nicht mehr an.

Ich bemerke die weißen Wölkchen, die von seinem Mund aufsteigen, doch erst als Carla mich mit dem Ellenbogen in die Seite stößt, realisiere ich, dass er mit mir spricht.

»Ob ich auch ein Idiot bin, wollte ich wissen«, kommt es auf meinen fragenden Gesichtsausdruck hin prompt von ihm.

»Ausnahmen bestätigen die Regel.« Ich inhaliere ein weiteres Mal, puste den Dampf geräuschlos nach oben und sehe der Dunstwolke hinterher, bis sie sich im nachtschwarzen Nichts über uns so weit aufgelöst hat, dass man die Sterne wieder sieht.

»Und ich will wahrscheinlich nicht wissen, in welcher Hinsicht ich die Ausnahme bin, richtig?«

Ich kann nicht anders, als sein breites Lächeln zu erwidern – auch wenn ich ihn viel lieber treten möchte. Vorzugsweise irgendwohin, wo es wehtut. Dabei kann er nicht mal was für meinen desolaten Gemütszustand. Niemand hier kann das. Daran ist nur Damian schuld. Damian, der Idiot.

Mit dem nächsten Lungenzug sehe ich zu Boden, weil die Tränen, die hinter meinen brennenden Augen darauf warten, geweint zu werden, niemanden etwas angehen – schon gar nicht einen wie Nick Horan, der auch bloß ein Idiot ist.

Ich seufze lautlos. Genau genommen bin ich hier die Idiotin. Weil ich nach dem Mist der letzten Jahre offensichtlich kein Quäntchen klüger geworden bin, was Männer angeht.

Ich komme mir so … idiotisch vor.

Als ich aufblicke, sind es Nicks braune Augen, die mich neugierig und irgendwie besorgt ansehen. »Was?«, pampe ich ihn an.

»Bin ich die Ausnahme, weil ich kein Idiot bin, oder weil ich nicht gut aussehe und trotzdem einer bin?«

Spätestens jetzt möchte ich wirklich gern meine Faust in seinem Grinsen vergraben.

»Dass du gut aussiehst, weißt du selbst«, attestiere ich ihm unter dem zustimmenden Nicken meiner Freundinnen und schicke schulterzuckend eine weitere Ladung Dampf in den Nachthimmel.

Natürlich weiß er das. Das bekommt er oft genug gesagt, da wette ich drauf. Von Frauen wie Carla, die auf diesen messy Man Bun stehen, der nur kaschieren soll, dass er seine viel zu langen Haare seit Wochen nicht gewaschen, geschweige denn gekämmt hat. Oder auf seinen unappetitlichen Vollbart, in dem er morgens wahrscheinlich regelmäßig die Reste seines Abendessens vorfindet. Und auf seine dunklen Augen, die immer ein bisschen aussehen, als würde er sie schminken.

Okay. Ja. Er sieht gut aus. Irgendwie.

Und er ist angeblich gut im Bett. Das weiß ich allerdings nicht von ihm oder, Gott bewahre, aus eigener Erfahrung. Die brauche ich nicht. Nick hat einen Ruf, der ihm hier im Icon – und in ganz Limerick – meilenweit vorauseilt. Carla ist eine der Glücklichen, die er schon mit nach Hause genommen hat. Und sie hängt auch heute an seinen Lippen, als wären sie das Zentrum ihres Universums. Es ist erschreckend lächerlich, wie die Frauen in seiner Gegenwart zu willenlosen Püppchen werden. Noch furchtbarer ist, dass eine meiner engsten Freundinnen eine davon ist.

Aber seit ich im vergangenen Jahr mit einem von Nicks besten Kumpels geschlafen habe – unwissend, um wen es sich handelt –, bin ich wohl nicht mehr in der Position, über ihn zu urteilen …

»Also, bin ich nun ein Idiot oder nicht?«

Ich sehe ihn wieder an. Langsam glaube ich, das Grinsen ist aufgemalt. Oder hat er mit Mitte zwanzig Botox ausprobiert und die Kontrolle über seine Mimik verloren?

»Das zu beurteilen, überlasse ich gern anderen.« Mit einem Zwinkern ziehe ich erneut an meiner E-Zigarette und wende mich Cheryl und Carla zu, die mit einem stupiden Lächeln im Gesicht zu dem Eins-neunzig-Hünen hinter mir aufschauen.

»Mädels«, versuche ich ihre Aufmerksamkeit auf mich zu lenken und schnipse mit den Fingern, um sie aus ihrer Starre zu holen. »Gehen wir rein? Mir wird kalt.«

»Ich komme gleich nach«, säuselt Carla, ohne ihren Blick auch nur eine Sekunde lang von Nick zu nehmen, woraufhin ich mich genervt bei Cheryl einhake und sie zurück nach drinnen zerre. Zeit für mehr Alkohol.

Die Tanzfläche ist an diesem Freitagabend brechend voll mit Menschen aller Art. Alte und junge. Männer, die nach Business Chic aussehen, und solche, die angezogen sind, als hätten sie bis eben auf dem Sofa GTA V gezockt. Ein Stück weiter tanzen Frauen in Miniröcken – so kurz, dass sie kaum Raum für Fantasie lassen – neben solchen mit tiefen Ausschnitten und Gesichtsbemalung, bei denen selbst die Kardashians blass werden würden. Mittendrin in all dem Trubel steht ein älterer Herr im Smoking, der aussieht, als wäre er aus der Zeit gefallen, wie er so beseelt zu SIAs Cheap Thrills tanzt.

Jeder von diesen Menschen hat einen Grund, heute Abend hier zu sein. Ein Ausgleich zum stressigen Büroalltag, wo gerade Hochsaison herrscht, oder vielleicht die bitter nötige Erholung nach dem Einkaufsmarathon. Eine Art vorweihnachtliche Flucht vor der eigenen Familie, um Kraft zu tanken für die bevorstehenden Feiertage mit Kind und Kegel. Oder um sich den ganzen Frust der vergangenen Tage – der vergangenen Monate, Jahre – von der Seele zu tanzen, so wie bei mir. Und ihn in Gin Tonic zu ertränken, den Cheryl mir im nächsten Moment reicht.

»Auf uns. Und scheiß auf die Männer.«

»Du hast leicht reden«, brummele ich und nehme einen Schluck.

Sie und Dan sind eines dieser perfekten Paare, die sich in der Schule gefunden haben und nie trennen werden. Die auch nach einem halben Jahrzehnt zusammen aussehen wie frisch verliebt.

Und ich? Ich bin wieder allein. Nicht kompatibel. Zumindest nicht, wenn es um mehr geht als unverbindlichen Sex und lose Bekanntschaften. »Vielleicht bin ich nicht zu mehr imstande. Weil ich das eigentliche Problem bin.«

»Du bist nicht das Problem, Rosie.«

Ich schaue von dem weißlich schimmernden Longdrink in meiner Hand auf. Habe ich das eben laut gesagt? Oder sind die trüben Gedanken mittlerweile so offensichtlich, dass sie mir auf die Stirn geschrieben stehen?

»Damian ist einfach ein Idiot«, ruft Cheryl über die wummernden Bässe hinweg.

»Ich weiß …«, murmele ich wenig überzeugt und nehme einen weiteren Schluck. »Soll er in der Hölle schmoren, der … Idiot.«

»Richtig.« Cheryl grinst und tätschelt mir ein paar Mal aufmunternd die Schulter. »Genau so.«

»Idiot. Idiot. Idiot«, wiederhole ich, bis es erneut diese unverkennbar dunkle Stimme ist, die mich ermahnt.

Nick

Carla lässt keinen Zweifel daran, was sie will. Ihre Augen haben mir das schon gesagt, da stand Rosie noch zwischen uns.

Und tatsächlich, kaum hat sich die Tür hinter ihren Freundinnen geschlossen, gibt es für sie nur uns beide. Ihre Lippen glänzen, ihre blonden Haare ebenfalls. Ihre Augen ziehen mich aus. Ich genieße ihre eindeutigen Blicke auf meiner Haut, bevor sie mir in die Arme fällt und ihre Hände plötzlich überall sind. Sie fahren meine Brust auf und ab, durch die Haare, reißen einzelne Strähnen aus dem Zopf, krallen sich in meinem Nacken fest und ziehen mich zu ihr.

Sie schmeckt nach Tonic und Erdbeer-Lipgloss und danach, dass ich morgen früh nicht allein aufwachen werde. Ein kleines, verfrühtes Weihnachtsgeschenk an mich selbst. Wobei ich nicht sicher bin, ob ich nicht eher Carlas Geschenk bin.

Mit ihr ist das so eine Sache. Sie ist lieb und nett und sieht verdammt gut aus, keine Frage. Küssen kann sie auch. Aber sie hat vergessen, worum es bei uns geht. Sex. Und Punkt. Keine Gefühle, keine Eifersüchteleien, keine Überfälle wie den hier. Das lief die ersten Wochen nach unserer Bettbegegnung problemlos – bis zu dem Abend im Spätherbst, als sie anfing, mir Nachrichten zu schreiben. Ob ich heute im Icon unterwegs sei. Ob ich Zeit hätte, mit ihr was trinken zu gehen. Ob ich den neuesten Marvel-Film gesehen hätte. Wann wir uns treffen wollten.

Und wann immer wir uns seither sehen, gibt sie mir das Gefühl, alles für mich sein zu wollen. Mit dem Resultat, dass ich mich schlecht fühle, wenn ich ihr nicht die Aufmerksamkeit schenke, um die sie so vehement bettelt. Also stecke ich in der Zwickmühle, denn vor ihren Augen mit einer anderen Frau rumzumachen ist nicht mein Stil. Sie ein zweites Mal mit nach Hause zu nehmen allerdings auch nicht. Schon gar nicht, wenn ich befürchten muss, dass sie danach weitere Besitzansprüche geltend macht.

Ich hätte meinen Kumpel Keir überreden müssen mitzukommen. Er hätte mich davon abgehalten, meine Zunge in eine Frau zu stecken. Aber er ist nicht hier – und meine Zunge steckt sehr wohl in Carla. Verdammt.

Ich bringe mich dazu, vernünftig zu sein. Auch wenn andere Teile meines Körpers an dieser Stelle gern weitermachen möchten, lege ich meine Hände auf ihre Schultern und drücke sie sanft von mir weg. Nur nicht zu bestimmt, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen.

Sie ist außer Atem, ihr Blick fragend, der Lipgloss überall, nur nicht mehr auf ihren Lippen.

»Carla, wir … Das wollten wir sein lassen, oder?«, sage ich und komme mir dabei vor wie ein Arsch. Zu Recht, wird Carla jetzt vermutlich sagen.

Aber sie sagt gar nichts. Sie senkt den Kopf und sieht zu Boden und ich könnte es dabei belassen. Mich umdrehen und gehen, aber das bringe ich nicht übers Herz, stattdessen seufze ich, hebe meine Hand und fahre unter ihr Kinn. Als sie zu mir aufsieht, glitzert es in ihren Augen.

»Hey …« Meine Zähne graben sich in die Innenseite meiner Wange, bis es schmerzt. Ich zwinge mich zu einem Lächeln, streiche ihr eine Strähne aus dem Gesicht. »Hast du über Weihnachten was Schönes vor?«

Sie nickt schwach gegen meine Hand. »Ich bin bei meinen Eltern in Ennis. Meine Geschwister kommen … mit ihren Kindern. Und meine Großeltern und Tante mit ihrer Familie.«

»O wow, volles Haus also?«

Wieder nickt sie und dann: »Bist du Silvester auch hier?« Ihre Augen fangen erneut zu leuchten an. »Rosie hat Karten für uns besorgt.«

Jetzt bin ich an der Reihe zu nicken. Wo soll ich auch sonst sein?

»Dann können wir ja vielleicht …«

»Anstoßen«, biete ich ihr an und sie stimmt mir wortlos zu, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass das nicht das Wort ist, nach dem sie gesucht hat.

Wir schweigen. Aber es ist kein angenehmes Schweigen. Es ist krampfig. Für mich, weil ich die Situation gern hinter mir lassen möchte, aber nicht weiß, wie, und für sie, weil ich ihr ansehe, dass sie nicht fertig ist. Mit mir.

Ich nutze die Chance, als sie sich mit den Händen über die Oberarme fährt, und lege meinen Arm um ihre Schulter. »Wir sollten reingehen, bevor du dir noch eine Erkältung einfängst und die Feiertage im Bett verbringen musst.«

In ihren funkelnden Augen lese ich, dass sie sich Schlimmeres vorstellen kann, als die Feiertage im Bett verbringen zu müssen – solange ich auch anwesend bin. Ich gehe nicht weiter auf ihre stumme Bitte ein, schiebe sie aus der trügerischen Wärme des Heizpilzes in Richtung Tür und wische mir mit dem Handrücken den Erdbeergeschmack von den Lippen, als sie nicht hinsieht.

Wir finden Rosie und Cheryl und ich bin zugegebenermaßen erleichtert, die Kleine gleich los zu sein, da höre ich, wie Rosie wütend vor sich hin schnaubt.

»Idiot. Idiot. Idiot.«

»Fällt dir nichts Kreativeres ein?«, fragt mein Mund ziemlich laut, ehe mein Kopf das Denken angefangen hat.

Sie wirbelt herum, und ihr Gin Tonic schwappt aus dem Glas und bildet sternförmige Spritzer auf dem Boden. Ihr hellblonder Bob fällt zur Seite, als sie den Kopf schief legt, die Arme vor der Brust verschränkt – ohne dass weitere Tropfen auf dem Boden landen – und zwischen Carla und mir hin und her sieht. Ihr Gesichtsausdruck sagt mir, dass sie genau weiß, was wir draußen gemacht haben. Jeder weiß das, der Carla kennt – oder mich.

»Aber natürlich«, faucht sie und setzt mir den Finger wie ein Gewehr auf die Brust. »Wenn dir das zu eindimensional ist, dann hätte ich auch noch Lügner«, ihr Finger bohrt sich zwischen meine Rippen, »Penner«, wieder ein Stich, diesmal fester, »Scheißkerl«, ihre Augen werden zu Schlitzen, »Heuchler«, ich hebe die Arme und mache mit jedem Ton einen winzigen Schritt zurück, »Armleuchter«, ihre Worte werden wütender und eindrücklicher, als wollte sie sie in mich hineinschreien, »Drecksack«, der Gin schwappt gefährlich nah am Glasrand hin und her, »Hochstapler« – glitzert es etwa in ihren Augen? – »oder Arschgesicht im Angebot!«

Als sie fertig ist, stehe ich mit erhobenen Armen und hochgezogenen Augenbrauen da und weiß nicht, wie mir geschieht. Auch Cheryl und Carla starren, als hätte ihre Freundin den Verstand verloren – und wer weiß, vielleicht hat sie das auch.

Es ist nicht zu übersehen, dass sie mit den Tränen kämpft, und kurz bevor sie gegen ihren eigenen Körper verliert, macht sie auf dem Absatz kehrt und verschwindet in der tanzenden Menge.

Rosie

24. Dezember

Es ist ruhiger geworden, seit Trevor die Turntables abgestellt hat. Im Hintergrund läuft gerade leise Fairytale of New York von den Pogues, während ich am Tresen sitze, das halb leere Glas gedankenverloren um seine eigene Achse drehe und an der Girlande aus künstlichem Tannengrün und noch künstlicherem Glitzer herumfummle. Nicht mal hier im Klub ist man sicher vor den drohenden Feiertagen.

»Letzte Runde«, schalmeit Georges eindringliche Stimme durch den Raum, als im selben Moment die Lichter angehen und die Discokugel über der Tanzfläche zum Stehen kommt. Endstation. Gleich müssen alle – auch ich – den Klub verlassen und sich der Realität außerhalb dieser schützenden Mauern stellen.

Ich lasse den Kopf sinken und schließe die Augen. Fühle mich allein in einem Raum voller Menschen. Cheryl und Carla sind schon eine ganze Weile weg. Cheryl, weil sie mit Dan früh am Morgen nach Dublin aufbrechen will. Und die wundervolle, aber naive Carla hat den Abend erwartungsgemäß nur zwanzig Minuten später aus fadenscheinigen Gründen beendet und ist verschwunden. Wahrscheinlich mit Nick.

Meinen Segen hat sie.

Das Angebot, bei mir zu übernachten, haben beide mit der Begründung ausgeschlagen, dass ich heute Abend unbedingt jemanden finden sollte, mit dem ich mich über Damian hinwegtrösten kann. Dabei habe ich daran absolut kein Interesse. Männer sind … Idioten.

Womit wir beim Thema sind. Denn als hätte ich nicht schon genug Probleme, die ich in reichlich Gin zu ertränken versuche, gesellt sich ein weiteres in Form einer bärtigen Gestalt hinzu, die sich auf den freien Barhocker neben mir fallen lässt. Sein Lächeln ist weniger breit als noch vor ein paar Stunden, aber weiterhin freundlich. Er schiebt seinen Oberkörper und das Pint in seinen Händen weit nach vorn über den Tresen in mein Blickfeld.

»Ich dachte, du bist längst mit Carla abgezogen«, murmele ich in mein Glas hinein.

»Wer sagt das?«

Einen Moment lang sehe ich ihn an, dann schüttele ich den Kopf. »Ich dachte bloß.« Ich schlucke den letzten Rest Gin Tonic hinunter, drehe mich auf dem Barhocker zu ihm und überkreuze die Beine, die ich für den heutigen Abend in meinen Lieblingsrock gepackt habe – schwarz, knielang und aus Leder. »Findest du keine Willige, die du flachlegen kannst, oder warum kommst du ständig angekrochen?«

Erst ist sein Gesichtsausdruck arrogant. Nach dem Motto: Als ob ich das nötig hätte. Dann legt er seine Hand auf meine und sieht mich anders an. Herzlich. Fast hätte ich – schon wieder! – besorgt gesagt.

Sein Lächeln kommt näher. »Du bist ein bisschen schräg drauf im Moment, kann das sein?«

»Wie kommst du darauf?«

»Ich dachte nur … Scheißkerl, Heuchler und – was war es noch? – Arschloch sind ziemlich hart für diesen besinnlichen Vierundzwanzigsten …«

Ich sehe kurz auf die Uhr, dann wieder in seine dunklen Augen, die mich aufmerksam mustern. »Es war noch der Dreiundzwanzigste, als ich das gesagt habe.« Meine Stimme bricht. Scheiße, scheiße, scheiße, jetzt nicht wieder vor ihm anfangen zu heulen! Ich räuspere mich und schicke ein lapidares »Und es war Arschgesicht, nicht Arschloch!« hinterher.

»Ist das nicht das Gleiche?«

»Das eine ist vorn, das andere hinten.«

»Touché«, gesteht er mir lachend zu und leert sein Pint. »Wie viele von denen hattest du?« Sein Nicken deutet in Richtung des leeren Glases vor mir.

Ich folge seinem Blick und überlege kurz. »Zwei, drei vielleicht«, behaupte ich. »Warum?«

»Sicher?«

Der Ton in seiner Stimme lässt vermuten, dass er mir die Schätzung nicht abkauft, aber das könnte mir nicht gleichgültiger sein. »Ziemlich.«

»Komm, ich bring dich nach Hause.«

Ich rolle mit den Augen. Es nervt mich, dass Carla ihm erzählt hat, wo ich wohne, und dass er seither so tut, als wären wir Nachbarn. Dass er fragt, ob ich den neuen Inder an der Ecke ausprobiert habe oder was ich von den überbackenen Fritten in dem kleinen Café im Hinterhof der Buchhandlung halte.

»Dank dir, aber … ich komme klar«, raune ich ihm zu und schiebe mich vom Barhocker herunter. »Schöne Weihnachten, Horan.«

Die Musik ist längst aus, die Tanzfläche leer, bis auf den älteren Herrn im Smoking, der, ein glückseliges Lächeln im Gesicht, beharrlich über die transluzenten Bodenplatten springt, weil Avicii oder Robin Schulz oder wer auch immer in seinem Kopf für ihn spielt.

Während ich mich in die kurze Schlange an der Garderobe einreihe, hole ich das Handy aus meiner Tasche und scanne die eingegangenen Nachrichten.

»Warum habe ich deine Handynummer eigentlich nicht?«

Nicks Gesicht ist meinem Nacken so nah, dass ich seinen bierschwangeren Atem riechen kann. Ich mache mir nicht die Mühe, mich zu ihm herumzudrehen. »Weil ich dir nichts zu sagen habe.«

»Autsch.« Grinsend umrundet er mich und steht nun direkt vor mir. Quasi in Reichweite. Und Riechweite. Ich rümpfe die Nase. Längst übertönen Schweiß und Zigarettenqualm den Zitrus-Lavendel-Duft von vorhin – dabei raucht er meines Wissens nicht mal.

Ich beiße mir auf die Lippen und fokussiere sein schwarzes Shirt, denn trotz High Heels bin ich nicht annähernd groß genug, um ihm in die Augen sehen zu können, ohne den Blick heben zu müssen.

»Du musst dringend in die Dusche, Horan.«

»Ich weiß.« Er beugt sich nach unten, um mich dazu zu bringen, ihm in die Augen zu sehen, aber den Gefallen tue ich ihm nicht. Aber als er »Du auch!« haucht, platzt mir endgültig der Kragen.

»Nick«, presse ich hervor und funkele ihn an, »geh bitte jemand anderem auf die Nerven, okay? Ich habe kein Interesse daran, mit dir zu duschen, dir zu schreiben, mit dir zu schlafen, was auch immer. Lass mich einfach in Frieden.«

»Sorry!« Er macht einen Schritt zurück, sieht bedröppelt zu Boden. »Ich wollte dir nicht auf die Nerven gehen oder so. Ich dachte nur du … du bräuchtest vielleicht jemanden zum Reden.«

»Ja, genau. Weil man mit dir auch so gut reden kann«, antworte ich und verziehe das Gesicht, weil es boshaft klingt und ich das eigentlich gar nicht beabsichtigt habe.

»Nichts für ungut.« Seinem Lächeln fehlt die Ehrlichkeit. Mit einem leisen »Frohe Weihnachten, Rosie!« zieht er von dannen und augenblicklich fühle ich mich noch beschissener als ohnehin schon.

Genervt von diesem Tag – und denen, die vor mir liegen – nehme ich von Dervla den Mantel entgegen und verabschiede mich knapp, aber höflich von ihr, ohne auf ihren fragenden Blick einzugehen. Toms übliche Aufforderung, bei ihm stehen zu bleiben und ein paar Takte zu reden, überhöre ich genauso absichtlich und rette mich durch die schwere Stahltür hinaus ins Freie. Der eiskalte Wind, der den Dunst meiner E-Zigarette die Straße hinaufträgt, lässt mich zusammenzucken. Eilig stiefele ich der Wolke hinterher, bis ich oben an der O’Connell Street ankomme, wo ich zu meiner Erleichterung ein Taxi in der Haltebucht auf der anderen Straßenseite stehen sehe.

Der Fahrer nickt mir zu und ich steige hinter ihm ein. »Castletroy, bitte.«

Mit einem gelangweilten »Alles klar« startet er den Wagen und fährt an, um das Arthurs Quay Shopping Centre in Richtung Heimat zu umrunden, als eine Gestalt aus dem schummrigen Licht der Denmark Street auftaucht – den Kopf eingezogen, die Hände tief in die Taschen seiner Jacke vergraben. Ein schneller Rundumblick bestätigt meine Befürchtung. Kein Taxi weit und breit. Sicherlich wird gleich eines um die Ecke gebogen kommen und ihn einsammeln. Vielleicht aber auch nicht.

»Warten Sie«, höre ich mich sagen.

»Wie bitte?« Bevor ich die Aussage wiederholt habe, tritt er auf die Bremse und schaut mich durch seinen Rückspiegel hindurch an.

»Warten Sie, wir nehmen noch jemanden mit.«

Nick

Erst als von Rosie keine Spur mehr ist, traue ich mich zurück an die Garderobe. Dervla hinter der Theke lächelt mich an und händigt mir die Jacke aus, ohne dass ich einen Ton sagen muss.

»Schöne Feiertage, Nick«, schickt sie mir hinterher und ich hebe die Hand zum Abschied.

»Na, doch ohne Begleitung?«, will Tom wissen, und schlägt in meine Hand ein, ehe er mir die Tür öffnet.

Ich stelle den Kragen meiner Jacke auf, als mir der Wind entgegenbläst. »Tom.« Du bist Türsteher, kein Aufpasser, will ich sagen, tue es aber nicht.

»Was ist mit der Kleinen?«

»Carla?«

»Nein, die Austauschstudentin. Wo war die doch gleich her? Schweden? Dänemark?«

»Die Isländerin«, erinnere ich mich an die Blondine von vorhin, lange bevor ich Rosie und ihren Freundinnen über den Weg gelaufen bin. »Die ist schon vor Stunden mit ihren Mädels gegangen.«

»Schade.«

Ich zucke mit den Schultern, ziehe ein Stück bekritzeltes Papier aus meiner Hosentasche und halte es ihm entgegen, sodass er die letzten Ziffern und das Herzchen auf dem i lesen kann. »Passt schon«, sage ich und zwinkere ihm zu.

Tom lacht und fordert mich auf, erneut einzuschlagen.

»Also, schöne Feiertage.«

Er nickt. »Sehen wir uns an Silvester?«

»Sicher.« Ich winke ihm im Weggehen zu. »Dann bis nächstes Wochenende.«

Es ist ungewöhnlich kalt für den irischen Dezember. Ich hole die Stöpsel aus meinen Ohren und lasse sie in die Jackentasche fallen, ehe ich die Hände hinterherschiebe und nach oben zur O’Connell Street stapfe. Ich versuche das Rauschen in meinem Gehörgang zu ignorieren und an den zurückliegenden Abend und die bevorstehenden Weihnachtstage zu denken. An Sina? Rina? Lina? Die Isländerin eben. Vielleicht rufe ich sie im neuen Jahr an. Und mit Carla werde ich auch mal reden müssen, ob ich will oder nicht. Dabei habe ich ihr von Anfang an gesagt, dass das zwischen uns eine einmalige Sache ist, und sie hat mir mehrfach versichert, dass sie das genauso sieht. Warum jetzt das Theater? Wieso packen Frauen immer gleich die Handschellen aus?

Ich lege den Kopf in den Nacken und sehe für einen Moment die Häuserschlucht hinauf. Folge den Wölkchen, die über mir aufsteigen und sich weit außerhalb meiner Reichweite auflösen. Und ständig sind es Rosies grüne Augen, die mir dabei im Kopf herumspuken. Ihre Tränen und die fehlende Prise Überheblichkeit passen so gar nicht zu dem Bild, das ich von ihr habe. Von der toughen Rosie, bei der die Männer vor dem ersten Kaffee verschwunden sein müssen.

Das letzte Taxi fährt aus der Haltebucht, just als ich die O’Connell Street erreiche. Verdammt.

Ich bin schon dabei, das Handy aus meiner Tasche zu fischen, um mir ein Uber zu bestellen, da höre ich, wie der Wagen abbremst.

Das hintere Fenster fährt herunter und Rosies hellblonder Longbob erscheint im Licht der Straßenlaterne. Sie nickt mir mit einem Augenrollen zu, das mir wohl bedeuten soll zu ihr in den Wagen zu steigen.

»Ich sage dir gleich, dass …«

Ich verkneife mir das Grinsen und halte meine Hände ausgestreckt in die eiskalte Luft. »Ich bleibe brav. Ehrenwort.«

Sie versucht es zu unterdrücken, schmunzelt dann aber auch. »Steig einfach ein, Horan!«

Rosie

Die Fahrt nach Castletroy dauert um diese Uhrzeit nicht länger als zehn Minuten, die sich mit einem wie Nick neben mir aber bestimmt schnell wie eine Ewigkeit anfühlen können. Doch zu meinem Erstaunen ist er handzahm.

»Darf ich reden?«

Sein Blick gleicht dem eines treuen Hundes und sein Gesicht ziert dieses schelmische Grinsen, das die Frauenherzen reihenweise lahmlegt. Andere Frauenherzen, nicht meins.

»Natürlich darfst du reden«, entgegne ich sanft und hasse mich im gleichen Moment dafür, dass ich mich von seinen braunen Augen einlullen lasse.

Jahrelang haben wir uns über die Frauen lustig gemacht, die ihm vor die Füße fallen. Dabei sieht er so gut gar nicht aus. Seine Nase ist ein bisschen krumm – vermutlich weil er sich in seiner Jugend einmal zu oft geprügelt hat. Und wenn er lacht, sieht man seinen schiefen Schneidezahn unten links. Ganz zu schweigen von diesen furchtbaren Tattoos überall. Und den langen Haaren. Und dem Bart.

Aber er hat Charme, und das scheint das Totschlagargument zu sein – zumindest bei den Damen im Icon. Und seit Carla diesem Charme ebenfalls erlegen ist, haben wir ohnehin aufgehört, uns lustig zu machen. Sie behauptet zwar, nicht eifersüchtig zu sein, aber so wirklich kaufe ich ihr das nicht ab. Sie würde gern ein zweites und drittes und viertes Mal mit ihm nach Hause gehen. Umso irritierter bin ich, dass ich diejenige bin, die sich mit ihm heute das Taxi teilt.

Ich schiele zu Nick hinüber und verdrehe die Augen, weil es in seiner Hosentasche raschelt, als seine Hand darüberstreift. Sie ist bestimmt voll mit XXL-Kondomen, die er an einem solchen Abend bei einem gemeinsamen Drink aus Versehen aus der Tasche herausschauen lässt. Um den Appetit anzuregen. Ich kenne seine Masche.

»Rosie?«

Ich sehe auf. »Hm?«

»Ob bei dir alles in Ordnung ist, habe ich gefragt.«

»Ja. Ja, sicher.« Meine Antwort klingt matt und ich kann ein Seufzen nicht verhindern. »Mir graut es nur ein bisschen vor den Feiertagen«, füge ich hinzu und schaue gedankenverloren nach draußen, wo die vorweihnachtlich-bunten Lichter der Stadt an uns vorbeiziehen.

»Wieso?«

»Ach.« Ich winke ab und sehe ihn erneut an. »Familie und so. Nicht immer einfach.«

Er schweigt einen Moment, dann sieht er zum Fenster hinaus und fängt an zu nicken. »Na, wenigstens hast du eine Familie, zu der du an den Feiertagen gehen kannst.«

Ich zucke zusammen. Meine Augen weiten sich und mein Herz schlägt ein paar Takte schneller. Fuck! »Das tut mir leid, Nick. Ich wusste nicht, dass … also … dass …«

»Hey!« Er hebt die Hände und ein Lächeln erscheint auf seinem Gesicht. Ein ehrliches diesmal. »Sie sind nicht tot oder so.«

Der Kloß in meinem Hals löst sich auf und ich atme erleichtert aus, schlage ihm aber gleich darauf mit dem Handrücken gegen den Oberschenkel. »Erschreck mich nicht so!«

Lachend reibt er über die Stelle, an der ich ihn getroffen habe. »Mein Dad ist letztes Jahr sechzig geworden und meine Mum hat ihm eine Südseekreuzfahrt geschenkt.«

Ich hebe die Augenbraue. »Und dich haben sie einfach zu Hause gelassen?«

»Ich bin vierundzwanzig, Rosie. Was soll ich mit meinen Eltern auf einer totsterbenslangweiligen Kreuzfahrt?«

»Stimmt, was gibt es Langweiligeres, als auf einem Luxusdampfer in der Südsee festzusitzen?« Es ist mehr ein Vorwurf als eine Frage. »Exotisches Essen, leckere Drinks, traumhafte Strände und …«, ich zwinkere ihm zu, »… du könntest jeden Abend eine andere gelangweilte Tochter flachlegen.«

Sein Lachen füllt das Taxi. »Stimmt, jetzt, wo du es sagst. Vielleicht hätte ich mir das überlegen sollen. Blöd nur, dass sie mich nie gefragt haben, ob ich mitkommen möchte.«

»Die wissen schon, warum sie dich zu Hause gelassen haben«, versichere ich ihm.

Wir schweigen einen Moment, bis die unausgesprochene Frage den Weg zurück auf seine Lippen findet. »Und was hast du an den Feiertagen geplant, vor denen es dir so graut?«

»Traditionelle Familienzusammenkunft auf dem Anwesen meiner Großtante.« Ich rolle mit den Augen. »Dieses Jahr komme ich nicht drum herum.«

»Hört, hört.« Er nickt anerkennend. »Klingt, als wärst du diejenige, die sich auf exotisches Essen und leckere Drinks freuen darf.«

»Und auf die bohrenden Fragen meiner Tanten oder die peinlichen Begegnungen mit alten Schulfreundinnen, die mir erzählen, dass sie geheiratet haben oder das mittlerweile vierte Kind erwarten.« Ich seufze.

»Das klingt eher so, als würdest du eine Zeitreise in die Achtziger machen.«

»Nein, nur nach Wicklow.« Ich muss schmunzeln, denn Nick hat recht. Auf dem Land herrschen andere Sitten als hier in der Stadt. Da ist es auch heute noch normal, mit Anfang zwanzig verheiratet zu sein und die ersten Kinder in die Welt zu setzen. Und wer weiß, vielleicht hätte ich die heute auch, wenn John damals nicht …

»Wicklow.« Er mustert mich. »Kommst du da her?«

Ich nicke wortlos.

»Und warum verschlägt es einen ausgerechnet nach Limerick, wenn man mit den Wicklow Mountains vor der Tür aufgewachsen ist?«

Meine Schultern zucken. Auch diese Frage wird mir in den kommenden Tagen wohl mehr als einmal gestellt werden. Kind, wieso kommst du nicht endlich zurück?

»Wir sind damals hergezogen als ich zwölf war, weil Mum ihren kranken Vater pflegen musste. Nachdem er gestorben war, sind wir geblieben. Gab irgendwie nichts, was uns zurück an die Ostküste gezogen hat. Und mittlerweile hält mich der Job hier.«

»Der da wäre?«

»Was mit Social Media.«

»Influencerin?«

»Nein, schon etwas, was die Bezeichnung Job verdient.«

Er lacht. »Du machst es aber spannend.«

»Ich bin bei Dee-Sign in der Social-Media-Abteilung.«

Da ist wieder sein Grinsen. »Dann bist du so eine Twitter-Tante?«

Ich sehe ihn herausfordernd an und verschränke abermals die Arme vor der Brust. »Was genau ist denn eine Twitter-Tante?«

»Na eine, die den ganzen Tag im Internet surft und darauf lauert, dass irgendwas passiert, das sie dann kommentieren kann?«

»Social-Media-Management gehört für Mittelständler mittlerweile zum Standardrepertoire«, fange ich an mich zu verteidigen. »Die Zielgruppen tummeln sich immer mehr in der virtuellen Welt, da muss man hinterher sein. Präsent sein. Sowohl als Dienstleister als auch als Arbeitgeber.« Ich deute mit beiden Händen auf mich, als wollte ich sagen: Das alles mache ich. Dann nicke ich ihm auffordernd zu. »Was treibst du, wenn du nicht gerade im Icon rumhängst?«

»Du meinst bei Tag?« Er verzieht das Gesicht. »Da schlafe ich meistens. Das Sonnenlicht bekommt mir nicht so. Da fange ich immer gleich an zu glitzern.«

»Idiot.« Das Lachen kann ich mir trotzdem nicht verkneifen.

»Immerhin besser als Arschgesicht.«

»Wohin bitte?«, fragt der Fahrer, als wir an den Rand des vorgelagerten Stadtteils kommen, in dem wir beide nur zwei Straßen voneinander entfernt wohnen. Meine Horrorvorstellung, seit ich das weiß, ist, dass er mir Sonntagsmittags kurz vor Ladenschluss im Centra an der Ecke dabei über den Weg läuft, wie ich mir im Jogginganzug eine Packung Käsemakkaroni kaufe.

»Zu mir oder zu dir?«

Ich hätte meinen Hintern darauf verwettet, dass er sich den Spruch nicht verkneift. Ich bin ihm nicht mal böse, versuche aber, seinen koketten Blick so gleichgültig wie möglich zu erwidern.

»Sie können mich an der Tankstelle rauswerfen«, sage ich an den Fahrer gewandt und hole, davon ausgehend, dass Nick die paar Hundert Meter bis zu sich weiterfährt, einen zerknitterten Schein aus meiner Manteltasche, den ich ihm hinhalte. »Hast du denn jemanden, zu dem du an den Feiertagen gehen kannst?« Natürlich, denke ich. Er wird Weihnachten ohne Mum und Dad verkraften. Und spätestens an St. Stephen’s Day wird er sich eine der willigen Frauen aus dem Icon mit nach Hause nehmen.

Er nickt, greift aber nicht nach dem Schein. »Ein Kumpel erbarmt sich meiner und lässt mich bei sich und seiner Familie mitfeiern.« Ein süffisantes Grinsen erscheint auf seinem Gesicht. »Du kennst ihn, glaube ich, sogar.«

Ich verdrehe die Augen. War klar. Den Ausrutscher mit Keir wird Nick mich in hundert Jahren nicht vergessen lassen.

»Soll ich ihm liebe Grüße ausrichten?«

»Lass mal«, sage ich, als das Taxi hält, schnalle mich mit der einen Hand ab, während die andere ihm noch immer den Schein unter die Nase hält. Jetzt nimm schon, will ich sagen, und hole Luft, um mich im gleichen Atemzug von ihm zu verabschieden, da sehe ich, wie er dem Taxifahrer zwanzig Euro in die Hand drückt und aussteigt.

Das kann nicht sein Ernst sein.

»Vielen Dank«, nuschele ich dem Fahrer zu, steige ebenfalls aus und laufe um die Rückseite des Wagens herum. »Was soll das?«, blaffe ich ihn an, während das Taxi davonfährt. »Ich dachte, wir hatten gesagt, wir lassen den Mist.«

Nick ist unbeeindruckt von meiner Schimpftirade und schiebt die Hände in die Taschen seiner Jeans, zieht die Schultern hoch und sieht hinauf zum Nachthimmel. »Ich dachte, ich laufe die paar Meter und genieße die sternenklare Nacht.«

Ich beäuge ihn misstrauisch, er hingegen sieht nur nach oben. »Ich hätte dich gar nicht für einen Romantiker gehalten«, entgegne ich und hebe ihm noch einmal den Schein entgegen, aber Nick reagiert nicht.

Ich sehe ihm dabei zu, wie sich seine Gedanken zwischen den Sternen über uns verlieren, und erinnere mich daran, wie ich mit Damian am vorigen Wochenende durch den Park spaziert bin. Wie viele liebe Worte er mir ins Ohr geflüstert hat, als wir uns gemeinsam Orion angesehen haben. Und wie ich ihn gefragt habe, ob er mit mir und meiner Familie Weihnachten verbringen möchte. Was war ich nur für eine verdammte Idiotin …

Ich schnaufe und Nick löst sich von dem majestätischen Anblick über uns. »Alles okay bei dir?«

»Ja«, sage ich und wische mir eine Träne aus dem Augenwinkel.

»Das sieht aber nicht so aus.«

»Was weißt du schon.«

»Nichts«, gibt er zu und verzieht das Gesicht. »Ist es wegen der Arschgeige?«

»Dem Arschgesicht.«

»Tschuldigung.«

Und plötzlich, ohne Vorwarnung, finde ich mich in seinen Armen wieder. Es hat nichts Anzügliches, keine versteckten Zeichen, die mir andeuten, dass er Hintergedanken hat. Es ist einfach eine Umarmung. Freundschaftlich. Warm. Herzlich.

»Also«, nuschelt er in meine Haare hinein, während meine Hände vorsichtig ihren Weg seinen Rücken hinauf finden und knapp unterhalb seiner Schulterblätter liegen bleiben, »was hat dir dieses Arschgesicht denn angetan, dass du der Männerwelt abschwörst?«

»Ich schwöre ihr nicht ab.« Ich seufze. »Obwohl ich durchaus schon in Erwägung gezogen habe, es mal mit Carla zu probieren. Vielleicht passe ich besser zu Frauen.«

Er drückt mich von sich weg und ich sehe zu ihm auf. Da ist es wieder, dieses schelmische Grinsen. »Wenn du willst, dass das hier ein anständiges Gespräch bleibt, solltest du aufhören, über dich und deine Freundin zu reden.«

»Nick.« Ich versuche ihm mit einem genervten Gesichtsausdruck zu vermitteln, dass jetzt nicht die Zeit für Scherze dieser Art ist.

»Sorry, also wo waren wir?« Erneut wickelt er seine Arme um meine Schultern und ich lasse es geschehen. »Ach ja, das Arschgesicht.«

»Ich war dumm.«

»Du?« Er klingt verdutzt. »Das hätte ich gar nicht von dir erwartet.«

»Wie meinst du das?«

»Sind wir nicht deshalb, wie wir sind? Wie hast du es genannt? Umtriebig?« Ich kann das Schmunzeln in seiner Stimme hören. »Weil wir die Schnauze voll haben, enttäuscht zu werden?«

Jetzt bin ich diejenige, die sich von ihm wegdrückt, um ihm in die Augen zu sehen. Und vielleicht sehe ich ihn in diesem Moment zum ersten Mal von einer anderen Seite. Von der, die er unter dem langen Bart und den vielen Tattoos zu verstecken versucht so wie ich unter schicken Klamotten und Make-up.

Natürlich wird es in seinem Leben ein traumatisches oder zumindest formendes Erlebnis gegeben haben, das ihn zu dem gemacht hat, der er ist. Die wenigsten Menschen sind ohne Grund so vielseitig interessiert wie er – und ich. Ein reizender Ausdruck, den meine Tante Brid einst geprägt hat. Umtriebig hingegen stammt von mir. So hatten Carla, Cheryl und ich Nick genannt, bevor Carla mit ihm im Bett war. Ein weiteres Detail, das ihm meine liebestolle Freundin ganz offensichtlich verraten hat.

»Das heißt, ich bin selbst schuld, weil ich geglaubt habe, diesmal wäre es anders? Wäre er anders.«

»Ich habe nicht behauptet, dass du selbst schuld bist. Ich bin nur überrascht, dass du überhaupt einen so nahe an dich rangelassen hast, dass er dir wehtun konnte … Miss Geh-bitte-freiwillig-vor-dem-ersten-Kaffee-oder-ich-schmeiße-dich-eigenhändig-raus.«

Ich werde ein ernstes Wörtchen mit Carla reden, sobald ich aus Wicklow zurück bin. Weiß der Himmel, was sie ihm noch alles über mich erzählt hat.

»Die Vorurteile kannst du dir sparen, Horan«, murre ich, schüttele seine Arme von meinen Schultern und setze mich in Bewegung, aus Angst, dass er die neuerlich aufsteigenden Tränen im Schein der Straßenlampe glitzern sehen kann.

»Schöne Weihnachten.«

Er antwortet nicht, aber vielleicht hat er mich über den Lärm des Nachtbusses, der an uns vorbeigerauscht ist, bloß nicht gehört.

Ich laufe ein paar Meter, versuche tapfer, mich nicht nach ihm umzudrehen, und hole die E-Zigarette aus meiner Manteltasche. Schon als ich den ersten Zug nehme, höre ich feste Schritte, die mir folgen.

»Ich finde den Weg«, sage ich in die klare Luft hinein und verfolge mit meinem Blick den weißen Dunst auf seinem Weg in den Nachthimmel.

»Ich will nur sichergehen, dass dich unterwegs keiner klaut.«

Ich schnaufe und kriege gerade noch »Wer auch immer das versucht, bringt mich sowieso nach ein paar Stunden zurück« heraus, bevor meine Stimme versagt und sich die ganze Wut und Enttäuschung der letzten Tage in einem lauten Schluchzen Bahn bricht. Ich spüre Nicks Hand auf meiner Schulter, lasse mich widerstandslos in seine Arme ziehen und weine minutenlang in seine Jacke.

Als ich wieder zur Ruhe komme, die Schluchzer weniger werden und mein Körper aufgehört hat zu beben, drücke ich mich von ihm weg und fahre mir über die geröteten Wangen. »Sprich mich niemals wieder hierauf an, verstanden?«, krächze ich, ziehe ein Taschentuch aus meiner Tasche und putze mir die Nase.

Nick sieht nachdenklich aus. »Aber vielleicht tut es dir ganz gut, mal darüber zu sprechen.«

»Ausgerechnet mit dir?« Ich will lachen, aber das erscheint der Situation nicht angemessen.

Er hebt die Schultern. »Vielleicht gibt es tatsächlich niemanden, der geeigneter dafür wäre als ich.«

Einen Moment lang mustere ich ihn schweigend. Möglicherweise hat er recht. Vielleicht gibt es niemanden, der besser dafür geeignet ist als er. Niemand, der mich weniger verurteilt.

»Er ist ein Arsch«, platzt es aus mir heraus. »Ein riesengroßer Arsch, um genau zu sein. Er hat mir wochenlang die Sterne vom Himmel geholt und mir gesagt, dass ich die erste Frau bin, bei der er endlich er selbst sein kann.«

»Das …«, Nick verzieht während der kleinen Pause, die ich mache, um mir erneut die Nase zu putzen, das Gesicht zu einer Grimasse, »klingt ja grundsätzlich erst mal nicht verkehrt.«

Ich kann nicht verhindern, dass mir ein erneutes Schluchzen entweicht. Aber das sollte mir längst egal sein. Ich stehe eh schon heulend vor Nick Horan, schlimmer wird es heute nicht. Aber morgen … O Gott, morgen wird es schlimmer. Viel schlimmer. Wenn ich in Wicklow der buckligen Verwandtschaft und all den anderen Menschen von früher allein gegenübertreten muss – John beispielsweise. »Weil Damian mich hat sitzen lassen für seine schwangere Verlobte.«

»Er ist verlobt?«

Ich starre Nick irritiert an. Habe ich schon wieder laut gedacht? »Quasi so gut wie verheiratet«, bestätige ich mit einem Nicken. »Kannst du dir das vorstellen?«

Er schüttelt den Kopf, schiebt die Hände zurück in die Taschen seiner Jeans und fängt an, von einem Bein auf das andere zu wippen. »Das ist …«

Ich lasse ihn nicht zu Wort kommen. »Und erst, als ich ihn frage, ob er die Feiertage mit mir in Wicklow verbringen möchte, rückt er mit der Wahrheit raus und erklärt mir, dass er in seinem anderen Leben Babyklamotten shoppt und auf dem Ultraschall gesehen hat, dass es ein Mädchen wird.« Meine Stimme wird mit jedem Wort, das ich Nick vor die zappelnden Füße spucke, lauter und wütender. »Cheryl hat gesagt, dass mir das irgendwann passiert. Und ich habe behauptet, dass es mich nicht interessiert, was die Männer, mit denen ich schlafe, so treiben, solange ich Spaß mit ihnen habe. Aber dann …« Achselzuckend schaue ich zu ihm auf. »Ich dachte, so was geschieht nur in schlechten Hollywood-Filmen.«

»Scheiße, Mann, was für ein Arschloch!«

»Arschgesicht«, korrigiere ich ihn ruhig.

»Richtig.«

Seine Wippbewegungen werden ausfallender, ich deute auf seine Füße. »Hast du dich im Icon nicht genug ausgezappelt?«

»Das Bier meldet sich«, gesteht er zerknirscht und sieht sich kurz nach allen Seiten um. »Ist es okay, wenn ich eben mit raufkomme?«

Erst als ich mich umsehe, wird mir bewusst, dass wir vor meiner Haustür stehen.

Ich nenne eine kleine Wohnung über der hiesigen Tierarztpraxis mein Eigen, Nick wohnt in den Neubauten ein paar Straßen weiter. Was ganz Schickes im Loft-Stil, hat Carla erzählt, geräumig, wenig Schnickschnack, viel Licht. Meine Wohnung hingegen ist winzig, aber gemütlich, voll mit Duftkerzen und zig verschiedenen Kissen – am Boden, auf dem Sofa, im Bett, sogar an der Wand – und allerlei Dekokram und Erinnerungen, von dem ich mich nicht trennen kann.

Ich sehe in Nicks verzweifeltes Gesicht. »Geh ins Gebüsch!«, schlage ich vor und deute in die Hecken, die den Parkplatz vom Gehweg abtrennen.

»Nachts? Wer weiß, was oder wer da so alles lauert.«

»Spinn nicht rum!«

»Bitte!!«

»Nick, das hatten wir schon.«

»Glaubst du immer noch, dass ich dich ins Bett kriegen will?« Er hebt beide Hände und sieht mich fast schon betroffen an. »Ernsthaft?«

»Ein bisschen?«

»Darf ich jetzt bitte mit dir nach oben kommen? Es …« Seine dunklen Augen weiten sich. »Es ist nicht nur das Bier, okay? Wir waren vorher beim Inder essen.«

Ich verschränke die Arme. »Bei dem neuen unten an der Ecke?«

»Rosie!!« Seine Stimme gleicht mittlerweile einem Flehen. Und zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich es ein bisschen genieße, ihn leiden zu sehen. »Ist ja gut«, gebe ich mich geschlagen und führe ihn zu der blauen Tür neben der Praxis.

Als wir oben ankommen, zeige ich ihm das Badezimmer, wo er kommentarlos mitsamt Schuhen und Jacke verschwindet.

Normalerweise enden solche Abende für mich ohne Umwege im Bad – egal ob allein oder in Gesellschaft. Aber heute werde ich dankend verzichten, solange Nick sich dort befindet. Stattdessen gehe ich ins Schlafzimmer und tausche Rock und Strumpfhose gegen eine Jeans und mein verschwitztes Top gegen das Shirt, das ich getragen habe, bevor wir ins Icon aufgebrochen sind. Im Flur bleibe ich einen Moment lang stehen und lausche der verdächtigen Stille in meiner Wohnung. Ob er auf der Toilette eingeschlafen ist?

Schmunzelnd tapse ich in die Küche und gieße mir die Reste des Weins vom letzten Wochenende in ein Glas, als ich im selben Moment höre, wie Nick die Spülung betätigt. Ich zähle die Sekunden, die der Wasserhahn anschließend läuft und nicke zufrieden, als das Rauschen nach ganzen sechzehn Sekunden stoppt. Genug Zeit für Seife. Ein Pluspunkt – auch wenn ihm der rein gar nichts bringt.

Ich zünde die Kerzen auf Wohnzimmertisch, Kommode und Fensterbank an, lasse mich auf die Couch sinken und nippe an meinem Glas, während ich warte.

»Rosie?«, höre ich sein verloren klingendes Rufen kurze Zeit später.

»Im Wohnzimmer.«

»Und das ist wo?«

Es ist eine Zweizimmerwohnung. Winziger Flur, davon abgehend rechts das Bad, gegenüber mein Schlafzimmer und am Kopf der Durchgang zum Wohn-Ess-Bereich. Es ist wahrlich nicht Wayne Manor und wenn er nur einen halben Schritt nach vorn macht, kann er mich auf der Couch sitzen sehen.

Als er ins Wohnzimmer kommt, trägt er weder Jacke noch Schuhe. Was prinzipiell von guten Manieren zeugt, mir aber ebenso deutlich macht, dass der Abend für ihn nicht vorbei ist. Statt mich weiter über seine Hartnäckigkeit aufzuregen, deute ich auf den Platz neben mir und beobachte amüsiert sein Zögern. »Was ist? Hast du auf einmal Angst vor mir?«

»Nein, ich …« Er räuspert sich, setzt sich schließlich doch. »Ich würde an deiner Stelle vielleicht einen Moment warten mit dem Duschen.«

»Ich hatte nicht vor, duschen zu gehen, solange du hier bist.«

»Dann muss ich dich jetzt eine Viertelstunde zutexten, bis die Luft rein ist. Im wahrsten Sinne des Wortes.«

Ich halte ihm das halb volle Glas hin, damit er aufhört zu reden.

»Der ist gut«, urteilt er zwischen zwei Schlucken. »Ziemlich süß, aber … gut. Ist da Vanille drin?«

Nickend nehme ich das Glas an mich und trinke den Rest. »Ist irgendeine Mischung aus dem Centra und, ja, irgendwas mit Vanille.«

»Wirklich gut.« Er betrachtet das Glas in meiner Hand. »Schade, dass die Flasche schon leer ist.«

Mein Blick ist gefangen in dem Weinglas, meine Gedanken meilenweit weg. Bei einem anderen Abend vor vielen Jahren. Bei einer leeren Flasche Irish Mist. Bei einer anderen Rosie. Und bei John.

Hilflos sehe ich dabei zu, wie sich die Blase um mich herum mit immer mehr Gedanken und Erinnerungen füllt. Wie sie mir die Luft nehmen, mich beengen … mich zerdrücken, mich …

»Rosie, alles okay?«

Nicks Worte bringen die Blase jäh zum Platzen. Ich schaffe es, ihn anzusehen, frage mich, wie oft er sich am heutigen Abend schon nach meinem Befinden erkundigt hat. Und das Kuriose ist, ich kaufe ihm ab, dass er sich ernsthaft für meine Antwort interessiert. Jedes einzelne Mal.

»Ja, ich …« Ich schüttele den Kopf, um den letzten Rest Gedanken loszuwerden. »Es ist nur … also … die ganze Sache mit … Damian ist echt frisch und ich … ich muss da gerade erst mal mit klarkommen, dass …«

»Damian?«

»Das Arschgesicht«, erkläre ich wieder vollkommen in der Gegenwart angekommen.

»Richtig.« Nick lehnt sich zurück. »Damian.«

»Wie kann ein Mensch so sein? Wie kann man jemandem direkt ins Gesicht lügen, obwohl man weiß, dass man dem anderen damit im Zweifel das Herz bricht?« Es mag wie eine Frage klingen, aber ich erwarte keine Antwort von Nick. Die kann er mir ohnehin nich…

»Das können nur die, die selbst nie enttäuscht wurden.«

Wieder sehe ich ihn an, sprachlos. Es ist ein einfacher Satz. Eine simple Schlussfolgerung. Und es steckt so unendlich viel Wahrheit darin. Nur wem das eigene noch nicht gebrochen wurde, der ist in der Lage, so mit dem Herzen eines anderen umzugehen.

Kopfschüttelnd stehe ich auf und gehe hinüber in die Küche, um ein zweites Glas und eine weitere Flasche Wein zu holen. Wenn er schon bleibt, kann er genauso gut mit mir trinken.

Als ich zurückkomme, merke ich erst, wie schlecht die Luft im Wohnzimmer ist. »Es tut mir leid, Nick, aber ich muss jetzt unter die Dusche.«

Seine Hand deutet in Richtung Flur. »Soll ich …?«

»Untersteh dich«, falle ich ihm ins Wort und hebe mahnend den Zeigefinger.

Er grinst verlegen. »Ich … wollte fragen, ob ich dann jetzt gehen soll.«

Mein Blick schießt zwischen dem Glas und Nicks Gesicht hin und her. »Wehe du hältst mir irgendwann vor, dass ich das gesagt habe, aber …« Ich seufze. »Ich glaube, ich will nicht, dass du gehst.«

Er lacht ein unbeholfenes Lachen, während ich den Wein vor ihm auf dem Couchtisch abstelle und gebeugt in Augenhöhe vor ihm stehen bleibe. »Wenn du auch nur in die Nähe des Badezimmers kommst, schneide ich dir deinen heiß geliebten Zopf ab.«

Seine Hand fährt sich über den Hinterkopf. Ein letztes Mal funkele ich ihn an, ehe ich mich abwende und ins Schlafzimmer stapfe.

Nick

Zum Rauschen in meinen Ohren mischt sich das aus dem Nebenzimmer. Ich lehne mich zurück und stelle mir vor, wie das Wasser an Rosies nacktem Körper abperlt und Schweiß und Tränen mit sich nimmt. Kurz bevor sie meinen Schritt erreichen kann, reiße ich die Hand nach hinten und öffne die Augen. Irgendwie kommt es mir falsch vor, sie mir so vorzustellen. Dabei ist das weiß Gott nicht das erste Mal … Und eigentlich bin ich nur deshalb hier, oder?

Ich suche in der Küche nach einem Flaschenöffner, um mich abzulenken. Betrachte die vielen bunten Fotos am Kühlschrank, die sich mir aufdrängen. Rosie und Carla, Rosie und Cheryl, alle drei zusammen mit Tom vor dem Icon. Eine naturblonde, weniger zurechtgemachte Rosie mit einer Frau, der sie wie aus dem Gesicht geschnitten ist, und unter demselben Magnet ein Bild mit einer noch älteren Frau im Rollstuhl. Daneben eine Rosie als Kind mit einem Labradormischling auf dem Schoß. Ich glaube zumindest, dass es Rosie ist. Ihre Haare sind nicht so hell wie jetzt und sie wellen sich mehr als auf den anderen Bildern, aber ihre stechend grünen Augen verraten ihre etwa zehnjährige Version. Ich fahre mit den Fingerspitzen über ihr breites Lächeln und schiebe das Foto aus Versehen ein Stück zur Seite, sodass ein weiteres zum Vorschein kommt. Ich hebe das Kinderbild an und finde einen Mann mit ähnlich blonden Haaren und aufgesetztem perlweißem Lächeln vor. Wahrscheinlich das Arschgesicht.

Das Rauschen des Wassers im Bad verebbt, das in meinen Ohren nicht. Ich bringe die Fotos zurück in ihre ursprüngliche Position, finde in einer der Schubladen neben dem Herd einen Korkenzieher und kehre zurück ins Wohnzimmer.

Keine Minute später steht sie vor mir.

Ich will nicht starren, kann aber auch nicht wegsehen, denn sie trägt eine karierte Schlafanzughose, ein weites weißes Shirt und darunter definitiv keinen BH mehr, was mich kurzzeitig aus der Fassung bringt.

»Was ist?«, fragt sie unsicher, als sie sich neben mich auf die Couch setzt und eines der Gläser an sich nimmt.

Ich sage mir den Satz innerlich dreimal vor – aus Angst zu stottern –, ehe ich ihn ausspreche: »Machst du jetzt auf Pretty Woman?«

»Was meinst du?«

Ich deute auf den Turban, den sie sich um die nassen Haare gebunden hat. »Gleich nimmst du das Handtuch vom Kopf und der blonde Bob ist einer roten Lockenmähne gewichen.«

»Nicht ganz.«

»Sondern?«

»Nichts. Das sind meine Haare.«

»Wasserstoffblond?«

»Platinblond, bitte.«

»Was ist der Unterschied?«

»Ich dachte, Frauen sind dein größtes Hobby.« Sie schmunzelt mich herausfordernd an. »Und da erkennst du nicht den Unterschied zwischen Platin- und Wasserstoffblond?«

Ich nehme einen Schluck Wein. »Vielleicht erkenne ich keinen Unterschied zwischen Platin und Wasserstoff, aber dass deine Haare nicht echt sind, ist selbst mir nicht entgangen.«

»Ich bin auch im wahren Leben Blondine.«

»Aber?«

»Nichts aber. Sie sind ein bisschen dunkler als das.« Sie fährt mit ihren Fingerspitzen über das Handtuch und zuckt mit den Schultern. »Und nicht glatt.«

»Also doch Julia Roberts?«

»Spinner.«

»Zeig mal!«

»Vergiss es«, beharrt sie kopfschüttelnd.

»Hat Damian dich so gesehen?«

Sie nippt an ihrem Glas und verschluckt sich beinah.

»Tut mir leid.« Ich hebe abwehrend die Hand. Erst denken, dann reden. »Ich dachte nur, vielleicht hasst du ihn deshalb so sehr, weil er jetzt rumläuft und den Leuten erzählt, dass du eigentlich Locken hast.«

»Wellen«, korrigiert sie mich, »keine Locken. Und ich hasse ihn, weil er ein Arschgesicht ist.«

»Auch das ist mir nicht entgangen.«

»Er hat mir Weihnachten versaut«, murmelt sie in ihren Wein hinein und trinkt einen Schluck, ehe sie das Glas abstellt und sich mit angezogenen Knien zurücklehnt.

»Wusstest du, dass Damian in Österreich so was wie dummer Mensch bedeutet?«, frage ich sie.

Ihre Augenbraue zuckt. »Woher zur Hölle weißt du so was?«

»Meine Mum kommt aus Wien. Ich bin dort geboren und aufgewachsen.«

Sie sieht nicht überzeugt aus. »Hört man gar nicht.«

»Wir sind hergezogen, als ich in die Schule kam.« Ich sehe sie an, warte auf eine Frage. Als keine kommt, fahre ich fort: »Jedenfalls nennt sie meinen Dad manchmal so, wenn er ihr auf die Nerven geht. Die Betonung ist ein bisschen anders, aber … Ja … prinzipiell ist ein Daa-mi-aan ein dummer Mensch.«

Sie gluckst. »Schade, dass ich nie wieder die Gelegenheit haben werde, ihm das unter die Nase zu reiben. Weil der dumme Mensch längst bei seiner dummen Verlobten in seinem dummen Haus irgendwo in der irischen Pampa rumhängt.«

Ich verziehe das Gesicht und fürchte fast, dass ich die Stimmung zum Kippen gebracht habe, da sieht sie mich an und lächelt unverhofft.

»Warst du denn schon mal zum Skifahren in Tirol?«

»Als Kind jeden Winter, wieso?«

»Ich war im Transition Year dort und habe mir fast den Hals gebrochen beim Versuch, mich auf Skier zu stellen.«

Ich muss lachen und zu meiner Erleichterung lacht Rosie mit.

Rosie

Während ich darüber nachdenke, wieso Nick heute so anders ist als sonst, überkommt mich der Gedanke, dass die einzig neue Erkenntnis, die er an diesem Abend über mich erlangt hat – oder vielmehr in dieser Nacht, schließlich haben wir gleich halb drei –, die ist, dass ich hervorragend heulen kann. Also überlege ich weiter angestrengt, was ich ihm über mich erzählen kann, das diese Tatsache etwas in den Hintergrund rückt, als er sich nach vorn beugt, um einen Schluck zu trinken und mir der strenge Geruch in die Nase steigt, der von ihm ausgeht.

»Du solltest echt dringend duschen.«

»Hier?« Er sieht mich an. »Jetzt?«

Ich zucke mit den Schultern. »Möchtest du lieber gehen?«

Seine Antwort – ein stummes Kopfschütteln – folgt auf dem Fuße. »Ich gebe dir ein frisches Shirt.«

»Von dir?«, will er wissen.

Ich verdrehe die Augen, hieve mich von der Couch und tapse hinüber ins Schlafzimmer, bevor ich mir zu viele Gedanken darüber machen kann, wieso ausgerechnet Nick Horan ein Shirt von mir bekommen soll. Der Erste seit Langem, der ein solches bekommen hat, war Damian. An dem Morgen, als er neben mir aufgewacht ist und ich ihn nicht wie gewöhnlich vor dem Kaffee nach Hause geschickt habe.

Ich zerre das oberste Shirt aus dem Schrank und reiße dabei zwei weitere vom Stapel. Sie landen vor mir auf dem Boden und starren mich von dort aus an. Ein weiteres weißes und das dunkelgrüne mit dem sonnengelben Kreis und der Galeere darauf, darunter in großen weißen Lettern die Worte Irish Mist. Ich hatte es John zum Geburtstag schenken wollen und bin dann doch nicht mehr dazu gekommen. Seither liegt es dort und wartet darauf, dass etwas passiert. Dass es aus Versehen runterfällt, so wie jetzt. Oder dass ich es John vielleicht doch noch überreiche. Oder es endlich zerreiße und wegwerfe – so, wie er es einst mit mir und meinem Herzen getan hat.

Ich hebe es auf, stopfe es mit zitternden Fingern zurück in den Schrank und stürze aus dem Zimmer direkt in Nicks Arme. »Sagen wir, es sind gesammelte Werke«, gebe ich kleinlaut zu und drücke ihm das weiße Shirt in die Hand. »Und jetzt mach, dass du unter die Dusche kommst.«

Wenig später höre ich das Wasser. Normalerweise würde ich mir jetzt vorstellen, wie der Mann unter der Dusche nackt aussieht. Würde mir überlegen, an welchen Stellen er Tattoos trägt, die nicht für jedermann sichtbar sind, um mich von meinen um John kreisenden Gedanken abzulenken.