Lessons of Hearts and Magic - Marion Meister - E-Book

Lessons of Hearts and Magic E-Book

Marion Meister

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Beschreibung

Nichts wünscht Lou sich sehnlicher, als das Herz der Magie zu besuchen. Doch die Akademie, an der der Umgang mit Runenmagie gelehrt wird, ist für Frauen verboten. So wie die meisten Dinge in Olresa. Die Magie der Frauen wird als gefährlich gebrandmarkt, Frauen mit starker Magie verfolgt. Umso heikler wird die Situation für Lou, als die Magie in ihr erwacht – stärker als bei den meisten anderen und ausgelöst durch ihre aufkeimenden Gefühle für Tom, der als junger Mann an der Akademie studieren darf. Um der Verfolgung zu entgehen, fasst Lou einen riskanten Entschluss: Als Mann verkleidet, schleicht sie sich in das Herz der Magie. Dort stößt sie auf ein Geheimnis, das nicht nur ihr Herz, sondern ihre Welt ins Wanken bringt.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch

MAGIC IS THE MOST POWERFUL GIFT – AND THE MOST DANGEROUS

 

Nichts wünscht Lou sich sehnlicher, als das Herz der Magie zu besuchen. Doch die Akademie, an der der Umgang mit Runenmagie gelehrt wird, ist für Frauen verboten. So wie die meisten Dinge in Olresa. Die Magie der Frauen wird als gefährlich gebrandmarkt, Frauen mit starker Magie verfolgt. Umso heikler wird die Situation für Lou, als die Magie in ihr erwacht – stärker als bei den meisten anderen und ausgelöst durch ihre aufkeimenden Gefühle für Tom, der als junger Mann an der Akademie studieren darf. Um der Verfolgung zu entgehen, fasst Lou einen riskanten Entschluss: Als Mann verkleidet, schleicht sie sich in das Herz der Magie. Dort stößt sie auf ein Geheimnis, das nicht nur ihr Herz, sondern ihre Welt ins Wanken bringt.

Marion Meister

Lessons of Hearts and Magic

Für dich.

Sei, wer und wie du bist!

1

Zur Sicherheit las ich die Notiz, die ich heute Mittag in der ausgehöhlten Mauerfuge des Markthauses abgeholt hatte, ein fünfzehntes Mal. Siebter Tag, zur neunzehnten Stunde.

Das war heute. Und mir blieb eine knappe Stunde, um pünktlich zu sein.

Mit angehaltenem Atem lauschte ich auf die Geräusche unter mir. Vaters Stimme drang bis in meine Dachkammer. Seine Worte konnte ich nicht verstehen, doch die Sprachmelodie verriet mir, dass er eine vermeintlich lustige Geschichte zum Besten gab. Also würde meine Mutter höflich zuhören. Vincent war vermutlich eingenickt und Noé noch nicht zurück von seiner Schicht. Ich hatte ihnen gesagt, ich würde zu Bett gehen. Es vermisste mich also keiner.

Noch einmal musterte ich mich in dem schmalen, an den Rändern bereits blinden Spiegel, der neben meinem Bett am Dachsparren hing. Zwischen den fürchterlich wirren Locken lugte nur meine Nasenspitze über dem dicken Schal hervor. Ich hatte ihn mir mehrfach umgeschlungen, denn der Herbst meinte, unfreundlich und kalt zu sein.

Ich öffnete das Fenster im Giebel. Meine Heimatstadt Olresa lag in der abendlichen Dämmerung vor mir. Runenlichter erhellten den entfernt liegenden Villen-Stadtteil mit den hübschen grünen Gärten und ließen die Gegend der Reichen wie ein Juwel funkeln. Gleich daneben erhob sich die Akademie. Majestätisch sah die Festung mit der hohen Mauer und den Türmen aus, die dunkle Silhouette nur von einzelnen erleuchteten Fenstern durchsetzt. Direkt vor mir breitete sich mein Wohnviertel wie ein schwarzes Loch aus. Hier gab es keine Straßenlichter, keine Runenlampen in den Fenstern, keine Gärten oder gar Bäume. Hier wohnten jene, die in den Fabriken schufteten und Luxusgüter anfertigten, die sie sich selbst niemals leisten konnten.

Geübt schwang ich mich in den Fensterrahmen und zog mich hinaus aufs Dach. Dass ich diesen Fluchtweg noch immer nutzen konnte, war ein winziger Vorteil, den mir meine schmale Gestalt verlieh. Vermutlich würde ich mein Leben lang ein Strich bleiben. Milène, die im selben Monat wie ich geboren war, hatte bereits mit zwölf einen mächtigen Busen bekommen. Und mit vierzehn ihre Magie. Und mit fünfzehn ihr erstes Kind. Jetzt, sieben Jahre später, hingen zwei weitere an ihrem Rockzipfel. Hin und wieder neidete ich ihr die Magie. Die Kinder jedoch nicht.

Vorsichtig balancierte ich auf den Dachziegeln bis zur Kante. Der Schiefer war durch den Herbstregen glitschig, doch die aufgenagelten Holzstangen, die im Winter den Schnee stoppten, gaben mir Halt. Inzwischen fand ich den Weg nach unten wie im Schlaf. Fast jede Woche schlich ich mich im Schutz der Nacht aus dem Haus. Hätte meine Familie gewusst, wohin ich ging – sowohl meine Mutter als auch meine Brüder hätten ein riesiges Theater veranstaltet. Ich brach so gut wie jede Regel von Sitte und Anstand, Gesetzen und Vorsicht.

Vom Dachrand ließ ich mich auf den Rand des Regenfasses herunter und sprang zu Boden. Geduckt huschte ich unter dem Fenster vorbei, hinter dem meine Eltern und mein ältester Bruder am Kamin gemütlich zusammensaßen. Ob ich ihnen irgendwann von Tom erzählen würde? Eher nicht. Die Einzige, die von dem reichen Fabrikantenspross und meinem außergewöhnlichen und absolut illegalen Handel mit ihm wusste, war Peg, meine Tante.

Eilig lief ich die Gassen hinunter, an den endlosen Reihen ewig gleich aussehender Wohnhäuser entlang. Wand an Wand, schmal und aneinandergequetscht, reihten sich die Steinhäuser. Die Fabrikbesitzer hatten sie vor etlichen Jahren errichten lassen. Komfort boten die Häuschen kaum. Sie waren für die Arbeiter der großen Manufakturen vorgesehen, damit sie einen möglichst kurzen Arbeitsweg hatten. Wir wohnten im Gläserviertel, da mein Vater bei einem Glashersteller für Runenlampen schuftete.

Bald weitete sich die Gasse zu einer Straße, und schließlich bog ich auf die Avenue Liveru ein und betrat damit die schimmernde Welt der Reichen. Hier gab es Laternen, die die breite Straße säumten. Und Bäume! Die Häuser standen in diesem Stadtteil nicht so dicht wie bei uns. Sie gaben sich gegenseitig Raum. Und so entfalteten sich Gärten mit üppigem Grün vor und zwischen den imposanten Villen.

Wer in diesem Teil von Olresa lebte, war anders als die Menschen im Arbeiterviertel. Meine Leute waren irgendwie alle grau und rau. Und müde und oft kränklich. Die Menschen im Villenviertel waren hell und glatt. Voller Kicherei und Musik. Selbst an so einem kalten Herbstabend flanierten Paare durch die Straßen. Vermutlich folgten sie einer Einladung in ein Speiselokal oder zu einem amüsanten Theaterstück.

Für mich glich ein Besuch hier jedes Mal einem Spießrutenlauf. Denn sollte mich einer dieser reichen Schnösel bemerken, hätte ich sofort Agenten der Akademie auf dem Hals. Nicht wegen Magiemissbrauchs, noch besaß ich ja keine Magie. Sondern weil ein Arbeiterspross nichts in den sauberen Straßen der Reichen zu suchen hatte.

Nach einem Blick auf die Uhr, die sich auf der Spitze einer Säule neben einem Parkeingang drehte, beschleunigte ich meine Schritte. Es war später, als ich vermutet hatte.

Ein Zeitungsjunge hatte sich unter der Uhr aufgestellt und schrie die Schlagzeilen der Abendausgabe heraus.

»Josuah kündigt neue Handelsallianzen mit dem Süden an! Landesfürsten aller Nationen zu großer Zusammenkunft erwartet! Sicherheitsvorkehrungen für Olresa werden verschärft! Razzien gegen die Rebellinnen!«

Für einen Augenblick hielt ich inne und beobachtete einen Herrn mit Zylinder und Pelzmantel, der dem Jungen eine Zeitung abkaufte. Razzien gegen Rebellinnen. Ob Peg davon wusste? Sie hatte mir gegenüber noch nie zugegeben, dass sie mit diesen Frauen zu tun hatte. Aber sie stellte illegal Runenmagie her und vertickte sie auf dem Schwarzmarkt. Mit Sicherheit hatte sie Kontakte zu den aufständischen Frauen.

Ich nahm mir vor, mit ihr über diese Razzien zu sprechen, wenn ich sie das nächste Mal besuchte.

Ein Ehepaar schlenderte an mir vorüber, während ich mich in den Schatten einer Werbesäule drückte. Die breite, übermannshohe Säule war mit verschiedenen Plakaten beklebt. Eines pries eine neue Variante eines durch Runenmagie betriebenen Kehrbesens an. Der Hersteller verlangte zwei Monatslöhne für seine alberne Erfindung. So ein Unsinn. Sobald ich Magie hatte, würde ich Peg unterstützen. Wir brauchten keine Besen, die selbst kehrten. Wir brauchten Dachziegel, die keine Risse bekamen, Decken, die immer warm hielten, Jacken, die sich nicht mit Regen vollsogen. Aber Runenmagie wurde von Männern gemacht. Und alle Gegenstände, die sie mit ihrer Magie aufwerteten, waren für Reiche bestimmt. Denn dort lag das Geld. Und darum ging es dabei. Runenmagie war der Grundstein der Wirtschaft in Olresa. Damit verdienten die Runenmagier und die Fabrikbesitzer ihr Geld. Viel Geld.

Aus meinem Versteck heraus prüfte ich die Straße. Niemand zu sehen. Das Ehepaar von eben musste in eine andere Straße abgebogen sein.

Toms Haus war eines der besonders prächtigen in der Straße. Eine Runenlampe direkt neben dem Gartentor tauchte die Fassade in angenehm helles Licht. Die Villa hatte drei Stockwerke und war in einem goldenen Gelb gestrichen, das die weißen Schmuckelemente um die Fenster leuchten ließ. Im Garten hatte der Herbst aufgeräumt und sämtliche Blätter von den Ästen geschüttelt, und irgendein Mensch hatte das Laub eingesammelt. Es sah furchtbar ordentlich aus.

Ich eilte weiter und schlüpfte durch das schmiedeeiserne Tor in Toms Garten. Dort folgte ich dem breiten, gepflasterten Weg, der zur protzigen Eingangstür führte. Sie war weiß lackiert und mit geometrischen Schnitzereien verziert. Der Knauf blitzte golden. Dies war jedoch nicht der Eingang für mich. Ich verließ den Weg, duckte mich in den Schatten eines großen Baums und schlich am Haus entlang zur Rückseite. Hier befand sich ein schmaler Kellerabgang. Das Runenlicht reichte kaum bis hierher, doch inzwischen kannte ich jede Unebenheit der Stufen auswendig und huschte die Treppe hinunter.

Hastig strich ich meine Locken zurück und klopfte an die Holztür. Kurz, kurz. Pause. Kurz, kurz. Unser verabredetes Zeichen.

Konzentriert lauschte ich.

Es war ein gewaltiges Risiko, dass ich hierherkam. Allerdings mehr für mich als für ihn. Mein gesellschaftlicher Stand war zu niedrig, um solch ein Haus zu betreten. Noch dazu war ich eine Frau. Niemand durfte wissen, was ich hier dank Tom tat. Wenn die Agenten davon erfuhren, würden sie mich in den tiefsten Kerker werfen, den die Akademie zu bieten hatte.

Die Köchin hatte Tom einmal erwischt, als er für mich etwas Essen in den Keller schmuggelte. Vermutlich wusste sie nicht, wen er traf. Und weshalb dieser Jemand so regelmäßig zu ihm kam. Aber sie hatte uns nicht verraten. Ob es allein Toms charmantem Lächeln oder einer Extrazahlung zu verdanken war, wollte ich gar nicht wissen.

Ich legte mein Ohr an das Türblatt. Stille dahinter.

Noch einmal wiederholte ich unseren Code.

Endlich erklangen Schritte, und ich hörte, wie der Schlüssel gedreht wurde. Die Tür öffnete sich.

Toms glattes, sauberes Gesicht tauchte aus der trüben Dunkelheit auf, und er musterte mich prüfend. »Verlernt, Uhren zu lesen?«

»Akademische Viertelstunde.«

Überrascht zog er die Augenbrauen hoch, was niedliche waagerechte Falten auf seine Stirn zauberte. »Was weißt du von akademischen Viertelstunden?«

Ich quetschte mich an ihm vorbei. Wie immer umwehte ihn ein feiner Duft nach Seife und Lavendel. »Jetzt komm mir nicht mit diesem Mist. Ich dachte, das hätten wir hinter uns.«

Betreten schwieg er und schloss leise die Tür.

In den ersten Wochen, in denen wir uns hier getroffen hatten, war die meiste Zeit damit draufgegangen, eine gemeinsame Sprache zu finden. Sein Leben war so grundverschieden zu meinem. Deshalb kam es zu vielen Missverständnissen. So hatte er mich einmal gefragt, ob er mir Plunder aus der Küche holen soll. Und ich hatte sehr beleidigt reagiert, da bei uns unnützes, kaputtes Zeug Plunder genannt wird. Ich wollte keine Almosen von ihm. Seine Küchenabfälle konnte er behalten. Ein Süßesstückchen, wofür er das Wort Plunder verwendete, war mir hingegen sehr willkommen.

Ohne auf ihn zu warten, lief ich auf den Raum zu, in dem seine Buchschätze auf mich warteten.

Denn der einzige Grund, weshalb ich hierherkam, war, dass Tom mich in den Büchern seines Vaters über Runenmagie lesen ließ. Frauen war diese Art der Magie verboten. Eigentlich war uns jegliche Art von Magie verboten, da unsere, im Gegensatz zu der der Männer, von unseren Emotionen gesteuert wurde. Deshalb war sie launenhaft und unkontrollierbar. Pure Energie, die eine potenzielle Gefahr für uns selbst und jeden um uns herum darstellte.

Die Magie der Männer folgte dem Verstand. War praktisch und sachlich. Wurde ein Gegenstand, wie eine Lampe, von einem Runenmagier mit der entsprechenden Rune versehen, erhielt der Gegenstand eine zusätzliche Eigenschaft. Eine Lampe konnte dadurch ohne Öl brennen. Ein Kohlesack schweben. Ein Besen selbstständig kehren. Die Magie der Frauen, Herzmagie, war dagegen wertlos. Sie brachte nur Chaos und im schlimmsten Fall Zerstörung.

Seit ich denken konnte, träumte ich davon, Runenmagie zu beherrschen. Tante Peg kannte einige Runen und fertigte mit ihrer schwachen Herzmagie und den Runen Objekte an, die sie für wenig Geld auf dem Schwarzmarkt an die Arbeiter verkaufte. Genau das wollte ich auch tun. Deshalb kam ich her und lernte Runen, deren Studium eigentlich nur den Studenten der Akademie gestattet war.

Tom berührte mich an der Schulter, als ich gerade unsere geheime Bücherei betreten wollte. »Warte, Lou.«

Argwöhnisch musterte ich ihn. Frisch rasiert, nach Lavendel duftend, ein blütenweißes Hemd, das am Kragen schief geknöpft war. Das passierte Tom nie. Irgendetwas hatte ihn durcheinandergebracht.

»Was ist passiert?«, fragte ich direkt. »Hat dein Vater Wind von unserer Abmachung bekommen?«

Langsam schüttelte er den Kopf. Ich mochte seine hellen Haare, die zwar nur sanfte Wellen hatten, aber genauso widerspenstig waren wie meine.

Eigentlich mochte ich ziemlich viel an Tom. Nicht nur seine Locken oder die Falten auf seiner Stirn, wenn er grübelte. Ich mochte auch den Klang seiner Stimme, wenn er mir erklärte, aus welchem fernen Land die Früchte stammten, die er für mich aus der Küche stibitzte. Und ich mochte, wie er davon träumte, eines Tages zur See zu fahren. Wie leidenschaftlich er für Dinge streiten konnte, die ihm wichtig waren, ohne dabei je laut zu werden. Und wie höflich und respektvoll er mit jedem Menschen umging. Völlig egal ob Mann oder Frau.

Der Gedanke, unsere geheime Abmachung wäre nun doch nach all den Monaten jemandem aufgefallen, machte mich nervös. Erpresste ihn jemand aus der Dienerschaft? Würde Toms Vater eine Rufschädigung seines Sohns, durch eine Meldung meines Verstoßes an die Akademie, in Kauf nehmen?

Ganz offensichtlich fiel es Tom schwer, mir zu antworten. Die Falten auf seiner Stirn verrieten mir, dass er fieberhaft nach den richtigen Worten suchte.

In einer ähnlichen Situation hatte ich ihn kennengelernt. Der Traumtänzer hatte sich verlaufen und war mitten im Viertel der Stahlarbeiter gelandet. In seinem weißen Hemd, der Samthose und dem neckischen Zylinder.

Die drei Halbstarken konnten gar nicht anders, als ihn hochzunehmen. An diesem Sommerabend in der Gasse hatte ihm keine seiner netten Eigenschaften geholfen, weder seine höflichen Umgangsformen noch seine Sprachgewandtheit. Jedoch mein rechter Haken. Den hatte mir Vincent, mein ältester Bruder, beigebracht, und ich war nie dankbarer dafür gewesen als an diesem Tag. Denn damit hatte ich mir den besten Sommer aller Zeiten verdient. Seitdem taumelte ich durch ein Paradies an Wissen.

»Wollen wir nicht reingehen? Ich setz mich zu den Buchschätzchen, und du überlegst dir, wie du das, was du auf dem Herzen hast, in die richtigen Worte packst.« Ohne auf seine Antwort zu warten, drückte ich die Holztür auf und blieb wie angewurzelt stehen.

Der Vorratskeller war von uns über die Monate zu einem annehmbaren Leseraum umgeräumt worden. Wir hatten ein provisorisches Bücherregal errichtet und ein paar Kissen und Decken herangeschafft. Hinter den Regalen, die mit Einmachgläsern gefüllt waren, lagen wir in unserem Versteck und lasen und quatschten.

Aber der Raum war nicht mehr diese behelfsmäßige Leseecke. Er hatte sich in ein Speisezimmer verwandelt. Wenn auch ohne Tisch. Tom hatte eine seidig glänzende Tischdecke auf dem Steinboden ausgebreitet und Kerzen in silbernen Haltern aufgestellt. Ihr Licht ließ die roten Früchte in den Einmachgläsern wie Edelsteine funkeln. Es gab sogar eine Karaffe mit Wein und drei – drei! – verschiedene Kuchen! Ich liebe Kuchen!

»Was ist das?«, fragte ich alarmiert. Ohne meine Erlaubnis fing mein Herz an, aufgeregt zu schlagen.

Verlegen rubbelte sich Tom durch die Haare und warf mir mit schief gelegtem Kopf diesen miesen Hundeblick zu. Er wusste, dass dieser Blick ihm aus jeder Patsche half. Na ja, ausgenommen bei Halbstarken im Stahlviertel.

»Vielleicht setzen wir uns erst mal. Und … ich versuche, die richtigen Worte zu finden.«

Zögerlich betrat ich den Raum. Als wäre es ein Anker, an dem ich mich in dieser befremdlichen Situation festhalten konnte, sah ich zu dem Bücherregal in der hinteren Ecke. Dicht an dicht warteten dort die Abhandlungen über Levitation und Materialkunde auf mich. Doch Tom deutete auf einen Stapel Kissen, den er bereitgelegt hatte. Mein Herz schlug noch schneller.

Unsicher musterte ich Tom aus dem Augenwinkel. Das hier – das wirkte so … romantisch. Dieses Wort setzte sich in meinem Kopf fest und ließ meinen Herzschlag ins Stolpern geraten.

Ja, ich mochte Tom. Ich mochte ihn sogar sehr! Und ich würde lügen, wenn ich behauptete, ich hätte mir nicht schon mal vorgestellt, wie es wäre, ihn zu küssen.

Allein bei dem Gedanken daran merkte ich, wie mein Herz noch mehr aus dem Takt geriet.

Nein. Denk nicht mal dran!

Ich sah zu den Runenbüchern, um mich von Tom abzulenken.

Nichts wünschte ich mir sehnlicher als ein Quäntchen Herzmagie, um sie wie Peg zu nutzen und simple Dinge besser zu machen.

Die Magie der Frauen war jedoch eine Sache des Herzens. Sie war an unsere Emotionen gebunden, und sie kam erst zu uns, wenn wir unser Herz öffneten. Wenn wir uns wirklich und wahrhaftig verliebten.

Mein Blick glitt von den Büchern wieder zu Tom.

In welcher Fülle die Herzmagie dann zu einer Frau kam, konnte niemand vorhersehen.

Männer erhielten hingegen den Zugang zu ihrer Magie über ein Ritual in der Akademie. Sowohl der Zeitpunkt als auch ihre Stärke waren gegeben. Keine Überraschungen. Deshalb galt Runenmagie auch als praktisch und sachlich. Eben das genaue Gegenteil der emotionalen Herzmagie der Frauen.

Aus Angst, zu viel Magie zu erhalten, hielt ich mein Herz eisern verschlossen. Auch wenn ich mir sehnlichst Magie wünschte, hatte ich zugleich schreckliche Angst, meine Magie könnte zu stark sein. Und wenn meine Magieaura so hell leuchtete, dass sie über dem erlaubten Maß lag, mussten mich die Agenten der Akademie mitnehmen. Zu meinem Schutz und dem meiner Familie. Denn zu starke Herzmagie war nicht beherrschbar. Sie verbrannte die Frauen, explodierte, riss alle in der Nähe in den Tod.

Josuah, der Ratsherr und Regent der Stadt, hatte genau errechnet, ab welcher Strahlkraft der Aura die Herzmagie gefährlich wurde. Wessen Aura diesen Wert überschritt, wurde in Gewahrsam genommen. Und nie wieder gesehen.

Es war unfair, dass Herzmagie so wankelmütig und unkontrollierbar war. Aber so war die Welt nun mal, und wir Frauen mussten damit leben, dass wir zu einer Gefahr für uns und unsere Lieben werden konnten.

Ich wich Toms Blick aus und setzte mich auf die Kissen. Sofort stieg mir der Kuchenduft in die Nase. »Sind die noch warm?«, fragte ich überrascht.

»Nur der mit der flüssigen Karamellfüllung.«

Mit offenem Mund starrte ich Tom an. Nur der mit der flüssigen Karamellfüllung. Damit war es klar. Absolut offensichtlich. Tom wollte mich verführen! Und er hatte wirklich verdammt gute Chancen.

2

Um mich von dem Gedanken, dass Tom mehr für mich empfand, oder besser gesagt, dass ich mehr für ihn empfand, abzulenken, nahm ich mir ein Stück des noch warmen Karamellkuchens.

Fast hätte ich ein lustvolles Stöhnen von mir gegeben, als ich den flüssigen Karamell schmeckte.

Tom räusperte sich. »Geht es dir gut?«

Ich nickte nur, denn ich hatte mir das Stück mit wenigen Riesenbissen in den Mund gestopft, und der Karamell tropfte über meine Lippen.

Abschätzend beobachtete er mich beim Kauen und fragte vorsichtig: »Kein Hunger mehr?«

Verärgert zog ich eine Augenbraue hoch, und Tom hob sofort beschwichtigend die Hände. »Nein, alles gut, Lou. Ich … ich denke nur, dass du schlechte Nachrichten besser mit vollem Magen aufnimmst.« Er lächelte verschmitzt. »Eine hungrige Lou kann sehr unangenehm werden.«

»Du kennst mich zu gut«, murmelte ich und leckte mir nervös den klebrigen Sirup von den Lippen.

Vielleicht sollte ich mir irgendeine Entschuldigung ausdenken und schnell verschwinden. Allerdings erst nachdem ich auch den zweiten Kuchen gekostet hatte. Ich wollte schließlich nicht unhöflich sein.

»Tatsächlich habe ich noch immer keine Worte gefunden, wie ich es dir sagen soll, Lou«, begann er und klang, als müsse er einen Mord gestehen. »Deshalb sag ich es dir einfach geradeheraus: Übermorgen werde ich in die Akademie gehen.« Mit eingefrorenem Lächeln beobachtete er mich.

Ich blinzelte ihn verständnislos an, das Stück Beerenkuchen auf halbem Weg in meinen Mund.

»Mein Vater hat mich gezwungen«, ergänzte er hastig.

Ich merkte, dass ich das Kuchenstück zu fest hielt und mir Beerenmus über die Finger tropfte.

»Ich weiß es schon seit zwei Monaten und habe dir nie etwas gesagt. Es tut mir leid.« Tom zog den Kopf ein und ließ das Kuchenstück in meiner Hand nicht aus den Augen. Vielleicht hatte er Sorge, es könnte ihm entgegenfliegen.

All meine Gedanken schwiegen.

Irgendwo auf der Straße bellte ein Hund.

Eine der Kerzenflammen knisterte.

In meinem ganzen Körper herrschte Stille. Selbst mein Herz schwieg.

Irgendwann besann ich mich des Kuchens und biss ein Stück ab. Und mit dem Geschmack der Sommerbeeren trafen auch endlich seine Worte auf meinen Verstand.

»Du gehst …?« Die Akademie! Das Zentrum der Stadt, verborgen hinter einer haushohen Mauer. Das Herz der Magie.

Er nickte schuldbewusst.

»Übermorgen?«, stammelte ich.

Hilflos zuckte er mit den Schultern.

»Und du weißt es seit Wochen und sagst mir nichts?«

Junge Männer aus reichem Haus wurden, wenn sie mit einundzwanzig Jahren das Erwachsenenalter erreichten, in die Akademie berufen. Sie betraten als neugierige Studenten die Akademie und kamen Jahre später als hochnäsige, geldgierige Runenmagier wieder heraus.

»Mir war klar, dass du –«

»Wütend wirst? Ja, sicher! Weil ich mich nicht vorbereiten konnte!« Hilflos sah ich mich um. Ich fühlte mich, als hätte ich das Gleichgewicht verloren. Als hätte sich der Boden unter mir aufgelöst und ich taumelte ohne Halt hinab ins Nichts. »Wir hätten … wir hätten …« Ja, was hätten wir getan?

Ich merkte, wie verzweifelte Tränen in mir aufstiegen. Hastig stand ich auf und ging zu unserem Bücherregal. Runen für fluide Stoffe.Runenkombinatorik.Effizienz und Ökonomie der Runenmagie. Ohne dass die Bedeutungen der Titel mir bewusst wurden, las ich sie immer und immer wieder, nur um etwas anderes zu tun, als vor Schock zu weinen.

»Wenn du willst, kannst du ein Buch mitnehmen. Ich schenk es dir. Mein Vater wird es kaum vermissen.« Er war aufgestanden. Ich hörte, wie er vorsichtig ein paar Schritte näher kam.

Entschlossen schluckte ich die Tränen hinunter und wandte mich ihm zu. »Ja, sicher. Klar.« Gewiss strafte mich mein Lächeln Lügen. Wenn Tom mich auch nur ein bisschen kannte, musste er es sehen. Es war mir gerade herzlich egal, ob ich je wieder ein Runenbuch aufschlagen würde. »Studenten der Akademie haben die ersten zwei Jahre keinen Ausgang.«

»Stimmt.« Unsicher suchte er meinen Blick.

Das war’s. Keine Treffen mehr mit ihm. Bei dem Gedanken stieg Hitze in mir auf. Mein Herz verkrampfte sich und trieb die Tränen ein Stück höher. Und wenn er denn Ausgang hatte, würde er dann noch derselbe Tom sein?

»Aber du willst doch gar kein Runenmagier werden!« Meine Stimme troff geradezu vor Enttäuschung. Enttäuschung darüber, dass er mich nicht gewarnt hatte. Dass ich jetzt keine Möglichkeit mehr hatte, nachzuholen, was ich noch sagen wollte. Tun wollte. Wie oft hatte ich mir überlegt, ihm zu sagen, was ich fühlte? Das Risiko einzugehen, dass die Herzmagie kam und vielleicht zu mächtig war?

Vielleicht. Vielleicht hatte ich auch nur Angst gehabt, er würde nicht das Gleiche empfinden.

»Glaubst du, ich hätte nicht mit Vater argumentiert? Aber ich bin sein einziger Sohn. Es ist meine Pflicht, in seine Fußstapfen zu treten. Dafür ist das Studium der Runenmagie Grundvoraussetzung. Nur durch das Ritual in der Akademie werde ich auf die Magie zugreifen können … und nur mit der Ausbildung die Firma übernehmen …« Er klang schrecklich vernünftig und sachlich.

Ich wandte mich erneut den Büchern zu, in der Hoffnung, er würde meine Tränen nicht bemerken. Was natürlich absurd war, so laut, wie ich schniefte. Wie hatte ich nur jemals denken können, dass Tom seinem eigenen Weg folgen würde? Er war immer darauf bedacht, Regeln einzuhalten und Erwartungen zu erfüllen. Die einzige Sache, die in seinem Leben gegen alle Benimmregeln und sogar Josuahs Gesetze verstieß, war ich. Waren unsere Treffen und mein Lesen in für mich verbotenen Büchern. Hatte ich deshalb gedacht, ich würde ihm etwas bedeuten?

»Wie soll deine Firma auch weiterhin tolle nutzlose Dinge verkaufen, wenn du nicht weißt, was man mit Runenmagie alles anstellen kann, um den Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen?«, zischte ich und wusste sogleich, dass ich unfair ihm gegenüber war.

Diesmal bildeten sich zwischen seinen Brauen senkrechte Falten. »Du denkst, ich bin feige. Weil ich mich nicht gegen meinen Vater durchsetze. Du hast recht, ich will diese Firma nicht übernehmen. Ich träume von einem Schiff und der Weite der See.«

Als ich ihm über die Schulter hinweg einen Blick zuwarf, wirkte er in diesem winzigen Raum verloren.

»Wenn ich das Studium nicht abschließe, enterbt er mich. Das hat mein Vater deutlich gemacht. Außerdem kann die Firma ohne Runenmagie nicht weiter existieren. Er hat mir die Verantwortung für die Leben von über hundert Arbeitern vor die Füße geworfen. Ich muss Runenmagie erlernen und mit ihr die Geschäfte weiterführen. Ich habe keine Wahl.«

Mein Herz hastete mit mir von einem Gedanken zum anderen und verhedderte sich in dem, wie ungerecht das Leben war. Und Wut überkam mich. »Weißt du was, Tom? Alles gut! Du hast recht. Arbeit zu finden, ist schwer. Sich selbst etwas aufzubauen, unmöglich! Es gibt auch keinen Runenmagier, der euer Geschirrimperium an deiner Stelle leiten könnte. Beschwer dich also ruhig, wie grässlich es wäre, wenn man dir dein Daunenbett und deine üppigen Vorratskammern wegnehmen würde! Ich hör dir zu und fühle mit dir. Unvorstellbar, was das beuten würde! Nicht auszudenken, wenn du dir selbst etwas aufbauen müsstest. Wie unerträglich, dadurch deinen goldenen Löffel zu verlieren! Nicht auszudenken, wie ich drei Mal die Woche Rübenmus essen zu müssen!«

Sicherlich war ich wütend, dass er nicht den Mut hatte, für sich und seinen Traum einzustehen. Unter all den Reichen gab es schließlich Männer mit Runenmagie zuhauf. Wenn er sich wirklich um die Arbeiter sorgte, war schnell ein anderer Geschäftsführer gefunden.

Aber eigentlich fühlte ich nur Angst vor dem Moment, Tom Auf Wiedersehen sagen zu müssen.

Bestürzt kam er einen Schritt auf mich zu, doch ich wich zurück.

»Beklag dich bei mir darüber, wie schrecklich es sein wird, Runenmagie zu lernen«, brachte ich schniefend hervor. »Als Frau, der es grundsätzlich verboten ist, Magie auszuüben, bin ich da total die Richtige.« Mit Tränen in den Augen deutete ich auf die Bücher, in denen ich so wissbegierig gelesen hatte. »Selbst wenn ich jemals Magie erhalte, werde ich sie verstecken müssen. Deswegen wein dich bei mir aus, wie grässlich es ist, zu einem Privileg gezwungen zu werden, das man gar nicht haben will.«

»Lou!« Er kam noch einen weiteren Schritt auf mich zu, und ich wich erneut vor ihm zurück. Nun stand ich mit dem Rücken zur Wand. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Wo sollte ich hin?

Die Tage mit Tom waren das Beste in meinem Leben gewesen. Ich hatte es so geliebt, sein Lachen zu sehen, mich in seinem Duft zu verlieren und mich mit ihm durch die Runen zu fachsimpeln. Von jetzt auf gleich hatte ich meinen besten Freund und meine Zukunft verloren.

»Lou, bitte. Verzeih mir.« Wie immer blieb Tom leise. Ich hatte noch nie ein lautes Wort von ihm gehört. Vorsichtig, als sei ich ein verängstigtes Kätzchen, tat er einen weiteren Schritt. »Es ist nicht fair. Du hast absolut recht. Ich würde alles dafür geben, dich weiterhin zu sehen.«

Angestrengt atmete ich durch. »Ich will nicht im Streit von dir gehen. Ich … Also … Die Tage hier mit dir, die haben mir was bedeutet. Nicht wegen der Bücher. Schon. Auch. Aber … ich bin gerne bei dir. Ich werde dich bitter vermissen, Tom Helland.«

Er ballte seine Hände und streckte die Finger sogleich wieder. Mehrmals nacheinander. Ein sicheres Zeichen dafür, wie nervös er war. »Ich wollte es dir nicht sagen. Die ganzen Wochen über dachte ich, ich bin dann einfach eines Tages nicht mehr da. Damit wir jedes Treffen ohne …« Er suchte nach Worten.

»Ohne Trauer?«

»Ohne Schmerz«, flüsterte er.

Ich löste mich von der kalten Steinmauer, trat näher zu ihm. »Ohne Vorwürfe.«

»Und …« Er hob den Blick und sah mir direkt in die Augen. Darin lag etwas, das mein Herz sofort schneller schlagen ließ.

»Und?«, fragte ich. Vielleicht zu leise, denn das Hämmern meines Herzens dröhnte viel zu laut. Vermutlich konnte er meine Worte gar nicht hören.

Es war nicht meine Entscheidung, dass mein Körper sich ihm näherte. Er tat es einfach. Jetzt war ich Tom so nah, dass sein Duft mich einhüllte, so nah, dass ich die Wärme seines Körpers spürte.

»Lou …«, flüsterte er. Und ich wusste, sein Herz galoppierte genauso aufgeregt wie meines.

Ich konnte ihn nicht gehen lassen, ohne ihm zu sagen, dass ich ihn mochte. Dass ich ihn sehr mochte.

Unsere Blicke trafen sich, und ich begriff, dass er so fühlte wie ich. Wir wollten mehr füreinander sein.

Doch nun war es zu spät.

Ein Kribbeln stieg in mir auf, als mir klar wurde, was mein Körper vorhatte. Was mein Herz plante. Hitze explodierte in mir, ließ meine Knie wacklig werden, sodass ich mich an Tom festhalten musste. Und ihn, am Kragen gepackt, mit mir zog, bis wir gegen die Wand stießen und unsere Lippen aufeinandertrafen.

Öffne ihm nicht dein Herz, Lou! Was willst du tun, wenn die Herzmagie zu dir kommt?

Tausend Funken. In mir, um mich herum.

Die Herzmagie ist mir egal.

Seine Lippen, so weich und zärtlich. Seine Hände wie Seide auf meinen Wangen, an meinem Hals.

Ich verlor mich.

Taumelnd und schwerelos ließ ich mich in dieses allumfassende Gefühl fallen, das keine Grenzen zu haben schien.

Wie oft hatte ich davon geträumt, mich in seiner Umarmung zu verlieren?

Und immer hatte ich es mir verboten. Aus Angst vor den Konsequenzen, wenn ich mein Herz für ihn öffnete. Aus Angst vor meiner Magie.

Seine Hände begannen, meinen Körper zu erforschen, und meine taten es ihnen an seinem gleich. Mein Herz trommelte und setzte jede Faser in mir in Flammen.

Feuer.

In meiner Brust.

Ist das meine Herzmagie? Dieses Gefühl von Feuer loderte so verzehrend in mir …

Nach Luft japsend, schob ich Tom von mir.

Da ist zu viel Feuer!

»Alles gut, Lou?«, fragte er besorgt. »Habe ich etwas … Lou?«

Mit einem Schlag war mir kalt, und ich schob mich die Wand entlang von ihm weg. Flammte da noch immer etwas in meiner Brust? Hatte dieser Kuss, das Zulassen meiner Gefühle für ihn, eben die Magie freigesetzt?

»Lou!«

Ich sah seine Verwirrung, fand aber keinen Atem, um zu sprechen. Konnte nur den Kopf schütteln. Bitte nicht! Bitte keine Magie! Nicht jetzt. Nicht, weil ich Tom liebe, der übermorgen aus meinem Leben verschwunden sein wird.

»Lou.« Er sah mich mit einer Verzweiflung an, die meine Seele noch mehr zerriss. »Es tut mir leid. Übermorgen muss ich dich verlassen. Ich hätte dich nicht küssen dürfen.« Plötzlich lachte er leise. »Vielleicht sollten wir durchbrennen.«

»Auf einem Schiff!« Mein Herz löste sich bei dem Gedanken, mit ihm davonzulaufen, in Hunderte Schmetterlinge auf. Für einen kurzen Augenblick verlor ich mich in dieser romantischen Möglichkeit. »Aber ich bin nicht mutig genug«, murmelte ich.

Hätte ich nicht so viel Angst vor der Magie, hätte ich ihm schon längst gesagt, dass ich ihn liebte.

»Du wirst weggehen«, flüsterte ich. Und wie um diese Tatsache zu besiegeln, küsste ich ihn erneut. Lange, innig, voller Leidenschaft und einer unerfüllten Hoffnung auf mehr.

In seinem Blick lag dieselbe Trauer, die ich spürte. All die Momente, die wir nie teilen würden, all das Lachen, die Umarmungen, die wir uns verboten hatten und nun nie erleben würden.

»Es tut mir leid.« Eilig schob ich mich an ihm vorbei, wollte nur weg von ihm und allem, was nicht sein würde. Und doch drehte ich mich noch mal um, stürzte zu ihm und küsste ihn ein letztes Mal.

Dann floh ich. Hinaus in die Nacht.

Mir war es egal, ob mich jemand sah. Die Welt bestand nur aus Tränen. Ich sah die Villen nicht, die Paare oder Straßen. Blindlings stolperte ich durch die Stadt. Ich spürte nur Tom. Seine Wärme. Seine Umarmung und Küsse. Seine Liebe.

Irgendwie fand ich nach Hause und schaffte es übers Dach in mein kaltes, kleines Zimmer. So wie ich war, warf ich mich ins Bett, zog die drei Wolldecken über mich und weinte. Weinte mir das Herz aus der Brust. Es tat so weh.

3

Ein raues Krächzen riss mich aus einem traumlosen Schlaf. Ich wühlte mich unter den Decken hervor und entdeckte Sievern am Fußende des Betts. Hinter ihm stand das Giebelfenster offen, und ich blickte auf einen trüben Morgen in Olresa.

Zuerst wollte ich Sievern anmeckern, weil er sich selbst Zutritt in die Dachkammer verschafft hatte. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass er den schmalen Eisenriegel am Fensterladen mit einem Stöckchen ausgehakt hätte. Aber ich erinnerte mich an die vergangene Nacht. An meine Flucht vor meinen Gefühlen und Tom. Ich hatte das Fenster offen gelassen. Vermutlich wäre mein Zimmer weniger von einer klammen Feuchte durchsetzt gewesen, hätte ich es geschlossen.

Hier oben unter den Dachschindeln war es bereits jetzt, im Herbst, oft bitterkalt. Solange jedoch noch kein Schnee lag, schlief ich lieber hier im Kalten als unten neben dem Kamin. Denn egal, wie spät oder früh es war, irgendwer war immer dort zugange.

Sievern stolzierte auf den Wolldecken herum, unter denen ich eingekuschelt lag. Die unscheinbare Kapsel an seinem Bein wippte dabei auf und ab.

Mit einem Seufzen zog ich mir die Decken über die Nase. Was hatte ich mir gestern nur dabei gedacht! Allein bei der Erinnerung an Toms Lippen auf meinen überlief mich ein Schauer. War es ein guter Schauer? Ich drückte mich tiefer ins Kissen. Völlig egal, ob gut oder schlecht – ich würde Tom nie wiedersehen. Sofort verspürte ich ein Ziehen in meiner Brust.

Sievern zupfte krächzend an der Decke und äugte mit schief gelegtem Kopf auf mich hinunter.

»Ja, schon klar. Peg will was von mir.«

Ziemlich unmotiviert streckte ich die Hand aus, und er blieb stehen, das Bein, an dem sich die Kapsel mit der Nachricht befand, ein wenig vorangestellt. Als ich die Kapsel ablösen wollte, flatterte er jedoch auf und setzte sich auf die hölzerne Türklinke der Zimmertür.

»Was soll denn das? Du weckst mich und weigerst dich dann, mir die Nachricht zu geben?«

Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen und blinzelte zu dem winzigen Fenster hinaus. Es war die einzige natürliche Lichtquelle der Dachkammer. Allerdings umhüllte heute eine graue Wolkendecke den Tag, und ich konnte noch nicht mal die Türme der Akademie sehen. Sie waren das Wahrzeichen von Olresa. Die Türme überragten selbst die Schornsteine der Fabriken.

Für einen Augenblick stellte ich mir Tom vor, der sich von seiner Dienerin die Koffer packen ließ. Ob sich sein Herz ebenso wund anfühlte wie meines?

Die Luft anhaltend, lauschte ich in mich hinein. Das brennende Gefühl, das mir gestern Angst gemacht hatte, war erloschen.

Ist es Magie gewesen? Ich habe mein Herz geöffnet, meine Liebe zu Tom zugelassen, und nun habe ich genauso wenig Magie wie meine Mutter?

Noch einmal horchte ich in mich hinein, aber da war nichts. Außer der schmerzenden Trauer, Tom in dem Augenblick verloren zu haben, in dem wir uns unsere Gefühle füreinander eingestanden hatten, spürte ich nichts.

»Nun gib schon her.« Auffordernd hielt ich Sievern die Hand hin, doch er rührte sich nicht von seinem Posten. »Sievern! Ich werde Peg von deinem Starrsinn berichten!«

Niemand anders als meine liebe Tante hatte den Vogel zu mir geschickt, so viel war klar. Sie war die einzige Person in der Stadt, die Elsternpost nutzte. Und das konnte sie nur, weil Sievern so klug war. Sievern war sich seines Nutzens jedoch wohl bewusst. Deshalb lieferte er ausschließlich gegen doppelte Bezahlung. Er kassierte Käse einmal von seiner Vertrauten Peg und einmal von mir – oder wem auch immer Peg sonst noch Nachrichten per Elsternpost schickte.

Grummelnd schlug ich die drei Wolldecken zur Seite, in die ich mich eingewickelt hatte. Sofort griff die Kälte nach mir. Da ich in meinen Klamotten geschlafen hatte, fror ich nun doppelt. Und ich hatte nichts, das ich mir zusätzlich überziehen konnte. »Ich hoffe für dich, Pegs Auftrag ist nicht eilig.«

Sievern pickte nur gelangweilt an der Tür, tat so, als wäre ich Luft für ihn.

Ich tat es ihm gleich und ignorierte ihn.

Etwas zögerlich trat ich vor den Spiegel. Er zeigte mir mein von chaotischen Locken gerahmtes Gesicht, die schmalen Schultern und die flache Brust. Der Kälte trotzend, zog ich meine Filzjacke und den Schal aus, in denen ich eingeschlafen war, und betrachtete mein Spiegelbild. War da ein Leuchten? Ein Schimmer um meine fast jungenhafte Gestalt?

Nein.

Enttäuscht warf ich mir einen unglücklichen Blick zu. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Magie meine Liebe zu Tom nicht ausreichte. Und ich hatte doch diese Hitze gespürt. Milène hatte mir erzählt, wie es sich bei ihr angefühlt hatte. Einem inneren Feuer gleich, hatte sie gesagt.

Noch einmal musterte ich mich kritisch im Spiegel. Also war es wie bei meiner Mutter. In mir schlummerte gar keine Magie. Ich würde niemals die Fähigkeit erhalten, magische Runen zu zeichnen!

Verzweiflung brandete in mir auf und ließ mir eine Träne über die Wange rollen. Trotzig wischte ich sie weg.

Nein, das darf nicht sein.

Die Magie war nur nicht durchgebrochen, weil ich sie unbewusst zurückgehalten hatte. Weil ich ja wusste, dass meine Gefühle für Tom keine Zukunft hatten.

Milène hatte mir, nachdem sie ihre Magie erhalten hatte, kichernd von Dingen berichtet, die sie und Cedric miteinander getan hatten … Folglich konnte dieser Kuss keine Magie freigesetzt haben. So musste es sein. Ich hatte Tom verloren, aber ich war nicht bereit, ein Leben wie das meiner Mom zu akzeptieren. Ich wollte wie Peg sein! Auch wenn es gegen das Gesetz war.

Irgendwann würde ich sicher Magie erhalten. Irgendwann. Wenn ich mein Herz wirklich für jemanden öffnen konnte.

Sievern unterbrach meine Gedanken durch ein ungeduldiges Krächzen.

Mit einem Seufzen wandte ich mich ihm zu. »Ich denke nicht, dass Mutter etwas für erpresserische Elstern in der Küche hat.«

Als hätte er nur darauf gewartet, dass ich die Kammer verließ, flatterte er auf meine Schulter. Seine Krallen gruben sich durch die drei Lagen Stoff in meine Haut, während ich Jacke und Schal griff und aus der Kammer schlüpfte. Flink kletterte ich die schmale Leiter hinunter. Im oberen Stockwerk gab es zwei Zimmer, die meine Brüder bewohnten. Für mich Nachzüglerin war nur die Dachkammer übrig geblieben. Aber ich mochte es dort oben. Es gab mir das Gefühl, über all dem Schmutz und Schweiß des Arbeiterviertels zu schweben. Die Mädchen, mit denen ich aufgewachsen war, hatten inzwischen fast alle ihren eigenen Hausstand. Zumindest ging jede von ihnen einer Arbeit in einer Fabrik nach. An den Sortierbändern oder in der Papiermanufaktur. Da sich meine Magie jedoch bisher nicht gezeigt hatte, wollten viele Fabrikleiter das Risiko nicht eingehen und mich einarbeiten. Sollte meine Magie zu stark sein, durften sie mich nicht weiter beschäftigen. Und so wohnte ich weiterhin bei meinen Eltern. Allerdings waren auch meine Brüder noch nicht ausgezogen. Obwohl Noé schon seit einer Weile nach einem Häuschen suchte. Er wollte mit Willa zusammenziehen und eine Familie gründen. Vincent hatte offensichtlich kein Interesse an Frau und Familie. Er arbeitete bei einem Kutschunternehmen und unterstützte unsere Mutter beim Haushaltsgeld. Nur ich war die ewige Schmarotzerin.

Ohne Anstellung konnte ich nur hin und wieder als Tagelöhnerin beim Entladen auf dem Markt oder bei einer Inventur arbeiten. Einzig die Botengänge für Peg brachten regelmäßig ein paar Münzen. Jedoch sah es meine Mutter nicht gern, wenn ihre Schwester mich bezahlte. Zum einen, weil wir Familie waren, und da hilft man sich unentgeltlich, zum anderen, weil sie wusste, dass Pegs Handel illegal war, und Angst hatte, ich könnte in Schwierigkeiten geraten.

Schwungvoll eilte ich die Treppe hinab und stand in der Diele, dem größten Raum in unserem beengten Zuhause. Der Boden war mit Ziegeln ausgelegt, die die Wärme des Kamins speicherten. Ich drückte meine nackten Füße fest auf den Boden und spürte, wie die Wärme in die Zehen kroch.

Den Morgentrubel hatte ich heute verschlafen. Das Feuer brannte schon hell, und die Kleiderhaken neben der Tür waren leer. Vater, Vincent und Noé waren bereits bei der Arbeit.

»Mama?« Sievern hockte noch immer auf meiner Schulter und machte einen langen Hals zum Topf, der beim Feuer stand. Er war sauber geschrubbt. Was immer die Männer gefrühstückt hatten, es war kein Klecks übrig.

Links neben dem Kamin führte eine niedrige Holztür in das Kabuff, in dem meine Eltern schliefen. Die Tür war angelehnt und Mutter rief ein »Guten Morgen, Langschläferin«.

»Ja, ja. Die Sonne schläft auch noch. Jedenfalls hat sie mich nicht geweckt.« Mein Magen grummelte hungrig, und ich ging zum Vorratsregal und musterte es unschlüssig. Viel gab es nicht darin. Ein Viertel Laib Brot, etwas Käse, drei Äpfel und vier Eier. Ich hätte Tom die Kuchen klauen sollen.

In der Kammer schlug meine Mutter die Decken ihres Schlaflagers auf. »Bin gleich da.«

Sievern machte Anstalten, sich den Käse zu schnappen, doch ich hielt ihn davon ab und brachte den Vogel zum Esstisch. Der Tisch war Nähtisch, Werkbank, Koch- und Würfeltisch in einem, eben einfach das Herzstück unserer Familie, an dem wir zusammenkamen. Sievern hopste nun flatternd darauf und beäugte das grob geschliffene Holz der Tischplatte Faser für Faser. Vielleicht hatte Mutter ja einen Krümel übersehen.

Ich ging zu dem hölzernen Eimer, der in der Vorratsecke stand und noch halb mit Wasser gefüllt war. Etwas zu schwungvoll klatschte ich mir zwei Handvoll ins Gesicht und rubbelte über meine dicken Locken, die wie jeden Morgen in sämtliche Richtungen abstanden.

»Was macht denn dieser dreckige Vogel hier!« Mutter war aus der Schlafkammer gekommen und scheuchte Sievern aufgebracht vom Tisch.

Mit protestierendem Krächzen flog er einen Kreis durch die Stube und setzte sich schließlich wieder auf meine Schulter.

»Ich glaube, Peg hat einen Auftrag für mich, doch Sievern will bezahlt werden, bevor er mir die Nachricht gibt.« Hilflos zuckte ich mit den Schultern, was die Elster unwillig krächzen und meine Mutter verärgert seufzen ließ.

Sie stemmte die Hände in die Hüften, was ihr bei Sievern auch nicht zu mehr Autorität verhalf.

Meine Mutter war eine hagere Frau mit widerspenstigen Haaren, die von silbrigem Grau durchzogen wurden, aber einem festen Blick und, wenn nötig, lauter Stimme. »Dann schick ihn zurück. Soll er Peg erklären, warum er seinen Auftrag nicht erledigt hat.«

Als würde Sievern jedes Wort verstehen, krähte er empört und drehte sich, sodass er Mutter den Rücken zuwandte.

»Gute Idee. Es wird heute sowieso den ganzen Tag regnen.« Und schon steuerte ich auf die Haustür zu, um Sievern fliegen zu lassen. Mit einem wütenden Krächzen flatterte er auf einen der Kleiderhaken und knibbelte an dem Band, mit dem die Kapsel an seinem Bein befestigt war. Klappernd fiel sie zu Boden.

»Na, geht doch«, murmelte ich und hob sie auf. Nur zwei Worte standen auf dem zusammengerollten Zettel. Lieferung eilig. Seufzend steckte ich das Zettelchen in eine der Hemdtaschen. »Kann ich mir ein Stück Brot nehmen? Peg hat es natürlich eilig.«

Meine Mutter zögerte. Etwas in ihrem Blick alarmierte mich, und instinktiv sah ich aus dem Fenster neben der Haustür. Doch da war nichts als eine graue Nebelsuppe, die die gegenüberliegenden Häuser fast verschwinden ließ. »Ich werd’ mich nicht erkälten«, sagte ich mit einem Lächeln, da ich annahm, dass sie sich wegen des garstigen Wetters Sorgen um meine Gesundheit machte.

»Das ist es nicht. Josuah hat Razzien angekündigt. Er wird eisern gegen die Rebellinnen vorgehen.«

»Und du glaubst, Peg gehört zu ihnen?«

Ärgerlich wischte sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Es spielt keine Rolle, was ich denke. Ihre Runenmagie ist illegal, und sie nutzt dich aus, um ihre Waren zu verkaufen. Was, wenn Agenten dich erwischen? Das Verkaufen von illegaler Runenmagie wird dich in den Kerker bringen!«

»Ich bin vorsichtig. Das weißt du doch.« Ich umarmte sie, woraufhin sie sich grummelnd den Vorräten zuwandte.

Bin ich immer vorsichtig?

Leichte Hitze stieg in mir auf, als ich an gestern Nacht dachte. Wenn die Magie zu mir gekommen wäre – wenn meine Aura zu hell gewesen wäre – wenn … Ich atmete durch. Sie war aber nicht da, und es gab kein Wenn.

Und es gab keinen Tom mehr.

Meine Mutter hatte mir einen Kanten Brot abgeschnitten. Ich bedankte mich, wehrte Sieverns Schnabel ab, der nach dem Brot pickte, und schlüpfte in meine Jacke.

»Ich kauf auf dem Markt neues, in Ordnung?«, meinte ich kauend. »Soll ich noch was anderes mitbringen?« Mir war bewusst, dass ich in meinem Alter eigentlich schon ausgezogen und am besten bereits verheiratet sein müsste. Ich war meinen Eltern dankbar, dass sie mich nicht zu einer Ehe gezwungen hatten. Aber es nervte mich, nur wenig zur Unterstützung der ohnehin sehr knappen Haushaltskasse beitragen zu können.

»Ist gut. Wenn es preiswerte Rüben gibt, bring welche mit.«

Ich nickte und verließ das Haus.

Dick eingepackt in meine Filzjacke und den Schal, den ich zum Schutz vor dem Regen um meinen Kopf gewickelt hatte, lief ich zu Peg. Sievern störte das nasse Wetter nicht, und er flog davon, ohne sich noch mal nach mir umzusehen.

4

Peg lebte in einer Bretterhütte in einem der Hinterhöfe in unserem Viertel. Sie war einige Jahre älter als meine Mutter. Manchmal, wenn ich ihr zusah, wie sie mit einem glühenden Eisen die Runen in einen Lampenfuß einbrannte, hatte ich Sorge, ihre knotigen Hände könnten ihr jeden Augenblick den Dienst versagen.

Obwohl sie nur meine Tante war, fühlte ich mich ihr oft mehr verbunden als meiner Mutter. Ich wusste nicht, ob meine Mutter unglücklich war, dass sie keine Herzmagie erhalten hatte. Sie sprach nie darüber. Für mich stand außer Frage, dass sie und mein Vater sich liebten.

Niemand konnte sagen, weshalb manche Frauen keine oder kaum Magie in sich trugen, während andere viel zu viel davon bekamen, sodass ihr Körper sie nicht halten konnte. Meine Mutter schien ganz zufrieden damit, die Bürde der Magie nicht tragen zu müssen. In den letzten Jahren hatte ich sehr wohl bemerkt, wie ihr Blick auf mich immer sorgenvoller wurde. Sie hatte Angst vor dem Tag, an dem ich Magie bekam. Angst davor, die Aura könnte hell sein. Für sie bedeutete Herzmagie nichts Nützliches, sondern ein Unglück. Etwas, das Leid und Schmerz brachte. Womit sie grundsätzlich recht hatte.

Peg hingegen betrachtete die Herzmagie als ein Geschenk. Einen Segen, der uns Frauen befähigte, das Leben besser zu machen.

Vermutlich lag es auch an dieser grundverschiedenen Sichtweise, weshalb die beiden Schwestern sich meist aus dem Weg gingen. Allerdings war ich dankbar, dass Peg ganz in unserer Nähe wohnte und mit Magie arbeitete.

Ich bog in die Gasse ein, von der ein schmaler Gang zwischen zwei Häusern zu dem Innenhof führte, in dem Pegs Hütte stand. Der Regen hatte sich zu einem lästigen, eiskalten Schauer entwickelt. Mein Schal war schon längst mit Wasser vollgesogen, und ich rannte schneller durch die tiefen Pfützen.

Ein bisschen Magie. Nur ein bisschen wäre schön gewesen, dachte ich wehmütig. Vor Jahren hatte ich bereits einen Plan erarbeitet, welche Objekte ich als Erstes mit Runen verstärken würde. Unter anderem hätte ich meinen Schal und die Jacke wasserdicht gemacht. Die Wasserschutzrunen konnte ich deshalb inzwischen auswendig schreiben. Oft genug hatte ich sie auf Papier geübt. Doch ohne Magie blieben sie nur leblose Zeichen.

In meiner Erinnerung stieg das Bild auf, wie ich mit dem Buch über Basisrunen auf den Knien in Toms Keller saß und eifrig die Runenzeichen auf einen Zettel übertrug. In meiner Kammer hatte ich sie dann wieder und wieder in eine Wachstafel gekratzt, bis ich jeden Strich perfekt beherrschte.

Und nun hatte ich Tom meine Liebe gestanden. Sie mir selbst eingestanden und zugelassen – und nichts war passiert.

Die Stärke der Magie wurde von Emotionen beeinflusst, weshalb sie so gefährlich war. Einst hatte eine Frau fast ganz Olresa niedergebrannt. Sie hatte ihren Zorn über eine Tollpatschigkeit ihres Kindes nicht unter Kontrolle bringen können.

Seitdem von Josuah die Schutzgesetze erlassen worden waren, hatte es keine Verletzungen mehr durch Herzmagie gegeben.

Darüber, wie der Gewahrsam genau aussah, in den die Frauen mit zu starker Magie gebracht wurden, gab es nur Gerüchte. Jedoch zeichnete keines ein hoffnungsvolles Bild für die Frauen. Gefangenschaft war vermutlich noch das Freundlichste für jemanden, der jederzeit in Flammen aufgehen konnte.

Du solltest dankbar sein, dass du keine Magie hast, redete ich mir ein, als ich bei Pegs windschiefer Hütte ankam. Inzwischen waren meine Füße nass, und mein Schal fühlte sich durch das Regenwasser tonnenschwer an. Ich klopfte an die Brettertür und wartete auf Pegs Herein.

Regen tropfte von der Dachkante direkt in meinen Kragen.

Endlich öffnete Peg, und ich drängte mich an ihr vorbei ins Trockene. Wie immer trug sie das fleckige Schürzenkleid über einem Wollrock. Ihre kurzen grauen Locken schimmerten im Licht ihrer Aura.

Pegs Magie hatte meiner Meinung nach genau die richtige Dosis. Nicht nur war sie unter dem von Josuah festgelegten Grenzwert, sie war so schwach, dass sie bei Sonnenlicht im Sommer gar nicht auffiel. Das goldene Schimmern um sie herum war nur an dunklen Tagen zu bemerken. Und nur von Frauen. Denn die Aura, das Magieflimmern der Herzmagie, konnten nur Frauen wahrnehmen, egal, ob sie selbst Magie hatten oder nicht. Männer hingegen tappten völlig im Dunkeln. Eigentlich seltsam. Schließlich besaßen sie auch Magie.

»Ach, du meine Güte, Lou!« Geschockt starrte Peg mich an, wie ich ihren Bretterboden volltropfte.

»Halb so wild«, meinte ich und wickelte den Schal ab. Wasser lief aus ihm heraus.

Doch Peg schien ein schlechtes Gewissen zu haben, mich bei diesem Wetter mit einer Lieferung loszuschicken. Sie warf einen besorgten Blick hinaus und schloss eilig die Tür.

In der Hütte war es trocken und warm, obwohl der Wind durch all die Löcher in der einfachen Bretterwand hindurchpfeifen konnte. Peg hatte jedoch rundherum unter der niedrigen Zimmerdecke Runen in das Holz eingebrannt. Deren Magie hielt die Wärme des Bollerofens drinnen und Regen und Wind draußen.

Auf engstem Raum hatte Peg alles Notwendige untergebracht. Ein Bett, um das sie einen Vorhang ziehen konnte, einen Ofen, der die Hütte heizte und den sie zum Kochen nutzte. Davor ein gemütlicher Lesesessel, Regale mit allerlei Kram und Büchern und drei Truhen, in denen sie Gegenstände sammelte, die sie mit Runen versehen wollte. Bilder oder hübsche Dinge, die der Zierde dienten, suchte man bei Peg vergebens. Nur eine Tontafel, die das Bildnis der heiligen Neanna zeigte, hing an der Wand beim Ofen.

»Ich wärm mich kurz auf, während du mir sagst, wohin ich muss.« Vielleicht hatte ich den Regen unterschätzt, denn tatsächlich fröstelte ich ein wenig.

Sievern saß bereits auf seinem Lieblingsplatz, der Lehne des Sessels, und säuberte sein Gefieder. Ich drückte mich an ihm vorbei zum Ofen. Sofort umarmte mich die Wärme des Feuers, und ich öffnete meine Jacke, um sie wenigstens etwas zu trocknen. Die heilige Neanna sah mir dabei geduldig zu. Peg hatte mir die Geschichte oft erzählt, als ich klein war. Neanna war eine Weisefrau mit sehr starker Herzmagie gewesen. Die Legende besagte, sie hätte mit ihrer Gabe einen Krieg verhindert, weil sie die Wut und den Neid der Gegner besänftigen konnte. In der Schule hatten wir jedoch gelernt, dass Neanna nie gelebt hat. Dass sie eine Erfindung der Rebellinnen sei, um ihr Narrativ über eine hilfreiche Herzmagie zu verbreiten. Der Legende von Neanna standen zig Ereignisse gegenüber, in denen zu große Herzmagie Menschen verletzt oder gar getötet hatte.

»Ich weiß nicht, Lou.« Peg sah mich besorgt an. »Deine … Nein. Ich kann dich nicht …« Sie klang wirklich beunruhigt und zupfte grübelnd an ihrer Unterlippe.

»Du hast gesagt, es ist dringend. Also. Mach dir keinen Kopf. Es ist nur Regen.« Mein Blick streifte Pegs dickes Notizbuch, das auf dem Sessel lag. Akribisch hatte sie über die Jahre Runen und deren Kombinationen und Wirkungsweisen notiert. An manchen Anwendungen hatte sie lange geforscht, um die richtigen Runen in der bestmöglichen Reihenfolge herauszufinden. »Hast du wieder eine neue Rune gefunden?«

Sie starrte mich an, als wäre ich so ein seltsames, langrüsseliges Tier, das es nur in Geschichten aus fernen Ländern gibt.

»Allerdings«, nuschelte sie schließlich. »Wie geht es Tom?«

Ohne es zu wollen, erstarrte ich. Setzte zu einer Antwort an, fand aber keine.

Peg zog die Augenbrauen hoch. »Aha. So schlimm, ja?«

»Schlimmer«, erwiderte ich und seufzte. »Er geht in die Akademie. Morgen schon.«

Nachdenklich nickte Peg und wärmte sich ihre Hände neben mir am Bollerofen. »Und er hat es dir erst gestern gesagt? Wie feige von ihm.«

»Ja. Irgendwie schon. Wenn ich es gewusst hätte, dann …«

»Dann?« Neugierde blitzte in ihren Augen.

»Keine Ahnung.« Eine leichte Hitze stieg in mir auf, als ich mich an unser Dann erinnerte. Seine Lippen, die sich so weich an meinem Hals angefühlt hatten. Die Hitze, die mich erfüllt hatte, als die Küsse unsere Gefühle füreinander verraten hatten. »Vermutlich hatte er recht. Ein Pflaster reißt man besser schwungvoll ab«, sagte ich hastig, um die Erinnerung davon abzuhalten, erneut Hitze in meinen Körper zu schicken.

»Hm«, meinte Peg nur und rieb ihre Hände. »Dann muss ich dir nun die Geheimnisse der Herzmagie beibringen.«

Einen winzigen Augenblick lang zögerte ich. Sollte ich ihr sagen, dass ich wie meine Mutter ohne Magie war?

Etwas zog sich bei dem Gedanken in mir zusammen. Lass es nicht wahr sein!

Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange, um ihrem forschenden Blick zu entkommen. »Du bist die Beste!«

Peg jedoch sah sehr nachdenklich aus. »Na, da ist deine Mutter sicher anderer Meinung. Was hat sie gesagt?«

Verwundert musterte ich sie. Wie sehr sie meiner Mutter ähnelte. Beide hatten eine gerade Nase, schmale Lippen und eigenwillige Locken. All diese wunderbaren Dinge hatte ich ebenfalls geerbt. »Was soll sie wozu gesagt haben?«

»Du hast ihr …« Sie beobachtete mich scharf. »Du hast mit ihr nicht über Tom gesprochen?«

»Das weißt du doch. Sie wäre komplett ausgeflippt, wenn sie gewusst hätte, dass ich mich mit einem aus dem Villenviertel treffe.«

Peg kicherte. »Sie wäre nicht wegen Toms Geld die Wände hoch, sondern weil er ein junger Mann ist und du dein Herz verlieren könntest.«

Ertappt sah ich zu Boden. Ich hatte mein Herz verloren. Nun war es gebrochen. Und all meine Träume von Runenmagie waren wie Seifenblasen zerplatzt.

»Lass gut sein. Jetzt kannst du dich nicht mehr belügen. Und mich sowieso nicht.« Sie legte ihren Finger auf meine Brust, dort, wo mein Herz aufgebracht schlug. »Öffne dein Herz, und die Magie wird bei dir sein.«

Ich wich einen Schritt zurück. »Ich weiß. Aber … das ist nicht so.« Pegs Blick bohrte sich so in mich, dass ich versucht war, mich hinter irgendwas zu verstecken. »Was ist denn nun mit der Lieferung?«, wollte ich sie von meiner Herzensangelegenheit mit Tom ablenken.

»Na gut, Lou. Wie du willst.« Sie wandte sich von mir ab und öffnete eine der Truhen, in denen sie ihre Werkstücke aufbewahrte. »Es wird bei dem Wetter kaum jemand da draußen sein. Killian hat Frühschicht.«

Killian? Ich horchte auf. Es war ein häufiger Name. Dennoch. »Killian Calbo?«

»Ja, du kennst ihn, nicht wahr? Ihr seid auf die gleiche Schule gegangen.«

Ich nickte nur. Nur zu gut erinnerte ich mich an Killian.

Peg warf einen schnellen Blick auf die Wanduhr über ihrem Bett. »Wenn du dich beeilst, triffst du ihn am Werktor der Wagenbauer. Komm dann sofort wieder zu mir! Verstanden?«

Ich betrachtete das kleine Bündel, das sie mir zögernd übergab. Es war angenehm schwer und weich. Was wohl darin war? »Kein Problem, Peg.«

Doch sie rüttelte mich an den Schultern. »Niemand darf dich sehen! Wenn trotz des Wetters zu viele Leute unterwegs sind, dann dreh um. Versteck dich!«

Jetzt war ich es, die die Stirn runzelte. »Willst du mir nicht besser sagen, was für eine heiße Ware ich in den Händen halte? Wie viel Ärger bekomme ich, wenn ich in eine der Razzien gerate?«

»Razzien?«

»Hat Sievern dich noch nicht informiert? Josuah lässt gezielt nach Rebellinnen suchen. Er hat die Regierungen der südlichen Länder eingeladen, um mit ihnen über den Handel zu sprechen. Da darf natürlich keine Frau mit Magie dazwischenfunken.«

Grübelnd nickte Peg. »Bisher haben die Agenten noch nicht zugeschlagen. Vielleicht bleibt es bei einer leeren Drohung.«

Ich verstaute das Bündel in meiner Jackentasche, während Peg mich zur Tür schob.

Nervös zog sie die Wolldecke von der Fensteröffnung neben der Tür und sah hinaus. Der Regen hatte sich festgesetzt. Die Welt ertrank.

»Beeil dich, Lou.« Sie überrumpelte mich mit einer Umarmung.

»Schon gut. Mach dir keine Sorgen. Ich kenne jede Abkürzung, jeden Schlupfwinkel. Und wenn es ganz schlimm kommt, geh ich über die Dächer. Versprochen.«

»Versprochen!«, mahnte sie mich scharf, und ich verließ die Hütte.

Der Regen klatschte mir kalt in den Nacken. Im Laufen wickelte ich den Schal um meine Haare, obwohl es sowieso zu spät war. Meine Locken würden explodieren, sobald sie getrocknet waren.

Normalerweise fertigte Peg nur preiswerte Kopien von verbesserten Dingen an, die in den Fabriken mithilfe von Runenmagiern produziert wurden. Lampen, Schuhe, Mäntel, schlichte Dinge für den täglichen Gebrauch. Die Akademie verlangte Unsummen für ein Licht, das nicht erlosch, oder einen Stein, der wärmte, ein Wagenrad, das nie zerbrach. Die Preise, der gesamte Handel unterlagen der Akademie, da dort die Männer die Runenkombinationen für die Produkte erarbeiteten. Zwar verdienten die Besitzer der Fabriken, die die Gegenstände herstellten, ordentlich mit, aber der Hauptteil ging an die Akademie. Als Steuern. Die dann Olresa und ihren Bewohnern zugutekamen.

Nun ja. Nicht unbedingt den Arbeitern. Im Villenviertel war jedoch gerade erst wieder ein neues Theater gebaut worden.

Peg hatte vielleicht nicht so starke Magie wie die Männer der Akademie, doch sie half den Menschen mit ähnlichen Dingen für wenige Münzen. Niemand hier hätte sich je runenmagische Sachen leisten können, auch wenn sie noch so viel Kosten für Brennöl oder Schuhreparaturen einsparten. Natürlich würde es Ärger geben, falls Agenten der Akademie ein Stück von Peg in die Finger bekamen. Nicht nur, weil den Dingen das Siegel der Akademie fehlte. Eine Frau gefährdete sich und andere, sobald sie ihre Magie nutzte. Doch bisher hatte Peg das nie gekümmert. Ihre Magie war so schwach, dass sie weder sich noch anderen schaden konnte. Aber es reichte für einfache Runenmagie.

Die Straßen der Stadt waren wie leer gefegt, nur das Regenwasser hüpfte vergnügt über die Pflastersteine. Ich lief und sprang über Bächlein und Pfützen hinweg. Außer mir war keine Menschenseele unterwegs. Peg hatte sich umsonst Sorgen gemacht.

Erst als ich das Gläserviertel mit den schmalen, einstöckigen Wohnhäusern der Arbeiter hinter mir gelassen hatte und zu den Fabriken kam, begegneten mir zwei Küchenjungen. Die beiden schleppten Säcke mit Zwiebeln und Kartoffeln aus einem Kellerlager zur Küche und sahen alles andere als glücklich aus. Ich grüßte sie stumm mit einem Kopfnicken, doch die zwei ärgerten sich viel zu sehr über den Regen, um mich zu beachten.

Ich bog auf den Kohlenplatz ein. Hier standen die Brennöfen der Fabriken, riesige eiförmige Gebäude mit rußigen Schloten. An trockenen Tagen parkten auf dem Platz die Fuhrwerke, die Kohle anlieferten. Über hölzerne Rampen wurden die Säcke zu den Brennöfen geschleppt. Doch heute lagen die Verladestationen verwaist da. Der Regen wusch den schwarzen Staub von Holz und Steinen, sodass sich die Pfützen dunkel färbten.

Gerade wollte ich den Platz überqueren, als Schritte aus einer der Gassen zwischen zwei Fabrikgebäuden hallten. Keine schlendernden Schritte, auch keine rennenden, um dem Schauer zu entkommen. Rhythmischer Gleichschritt.

Einem Impuls folgend, wandte ich mich um und versteckte mich unter einer der hölzernen Rampen. Von dort beobachtete ich die Gruppe, die nun aus einer Gasse gegenüber auf den Platz kam – und hielt die Luft an.

Es waren drei Agenten der Akademie. Sie liefen unter einer Luftkuppel, die den Regen von ihnen abhielt. Offenbar hatten die Männer einen Auftrag, so zielstrebig, wie sie den Platz überquerten.

Lautlos zog ich mich unter die Rampe zurück und spürte Pegs Päckchen mit einem Mal ganz deutlich in meiner Jackentasche. Wenn mich die Agenten bemerkten, war ich geliefert, das hatte Peg mir unmissverständlich klargemacht.

Mit einer Hand presste ich das Päckchen an mich, als hätte ich Angst, seine Magie könnte durch das Tuch schimmern. Was unmöglich war. Magische Objekte hatten keine Aura. Nur die Herzmagie, die in den Adern der Frauen pulsierte, sandte ein Licht aus.

Die Männer trugen Pelerinen in der Farbe der Akademie, einem feurigen Rot. Tom hatte mir erzählt, dass die Innenseiten dieser Mäntel über und über mit Runen beschriftet waren und so Schutz boten vor Wasser, Feuer, Schlägen und wer weiß, was noch allem. Deshalb drang der Regen nicht zu ihnen durch.

Der Trupp Agenten bog in die Straße ein, aus der ich vor wenigen Minuten gekommen war.

Glück gehabt, dachte ich und krabbelte aus dem Versteck.

Ich lief weiter durch den Regen zur Fabrik, in der Kutschen gebaut wurden.

 

Der Regen hatte nachgelassen, und inzwischen fielen nur noch kleine Tropfen.

Seit einiger Zeit wartete ich in einem der Torbögen, die zu den Wirtschaftshöfen der Fabrik führten. Die Fabrikgebäude waren aus rotem Backstein erbaut. Dort, wo das Wasser in Bächen an der Fassade hinabgelaufen war, leuchtete das Rot. Durch all den Ruß, der aus den Schloten quoll, sahen die Häuser üblicherweise seltsam grau aus.

Meine Filzjacke war vom Regen durchtränkt und fühlte sich klamm und schwer an. Dennoch zog ich sie eng um mich, denn, auch wenn es mir schwerfiel, es zu akzeptieren, ich zitterte. Und so langsam bekam ich Fieber. Meine langen braunen Locken klebten mir an den Wangen, der Schal lag bleischwer auf den Schultern.