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Andreas Venzke

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Beschreibung

Christoph Kolumbus, den die Nachwelt als Entdecker Amerikas und heroischen Seefahrer rühmte, war eine eigentümlich gebrochene Persönlichkeit. Eine fixe Idee bestimmte sein Leben: nach West zu segeln und einen schnellen Seeweg zum Wunderland Indien zu finden. Er vertraute dabei dem gerade entstehenden wissenschaftlichen Weltbild und begriff sich doch später als gottgesandt.

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Andreas Venzke

Christoph Kolumbus

Über dieses Buch

Christoph Kolumbus (1451–1506), den die Nachwelt als Entdecker Amerikas und heroischen Seefahrer rühmte, war eine eigentümlich gebrochene Persönlichkeit. Eine fixe Idee bestimmte sein Leben: nach West zu segeln und einen schnellen Seeweg zum Wunderland Indien zu finden. Er vertraute dabei dem gerade entstehenden wissenschaftlichen Weltbild und begriff sich doch später als gottgesandt.

 

Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Vita

Andreas Venzke, geb. 1961, lebt als freier Autor in Freiburg im Breisgau.

Herkunft und frühe Jahre

«Christoph Kolumbus, geboren im Jahr 1451 in Genua.» Über nichts im Leben dessen, den wir üblicherweise den «Entdecker Amerikas» nennen, ist im Laufe der letzten beiden Jahrhunderte heftiger gestritten worden als über die Frage nach seinem Geburtsort. Obwohl auch das Jahr seiner Geburt ungewiss war, brachte doch die Frage nach dem Geburtsort des Kolumbus die Gemüter weit stärker in Wallung. Vor allem im Zeichen des erwachenden Patriotismus und Nationalismus des 19. Jahrhunderts bot der Geburtsort den Schlüssel dafür, um den lange Zeit fast vergessenen Christoph Kolumbus zum Spanier oder Italiener, sogar zum Portugiesen, Franzosen, Griechen, Norweger usw. zu erklären. Hunderte von Dokumenten, Urkunden und sonstigen Hinweisen wurden zusammengetragen, um entweder die eine oder die andere Theorie zu untermauern. So haben im Lauf der Zeit allein mehr als ein Dutzend italienische Städte und etliche spanische Provinzen die Ehre für sich in Anspruch genommen, Kolumbus als einen der Ihren feiern zu dürfen.

Heutzutage gehen die Historiker freilich allgemein davon aus, dass Kolumbus tatsächlich aus Genua stammte. Jahr und Tag seiner Geburt lassen sich aufgrund bestimmter Urkunden auf den Zeitraum zwischen dem 25. August und dem 31. Oktober 1451 eingrenzen. Kolumbus selbst hat nicht gerade dazu beigetragen, Licht in das Geheimnis seiner Herkunft zu bringen, da er seine familiären Hintergründe eher zu verschleiern als zu erhellen suchte. Dieser Cristoforo Colombo, der in Portugal seinen italienischen Namen in Cristovão Colom, in Spanien dann in Cristóbal Colón änderte, verspürte in seiner Zeit, als die europäischen Nationalstaaten sich erst zu bilden begannen, noch keinerlei nationalen Eifer. Höchstens bekannte er sich in wenigen überlieferten Aussagen stolz zu seiner Geburtsstadt Genua, für deren Ehre, Wohl und Gedeihen[1] sich seine Nachkommen einzusetzen hätten, wie er sich in einer – allerdings nur als spätere Abschrift überlieferten und dabei wahrscheinlich rückdatierten – Majoratsverfügung aus dem Jahr 1498 ausdrückte. Dort findet sich außerdem folgende Passage: Geboren in Genua, bin ich nach Kastilien gekommen, um Ihren Hoheiten zu dienen … Ich befehle meinem Sohn Diego, oder jenem, der das Majorat erben wird, in der Stadt Genua stets einen Angehörigen unseres Geschlechts zu erhalten, der dort Haus und Familie hat, und ihm eine Rente zuzuweisen, von der er, als ein unserem Stamme sehr nahestehender Mann, würdig leben kann, er fasse Fuß und Wurzel in dieser Stadt, als gebürtig aus ihr; er wird von dieser Stadt in allen für ihn notwendigen Dingen Gunst und Hilfe erwarten können, denn ich komme aus ihr und bin in ihr geboren.[2] In einem 1502 datierten Brief an die Bank San Giorgio in Genua schrieb er, sicher nicht nur als wohlklingende Phrase, in Sevilla befinde sich zwar sein Leib, aber sein Herz weile beständig in seiner Heimatstadt.[3]

Die spärlichen Auskünfte, die Kolumbus selbst zu seiner Herkunft gab, lassen es als sehr plausibel erscheinen, dass der später so berühmte «Admiral des Weltmeeres» möglichst zu verschweigen suchte, dass er aus einfachem Hause stammte. Die wenigen Quellen, die etwas über seine Herkunft, über seine Kindheit und Jugend aussagen, ergeben folgendes Bild: sein Großvater Giovanni stammte aus einem Dorf in dem von schroffen Bergen umgebenen Tal von Fontanabuona, etwa 30 Kilometer östlich Genuas. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts hatte sich Giovanni Colombo in Quinto niedergelassen, an jenem wohlhabenden Küstenstrich, den «Genova la superba», «das stolze Genua», beherrschte. Er hatte das Handwerk des Wollwebers ergriffen und später seinem Sohn Domenico in Genua eine Lehrstelle bei einem flämischen Tuchmacher verschafft. Während über die Mutter des Christoph Kolumbus, Susanna di Fontanarossa, nahezu nichts bekannt ist, besagen die Urkunden des Staatsarchivs von Genua, dass Domenico Colombo, sein Vater, es zum Meister der Wollweber gebracht hatte und der Zunft der Tuchmacher angehörte. Zudem ist überliefert, dass ein gewisser Domenico Colombo 1447 für ein Jahr zum Wächter eines Stadttors von Genua, der Porta dell’ Olivella, bestellt wurde, was ihm als Bürger der Stadt einiges Ansehen eingebracht haben dürfte. Seine Amtszeit wurde dreimal in Folge um jeweils ein Jahr verlängert.

Cristoforo wuchs mit vier Geschwistern auf: Sein ältester Bruder Pellegrino starb relativ jung; Bartolomeo (Bartolomé in der spanischen Form), Dritter in der Reihe, verknüpfte sein Leben eng mit dem seines Bruders Cristoforo, förderte ihn nach Kräften und wurde später Adelantado (Statthalter) auf Hispaniola; der mit Abstand jüngste Bruder Giacomo (Diego) blieb in der später so bekannten Familie der Colombo ziemlich unscheinbar. Die Schwester Bianchinetta wurde mit zwanzig Jahren an einen Käsehändler verheiratet; sie ist von keinem der Brüder je mit einem Wort erwähnt worden.

Eineinhalb Jahrzehnte schweigen die Urkunden über das weitere Schicksal der Familie Colombo. Als nächstes gesichertes Datum im Leben des jungen Christoph ist erst wieder der Monat März des Jahres 1470 überliefert, als der Vater Domenico mit der Familie nach Savona übersiedelte, einer Handels- und Hafenstadt westlich von Genua. In den Jahren davor hatte das Wollgeschäft des Vaters stagniert, ja, es war später so weit gekommen, dass Domenico Colombo seiner Schulden wegen einige Tage im Gefängnis sitzen musste. Er hatte also gute Gründe dafür, in einer anderen Stadt günstigere Bedingungen für sein Gewerbe zu suchen. In einer Urkunde dieser Zeit aus Savona wird er gleichwohl als «tabernarius», als Gastwirt bezeichnet, was darauf hinweist, dass der Vater dazu gezwungen war, nebenberuflich einen Weinausschank zu betreiben. In den folgenden Jahren geriet Domenico Colombo vollends in finanzielle Bedrängnis; aus einer Urkunde des Jahres 1473 geht hervor, dass das Haus der Familie in Genua verkauft werden musste.

«Genuensis ergo mercator», «Genuese und also auch Kaufmann», lautete ein auf die Stadt bezogener Sinnspruch. Jedoch war seit dem Ende des 14. Jahrhunderts die einst im Mittelmeerraum führende Handelsmacht Genua nach einem hundertjährigen Konflikt mit Venedig und infolge der schweren Beeinträchtigungen des Handels mit der Levante durch die osmanische Eroberung Konstantinopels (1453) allmählich in eine Krise geraten, aus der sich die Stadt politisch und vor allem wirtschaftlich nur schwer zu befreien vermochte. Zudem hatten andere italienische Städte, Florenz an erster Stelle, einen blühenden Handel mit Textilien begonnen – darunter auch mit orientalischen Seidenstoffen und Brokat –, der zwar einigen finanzkräftigen Webern zu Reichtum verhalf, die kleineren Webermeister jedoch wirtschaftlich ruinierte.

Auch mit der tatkräftigen Unterstützung seines Sohnes Cristoforo konnte der Vater seiner geschäftlichen Misere nicht mehr entrinnen. Immer größere Schulden häuften sich auf, und das Leben des Domenico Colombo wurde immer unsteter. Seine beiden Söhne Christoph und Bartolomeo gingen schließlich irgendwann ihre eigenen Wege; nach dem Tod seiner Frau Susanna und auch seines Sohnes Pellegrino ließ sich Domenico mit den beiden Kindern Bianchinetta und Giacomo wieder in Genua nieder. Seinen Beruf als Weber hatte er aufgegeben, sodass er ein recht kärgliches Leben fristete. Bald heiratete die Tochter Bianchinetta; der jüngste Sohn Giacomo verließ Genua und folgte seinen beiden Brüdern, die der Vater zuerst im fernen Portugal und am Ende seines Lebens in Spanien wusste. Vielleicht wurde er hin und wieder von Cristoforo und Bartolomeo unterstützt; dass die Familienbande jedoch zerrissen waren, lässt sich aus der Tatsache schließen, dass auch mit dem später so berühmten Christoph Kolumbus kein Briefwechsel überliefert ist. Zum letzten Mal wird Domenico Colombo in einer Urkunde aus dem Jahr 1494 erwähnt, und irgendwann vor dem Jahr 1498 muss der Vater des Kolumbus gestorben sein.

Der junge Christoph hatte keine Lehre im Handwerk seines Vaters absolviert; es erscheint sogar fraglich, ob er überhaupt den zu seiner Zeit in einer Stadt wie Genua üblichen Bildungsweg beschritten und sich von Mönchen im Lesen, Schreiben und Rechnen hatte unterrichten lassen. Er wird auf jeden Fall nur ein sehr lückenhaftes Wissen erworben haben; seine späteren Kenntnisse der Kartographie, der Astronomie oder der lateinischen Sprache, der er sich recht gewandt bediente, brachte er sich selbst bei. Sein Sohn Fernando setzte jedoch die Legende in Umlauf, Kolumbus habe in Pavia die Universität besucht. In einem Brief schrieb Kolumbus später: Seit ich Seemann wurde, habe ich mit Fleiß in allen Schriften, Erdbeschreibungen, Geschichtsbüchern, Chroniken, Philosophiewerken und anderen Büchern gelesen.[4] Die bedrängte finanzielle Lage der Familie zwang ihn vermutlich dazu, in seiner Jugend wohl vor allem als Wollkrempler zu arbeiten: Zur Aufbesserung des Familieneinkommens raute und kämmte (kardierte) er dazu mit seinem Bruder Bartolomeo die von der Mutter gesponnene Wolle, die der Vater dann verwebte. Kolumbus selbst erwähnte später einmal, nachdem er den Zenit seines Lebens längst überschritten hatte, dass er aus dem Nichts emporgehoben worden sei[5] – eine Äußerung, die sich auch als Stoßseufzer über die Dürftigkeit seiner Jugend verstehen lässt.

Das Aussehen und Erscheinungsbild des zum Mann gewordenen Kolumbus hat sein Sohn Fernando, der eine umfangreiche, vielfach mystifizierende und idealisierende Biographie seines Vaters verfasste, folgendermaßen beschrieben: «Der Admiral war ein wohlgebauter Mann, über mittelgroß, von länglichem Gesicht mit etwas hochliegenden Wangen, die weder dick noch dünn waren. Er besaß eine Adlernase, und seine Augen waren von heller Farbe, seine Gesichtsfarbe war gleichfalls hell, doch leicht in ein lebhaftes Rot übergehend. In der Jugend war sein Haar blond, mit dreißig jedoch wurde es ganz weiß. Im Essen und Trinken sowie in seiner Kleidung war er mäßig und bescheiden. Mit Fremden unterhielt er sich freundlich, und mit den Leuten seines Haushalts war er sehr leutselig, doch beachtete er eine bescheidene und angenehme Würde. In religiösen Dingen war er so streng, daß er beim Fasten und dem Hersagen der Gebete und Litaneien eher einem Ordensbruder glich. Auch war er ein großer Feind des Fluchens.»[6] Dieses Bild des Kolumbus wird bestätigt durch eine Beschreibung des spanischen Missionars und «Indianerapostels» Bartolomé de Las Casas, der ein grundlegendes Werk über die «Geschichte der Indischen Lande» («Historia general de las Indias») verfasste und als wichtigster Biograph des Genuesen gilt. Zum Erscheinungsbild des Kolumbus führt Las Casas außerdem an, dass er blaue Augen gehabt habe und dass Bart und Haar in der Jugend rot, im Alter grau gewesen seien; er bemerkt unter anderem, dass der Admiral in höchstem Maße imponierend in seinem Auftreten und seiner Haltung gewesen sei, ein Herr von großer Geisteskraft und hohem Gedankenflug. Er habe großmütig denen verziehen, die ihm unrecht taten, und er sei beständig und äußerst standhaft im Ertragen von Ungemach und Widrigkeiten gewesen.[7]

Kolumbus musste recht früh eigenverantwortlich ins Leben eintreten; zu Beginn verwandte er seine Energie darauf, dem maroden Geschäft seines Vaters auf die Beine zu helfen, wobei er immer wieder Bürgschaften für den verschuldeten Domenico Colombo leisten musste. Die Urkunden geben darüber Auskunft, dass Kolumbus im Oktober 1470 eine Schuld über eine Weinlieferung anerkannte, dass er im August 1472 zusammen mit seinem Vater eine große Menge Wolle einhandelte und dass er im August 1473 den Verkaufsvertrag für das elterliche Haus in Genua mitunterzeichnete. Vom Jahr 1473 an muss sich Kolumbus dann resignierend vom Geschäft seines Vaters abgewandt (an dem er wohl auch zuvor nur noch halbherzig beteiligt war) und seine Zukunft ganz auf die Seefahrt gesetzt haben. Zwischen den Jahren 1473 und 1476 lässt sich allerdings kein Dokument nachweisen, in dem sein Name auftaucht, sodass über diese entscheidenden Jahre seines Lebens fast nichts bekannt ist. Vor allem lässt sich keine eindeutige Antwort auf die Frage geben, wann der junge Cristoforo zur See zu fahren begann.

Die Handelsstadt Genua war ganz und gar auf die Seefahrt ausgerichtet; jeder Heranwachsende, den die Atmosphäre des Hafens, die ein- und auslaufenden Schiffe lockten, fand die Möglichkeit, sich schon in früher Jugend als Schiffsjunge zu verdingen und zur See zu fahren. Und so wird auch Kolumbus seine ersten seemännischen Erfahrungen auf kleineren Handelsschiffen gemacht haben, die Routen an der ligurischen Küste befuhren. Um dem unerquicklichen väterlichen Wollgeschäft zu entfliehen, das er wohl noch recht lange zu stützen suchte, ließ er sich schließlich mit Anfang zwanzig in den Dienst genuesischer Handelshäuser nehmen, um in deren Namen Seereisen zu unternehmen und Geschäfte abzuschließen. (Aus dem Jahr 1492 liegt von dem späteren «Admiral des Weltmeeres» die recht präzise Angabe vor, dass er ohne nennenswerte Unterbrechung seit 23 Jahren zur See fahre.[8]) Nach seiner eigenen Schilderung gelangte er dabei unter anderem zu der griechischen Ägäis-Insel Chios, die bis zur Eroberung durch die Türken im Jahr 1566 von Genua beherrscht wurde. Chios war zu jener Zeit vor allem durch das Mastix bekannt, einem aus dem Mastixstrauch gewonnenen Harz, das in der Medizin und als Grundstoff für Lacke sehr begehrt war. Der Handel damit brachte großen Profit ein. Da Kolumbus in jenen Jahren wiederholt als Bürge für seinen Vater auftrat, muss er also durchaus ein sicheres Auskommen gefunden haben.

Vieles im Leben des Kolumbus bis zu seiner Ankunft in Portugal liegt im Dunkeln; Spekulationen drängen sich also geradezu auf. So sahen sich die das Mittelmeer befahrenden Handelsschiffe stets der Gefahr ausgesetzt, von Piraten angegriffen zu werden, die oft im Dienst einander verfeindeter Herrscherhäuser oder Stadtrepubliken standen. In diesem Zusammenhang sind immer wieder Mutmaßungen darüber angestellt worden, ob sich nicht auch jener Sohn eines verarmenden Wollwebers zeitweise als Korsar verdingt habe. Insbesondere trägt dazu auch ein Vorfall bei, über den Kolumbus in einem (verlorengegangenen) Brief aus dem Jahr 1495 berichtete, der eigentlich dazu dienen sollte, dem spanischen Herrscherpaar zu verdeutlichen, wie leicht man selbst auf offenem Meer einer Täuschung über den eingeschlagenen Kurs erliegen und andere darüber täuschen konnte. In diesem Brief, den sein Sohn Fernando in seiner nur in der italienischen Übersetzung erhaltenen Biographie, den «Historie della vita e dei fatti di Cristoforo Colombo», wiedergibt und den auch Las Casas nach eigener Aussage gesehen und kopiert hat, beschrieb Kolumbus, wie er die gesamte Mannschaft seines Schiffs über den Kurs in die Irre geführt hätte, indem er einfach den Ausschlag der Kompassnadel änderte. Bei der Rekonstruktion dieses Vorfalls treten jedoch so viele Ungereimtheiten auf, dass man diese Episode mit großer Skepsis betrachten muss: So wäre etwa Kolumbus bereits mit wenig mehr als zwanzig Jahren Kapitän eines Schiffs gewesen, das sich einer aragonesischen Galeasse bemächtigen sollte. Von der Jugend des Kapitäns abgesehen, erscheint dies angesichts seiner Herkunft aus der Wollweberei und seiner geringen seemännischen Erfahrung nahezu ausgeschlossen. Nichtsdestoweniger liefert diese Geschichte aber einen Hinweis darauf, dass Kolumbus (oder sein Sohn) es nicht als ehrenrührig betrachteten, Piraterie begangen zu haben.

Aus den nächsten Jahren ist wiederum eine höchst ominöse Begebenheit überliefert, die sich im Jahr 1476 zugetragen haben soll und über die ebenfalls sowohl Las Casas als auch Fernando berichten. Danach soll sich Kolumbus im Dienste seiner genuesischen Auftraggeber an Bord eines Schiffs befunden haben, das in einem Konvoi von fünf Schiffen Mastix von Chios nach Lissabon und weiter nach England und Flandern bringen sollte. Vor dem Kap São Vicente, das als Landzunge im Süden Portugals in den Atlantik hineinragt, seien die Schiffe von einer überlegenen französischen Piratenflotte angegriffen worden. Als das Schiff des Christoph Kolumbus in Brand geraten sei, habe dieser sich schwimmend an die sechs Meilen entfernte Küste retten können. Zu Fuß sei er nach Lissabon gegangen, wo ihn die Kolonie der dort ansässigen Genuesen freundlich aufgenommen habe. Auch dieser Vorfall hat zu vielen Spekulationen geführt, wobei immer wieder die Behauptung vorgebracht wurde, Kolumbus habe sich eigentlich auf der Seite der Piraten befunden und somit gegen die Schiffe seiner Vaterstadt Genua gekämpft. Er selbst erwähnte später jedenfalls, dass er auf wunderbare Weise nach Portugal gelangt sei.

Die portugiesische Hauptstadt am Rio Tejo hatte sich damals einen führenden Platz unter den Handelsstädten Europas erobert. Schon frühzeitig hatten sich etliche genuesische Kaufleute in der Stadt niedergelassen und eine regelrechte Kolonie um ein Kaufhaus in der Nähe des Hafens gebildet. Sie werden den jungen Kaufmann sicherlich unterstützt haben. In den folgenden Monaten muss sich Kolumbus dann entschieden haben, Genua den Rücken zu kehren. Zwar fuhr er auch noch weiterhin im Dienst genuesischer Handelshäuser, jedoch sah er seine Zukunft ab dem Jahr 1477 nicht mehr in seiner Heimatstadt, sondern in Lissabon. Sein letzter Aufenthalt in Genua, wo er als Zeuge vor Gericht geladen war, ist urkundlich für den 25. August 1479 bezeugt; in jenem Jahr war Lissabon längst zu seiner neuen Heimat geworden. Kolumbus hatte im Juli 1478 für seinen Auftraggeber, das Handelshaus Centurione, in dessen Diensten er auch in den Jahren zuvor gestanden hatte, vergeblich versucht, auf der Insel Madeira auf Vorschussbasis Zucker einzukaufen. Da das Geschäft fehlschlug, wurde die Sache zwischen den beteiligten Firmen vor Gericht verhandelt. Und aus den darüber vorliegenden, höchst aufschlussreichen Protokollen geht hervor, dass der als Bürger der Stadt Genua bezeichnete Kolumbus 27 Jahre alt war, dass er über 100 Gulden verfügte und dass er anderntags zurück nach Lissabon reisen wollte.[9]

Der Sohn eines Wollwebers muss in der geschäftigen Metropole Lissabon die einzigartige Möglichkeit gesehen haben, einen Neuanfang zu wagen. In dieser Stadt am Atlantik, im äußersten Westen Europas, geschahen ungewöhnliche Dinge, seitdem sich der portugiesische König Johann I. zu Beginn des 15. Jahrhunderts darauf eingelassen hatte, die afrikanische Küste für den europäischen Handel zu erschließen. Als dann sein Sohn Heinrich der Seefahrer systematisch den Seeweg nach Indien entlang den Küsten Afrikas zu erkunden begann, herrschte in Lissabon eine Stimmung, die Neues und Außerordentliches erahnen ließ.

Zu neuen Ufern

Im Lauf des 15. Jahrhunderts zeichnete sich in Europa immer deutlicher die Auflösung der Gesellschaftsform des Feudalismus ab: Die Dynamik der Ware-Geld-Beziehung bildete sich heraus; der rasch zunehmende und immer größere Entfernungen überbrückende Handel, mit dem die Trennung von landwirtschaftlicher und gewerblicher Produktion einherging, brachte eine neue Qualität in die wirtschaftliche Entwicklung. In diesem Prozess benötigte insbesondere das in den Städten entstandene Handelskapital Geld zur Stabilisierung und Ausweitung seiner Macht. Da zugleich auch der Wunsch des herrschenden Adels nach prunkvollerer Repräsentation wuchs, begann die Suche nach Edelmetallen, seltenen Gewürzen, kostbaren Textilien usw. alles zu dominieren; in der Hauptsache aber ging es um Gold, das am eindeutigsten seinen Wert erkennen ließ und am leichtesten zu handeln war.

Tatsächlich kamen viele der begehrten Kostbarkeiten wie Gewürze, Duftstoffe und Textilien aus «Indien», worunter man zu jener Zeit eigentlich ganz Asien verstand, und die Gier der europäischen Herrscherhäuser und des hohen Adels nach Reichtümern richtete sich ganz allgemein auf jene ferne Welt, in der sich scheinbar alle Wünsche erfüllen ließen. Besonders der 1298/99 verfasste Reisebericht des Marco Polo hatte das von ihm besuchte «Catai» (China) zu einem übermächtigen Wunschbild für Reichtum werden lassen. Sein «Il Milione» mit dem Untertitel «Mirabilia Mundi» («Wunder der Welt») hatte in Europa so stark die Phantasien beflügelt, dass man es zu einem der entscheidenden Antriebe für die dann später unternommenen «Entdeckungsfahrten» rechnen kann, als zur Zeit des Kolumbus der Drang nach Gold manische Züge anzunehmen begann. Ab der Mitte des 15. Jahrhunderts war zudem der traditionelle Handel zwischen China und Europa, wie er etwa über die Jahrhunderte lang benutzte Seidenstraße abgewickelt wurde, stark beeinträchtigt, denn schon seit geraumer Zeit hatte sich der Islam als profitinteressiertes Zwischenglied in den Handel eingeschaltet. Als schließlich auch Konstantinopel von den Türken erobert wurde, verteuerten sich die kostbaren Waren wiederum erheblich. Venedig etwa führte deswegen etliche Kriege gegen die Türken, um den Handel mit dem Orient in gewohnter Form weiterführen zu können. Für Genua allerdings, das in Konstantinopel ein selbstverwaltetes Stadtviertel (Pera) besessen hatte, war das gesamte Schwarze Meer als Handelsgebiet auf einen Schlag verloren.

Der ohnehin immer schon gefährdete Landweg war also noch unsicherer geworden, sodass der Wunsch der Handelshäuser aufkam, einen Weg in den Fernen Osten zu finden, der einen möglichst direkten Warenaustausch ermöglichte. Das Interesse richtete sich dabei verstärkt auf die Iberische Halbinsel, wo besonders das Königreich Portugal begonnen hatte, einen Seeweg um Afrika herum zu dem sagenhaft reichen «Indien» zu erkunden. Für die portugiesischen Kaufleute wurden immer größere Gebiete Afrikas erschlossen. Sie erhielten damit direkten Zugang zu den so begehrten Schätzen wie Gold und Gewürzen; auch den Sklavenhandel ließen sie sich von Beginn an nicht entgehen. Dies bezeugen die lange geläufigen Namen «Goldküste», «Elfenbeinküste» oder «Sklavenküste». Bald war der Äquator überschritten, und im Jahr 1488 konnte Bartolomeu Diaz in Lissabon verkünden, die Südspitze Afrikas umschifft zu haben, womit der direkte Seeweg nach Indien praktisch eröffnet war.

Kolumbus suchte also mit gutem Grund seine Chancen im prosperierenden Portugal, wo das Handelsgeschäft schon frühzeitig dem Bürgertum als Mittel diente, sich gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen. Der ehrgeizige Cristovão Colom hatte wohl recht schnell erkannt, dass ihm die Stadt am Tejo günstige Möglichkeiten bot, beruflich und gesellschaftlich aufzusteigen. Zunächst ging er weiterhin seinen gewohnten Geschäften nach und fuhr als Handelsagent zur See. Noch vor der bereits erwähnten Fahrt nach Madeira ging er zu Beginn des Jahres 1477, also wenige Monate nach seiner Ankunft in Lissabon, auf eine Schiffsreise, die ihn nach England und nach Irland führte. Aus der Feder des Genuesen stammt dabei eine höchst interessante Notiz, die in den Zusammenhang dieser Fahrt gestellt werden muss, denn als Randbemerkung schrieb er in eines der von ihm gelesenen Bücher: Leute aus Catai, das dem Orient zu gelegen ist, sind bis hierher gekommen. Wir haben viele außerordentliche Dinge gesehen, besonders in Galway auf Irland, so einen Mann und eine Frau von ungewöhnlicher Erscheinung, in zwei Booten treibend.[10] Auch wenn die Annahme im Grunde unrealistisch ist, dass Indianer von Amerika aus über den Atlantik gekommen sein könnten, so macht doch diese Notiz deutlich, dass in Kolumbus wohl spätestens während dieser Fahrt die Idee gekeimt sein wird, den Osten vom Westen her zu suchen, wie er es selbst ausdrückte. Da im Übrigen Las Casas die (äußerst unglaubwürdige) Aussage des Kolumbus überlieferte, zu Schiff bis 100 Stunden jenseits von Thule gefahren zu sein[11], wobei mit dem mythischen «Thule» meist die Insel Island gemeint wurde, haben einige Forscher sogar vermutet, Kolumbus habe auf Island von den Fahrten der Wikinger nach dem legendären «Vinland» erfahren.

In Lissabon hatte sich in jenen Jahren auch Bartolomeo Colombo niedergelassen und ein Geschäft eröffnet, in dem er die begehrten Portolane feilbot, äußerst nützliche Seekarten, die sich insbesondere in Portugal gut verkaufen ließen und die er zum Teil selbst zeichnete. Oft wurde er dabei von seinem Bruder Christoph unterstützt, den er nach Auskunft von Las Casas in der Kunst des Kartenzeichnens allerdings übertraf. Zwar wird meistens davon ausgegangen, dass Kolumbus seinen jüngeren Bruder im Jahr 1480 nach Lissabon nachholte, aber es ist auch die Darstellung überliefert, dass sich Bartolomeo schon in jungen Jahren nach Lissabon aufmachte, dort nach einiger Zeit ein Kartengeschäft eröffnete und dass sein Bruder erst später als Teilhaber zu ihm stieß.

Jeder Kartenzeichner der damaligen Zeit sah sich bei seiner Arbeit irgendwann mit dem Problem konfrontiert, wie jene Gegenden der Welt darzustellen seien, die noch kein Europäer erkundet hatte. Als wichtigste Quellen dienten die Schilderungen von Kaufleuten, Missionaren und Seefahrern, deren Angaben meist willkürlich auf Karten übertragen wurden. Der Phantasie waren dabei keine Grenzen gesetzt, nur dass zum Ende des 15. Jahrhunderts neben den schon immer kursierenden Mythen und Legenden über ferne und märchenhafte Weltgegenden noch weit mehr Fabelerzählungen umliefen. So machte etwa die Legende vom christlichen Priesterkönig Johannes die Runde, der «im Süden oder Osten» über ein mächtiges Reich herrschen solle. Man gefiel sich in dem Gedanken, zu diesem christlichen Königreich Verbindungen zu knüpfen, um auf diese Weise die dazwischenliegenden islamischen Gebiete in die Zange nehmen zu können. Als gegen Ausgang des 15. Jahrhunderts mit den Kanarischen und Kapverdischen Inseln, mit Madeira und den Azoren eigentlich alle Afrika und Europa vorgelagerten Inseln im Atlantik entdeckt waren, übte zudem der riesige Ozean im Westen einen großen Reiz aus, ihn mit weiteren Inseln zu füllen. Die tradierten Legenden boten dafür reichlich Material. Unter anderem war seit vielen Generationen jener unvergängliche Mythos von der Insel Antilia überliefert, wonach bei der Invasion der Mauren auf der Iberischen Halbinsel im Jahr 711 sieben Bischöfe in Richtung Westen auf das offene Meer geflohen und auf eine Insel verschlagen worden seien, auf der sie sieben prachtvolle Städte gründeten; noch lange Zeit nach der Entdeckung Amerikas wurde Antilia auf Seekarten verzeichnet. Jene angeblich westlich der Azoren gelegenen Inseln waren auch immer wieder einmal gesucht worden, besonders unter dem portugiesischen König Johann II. Eine solche Reise erwähnt auch Kolumbus später in seinem Bordbuch: Ich entsinne mich, daß 1484, als ich mich in Portugal aufhielt, ein Mann von der Insel Madeira vor dem König erschienen war, um ihn um eine Karavelle zu bitten, auf daß er zu dem Lande reisen könne, das er im Westen gesehen habe.[12] Es handelte sich dabei um die Fahrt eines gewissen Fernan Domingo de Arco, wie aus einer erhaltenen Urkunde von König Johann II. hervorgeht, in der dieser die Erlaubnis zu der – natürlich erfolglosen – Suche gegeben hatte.

Wohl gegen Ende des Jahres 1479 entschloss sich Kolumbus zu einem entscheidenden Schritt, der ihn in seiner neuen Heimat integrieren und in höhere Kreise der Gesellschaft aufsteigen lassen sollte. Der Sohn eines Wollwebers heiratete die schon 25 Jahre alte Adelige Dona Felipa de Perestrello e Moniz, die er in einer Klosterkirche kennengelernt hatte, wohin er regelmäßig zur Andacht ging. Der Vater der Dona Felipa, Bartolomeo de Perestrello, entstammte einer Familie, die ein Jahrhundert zuvor aus dem italienischen Piacenza nach Portugal gekommen war. Er hatte unter der Leitung von Heinrich dem Seefahrer an der Entdeckung Madeiras einigen Anteil gehabt. Als Belohnung war ihm für die kleine, unter seiner Führung besetzte Insel Porto Santo der Gouverneurstitel verliehen worden. In dritter Ehe hatte er schließlich mit der späteren Schwiegermutter des Kolumbus, Dona Isabel Moniz, in adelige Kreise eingeheiratet, ehe er 1457 auf Porto Santo starb. Über die Person der Ehefrau des Cristovão Colom, die seinen inniggeliebten Sohn Diego gebar, liegen nahezu keine Quellen vor. Selbst das Todesjahr der Dona Felipa kann nur erschlossen werden. Sie starb (wahrscheinlich) vor der Flucht ihres Mannes nach Spanien im Jahr 1485. Kolumbus nahm ihren Tod ohne große Trauer hin; jedenfalls fand sie in keiner seiner Schriften je Erwähnung.

Dona Felipas Familie eröffnete dem Genuesen nicht nur die Verbindung zu Hofkreisen, sondern gewährte ihm auch die nötige Muße, sich intensiver mit der in ihm aufkeimenden Idee auseinanderzusetzen, über den Atlantik nach Indien zu gelangen. Gleich nach der Hochzeit übersiedelten die Frischvermählten auf die Insel Porto Santo, wo ein Bruder der Dona Felipa als Gouverneur amtierte. Las Casas schrieb dazu: «Vielleicht ließ sich Cristóbal Colón auf Porto Santo überhaupt nur aus dem Grund nieder, weil er weiterhin zur See fahren wollte und er seine Frau dann dort zurücklassen konnte. Diese Insel liegt nahe bei Madeira, das auch um die gleiche Zeit entdeckt worden war; gerade damals erhielt das Hafenstädtchen viel Besuch von einlaufenden Schiffen. Täglich konnte man Nachrichten von neuen Entdeckungen hören.»[13]