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London. Während Lita mit ihren Freundinnen einen fröhlichen Samstagnachmittag verbringt, endet für den Unsterblichen Misano die Welt, als seine über alles geliebte Zara stirbt, eine Menschenfrau. Sowohl Lita als auch Misano ahnen nicht, dass sie durch eine Prophezeiung verbunden sind, die das Ende der Welt vorhersagt. Allein Litas Mutter und Großmutter wissen von diesem Orakel. Doch umso verzweifelter die beiden versuchen, den Weltuntergang zu verhindern, je mehr erfüllen sich die Verse vom Untergang der Welt. Niemand kann seinem Schicksal entkommen, jeder Schritt ist vorherbestimmt. Doch Lita weigert sich, das Ende von Allem zu akzeptieren, und nimmt den Kampf auf gegen das Schicksal, gegen Äon, das allmächtige Wesen, das einst die Welt erschaffen hat.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Circles of Fate
Band 1
Von Marion Meister
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Marion Meister – www.marionmeister.info Derek Meister – www.derekmeister.com
Über das Buch
London. Während Lita mit ihren Freundinnen einen fröhlichen Samstagnachmittag verbringt, endet für den Unsterblichen Misano die Welt, als seine über alles geliebte Zara stirbt, eine Menschenfrau.
Sowohl Lita als auch Misano ahnen nicht, dass sie durch eine Prophezeiung verbunden sind, die das Ende der Welt vorhersagt. Allein Litas Mutter und Großmutter wissen von diesem Orakel. Doch umso verzweifelter die beiden versuchen, den Weltuntergang zu verhindern, je mehr erfüllen sich die Verse vom Untergang der Welt. Niemand kann seinem Schicksal entkommen, jeder Schritt ist vorherbestimmt.
Doch Lita weigert sich, das Ende von Allem zu akzeptieren, und nimmt den Kampf auf gegen das Schicksal, gegen Äon, das allmächtige Wesen, das einst die Welt erschaffen hat.
Die Autorin
Bereits als Kind erdachte sich Marion Meister fantasievollen Welten, die parallel zu unserer existieren. Ihre Liebe galt dabei besonders den Sagen und Legenden über Magie und Götter. Inzwischen ist sie hauptberuflich Autorin und schreibt sich jeden Tag in Welten voller Abenteuer und Magie.
Offiziell lebt sie mit ihrer Familie in Niedersachsen, ist aber meist in ihren Geschichten unterwegs und selten im Hier und Jetzt anzutreffen.
Inhaltsverzeichnis
Misano
Lita
Rukar
Hanna
Lita
Rukar
Elaine
Lita
Rukar
Elaine
Lita
Elaine
Lita
Elaine
Lita
Lita
Hanna
Lita
Elaine
Lita
Tegan
Lita
Rukar
Elaine
Lita
Rukar
Lita
Elaine
Rukar
Lita
Rukar
Misano
Lita
Elaine
Rukar
Lita
Rukar
Lita
Tegan
Elaine
Tegan
Lita
Rukar
Lita
Tegan
Rukar
Tegan
Lita
Jin
Lita
Elaine
Rukar
Elaine
Tegan
Lita
Hanna
Rukar
Jin
Lita
Hanna
Misano
Lita
Misano
Tegan
Lita
Rukar
Tegan
Elaine
Rukar
Lita
Danksagung
Urban Fantasy
BAND 1
Von
Marion Meister
Misanos hoffnungsvoller Blick ruhte auf Zaras schmalem Gesicht. Blässe hatte sich auf ihre Wangen und dunkle Schatten um ihre bernsteinfarbenen Augen gelegt.
Zaras Blick hielt sich an dem makellosen Blau des Himmels fest, das sich über ihnen wölbte. Es war ein helles Blau. Eines, das Frühling, Neubeginn und Leben versprach.
Mit einem tiefen Atemzug versuchte sie, es in sich aufzusaugen. »Es ist perfekt«, flüsterte sie und zog seinen Arm, in den sie sich eingehakt hatte, enger zu sich.
»Genau wie du«, säuselte er zurück und erntete dafür einen tadelnden Klaps, zart wie ein Schmetterling auf seiner Hand.
»Lass das, Misano! Wir beide wissen es besser.« Sie tat einen Schritt, verharrte jedoch sogleich wieder, um sich zu einer Rosenblüte hinabzubeugen und ihren Duft einzuatmen.
Die Rose strahlte in einem feurigen Fuchsia, das zur Mitte hin in ein burgunderrot überging. Misano wusste, wie sehr Zara solch ein Farbspiel liebte. Er kannte so vieles von ihr: den Duft ihrer Haut am Morgen. Den Klang ihres Lachens, wenn sie ihn bei einer Schachpartie schlug. Ihr leises Summen, wenn sie im Herbst die Tulpenzwiebeln für den Frühling in die Erde bettete.
Er sah prüfend durch den Garten. Zufrieden glitt sein Blick über die üppigen Rosen, den herrlichen Lavendel, der Hunderte von Schmetterlingen angelockt hatte. Nirgends konnte er ein welkes Blatt, eine verblühte Blume ausmachen.
Sehr gut.
Nichts durfte heute an die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens erinnern.
Dieser Garten war sein Geschenk an sie. Er hatte ihn auf diesem Hügel platziert, damit es wirkte, als sei diese Oase vom Blau des Himmels umspült. Verschlungene Pfade liefen auf den plätschernden Brunnen in der Mitte des Gartens zu. Ein marmornes Becken, in dessen Mitte die Quelle hervorsprudelte. Steinerne Vögel aller Art saßen am Rand und tranken. Auf den Detailreichtum der Skulpturen war Misano besonders stolz. Er wusste, wie sehr Zara Vögel bewunderte, sie um ihre Kunst des Fliegens beneidete.
Auch bei der Bepflanzung hatte Misano sämtliche Register gezogen. In allen Farben blühte es. Jegliche Schattierung von Orangerot über Karmesin bis Purpur. Rosen, Lupinen, Lavendel, Malven, Sonnenhut – egal, was es war, er hatte es pflanzen lassen.
Gerade wollte er sich wieder Zara zuwenden, als er auf der gegenüberliegenden Seite des Rosenrondells drei Männer entdeckte. In ein Gespräch vertieft, lustwandelten sie durch den Garten. Wie konnten sie es wagen! Unwillkürlich ballte Misano eine Faust. In Gedanken schleuderte er eisige Blitze zu ihnen, doch sie achteten nicht auf ihn. Er erkannte Enki, Pothos – und der Dritte? War das Doh?
Er hatte ihnen nicht gestattet, hier zu sein. Nicht heute!
Als könne er ihre Gedanken beeinflussen, stierte er sie an, aber er riss sich zusammen. Zaras Tadel für den Wutausbruch wäre ihm sicher gewesen. Und unter keinen Umständen wollte er auch nur eine Sekunde dieses Tages an Streitigkeiten vergeuden. Genau deshalb hatte er den anderen den Zutritt zum Garten untersagt.
Nur er und seine Zara. Auf ewig.
Er schluckte und versuchte, seine Angst zu verbergen.
»Ich wette, du hast all deine Gärtner bis in die Nacht hinein gescheucht«, meinte sie amüsiert. Ihre schmalen Finger streichelten die Rosenblüte.
»Wie?« Er wandte den Blick von den Eindringlingen ab. »Wie kommst du darauf, meine Liebste?«
Seufzend tat sie zwei weitere Schritte an seinem Arm. Das lange meeresgrüne Gewand folgte ihren Bewegungen wie ein leichter Nebel, zart und schwerelos. »Keine einzige Blüte ist welk.«
»Natürlich nicht!«, entrüstete er sich. »Wie sähe das denn aus!«
Sie schmiegte ihre Wange an seine Schulter. »Wie sähe die Welt aus, wenn du sie geschaffen hättest?«
Er sah zum Himmel hinauf. Vielleicht, damit die Träne, die sich im Augenwinkel gesammelt hatte, nicht entkommen konnte. »In meiner Welt gäbe es keinen Winter. Und du wärst immer an meiner Seite.«
Zara lachte leise. »Oh, was würden wir streiten, Misano.«
»Ich streite zu gern mit dir.« Er beugte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss, den sie sanft erwiderte. »Wäre die Welt in meinen Händen, ich legte dir die Sonne und den Mond zu Füßen.«
Ein Schmetterling tanzte vor ihnen durch die Luft, Zara löste sich von Misano, folgte dem Schmetterling für einige Schritte zum Brunnen. »Und ich würde sie sogleich zurück an den Himmel hängen, damit alle ihre Schönheit bewundern können.«
Misano zuckte mit den Schultern. »Du bist das Schönste, das diese Welt jemals geboren hat. Mir egal, was du mit Mond und Sonne anstellst. Hauptsache, du bleibst bei mir.«
In diesem Moment strauchelte Zara.
»Zara!« Misano eilte zu ihr, um sie zu stützen.
Ihr Atem ging flach. Er umfing sie und hielt sie fest. Sie wog nichts in seinen Armen. Die Krankheit hatte ihren jungen Körper von innen verzehrt. Dünn und schwach hatte sie seine Zara werden lassen.
»Es ist gut, Misano.«
»Nein! Nichts ist gut!«
Er musste die Wut, die in ihm aufbrandete, mit aller Macht unterdrücken. »Ich hab noch nie um etwas gebeten«, grollte er. »In all der Zeit! Und es hätte wahrlich einiges gegeben. Nein. Nicht ich! Nicht Misano! Ich habe alles alleine geregelt. Ich habe etwas gut bei ihr!«
Zara rang nach Atem. »Siehst du. Wir streiten.«
Ihr Lächeln war nur noch ein Schatten. Eine Erinnerung an das ansteckende Lachen, das er so liebte, dass es ihm jedes Mal eine Freude gewesen war, sich für sie zum Narren zu machen. Nur um ihr Lachen zu hören.
»Ich wollte für dich die Welt aus den Angeln heben«, murmelte er.
»Für mich?« Ihre Beine gaben nach und sie sank in seine Arme.
Er ging in die Knie, bettete sie auf seinen Schoß. Sie war so blass. So leicht und durchsichtig. Wo war die Frau hin, die mit ihrer Lebenslust seine seit Ewigkeiten eingerostete Existenz auf den Kopf gestellt und unter Strom gesetzt hatte?
»Ich kann dich nicht verlieren, Zara. Du bist alles für mich. Du bist der Schlüssel zu dieser Welt! Ohne dich ist alles sinnlos.«
»Nicht doch.« Wieder der sanfte Schmetterling ihrer Berührung. »Du wirst darüber hinwegkommen. Es wird wieder eine Frau an deiner Seite geben.«
Er wandte sich ab. Verbarg sein Gesicht im Kragen seines Hemds. Er wollte nicht, dass sie ihn weinen sah. Doch ihr nahender Tod brannte so tief in seiner Brust. Dieses Gefühl machte ihn rasend. »Ich werde es Elaine nie verzeihen! Sie hätte dich retten können.« Seine Stimme brach.
»Schhht.« Zara seufzte. Sie legte den Kopf an seine Brust. »Nicht. Misano. Es ist mein Schicksal. Ich habe es angenommen. Es ist in Ordnung …« Ihr Blick suchte seinen.
Der Schmerz schnürte ihm die Kehle zu. Er klammerte sich an sie, an ihren Blick, der so tief in seine Seele drang.
»Lass mich gehen. Ich bin nun mal ein Mensch. Wir sterben, Misano.«
»Nein! Nicht du! Du bist alles für mich!« Hastig musste er eine Träne fortwischen. »Ich zerschmettere Berge, teile Ozeane. Beschwöre Armeen und lege Länder unter Eis. Aber meine einzige Liebe kann ich nicht retten?«
Sie lächelte. »Du bist eben doch nicht allmächtig. Und es ist gut so, Misano. Bitte.«
Trotzig schüttelte er den Kopf. »Elaine hätte diese Krankheit von dir nehmen können.«
»Bitte …« Ihre Worte waren nur noch ein Hauch. »Kein Krieg, Misano. Für mich –«
Flehentlich blickte sie ihn an, er konnte ihr jedoch nicht versprechen, dass er ihren Tod einfach hinnehmen würde. Elaine hatte ihm ihre Hilfe verweigert. Sie hatte Zaras Tod zu verantworten!
»Versprich es«, hauchte sie, doch dann verließ sie die Kraft. Der Glanz aus ihren Augen verschwand und ihr Kopf sackte gegen seine Brust.
Sie war fort.
Mit einem gellenden Schrei drückte er Zara an sich.
Die Männer, die eben noch im Garten gelustwandelt waren, zuckten zusammen. Hastig suchten sie den Ausgang aus diesem Paradies, als fürchteten sie um ihr Leben.
Die Erde schien zu erzittern unter Misanos Trauer.
Er sah weder die flüchtenden Männer noch das Frühlingsblau des Himmels oder die Farbenpracht, die er für Zara arrangiert hatte.
»Zara!«, brüllte er, die tote Zara weiter an sich gedrückt.
Er hievte sich auf die Füße, seine Geliebte fest in den Armen. Vor Schmerz konnte er kaum atmen. Ein endliches Leben! Ausgelöscht. Einfach so, weil etwas in dieser schwachen Hülle kaputtgegangen war.
Verzweifelt klammerte er sich an den leblosen Körper und weinte. Niemals würde er wieder lachen können. Dieser Schmerz, den Zaras Tod ihm zufügte, wie könnte der jemals verblassen!
Mit Zaras Leichnam in den Armen stand er da und blickte in den makellosen Himmel.
Zorn wuchs in ihm.
Zorn auf dieses Unrecht, ihm Zara zu nehmen. Dunkle Wolken wuchsen heran. Ein Grollen, so laut und tief, dass es die Erde und den Himmel erschütterte.
Elaine hatte Zaras Leben beendet. Obwohl er sie angefleht hatte, Zara leben zu lassen.
Regen prasselte herab. Hart und stechend. Doch Misano war es egal. Er reckte sein Gesicht den kalten Tropfen entgegen. Niemals wird dieser Schmerz vergehen. Mit Zara in den Armen sank er auf die Knie. Was hätte es schon ausgemacht, Zaras Leben einfach weiterlaufen zu lassen?
Nichts. Elaine hatte keine Ahnung, wie es sich anfühlte, solchen Schmerz zu fühlen. Ihn bis in alle Ewigkeit ertragen zu müssen.
»Elaine!«, brüllte er in den Regen. »Ich werde dich meinen Schmerz spüren lassen! Und wenn es das Ende der Welt ist!«
»Halt den mal, Lita!« Chloe drückte Lita den halb gegessenen Burger vor die Brust und wühlte in ihrer Handtasche, aus der ihr Elsa Let it Go entgegenschmetterte.
»Hey! Vorsicht!« Lita lachte und streckte den Burger hastig mit ausgestrecktem Arm von sich, denn Ketchup tropfte daran herunter und bekleckerte ihren neuen Schal. Allerdings rammte sie dabei das triefende Streetfood um ein Haar einem Skater in den Bauch, der in der gleichen Sekunde an ihnen vorbeicruiste.
Er reagierte schnell, wich aus, erwischte jedoch fast einen entgegenkommenden Kinderwagen. Die Mutter pöbelte den Skater an, das Kleinkind begann zu weinen. Lita hielt starr vor Schreck weiterhin den Burger von sich und lächelte die empörte Mutter nur verlegen an.
»Ist das deine neue Masche, um coole Skater anzubaggern, Lita?«, rief Lauren laut – so laut, dass der Skater sich noch mal nach Lita umsah und ihr zuzwinkerte.
Sofort schüttelte Lita den Kopf, damit der lange, fransige Pony ihr über die Augen fiel und das Gesicht halb verdeckte. Durch die Haarsträhnen blickte sie dem Typen nach, der nun grinsend in der Menge untertauchte. Lauren kringelte sich vor Lachen über Litas gequälten Gesichtsausdruck.
Es war ein sonniger Samstag, ein Herbsttag wie aus dem Bilderbuch, und der Weg entlang der Themse dicht bevölkert. Touristen strömten Richtung London Eye, Londoner flanierten zum Flohmarkt unter der Waterloo Bridge. Lita und ihre Freundinnen hatten sich an einem Foodtruck leckere Burger und Wraps geholt und wollten am Southbank Skate Space ein wenig zugucken. Es war Laurens Idee gewesen, denn sie hatte sich in einen Typen verguckt, der dort immer mit seinen Jungs abhing.
»Müssen wir wirklich zu den Skatern?«, murmelte Lita.
Sie hatte keine Lust, den Skatertypen von eben dort wiederzusehen, nachdem Lauren ihm hinterhergebrüllt hatte.
Lita streckte noch immer Chloes Burger von sich. Ketchup lief ihr die Finger hinunter. Sie hatte ihren eigenen Burger schon längst verputzt und wartete ungeduldig, dass Chloe ihr das Ding wieder abnahm.
»Keine Chance. Ihr müsst unbedingt Jeremy sehen. Sein Kickflip ist der Hammer!« Schwärmerisch legte sich Lauren die Hand aufs Herz. Noch nie hatte Lauren so penetrant über einen Kerl geschwärmt wie über diesen Jeremy.
Inzwischen hatte Chloe ihr bimmelndes Handy endlich aus der Tasche gefischt, klemmte es sich ans Ohr und rupfte Lita den Burger aus der Hand. »Ja?«, hauchte sie ins Handy, bedachte Lita mit einem Augenverdrehen und biss herzhaft in den Burger.
Wie der Klingelton verraten hatte, war am anderen Ende der Leitung Will, Chloes derzeitiger Freund. Seit einigen Wochen forderte er mehr Zeit mit Chloe und zeigte das besonders deutlich, wenn sie sich mit ihren Freundinnen traf. Doch der Samstagnachmittag gehörte nun mal den Mädels, daran hatte noch kein Junge rütteln können. Und auch Will würde verlieren.
Lita säuberte ihre Finger vom Ketchup und sah sich nach DeeDee um. Inzwischen waren sie auf Höhe der Royal Festival Hall und es waren weniger Leute hier als beim London Eye.
DeeDee hatte einen der alten Schreine neben einer Laterne direkt an der Themse entdeckt. Aus ihrem Rucksack, in dem sie für jede Notlage immer das passende Helferchen dabeihatte, zog sie eine kleine Chipspackung und legte einige Kartoffelchips in die Opferschale.
»Warum machst du das immer? Das ist doch nichts weiter als Aberglaube! Und Taubenfüttern ist hier verboten.« Kopfschüttelnd beobachtete Lita, wie die erste Taube bereits auf dem Sims des hüfthohen Altars landete. An allen Ecken und Enden fanden sich in London diese Altäre. Der Glaube an Kami war weitverbreitet und so konnte man zu jeder Zeit einen Kami um Hilfe bitten. Diese Geistwesen spendeten Hoffnung und halfen Kranken, brachten Glück und Wohlstand. Lita allerdings zweifelte an der Wirkung solcher Bitten. Denn Kami waren nur eine Idee, nichts Reales. Allerdings hatte sogar ihre Mutter im Wohnzimmer einen Schrein aufgestellt, an den sie täglich Opfergaben stellte. Jedoch war noch nie eine von Litas Bitten erhört worden, was für Lita der Beweis der Nichtexistenz von Kami war.
»Ich finde es einfach schön.« DeeDee ordnete ihre klimpernden Bronzearmreife und zupfte das orangefarbene Spaghettiträgertop zurecht, das sie über einem braunen Schlabber-T-Shirt und einem roten Langarmshirt trug.
»Nur weil man Kami nicht sehen kann, bedeutet es nicht, dass sie nicht da sind. Ich bitte immer mal wieder um Hilfe. Und der Gedanke, dass es etwas gibt, das auf einen aufpasst, ist doch tröstend. Außerdem mag ich diese alten Schreine. Es ist immer ein bisschen, als könnte man in eine andere Welt sehen.«
Lita musterte den Altar. Ein handbemalter Schrein aus Holz, verwittert und schief am Themseufer. Er sah tatsächlich so aus, als stamme er aus einer anderen Welt. London war so eine laute, überfüllte Stadt. All der Verkehr, die modernen Glas- und Stahlbauten und dann, plötzlich, ein Relikt aus einer Zeit, als Pferdekarren durch die Straßen fuhren.
»Nun komm schon, Lita. Guck nicht so skeptisch. Du stehst doch auch auf diese ganzen Göttergeschichten.«
»Das ist etwas ganz anderes. Ich feiere das Fandom rund um Loki und das Marvel-Universum. Das hat nichts mit Aberglauben zu tun. Ich weiß, dass all diese unsterblichen Götter nichts weiter als Geschichten sind, DeeDee.«
Deedee blinzelte amüsiert. »Nur Geschichten, soso! Und dennoch hast du dir deinen eigenen Loki-Schrein errichtet. Und wenn du Rat suchst – und ich gerade nicht da bin? Du sprichst doch dann mit ihm!«
Lita ließ erneut den Haarvorhang vor ihre Augen fallen.
»Das – das stimmt nicht. Vielleicht quatsch ich ihn manchmal an. Aber ich bete doch nicht zu ihm.« Zugegeben, wenn sie sauer war oder sich verloren fühlte, hielt sie hin und wieder sehr einseitige Zwiegespräche mit dem Plakat an ihrer Wand, auf dem Loki alias Tom Hiddleston charmant grinste. Aber das hatte nichts mit dem Aberglauben dieser Straßenaltäre zu tun. »Du hast ja recht: Die meisten der Altäre sehen wirklich hübsch aus und irgendwie strahlen sie auch so eine Ruhe aus. Aber …« Lita deutete auf den vergoldeten Altar, an dem Deedee ihre Chips geopfert hatte. »Aber all diese gammligen Lebensmittel in den Opferschalen – das ist eklig.«
»Apropos eklig – du hast da Ketchup.« DeeDee deutete auf Litas Schal.
Grummelnd tupfte Lita die rote Paste ab. Sie trug den Schal heute zum ersten Mal. Erst gestern hatte sie ihn fertiggestellt. Das hauchdünne Garn changierte in allen möglichen Grüntönen. Der Schal erinnerte sie an einen Sommerwind auf einer Waldlichtung. Außerdem passte die Farbe hervorragend zu ihrer Augenfarbe: haselnussbraun mit moosgrünen Sprenkeln.
DeeDee betrachtete ihn eingehend. »Ich verstehe echt nicht, wieso deine Mutter dich nicht stricken lässt. Das ist doch schräg, dabei hast du so ein tolles Talent dafür!«
Statt zu antworten, hakte sich Lita bei DeeDee ein und schlenderte zu Chloe hinüber, die sichtlich genervt noch immer mit Will telefonierte.
»Wieso wissen die Jungs inzwischen nicht alle, dass es Chloe immer nur um ihr Portemonnaie geht?« Kopfschüttelnd beobachtete DeeDee ihre gemeinsame Freundin.
»Die Jungs wissen, dass Chloe sie nach ihrem Kontostand auswählt«, meinte Lita. »Aber sie wählen Chloe ja auch nur aus, weil sie mit ihr angeben können.« Lita war froh, dass DeeDee das Thema gewechselt hatte. Sie wollte nicht über das Strickverbot reden und über ihre Mutter schon gar nicht. Gestern Abend war es beinahe wieder zum Streit gekommen, denn Hanna nahm ihre Medikamente nicht. Dadurch wurde sie unberechenbar und die Stimmen in ihrem Kopf ließen sie verrückte Dinge tun.
»Hey«, rief Lauren, die bereits ein paar Schritte weiter war. »Chloe soll ihn endlich absägen. Beeilt euch!«
Unter ihren wilden schwarzen Locken hervor warf DeeDee Lauren einen tadelnden Blick zu. »Etwas mehr Empathie, bitte, Lauren!« DeeDee war die Wächterin der Harmonie, wie Chloe sie einmal getauft hatte. Saloppe Sprüche auf Kosten anderer mahnte DeeDee stets an. »Warum bin ich eigentlich jeden Samstag mit euch unterwegs?«, murmelte sie.
»Weil wir genauso bekloppt sind wie du?« Lita grinste sie unter ihrem schräg geschnittenen Pony an.
»Ich? Ich bin nicht so bekloppt wie ihr. Ich pflege zum Beispiel als Einzige ein sehr ernsthaftes und wichtiges Hobby.«
Lita musste sich ein Lachen verkneifen. »Kami-Schreine polieren?«
»Tu nicht so, DeeDee. Alte Traditionen feiern gewinnt nicht den Coolnesspreis.« Lauren war zu ihnen zurückgelaufen und schob sie nun von hinten an, damit sie schneller liefen. Dann hüpfte sie auf die Umrandung des Sandkastens, der sich an der Kaimauer entlangzog. Im Sandkasten baggerten und buddelten Kleinkinder unter Aufsicht ihrer Eltern, die auf Picknickdecken die Sonne genossen. Lauren balancierte ungeschickt auf der hölzernen Umrandung entlang.
»Außerdem haben wir alle ein cooles Hobby. Na ja, außer Lita.«
Lita sprang zu ihr und zupfte Lauren die pinkfarbene Skatermütze vom Kopf, die sie ihr zum Geburtstag gestrickt hatte. »Du findest Nicht-Skaten ist cooler als Weben und Stricken?«
Lauren verlor das Gleichgewicht, als sie versuchte, Lita die Mütze wieder abzunehmen, und hopste vom Sandkasten. »Du verwechselst cool mit nice.« Sie nahm Lita die Mütze ab, zog sie wieder über ihre langen blonden Haare und rückte die verspiegelte Sonnenbrille zurecht.
»Stimmt. Es ist echt nice, dass du so hübsche Schals und Mützen machen kannst«, meldete sich Chloe. Nachdem sie mit der Handykamera ihr Aussehen überprüft hatte, ließ sie das Handy zurück in die Tasche fallen. »Und wir sehen dann damit wirklich cool aus.«
Lita rückte ihren Schal zurecht. Was hieß denn hier wir. Ihre Sachen ließen jeden gut aussehen.
»Und das macht dich eindeutig zu unserer coolsten Freundin«, führte Lauren aus und drückte Lita an sich.
Inzwischen waren sie beim Skate Space angelangt und das Klackern der Rollen und Knallen der Sprünge hallte über das Ufer. In dem offenen Tiefgeschoss der Queen Elisabeth Hall herrschte reges Treiben. Zwischen den über und über mit bunten Graffiti besprühten Betonsäulen und –rampen übten Skater ihre Tricks. Ein Metallgeländer grenzte die Passanten von den Skatern ab. Daran lehnten Schaulustige und Jugendliche saßen darauf und beobachteten die Stunts ihrer Kollegen. Lauren zog sich sogleich auf das Geländer und hielt nach Jeremy Ausschau.
»Welcher ist es?«, wollte Chloe von ihr wissen. Zwischen den Skatern in ihren Streetwearklamotten fiel sie ziemlich auf. Chloes Modestil war Geld und ihre Farben Weiß, Beige, Creme und Rosé. Hätte all der Strass nicht so sehr in der Sonne geglitzert, wäre sie zwischen den farbenfrohen Klamotten unsichtbar gewesen.
Manchmal fragte sich Lita, die ihre Hände tief in den Taschen ihres Secondhandparkas vergrub und hoffte, der Typ von eben bemerkte sie nicht, was Chloe, Lauren, DeeDee und sie eigentlich miteinander verband. Seit der Primary School waren die vier ein eingeschworenes Team.
Keine Geheimnisse, keine Eifersüchtelei. Alle für eine, eine für alle.
Und dennoch waren sie so unterschiedlich. Chloe, die nur auf Äußerlichkeiten zu achten schien (aber ein Herz aus Gold und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hatte). Lauren, die so gerne das toughe, sportliche Girl wäre. Und DeeDee, die sich meist im Hintergrund hielt, alles beobachtete und einen ausgeprägten Aufräumtick hatte: die Wohnung ihrer Mutter, die täglich von den drei jüngeren Geschwistern verwüstet wurde, Laurens Schulplaner, Litas Strickkorb, Chloes Lippenstiftsammlung. Aber vor allem schaffte sie es meist, Gefühls- und Gedankenkuddelmuddel mit ein paar prägnanten Sätzen aufzulösen. Dabei wirkte DeeDee mit den unbezähmbaren schwarzen Locken und den weiten, in zig Lagen getragenen, bunt gemusterten Klamotten selbst eher wie organisches Chaos.
Lächelnd beobachtete Lita ihre drei BFFs. Ohne ihre Mädels wäre sie selbst schon längst verloren gegangen.
Sowohl im Reallife, da sie ein lausiges Orientierungsvermögen hatte, als auch mit sich selbst. Manchmal fragte sie sich, wo das Leben sie wohl hinführen würde. Ob sie ihre Träume verwirklichen konnten? Lita hatte wenig Zweifel, dass es den dreien gelang. Seufzend senkte sie den Blick.
Für sich selbst hatte sie da weniger Hoffnung. Ihre Mutter untersagte ihr alles, das auch nur irgendwie mit Nähen, Stricken oder Handarbeit zu tun hatte. Ein Symptom ihrer Wahnvorstellungen. Hanna hielt Fäden offenbar für tödliche Waffen. Sobald Lita volljährig war, wollte sie ausziehen … Eigentlich. Doch konnte sie ihre Mutter sich selbst überlassen?
Ein Skater schoss auf sie zu, die Rampe zum Geländer hinauf.
»Meine Güte!« Erschrocken wich Chloe einen Schritt zurück.
Der Typ drehte sich und das Board in der Luft, landete sicher und raste in die Schatten des Tiefgeschosses.
»War das dein Jeremy?«, wollte DeeDee von Lauren wissen.
Lauren hatte ihre Brille inzwischen nach oben auf die Mütze geschoben, zupfte nervös an ihren langen Haaren und suchte in den Schatten des Skaterareals nach ihrem Schwarm.
»Nope«, antwortete sie und versuchte, sich ihre Aufregung nicht anmerken zu lassen.
Lita zog sich neben sie auf das Geländer und beobachtete eine Truppe von vier Mädels, die Sprünge über eine Rampe übten. »Hast du noch mal mit deinen Eltern gesprochen?«, fragte sie Lauren, deren Enttäuschung von Sekunde zu Sekunde größer wurde. Offenbar war Jeremy nicht hier.
Lauren zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. Dabei wussten alle, dass es ihr nicht egal war. Sie brannte darauf, selbst zu skaten. Doch ihre Eltern hatten es ihr verboten. Zu gefährlich – und nichts für Mädchen. Also musste sich Lauren mit den Skaterklamotten zufriedengeben. Vorerst. Denn Lauren sparte schon lange auf ein Board und die nötige Ausrüstung. Ihr fehlte nur noch ein cooler Lehrer.
Chloe hatte schon wieder ihr Handy in der Hand. »Selfie!«, zwitscherte sie und alle vier steckten die Köpfe zusammen und grinsten in die Kamera.
»Wie spät ist es?«, wollte Lauren wissen und Chloe hielt ihr das Handy hin. Lauren warf einen Blick auf die Uhrzeit. »Shit. Wieso ist er nicht hier?«
»Wie hat der sich denn da reinverirrt?« Chloe deutete auf einen großen Kerl, der lustigerweise ein Poloshirt trug und einen ziemlich kurzen Haarschnitt. Er sah eher nach dem perfekten Schwiegersohn aus als nach einem lässigen Skater.
Lauren grinste. Der Skater fuhr, schneller werdend, zwischen den Säulen lang. »Sein Footwork ist der Hammer! Und –« Der Typ schanzte in die Luft, streckte sich, ohne das Board zu verlieren, das um die eigene Achse rotierte, und landete zielsicher wieder mit dem Board unter den Füßen. »Nice tweak!«, rief Lauren.
Lita und die anderen beiden warfen ihr einen fragenden Blick zu.
»Na was!« Lauren zuckte die Achseln. »YouTube hat mir meine Mum noch nicht verboten.«
Als sei das eine Art Stichwort, schrillte eine Warnsirene los, die alle Umstehenden herumfahren ließ. Lita griff reflexartig in ihre Tasche, zögerte dann aber, ihr klingelndes Handy herauszuholen.
DeeDee drängelte sich neben sie. »Willst du nicht rangehen?«
»Es ist Mum.« Unschlüssig starrte Lita ihre Tasche an.
»Ist was passiert?«, hakte DeeDee nach.
Lita sprang vom Geländer und ging zur gegenüberliegenden Seite, weg von den Schaulustigen. Dort an der Mauer am Themseufer war es leerer. Das Handy gellte immer noch.
»Du und Chloe, ihr solltet endlich eure Klingeltöne ändern«, meinte DeeDee, die ihr nachgegangen war. »Wie soll es eine gute Beziehung werden, wenn jedes Gespräch mit Let it Go angekündigt wird? Und du wirst niemals ein entspanntes Verhältnis zu deiner Mutter aufbauen, wenn bei jedem ihrer Anrufe eine Sirene wie bei einem Atomkraftwerksunfall losgeht.«
Seufzend tastete Lita erneut nach dem Handy in ihrer Tasche. »Wie immer hast du recht, DeeDee. Ich hab gestern die Pillen gefunden, die der Arzt ihr verschieben hat. Sie hat keine einzige davon genommen.« Es war eine lange Diskussion gewesen, bevor ihre Mutter sich überhaupt einen Therapeuten gesucht hatte. Und nun endlich hatte er ihr Medikamente verordnet. Lita war so dankbar gewesen. Hatte so viel Hoffnung, dass es dadurch besser wurde.
»Aber es geht ihr doch gut, oder?«
Schließlich nahm Lita ab. »Ja, Mum?« Ihre Miene verfinsterte sich, als sie der aufgeregten Stimme ihrer Mutter lauschte. »Nein. – Mum! Ich bin –«
Abwartend musterte DeeDee sie und Lita wandte sich von ihr ab. Sie schloss die Augen und ließ Hannas Ausbruch über sich ergehen. »Was ist so wichtig?«, fragte sie ins Handy.
DeeDee umrundete sie und sah Lita sorgenvoll an.
Genervt verdrehte Lita die Augen. Ganz offensichtlich hatte ihre Mutter wieder einen Anfall. Lita sollte umgehend heimkommen. Mit niemandem reden. »Mum, ich bin hier mit meinen Freundinnen. Es ist Samstag. Die Sonne scheint – was – Mum –« Mit einem kleinen Wutschrei drückte Lita das Gespräch weg.
»Shit«, murmelte DeeDee und nahm sie in den Arm. »Soll ich dich begleiten?«
»Danke. Aber das schaff’ ich schon. Ist ja nicht das erste Mal.« Sauer stopfte Lita das Handy zurück in die Tasche. »Aber es war ja so klar, dass sie wieder Gespenster sieht! Ich verstehe nicht, warum sie mir das immer wieder antut. Was ist so schwer daran, diese blöden Pillen zu schlucken?«
Sie marschierte zu Chloe und Lauren hinüber. Der Poloshirttyp lehnte neben Lauren am Geländer und die beiden waren in ein Skaterfachgespräch vertieft.
Chloe formte mit den Lippen das Wort Jeremy und deutete auf den Typen.
Wäre sie wegen ihrer Mum nicht gerade auf hundertachtzig gewesen, hätte Lita sich bestimmt darüber amüsiert: Lauren, das rebellische Girl, verknallt sich in den einzigen Skater der Welt, der wie Mamas Liebling aussieht.
»Ich muss los«, murmelte Lita knapp.
Chloe und DeeDee tauschten einen Blick. Damit war alles klar. Litas verrückte Mum hatte wieder einen dieser Tage.
»Ich schreib dir, wo wir noch hingehen«, meinte Chloe.
»Am nächsten Schrein bitte ich für euch.« DeeDee lächelte. Sie meinte es ernst und Lita lächelte zurück. Vielleicht fand sie den Glauben an Kami so blöde, weil die krankhaften Wahnvorstellungen ihrer Mutter ähnlich waren – sie redete mit unsichtbaren Leuten …
Lita seufzte und wandte sich zum Gehen. Der Tag war gelaufen.
Die Herbstsonne hatte zahlreiche Londoner aus ihren Häusern gekitzelt. Sie ließen sich durch den Tag treiben, schlenderten an den Geschäften und Cafés entlang und bestaunten die Darbietungen der Straßenkünstler, die wie jeden Tag in Covent Garden ihre Show abzogen.
Rukar beschleunigte seine Schritte. An Tagen wie diesen, wenn er für seinen Ziehvater durch den Dreck gekrochen war, konnte er den fröhlichen Trubel der Menschen nicht ausstehen. Immer wieder musste er Pärchen ausweichen, die tuschelnd und kichernd Arm in Arm flanierten. Oder Müttern mit ihren Kindern, lachend, Süßigkeiten in der Hand, starrten sie das Wunder eines in der Luft sitzenden Mannes an. Alle waren glücklich, fröhlich – mit ihren Liebsten, Freunden, Familie.
Mit gesenktem Kopf, den Blick starr auf die Spitzen seiner Stiefel gerichtet, pflügte er durch die Flanierenden. Er hätte den Weg über die Dächer nehmen sollen. Doch nun war es zu spät.
Kaum hatte er Seven Dials erreicht, bog er ab und stand vor dem niedrigen Tunnelgang. Das braune Päckchen unter seinem Arm wand sich. Es war jedoch fest verschnürt.
Noch immer klebte die dunkle, schwere Friedhofserde an seinen Fingernägeln. Selbst in den feinen Ziselierungen der Messingknöpfe an seiner Jacke haftete Dreck.
Mit einem kurzen Blick über die Schulter prüfte er, ob einer dieser blöden Touristen hinter ihm stand. An so manchem Wochenende musste er fast eine Stunde warten, bevor er die Gasse betreten konnte. Entweder war der Andrang der Touris, die durch diese hippe Gasse schlendern wollten, so dicht, dass er einige von ihnen unweigerlich mitgenommen hätte, oder die Selfiejunkies fanden kein Ende mit ihren Aufnahmen. Ein Foto oder gar Video eines jungen Mannes, der unsichtbar wurde, nun … keine gute Idee.
Auch wenn Rukar vieles an der Welt der Menschen nervte, im Grunde wusste er, dass er neidisch war. Flanieren mit Freunden, Lachen mit der Familie … sogar Gruppenselfies machen. Zu gerne wäre er Teil ihrer Welt gewesen. Aber er war allein. Sein Platz war zwischen den Welten.
Mittlerweile hatte er es akzeptiert und seine Schwäche zu seiner Stärke gemacht.
Er seufzte, als sich eine Gruppe Studenten näherte. Prompt blieben sie hinter ihm stehen und posten für ein Foto.
Das Paket zappelte und er verstärkte den Griff, während die Gruppe die Fotos begutachtete und noch eine Runde knipste. Ungeduldig beobachtete er sie. Hoffentlich bemerkten sie ihn nicht und fragten womöglich noch, ob er ein Foto von ihnen allen machen könne.
Er wandte sich dem kleinen Kami-Schrein zu, der in eine Mauernische eingelassen war. Eine halbrunde Vertiefung, in die, ebenfalls aus Stein, die Fassade eines Tempels eingepasst war. Blumen waren auf dem schmalen Sims vor dem Relief abgelegt. Rukar senkte den Kopf und tat, als sei er in ein Gebet vertieft. Dabei spähte er zur Studentengruppe, die anscheinend gar nicht genug Erinnerungsfotos knipsen konnte.
Das Päckchen krümmte sich erneut und Rukar seufzte. Beeilt euch!, dachte er.
Aber manchmal war einem das Schicksal auch gnädig.
Denn aus heiterem Himmel – und er war wirklich wolkenlos gewesen – ging ein heftiger Regen nieder.
Quiekend und kreischend stob die Gruppe in den Durchgang.
Bitte nicht stehen bleiben! Sucht in einem Café Schutz!
Sie waren so nett.
Eilig flüchteten sie in den kleinen Hof hinter dem Durchgang und verschwanden in einem stylishen Laden.
Noch einmal sah Rukar sich um. Niemand da. Der Regen hatte die Passanten von der Straße gespült. Nur ein paar Londoner unter Regenschirmen folgten stoisch ihrem Weg durch den Platzregen.
Endlich konnte er zu Wook.
Seine Hände fanden die Mauersteine im Tunneleingang von selbst. Seit Rukar laufen konnte, ging er zwischen der Welt der Kami und der der Menschen ein und aus. Er tippte eins, zwei, drei, hoch, hoch, runter, vor. Die Backsteine der Tunnelwand vibrierten nur leicht unter seiner Berührung. Die Luft im Durchgang vor ihm teilte sich, als öffne sich ein Vorhang.
Die Welt der Kami, ebenso die der Unsterblichen und Weberinnen, waren nur durch einen dünnen Schleier von der Menschenwelt getrennt. Sie existierten nebeneinander am selben Ort und doch auf verschiedenen Ebenen. Wenn man wusste, wie man die Schleier öffnete, konnte man zwischen den Welten ganz einfach wechseln.
Die Menschen hatten jedoch keine Ahnung, dass es diese anderen Ebenen gab. Sie hatten nicht die leiseste Ahnung, dass gleich neben ihren hippen Läden hier in Neal's Yard eine andere, für sie unsichtbare Welt existierte: das Kami-Viertel.
All die handgeletterten Schilder der Cafés, die fröhlich bunten Fassaden, die Sitzbänke zwischen Blumentrögen – all das wurde unscharf und tauchte unter, als versänke es in Wasser. Stattdessen hob sich Rukars Zuhause empor. Im strömenden Regen wirkte die Siedlung der Kami noch trostloser als sonst. Hier schien die Zeit wie stehen geblieben. Der enge Hinterhof mit den von Ruß geschwärzten Fassaden hatte sich in den letzten hundertfünfzig Jahren nicht verändert. An diese Häuser hatte niemand frische Farbe angebracht, neue Fenster oder gar Heizungen eingebaut. Die Kami liebten zwar die Dinge der Menschen, doch Arbeit in ihre Behausungen zu stecken, war ihnen fremd.
Wäscheleinen spannten sich quer über den verwinkelten Hof und ließen ihn schmaler erscheinen, als er tatsächlich war. Um mehr Platz in den viel zu engen Wohnungen zu gewinnen, hatten manche vor ihren Fenstern hölzerne Minibalkone angebaut. Es roch nach saurem Sud und beißender Schärfe.
Plastikplanen waren hastig über Auslagen geworfen worden, um sie vor der Regenflut zu schützen. Auf Teppichen und Kisten boten Händler vor ihren Häusern Waren aller Art an: Altes, Neues, Lebensmittel, Haushaltswaren, Andenken aus der jenseitigen Welt, Plastiktand aus der Menschenwelt.
Rukar sprintete durch den Regen. Vorbei am Pub, aus dem Stimmengewirr und quäkende Musik drang. Vorbei an den unzähligen Vogelkäfigen jedweder Art und Größe, die die Fassade von Jonguks Laden zierten. Hinein in Wooks Krämerladen, dessen Eingang im schmalsten Teil der Gasse lag und dessen Räume so niedrig waren, dass Rukar sich ducken musste, seit er mit dreizehn in die Länge geschossen war.
»Ich bin zurück«, rief er in den düsteren Verkaufsraum und schloss die Tür hinter sich. Das Bronzeglöckchen darüber bimmelte alarmierend. Draußen stand die Luft noch immer unter Wasser, doch hier drin, in Meister Wooks Zutatengeschäft, herrschte eine regelrechte Abwesenheit von Wasser. Jegliche Zutat, die Wook seinen Kunden anbot, war getrocknet, dehydriert, mumifiziert oder zu Staub zermahlen.
Rukar duckte sich unter einer Reihe von Kräutern hindurch, die von der Decke hingen ebenso wie Krähenfüße, Entenschnäbel, Hasenpfoten, Bärentatzen, Biberschwänze und Mauseohren.
Seine abgewetzten Lederstiefel hinterließen nasse Abdrücke auf den geschwärzten Dielen. Von seiner altmodischen Marinejacke tropfte ebenfalls Wasser herab.
»Bei allen guten Zutaten!« Der Perlenvorhang, der den Verkaufsraum von Wooks Büro trennte, klapperte als der kleine runde Kami hindurchwuselte. Wie immer war er herausgeputzt wie zu einem Staatsempfang. Sein schütteres Haar klebte an seinem seltsam oval geformten Schädel und seine winzigen Augen musterten Rukar wütend. »Rukar! Wasser!« Wooks Stimme kiekste vor Entsetzen. Auf seiner gräulichen Haut ploppten lila Flecken auf.
»Ja, Wook. Regen!«, äffte Rukar den Tonfall des Kamis nach. »In London!«
Wooks Miene verfinsterte sich noch mehr. Rukar kannte kein anderes Wesen, das so viele unterschiedliche Gesichtsausdrücke für Missbilligung beherrschte wie Wook.
»Es steht dir nicht zu, dich über mich lustig zu machen! Du weißt, welch verheerende Wirkung Wasser auf mein Geschäft hat! Und für meine Kunden –«
»Jaja… nur das Beste blablabla.« Rukar zog das Paket unter seiner Jacke hervor und warf es Wook zu, der es ungeschickt auffing. »Spar dir die Mühe, Danke zu sagen. Es macht unglaublichen Spaß, sich durch Friedhofserde zu graben. Ich mach das wirklich gerne.«
Natürlich grunzte Wook kein Danke. Er dachte sicherlich nicht mal eines. Ohne Rukar eines weiteren Blicks zu würdigen, öffnete der Kami gierig das Paket. Kaum war es offen, kroch einer der Friedhofswürmer heraus. Sein blasser Körper leuchtete in der Düsternis des Ladens. Umständlich versuchte Wook, ihn wieder zurückzustopfen, hielt das Päckchen dabei aber so tölpelhaft, dass ein weiterer Wurm herausfiel – direkt in den ausladenden Ärmel seines schwarzen, mit Goldfäden bestickten Kimonos.
Rukar verkniff sich ein Grinsen. Wook hielt sich für den gerissensten und somit reichsten, wichtigsten und erfolgreichsten Geschäftsmann im Viertel. Was nicht der Wahrheit entsprach. Vielmehr war er der Starrköpfigste, Ungeschickteste und Wankelmütigste unter den Kami. Dass er weder bei der letzten noch bei der vorletzten Wahl zum Sprecher der Kami gewählt worden war, hatte Wook nicht verwunden. Allerdings hatte er den Schuldigen für sein wiederholtes Scheitern ausgemacht: Rukar.
Rukar: kein Kami. Kein Unsterblicher. Kein Mensch.
Ein Fremder. Ein Halbblut. Einer, der hier nur widerwillig geduldet war. Weil Wook diesem Bastard Unterschlupf gewähren musste, vertrauten die Kami ihm nicht. Es war demnach Rukars Schuld, dass Wook nicht das Amt innehatte, das ihm seiner Meinung nach zustand.
Dabei bemühte sich Rukar seit Kindestagen, ein Teil der Kami-Gemeinschaft zu werden, doch sie wollten ihn nicht akzeptieren. Egal, was er für sie tat. Zu groß war ihr Misstrauen gegenüber einem Halbblut.
Wook hatte bemerkt, dass ein Wurm in den Ärmel seines Kimonos entkommen war, und hüpfte einbeinig im Kreis, schüttelte den Ärmel, begleitet von saftigen Flüchen.
Seufzend trat Rukar an Wook heran, hielt den Kami fest, der ihm gerade mal bis zur Brust reichte, und schnappte sich mit einem flinken Griff in den Ärmel, den flüchtenden Friedhofswurm.
»Am besten, du frittierst sie sofort.« Er stopfte den Wurm zurück in das Paket und verschloss es wieder.
»Sag mir nicht, wie ich mit meiner Ware zu verfahren habe!« Ruppig wich Wook von Rukar zurück.
»Alles gut.« Abwehrend hob Rukar die Hände.
»Geh auf dein Zimmer. Aber häng deine Sachen nach draußen! Sie sind nass.« Wook drehte ihm den Rücken zu und tippelte mit den Würmern zurück in sein Büro.
»Es regnet, du ver–«, murmelte Rukar und schritt mit gesenktem Kopf, um nicht an eine gedörrte Fledermaus oder Oktopustentakel zu stoßen, in Richtung Lagerraum.
Hinter der aus minderwertigem Holz zusammengenagelten Tür befand sich Wooks Lager. Es war nicht nur extrem geräumig, vor allem war es gute drei Meter hoch.
Endlose Reihen deckenhoher Holzregale, gefüllt mit Tiegeln, Dosen, Flaschen, Flakons, Bündeln und Paketen, in denen sich so gut wie jede Zutat, die man sich wünschen konnte, für so gut wie jeden Ritus, Zauber, Aberglauben, Kult, Fluch oder Heimdeko befand.
Im fünften Regal, letzte Reihe, bei dem einzigen Fenster, das dieser Raum zu bieten hatte, wohnte Rukar.
Als er, wortwörtlich, noch klein war, hatte das untere Fach ausgereicht, um dem Findelkind ein Bett zu sein.
Inzwischen beanspruchte Rukar das gesamte Regal für sich. Die untersten Fächer hatte er ausgebaut, um auf seiner harten Schlafstatt wenigstens halbwegs sitzen zu können.
Obwohl die Jacke noch feucht war, schnappte er sich die Kleiderbürste und befreite sie von der dunklen Friedhofserde. Die Marinejacke hatte er sich von seinem ersten selbst verdienten Geld gekauft. Wook bezahlte ihn nicht für seine Dienste als Laufbursche und Zutatenjäger. Andere hingegen schätzten Rukars Geschick und sie zahlten gut.
Zufrieden betrachtete er die jetzt wieder sauber glänzenden Messingknöpfe. Da klopfte es an das schmale Fenster, das einen guten Meter über Rukar auf das Dach hinausführte. Eine Taube saß davor und musterte Rukar mit schief gelegtem Kopf.
Er schob einen Schemel an die Wand, öffnete und die Taube flatterte herein. Gurrend, mit ruckartigen Kopfbewegungen überbrachte sie ihre Nachricht. Stirnrunzelnd hörte Rukar zu.
»Das ist ja mal eine Herausforderung.« Wieder gurrte die Taube und Rukar schnappte nach Luft. »Du hast dich verhört!«
Beleidigt drehte die Taube sich von ihm weg und beäugte die Erdkrümel am Boden.
»Das wäre der dreifache Tarif!« Damit wäre er schneller aus diesem Loch, als er gehofft hatte. Was gab es da zu überlegen? »Sag ihm, ich brauche das Doppelte an Spesen. Aber ich nehme den Job an.«
Die Taube plusterte sich kurz auf und flog dann durch das Fenster über die Dächer von London davon. Tauben waren der Nachrichtendienst der Unsterblichen. Zum einen, weil sie sich unauffällig unter den Menschen bewegen konnten. Zum anderen hatten sie die Gabe, zwischen den Ebenen der Welten zu wechseln. Allerdings hatte Rukar hin und wieder den Eindruck, dass es den Tieren nicht guttat, ständig die Realitäten zu wechseln. Manche Vögel begannen, wirr mit dem Kopf zu rucken oder ohne Sinn im Kreis zu laufen.
Kurz sah Rukar der Taube nach. Das Fensterrechteck zeigte grauen Himmel. Es regnete noch immer.
Eine der obersten Regeln, die er sich selbst auferlegt hatte, war, bei einem Job nie nach dem Warum zu fragen. Er mischte sich nicht ein, schlug sich auf keine Seite.
Niemand wollte ihn bei sich. Weder die Kami noch die Unsterblichen und schon gar nicht die Menschen, die sowieso blind und dumm waren. Geschäft ist Geschäft, war sein Leitspruch. Kein Gewissen, keine Sympathien.
Es konnte ihm egal sein, worauf dieser neue Auftrag abzielte. Ob er einen Krieg auslöste. Er würde ihn einfach erledigen. Und mit dem Geld endlich ein eigenes Leben beginnen.
Rukar schlüpfte in die noch feuchte Jacke.
Er nahm ein Gipssouvenir, das die ältesten Sehenswürdigkeiten Londons zeigte, aus dem Regalfach. Oben auf der Scheußlichkeit thronte eine Schneekugel mit dem London Eye. Das Glas hatte einen feinen Riss, sodass sich die Flüssigkeit im Laufe der Jahre verflüchtigt hatte. Rukar hatte es als Kind auf der Straße gefunden. Irgendeinem Touristen war es wohl aus der Tasche gefallen. In stundenlanger Arbeit hatte er den Gips ausgehöhlt und bewahrte seitdem sein Erspartes darin auf.
Inzwischen lagerte dort nur noch sein Kleingeld. Denn er hatte durch seine Erledigungen eine Menge Geld angespart. Gut versteckt in Hohlräumen zwischen Regalbrettern. Sobald er eine Wohnung gefunden hatte, die an ein Halbblut vermietet wurde, würde er Wook verlassen.
Er steckte ein paar Münzen in eine der vielen Taschen, mit denen er die Innenseite seiner Jacke ausgestattet hatte, und überprüfte, ob sich alles Nötige in seinem ebenfalls mit etlichen Taschen bestückten Gürtel befand. Mit einem Sprung war er auf dem Fenstersims und schlüpfte hinaus in den Londoner Regen. Hinauf auf die Dächer. Der einzige Ort, an dem er sich wirklich zu Hause fühlte.
Hanna starrte hinaus in den strömenden Regen. »Lita hat sicher keinen Schirm dabei.«
Ihre Tochter hatte nie irgendwas dabei. Sie war naiv und hatte keine Ahnung, was da draußen auf sie lauerte.
Doch ihre Tochter war fast erwachsen und sie konnte ihr keine Fesseln mehr anlegen.
All die Verbote … Lita ignorierte die meisten und Hanna starb jedes Mal tausend Tode, wenn sie nicht wusste, wo ihre Tochter war.
Angst war Hannas Schatten. Seit sie mit Lita geflohen war, kannte sie kein anderes Gefühl mehr als die beständige Angst, Litas Schicksal könnte sich erfüllen.
Hinter Hanna lachte Faine auf. Der junge Mann lümmelte in dem altmodischen, mit purpurfarbenem Samt bezogenen Ohrensessel. Seine langen Beine ruhten auf dem bunt bestickten Hocker. »Du machst dir Sorgen, ob deine Tochter nass wird?«
Hanna senkte den Kopf und lächelte unglücklich. Sie ließ den Vorhang wieder zurückgleiten, den sie beiseitegeschoben hatte, um einen besseren Blick auf die Straße zu haben.
»Ich mache mir immer Sorgen um sie.« Vielleicht das Los einer jeden Mutter: Aber weder war sie eine normale Mutter, noch war Lita ein gewöhnliches Kind. »Seit wir unsere Familie verlassen haben.« Für einen Augenblick überfiel sie Sehnsucht nach ihrer Heimat. Hanna strich ihre cremefarbene Strickjacke glatt und versuchte, nicht daran zu denken.
Seufzend nahm Faine einen Schluck Tee aus einer japanischen Teeschale, die mit einem Kirschblütenmotiv bemalt war. »Und du bist dir wirklich sicher?«
»Ich kann es fühlen. Es passiert.« Hanna begann, im Wohnzimmer auf und ab zu gehen. Was nicht so einfach war, denn sie hatte ein Faible für Grünpflanzen. Das Wohnzimmer ähnelte einem Dschungel. Auf dem Boden, den Stühlen, Sideboards, Regalen – überall standen Farne, Palmen, Gräser. Sogar von der Decke wucherten Blattpflanzen aus Hängeampeln.
Nervös knetete Hanna ihre Finger, die sich kalt anfühlten, obwohl ihr viel zu warm war. Wenn sie nur daran dachte, schnürte es ihr die Kehle zu. »Hast du nichts gehört? Mir ist, als würde mein Kopf summen. Ich bin mir sicher, Faine, es hat begonnen.«
Draußen schüttete es, als gäbe es kein Morgen. Sie hoffte wirklich, dass Lita auf dem Weg war. Dass es ihr gut ging. Hanna verharrte vor dem kleinen Hausaltar, der gegenüber dem Sessel aufgestellt war, in dem Faine saß. Der Altar war aus Holz und wie ein kleiner Tempel gestaltet. Der dunkelblaue Lack mit den goldenen Verzierungen zeigte feine Risse, was ihn aber seltsamerweise nur noch hübscher aussehen ließ. Nachdem sie mit Lita geflohen war, hatte sie ihn auf einem Flohmarkt erstanden. Eine der besten Entscheidungen, die sie bisher getroffen hatte.
»Ich weiß nicht, Hanna. Erinnerst du dich noch? Vor ein paar Jahren warst du auch überzeugt gewesen, dass Tag X vor der Tür steht.«
»Diesmal ist es anders. Ich sehe Dinge in meinen Träumen«, murmelte sie.
Faine horchte auf. Er nahm die Beine vom Hocker und setzte sich aufrecht hin. »Dinge?«
Um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen, prüfte sie, ob der Blütenzweig, der am Altar stand, noch genügend Wasser hatte.
»Hanna! Ich bin doch für euch da! Rede mit mir!«
Tränen hatten sich in Hannas Augen gedrängt. Sie blinzelte sie weg und sah zu Faine hinüber. Wie immer trug er diesen moosgrünen Samtanzug, der einen wunderbaren Kontrast zu seinem kupferroten Haarschopf bildete. »In meinen Träumen sehe ich Asche.«
Mit ernster Miene blickte Faine sie an. Er wartete, dass sie ihm mehr erzählte. Es gab keinen Grund, ihm etwas zu verheimlichen. Sie vertraute ihm – seit Ewigkeiten. Er war ihr bester Freund. Doch wer war er schon? Würde er ihnen wirklich helfen können?
»Asche? Du siehst Asche in deinen Träumen? Das ist alles?« Der schlaksige junge Mann lehnte sich wieder zurück. »Und deshalb schlägst du Alarm?«
»Nein. Nicht nur. Ich habe mit der Unke gesprochen.«
»Mit Ima?«
Hanna konnte ihm ansehen, dass er nicht viel von Imas seherischen Fähigkeiten hielt. »Sie ist zu mir gekommen, Faine. Sie ist beunruhigt. Und sie wusste es. In ihrer Vision hat sie gesehen, dass es beginnt.«
Nun wurde Faine ebenfalls unruhig. Er rutschte im Sessel hin und her, als wäre er plötzlich unbequem. »Auch ein blindes Huhn … na, du weißt schon. Aber wenn sie über Lita Bescheid weiß… Nun, dann …« Er stand auf. »… dann wird es aber wirklich höchste Zeit, dass das Mädchen nach Hause kommt.« Er ging zu Hanna und nahm sie, ohne zu fragen, in den Arm. Die Teeschale dabei elegant im Gleichgewicht haltend. »Ich pass auf euch auf. Versprochen.«
Dankbar lehnte Hanna sich an ihn. Er roch immer ein wenig nach frischen Blumen und Tee. Ein Duft, der sie lächeln ließ. »Ich habe die Koffer schon gepackt. Heute Abend sind wir raus aus der Stadt.«
An den Schultern schob Faine sie von sich und blickte ihr prüfend in die Augen. »Du hast was? Wie kommst du denn darauf, dass eine Flucht euch rettet?«
Verärgert wich Hanna zurück. »Ich werde doch nicht hier auf sie warten!«
»Du kannst nirgends hin. Nicht auf dieser Welt!« Inzwischen waren Hannas Fingerspitzen eisig, aber ihre Wangen glühten. Der Regen prasselte im Stakkato gegen die Scheiben. Im Grunde wusste sie, dass Faine recht hatte. Sie konnte nicht davonlaufen. »Lita ist geschützt.« Es war ihr Mantra. Wann immer sie die Panik vor dem Unvermeidlichen überfiel, sagte sie es sich vor: »Lita ist geschützt!«
»Es mag ja sein, dass Lita geschützt ist. Aber sie will nicht Lita. Sie will dich!«
Sie fuhr herum. »Meinst du, das weiß ich nicht?«
»Also, wie wirst du dich schützen? So lange du verwundbar bist, Hanna, ist Lita ebenfalls in Gefahr. Und ihr könnt euch nicht verstecken! Was willst du tun?«
»Ich weiß es nicht!«, fuhr sie Faine an und bereute es sofort. »Verzeih mir.« Sie zwang sich zur Ruhe. »Ich hatte immer gehofft, es würde nicht so weit kommen. Wieso passiert das alles nur, Faine?«
Faine trank den letzten Schluck Tee und gab die Schale Hanna zurück.
»Was passieren wird, liegt nicht in meinen Händen. Aber ich passe auf euch auf, so gut ich kann. Versuch einfach, keine Dummheiten zu machen.«
Die Teeschale war noch warm. Hanna schmiegte ihre Finger um die Kirschblütenmalerei und spürte, wie mit der Wärme auch die Zuversicht in sie zurückfloss. Alles würde gut werden.
Lita strubbelte ihre Haare, dass das Regenwasser davonspritzte, und holte tief Luft, bevor sie den Schlüssel im Schloss umdrehte. Sie hatte sich vorgenommen, ihrer Mutter keine Vorwürfe zu machen. Die Therapeutin, mit der Lita vor einem halben Jahr gesprochen hatte, war der Meinung, Lita sollte Hannas Visionen einfach hinnehmen. Lita fand das falsch. Es war schließlich alles andere als okay, wenn Hanna die Medikamente nicht nahm und mit den Stimmen in ihrem Kopf herumstritt. Es machte Lita Angst. All die unzähligen lustigen, unbeschwerten Tage mit ihrer Mum wurden in solchen Momenten von der Sorge, ihre Mum könnte etwas Schlimmes tun, überschattet.
»Meine Güte, Mum. Hast du den Regen gesehen? Von null auf hundert in einer Sekunde.« Lächelnd trat Lita in die Wohnung. Ihre Mutter stand am Fenster und starrte in den Regen. Sie sah schrecklich aus.
»Endlich!« Hanna lief auf sie zu und schlang die Arme um ihre Tochter.
»Du weißt, dass ich triefend nass bin?«
»Ich liebe dich trotzdem.« Hanna lachte und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
Lita musterte ihre Mutter. In Hannas Stimme schwang Angst mit. Hoffentlich hatten sie genügend Eiscreme im Haus. Eis und Komödien waren das Einzige, was half, wenn Mum so neben der Spur war.
Unauffällig ließ Lita ihren Blick durch die Wohnung gleiten. Palmen, Agaven, Efeu, Elefantenblätter und Farne – alles an seinem Platz. Am Hausaltar qualmte ein Räucherstäbchen vor sich hin. Hanna hatte also zu einem Kami gebetet. Lita spannte sich an. Die altmodische Teeschale mit dem Kirschblütendesign stand wie immer im Altar und Ingwerkekse stapelten sich auf der Opferschale. Nicht einmal DeeDee hatte sie erzählt, dass Hanna an diesem Holzkasten Kekse und Tee opferte und um Schutz bat, wenn die Stimmen kamen. Manchmal glaubte Lita sogar, dass dieser Kami-Glaube Teil von Hannas Wahnvorstellungen war. Geholfen hatten ihre Bitten jedenfalls noch nie.
Nervös knetete Hanna die Hände. Sie hatte sich erneut dem Fenster zugewandt, an dem die letzten Regentropfen wie Tränen herabrannen, und starrte auf die Skyline der City.
»Was ist so wichtig, dass du mich sofort hierhaben wolltest?«
»Ich wollte, dass du in Sicherheit bist.«
Lita atmete ruhig ein. Keinen Streit, mahnte sie sich. Du weißt, es wird nur schlimmer, wenn du ihr Benehmen infrage stellst. »Tja, der Regen hat mich zwar erwischt, aber ansonsten geht es mir wirklich gut, Mum. Du musst dir keine Sorgen machen.« Sie hängte ihre Tasche an die Garderobe. Dabei stieß sie mit dem Fuß an einen Koffer. Daneben stand ein zweiter. Was sollte das denn?
Hanna drehte sich zu ihr um. Im Gegenlicht, das durch das Fenster fiel, wirkte sie wie ein Schatten. »Wir verlassen London. Noch heute.«
»Wie bitte?« Lita musste sich verhört haben. Das ging zu weit. Wie sollte sie ruhig bleiben, wenn ihre Mutter völlig durchdrehte? »Dir ist klar, dass keine Ferien sind?« Nicht wütend werden, Lita! Der Ratschlag der Therapeutin, Hanna ernst zu nehmen, mit ihr sachlich über ihr Verhalten zu reden, war doch Blödsinn.
»Ich erkläre es dir später. Aber zuerst müssen wir von hier weg.«
Lita schüttelte den Kopf und ging auf ihre Mutter zu. Sie wollte einfach nicht mehr. Sie wollte einfach nicht mehr diejenige sein, die Hannas Wahnvorstellungen aushalten musste. »Wo sind deine Tabletten?«
Immer wieder forderte die Krankheit ihrer Mutter von Lita, sich selbst zurückzunehmen. Und das, obwohl ihre Mutter nur diese blöden Tabletten zu nehmen brauchte, damit die Stimmen still wurden.
»Mir geht es gut, Lita.« Aber sie schwitzte und war blass.
Während der Anfälle, die ihre Mutter immer wieder heimsuchten, sah sie Dinge, die nicht real waren und sie zu Tode ängstigten.
»Mum? Was macht dir solche Angst, dass du London verlassen willst?«
Hanna schreckte auf und lauschte. »Es ist so weit«, flüsterte sie. »Ich kann sie hören.«
»Wen hörst du?« Lita musste an sich halten, um sie nicht anzufahren, dass da niemand war. Dass sie all diese Stimmen nur in ihrem Kopf hörte. Dass nichts davon real war!
»Ich mach dir einen Tee, okay? Setz dich hin, leg die Füße hoch und dann erzählst du mir in aller Ruhe, was dich so erschreckt hat.«
»Geh in dein Zimmer! Schnell!«, zischte Hanna und schubste Lita in Richtung ihrer Zimmertür.
»Nein! Mum! Es reicht! Ich hatte echt Spaß mit den Mädels, bis du angerufen hast! Du wirst mich nicht auf mein Zimmer schicken. Ich habe nichts angestellt. Du bist krank – Mum – Mum?«
Hanna hörte ihr nicht zu. Sie war zur Wohnungstür gerannt und spähte durch den Türspion ins Treppenhaus.
»Jetzt, Lita!«
Es war ein Befehl wie aus Stahl. Entsetzt musterte Lita ihre Mutter. So hatte sie sie noch nie erlebt. Lehnen Sie sich während solcher Attacken nicht gegen Ihre Mutter auf, hatte die Therapeutin geraten.
»Schnell!« Hannas Stimme war so scharf und schneidend, dass Lita widerspruchslos gehorchte.
Litas Hand zitterte, als sie die Zimmertür hinter sich zudrückte. So schlimm war es noch nie gewesen. Selbst damals, als Hanna Lita den Schulausflug des Kunstkurses in den Finanzdistrikt verboten hatte, war ihre Mutter nicht derart panisch gewesen.
Den Atem anhaltend, lauschte Lita durch die Tür. Ihre Mutter flüsterte. Sie flüsterte mit den Schatten, den Stimmen in ihrem Kopf, die sie in diese Panik trieben.
Hektisch durchwühlte Lita ihre Jackentaschen. Wo war nur ihr Handy? Sie brauchte Hilfe. Die Therapeutin musste sofort herkommen!
Loki grinste sie frech von dem Filmplakat an, das über ihrem Bett hing.
»Ja, schon klar. Du hast leicht lachen«, zischte sie ihn an. »Was würdest du tun?« Sie schnaubte. »Ich ziehe die Frage zurück. Du hast versucht, alle umzubringen. Bruder, Vater, Mutter.«
Loki grinste nur.
Sie tastete noch mal alle Taschen ab, bis ihr klar wurde – verdammt. Das Handy war noch in ihrer Umhängetasche! Und die hing an der Garderobe.
Entschlossen legte sie die Hand auf die Klinke. Mum, sagte sie sich vor, du brauchst Hilfe. Ich werde jetzt deine Ärztin anrufen.
»Nein!«, hörte sie da ihre Mutter kreischen. »Nicht – !« Ein dumpfes Dröhnen wie eine schallgedämpfte Explosion schlug gegen die Tür. Bevor Lita reagieren konnte, flog ihre Zimmertür auf, sie wurde von den Füßen gerissen und an ihr Bücherregal geschleudert.
Ein Buchregen ging auf sie nieder. Schmerzen zuckten durch ihren Kopf. Fluchend schüttelte sie die Bücher ab, rappelte sich auf. »Mum?«
Stille. Nein. Ein kreischendes Fiepen dröhnte ihr in den Ohren. Sie krabbelte auf allen vieren zur Tür. Blinzelnd starrte sie ins Wohnzimmer.
Ihr Herz setzte aus.
Um sie herum war nur noch weißes Licht. Das schrille Fiepen brachte ihren Kopf jeden Moment zum Platzen.
Was war nur passiert!
»Mum?«, brüllte sie. Doch es kam keine Antwort, nur dieses Fiepen in ihrem Kopf.
Lita blinzelte, ihre Augen tränten. Sie tränten, weil das Licht so stechend hell war.
Noch immer krabbelte sie über den Boden, bis sie den Sessel ertastete und sich daran hochzog.
Erst jetzt bemerkte sie den Wind, der an ihr zerrte. Wo kam der bloß her?
Wieder blinzelte sie und wischte sich die Tränen fort. Da war jemand! Endlich begann sie, ihre Umgebung, wenn auch verschwommen, zu erkennen. »Mum?«
Die Explosion hatte alles umgerissen: den Sessel, Tisch, Pflanzen, zerscherbte Töpfe. Vor den Fenstern pulsierte eine riesige Kugel aus … Licht.
Lita krallte sich an den umgestürzten Sessel.
Erneut blinzelte sie. Versuchte zu verstehen, was sie sah.
Eine Lichtkugel wölbte sich in ihrem Wohnzimmer, sie reichte bis zur Decke hinauf und … und in ihrem Zentrum … »Mum!«
Sie konnte ihre Mutter kaum erkennen, so sehr strahlte die Helligkeit. Der Wind, den sie bemerkt hatte, war ein Sog. Ein Sog, der direkt aus dieser Kugel kam. Und er hatte Hanna gepackt und verschlang sie!
»Nein!« Sie wollte über den Sessel springen, hinein in das Licht, zu ihrer Mutter. Sie zurückziehen. Sie retten vor … vor was immer das war … Doch plötzlich wurde sie selbst gepackt.
Sie fuhr herum. Hinter ihr war jemand, gehüllt in einen schwarzen Kapuzenumhang. Er hatte sie gepackt und zerrte sie von dem Licht fort.
Weg von ihrer Mutter.
Das Licht kollabierte.
Es verschlang Hanna.
Nur lichtlose Leere blieb zurück.
Die Tauben hatte ihm verraten, dass er hier nur zu warten brauchte. Dass man eine Uhr nach ihr stellen konnte.
Es klang, als wäre sie perfekt.
Rukar zog die Jacke enger und griff nach dem Pappbecher Kaffee, der neben ihm auf dem Flachdach stand. Er nahm einen Schluck.
Kaffee war mit Abstand das Beste, das die Menschheit je auf dieser Welt entdeckt hatte.
Inzwischen regnete es einen feinen Niesel, was seinen Beobachtungsposten nicht gemütlicher machte. Aber er hatte schon schlimmere Posten beziehen müssen für einen Job.
Und nie hatte eine solch fantastische Entlohnung auf ihn gewartet.
Von seinem Aussichtspunkt auf dem Dach hatte er freie Sicht auf den Ausgang der U-Bahn-Station Embankment auf der einen und in den Park auf der anderen Seite.
Gegenüber befanden sich mehrere Geschäfte, unter anderem ein Coffeeshop. Momentan war die Straße leer, der Regen hielt die Menschen vom Flanieren ab. Nur hin und wieder spuckte die U-Bahn eine Handvoll Leute aus, die unter meist grauen Regenschirmen in verschiedene Richtungen davoneilten. Niemand blieb am Stand des Blumenhändlers stehen, dessen Ware momentan der einzige Farbklecks im tristen Regengrau war. Es schien, als wolle London noch heute endgültig in die Tristesse des Herbstes verfallen.
Rukar mochte es, über der Stadt zu sein. Von oben konnte er die Wege und Richtungen der Menschen beobachten, wie sie aufeinander zutrieben, davongespült oder mitgerissen wurden. Es war wie ein Netz, dicht und eng gesponnen. Nur war er nicht darin gefangen. Wenn er dort unten herumstromerte, machte es ihn oft unglücklich zu spüren, dass er nicht Teil des bunten Treibens war. Von hier oben störte es ihn nicht. Hier oben hatte er das Gefühl, der sein zu können, der er war.
Wer auch immer er tatsächlich war.
Er wusste so gut wie nichts über seine Herkunft, außer dass er ein Halbblut war. Ein Teil unsterblich, ein Teil menschlich. Immerhin hatte er inzwischen einiges über sich und seine geerbten Fähigkeiten herausgefunden.
Er nahm einen weiteren Schluck Kaffee und musste feststellen, dass der Becher leer war. Ärgerlich. Natürlich hätte er leicht zu dem Shop gegenüber gehen und sich einen frischen holen können, aber er wollte seinen Posten nicht verlassen. Also stellte er den Becher zurück auf das Flachdach. Eine Handbreit rechts neben die Stelle, an der er zuvor gestanden hatte.
Rukar schloss die Augen und konzentrierte sich. Die Luft um ihn begann zu flirren wie an einem heißen Sommertag. Wäre ein Unsterblicher auf dem Dach gewesen, hätte er Rukar vermutlich für einen winzigen Augenblick drei Mal gesehen. Jenen Rukar, der sich konzentrierte, einen, der wie noch vor ein paar Minuten den Leuten auf der Straße zusah, und einen, der den leeren Kaffeebecher gegen den vollen tauschte. Das Flimmern um Rukar verschwand und er griff nach dem Becher, der immer noch – oder schon wieder – neben ihm stand. Allerdings jetzt weiter links als eben. Zufrieden blickte er hinein und trank.
Kleine Taschenspielertricks mit der Zeit. Er wurde immer besser darin.
Mit einem Mal knisterte die Luft hinter ihm. Er rührte sich nicht, sondern lauschte: Knistern und ein leises Tapsen. Rukar seufzte in sich hinein. Ausgerechnet.
Im Gegensatz zu vielen anderen mochte er Jin eigentlich schon. Doch der Unsterbliche nervte. Er nervte wie ein ungezogener Hund, der nie wusste, wann Schluss war. Der jedem seinen durchgekauten Ball in die Seite rammte, in der Erwartung, dass man sofort mit ihm spielte.
